Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (2. Strafsenat) - 2 Ws 3/20
Tenor
1. Auf die sofortigen Beschwerden der Generalstaatsanwaltschaft wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 15, vom 20. Dezember 2019 aufgehoben und die Anträge auf Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers werden zurückgewiesen.
2. Die Angeklagten tragen jeweils die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
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Gegen die Angeklagten wird seit dem 8. Januar 2020 die Hauptverhandlung vor dem Landgericht Hamburg aufgrund der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg vom 7. November 2019 geführt. Nach dieser Anklageschrift liegt den Angeklagten zur Last, durch dieselbe Handlung gemeinschaftlich mit einem anderen verabredet zu haben, Verbrechen in Form gemeinschaftlicher Brandstiftungen und einer gemeinschaftlichen schweren Brandstiftung zu begehen; vorgeworfen wird daneben dem Angeklagten R., entgegen dem Waffengesetz einen Brandsatz besessen und geführt, den Angeklagten D. und St., vorsätzlich zu dieser Tat Hilfe geleistet zu haben. Die Angeklagten sollen, gemeinsam mit einer unbekannt gebliebenen vierten Person, in unverjährter Zeit vor dem Abend des 7. Juli 2019 vereinbart haben, anlässlich des zweiten Jahrestages der Proteste zum G-20-Gipfel in Hamburg in der Nacht zum 8. Juli 2019 an vier verschiedenen Orten im Hamburger Stadtgebiet im bewussten und gewollten Zusammenwirken koordiniert und nach Möglichkeit gleichzeitig Brandanschläge gegen das Wohnhaus der Hamburger Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, gegen Geschäftsräume eines Maklerbüros und einer privaten Wohnungsgesellschaft sowie gegen ein Dienstfahrzeug dieser Wohnungsgesellschaft mit selbst hergestellten Brandsätzen zu begehen.
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Mit Beschluss vom 11. Dezember 2019 hat das Landgericht die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren gegen die Angeklagten eröffnet sowie angeordnet, dass die Hauptverhandlung in der Besetzung der Kammer mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen stattfindet. Zudem hat die stellvertretende Vorsitzende die Hauptverhandlung für 28 Tage, vom 8. Januar 2020 bis zum 9. April 2020, anberaumt sowie ausweislich des dazugehörigen Vermerks mit Blick auf die voraussichtliche Dauer des Verfahrens die Heranziehung eines Ergänzungsschöffen angeordnet.
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Alle Angeklagten waren am 8. Juli 2019 vorläufig festgenommen worden. Die Angeklagten R. und St. befinden sich seit dem 9. Juli 2019 aufgrund der jeweils an diesem Tage ergangenen Haftbefehle des Amtsgerichts Hamburg in Untersuchungshaft. Die Angeklagte D., gegen die ebenfalls am 9. Juli 2019 durch das Amtsgericht Hamburg ein Haftbefehl erlassen worden ist, befindet sich seit dem 9. Juli 2019 aufgrund des Aussetzungsbeschlusses von diesem Tage auf freiem Fuß.
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Das Amtsgericht Hamburg hatte mit den Beschlüssen vom 9. Juli 2019 dem Angeklagten R. die Rechtsanwältin F. und dem Angeklagten St. den Rechtsanwalt O. als Pflichtverteidiger beigeordnet. Am 26. August 2019 hatte es der Angeklagten D. den Rechtsanwalt K. als Pflichtverteidiger bestellt. Im Oktober und im November 2019 haben die Rechtsanwältinnen De., Ed. und Pi. dem Landgericht angezeigt, die Angeklagten R., D. bzw. St. zu vertreten. Darüber hinaus haben alle sechs Verteidiger dem Landgericht mitgeteilt, an welchen Tagen sie für die Hauptverhandlung zur Verfügung stehen.
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Mit den jeweiligen Schriftsätzen vom 29. November 2019 haben die Rechtsanwältinnen De., Ed. und Pi. jeweils beantragt, den Angeklagten R., D. bzw. St. als weitere Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Dem hat das Landgericht durch Vorsitzendenbeschluss vom 20. Dezember 2019 entsprochen.
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Gegen diesen Beschluss hat die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg mit ihrem am 27. Dezember 2019 bei dem Landgericht eingegangenen Schriftsatz jeden Angeklagten betreffend sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt, den angegriffenen Beschluss aufzuheben und die Anträge auf Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers zurückzuweisen.
II.
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Die nach § 144 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO statthaften und auch im Übrigen zulässigen (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) sofortigen Beschwerden der – beschwerdeberechtigten (vgl. BT-Drs. 19/13829, S. 44) – Generalstaatsanwaltschaft gegen die Beiordnungen zusätzlicher Verteidiger haben in der Sache Erfolg. Die angefochtene Entscheidung ist rechtsfehlerhaft ergangen, da die Voraussetzungen für die Bestellung zusätzlicher Pflichtverteidiger nicht vorliegen.
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1. Die gerichtliche Bestellung eines oder zweier zusätzlicher Pflichtverteidiger kommt gemäß § 144 Abs. 1 StPO in Betracht, wenn dies in Fällen der notwendigen Verteidigung, in denen der Angeklagte bereits einen Verteidiger hat, zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfangs oder wegen dessen Schwierigkeit, erforderlich ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, steht es im Ermessen des Gerichts, dem Beschuldigten bis zu zwei Pflichtverteidiger beizuordnen (vgl. BT-Drs. 19/13829, S. 50).
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Die Erforderlichkeit im Sinne des § 144 Abs. 1 StPO für die Bestellung des oder der zusätzlichen Verteidiger kann sich dabei zunächst aus dem sachlichen Umfang des Verfahrens oder aus der Schwierigkeit der Sache, aber auch aus dem zeitlichen Umfang des Verfahrens ergeben (BT-Drs. 19/13829, S. 49 f.). Erforderlich kann die Beiordnung aber auch sein, wenn die Person des (ersten) Verteidigers hierfür Anlass gibt; dies ist etwa der Fall, wenn dessen Teilnahme an der Hauptverhandlung aus gesundheitlichen Gründen nicht gesichert ist (BT-Drs. 19/13829, S. 49).
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Für die Bewertung, ob die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers erforderlich ist, haben sich in der obergerichtlichen Rechtsprechung, nach welcher für den zur Entscheidung berufenen Vorsitzenden in dieser Frage ein Beurteilungsspielraum besteht (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Februar 1997, Az.: 2 Ws 26-27/97, NStZ-RR 1997, 203; OLG Jena, Beschluss vom 7. Oktober 2011, Az.: 1 Ws 433/11, juris; OLG Hamm, NStZ 2011, 235; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. Mai 2009, Az.: 2 Ws 160/09, BeckRS 2009, 45702; KK-Willnow § 141 Rn. 9), folgende Kriterien herausgebildet:
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- Soweit sich die Notwendigkeit der Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens aus dessen sachlichem Umfang oder aus der Schwierigkeit der Sache ergeben kann, kommt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung die Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers nur in Betracht, wenn der Prozessstoff so schwierig oder so umfangreich ist, dass er nach Ausschöpfung aller Hilfsmittel ausschließlich bei arbeitsteiligem Zusammenwirken zweier Verteidiger beherrscht werden kann, ein Verteidiger alleine ihn also nicht beherrschen könnte, wobei auch die Zeit zu berücksichtigen ist, die diesem zur Erarbeitung des Verfahrensstoffs zur Verfügung steht (Senatsbeschlüsse vom 17. Februar 1997, Az.: 2 Ws 26-27/97, NStZ-RR 1997, 203, vom 4. September 2017, Az.: 2 Ws 132/17 und vom 30. August 2017, Az.: 2 Ws 140/17; auch OLG Jena, Beschluss vom 7. Oktober 2011, Az.: 1 Ws 433/11, juris). Dabei muss jEd. Verteidiger voll eingearbeitet sein, um sachgerecht verteidigen zu können und er muss grundsätzlich kontinuierlich an der Hauptverhandlung teilnehmen (Senatsbeschluss vom 17. Februar 1997, Az.: 2 Ws 26-27/97, NStZ-RR 1997, 203; KG, Beschluss vom 6. August 2018, Az.: 4 Ws 104/18, BeckRS 2018, 24184). Deshalb scheidet eine Aufteilung des Prozessstoffes und eine wechselseitige Vertretung beider Pflichtverteidiger aus (Senatsbeschlüsse vom 17. Februar 1997, Az.: 2 Ws 26-27/97, NStZ-RR 1997, 203, vom 4. September 2017, Az.: 2 Ws 132/17 und vom 30. August 2017, Az.: 2 Ws 140/17; OLG Jena, Beschluss vom 7. Oktober 2011, Az.: 1 Ws 433/11, juris; OLG Hamm, NStZ 2011, 235; KG, Beschluss vom 6. August 2018, Az.: 4 Ws 104/18, BeckRS 2018, 24184).
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- Im Hinblick auf den zeitlichen Umfang, mithin die lange Dauer einer Hauptverhandlung, kommt nach der Rechtsprechung die Beiordnung eines weiteren Verteidigers in Betracht, wenn eine Hauptverhandlung außergewöhnlich lange währt (Senatsbeschluss vom 4. September 2017, Az.: 2 Ws 132/17). Durch die Beiordnung eines weiteren Verteidigers soll – auch vor dem Hintergrund der allgemeinen Prozessmaxime der Verfahrensbeschleunigung und gegebenenfalls des Gebots der besonderen Beschleunigung in Haftsachen (Senatsbeschluss vom 17. Februar 1997, Az.: 2 Ws 26-27/97, NStZ-RR 1997, 203) – der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gesichert werden, da erfahrungsgemäß bei höherer Anzahl von Verfahrensbeteiligten und längerer Dauer der Hauptverhandlung die Wahrscheinlichkeit, ein Verteidiger werde planwidrig verhindert sein, steigt (Senatsbeschluss vom 17. Februar 1997, Az.: 2 Ws 26-27/97, NStZ-RR 1997, 203; KG, Beschluss vom 6. August 2018, Az.: 4 Ws 104/18, BeckRS 2018, 24184). Die abstrakt-theoretische Möglichkeit einer späteren Verfahrensgefährdung durch das Ausbleiben eines Verteidigers reicht allerdings nicht aus, um schon von Anfang an einen weiteren Verteidiger zu bestellen; daran ist erst zu denken, wenn konkrete Anhaltspunkte für ein Ausbleiben des Verteidigers hinzutreten, wie sie sich vor allem aus einer besonders langen Dauer der Hauptverhandlung ergeben können (Senatsbeschluss vom 17. Februar 1997, Az.: 2 Ws 26-27/97, NStZ-RR 1997, 203). Eine starre Grenze, für welche Anzahl von Hauptverhandlungstagen die Erforderlichkeit zu bejahen ist, besteht nicht (KG, Beschluss vom 6. August 2018, Az.: 4 Ws 104/18, BeckRS 2018, 24184). Im Rahmen der Prüfung ist zu fragen, ob im Falle einer unvorhergesehenen Verhinderung des bereits bestellten Pflichtverteidigers eine sachgerechte Verteidigung nicht schon durch andere gesetzliche Reaktionsweisen, sondern nur durch Vertretung durch einen bereits in das Verfahren eingearbeiteten und kontinuierlich in der Hauptverhandlung anwesend gewesenen Verteidiger sichergestellt werden könnte (OLG Jena, Beschluss vom 7. Oktober 2011, Az.: 1 Ws 433/11, juris). Die Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers ist insofern nur geboten, wenn und soweit andere gesetzliche Reaktionsmöglichkeiten auf die unvorhergesehene Verhinderung eines Verteidigers nicht ausreichen (Senatsbeschlüsse vom 17. Februar 1997, Az.: 2 Ws 26-27/97, NStZ-RR 1997, 203, vom 4. September 2017, Az.: 2 Ws 132/17 und vom 30. August 2017, Az.: 2 Ws 140/17; KG, Beschluss vom 6. August 2018, Az.: 4 Ws 104/18, BeckRS 2018, 24184; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. Mai 2009, Az.: 2 Ws 160/09, BeckRS 2009, 45702). Als derartige gesetzlich vorgesehene Maßnahmen in Betracht kommen die Unterbrechung der Hauptverhandlung nach § 229 StPO, die Beurlaubung für nicht betreffende Verhandlungsteile nach § 231c StPO, das Tätigwerden eines Vertreters des Verteidigers nach § 53 BRAO und die Bestellung eines anderen Verteidigers erst im Zeitpunkt des tatsächlichen Eintritts der Verhinderung (vgl. Senatsbeschlüsse vom 17. Februar 1997, Az.: 2 Ws 26-27/97, NStZ-RR 1997, 203 und vom 4. September 2017, Az.: 2 Ws 132/17; KG, Beschluss vom 6. August 2018, Az.: 4 Ws 104/18, BeckRS 2018, 24184). Eine Grenze ist jedoch dort zu ziehen, wo das Gebot sachgerechter Verteidigung betroffen ist, weil die Verteidigung – gerade in umfangreichen und schwierigen Sachen – Einarbeitung und kontinuierliche Begleitung der Hauptverhandlung voraussetzt (Senatsbeschluss vom 17. Februar 1997, Az.: 2 Ws 26-27/97, NStZ-RR 1997, 203). Die Bestellung eines Sicherungsverteidigers ist jedoch in Konstellationen ausgeschlossen, in denen die Beiordnung alleine zu dem Zwecke der gegenseitigen Vertretung der beiden Verteidiger bei einer langen Verfahrensdauer erfolgen soll (OLG Jena, Beschluss vom 7. Oktober 2011, Az.: 1 Ws 433/11, juris; OLG Hamm, NStZ 2011, 235; vgl. auch Senatsbeschluss vom 17. Februar 1997, Az.: 2 Ws 26-27/97, NStZ-RR 1997, 203). Ebensowenig kann die Beiordnung eines zweiten Verteidigers durch den Verweis auf anderweitige Mandatsverpflichtungen des bestellten Verteidigers begründet werden, da auch bei mehreren Verteidigern vor dem Hintergrund der Beistandsfunktion der Pflichtverteidigung jEd. einzelne für sich genommen eingearbeitet sein und auch eingearbeitet bleiben muss (Senatsbeschluss vom 30. August 2017, Az.: 2 Ws 140/17; OLG Hamm, NStZ 2011, 235). Die Bestellung eines weiteren Verteidigers ist schließlich auch dann nicht erforderlich, wenn eine Terminierung mit durchgehender Teilnahme des Wahlverteidigers möglich ist (KK-Willnow § 141 Rn. 9 m.w.N., vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 5. Oktober 2015, Az.: 1 Ws 535/15, BeckRS 2016, 3979).
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Diese von der obergerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zur Bestimmung der Erforderlichkeit der Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers haben mit dem Inkrafttreten des § 144 Abs. 1 StPO am 13. Dezember 2019 ihre Bedeutung nicht verloren, sondern füllen nunmehr das Gesetz aus. Der Gesetzgeber beabsichtigte nicht, von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen. Das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. November 2019, mit welchem der § 144 neu in die Strafprozessordnung aufgenommen wurde, nahm die mit ihm in Angriff genommene Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/2019 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (PKH-Richtlinie), welche Regelungen über zusätzliche Pflichtverteidiger nicht enthält, zum Anlass, den zuvor nur punktuell geregelten, in erheblichen Teilen von Richterrecht geprägten Bereich der Pflichtverteidigung umfassend zu normieren (BT-Drs. 19/13829, S. 2), ohne insoweit darüber hinausgehende, inhaltliche Ziele zu verfolgen. Die Vorschrift des § 144 StPO dient nach dem Willen des Gesetzgebers lediglich der Kodifizierung der bereits höchstrichterlich anerkannten Praxis zur Bestellung weiterer Pflichtverteidiger (vgl. BT-Drs. 19/13829, S. 49 und Stellungnahme Nr. 14/18 des Deutschen Richterbundes zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung, S. 4). Dabei lag es dem Gesetzgeber fern, sich inhaltlich von dieser Rechtsprechungspraxis zu lösen. Dementsprechend hat er davon abgesehen, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen und hat deshalb Vorschläge zur Ausweitung des Anwendungsbereichs der zusätzlichen Pflichtverteidigung und zur Vereinfachung der Rechtslage (siehe etwa die Stellungnahme Nr. 58/2018 des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Strafrecht zum Referentenentwurf des BMJV zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/1919, S. 19 zur Koppelung der Beiordnung zusätzlicher Pflichtverteidiger an die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 GVG; vgl. auch Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 2. Dezember 2018, S. 17) unberücksichtigt gelassen. Die Orientierung des Gesetzgebers an der bisherigen Rechtsprechung, folgt auch aus dem Wortlaut des § 144 Abs. 1 StPO, welcher den Kern der bisherigen Rechtsprechung in Gesetzesform gießt (vgl. dazu auch Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 2. Dezember 2018, S. 16 f.).
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2. Nach diesen Maßstäben kommt die Beiordnung zusätzlicher Pflichtverteidiger nach § 144 Abs. 1 StPO nicht in Betracht. Zwar handelt es sich vorliegend um Fälle der notwendigen Verteidigung im Sinne von § 140 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 4 StPO. Auch haben die Angeklagten jeweils bereits einen (Pflicht-)Verteidiger. Jedoch ist es zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens unter keinem Gesichtspunkt erforderlich, den Angeklagten jeweils einen zusätzlichen Pflichtverteidiger beizuordnen. Mit ihrer Beiordnungsentscheidung hat die Vorsitzende Richterin den insoweit bestehenden Beurteilungsspielraum überschritten.
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a) Der Verfahrensstoff ist nicht umfangreich, sondern kann zwanglos von einem einzelnen Pflichtverteidiger beherrscht werden.
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Das Aktenmaterial erstreckt sich, was noch einem mittelgradigem Umfang entspricht, über etwa 3900 Blatt. Davon enthält die Leitakte zirka 900 Blatt. Die Sonderbände 1 bis 14 umfassen etwa 2400 Seiten, wobei deren Umfang nicht Ausdruck einer besonderen Komplexität des angeklagten Geschehens ist, sondern auf das besonders sorgfältige Führen und Dokumentieren der Ermittlungen zurückgeht. Eine gemessen an ihrer Bedeutung für das Verfahren nachrangige Beiakte (Sonderband 15) enthält etwa 600 Blatt.
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Die 57-seitige Anklageschrift, deren Umfang sich vor allem mit der Ausführlichkeit der Darstellung des drei Viertel der Seiten in Anspruch nehmenden wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen erklärt, ist in der Sache geringen Umfangs – den drei Angeklagten wird lediglich die Begehung einer einzigen, überschaubaren prozessualen Tat vorgeworfen. Ein beachtlicher Teil der in der Anklageschrift genannten Beweismittel erschöpft sich in Objekten des Augenscheins, die wiEd.um fast ausschließlich in Lichtbildern bestehen. Hinsichtlich der als Beweismittel angeführten 70 Urkunden kommt im Hinblick auf die Durchführung der Hauptverhandlung eine zeitsparende Einführung durch die Anordnung des Selbstleseverfahrens im Sinne des § 249 Abs. 2 StPO in Betracht. Zudem liegt es nahe, dass nicht alle der von der Staatsanwaltschaft benannten 18 Zeugen, von denen der ganz überwiegende Teil dem Bereich der Polizei zuzuordnen ist, zu vernehmen sein werden.
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Im Hinblick auf die bislang anberaumten 28 Hauptverhandlungstermine ist diese Anzahl zwar als überdurchschnittlich anzusehen, jedoch deutet auch dies nicht auf einen großen Umfang des Verfahrensstoffes hin. Insoweit ist bislang auch nicht erkennbar, dass es der Ausschöpfung sämtlicher terminierter Hauptverhandlungstermine bedarf. Zum Zeitpunkt der Vorlage der Akten bei dem Senat waren durch Ladung von Zeugen erst fünf Hauptverhandlungstermine ausgefüllt.
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Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass den zu Anfang beigeordneten Pflichtverteidigern ausreichend Zeit zur ordnungsgemäßen Vorbereitung der Verteidigung und der Hauptverhandlung zur Verfügung stand. Sie waren den Angeklagten bereits am 9. Juli 2019 (Rechtsanwälte F. und O.) bzw. am 26. August 2019 (Rechtsanwalt K.), mithin sechs bzw. viereinhalb Monate vor dem Beginn der Hauptverhandlung beigeordnet worden und hatten schon im Juli 2019 erstmals Akteneinsicht genommen. Nach Zugang der Anklageschrift am 18. November 2019 (Rechtsanwältin F. und Rechtsanwalt O.) bzw. am 20. November 2019 (Rechtsanwalt K.) standen den Verteidigern zudem noch sieben Wochen Vorbereitungszeit bis zum Beginn der Hauptverhandlung zur Verfügung. Nach ergänzender, umfassender Akteneinsicht durch Rechtsanwalt O. am 22. November 2019, durch Rechtsanwalt K. am 28. November 2019 und durch Rechtsanwältin F. am 6. Dezember 2019 betrug die verbleibende Zeit für die Vorbereitung der Hauptverhandlung noch mehr als einen Monat.
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b) Das Verfahren ist auch nicht von einer solchen Schwierigkeit, dass es nicht auch von einem einzelnen Pflichtverteidiger für jeden Angeklagten gehandhabt werden könnte.
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aa) In tatsächlicher Hinsicht reicht die Schwierigkeit an keiner Stelle über eine mittlere Höhe hinaus. Der angeklagte Sachverhalt ist einfach. Die Beweislage stellt das Gericht nicht vor besondere Herausforderungen: Die Angeklagten waren teilweise observiert, in zeitlicher Nähe zu den geplanten Bezugstaten von Zivilbeamten der Polizei beobachtet und sogleich festgenommen worden. Die für die Begehung der Bezugstaten vorgesehenen Tatwerkzeuge sind dabei sichergestellt worden. Viele der zu erhebenden Beweise sind einfach strukturiert; eine Vielzahl von Umständen können durch die Aussagen von Polizeibeamten in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Schwierigkeiten sind hier nicht zu erwarten, da der angeklagte Sachverhalt ein erst wenige Monate zurückliegendes Geschehen betrifft, das zudem erstmals einer gerichtlichen Beurteilung unterstellt wird.
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bb) In rechtlicher Hinsicht liegen ebenfalls keine besonderen Schwierigkeiten vor. Die einschlägigen Strafvorschriften entstammen – abgesehen von den nach dem Waffengesetz zu beurteilenden Verhaltensweisen, bezüglich derer nennenswerte rechtliche Schwierigkeiten jedoch nicht erkennbar sind – dem durch Rechtsprechung und Literatur aufbereiteten Teil des Kernstrafrechts und sind ohne Bezug in andere Rechtsgebiete.
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c) Die erwartete Dauer der Hauptverhandlung von 28 Hauptverhandlungstagen erfordert die Beiordnung zusätzlicher Pflichtverteidiger derzeit ebenfalls nicht.
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aa) Die auf den noch überschaubaren Zeitraum von etwa drei Monaten vorgenommene Anberaumung von 28 Hauptverhandlungsterminen begründet keine über die abstrakt-theoretische Möglichkeit hinaus reichende Gefahr einer späteren Verfahrensgefährdung durch das Ausbleiben eines der anfänglich beigeordneten Pflichtverteidiger. Konkrete Anhaltspunkte für Umstände, die auf eine spätere Verhinderung einer dieser Personen hindeuten, bestehen derzeit keine.
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bb) Eine Beiordnung weiterer Verteidiger ist vorliegend aber auch deswegen nicht notwendig, da im Falle einer unvorhergesehenen Verhinderung eines der anfänglich bestellten Pflichtverteidiger eine sachgerechte Verteidigung durch andere Maßnahmen gesichert wäre. Als solche Maßnahmen kommen vorliegend etwa die Unterbrechung der Hauptverhandlung, das Tätigwerden eines Vertreters des Verteidigers und die Bestellung eines anderen Verteidigers erst im Zeitpunkt des tatsächlichen Eintritts der Verhinderung in Betracht. Die Wahl einer der beiden zuletzt genannten Varianten liegt im vorliegenden Fall besonders nahe, da allen Angeklagten neben den zu Anfang beigeordneten Pflichtverteidigern auch noch jeweils die Wahlverteidiger zur Seite stehen (zum Entstehen der Stellung eines Wahlverteidigers siehe BVerfG, NJW 1977, 99 und Meyer-Goßner/Schmitt Vor § 137 Rn. 4), die in den Verfahrensstoff eingearbeitet sind und im Falle des Erforderlichwerdens – ohne, dass das Gebot sachgerechter Verteidigung berührt wird – ohne Weiteres als Terminsvertreter oder als zusätzlicher Pflichtverteidiger tätig werden können.
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d) Die Erforderlichkeit zur Beiordnung zusätzlicher Pflichtverteidiger folgt vorliegend auch nicht aus dem Umstand, dass die anfänglich bestellten Pflichtverteidiger in dem für die Terminierung der Hauptverhandlung vorgesehenen Zeitraum von Anfang Januar bis Anfang April 2020 wegen deckungsungleicher Verhinderungen lediglich an 15 gemeinsamen Hauptverhandlungsterminen zur Verfügung stehen konnten.
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aa) Zunächst war die Vorsitzende Richterin – entgegen der in dem angegriffenen Beschluss zum Ausdruck kommenden Auffassung – nicht daran gehindert, unter Hinzuziehung der Wahlverteidiger an den von diesen genannten weiteren 13 Tagen zu terminieren, auch ohne die Wahlverteidiger den Angeklagten als zweite Pflichtverteidiger beizuordnen. Denn nachdem die Wahlverteidiger gegenüber dem Landgericht ihre Bereitschaft zur Wahrnehmung der weiteren Hauptverhandlungstermine erklärt hatten, waren sie zu der Teilnahme an der Hauptverhandlung zumindest zu den von ihnen zugesagten Terminen angehalten. Die Strafprozessordnung geht – jedenfalls in Fällen der notwendigen Verteidigung – von der Verpflichtung von Wahlverteidigern aus, an der Hauptverhandlung teilzunehmen und sieht im Falle eines dahingehenden Pflichtenverstoßes in § 145 Abs. 4 StPO die Auferlegung sämtlicher durch eine Aussetzung entstehenden Kosten vor (Senatsbeschluss vom 30. August 2017, Az.: 2 Ws 140/17, OLG Stuttgart, NStZ 2019, 630; OLG Hamm, Beschluss vom 14. Januar 1988, Az.: 4 Ws 9/88, BeckRS 1988, 00126; Meyer-Goßner/Schmitt Vor § 137 Rn. 6 und § 145 Rn. 21). Raum für eine generelle Beiordnung zusätzlicher Pflichtverteidiger bestand deshalb nicht.
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bb) Darüber hinaus wäre die Beiordnung zusätzlicher Pflichtverteidiger vorliegend selbst dann nicht erforderlich gewesen, wenn die Angeklagten nicht schon zusätzlich Wahlverteidiger gehabt hätten. Zwar hätte dies – jedenfalls sofern von ausgleichenden Maßnahmen wie der tageweisen Beiordnung von Vertretern abgesehen worden wäre – zu einer vor dem Hintergrund des Gebots der besonderen Beschleunigung in Haftsachen problematischen Verhandlungsdichte von nur etwa einem Hauptverhandlungstag pro Woche (15 Termine in drei Monaten) geführt. Dennoch wäre es – um mit der Hauptverhandlung frühzeitiger beginnen oder die Hauptverhandlung mit größerer Termindichte durchführen zu können – auch mit Blick auf den Fortbestand der Untersuchungshaft nicht erforderlich gewesen, den von dem Vollzug der Untersuchungshaft betroffenen Angeklagten R. und St. weitere Pflichtverteidiger zu bestellen. Denn der Grund für die Verzögerungen lag in der Sphäre dieser Angeklagten, deren (Pflicht-)Verteidiger des Vertrauens deckungsungleich verhindert sind; auch die Dauer des Vollzuges der Untersuchungshaft von etwa sechs Monaten hatte ein anderes Vorgehen nicht geboten (vgl. zum Ganzen Senatsbeschluss vom 9. August 2017, Az.: 2 Ws 188-120/17 H, juris; auch OLG Düsseldorf, StV 1992, 586).
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e) Sonstige Gründe, welche die Beiordnung zusätzlicher Verteidiger erfordern können, sind nicht ersichtlich. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte in den Personen der bereits zu Anfang bestellten Pflichtverteidiger, wie etwa eine lang andauernde Krankheit, die die Beiordnung von zusätzlichen Verteidigern notwendig machen würde.
III.
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Die Kosten- und Auslagenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 465 StPO.
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Referenzen
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- StPO § 145 Ausbleiben oder Weigerung des Pflichtverteidigers 1x
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- StPO § 249 Führung des Urkundenbeweises durch Verlesung; Selbstleseverfahren 1x
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- 1 Ws 535/15 1x (nicht zugeordnet)
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- StPO § 306 Einlegung; Abhilfeverfahren 1x