Urteil vom Oberlandesgericht Düsseldorf - 15 U 43/20
Tenor
I.Die Berufung gegen das am 08.10.2020 verkündete Urteil der 4b. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer I.1. des Tenors nunmehr folgende Fassung erhält, wobei die Ziffern I.2. bis III. des landgerichtlichen Tenors unverändert bleiben und auf die geänderte Ziffer I.1. rückbezogen sind:
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, die an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollstrecken ist, zu unterlassen, öffnungsfähige Fahrzeugdächer mit wenigstens einem Deckel, welcher im Bereich seiner Vorderkante in einer Führungsschiene in x-Richtung verschiebbar und um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse schwenkbar gelagert ist, und welche mittels einer Ausstell- und Verschiebemechanik eine Dachöffnung wahlweise verschließt (Schließstellung) oder durch Ausstellen seiner Hinterkante (Lüftungsstellung) oder durch eine Verschiebung längs der Führungsschiene (Öffnungsstellung) freigibt, mit einem den Deckel oder ein mit diesem verbundenes Bauteil in der Schließposition oder der Ausstellposition gegenüber der Führungsschiene verriegelnden Riegelelement, das an einem Riegelhebel angeordnet ist, der im Wesentlichen in einer Vertikalebene (x-z-Ebene) schwenkbar am Deckel oder an einem mit dem Deckel verbundenen Bauteil angeordnet ist,
wobei das Riegelelement durch die Ausstell- und Verschiebemechanik so steuerbar ist, dass es während der Verschiebebewegung des Deckels längs der Führungsschiene verschiebbar ist und während der Verschwenkbewegung des Deckels gegenüber der Führungsschiene verrastet ist,
wobei das Riegelelement mittels einer am Riegelhebel angeordneten Mitnehmereinrichtung zum Ende einer Verschiebebewegung des Deckels aus einer Öffnungsstellung in Richtung seiner Schließstellung in Eingriff mit einer Rastausnehmung der Führungsschiene gebracht wird, wobei die Rastausnehmung an ihrer Vorderkante ein an die Bewegung des Riegelelements beim Eintreten in die Rastausnehmung bzw. beim Austreten aus der Rastausnehmung angepasstes Profil hat und wobei eine einen Deckelträger mit einem Antriebsschlitten koppelnde Kulissenanordnung wenigstens einen an einer Seitenfläche des Deckelträgers abstehenden Kulissensteg und einen unmittelbar am Antriebsschlitten angeformten, den Kulissensteg umgreifenden Greifabschnitt umfasst, in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 500.000,- € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e :
2A.
3Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 427 XXA (nachfolgend: Klagepatent), dessen eingetragene Inhaberin sie ist, auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf sowie auf Feststellung der Schadenersatz- und Entschädigungspflicht dem Grunde nach in Anspruch.
4Das Klagepatent wurde am 31.08.2002 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 19.09.2001 angemeldet. Die Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des Klagepatents erfolgte am 19.07.2006. Auf eine durch die Beklagte erhobene Nichtigkeitsklage (Az.: 1 Ni 21/19 (EP)) erklärte das Bundespatentgericht das Klagepatent durch Urteil vom 22.09.2021 teilweise für nichtig. Die ursprünglich in Kombination geltend gemachten Patentansprüche 1, 8 und 10 der erteilten Fassung bilden – in leicht geänderter Fassung (Änderungen werden nachfolgend kursiv dargestellt) – den aufrecht erhaltenen Patentanspruch 1.
5Das Klagepatent betrifft ein „Öffnungsfähiges Fahrzeugdach“. Sein nunmehr allein maßgeblicher Patentanspruch 1 in der vom Bundespatentgericht mit Urteil vom
622.09.2021 aufrecht erhaltenen Fassung lautet wie folgt:
71. Öffnungsfähiges Fahrzeugdach (1) mit wenigstens einem Deckel (2), welcher im Bereich seiner Vorderkante in einer Führungsschiene in x-Richtung verschiebbar und um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse schwenkbar gelagert ist, und welcher mittels einer Ausstell- und Verschiebemechanik eine Dachöffnung (3) wahlweise verschließt (Schließstellung) oder durch Ausstellen seiner Hinterkante (Lüftungsstellung) oder durch eine Verschiebung längs der Führungsschiene (Öffnungsstellung) zumindest teilweise freigibt, mit einem den Deckel (2) oder ein mit diesem verbundenes Bauteil in der Schließposition oder der Ausstellposition gegenüber der Führungsschiene (14) verriegelnden Riegelelement (28), das an einem Riegelhebel (24) angeordnet ist, der im Wesentlichen in einer Vertikalebene (x-z-Ebene) schwenkbar am Deckel (2) oder an einem mit dem Deckel verbundenen Bauteil angeordnet ist, wobei das Riegelelement (28) durch die Ausstell- und Verschiebemechanik so steuerbar ist, dass es während der Verschiebebewegung des Deckels (2) längs der Führungsschiene (14) verschiebbar ist und während der Verschwenkbewegung des Deckels (2) gegenüber der Führungsschiene (14) verrastet ist,
8wobei das Riegelelement (28) mittels einer am Riegelhebel (24) angeordneten Mitnehmereinrichtung (30, 32) zum Ende der Verschiebebewegung des Deckels (2) aus einer Öffnungsstellung in Richtung seiner Schließstellung in Eingriff mit einer Rastausnehmung (14f) der Führungsschiene (14) gebracht wird, wobei die Rastausnehmung (14f) an ihrer Vorderkante ein an die Bewegung des Riegelelements (28) beim Eintreten des Riegelelements (28) in die Rastausnehmung (14f) bzw. beim Austreten aus der Rastausnehmung (14f) angepasstes Profil hat und wobei eine einen Deckelträger (6) mit dem Antriebsschlitten (16) koppelnde Kulissenanordnung wenigstens einen an einer Seitenfläche des Deckelträgers
9(6) abstehenden Kulissensteg (18, 18a, 18b) und einen unmittelbar am Antriebsschlitten (16) angeformten, den Kulissensteg umgreifenden Greifabschnitt (20) umfasst.
10Die nachfolgend verkleinert wiedergegebenen Figuren 1, 3 und 5 der Klagepatentschrift verdeutlichen die Erfindung anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels. Sie zeigen die schematische perspektivische Draufsicht auf ein erfindungsgemäßes Fahrzeugdach (Figur 1), eine perspektivische Darstellung einer Ausstell- und Verschiebemechanik (Figur 3) sowie in einer Seitenansicht eine erfindungsgemäße Ausstell- und Verschiebemechanik in verschiedenen Einstellungsphasen (Figur 5):
11Die Ausstell- und Verschiebemechanik umfasst einen Deckelträger (6), der in der Ausführungsvariante nach den Figuren 2 und 3 über Gleitschuhe (8) in einer Führungsschiene (14) in x-Richtung verschiebbar und in y-Richtung verschwenkbar gelagert ist. Über eine Kulissenanordnung ist der Deckelträger (6) mit einem längs der Führungsschiene verschiebbaren Antriebsschlitten (16) gekoppelt. Am Deckelträger (6) ist ein Riegelhebel (24) in einer Vertikalebene (x-z-Ebene) schwenkbar gelagert. Der Riegelhebel trägt an seiner dem Deckelträger (6) abgewandten Seitenfläche ein Riegelelement (28).
12Figur 5a zeigt die Lüftungsstellung des Deckels. In dieser ist der Antriebsschlitten (16) ganz nach vorne verfahren und hat dabei den Deckelträger (6) mittels der Kulissenanordnung nach oben ausgestellt. In Figur 5b ist der Antriebsschlitten (16) nach hinten verfahren, wodurch der Deckelträger (6) nach unten in eine die Dachöffnung verschließende Stellung geschwenkt ist (Schließstellung). Bei einer weiteren Verschiebung des Antriebsschlittens (16) nach hinten – wie in Figur 5c gezeigt – wird der Deckelträger (6) weiter nach unten verschwenkt derart, dass der mit dem Deckelträger (6) verbundene Deckel in eine unter die Dachebene abgesenkte Stellung gelangt. Bei einer weiteren Verschiebung des Antriebsschlittens nach hinten (nicht dargestellt) kann der Deckel in eine Öffnungsstellung bewegt werden.
13Bei den Parteien handelt es sich um Zulieferunternehmen der Automobilindustrie. Zu den von der Beklagten in der Bundesrepublik Deutschland angebotenen und vertriebenen Produkten zählt ein Panorama-Glasdach (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform), mit dem unter anderem der Automobilhersteller BMW das Fahrzeugmodell G 31 (BMW 5 Touring) ausstattet.
14Die nachfolgend eingeblendete Grafik (vgl. Klageerwiderung, S. 5) zeigt die Ausstell- und Verschiebemechanik der angegriffenen Ausführungsform. Die Bezeichnungen stammen von der Beklagten, werden von beiden Parteien aber übereinstimmend verwendet.
15Anhand der nachfolgend eingeblendeten, von der Beklagten erstellten und kolorierten Explosionszeichnung sind die einzelnen Bauteile der angegriffenen Ausführungsform voneinander getrennt erkennbar:
16Der Deckelträger (11, gelb) der angegriffenen Ausführungsform ist schwenkbeweglich mit einem Ausgleichshebel (13, grün) verbunden. Der Ausgleichshebel wiederum ist an einem Lagerschlitten (12, lila) mittels eines weiteren Gelenkpunktes schwenkbeweglich gelagert. An dem Lagerschlitten ist zudem ein Steuerhebel (14, blau) angelenkt, der sich innerhalb der Führungsschienenanordnung in Fahrzeuglängsrichtung nach hinten erstreckt. Der Steuerhebel ist an einem hinter dem Gelenkpunkt für den Ausgleichshebel angeordneten Lagerpunkt an dem Lagerschlitten um eine in Fahrzeugquerrichtung erstreckte Schwenkachse schwenkbeweglich gelagert. Der Steuerhebel dient dazu, den Lagerschlitten gemeinsam mit dem Ausgleichshebel und dem vorderen Endbereich des Trägerprofils gegen eine Verlagerung in Fahrzeuglängsrichtung, d. h. in Längsrichtung der Führungsschienenanordnung, zu sichern bzw. die entsprechenden Funktionskomponenten für eine Verlagerung in Längsrichtung freizugeben.
17Die Vorderkante des Deckelträgers ist nicht nur in Längsrichtung, sondern zusätzlich auch in Hochrichtung, d. h. in z-Richtung (schwenkbeweglich) verlagerbar und zwar entsprechend der jeweiligen schwenkbeweglichen Kulissenlagerung des Ausgleichshebels einerseits an dem Deckelträger, andererseits an dem Lagerschlitten. Der Ausgleichshebel schwenkt um seine Schwenkachse am Lagerschlitten aufgrund einer entsprechenden Kontur des in der Führung des Antriebsschlitten geführten Längsprofilabschnittes des Ausgleichshebels, wodurch zwangsläufig der Dachträger aufgrund seiner Anlenkung in Abstand zu der Schwenkachse des Ausgleichshebels nach oben oder nach unten verlagert wird.
18Die Klägerin sieht im Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform in der Bundesrepublik Deutschland eine wortsinngemäße Verletzung des Klagepatents. Insbesondere verfüge die angegriffene Ausführungsform über einen Deckel, welcher im Bereich seiner Vorderkante in einer Führungsschiene in x-Richtung verschiebbar und um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse schwenkbar gelagert sei. Zudem sei die angegriffene Ausführungsform auch mit einem Riegelhebel ausgestattet, der im Wesentlichen in einer Vertikalebene (x-z-Ebene) schwenkbar am Deckel oder an einem mit dem Deckel verbundenen Bauteil angeordnet sei.
19Die Beklagte hat erstinstanzlich eine Verletzung des Klagepatents in Abrede gestellt und geltend gemacht:
20Der Klagepatentanspruch 1 verlange, dass nicht nur das die Verschiebbarkeit des Deckels in x-Richtung gewährleistende Linearlager, sondern auch das die Verschwenkbarkeit des Deckels um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse ermöglichende Schwenklager in der Führungsschiene angeordnet sei. Das Klagepatent gehe insofern nicht von zwei unterschiedlichen Lagern, sondern von einem einheitlichen Lager aus, hinsichtlich dessen die räumlich-körperliche Vorgabe „in der Führungsschiene“ zu beachten sei. Da die angegriffene Ausführungsform – insofern unstreitig – ein vom Linearlager zu unterscheidendes Schwenklager aufweise, das nicht in der Führungsschiene angeordnet sei, scheide eine Patentverletzung aus. Im Übrigen erfasse das Klagepatent auch lediglich Ausgestaltungen, bei denen die Vorderkante des Deckelträgers ausschließlich in Längsrichtung relativ zur Führungsschiene beweglich sei; eine Vertikalbewegung der Vorderkante des Deckels – wie bei der angegriffenen Ausführungsform unstreitig gegeben – sei nach dem Klagepatent hingegen nicht vorgesehen und führe aus dem Schutzbereich hinaus.
21Weiter erfordere das Klagepatent eine direkte Anlenkung des Riegelhebels am Deckel bzw. Deckelträger, die bei der angegriffenen Ausführungsform – insoweit unstreitig – nicht gegeben sei. Der als Riegelhebel dienende Steuerhebel sei – auch insoweit unstreitig – lediglich am Lagerschlitten schwenkbeweglich gelagert. An dem Lagerschlitten wiederum sei der Deckelträger lediglich mittelbar – ebenfalls unstreitig – über eine Anlenkung an dem Ausgleichshebel gelagert. Der Lagerschlitten sei kein mit dem Deckel verbundenes Bauteil. Das Klagepatent verstehe unter einem solchen Bauteil den Deckelträger.
22Mit Urteil vom 08.10.2020 hat das Landgericht eine Verletzung der dort noch maßgeblichen Patentansprüche 1, 8 und 10 des Klagepatents in der erteilten Fassung bejaht und wie folgt erkannt:
23I. Die Beklagte wird verurteilt,
241. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, die an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollstrecken ist, zu unterlassen, öffnungsfähige Fahrzeugdächer mit wenigstens einem Deckel, welcher im Bereich seiner Vorderkante in einer Führungsschiene in x-Richtung verschiebbar und um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse schwenkbar gelagert ist, und welche mittels einer Ausstell- und Verschiebemechanik eine Dachöffnung wahlweise verschließt (Schließstellung) oder durch Ausstellen seiner Hinterkante (Lüftungsstellung) oder durch eine Verschiebung längs der Führungsschiene (Öffnungsstellung) freigibt, mit einem den Deckel oder ein mit diesem verbundenes Bauteil in der Schließposition oder der Ausstellposition gegenüber der Führungsschiene verriegelnden Riegelelement, das an einem Riegelhebel angeordnet ist, der im Wesentlichen in einer Vertikalebene (x-z-Ebene) schwenkbar am Deckel oder an einem mit dem Deckel verbundenen Bauteil angeordnet ist, wobei das Riegelelement durch die Ausstell- und Verschiebemechanik so steuerbar ist, dass es während der Verschiebebewegung des Deckels längs der Führungsschiene verschiebbar ist und während der Verschwenkbewegung des Deckels gegenüber der Führungsschiene verrastet ist, wobei das Riegelelement mittels einer am Riegelhebel angeordneten Mitnehmereinrichtung zum Ende einer Verschiebebewegung des Deckels aus einer Öffnungsstellung in Richtung seiner Schließstellung in Eingriff mit einer Rastausnehmung der Führungsschiene gebracht wird, wobei die Rastausnehmung an ihrer Vorderkante ein an die Bewegung des Riegelelements beim Eintreten in die Rastausnehmung bzw. beim Austreten aus der Rastausnehmung angepasstes Profil hat und wobei eine einen Deckelträger mit einem Antriebsschlitten koppelnde Kulissenanordnung wenigstens einen an einer Seitenfläche des Deckelträgers abstehenden Kulissensteg und einen am Antriebsschlitten ausgebildeten, den Kulissensteg umgreifenden Greifabschnitt umfasst, in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen;
252. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer 1.1. bezeichneten Handlungen seit dem 19. Juli 2006 begangen hat, und zwar unter Vorlage eines chronologisch geordneten Verzeichnisses unter Angabe
26a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer
27Vorbesitzer,
28b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der
29Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
30c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden, wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- oder Verkaufsbelege (Rechnungen) in Kopie oder, falls keine Rechnungen ausgestellt wurden, Lieferpapiere in Kopie vorzulegen sind, und wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
313. der Klägerin schriftlich darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die vorstehend zu Ziffer 1.1. bezeichneten Handlungen seit dem 19. August 2006 begangen hat, und zwar unter Vorlage eines chronologisch geordneten
32Verzeichnisses unter Angabe
33a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie aufgeschlüsselt nach den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der
34Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
35b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, zeiten und -preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger, wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, Namen und Anschriften ihrer Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger in dem Verzeichnis enthalten ist;
36c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgem, der Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internetwerbung der jeweiligen Domain, Zugriffszahlen und Schaltungszeiträume;
37d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten, einschließlich Bezugspreisen, und des erzielten Gewinns;
384. die vorstehend unter Ziffer 1.1. bezeichneten, seit dem 19. Juli 2006 in den Verkehr gelangten und im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, die sich im Besitz dieses Erzeugnisses befinden, schriftlich darüber informiert werden, dass das angerufene Gericht auf eine Verletzung des europäischen Patents EP 1 427 XXA erkannt hat, und sie aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben, und den gewerblichen Abnehmern im Fall der Rückgabe der Erzeugnisse die Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der durch die Rückgabe entstehenden Verpackungs- und Transport-bzw. Versandkosten zugesagt wird;
395. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer 1.1. bezeichneten Erzeugnisse auf ihre Kosten zu vernichten oder an einen von der Klägerin beauftragten Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben.
40II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin
411. allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer 1.1. bezeichneten, seit dem 19. August 2006 begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird, und
422. für alle durch Ziffer 1.1. bezeichneten und vom 16. Juli 2004 bis zum 18. August 2006 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen.
43Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
44Die angegriffene Ausführungsform umfasse einen klagepatentgemäßen Deckel, welcher im Bereich seiner Vorderkante in einer Führungsschiene in x-Richtung verschiebbar und um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse schwenkbar gelagert sei. Der Wortlaut des Patentanspruchs 1 lasse zwar grundsätzlich zwei verschiedene Auslegungen zu, vorzugswürdig sei aber die Annahme, dass die Wendung „in der Führungsschiene“ allein auf die Verschiebbarkeit des Deckels in x-Richtung bezogen sei, die Schwenkachse demgegenüber auch außerhalb der Führungsschiene liegen könne. Denn funktional betrachtet sei es nicht erforderlich, dass die Linearlagerung und die Lagerung für die Verschwenkbarkeit an einem Ort (in der Führungsschiene) zusammenfallen. Dass das Klagepatent in den Figuren 2 und 3 eine Ausführungsform zeige, bei der durch die Gleitschuhe das Linear- und das Schwenklager einheitlich in der Führungsschiene verortet seien, rechtfertige keine einschränkende Auslegung des insoweit weiteren Anspruchswortlauts. Zwar beschreibe auch die US A-5 09XXB als gattungsbildenden Stand der Technik ein Fahrzeugdach, bei dem der Deckel verschieb- und verschwenkbar in der Führungsschiene gelagert sei, jedoch könne nicht jedes konstruktive Detail, das im gattungsbildenden Stand der Technik verwirklicht sei, in den Patentanspruch hineininterpretiert werden. Es sei vorliegend nicht anzunehmen, dass sich das Klagepatent gerade auf diese spezielle Ausgestaltung habe festlegen wollen. Vielmehr sei im weiteren zitierten Stand der Technik, der DE 34 XXC, eine Schwenklagerung des Deckels außerhalb der Führungsschiene vorgesehen. Es sei nicht ersichtlich, dass das Klagepatent hinter diesem Stand der Technik habe zurückbleiben wollen. Dabei sei nicht ausgeschlossen, dass die Vorderkante des Deckels außerhalb der Führungsschiene gelagert sei. Die Lagerung des Deckels müsse vielmehr nur in der Nähe seiner Vorderkante erfolgen, wie dies in der DE 34 XXC etwa durch das Vorsehen eines Befestigungswinkels verwirklicht sei. Der Umstand, dass der Deckel nach dem Klagepatent in x-Richtung verschiebbar und in y-Richtung verschwenkbar gelagert sein müsse, schließe Bewegungen des Deckels in andere Richtungen nicht aus. So führe insbesondere eine (zusätzliche) Bewegung des Deckels in z-Richtung nicht aus dem Schutzbereich des Klagepatents hinaus.
45Des Weiteren weise die angegriffene Ausführungsform auch einen erfindungsgemäßen Riegelhebel auf. Der Klagepatentanspruch sei insofern nicht auf eine schwenkbare Anordnung des Riegelhebels am Deckel selbst oder an einem Bauteil beschränkt, das seinerseits unmittelbar und fest mit dem Deckel verbunden sei. Eine solche Einschränkung ergebe sich weder aus dem Wortlaut, noch sei sie funktional erforderlich. Zwar beschreibe das Klagepatent in einer bevorzugten Ausgestaltung der Erfindung die direkte Anordnung an einem mit dem Deckel fest verbundenen hebelartigen Deckelträger, so dass ein gesonderter Haltebock oder dergleichen für den Riegelhebel nicht erforderlich sei, hierauf sei der Klagepatentanspruch 1 indes nicht beschränkt. Die Anordnung des Riegelhebels am Deckel oder dem damit verbunden Bauteil diene nach der Lehre des Klagepatents dazu, den Deckel gegenüber der Führungsschiene gegen eine Verschiebung in x-Richtung zu verriegeln. Durch die Möglichkeit einer Verrastung des Riegelelements gegenüber der Führungsschiene könne eine einfache, zuverlässige und zudem verschleißarme Ver- und Entriegelung der Ausstell- und Verschiebemechanik erreicht werden. Die Verschwenkbarkeit des Riegelhebels wiederum diene dazu, das Riegelelement in eine Rastposition hinein und auch wieder herauszubewegen oder auch eine Schwenkbewegung des Deckels nachzuvollziehen, ohne dass sich das Riegelelement aus der Verrastung löst. Dies schließe eine Anlenkung des Riegelhebels auch an einem anderen Bauteil nicht aus, wenn dieses Bauteil seinerseits – ggf. auch nur beweglich – mit dem Deckel oder dem Deckelträger verbunden sei. Dadurch bestehe auch die Möglichkeit, die erfindungsgemäße Konstruktion translatorisch zu verfahren. Gerade das Zusammenwirken von Riegelhebel und Deckel solle die erfindungsgemäße Verriegelung ermöglichen. Als Riegelhebel fungiere bei der angegriffenen Ausführungsform der Steuerhebel, an dem das Riegelelement angeordnet sei. Der Steuerhebel wiederum sei am Lagerschlitten schwenkbeweglich gelagert. Der Lagerschlitten sei ein mit dem Deckel verbundenes Bauteil im Sinne des Klagepatents, weil er über den angelenkten Ausgleichshebel, der am Deckel befestigt sei, mit dem Deckel verbunden sei.
46Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
47Gegen dieses, ihren Prozessbevollmächtigten am Tag seiner Verkündung zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 30.10.2020 Berufung eingelegt, mit der sie ihr vor dem Landgericht erfolglos gebliebenes, auf Klageabweisung gerichtetes Begehren weiterverfolgt. Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens macht sie geltend:
48Das Klagepatent erfordere, dass der Deckel im Bereich seiner Vorderkante in der Führungsschiene verschiebbar und verschwenkbar gelagert sei. Das Landgericht habe sich über das Erfordernis hinweggesetzt, dass nicht nur die Verschiebbarkeit, sondern auch die Verschwenkbarkeit in der Führungsschiene gewährleistet werden müsse. Insofern habe das Landgericht das streitige Merkmal künstlich in zwei Teile aufgeteilt. Soweit dies mit einer funktionalen Betrachtung begründet werde, überzeuge dies nicht. Denn das Klagepatent solle funktional gerade eine einfache, zuverlässige und verschleißarme Ver- und Entriegelung der Ausstell- und Verschiebemechanik ermöglichen (vgl. Abs. [0005] der Klagepatentschrift). Diesem Verständnis entspreche auch der Stand der Technik. Insbesondere aus der US-A-5 09XXB sei ein gattungsmäßiges Fahrzeugdach bekannt, das „im Bereich seiner Vorderkante in der Führungsbahn verschiebbar und verschwenkbar geführt“ sei. Der Fachmann habe vor diesem Hintergrund keine Veranlassung, im vorderen Bereich des Deckels die translatorisch verfahrbare bzw. verschiebbare und zugleich schwenkbewegliche Lagerung in der Führungsschiene zu verkomplizieren, indem weitere Bauteile hinzugefügt werden. Anders als das Landgericht meine, sehe das Klagepatent nicht ein separates Linearlager und ein separates Drehlager vor. Vielmehr sei im Klagepatent nur von einem einzigen Lager die Rede, das in der Führungsschiene angeordnet sei.
49Das Klagepatent verlange zudem einen Riegelhebel, der am Deckel oder an einem mit dem Deckel verbundenen Bauteil angeordnet sei. Dies erfordere eine Befestigung des Riegelhebels am Deckel selbst oder an einem Bauteil, das seinerseits unmittelbar und fest mit dem Deckel verbunden sei. Soweit das Landgericht eine mittelbare Verbindung über andere Bauteile für patentgemäß erachtet habe, gehe das Urteil fehl. Nur die unmittelbare Verbindung des Riegelhebels mit dem Deckel oder einem mit dem Deckel fest verbundenen Bauteil gewährleiste die vom Klagepatent angestrebte einfache, zuverlässige und verschleißarme Ausstellmechanik. Denn der Kern der Erfindung beruhe darauf, dass der Riegelhebel im Bereich des oberen Deckels einen festen Anlenkpunkt habe, so dass er im Fall der Arretierung einen festen, nahezu vertikalen Ausstellhebel bilde. Hiervon ausgehend falle der Riegelhebel dann quasi am gegenüberliegenden Ende automatisch in die Verrastung bzw. Verriegelung. Hierdurch werde ein sehr einfaches Verriegelungskonzept erreicht.
50Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das schriftsätzliche Vorbringen der Beklagten Bezug genommen.
51Nachdem das Bundespatentgericht das Klagepatent durch Urteil vom 22.09.2021 teilweise für nichtig erklärt und nur in eingeschränktem Umfang aufrechterhalten hat, stützt die Klägerin ihre Klage zuletzt im Hauptantrag auf die vom Bundespatentgericht bestätigte Fassung des Klagepatentanspruchs 1 (vgl. Schriftsatz vom
5205.10.2021, Bl. 230 ff. eA).
53Die Beklagte beantragt, die Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom
5408.10.2020 zu dem Aktenzeichen 4b O 128/18 abzuweisen, hilfsweise den Rechtsstreit bis zum rechtskräftigen, hilfsweise bis zum erstinstanzlichen Ausgang des Nichtigkeitsverfahrens unter dem Aktenzeichen 1 Ni 21/19 auszusetzen.
55Die Klägerin beantragt, die Berufung mit den aus Ziff. I. des Tenors ersichtlichen Maßgaben zurückzuweisen.
56Sie verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend und tritt den Ausführungen der Beklagten unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens entgegen.
57Die Argumentation der Beklagten, wonach das Vorhandensein bestimmter, im Patentanspruch nicht explizit genannter Bauteile der angegriffenen Ausführungsform (nämlich des Ausgleichhebels und des Lagerschlittens) aus dem Schutzbereich des Klagepatents herausführe, verfange nicht. Beide Bauteile gehörten zur Ausstell- und Verschiebemechanik, mit der sich der Patentanspruch 1 nicht näher befasse. Der Ausgleichshebel der angegriffenen Ausführungsform löse ein Problem, mit dem sich das Klagepatent gar nicht beschäftige, nämlich den Abschluss des Deckels gegenüber einer Dichtung an der Vorderkante des Dachrahmens. Das Landgericht habe insofern völlig zu Recht erkannt, dass der Klagepatentanspruch 1 keinen abschließenden Katalog zulässiger Bauteile enthalte.
58Soweit die Beklagte meine, der Patentanspruch 1 stelle einen Zusammenhang zwischen der Führungsschiene und der Schwenkbarkeit her, widerspreche dies bereits dem eindeutigen anderslautenden Wortlaut. Insofern sei auch kein technischer Grund erkennbar, warum das Schwenklager gemeinsam mit dem Linearlager in einer Führungsschiene ausgebildet sein sollte. Eine Beschränkung unter Hinweis auf die konkrete Ausgestaltung in der US-A-5 09XXB komme nicht in Betracht. Das Klagepatent habe die dort verwendete Formulierung gerade nicht übernommen. Darüber hinaus zeige der zitierte Stand der Technik – etwa die DE 34 XXC A1 –Mechanismen, in denen die Schwenkachse außerhalb der Führungsschiene liege.
59Auch die weitere Auslegung der Beklagten, wonach der Riegelhebel unmittelbar an dem Deckel oder einem mit dem Deckel fest verbundenen Bauteil angeordnet sein müsse, widerspreche dem Wortlaut des Klagepatents, da dieser weder eine unmittelbare Anordnung am Deckel noch ein mit dem Deckel fest verbundenes Bauteil verlange. Aus funktionaler Sicht sei es keineswegs erforderlich, den Schutzbereich des Klagepatents auf das Ausführungsbeispiel nach Figur 3 zu reduzieren. Zutreffend habe das Landgericht festgestellt, dass die schwenkbare Anordnung des Riegelhebels an einem mit dem Deckel verbundenen Bauteil dazu diene, das Riegelelement in die Rastausnehmung hineinzubewegen und die Mechanik dadurch während der Schwenkbewegung gegenüber der Führungsschiene zu verriegeln. Für diese Zwecke sei es lediglich erforderlich, dass sich der Deckel und der Riegelhebel gemeinsam längsverschieben. Dies werde durch eine Anordnung des Riegelhebels am Lagerschlitten erreicht. Soweit die Beklagte auf eine „einfache, zuverlässige und verschleißarme“ Ausstellmechanik verweise, habe schon das Landgericht zutreffend festgestellt, dass nicht die Ausstellmechanik, sondern die Verriegelung einfach und verschleißarm erfolgen solle. Dies werde auch bei der angegriffenen Ausführungsform erreicht.
60Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten nebst Anlagen Bezug genommen.
61B.
62Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht in dem Angebot und dem Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform in der Bundesrepublik Deutschland eine wortsinngemäße Benutzung des Klagepatents gesehen und die Beklagten wegen unmittelbarer Patentverletzung zur Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, zum Schadenersatz und zur Entschädigung sowie zum Rückruf und zur Vernichtung verurteilt. Der Klägerin stehen entsprechende Ansprüche auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Beschränkung des Schutzbereichs aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1 und 3, 140b Abs. 1 und 3 PatG, §§ 242, 259 BGB, Art. 2 § 1 S. 1 IntPatÜ zu.
631.
64Soweit die Klägerin ihre Klage in der Berufungsinstanz beschränkt hat, indem sie die Anträge nunmehr vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Teilvernichtung des Klagepatents auf eine Verletzung des Klagepatents in einer eingeschränkten Fassung stützt, bestehen gegen die Zulässigkeit einer solchen Antragsänderung keine Bedenken.
65Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Anpassung der Anträge auf eine zwischenzeitlich im Rechtsbestandsverfahren erfolgte beschränkte Aufrechterhaltung des Anspruchs keine Klageänderung im Sinne von § 263 ZPO, sondern – sofern man darin überhaupt eine Antragsänderung und nicht nur eine Konkretisierung des Antrags erblicken will – allenfalls eine Beschränkung des Klageantrags nach § 264 Nr. 2 ZPO dar (OLG München, BeckRS 2014, 7881; OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2019, 44914; OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2021, 6714; Voß in: BeckOK Patentrecht, 18. Edition, vor §§ 139 ff. Rz. 47; Zigann/Werner in: Cepl/Voß, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Aufl., § 253 ZPO Rz. 105), die auch im Berufungsverfahren ohne weiteres zulässig ist, weil § 533 ZPO keine Anwendung findet (vgl. BGH, NJW 2004, 2152; BGH, WM 2010, 1142). Dies folgt daraus, dass der Klagegrund bei einem Hinzufügen von Anspruchsmerkmalen identisch bleibt, weil die Klägerin ihr Begehren weiterhin auf denselben Lebenssachverhalt und dasselbe Schutzrecht stützt. Sie verfolgt unverändert das Klageziel, das Angebot und den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform wegen Verletzung desselben Patents zu untersagen.
662.
67Die Erfindung betrifft ein öffnungsfähiges Fahrzeugdach.
68Nach Abs. [0002] der Klagepatentschrift umfasst die Ausstell- und Verschiebemechanik für derartige öffnungsfähige Fahrzeugdächer im Allgemeinen je einen, in einer längs einer jeden Seitenkante der Dachöffnung angeordneten Führungsschiene verschiebbaren Antriebsschlitten, der über eine kulissenartige Anordnung mit einem fest im vorderen Bereich des Deckels angeordneten hebelartigen oder mit diesem integral ausgebildeten Deckelträger gekoppelt ist. Der Deckelträger wiederum ist verschiebbar und verschwenkbar gelagert, was beispielsweise über an seinem vorderen Ende angeordnete Gleitschuhe in der Führungsschiene erfolgen kann.
69Im Stand der Technik war aus der DE 34 XXC A1 ein Fahrzeugdach bekannt, bei dem ein federnd in Eingriffstellung mit der Führungsschiene vorbelasteter Rasthaken am vorderen Gleitschuh einer Schiebe-Hebedachmechanik vorgesehen ist. Beim Absenken des Deckels wird dieser Rasthaken vor dem Verschieben unter das Fahrzeugdach außer Eingriff gebracht. Hieran kritisiert die Klagepatentschrift das Erfordernis der aufwendigen Justierung des Rasthakens gegenüber dem Deckel oder dem mit diesem verbundenen Bauteil (vgl. Abs. [0003] der Klagepatentschrift).
70Aus der US-A-5 09XXB war außerdem ein Fahrzeugdach bekannt, dessen Deckel mittels eines Ausstellhebels zwischen einer Öffnungsstellung, einer Schließstellung und einer Lüftungsstellung verstellbar ist. Dabei ist der Ausstellhebel einerseits mittels Rollen an der Führungsbahn verschieb- und verschwenkbar gelagert und andererseits mittels eines Schwenklagers mit einem unterhalb des Deckels abstehenden Flansch verbunden. Wenn der Deckel in seiner Öffnungsstellung angeordnet ist, tritt ein Riegelstift, der an der Dachführung ortsfest angebracht ist, in eine Riegelkulisse ein, die am Ausstellhebel vorgesehen ist. Wird der Ausstellhebel entlang der Führungsbahn verschoben, gelangt er an das Ende eines Eintrittsabschnitts der Riegelkulisse und liegt dort an einem gekrümmten Abschnitt der Riegelkulisse an. Auf diese Weise verhindert er ein weiteres Verschieben des Ausstellhebels; während der Schwenkbewegung des Deckels in y-Richtung ist der Deckel gegenüber einer Verschiebung in x-Richtung blockiert (vgl. Abs. [0004] der Klagepatentschrift).
71Vor dem Hintergrund des dargestellten Stands der Technik hat es sich das Klagepatent zur Aufgabe gemacht, ein öffnungsfähiges Fahrzeugdach zu schaffen, bei dem eine einfache, zuverlässige und verschleißarme Ver- und Entriegelung der Ausstell- und Verschiebemechanik ermöglicht wird (Abs. [0005] der Klagepatentschrift).
72Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt Patentanspruch 1 in seiner durch das Bundespatentgericht geänderten Fassung ein öffnungsfähiges Fahrzeugdach mit folgenden Merkmalen vor:
731. Öffnungsfähiges Fahrzeugdach (1)
742. mit wenigstens einem Deckel (2),
752.1 welcher im Bereich seiner Vorderkante in einer Führungsschiene (14)
76in x-Richtung verschiebbar und um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse schwenkbar gelagert ist,
772.2 und welcher mittels einer Ausstell- und Verschiebemechanik eine Da-
78chöffnung (3) wahlweise verschließt (Schließstellung) oder durch Ausstellen seiner Hinterkante (Lüftungsstellung) oder durch eine Verschiebung längs der Führungsschiene (Öffnungsstellung) zumindest teilweise freigibt,
793. mit einem den Deckel (2) oder ein mit diesem verbundenes Bauteil in der Schließposition oder der Ausstellposition gegenüber der Führungsschiene (14) verriegelnden Riegelelement (28),
803.1 das an einem Riegelhebel (24) angeordnet ist, der im Wesentlichen in
81einer Vertikalebene (x-z-Ebene) schwenkbar am Deckel (2) oder an einem mit dem Deckel verbundenen Bauteil angeordnet ist,
823.2 wobei das Riegelelement (28) durch die Ausstell- und Verschiebeme-
83chanik so steuerbar ist, dass es während der Verschiebebewegung des Deckels (2) längs der Führungsschiene (14) verschiebbar ist und
843.3 während der Schwenkbewegung des Deckels (2) gegenüber der Füh-
85rungsschiene (14) verrastet ist,
864. wobei das Riegelelement (28) mittels einer am Riegelhebel (24) angeordneten Mitnehmereinrichtung (30, 32) zum Ende einer Verschiebebewegung des Deckels (2) aus einer Öffnungsstellung in Richtung seiner Schließstellung in Eingriff mit einer Rastausnehmung (14f) der Führungsschiene (14) gebracht wird;
875. wobei die Rastausnehmung (14f) an ihrer Vorderkante ein an die Bewegung des Riegelelements (28) beim Eintreten des Riegelelements (28) in die Rastausnehmung (14f) bzw. beim Austreten aus der Rastausnehmung angepasstes Profil hat;
886. wobei die den Deckelträger (6) mit dem Antriebsschlitten (16) koppelnde Kulissenanordnung (18, 20) wenigstens einen an einer Seitenfläche des Deckelträgers (6) abstehenden Kulissensteg (18, 18a, 18b) und einen unmittelbar am Antriebsschlitten angeformten, den Kulissensteg umgreifenden Greifabschnitt (20) umfasst.
89Als Kern der Erfindung bezeichnet die Klagepatentschrift zum einen die Anordnung des Riegelelementes an einem Riegelhebel, der schwenkbar am Deckel oder an einem mit dem Deckel verbundenen Bauteil angeordnet ist, zum anderen die Möglichkeit der Verrastung des Riegelelementes gegenüber der Führungsschiene (Abs.
90[0007] der Klagepatentschrift).
913.
92Zu Recht ist zwischen den Parteien eine Verwirklichung der Merkmale 1., 2. einschließlich 2.2, 3. einschließlich 3.2 und 3.3 sowie 4. bis 6. nicht umstritten, so dass es insoweit keiner weiteren Ausführungen bedarf. Darüber hinaus macht die angegriffene Ausführungsform auch von den Merkmalen 2.1. und 3.1. wortsinngemäß Gebrauch.
a)
93Wie von Merkmal 2.1 gefordert, verfügt die angegriffene Ausführungsform über einen Deckel, der im Bereich seiner Vorderkante in einer Führungsschiene in x-Richtung verschiebbar und um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse schwenkbar gelagert ist.
aa)
94Der Wortlaut des Patentanspruchs 1 ist – wie auch das Landgericht festgestellt hat – hinsichtlich des Bezugs der Vorgabe „in einer Führungsschiene“ nicht eindeutig. So kann der Anspruch grundsätzlich auf zwei unterschiedliche Arten verstanden werden:
95(1) Der Deckel ist im Bereich seiner Vorderkante
96- in einer Führungsschiene in x-Richtung verschiebbar und
97- um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse verschwenkbar gelagert.
98(2) Der Deckel ist im Bereich seiner Vorderkante in einer Führungsschiene
99- in x-Richtung verschiebbar und
100- um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse schwenkbar gelagert.
101Der Senat geht von dem erstgenannten – auch vom Landgericht angenommenen – Verständnis aus (dies entspricht im Übrigen auch der vom Bundespatentgericht vorgenommenen Gliederung des Anspruchs in seiner im Hinweis vom 11.05.2021 enthaltenen Merkmalsgliederung, vgl. Anlage B16, S. 3, Bl. 156 eA). Diese Auslegung des Patents beruht auf folgenden Überlegungen:
(1)
102Merkmal 2.1 lässt – ebenso wie der gesamte Anspruch 1 des Klagepatents – offen, wie die angesprochene Lagerung des Deckels konkret umgesetzt werden soll, insbesondere mittels welcher Bauteile. Abgesehen von bestimmten räumlich-körperlichen Vorgaben („im Bereich seiner Vorderkante“, „in einer Führungsschiene“) gibt der Anspruch zunächst einmal nur die Lagerung des Deckels als solche vor. Der Fachmann, ein Ingenieur der Fachrichtung Fahrzeugtechnik, der auf dem Gebiet der Entwicklung und Konstruktion von Schiebedächern für Kraftfahrzeuge seit mehreren Jahren tätig ist (vgl. Hinweis des Bundespatentgerichts vom 11.05.2021, vorgelegt als Anlage B16, S. 1, Bl. 154 eA), ist dabei in der Gestaltung weitgehend frei. Insbesondere kann und muss er für die Verwirklichung der Lagerung im Anspruch nicht genannte Bauteile verwenden. Dies eröffnet auch die Möglichkeit, das Lager nicht (unmittelbar) am Deckel vorzusehen, sondern an einem damit verbundenen Bauteil. Die in der Klagepatentschrift beschriebenen und in den Figuren dargestellten Ausführungsbeispiele verdeutlichen dies, da das Lager dort nicht unmittelbar am Deckel, sondern an einem Deckelträger angeordnet ist.
(2)
103Hieraus ergibt sich zugleich, dass es dem Klagepatent nicht darauf ankommt, dass der Deckel selbst im Bereich seiner Vorderkante in der Führungsschiene lagert. Die Verbindung des Deckels mit der Führungsschiene ist vielmehr für den Fachmann unmittelbar erkennbar patentgemäß nur mittelbar ausgestaltet, beispielsweise über die Verwendung eines Deckelträgers. Neben dem Deckelträger kann es aber auch noch weitere Verbindungsstücke geben. Dem Fachmann ist beispielsweise klar, dass er auch die Verschiebbarkeit längs der Führungsschiene irgendwie bewerkstelligen muss und dass er hierfür nicht auf das Ausführungsbeispiel gemäß Figur 2 beschränkt ist. Weil das Patent hierfür keine Vorgaben macht, kann der Fachmann auf gängige Methoden, etwa die Längsverschiebung mittels eines Schlittens bzw. Haltebocks, zurückgreifen. Bei der Verwendung eines solchen Bauteils, das entlang der Führungsschiene verschiebbar ist, gibt es zwischen diesem und dem Deckel bereits zwei Verbindungsstücke (den Deckelträger und den Schlitten bzw. Haltebock). All dies schließt der Patentanspruch 1 nicht aus. Ausreichend ist vielmehr, dass die entsprechende Linearlagerung über ein mit dem Deckel verbundenes Bauteil erfolgt, das in der Nähe der Vorderkante des Deckels angeordnet ist. Entsprechendes sieht etwa auch die als Stand der Technik gewürdigte DE 34 XXC vor, bei der die Befestigung des Deckels am Schwenklager mittels eines Befestigungswinkels erfolgt.
(3)
104Dabei gibt der Anspruch nicht zwingend vor, dass die (Linear- und Dreh-) Lagerung des Deckels mittels eines (einzigen) Lagers erfolgen muss. Wenn die Gestaltung der Lagerung in das Belieben des Fachmanns gestellt ist, kann er auch mehrere / verschiedene (Lager-) Bauteile vorsehen, von denen das eine die Lagerung für die Verschiebbarkeit übernimmt und das andere das Lager für die Verschwenkbarkeit bereitstellt. Die Lagerung für die Verschwenkbarkeit kann dann grundsätzlich auch an einem anderen Ort verwirklicht werden als die Lagerung für die Verschiebbarkeit.
(4)
105Technisch notwendig ist die räumlich-körperliche Vorgabe „in der Führungsschiene“ nur für die Lagerung, die die Längsverschiebung des Deckels gewährleistet. Entsprechend ist etwa in Merkmal 2.2 von der „Verschiebung längs der Führungsschiene“ die Rede. Auch Merkmal 3.2 spricht von einer Verschiebebewegung „längs der Führungsschiene“. Demgegenüber ist eine Anordnung des Schwenklagers in der Führungsschiene aus funktionaler Sicht nicht zwingend. Die im Anspruch vorgesehene Lagerung soll die in Merkmal 2.2 genannten Stellungen des Daches ermöglichen. Dieses soll mittels einer – nicht näher konkretisierten – Ausstell- und Verschiebemechanik wahlweise in Schließ-, Lüftungs- oder Öffnungsstellung gebracht werden können.
106Damit der Deckel die Dachöffnung verschließt (Schließstellung) oder sie freigibt (Öffnungsstellung), muss der Deckel längs der Führungsschiene (so ausdrücklich Merkmal 2.2) verschoben werden können. Um dies zu gewährleisten, sieht der Anspruch eine Führungsschiene vor und die Verschiebbarkeit des Deckels in x-Richtung.
107Die Lüftungsstellung wird durch Ausstellen (nur) der Hinterkante des Deckels bewirkt (so ausdrücklich Merkmal 2.2). Damit nur die Hinterkante in z-Richtung bewegt wird, muss der Deckel im Bereich seiner Vorderkante verschwenkbar gelagert sein. Es bedarf folglich einer in y-Richtung liegenden Schwenkachse. Aus technischer Sicht besteht aber keine Notwendigkeit, dass diese Schwenkachse zwingend einen Ansatzpunkt in der Führungsschiene haben müsste.
(5)
108Die objektive Aufgabe des Klagepatents veranlasst den Fachmann nicht zu einem engeren Verständnis. Diese besteht – in Übereinstimmen mit der subjektiven Benennung in Absatz [0005] der Klagepatentschrift – in der Zurverfügungstellung eines öffnungsfähigen Fahrzeugdaches mit einer einfachen, zuverlässigen und verschleißarmen Ver- und Entriegelung der Ausstell- und Verschiebemechanik. Diese Aufgabe wird insbesondere mit den Merkmalen 4 bis 6 bzw. mit dem erfindungsgemäßen Riegelelement, der Mitnehmereinrichtung, der Rastausnehmung und der Kulissenanordnung bewerkstelligt. Die Verortung des Schwenklagers und die konkrete Ausgestaltung desselben haben mit der Ver- und Entriegelung hingegen nichts zu tun.
(6)
109Soweit in den im Klagepatent beschriebenen Ausführungsbeispielen Gleitschuhe vorgesehen sind (vgl. Abs. [0023] der Klagepatentschrift), mit denen der Deckel in der Führungsschiene gleichzeitig verschiebbar und um die Führungsschiene verschwenkbar gelagert ist, finden sich entsprechende Vorgaben zur näheren technischen Ausgestaltung der Linear- und Drehlager in den für die Reichweite des Schutzbereichs (§ 14 PatG) maßgeblichen Patentansprüchen nicht. Insbesondere erwähnt der Wortlaut des hier maßgeblichen Patentanspruchs 1 weder die Gleitschuhe (8) noch die zugeordneten Führungsnuten (14a und 14b). Er überlässt es vielmehr dem Fachmann, wie er die geforderte Verschwenkbarkeit des Deckels um eine y-Achse realisiert. Bei der in den Figuren gezeigten Gestaltung handelt es sich lediglich um bevorzugte Ausführungsbeispiele, welche dem Fachmann eine mögliche Gestaltung zeigen, ohne dass der Schutzbereich darauf beschränkt wäre (BGH, GRUR 2016, 1031 – Wärmetauscher). Es ist nicht ersichtlich, dass nur bei Befolgung der dort gezeigten engeren technischen Lehre bezüglich der Lagerung diejenigen technischen Erfolge erzielt werden, die erfindungsgemäß mit den im Anspruch bezeichneten Mitteln erreicht werden sollen (vgl. BGH, GRUR 2008, 779 – Mehrgangnabe). Eine schwenkbare Lagerung um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse zwecks Ausstellen der Hinterkante kann vielmehr auch auf andere Weise realisiert werden.
(7)
110Daraus, dass bei dem in Abs. [0004] als „gattungsgemäß“ bezeichneten Fahrzeugdach der US-A-5 09XXB eine Schwenklagerung des Deckels in der Führungsschiene vorgesehen ist, folgt nichts anderes. Zwar wird der Fachmann aufgrund der Bezeichnung als „gattungsgemäß“ davon ausgehen, dass dieser Stand der Technik Ausgestaltungen zeigt, die grundsätzlich die Vorrichtungen der in Rede stehenden Sachgruppe bzw. Gattung kennzeichnen, dies besagt jedoch nicht per se, dass die im gattungsgemäßen Stand der Technik gezeigten Merkmale des Anspruchs zwingend vom Klagepatent übernommen werden sollen. Auch insoweit ist zu fragen, ob es sich um einen bloß formalen Ausgangspunkt handelt oder ob der beschriebene Stand der Technik als (insoweit) prinzipiell vorteilhaft bewertet wird und beibehalten werden soll (OLG Düsseldorf, BeckRS 2014, 21941; OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2017, 135520; ALG Düsseldorf, GRUR-RS 2019, 38979). Ob dies der Fall ist, ist wiederum mittels Auslegung unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung zu ermitteln.
111Vorliegend führt dies dazu, dass insoweit keine (exakte) Übernahme der konstruktiven Vorgaben der US-A-5 09XXB erforderlich ist. Die Klagepatentschrift enthält weder einen dahingehenden „positiven“ noch „negativen“ Hinweis. Die Lagerung des Deckels wird in diesem Zusammenhang vielmehr gar nicht erwähnt, weder als besonders positiv, noch als kritikwürdig. Eine funktionsorientierte Auslegung zwingt nicht dazu, die Anordnung des Schwenklagers entsprechend der US-A-5 09XXB vorzunehmen. Insofern zeigt bereits die ebenfalls in der Klagepatentschrift zitierte DE 34 XXC, dass andere technische Lösungen denkbar sind. Denn die dort gezeigte Figur 1 lässt ein deutlich oberhalb der Führungsschiene (15) gelegenes Schwenklager (21) erkennen. Es ist nicht ersichtlich, dass die klagepatentgemäße Lehre hinter diesem Stand der Technik zurückbleiben wollte; insbesondere wird die Art der Anordnung des Schwenklagers von der Klagepatentschrift nicht kritisiert. Im Übrigen betrifft der Erfindungsgedanke des Klagepatents nicht die Lagerung des Deckels im Bereich seiner Vorderkante, sondern vielmehr die Art und Weise der Verriegelung des Deckels gegenüber der Führungsschiene.
(8)
112Soweit die Beklagte schließlich geltend macht, Merkmal 2.1 schließe eine Verlagerung des Deckels in z-Richtung aus, vermag der Senat sich auch dieser Auffassung nicht anzuschließen. Eine solche Einschränkung lässt sich weder dem Wortlaut des Patentanspruchs 1 entnehmen, noch ist sie aus funktionaler Sicht geboten. Zur Beweglichkeit des Deckels verhält sich Merkmal 2.1 lediglich dergestalt, dass eine Verschiebbarkeit in x-Richtung und eine Verschwenkbarkeit in y-Richtung gegeben sein müssen. Soweit Figur 2 eine Ausführungsform der Erfindung zeigt, bei der ein den Deckel stützender Deckelträger (6) an seiner Vorderkante mit einem Gleitschuh (8) in die Führungsnuten (14a und 14b) eingreift, ist der Beklagten zwar zuzugeben, dass bei dieser beispielhaften Konstruktion der Gleitschuh (8) und damit die Vorderkante des Deckelträgers kein Spiel in z-Richtung haben, sondern nur horizontal (in xRichtung) verschoben werden können, der allein maßgebliche Wortlaut des Patentanspruchs 1 enthält hingegen keine entsprechende Limitierung für die Beweglichkeit des Deckels. Er sieht lediglich eine Verschiebbarkeit in x-Richtung und eine Verschwenkbarkeit in y-Richtung vor. Nicht ausgeschlossen werden hierdurch Bewegungen des Deckels in andere Richtungen, die zu den beschriebenen Bewegungen in x- und y-Richtung ggf. hinzukommen. Dem Fachmann ist bewusst, dass Ausgleichsbewegungen je nach Ausgestaltung der Mechanik und je nach verfügbarem Spielraum in der konkreten Umsetzung der patentgemäßen Lehre erforderlich sind. So beschreibt die Klagepatentschrift etwa in Abs. [0010] und dem Ausführungsbeispiel nach Figur 6 eine Gestaltung, bei der der Riegelhebel am Deckelträger an einem zu dem vorderen Lagerpunkt des Deckelträgers beabstandeten, beispielsweise nach hinten verlagerten Anlenkpunkt angeordnet ist. Die hierdurch mögliche Kombination aus Schwenkbewegung und geringer Verschiebung in x-Richtung ermöglicht eine Entlastung der Dichtung des Fahrzeugdaches (Abs. [0034] bis [0036] der Klagepatentschrift).
bb)
113Ausgehend von einem solchen Verständnis kann an einer wortsinngemäßen Verwirklichung von Merkmal 2.1 durch die angegriffene Ausführungsform kein Zweifel bestehen.
114Wie die im Tatbestand abgebildeten Grafiken zeigen – und wie im Übrigen zwischen den Parteien unstreitig ist – ist der Deckel der angegriffenen Ausführungsform (bzw. der Deckelträger) über den Ausgleichshebel fest mit dem Lagerschlitten verbunden. Dieser wiederum ist in der Führungsschiene verschiebbar geführt, wobei sich der Lagerschlitten in der Nähe der Vorderkante des Deckels befindet. Auf diese Weise ist der Deckel der angegriffenen Ausführungsform im Bereich seiner Vorderkante in einer Führungsschiene in x-Richtung verschiebbar gelagert (Merkmal 2.1) und kann patentgemäß durch eine Verschiebung längs der Führungsstellung in eine Öffnungsstellung bewegt werden (Merkmal 2.2).
115Dass der Deckel selbst im Bereich seiner Vorderkante in der Führungsschiene gelagert ist, verlangt Patentanspruch 1 – wie ausgeführt – nicht. Der Deckel ist trotz der Zwischenschaltung des Ausgleichshebels im Bereich seiner Vorderkante in der Führungsschiene verschiebbar gelagert. Patentanspruch 1 enthält keine dahingehende Vorgabe, dass es einer unmittelbaren Lagerung des Deckels in der Führungsschiene bedarf. Vielmehr ist der Deckel auch dann erfindungsgemäß in der Führungsschiene verschiebbar gelagert, wenn die Lagerung – wie bei der angegriffenen Ausführungsform – über ein weiteres Bauteil, hier den Ausgleichshebel, vermittelt wird.
116Durch die Schwenklagerung des Deckelträgers am Ausgleichshebel ist der Deckel der angegriffenen Ausführungsform außerdem um eine in y-Richtung liegende Achse verschwenkbar gelagert (Merkmal 2.1) und kann patentgemäß durch Ausstellen seiner Hinterkante in eine Lüftungsstellung bewegt werden (Merkmal 2.2). Mehr verlangt Patentanspruch 1 nicht. Insbesondere verhält er sich – wie ausgeführt – nicht zur näheren technischen Ausgestaltung der Schwenkbarkeit und verlangt insofern nicht ein räumlich-körperliches Zusammenfallen von Linear- und Drehlager in der Führungsschiene. Für eine Verwirklichung der unter Schutz gestellten technischen Lehre reicht es vielmehr aus, wenn der Deckel um eine in y-Richtung liegende
117Schwenkachse verschwenkbar und (unabhängig von der Schwenkachse) in x-Richtung verschiebbar ist. Dadurch kann der Deckel zum einen verschwenkt (und dadurch das Dachfenster von der Schließ- in die Lüftungsstellung überführt) und zum anderen längsverschoben (und dadurch das Dachfenster von der Schließ- in die Öffnungsstellung überführt) werden. Aus dem Schutzbereich führt es dementsprechend nicht heraus, dass bei der angegriffenen Ausführungsform die Längsverschiebbarkeit von der Verschwenkbarkeit entkoppelt und gerade nicht einheitlich in der Führungsschiene umgesetzt ist. Insofern kann dahinstehen, ob die Schwenkachse – wie die Klägerin hilfsweise vorträgt – sich bei der angegriffenen Ausführungsform „noch innerhalb der räumlichen Begrenzung der Führungsschiene“ befindet (vgl. auch die Grafik in der Replik, S. 12, Bl. 195 eA). Hierauf nämlich kommt es nach dem Vorstehenden nicht an.
118Dass die Vorderkante des Deckelträgers nicht nur in Längsrichtung, sondern zusätzlich auch in Hochrichtung, d. h. in z-Richtung (schwenkbeweglich) verlagerbar ist, hindert eine Verwirklichung der klagepatentgemäßen Lehre nicht. Denn diese schließt – wie ausgeführt – andere lineare oder Schwenkbewegungen keineswegs aus. Bei der angegriffenen Ausführungsform wird durch das Vorsehen des Ausgleichshebels der zusätzliche Vorteil erzielt, dass der Deckel gegenüber einer Dichtung an der Vorderkante des Dachrahmens besser abschließt. Die in der Merkmalsgruppe 2 vorgesehene Funktion der Ausstell- und Verschiebemechanik wird hierdurch in keiner Weise beeinträchtigt; Merkmalsgruppe 2 ist vielmehr vollständig verwirklicht.
b)
119Darüber hinaus verfügt die angegriffene Ausführungsform auch über einen erfindungsgemäßen Riegelhebel im Sinne von Merkmal 3.1, der im Wesentlichen in einer Vertikalebene (x-z-Ebene) schwenkbar am Deckel oder an einem mit dem Deckel verbundenen Bauteil angeordnet ist.
aa)
120Das Klagepatent überlässt es ausdrücklich dem Fachmann, ob er den Riegelhebel am Deckel selbst oder an einem mit dem Deckel verbundenen Bauteil anordnet. Zu der konstruktiven Ausgestaltung dieser „Anordnung“ macht das Klagepatent keine näheren Angaben. Der weit gefasste Begriff der „Anordnung“ erfordert dabei weder eine „unmittelbare“ noch eine „feste“ Verbindung.
(1)
121Das mit dem Deckel verbundene Bauteil wird in Patentanspruch 1 nicht näher konkretisiert. Insbesondere erfolgt keine Beschränkung auf den Deckelträger, wie dies etwa in Unteranspruch 3 erfolgt. Letzterer bezeichnet nur ein Ausführungsbeispiel, auf das der weiter gefasste Patentanspruch 1 nicht beschränkt ist. Die Klagepatentschrift selbst beschreibt in Absatz [0011] eine bevorzugte Ausführungsform der Erfindung, in der der Riegelhebel an einem „Haltebock oder dergleichen“ angeordnet ist.
122Nicht ersichtlich ist zudem, dass die Formulierung „an einem mit dem Deckel verbundenen Bauteil“ im Sinne eines Zahlwortes zu verstehen sein könnte, so dass hiernach nur ein (einziges) Bauteil mit dem Deckel verbunden sein dürfte. Im Übrigen würde hieraus nicht zwingend folgen, dass die Anordnung des Riegelhebels an diesem einen Bauteil wiederum einteilig bzw. unmittelbar erfolgen müsste.
(2)
123Auch funktional ist es nicht erforderlich, dass der Riegelhebel am Deckel selbst oder an einem Bauteil angeordnet ist, das „unmittelbar“ oder „fest“ mit dem Deckel verbunden ist. Entscheidend ist vor dem Hintergrund der gebotenen funktionsorientierten Auslegung allein, dass der Riegelhebel derart räumlich zu dem Deckel oder dem mit dem Deckel verbundenen Bauteil in Bezug gesetzt wird, dass der Zweck dieser Anordnung, nämlich die Gewährleistung der Verriegelung in der Schließ- und Lüftungsstellung des Deckels gegenüber der Führungsschiene, in patentgemäßer Weise erreicht wird.
124Wie diese Verriegelung funktioniert, beschreiben die Merkmale 3.1 bis 3.3 und das kennzeichnende Merkmal 4. So ist das Riegelelement gemäß Merkmal 3.1 an einem Riegelhebel angeordnet und gemäß Merkmal 3.2 so steuerbar, dass es während der Verschiebebewegung des Deckels längs der Führungsschiene verschiebbar ist. Die horizontale Verschiebbarkeit des Riegelelements während der Verschiebung des Deckels wird dabei dadurch ermöglicht, dass das Riegelelement an dem Riegelhebel und dieser wiederum an dem Deckel angeordnet ist. Auf diese Weise verschiebt sich mit dem Deckel der Riegelhebel und mit dem Riegelhebel auch das Riegelelement. Dies ist notwendig, damit das Riegelelement während der Verschwenkung des Deckels gegenüber der Führungsschiene verrasten kann, Merkmal 3.3. Merkmal 4 erläutert dies näher: Das Riegelelement wird am Ende einer Verschiebebewegung des Deckels von seiner Öffnungsstellung in Richtung seiner Schließstellung mittels einer Mitnehmereinrichtung in Eingriff mit einer Rastausnehmung der Führungsschiene gebracht. Dabei soll die Rastausnehmung der erfindungsgemäßen Verriegelung gemäß Merkmal 5 an ihrer Vorderkante ein an die Bewegung des Riegelelementes beim Ein- oder Austreten angepasstes Profil aufweisen. Auf diese Weise wird eine einfache, reibungslose und verschleißarme Verriegelung des Deckels gegenüber der Führungsschiene gewährleistet (vgl. hierzu auch Abs. [0007] der Klagepatentschrift).
125Die Klagepatentschrift geht ausdrücklich davon aus, dass durch eine solche Konstruktion die objektive Aufgabe gelöst wird. Es ist darüber hinausgehend nicht Aufgabe des Klagepatents, die gesamte Ausstell- und Verschiebemechanik einfacher, reibungsloser und verschleißärmer zu konstruieren, etwa indem die Anzahl der Bauteile oder der Anordnungsteile reduziert wird.
bb)
126Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen verwirklicht die angegriffene Ausführungsform Merkmal 3.1 wortsinngemäß.
127Den erfindungsgemäßen Riegelhebel bildet das von den Parteien als „Steuerhebel“ bezeichnete Bauteil (in der Explorationszeichnung blau koloriert und mit der Bezugsziffer 14 gekennzeichnet). Der Steuerhebel ist am Lagerschlitten schwenkbeweglich gelagert. An dem Lagerschlitten wiederum ist der Deckelträger über den Haltebock und das kurze Endstück des Ausgleichshebels gelagert.
128Diese Anordnung ist erfindungsgemäß im Sinne von Merkmal 3.1. Denn der Steuerhebel und der Deckelträger sind auf diese Weise so miteinander verbunden, dass sie vertikal, nicht aber horizontal unabhängig voneinander bewegt werden können. Bei einer Verschiebung des Deckels längs der Führungsschiene werden auch der Steuerhebel und damit das Riegelelement längs der Führungsschiene verschoben (Merkmal 3.2). Dabei greift der Antriebsschlitten mit einem Steg in eine Mitnehmereinrichtung ein und nimmt den Riegelhebel (und den damit gekoppelten Deckelträger) auf diese Weise aus der Schließstellung in eine Öffnungsstellung mit und umgekehrt. Zum Ende einer Verschiebebewegung des Deckels aus einer Öffnungsstellung in Richtung seiner Schließstellung wird das am Riegelhebel befindliche Riegelelement in Eingriff mit einer Rastausnehmung der Führungsschiene gebracht. Auf diese Weise ist die Mechanik in Horizontalrichtung verrastet, sobald der Deckel in der Schließstellung angelangt ist und während er zwischen der Schließ- und Lüftungsstellung verschwenkt wird (Merkmale 3.3 und 4.). Bei einer Verriegelung des Steuerhebels kann auch der Deckel nicht mehr horizontal verschoben werden (Merkmal 3.).
129Die Funktion des Merkmals 3.1 ist verwirklicht.
1304.
131Ausgehend von diesen Überlegungen hat das Landgericht im Angebot und im Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform in der Bundesrepublik Deutschland zutreffend eine unmittelbare wortsinngemäße Verletzung des Klagepatents i.S.v. § 9 Nr. 1 PatG gesehen. Dass die Beklagte im Hinblick auf die vorstehend dargelegte Schutzrechtsverletzung zur Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, zum Rückruf und zur Vernichtung verpflichtet ist, hat das Landgericht im angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt. Ebenso richtig und mit tragfähiger Begründung ist die Kammer von einer Verpflichtung der Beklagten zum Schadenersatz und zur Entschädigung ausgegangen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
1325.
133Nachdem die Klägerin das Klagepatent im Hauptantrag lediglich in einer eingeschränkten Fassung geltend macht, besteht zu einer Aussetzung der Verhandlung im vorliegenden Verletzungsrechtsstreit (§ 148 ZPO) bis zu einer möglichen Entscheidung des Bundesgerichtshofes über eine eventuelle Nichtigkeitsberufung der Beklagten kein Anlass. Soweit darüber hinaus hilfsweise die Aussetzung des Rechtsstreits bis zum erstinstanzlichen Ausgang des Nichtigkeitsverfahrens beantragt ist, muss eine solche schon deshalb ausscheiden, weil das Bundespatentgericht durch Urteil vom 22.09.2021 das Klagepatent in dem mit der vorliegenden Klage geltend gemachten Umfang aufrechterhalten hat.
a)
134Wenn das Klagepatent mit einem Einspruch oder mit einer Patentnichtigkeitsklage angegriffen ist, verurteilt das Verletzungsgericht, wenn es eine Verletzung des in Kraft stehenden Patents bejaht, grundsätzlich nur dann wegen Patentverletzung, wenn es eine Nichtigerklärung nicht für (überwiegend) wahrscheinlich hält; andernfalls hat es die Verhandlung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO auszusetzen, bis jedenfalls erstinstanzlich über die Nichtigkeitsklage entschieden ist (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten).
135Wurde das Klagepatent bereits – wie hier – in einem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren bestätigt, so hat das Verletzungsgericht grundsätzlich die von der zuständigen Fachinstanz (DPMA, EPA, BPatG) nach technisch sachkundiger Prüfung getroffene Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Klagepatents hinzunehmen. In Anbetracht des geltenden Trennungsprinzips und des vorgesehenen Instanzenzuges ist es dem Verletzungsgericht in dieser Situation grundsätzlich verwehrt, sich – faktisch als eine Art „Rechtsmittelinstanz“ – über die sachkundige Beurteilung im Nichtigkeitsverfahren hinwegzusetzen und seine eigene Einschätzung an deren Stelle zu setzen (BGH, Beschluss vom 17.07.2018 – KZR 35/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.11.2020, I-15 U 4/19; OLG München, InstGE 3, 62 – Aussetzung bei Nichtigkeitsurteil II).
136Eine Ausnahme von dem prinzipiellen Vorrang der erstinstanzlichen Nichtigkeitsentscheidung ist nur dann geboten, wenn die diese evident unrichtig ist und das selbst nicht fachkundig besetzte Verletzungsgericht diese Unrichtigkeit verlässlich erkennen kann, weil ihm die auftretenden technischen Fragen in Anbetracht des Sachvortrags der Parteien zugänglich sind und von ihm auf der Grundlage ausreichender Erfahrung in der Beurteilung technischer und patentrechtlicher Sachverhalte abschließend beantwortet werden können (BGH, Beschluss vom 17.07.2018 – KZR 35/17; zum Verfügungsverfahren: OLG Düsseldorf GRUR-RR 2008, 329 – Olanzapin).
b)
137Ausgehend von diesen Grundsätzen vermag der Senat nicht verlässlich zu erkennen, dass das Urteil des Bundespatentgerichts vom 22.09.2021 evident unrichtig ist und keinen Bestand haben wird.
138Das Bundespatentgericht hat der durch die Beklagte mit Schriftsatz vom 10.07.2019 erhobenen Nichtigkeitsklage durch Urteil vom 22.09.2021 nur teilweise stattgegeben und das Klagepatent in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufrechterhalten. Ob die Beklagte gegen dieses Urteil Berufung einlegt, lässt sich derzeit noch nicht absehen. Schon deshalb kommt eine Aussetzung von vornherein nicht in Betracht.
139Dass es noch an einer Begründung des im Nichtigkeitsverfahren ergangenen Urteils fehlt, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Den Parteien eines parallelen Verletzungsverfahrens muss – jenseits dessen, was der reguläre Verfahrensablauf an Möglichkeiten eröffnet – nicht die Gelegenheit eingeräumt werden, zu der noch ausstehenden Begründung der (im Verkündungszeitpunkt lediglich dem Ergebnis nach bekannten) Rechtsbestandsentscheidung Stellung zu nehmen. Ob ein Fall evidenter Unrichtigkeit vorliegt, wird sich zwar ohne Kenntnis der genauen Begründungserwägungen in aller Regel nicht absehen lassen, das generelle Hinausschieben der Entscheidung im Verletzungsverfahren liefe aber auf einen Generalverdacht gegenüber den Rechtsbestandsinstanzen und der Verlässlichkeit ihrer technischen Beurteilung hinaus, der unangebracht ist. Für die Entscheidung über das Aussetzungsbegehren muss vielmehr die Tatsache genügen, dass die zuständige Fachinstanz in bestimmter – positiver oder negativer – Weise über das Klagepatent erkannt hat (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2021, 32045).
1406.
141Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
142Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.
143Für eine Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung, weil die in § 543 ZPO aufgestellten Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind. Es handelt sich um eine reine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, mit der der Bundesgerichtshof auch nicht im Interesse einer Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung befasst werden muss (§ 543 Abs. 2 ZPO).
144Der Streitwert wird auf 500.000 Euro festgesetzt.
145X Y Z
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- ZPO § 543 Zulassungsrevision 2x
- 4b O 128/18 1x (nicht zugeordnet)
- PatG § 140a 1x
- BGB § 259 Umfang der Rechenschaftspflicht 1x
- ZPO § 263 Klageänderung 1x
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- 15 U 4/19 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 533 Klageänderung; Aufrechnungserklärung; Widerklage 1x
- PatG § 14 1x
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- PatG § 2 1x
- PatG § 9 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- BGB § 242 Leistung nach Treu und Glauben 1x
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- ZPO § 108 Art und Höhe der Sicherheit 1x
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