Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 26 U 73/15
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 24. März 2015 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufungsinstanz werden dem Kläger auferlegt.
Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe
2I.
3Der Kläger nimmt die Beklagte wegen vermeintlich fehlerhafter ärztlicher Behandlung in den Jahren 2008/2009 auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch.
4Der am ##.##.1962 geborene Kläger litt seit 2006 unter epigastrischen und retrostenalen Beschwerden. Als Ursache für das Beschwerdebild wurde 2008 eine paraoesophageale Hernie (Zwerchfelldurchbruch) festgestellt, die zu einem sog. Thoraxmagen geführt hatte.
5Der Kläger stellte sich im November 2008 in der Klinik der Beklagten vor, wo ihm durch die behandelnden Ärzte zu einer Hiatoplastik und Fundoplicatio mittels eines laparoskopischen Eingriffs geraten wurde. Nach durch den Zeugen E am 11.11.2008 erfolgter Aufklärung wurde der Kläger am 12.11.2008 operiert. Im Rahmen des Eingriffs wurde vom Operateur sowohl ein Netz zur Verstärkung eingebracht als auch eine Fundusmanschette verwandt. Am 19.11.2008 wurde der Kläger aus der stationären Behandlung entlassen.
6Nach wiederkehrenden Beschwerden wurde im Rahmen eines erneuten stationären Aufenthalts in der Klinik der Beklagten vom 24.03. bis 31.03.2009 das Auftreten einer Rezidivhernie festgestellt. Auf den Rat der behandelnden Ärzte entschloss sich der Kläger bei einem dritten stationären Aufenthalt vom 22.04. bis 30.04.2009 eine Revisionsoperation durchführen zu lassen. Der Revisionseingriff wurde nach am Vortag erfolgter Aufklärung am 23.04.2009 in der Klinik der Beklagten durchgeführt.
7Am 04.08.2010 erfolgte ein weiterer Revisionseingriff im N Krankenhaus in G.
8Der Kläger hat der Beklagten Behandlungs- und Aufklärungsfehler vorgeworfen. Er sei vor dem ersten Eingriff nicht über Alternativen zu einer operativen Versorgung und insbesondere nicht über das Risiko des Auftretens postoperativer Verwachsungen bzw. eines erneuten Zwerchfelldurchbruchs aufgeklärt worden. Bei der Aufklärung habe er die Information erhalten, es werde ein Netz eingebracht werden. Der Eingriff vom 12.11.2008 sei behandlungsfehlerhaft durchgeführt worden. Den postoperativen Beschwerden seien die Ärzte der Beklagten bis zur Entlassung am 19.11.2008 nicht nachgegangen. Im Rahmen der Aufklärung vor dem Revisionseingriff sei ihm nicht mitgeteilt worden, dass aufgrund massiver Verwachsungen als Reaktion auf das eingebrachte Netz ein weiterer Revisionseingriff erforderlich werden könne. Im Rahmen des Revisionseingriffs vom 23.04.2009 habe sich herausgestellt, dass die beim Primäreingriff eingebrachte Manschette bereits gelockert gewesen und es zu massiven Verwachsungen gekommen sei. Der Revisionseingriff sei nicht nach dem medizinischen Standard des Jahres 2009 durchgeführt worden. Dies ergebe sich aus dem später in G beschriebenen grotesken Operationssitus. Auch nach dem zweiten Revisionseingriff vom 04.08.2010 in G habe sich das Beschwerdebild unverändert fortgesetzt. Es sei ihm nicht mehr ohne weiteres möglich, einfache körperliche Bewegungsvorgänge wie Laufen, längeres Gehen, Bücken oder das Heben von Gegenständen durchzuführen. Seit 2010 sei er arbeitsunfähig. Er könne sich nicht mehr konzentrieren und geistig anspruchsvolle Denkaufgaben lösen. Selbst simple tägliche Angelegenheiten seien ihm nicht mehr möglich. Er sei missmutiger geworden und habe seine Lebensfreude nahezu verloren. Dies rechtfertige die Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 50.000,00 €. Darüber hinaus hat der Kläger Verdienstausfall (1.594,60 €), Haushaltsführungsschaden (9.793,28 €) und Fahrkosten (405,00 €) geltend gemacht und Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten sowie Feststellung zukünftiger Ersatzpflicht begehrt.
9Die Beklagte hat behauptet, die Eingriffe vom 12.11.2008 und 23.04.2009 seien nach ordnungsgemäßer Aufklärung entsprechend dem gültigen medizinischen Standard durchgeführt worden. Beim Primäreingriff habe aufgrund der Größe des Bruches eine alleinige Naht der Zwerchfellschenkel aller Voraussicht nach nicht ausgereicht, um ein frühes Rezidiv zu vermeiden. Deshalb sei intraoperativ der Entschluss getroffen worden, ein beschichtetes Netz zur Verstärkung des Nahtlagers einzulegen. Bei der Relaparoskopie am 23.04.2009 habe sich gezeigt, dass bereits massive Verwachsungen im Bereich des Speiseröhrenmagenübergangs aufgetreten seien. Die zuvor bewusst inkomplett durchgeführte Manschettenbildung sei durch eine zirkuläre Manschette ergänzt worden. Weiterreichende operative Maßnahmen seien bewusst nicht durchgeführt worden. Die im späteren Operationsbericht vom 04.08.2010 beschriebenen Verklebungen und Verwachsungen seien schicksalsbedingt.
10Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eins fachchirurgischen Sachverständigengutachtens abgewiesen. Der Kläger sei im gesamten Zeitraum von November 2008 bis Ende April 2009 insgesamt sach- und fachgerecht behandelt worden. Bei dem Kläger habe die Endform einer Zwerchfellhernie in Form eines Thoraxmagens vorgelegen, bei der wegen der vitalen Bedrohung eine Indikation zur operativen Behandlung angenommen werde. Der Eingriff vom 12.08.2008 sei korrekt durchgeführt worden. Die Fundusmanschette sei korrekt angelegt worden. Zudem sei die Verwendung eines Kunststoffnetzes wegen des Thoraxmagens und der ausgesprochen großen Lücke bei der Durchtrittsstelle der Speiseröhre zur Erreichung des Operationsziels nicht zu beanstanden. Es ergäben sich keine Hinweise auf ein fehlerhaftes technisches Vorgehen bei der Befestigung des Netzes. Das Risiko einer Narbenbildung infolge der Netzeinbringung sei als extrem selten anzusehen. Postoperativ habe es bis zur Entlassung des Klägers mangels dokumentierter Schmerz- oder Beschwerdeangaben keine Veranlassung für weitergehende Untersuchungen und Befunderhebungen gegeben. Der wegen der Rezidivhernie erforderliche Revisionseingriff vom 23.04.2009 sei sachgerecht durchgeführt worden. Die im späteren Operationsbericht vom 04.08.2010 beschriebenen Verwachsungen seien bei der vorliegenden Konstellation zwar durchaus plausibel. Es handele sich aber nicht um einen derartigen Operationssitus, der einen zwingenden Rückschluss auf ein fehlerhaftes Vorgehen der Voroperateure zulassen würde. Soweit es zu extremer Narbenbildung und Verwachsungen gekommen sei, handele es sich um nicht vermeidbare Gewebereaktionen auf die Einbringung des Netzes. Der Kläger könne auch keinen Schadensersatz aufgrund eines Aufklärungsversäumnisses verlangen. Eine gleichwertige Alternative zur laparoskopischen Operation habe nicht bestanden. In beiden Aufklärungsbögen sei ausdrücklich auf das Risiko einer Rezidivhernie mit der Erforderlichkeit einer Revisionsoperation hingewiesen worden. Das hieraus folgende Indiz habe der Kläger nicht entkräftet. Jedenfalls habe der Kläger eingeräumt, dass er auch dann, wenn er gewusst hätte, dass auch bei kunstgerechter Durchführung der Operation es zu Verwachsungen und Komplikationen kommen könne, die einen weiteren Eingriff erforderlich machten, die Eingriffe hätte durchführen lassen. Vor diesem Hintergrund greife der Einwand der hypothetischen Einwilligung durch. Dies betreffe auch den Umstand, dass es aufgrund der medizinisch erforderlichen Einbringung des Netzes zu Verwachsungen kommen könne, da der Kläger einschränkungslos mit massiven Verwachsungen und Komplikationen als Folge eines kunstgerechten Eingriffs einverstanden gewesen sei.
11Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der sein erstinstanzliches Begehren unter Berufung auf ein neu eingeholtes Privatgutachten vollumfänglich weiter verfolgt. Die Implantation eines Kunststoffnetzes sei nicht zwingend indiziert gewesen. Die Operation hätte ebenso gut ohne Netzeinbringung erfolgen können, da sich die Zwerchfellschenkel offensichtlich problemlos durch Nähe adaptieren ließen. Das konkrete Netz habe auch deswegen nicht verwendet werden dürfen, da der Hersteller speziell für Hiatushernien ein separates Produkt anbiete. Das bei dem Kläger eingesetzte Produkt sei dagegen zur Verschließung von Bauchwandbrüchen entwickelt worden, die sich um künstliche Darmausgänge herum entwickelten. Das Netz habe bereits häufig zu schweren Komplikationen geführt. Wenn auf die Einbringung verzichtet worden wäre, wären dem Kläger die aufgetretenen Komplikationen erspart geblieben. Die Durchführung des Revisionseingriffs vom 23.04.2009 sei grob fehlerhaft gewesen, da hierbei entgegen der einschlägigen Leitlinie der Hiatus nicht konsequent, ggf. durch einen Umstieg von der Laparoskopie zur offenen Operation, exakt dargestellt worden sei. Bei korrekter Durchführung wäre die zweite Revisionsoperation in G nicht erforderlich gewesen. Das Landgericht habe sich schließlich fehlerhaft nicht mit der Frage befasst, ob auch eine Aufklärung über operative Behandlungsalternativen erfolgt sei. Die Operation ohne Einbringung eines Netzes habe nicht nur eine gleichwertige, sondern sogar die vorzugswürdige Operationsalternative dargestellt. Es sei vor der Operation nicht gesagt worden, dass es auch eine Operationsvariante ohne Netzeinbringung gebe. Dementsprechend sei auch nicht gesagt worden, dass eine Risikoerhöhung im Hinblick auf unerwünschte Operationsfolgen bestehe, wenn ein Netz eingebracht werde. Es müsse darüber aufgeklärt werden, dass die Operationsvariante mit Einbringung des Netzes mit einem deutlich höheren Risiko verbunden sei. Von einer hypothetischen Einwilligung könne nicht ausgegangen werden. Der Kläger hätte sich dem Eingriff nicht unterzogen, wenn ihm die Alternative eröffnet worden wäre, die Operation ohne Netzeinbringung durchzuführen. Die für das Privatgutachten angefallenen Kosten in Höhe von 184,45 € seien als materieller Schaden erstattungsfähig.
12Der Kläger beantragt,
13unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Bielefeld vom 24.03.2015, Az. 4 O 115/11,
141. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen konkrete Bemessung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit;
152. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 11.977,33 € zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit;
163. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche weitere materielle und immaterielle Schäden zu ersetzen, welche diesem aus der fehlerhaften Behandlung im Zeitraum November 2008 bis April 2009 entstanden sind und/oder noch entstehen werden; immateriellen Schäden dabei nur insoweit, als sie derzeit noch nicht konkret vorhersehbar sind; materielle Schäden, soweit die hierauf gerichteten Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
174. die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 3.518,95 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
18Die Beklagte beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Das ohnehin prozessual verspätete Privatgutachten könne die eindeutige Bewertung des Sachverständigen nicht erschüttern. Die Einbringung des Kunststoffnetzes sei aufgrund des Thoraxmagens und der Größe des Bruches indiziert und standardgerecht gewesen. Der Privatgutachter spekuliere nur, dass die Operation ebenso gut ohne Netz hätte durchgeführt werden können. Die trotz aller Sorgfalt nicht zu vermeidende Narbenbildung habe mit der Netzimplantation an sich zu tun und hänge nicht von dem ausgewählten Präparat ab. Die Behauptung, es sei das falsche Netz eingebaut worden, sei hypothetisch. Es gebe keine Empfehlung für Art, Größe und Beschaffenheit der jeweiligen Netzaugmentationen bezüglich der Netzverstärkung von Hernien. Das Netzmaterial der vom Privatgutachter exemplarisch aufgeführten Netze sei identisch. Bezüglich des Revisionseingriffs vom 23.04.2009 habe der Sachverständige keinen Fehler festgestellt. Es sei ex ante keinesfalls angezeigt gewesen, auf eine offene Operation einzuleiten, die ihrerseits mit viel weitreichenderen Risiken verbunden sei. Ohnehin könne eine Narbenbildung, egal mit welcher Technik, nicht vermieden werden. Die neu vorgetragene Aufklärungsrüge entbehre jeglicher Grundlage. Der Kläger hätte aufgrund seiner starken Beschwerden in jedem Falle in die Operation eingewilligt. Abgesehen davon sei das Risiko von Verwachsungen aufgrund einer Netzeinlage ein äußerst seltenes und nach Einschätzung des Sachverständigen nicht einmal gesondert aufklärungspflichtiges Risiko. Dem Kläger sei von Anfang an erklärt worden, dass die Entscheidung zur Implantation eines Netzes intraoperativ erfolgen werde. Die Auswahl der konkreten Operationstechnik obliege letztlich dem Arzt. Von einer echten Behandlungsalternative sei nicht auszugehen.
21Hinsichtlich des Sachverhalts, insbesondere des genauen Wortlautes der erstinstanzlich gestellten Anträge, wird im Übrigen auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Ergänzend wird auf das Vorbringen der Parteien in den zweitinstanzlichen Schriftsätzen nebst Anlagen verwiesen.
22Der Senat hat den Kläger erneut persönlich angehört, den Zeugen E vernommen und den Sachverständigen Prof. Dr. M erneut befragt. Wegen des Ergebnisses wird auf das Protokoll des Senatstermins vom 23.10.2015 und den Berichterstattervermerk vom gleichen Tag verwiesen.
23II.
24Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.
25Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die von dem Kläger geltend gemachten Ansprüche auf Schadensersatz- und Schmerzensgeldzahlung sowie Feststellung zukünftiger Ersatzpflicht stehen ihm nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Es kommen mangels Nachweises eines Behandlungs- oder Aufklärungsfehlers weder vertragliche Ansprüche aus dem Behandlungsvertrag gemäß §§ 611, 278, 280 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB noch deliktische Ansprüche gemäß §§ 823 Abs. 1, 831, 249, 253 Abs. 2 BGB gegenüber der Beklagten in Betracht.
26Der Senat stützt sich dabei aus den nachfolgenden Gründen auf die erstinstanzliche Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. M und dessen Ausführungen bei seiner Anhörung vor dem Senat. Der Sachverständige hat den Sachverhalt vollständig ausgewertet und hat seine Bewertung dem Senat widerspruchsfrei und überzeugend dargelegt.
271.
28Zwischen den Parteien ist im Berufungsverfahren nicht mehr streitig, dass der operative Eingriff vom 12.11.2008 als solcher indiziert gewesen ist. Bei dem Kläger hat die Endform einer Zwerchfellhernie in Form eines Thoraxmagens vorgelegen, bei der wegen der vitalen Bedrohung eine Indikation zur operativen Behandlung angenommen wird. Auch die vorgenommene laparoskopische Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden.
292.
30Ohne Erfolg macht der Kläger im Berufungsverfahren weiterhin Fehler im Rahmen des Ersteingriffs vom 12.11.2008 geltend.
31Dabei greift er die auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M gestützten Feststellungen des Landgerichts bezüglich des Primäreingriffs vom 12.11.2008 im Berufungsverfahren allein insoweit an, als das Landgericht die Verwendung eines Kunststoffnetzes wegen des Thoraxmagens und der ausgesprochen großen Lücke bei der Durchtrittsstelle der Speiseröhre zur Erreichung des Operationsziels nicht beanstandet hat.
32a) Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass bei sehr großen Bruchlücken, bei ausgeprägter Gewebeschwäche und bei fortbestehenden Risikofaktoren (Fettleibigkeit) das Risiko einer erneuten Bruchentstehung sehr hoch ist und daher in diesen Fällen seit 20 bis 30 Jahren oft eine Verstärkung des Zwerchfells mit einem Kunststoffnetz durchgeführt wird. Die Verwendung eines Netzes ist in der Mehrzahl derartiger Operationen nicht erforderlich, weil sich die Brüche nicht als groß darstellen. Liegt aber – wie beim Kläger – eine große Lücke vor, ist die Verwendung eines Netzes, wie der Sachverständige bei seiner Anhörung durch den Senat nochmals bestätigt hat, in der konkreten OP-Situation „gut nachvollziehbar“.
33Die durch das Kunststoffnetz bedingte starke Narbenbildung im Oberbauch ist nach Angabe des Sachverständigen eine sehr seltene Komplikation (vgl. Gutachten S. 23: weltweit bei einer Studie 4 Fälle zusammengetragen), die durch eine starke, nicht vorhersehbare Gewebereaktion des Patienten auf den Fremdkörper und nicht durch fehlerhaftes Vorgehen bei der Operation hervorgerufen worden ist. Hinweise auf ein fehlerhaftes technisches Vorgehen bei der Befestigung des Netzes haben sich nicht ergeben.
34b) Soweit der Kläger gestützt auf das von ihm im Berufungsverfahren neu eingeholte Privatgutachten hierzu vorträgt, die Implantation eines Kunststoffnetzes sei nicht zwingend indiziert gewesen, da sich die Zwerchfellschenkel später bei der zweiten Revisionsoperation offensichtlich problemlos durch Nähe adaptieren ließen, kann sein Einwand nicht verfangen.
35Es gab bei dem Primäreingriff nach Angabe des Sachverständigen nur eine minimale Chance, dass es auch ohne ein Netz hält. Bei dem Kläger lag eine Hiatushernie im absoluten Endstadium vor. Viel schlimmer konnte es aus medizinischer Sicht gar nicht mehr kommen. Dies war bei der Abwägung, ob ein Netz zu verwenden ist, zu berücksichtigen. Anders als eine bloße Naht, bei der es häufig zu einem Rezidiv kommt, weil das danebenliegende Gewebe aufreißt, ermöglicht das Netz einen spannungsfreien Verschluss.
36Die bei der dritten Operation 2010 in G erstellte Hiatusplastik hätte man nach Angabe des Sachverständigen zwar rein technisch gesehen auch bei der Erstoperation machen können. Dies war bei der dritten Operation 2010 aber nur deswegen erfolgreich, weil nach der Erstoperation Narben aufgetreten sind und hierdurch eine höhere Festigkeit der Zwerchfellschenkel vorhanden gewesen ist. Während danach 2010 die Nähte eine begründete Aussicht hatten, zu halten, war dies bei dem Ersteingriff 2009 noch anders. Erst durch das hiernach entstandene Narbengewebe ergaben sich nunmehr feste Ankerpunkte, die zuvor noch nicht da gewesen sind.
37b) Es ist entgegen der Auffassung des Klägers bei dem Eingriff auch kein für die Behandlung von Hiatushernien ungeeignetes Netz verwendet worden.
38Auch wenn der Hersteller speziell für Hiatushernien ein separates Produkt anbietet und das bei dem Kläger eingesetzte Produkt von der Firma eigentlich zur Verschließung von Bauchwandbrüchen entwickelt worden ist, spricht nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen im Streitfall nichts gegen die Verwendung des Netzes.
39Der Sachverständige hat insoweit überzeugend ausgeführt, dass es auf dem Markt sehr viele verschiedene Arten von Netzen mit jeweils unterschiedlicher Größe und unterschiedlichen Varianten gibt. Dies hat er im Senatstermin durch die Vorlage von Zeichnungen veranschaulicht, welche die Vielzahl unterschiedlicher Konzepte und Netzgrößen aufzeigen. Demnach existieren bis heute keinerlei Leitlinien hinsichtlich der Netze. Die optimale Netzkonfiguration ist bis heute nicht bekannt. Man hat noch nicht geklärt, welches Material optimal ist. Es gibt bislang am Markt kein Netz, das in seinen Eigenschaften einen besonderen Vorteil nachgewiesen hat. Das hier bei dem Kläger verwendete Netz ist seinen Angaben nach aber nicht zu beanstanden. Weder die Verwendung des Netzes an sich, noch die Größe oder Form des Netzes, noch das Material des Netzes sind in irgendeiner Weise zu beanstanden.
40Demgegenüber ist das von der Herstellerfirma speziell für Hiatushernien angebotene Netz nach den Ausführungen des Sachverständigen aber in jedem Fall zum Verschluss von Hiatushernien zu klein. Es ist danach keinesfalls fehlerhaft, dass die Ärzte der Beklagten von einer Verwendung Abstand genommen haben.
413.
42Es ist auch nicht fehlerhaft, dass bei dem Revisionseingriff vom 23.04.2009 der Hiatus nicht durch einen Umstieg von der Laparoskopie zur offenen Operation exakt dargestellt worden ist.
43Fest steht insoweit zunächst, dass bei der nachfolgenden zweiten Revisionsoperation 2010 in G ein sehr auffälliger Operationssitus festgestellt worden ist. Der Sachverständige hat insoweit erstinstanzlich ausgeführt, dass die Beschreibungen zu den vorhandenen schweren Verwachsungen durchaus plausibel sind, dass dieser Situs aber keinen zwingenden Rückschluss auf ein fehlerhaftes Vorgehen der Voroperateure zulässt.
44Der Sachverständige hat hierzu nach Auseinandersetzung mit den Ausführungen in dem vom Kläger vorgelegten Privatgutachten ausgeführt, dass es nach den Kranken-unterlagen vor dieser Operation keinen Hinweis darauf gab, dass bei dem Kläger solche extreme Verwachsungen bestanden haben. Vielmehr war mit starken Narbenbildungen nicht zu rechnen.
45Die Laparoskopie war danach nicht fehlerhaft. Es ist in der konkreten Situation den Ärzten der Beklagten auch nicht vorzuwerfen, dass intraoperativ kein Umstieg auf eine Laparotomie erfolgt ist. Zum einen war der tatsächliche Umfang der Verwachsungen nach Angabe des Sachverständigen nicht erkennbar. Zum anderen kann ein implantiertes Netz nur mit einem erheblichen operativen Aufwand wieder entfernt werden, der gegebenenfalls zu einem immens großen und schwerwiegenden Eingriff führt. Eine Laparotomie zur Entfernung des Netzes hätte nach Einschätzung des Sachverständigen auch höchstwahrscheinlich die Möglichkeiten des Krankenhauses überschritten. Es ist daher nicht zu beanstanden, sich zunächst auf das Machbare zu beschränken. Im Falle des Klägers hatte man einen pathologischen Befund gesehen, den man mit einer Befestigung der Manschette korrigieren konnte.
464.
47Ohne Erfolg legt der Kläger der Beklagten im Berufungsverfahren Aufklärungsfehler hinsichtlich der Netzimplantation zur Last.
48a) Zwischen den Parteien ist zunächst im Berufungsverfahren nicht mehr streitig, dass angesichts der potentiell lebensbedrohlichen Situation und der sehr starken Beschwerden keine Alternative zu einem operativen Eingriff bestanden hat.
49b) Ein Aufklärungsdefizit ergibt sich auch nicht hinsichtlich der Verwendung eines Kunststoffnetzes bei dem laparoskopischen Ersteingriff.
50Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass bei dem Kläger bereits präoperativ wegen des Ausmaßes des Befundes mit der Erforderlichkeit der Einbringung eines Netzes als Möglichkeit intraoperativer Entscheidung zu rechnen war. In diesem Fall muss der Patient im Vorfeld des Eingriffs darüber aufgeklärt werden, dass es möglicherweise nach Ausübung des Ermessens des Operateurs zur Einbringung des Netzes kommen kann. Man sagt dem Patienten vorher im Idealfall, dass die Nähte gegebenenfalls nicht reichen und dann die Verwendung eines Kunststoffnetzes sinnvoll sein kann. Die letzte Entscheidung wird aber immer bei der Operation getroffen. Dabei ist es nicht angezeigt, bezüglich des Netzes eine Entweder/Oder-Entscheidung herbeizuführen. Der Patient muss vielmehr darauf hingewiesen werden, dass das Netz eingebracht wird, wenn der Situs dies erfordert. Entscheidend ist, dass der Patient dem Arzt die Entscheidung ermöglicht, mit oder ohne Netz zu arbeiten.
51Der Senat ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme überzeugt, dass eine entsprechende Aufklärung im Streitfall ordnungsgemäß erfolgt ist. Zunächst hat der Sachverständige die vorliegende Aufklärung anhand des Aufklärungsbogens so interpretiert, dass eben diese Freiheitsentscheidung eingeräumt worden ist. Desweiteren hat der Zeuge E glaubhaft bekundet, dass er mit dem Kläger über das Netz als Variante gesprochen hat. Der Zeuge vermochte sich zwar an das konkrete im November 2008 mit dem Kläger geführt Gespräch nicht zu erinnern. Er hat aber in dem Aufklärungsbogen handschriftlich auf einer vorgegebenen Zeichnung ein Netz eingezeichnet. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar und glaubhaft, dass er dessen Einsatz auch mit dem Kläger erörtert hat. Insoweit hat der Zeuge unter Verweis auf seine übliche Aufklärungspraxis ausgeführt, dass er mit dem Kläger erörtert hat, dass je nach Befund, je wie die Organe aussehen, die Implantation eines Netzes erforderlich werden kann. Dabei hat er – auch wenn er nach seiner damaligen Erfahrung keine Alternative zu einer Operation mit Netz gesehen hat – seinen Bekundungen nach dem Kläger nicht gesagt, dass auf jeden Fall ein Netz hereinkomme. Vielmehr komme dies nur ggf. zur Verstärkung der Naht hinzu. Der Senat hat keine Veranlassung, die Bekundungen des Zeugen in Zweifel zu ziehen. Dieser hat nachvollziehbar darauf abgestellt, dass die Entscheidung zur Verwendung eines Netzes immer nur durch den Operateur während des Eingriffs erfolgt. Genau dies hat auch der vom Senat persönlich angehörte Operateur, Dr. S, bestätigt.
52Liegt die Verwendung des Netzes im Ermessen des Operateurs, ist vorab keine Abwägung mit dem Patienten vorzunehmen, welcher Variante der Vorzug zu geben ist. Es reicht aus, diesen darüber zu informieren, dass eine Verwendung je nach Situs in Betracht kommt, und dessen grundsätzliches Einverständnis herbeizuführen.
53Es musste auch keine explizite Aufklärung darüber erfolgen, dass die Verwendung eines Kunststoffnetzes zu Verwachsungen führen kann.
54Der Sachverständige hat dargelegt, dass das Risiko einer starken Narbenbildung (Fibrose) nach Netzimplantation extrem selten ist und weltweit bislang nur in wenigen Einzelfällen aufgetreten ist. Seiner Auffassung nach musste auf das Risiko einer Wiederholungsoperation wegen überschießender Narbenbildung bei Verwendung von Kunststoffnetzen wegen seiner Seltenheit nicht speziell hingewiesen werden. Im Rahmen der Aufklärung ist der Kläger ausweislich des Aufklärungsbogens vom 11.11.2008 darauf hingewiesen worden, dass Verwachsungen im Bauchraum nicht auszuschließen sind sowie dass wegen eines erneuten Narbenbruchs ebenfalls eine neuerliche Operation erforderlich werden kann. Diesen Aufklärungsumfang, der im Berufungsverfahren nicht mehr streitig ist, hat der Sachverständige für ausreichend erachtet. Dem schließt sich der Senat an.
55c) Auch wenn dies mangels Vorliegens eines Aufklärungsdefizits letztlich offen bleiben kann, wäre überdies von einer hypothetischen Einwilligung des Klägers auszugehen. Dieser ist vor dem Eingriff bereits mehrfach umgekippt und konnte praktisch nicht mehr gehen. Dazu war sein Zustand lebensbedrohlich.
56Er hätte den Eingriff auch dann vornehmen lassen, wenn ihm mitgeteilt worden wäre, dass bei Verwendung eines Netzes in extrem seltenen Ausnahmefällen eine starke Vernarbung auftreten kann. Der Kläger ist hierzu vom Landgericht angehört worden und hat gesagt, dass es wegen der Schmerzen so nicht mehr weiterging sowie, dass er den Eingriff auch in Kenntnis des Risikos von Verwachsungen hätte machen lassen. Soweit er danach angeben hat, er hätte ihn nicht durchführen lassen, wenn er damals schon gewusst hätte, was später in G geschehen ist und was er seitdem durchmachen musste, ist dies irrelevant. Zum einen beurteilt der Kläger nunmehr aus ex post Sicht, zum anderen kann er hierdurch nicht plausibel machen, dass er einen lebenserhaltenden Eingriff nicht durchgeführt hätte.
57III.
58Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
59Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.
60Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.
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Referenzen
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- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
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- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x
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