Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 5 U 68/13
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 19. April 2013 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn – 9 O 419/11 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e
2I.
3Der Kläger nimmt die Beklagten, denen er Behandlungsfehler vorwirft, aus ererbtem Recht seiner Ehefrau (im Folgenden auch: Patientin) auf Schmerzensgeld und aus eigenem Recht auf Ersatz von Beerdigungskosten und Haushaltsführungsschaden sowie Feststellung der Ersatzpflicht in Anspruch.
4Bei der am 5.xx.1921 geborenen Patientin war seit dem Jahr 2002 ein Vorhofflimmern bekannt. Im Jahr 2004 wurde sie insbesondere unter den Diagnosen Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen, Vorhofflimmern und arterielle Hypertonie dreimal stationär in der Klinik für Innere Medizin des Krankenhauses der Beklagten zu 1) behandelt, deren Chefarzt der Beklagte zu 2) ist. Wegen Harnblasenentleerungsstörungen erhielt die Patientin im Sommer 2004 einen Dauerkatheter. Ab dem zweiten stationären Aufenthalt vom 30.7.2008 bis 16.8.2008 nahm sie zur Embolieprophylaxe ASS 100 ein. Im November 2004 erlitt sie einen embolischen Infarkt im Bereich der Sehrinde des Gehirns, der in der Magnetresonanztomografie vom 22.11.2004 nachgewiesen wurde. Ab diesem Zeitpunkt stellte der in der Ambulanz der Beklagten zu 1) tätige Arzt Dr. E die gerinnungshemmende Therapie auf Marcumar um.
5Am 4.1.2005 betrug der Quick-Wert 30 % und der INR-Wert 2,61. Da der Dauerkatheter auf urologische Empfehlung durch einen suprapubischen Katheter ersetzt werden sollte, führten die Patientin, der Kläger und der Beklagte zu 4) am 10.1.2005 ein Gespräch in der Ambulanz der Beklagten zu 1), dessen Inhalt zwischen den Parteien streitig ist. In der Karteikarte heißt es: „für 1.2.05 suprapub. Katheter geplant. Noch 1 Woche Marcumar, dann absetzen, 1 Woche später Quick-Kontrolle. Möchte langfristig auch kein Marcumar mehr nehmen. Nach urolog. Eingriff wieder ASS 100.“ Nach dem Gespräch stellte die Patientin die Einnahme von Marcumar ein. Am 17.1.2005 suchte sie das Krankenhaus der Beklagten zu 1) auf. Der Quick-Wert lag bei 66 % bei einem INR-Wert von 1,36. Der Beklagte zu 4) empfahl daraufhin die stationäre Aufnahme zur Durchführung des urologischen Eingriffs.
6Im Aufnahmebogen vom 20.1.2005 sind unter Anamnese als Hauptbeschwerden „AZ-Verschlechterung, Müdigkeit, Gehen schwer möglich, Schwindel und Dyspnoe seit einigen Tagen“ genannt. Die Laboruntersuchung vom gleichen Tag ergab einen Quick-Wert von 72 % und einen INR-Wert von 1,27. Ausweislich der Patientenkurve wurde die Gabe von Heparin (Clexane 0,4 ml s.c.) für den Abend des 20.1.2005 und ab dem 21.1.2005 jeweils morgens verordnet. Eine am 21.1.2005 durchgeführte Echokardiografie zeigte insbesondere deutlich dilatierte Vorhöfe beiderseits und eine schwere pulmonale Hypertonie. Am 21.1.2005 lehnte die Patientin nach einem Aufklärungsgespräch, welches sie mit einem Arzt für Urologie führte, die Anlage eines suprapubischen Katheters ab.
7Am späten Nachmittag des 21.1.2005 verschlechterte sich der Zustand der Patientin in Gegenwart des Klägers. Sie erbrach und kotete ein. Zwischen 17.30 Uhr und 17.45 Uhr verlor sie das Bewusstsein. Der Krankenpfleger Q maß einen Blutdruck von 90/60 mmHG und einen Puls von 72/min. Der Beklagte zu 3), der als zuständiger Stationsarzt seinen Dienst beendet hatte, sich aber noch im Arztzimmer aufhielt, ordnete telefonisch die Gabe einer Spritze Morphin an, die der Krankenpfleger Q verabreichte. Ob die Patientin gegen 18.00 Uhr durch den Beklagten zu 5), der Nachdienst hatte und für die Betreuung mehrerer Stationen zuständig war, untersucht wurde, ist zwischen den Parteien streitig. In der Patientenkurve befindet sich der vom Beklagten zu 5) unterschriebene Vermerk: „18.00 moribund, Gespräch mit Ehemann.“ Jedenfalls um 21.00 Uhr suchte der Beklagte zu 5) die Patientin auf. Am 22.1.2005 gegen 0.10 Uhr wurde der Tod der Patientin festgestellt. Im Verlaufsbogen hat der Beklagte zu 5) eingetragen: „zun. AZ↓, moribund, Aufklärung Ehemann, keine intensivmed. Maßnahmen, um 0.10 Uhr am 22.1. in Beisein Ehemann + Kinder verstorben.“ Eine Obduktion wurde nicht durchgeführt.
8Mit anwaltlichem Schreiben vom 11.4.2005 erstattete der Kläger Strafanzeige. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wurde das internistisch-kardiologische Gutachten von Prof. Dr. O (Anlage B 1) eingeholt. Die Beklagten reichten das anästhesiologisch-intensivmedizinische Gutachten von Prof. Dr. O2 ein (Anlage B 2). Mit Bescheid vom 19.9.2008 stellte die Staatsanwaltschaft Bonn das Ermittlungsverfahren ein. Die Beschwerde des Klägers und sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung blieben ohne Erfolg.
9Der Kläger hat den Beklagten vorgeworfen, dass es sei fehlerhaft gewesen sei, vor dem geplanten urologischen Eingriff ein ersatzloses Absetzen von Marcumar ohne die gleichzeitige Gabe von Heparin vorzunehmen. Der Beklagte zu 4) habe am 10.1.2005 ein sofortiges Absetzen angeordnet. Den Wunsch, langfristig kein Marcumar mehr einzunehmen, habe die Patientin nicht geäußert. Eine Aufklärung über die erhöhte Emboliegefahr habe der Beklagte zu 4) nicht vorgenommen. Spätestens ab dem 17.1.2005 habe der Beklagte zu 4) bei einem INR-Wert von 1,36 eine überlappende Dosis Heparin zur Schlaganfallprävention anordnen müssen. Während des stationären Aufenthalts sei Heparin nicht in der bei einem Risikopatienten erforderlichen therapeutischen, sondern lediglich in prophylaktischer Dosierung verordnet worden. Die für den Morgen des 21.1.2005 angeordnete Heparinspritze habe die Patientin zudem nicht erhalten.
10Nachdem die Patientin zwischen 17.30 Uhr und 17.45 Uhr bewusstlos geworden sei, seien ärztliche Hilfe sowie eine gezielte Untersuchung und Befunderhebung ausgeblieben. Der Beklagte zu 5) habe die Patientin weder gegen 18.00 Uhr aufgesucht noch ein Gespräch mit dem Kläger geführt. Er sei erst gegen 21.00 Uhr im Krankenzimmer erschienen. Die Anordnung und Verabreichung einer Morphinspritze ohne vorherige ärztliche Untersuchung sei fehlerhaft gewesen. Die Patientin sei an einem Schlaganfall verstorben, der durch eine ausreichende Heparinisierung verhindert worden wäre. Eine Embolie der Arteria basilaris passe genau zu den aufgetretenen Symptomen. Angemessen sei ein Schmerzensgeld von mindestens 10.000 €. Die Beerdigungskosten beliefen sich auf 8.428,08 €. Vom 1.2.2005 bis 30.11.2011 sei ihm, dem Kläger, ein Haushaltsführungsschaden von 103.644,40 € entstanden.
11Der Kläger hat beantragt,
121. die Beklagten gesamtschuldnerisch dazu zu verurteilen, an die Erbengemeinschaft nach der am 21.1.2005 verstorbenen Q2 bestehend aus dem Kläger, Herrn Dr. Dr. Q3, Q5str. x, C2 und Herrn Dr. Q4, Ustr. xxA, I, ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.2.2008,
132. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihm die Beerdigungskosten in Höhe von 8.428,06 € zu ersetzen zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.2.2008,
143. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihm einen Betrag in Höhe von 103.664,40 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.2.2008 zu zahlen,
154. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm alle materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus der fehlerhaften Behandlung im Krankenhaus der Beklagten zu 1 im Januar 2005 künftig noch entstehen werden.
16Die Beklagte haben beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Sie sind dem Vorwurf eines Behandlungsfehlers entgegen getreten. Das Beratungsgespräch vom 10.1.2005 habe den dokumentierten Inhalt gehabt. An diesem Tag und mehrfach zuvor sei die Patientin über die Risiken einer Marcumartherapie und ihres Unterlassens, insbesondere die erhöhte Emboliegefahr, aufgeklärt worden. Der Beklagte zu 5) habe die Patientin zeitnah gegen 18.00 Uhr aufgesucht und gründlich untersucht, ohne Hinweise auf eine kardiale Embolie mit Hirnbeteiligung zu finden. Er habe eine sichtbar erschwerte Atmung und teils längere Atempausen festgestellt. Es habe sich abgezeichnet, dass die Patientin nicht überleben würde. Er habe ein ausführliches Gespräch mit dem Kläger geführt und ihn über die Möglichkeit einer intensivmedizischen Behandlung aufgeklärt. Der Kläger habe unter Hinweis auf den entgegen stehenden Willen seiner Ehefrau hierauf verzichtet. Die Todesursache habe in einer Rechtsherzinsuffizienz gelegen.
19Das Landgericht hat das internistisch-kardiologische Gutachten von Prof. Dr. C eingeholt (Bl. 152 ff. d.A.) und den Sachverständigen angehört (Bl. 199 ff. d.A.). Ferner hat es den Kläger sowie die Beklagten zu 4) und 5) persönlich zu den Vorgängen am 10.1.2005 und 21.1.2005 angehört (Bl. 201 ff. d.A.).
20Daraufhin hat es die Klage abgewiesen. Ein für den Tod der Patientin ursächlicher Behandlungsfehler sei nicht erwiesen. Zwar sei die ab dem 17.1.2005 durchgeführte Schlaganfallprophylaxe nicht regelgerecht gewesen. Angesichts des bei der Patientin hohen Risikos für arterielle Thromboembolien und eines Quick-Werts von 66 % habe jedenfalls ab diesem Zeitpunkt begleitend Heparin verordnet werden müssen. Ob die Todesursache in einem Schlaganfall oder in einer dekompensierten Herzinsuffizienz gelegen habe, sei aber nach Auffassung aller Sachverständigen mangels Obduktion nicht eindeutig zu klären. Die Einholung eines zusätzlichen neurologischen Gutachtens sei nicht veranlasst gewesen. Ein zur Beweislastumkehr führender grober Behandlungsfehler liege, auch im Rahmen einer Gesamtbetrachtung, nicht vor. Maßgeblich hierfür sei der Wunsch der Patientin, Marcumar endgültig abzusetzen. Für eine Unrichtigkeit der Eintragung in der Karteikarte vom 10.1.2005 gebe es keinerlei Anhaltspunkte. Dass der Beklagte zu 5) am 21.1.2005 eine medizinisch notwendig Diagnostik oder eine Aufklärung des Klägers über die Möglichkeit einer intensivmedizinischen Behandlung unterlassen habe, sei nicht bewiesen. Das Vorbringen des Klägers sei nicht wahrscheinlicher als das der Beklagten. Für eine nachträgliche Ergänzung der Dokumentation sei nichts ersichtlich. Der Sohn und die Schwiegertochter des Klägers seien lediglich für Indiztatsachen als Zeugen benannt worden, die nicht erheblich seien. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Verabreichung des Morphins und dem Tod der Patientin sei auszuschließen.
21Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge weiter verfolgt. Den Beklagten seien mehrere Behandlungsfehler unterlaufen, die teils für sich genommen, jedenfalls aber in der Gesamtschau als grob zu qualifizieren seien.
22Die Begründung, mit der das Landgericht in Bezug auf das Unterlassen einer überlappenden Behandlung mit Heparin einen groben Behandlungsfehler verneint habe, sei falsch. Die – bestrittene – Angabe in der Behandlungsdokumentation, die Patientin habe zukünftig auf Marcumar verzichten wollen, stelle eine Behandlungsverweigerung dar. Über die aus einer Behandlungsverweigerung folgenden Konsequenzen müsse der Arzt aufklären, was der Beklagte zu 4) weder dokumentiert noch getan habe. Infolge der insoweit bestehenden Dokumentationspflicht liege die Beweislast bei den Beklagten. Nur im Fall einer Aufklärung über die Dringlichkeit der Behandlung könne eine Behandlungsverweigerung indessen als Begründung dafür herangezogen werden, dass ein einfacher und kein grober Behandlungsfehler vorliege. Über die Konsequenz einer Nichteinnahme von Marcurmar sei die Patientin auch nicht bereits zuvor informiert gewesen.
23Nicht nur das Unterlassen einer überlappenden Behandlung mit Heparin ab der Feststellung eines Quick-Werts von 66 % am 17.1.2005, sondern bereits die Anordnung, Marcumar ersatzlos und vollständig abzusetzen – sei es ab dem 10.1.2005 oder, wie die Beklagten behaupteten, ab dem 17.1.2005 – und erst eine Woche später den Quick-Wert zu kontrollieren, stelle einen groben Behandlungsfehler dar. Gemäß den Leitlinien seien Patienten mit hohem Risiko in der Zeit ohne Marcumar mit Heparin zu behandeln. Ein weiterer Behandlungsfehler habe darin gelegen, nach der stationären Aufnahme am 20.1.2005 eine Heparinisierung nur in prophylaktischer Dosierung zu verabreichen.
24Es sei nicht ersichtlich, dass am 21.1.2005 nach Eintritt der Bewusstlosigkeit geeignete diagnostische Maßnahmen zur Abklärung des Zustands und der möglichen Ursachen ergriffen worden seien. Insbesondere habe keine neurologische Untersuchung zur Verifizierung eines Schlaganfalls stattgefunden. Es seien keine diagnostischen Maßnahmen und, vom Vermerk „moribund“ abgesehen, keine Befunde in den Behandlungsunterlagen verzeichnet, obwohl eine Dokumentationspflicht anzunehmen sei. Vor diesem Hintergrund könne keineswegs davon ausgegangen werden, dass eine Halbseitensymptomatik oder sonstige für einen Schlaganfall typische Befunde nicht vorgelegen hätten.
25Entgegen den Eintragungen in der Behandlungsdokumentation habe um 18.00 Uhr weder eine ärztliche Untersuchung durch den Beklagten zu 5) stattgefunden noch sei mit dem Kläger vereinbart worden, auf intensivmedizinische Maßnahmen zu verzichten. Die Patientin habe daher umgehend intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Der Kläger habe bereits in seinem Schreiben vom 8.3.2005 beanstandet, dass das in der Rechnung vom 3.3.2005 unter dem 21.1.2005, 18.00 Uhr, abgerechnete Gespräch nie stattgefunden habe, worauf die Rechnung unter dem 15.3.2005 kommentarlos korrigiert worden sei. Das Landgericht habe zudem seinen Sohn Dr. Dr. Q3 und seine Schwiegertochter Q6 als Zeugen vernehmen müssen. Wäre ein Gespräch ab 18.00 Uhr 30 Minuten lang geführt worden, hätten sein Sohn und seine Schwiegertochter, die zwischen 18.15 Uhr und 18.30 Uhr eingetroffen seien, dem Beklagten zu 5) begegnen müssen, was jedoch nicht der Fall gewesen sei. Ohnehin seien die Aufklärung des Klägers und dessen Entscheidung unzureichend dokumentiert.
26Auch die telefonische Anordnung der Gabe von Morphin subkutan durch den Beklagten zu 3) ohne vorherige ärztliche Untersuchung sei grob fehlerhaft gewesen. Wenn Prof. Dr. C dazu erkläre, dass die Morphingabe als Mitursache für den Tod ausscheide, so könne dem nicht gefolgt werden.
27Es sei nicht äußerst unwahrscheinlich, dass die Behandlungsfehler zumindest mitursächlich für den Tod der Patientin geworden seien. Wie sich insbesondere aus dem mit der Berufungsbegründung vorgelegten Gutachten von Prof. Dr. M vom 18.8.2009 (Bl. 365 ff. d.A.) ergebe, sei der Tod mit überwiegender Wahrscheinlichkeit infolge einer Basilaristhrombose eingetreten, die durch das Unterlassen einer überlappenden Heparinisierung in therapeutischer Dosierung nach Absetzung von Marcumar verursacht oder zumindest entscheidend begünstigt worden sei. Sowohl Prof. Dr. C als auch Prof. Dr. O und Prof. Dr. O2 hätten nicht ausschließen können, dass ein cerebrales thromboembolisches Geschehen für den Tod ursächlich geworden sei. Gegen eine Dekompensation der Herzinsuffizienz spreche, dass nach dem plötzlichen Eintritt der Bewusstlosigkeit noch ein Blutdruck von 90/60 mmHG und eine rhythmische Herzfrequenz von 72/min festgestellt worden seien. Da nur ein neurologischer Sachverständiger die Frage abschließend beantworten könne, ob die Patientin einen Schlaganfall erlitten habe und an dessen Folgen verstorben sei, habe das Landgericht dem Antrag des Klägers auf Einholung eines entsprechenden Gutachtens nachkommen müssen. Nicht jede cerebrale Embolie gehe mit Lähmungserscheinungen einher, insbesondere sei dies bei einer Basilarisembolie nicht regelhaft der Fall. Außerdem hätten nach dem Akutereignis überhaupt keine diagnostischen Maßnahmen stattgefunden, die geeignet gewesen wären, für einen Schlaganfall typische Befunde auszuschließen oder typische Befunde einer akut dekompensierten Herzinsuffizienz zu erheben.
28Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil. Sie wiederholen und vertiefen ihren Vortrag aus erster Instanz.
29Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Der Senat hat die Ermittlungsakten 111 Js 194/05 Ä StA Bonn zu Informationszwecken beigezogen.
30II.
31Die Berufung ist unbegründet.
32Der Kläger kann von den Beklagten gemäß §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 831 Abs. 1, 31, 253 Abs. 2, 1922 Abs. 1 BGB weder Schmerzensgeld noch materiellen Schadensersatz verlangen.
33Nach dem Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme steht nicht fest, dass der Tod der Patientin durch einen Behandlungsfehler der Beklagten verursacht worden ist. Weiterer Aufklärungsbedarf besteht im Berufungsverfahren entgegen der Auffassung des Klägers nicht.
341. Im Zusammenhang mit der Absetzung von Marcumar vor der geplanten Anlage eines suprapubischen Blasenkathers und der Einleitung einer begleitenden Therapie mit Heparin fallen den Beklagten Behandlungsfehler zur Last, deren Ursächlichkeit für den Tod der Patientin sich jedoch nicht feststellen lässt.
35a) Behandlungsfehler
36aa) Weder Prof. Dr. C noch Prof. Dr. O oder Prof. Dr. M haben es allerdings schon als fehlerhaft angesehen, dass der Beklagte zu 4) am 10.1.2005 – sei es sogleich (Vortrag des Klägers) oder für den nach einer Woche beginnenden Zeitraum (Vortrag der Beklagten) – ein ersatzloses Absetzen von Marcurmar bei geplanter Quick-Wert-Kontrolle nach einer weiteren Woche angeordnet hat. Prof. Dr. O2 hat sich insoweit dem Gutachten von Prof. Dr. O angeschlossen.
37Die Sachverständigen haben dargelegt, dass es vor Operationen, da die gerinnungshemmende Wirkung von Marcumar sehr lange anhalte, notwendig sei, die Therapie auf kurzwirksamere und somit besser steuerbare Medikamente zur Schlaganfallprävention umzustellen (vgl. S. 18 f. der Anlage B 1). Gemäß den in Deutschland maßgeblichen Leitlinien zur Prävention arterieller Thromboembolien seien Patienten mit hohem Risiko für arterielle Thromboembolien in der Zeit ohne Marcumar mit niedermolekularem oder unfraktioniertem Heparin zu behandeln (vgl. Bl. 168 d.A.). Bei der Patientin habe es sich – wegen ihrer Herzinsuffizienz, des Hypertonus, ihres Alters und des vorausgegangenen Schlaganfalls (vgl. Bl. 374R d.A.) – um eine solche mit hohem Risiko gehandelt.
38Hiervon ausgehend hat Prof. Dr. C eine begleitende Heparin-Therapie – erst – für die Zeit ab dem 17.1.2005, als bei der Laborkontrolle ein Quick-Wert von 66 % und ein INR-Wert von 1,36 festgestellt worden sind, als ein „Muss“ angesehen, während er für die Zeit zuvor auf die Möglichkeit einer individuellen Abwägung verwiesen hat (Bl. 199R f. d.A). Auch Prof. Dr. O hat den 17.1.2005 als den Zeitpunkt bezeichnet, ab dem angesichts der Feststellung einer ineffektiven therapeutschen Versorgung spätestens ein kurzfristig wirkendes Medikament flankierend hätte eingesetzt werden müssen (S. 19 f. der Anlage B 1), für den Zeitraum bis zu der nach einer Woche geplanten Kontrolle lässt sich demzufolge nach seiner Begutachtung ein fehlerhaftes Vorgehen noch nicht annehmen. Aus den auf die begleitende Heparin-Therapie bezogenen Ausführungen von Prof. Dr. M lässt sich nichts anderes entnehmen (Bl. 374 d.A.).
39Die Beurteilung, dass der Verzicht auf eine begleitende Heparin-Therapie für den Zeitraum bis zu der nach einer Woche geplanten Laborkontrolle noch nicht fehlerhaft war, überzeugt. Immerhin musste vor dem geplanten urologischen Eingriff eine Verringung der Gerinnungshemmung erreicht werden. Zudem hat der Kläger in seiner Stellungnahme zum schriftlichen Gutachten von Prof. Dr. C selbst auf die amerikanischen Leitlinien verwiesen, nach denen eine Unterbrechung der Marcumartherapie zur Durchführung eines Eingriffs für einen Zeitraum von einer Woche auch ohne Ersatztherapie mit Heparin zulässig sei (Bl. 188 d.A.).
40bb) Der danach für den Zeitraum vom 17.1.2005 bis zur stationären Aufnahme am 20.1.2005 anzunehmende Behandlungsfehler, der in dem Unterlassen einer begleitenden Heparintherapie in therapeutischer Dosis lag, war entgegen der in der Berufungsbegründung vertretenden Auffassung nicht grob.
41Ein grober Behandlungsfehler setzt neben einem eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse voraus, dass der Arzt einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.
42Der Sachverständige Prof Dr. C hat das Verhalten der Beklagten unter Hinweis auf die unter dem 10.1.2005 erfolgte Dokumentation des Beklagten zu 4), dass die Patientin langfristig kein Marcumar mehr und nach dem urologischen Eingriff wieder ASS 100 einnehmen wolle, als nachvollziehbar und nicht unverständlich angesehen (Bl. 168, 201R d.A). Eine entsprechende Argumentation findet sich im Gutachten von Prof. Dr. O (S. 20 der Anlage B1).
43Die Auffassung von Prof. Dr. C überzeugt. Wollte die Patientin bewusst von der in den Leitlinien zum Ausdruck kommenden Risikoabwägung zwischen einem Schlaganfall, dessen Risiko durch die Marcumareinnahme gesenkt wird, und einer Hirnblutung, dessen Risiko durch die Marcurmareinnahme steigt, abweichen und war sie bereit, zur Verringerung der Gefahr einer Hirnblutung ein höheres Schlaganfallrisiko in Kauf zu nehmen, war es folgerichtig und nachvollziehbar, diesem Gesichtspunkt bereits im Zusammenhang mit der Verabreichung von Heparin vor dem geplanten urologischen Eingriff Rechnung zu tragen und dieses in geringerem Umfang als üblich zu verwenden. Dass die Patientin um die Zusammenhänge zwischen Marcumareinnahme sowie Schlaganfall- und Hirnblutungsrisiko wusste, ergibt sich beispielsweise eindeutig aus der Aussage des Klägers bei seiner Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren, dass ihnen die Bedeutung der Marcumarbehandlung sehr genau bewusst gewesen sei (vgl. Bl. 153 der Akte StA Bonn 111 Js 194/05 LG Bonn). Dies steht mit dem Vermerk des Beklagten zu 4) vom 22.11.2004 in der Ambulanzakte (bei den Behandlungsunterlagen, Kopie Anlage K 9) in Einklang „Besprechung: Marcumartherapie zum Schutz vor Rezidivembolien/wie bereits mehrfach empfohlen.“ Aus letzterem folgt, dass der Patientin die medizinische Zusammenhänge und die Bedeutung der Marcumartherapie mehrfach erläutert worden sind.
44Aus den vorstehenden Erwägungen kommt es auf den Einwand des Klägers in der Berufungsbegründung, dass eine – in der Ablehnung einer weiteren Marcumartherapie liegende – Behandlungsverweigerung nur dann rechtlich beachtlich sei und den Arzt entlaste, wenn der Arzt den Patienten über die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Behandlung, insbesondere die bei ihrer Unterlassung drohenden Folgen, aufgeklärt habe, nicht an. Auch ist es nicht entscheidungserheblich, dass den Arzt in Fällen der Behandlungsverweigerung grundsätzlich eine Dokumentationspflicht trifft und der Beklagte zu 4) unter dem 10.1.2005 eine Aufklärung der Patientin über die Risiken des Absetzens von Marcumar nicht gesondert vermerkt hat. Denn mangels Aufklärungsbedürftigkeit der Patientin, der die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Marcumartherapie bekannt waren, war eine Aufklärung jedenfalls nicht geboten.
45Der für einen groben Behandlungsfehler beweispflichtige Kläger vermag nicht zu widerlegen, dass die Patientin während des Gesprächs vom 10.1.2005 die vom Beklagten zu 4) dokumentierte Erklärung abgegeben und den Wunsch geäußert hat, langfristig kein Marcumar mehr einzunehmen. Für eine Manipulation der Ambulanzakte, etwa eine nachträgliche Ergänzung des vollständig beschriebenen Blatts, gibt es keine Anhaltspunkte. Auch gibt es keinen Grund, den persönlichen Angaben des Klägers stärkeren Glauben zu schenken als denen des Beklagten zu 4). Es ist keineswegs ausgeschlossen oder fernliegend, dass die Patientin trotz des im November 2004 erlittenen Schlaganfalls für sich eine Entscheidung getroffen hatte, die sich nicht an der medizinisch richtigen Abwägung zwischen Schlaganfall- und Hirnblutungsrisiko orientierte. Auch der Umstand, dass nach der stationären Aufnahme eine Behandlung mit Heparin erfolgen sollte und erfolgt ist, spricht – anders als der Kläger im Schriftsatz vom 24.2.2014 geltend macht – nicht maßgeblich gegen den vom Beklagten zu 4) dokumentierten Wunsch der Patientin. Denn auch wenn die Patientin langfristig kein Marcumar mehr, sondern nur noch ASS einnehmen wollte, entsprach eine gewisse Schlaganfallprophylaxe ihrem Willen.
46cc) Auch wenn sich aus den Gutachten von Prof. Dr. C und Prof. Dr. O weiter ergibt, dass die für den insgesamt geplanten stationären Aufenthalt verordnete Dosierung von Heparin, das heißt von Clexane 0,4 s.c., nicht den für Patienten mit Vorhofflimmern und hohem Risiko für Schlaganfälle geltenden Erfordernissen entsprochen hätte, lässt sich daraus nicht ableiten, dass die bis zum Ablauf des 21.1.2005 tatsächlich gegebene Dosis unzureichend und fehlerhaft bemessen war.
47Bei Patienten mit hohem Risiko für thrombo-embolische Komplikationen ist nach den Darlegungen der Sachverständigen eine sogenannte therapeutische Dosierung notwendig, während eine bloß prophylaktische Dosierung nicht ausreichend ist (Bl. 168 f. d.A. und S. 20 der Anlage B 1). Bezogen auf das Körpergewicht der Patientin setzte die therapeutische Dosierung die Gabe von Clexane 0,4 s.c. zweimal je Tag voraus (Bl. 168 f. d.A.). Ausweislich der Patientenkurve wurde die Gabe von Heparin, Clexane 0,4 ml s.c., für den Abend des 20.1.2005 und ab dem 21.1.2005 jeweils morgens verordnet. Dies wäre ab dem 22.1.2005 nicht mehr ausreichend gewesen.
48Prof. Dr. C hat aber zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass der Patientin nach den Eintragungen in der Patientenkurve vom Abend des 20.1.2005 an gerechnet für den Zeitraum der folgenden 24 Stunden die erforderliche Dosis von zweimal Clexane 0,4 s.c. injeziert wurde (Bl. 169 d.A). Dass die für den Morgen des 21.1.2005 verordnete Spritze der Patientin tatsächlich nicht verabreicht wurde, kann der Kläger nicht zu beweisen. Der Umstand, dass die Gabe der Spritze in der Rechnung vom 3.3.2005 (Bl. 362 ff. d.A.) nicht gesondert abgerechnet ist, ist kein durchgreifendes Indiz. Denn in der Patientenkurve ist die Verabreichung der Spritze mittels Unterschrift abgezeichnet.
49b) Kausalität
50Es lässt sich nicht feststellen, dass der danach im Zeitraum bis zum 21.1.2005, 17.45 Uhr, allein vorliegende nicht grobe Behandlungsfehler, der in dem Unterlassen einer begleitenden Heparintherapie in therapeutischer Dosis vom 17.1.2005 bis 20.1.2005 lag, den Tod der Patientin verursacht hat. Dies gilt auch für eine bloße Mitverursachung.
51Alle mit dem vorliegenden Fall befassten Sachverständigen gehen übereinstimmend davon aus, dass sich nicht eindeutig klären lässt, ob der Tod der Patientin durch einen – durch die unzureichende Prophylaxe beeinflussten – Schlaganfall oder durch eine hiervon unabhängige Dekompensation der Herzinsuffizienz der Patientin verursacht worden ist. Ob die Dekompensation der bestehenden Herzinsuffizienz, wie Prof. Dr. C (Bl. 171, 200 f. d.A.), Prof. Dr. O (S. 14 ff. und 24 der Anlage B 1) und Prof. Dr. O2 (S. 24 f. und 27 der Anlage B 2) annehmen, oder – entsprechend der Auffassung von Prof. Dr. M – ein Schlaganfall (in Gestalt einer Embolie der Arteria basilaris) wahrscheinlicher ist, ist rechtlich bedeutungslos. Das nach § 286 ZPO erforderliche Beweismaß ist nach keiner der sachverständigen Beurteilungen erreicht.
52Der beantragten Einholung eines neurologischen Gutachtens bedurfte und bedarf es nicht. Dass die Einschätzung von Prof. Dr. C, auch ein neurologischer Sachverständige könne die Todesursache mangels Obduktion nicht eindeutig klären (Bl. 200 d.A.), zutrifft, wird durch das mit der Berufungsbegründung vorgelegte neurologische Gutachten von Prof. Dr. M bestätigt.
53Es leuchtet auch ein, dass, wenn nach den Vorerkrankungen sowohl eine Dekompensation der Herzinsuffizienz als auch ein Schlaganfall als Todesursache in Betracht kommen, allein die feststehenden und behaupteten klinischen Befunde im Streitfall keine sichere sachverständige Festlegung und Klärung ermöglichen. Wie sich insbesondere aus dem Gutachten von Prof. Dr. M ergibt, kann die vom Kläger in diesem Zusammenhang hervorgehobene, plötzlich eintretende Bewusstlosigkeit nicht nur auf einer Basilarisembolie, sondern auch auf einer akut verschlechterten Herzinsuffizienz beruhen (Bl. 378R d.A.). Dass eine akute Dekompensation einer Herzinsuffizienz mit dem vom Krankenpfleger Q nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit bestimmten Blutdruck und Puls einhergehen kann, hat Prof. Dr. C in der Anhörung vor dem Landgericht erläutert (Bl. 202 d.A.). Auch wenn sich aus den Ausführungen des Neurologen Prof. Dr. M ergibt, dass ein thrombo-embolisches Ereignis in der Arteria basilaris nicht regelhaft (Bl. 377, 378R) mit einer – hier nicht festgestellten oder behaupteten – Halbseitenlähmung einhergeht und ein Schlaganfall daher nach dem klinischen Bild möglich sein mag, bleiben schon aus Sicht eines medizinischen Laien mehrere Symptome, die auf eine kardiale Ursache hinweisen. Zu nennen ist in erster Linie die im Aufnahmebefund beschriebene Dyspnoe, die sich am Abend des 21.1.2005 nach den – nicht zu widerlegenden (s. unten) – Angaben des Beklagten zu 5) zu einer sichtbar erschwerten und extrem veränderten Atmung entwickelte (Bl. 201 d.A.). Ferner sind die bei der Aufnahmeuntersuchung am 20.1.2005 an den Unterschenkeln, Knöcheln und Füßen festgestellten Ödeme und der Befund der Echokardiografie vom 21.1.2005 mit einem pulmonalem Hochdruck anzuführen (vgl. die Ausführungen von Prof. Dr. C Bl. 171 d.A.).
54Es kommt offenkundig hinzu, dass eine begleitende Therapie mit Heparin einen etwa eingetretenen Schlaganfall keineswegs mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte. Eine standardgerechte Antikoagulation bei Vorhoflimmern verringert das Risiko eines Schlaganfalls. Dem Senat, der ständig mit Arzthaftungssachen befasst ist, ist aber aus seiner Tätigkeit bekannt, dass gerade bei Risikopatienten auch unter leitliniengerechter gerinnungshemmender Therapie eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Schlaganfalls besteht.
55Eine Beweislastumkehr unter dem Gesichtspunkt eines groben Behandlungsfehlers kommt nicht in Betracht. Wie noch darzulegen sein wird, ergibt sich ein solcher auch nicht aus einer Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung des Verhaltens der Beklagten ab dem 21.1.2005, 17.45 Uhr.
562. Für die Zeit ab Eintritt der Bewusstlosigkeit der Patientin am 21.1.2005 gegen 17.45 Uhr lassen sich, von der nicht für deren Tod ursächlichen Anordnung einer Morphinspritze ohne ärztliche Untersuchung abgesehen, keine Behandlungsfehler annehmen.
57a) Es lässt sich nicht feststellen, dass der Beklagte zu 5) am 21.1.2005 nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Patientin eine klinische Untersuchung der Patientin nicht vorgenommen hat oder die durchgeführte klinische Untersuchung unzureichend war.
58Der für einen Behandlungsfehler beweispflichtige Kläger kann den auf diesen Vorwurf bezogenen Vortrag der Beklagten nicht widerlegen. Die Beklagten behaupten, dass der Beklagte zu 5) die Patientin zeitnah gegen 18.00 Uhr aufgesucht und gründlich untersucht habe, ohne Hinweise auf eine kardiale Embolie mit Hirnbeteiligung zu finden. Er habe dabei eine sichtbar erschwerte Atmung und teils längere Atempausen festgestellt. Es habe sich abgezeichnet, dass die Patientin nicht überleben würde. Er habe ein ausführliches Gespräch mit dem Kläger geführt und ihn über die Möglichkeit einer intensivmedizischen Behandlung aufgeklärt. Der Kläger habe unter Hinweis auf den entgegen stehenden Willen seiner Ehefrau hierauf verzichtet.
59Die entsprechenden Angaben des Beklagten zu 5) und des Klägers stehen sich unvereinbar gegenüber. Es gibt keine Indizien, die die Bekundung des Klägers, der Beklagte zu 5) habe die Patientin erstmals gegen 21.00 Uhr aufgesucht, entscheidend stützen. Der Geschehensablauf ist nicht nur vom Kläger, sondern auch vom Beklagten zu 5) im Ermittlungsverfahren von Anfang an gleich geschildert worden. Für die Richtigkeit der Angaben des Beklagten zu 5) streiten die Eintragungen in der Patientenkurve „18.00 moribund, Gespräch mit Ehemann“ und unter Verlauf „zun. AZ↓, moribund, Aufklärung Ehemann, keine intensivmed. Maßnahmen, um 0.10 Uhr am 22.1. in Beisein Ehemann + Kinder verstorben.“ Sie geben die spätere ausführlichere Darstellung des Beklagten zu 5) knapp, aber im wesentlichen Kern wieder. Für eine Manipulation der Behandlungsunterlagen ist nichts erkennbar, auch wenn eine spätere Nachtragung nach der äußeren Form des Verlaufsbogens und der Patientenkurve durchaus möglich gewesen wäre. Hätte der Beklagte zu 5) sein Verhalten nachträglich rechtfertigen, entschuldigen oder verschleiern wollen, wäre es vielmehr nahe liegend gewesen, sich nicht auf eine äußerst kurze und damit inhaltlich angreifbare Dokumentation zu beschränken.
60Die Beklagten weisen zudem nachvollziehbar darauf hin, dass es wenig plausibel ist, dass der Kläger, sein Sohn und seine Schwiegertochter nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Patientin drei Stunden tatenlos zugewartet haben sollen, bis erstmals ein Arzt die Patientin aufsuchte. Dies gilt ungeachtet der besonderen Lage, in der sich die Angehörigen befanden.
61Dass der Beklagte zu 2) die ursprünglich in der Rechnung vom 3.3.2005 angesetzte Position „Gespräch mit Ehemann, 18.00 Uhr“ auf das Schreiben des Klägers vom 8.3.2005 hin unter dem 15.3.2005 kommentarlos storniert hat, lässt sich, sofern die das Handeln eines Arztes im Nachtdienst betreffende Position überhaupt privat liquidiert werden durfte, schon dadurch erklären, dass der Beklagte zu 2) nach dem Tod der Patientin einen Streit um geringfügige Gebührenfragen vermeiden wollte.
62Daraus, dass der Beklagte zu 5) gegen 18.00 Uhr unstreitig keine Rücksprache mit dem Beklagten zu 2) als zuständigem Chefarzt oder einem Oberarzt genommen hat, kann entgegen der vom Kläger im Schriftsatz vom 24.2.2014 vertretenen Auffassung ebenfalls nicht abgeleitet werden, dass der Beklagte zu 5) die Patientin zu diesem Zeitpunkt nicht aufgesucht und untersucht sowie kein Gespräch mit dem Kläger geführt hat. Denn auch nach dem Vortrag des Klägers – der sich auf die Uhrzeit 21.00 Uhr bezieht – sah sich der Beklagte zu 5) als kompetent und berechtigt an, die Entscheidung zum Verzicht auf intensivmedizinische Maßnahmen ohne Rücksprache mit einem weiteren Arzt zu treffen.
63Dem Kläger stehen im vorliegenden Zusammenhang keine geeigneten Beweismittel zur Verfügung. Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass sich aus dem durch das Zeugnis seines Sohnes Dr. Dr. Q3 und seiner Schwiegertochter Q6 unter Beweis gestellten Sachvortrag nicht darauf schließen lässt, dass die von den Beklagten behauptete Untersuchung der Patientin und ein Gespräch mit dem Kläger nicht erfolgt sind. Der Umstand, dass der Sohn und die Schwiegertochter den Beklagten zu 5) bei ihrem Erscheinen im Zimmer der Patienten nicht angetroffen haben, ließe sich schon dann erklären, wenn der Beklagte zu 5) dort um 18.00 ankam und etwa 30 Minuten blieb, während der Sohn und die Schwiegertochter zwischen 18.15 und 18.30 Uhr eintrafen. Der End- und der Anfangszeitraum der jeweiligen Anwesenheit müssen sich in diesem Fall nicht überschnitten haben. Dies gilt umso mehr, als es sich ausschließlich um ungefähre, später abgeschätzte zeitliche Angaben handelt, und frühere oder spätere Zeitpunkte oder eine kürzere Gesprächsdauer möglich sind. Sollte der Krankenpfleger Q – wie der Kläger weiter geltend macht – die Morphinspritze in Anwesenheit des Sohnes und der Schwiegertochter des Klägers verabreicht haben, könnten dessen gesamte zeitlichen Angaben nicht stimmen. Denn nach seiner Einlassung im Ermittlungsverfahren will er nach Eintritt der Bewusslosigkeit sofort Verbindung zum Beklagten zu 3) aufgenommen und auf dessen Anordnung umgehend der Patientin eine Spritze Morphin injiziert haben. Stimmen die gesamten zeitlichen Angaben des Krankenpflegers Q nicht, bleibt ohne weiteres Raum für die behauptete Untersuchung durch den Beklagten zu 5) ab etwa 18.00 Uhr und ein Gespräch mit dem Kläger.
64Dem Kläger kommen schließlich keine Beweiserleichterungen unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der Dokumentationspflicht zu Gute. Zwar hat der Beklagte zu 5) keine einzelnen klinischen Untersuchungsbefunde in den Behandlungsunterlagen verzeichnet, insbesondere nicht das von ihm in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht beschriebene Beschwerdebild der Patientin. In den Behandlungsunterlagen befindet sich vielmehr nur der zusammenfassende und – wie der spätere Verlauf zeigt – zutreffende Vermerk „moribund“.
65Von einer Dokumentationspflicht ist jedoch keiner der mit dem Fall befassten medizinischen Sachverständigen ausgegangen. Vor dem Hintergrund des Zwecks der Dokumentationspflicht ist dies überzeugend. Die Dokumentation dient ausschließlich medizinischen Zwecken, nicht jedoch der Beurteilung der Richtigkeit des ärztlichen Verhaltens oder der Ursache eines Schadens in einem nachgelagerten rechtlichen Verfahren. Sie soll vor allem einen mit- oder nachbehandelnden Arzt informieren oder dasjenige festhalten, was für den jetzt behandelnden Arzt zu einem späteren Zeitpunkt von Bedeutung sein kann. Danach war eine weitergehende Dokumentation im Streitfall nicht erforderlich. War die Patientin moribund, befand sie sich im unmittelbaren Sterbeprozess und entsprach das Unterlassen einer intensivmedizinischen Behandlung nach dem Ergebnis der Befragung der anwesenden Angehörigen ihrem geäußerten oder mutmaßlichen Willen, kam es auf diagnostische Einzelheiten für die von nun an ausschließlich palliative Therapie nicht an.
66Dass keine weitergehende klinische Diagnostik als die von den Beklagten in der Klageerwiderung dargelegte und keine sonstige Diagnostik geboten war, wenn sich die Patienten im unmittelbaren Sterbeprozess befand und das Absehen von einer intensivmedizinischen Behandlung nach der Befragung der Angehörigen ihrem Willen entsprach, ergibt sich überzeugend aus den Ausführungen von Prof. Dr. C und Prof. Dr. M. Prof. Dr. C hat darauf hingewiesen, dass bei fehlenden therapeutischen Konsequenzen keine weitergehenden diagnostischen Maßnahmen sinnvoll und notwendig gewesen seien und für die Patientin nur eine zusätzliche unnötige Stresssituation dargestellt hätten (Bl. 169 d.A.). Dies deckt sich mit der Auffassung von Prof. Dr. M, dass eine genaue Abklärung durch klinische Untersuchungen, welche internistischen oder neurologischen Ursachen für die akute Zustandsverschlechterung maßgeblich gewesen seien, dann in vertretbarer Weise habe unterbleiben dürfen, wenn es sich um einen Patienten gehandelt habe, bei dem die primäre Prognose schlecht gewesen sei, und wenn mit dem Patienten oder den Angehörigen geklärt worden sei, dass auf intensivmedizinische Maßnahmen verzichtet werden solle (Bl. 376 d.A.).
67b) Es kann nicht angenommen werden, dass das Unterlassen intensivmedizinischer Maßnahmen fehlerhaft gewesen ist.
68Da der Kläger den Sachvortrag der Beklagten zu dem Ablauf des Geschehens am 21.1.2005 ab 17.45 Uhr nicht zu widerlegen vermag, ist zu deren Gunsten davon auszugehen, dass die Beschränkung auf ein palliatives Vorgehen in einem moribunden Zustand dem durch Befragung des Klägers ermittelten Willen der Patientin entsprach.
69c) Der als Behandlungsfehler zu wertende Umstand, dass der Beklagte zu 3) ohne vorherige ärztliche Untersuchung am 21.1.2005 die Gabe von Morphin i.v. angeordnet hat, ist für den Tod der Patientin nicht ursächlich geworden.
70Dass in einer Situation, wie sie gegen 17.45 Uhr eingetreten war, die ärztliche Untersuchung im Vordergrund zu stehen hatte und jede andere Vorgehensweise, insbesondere eine Therapie ohne verlässliche Grundlage, falsch war, ergibt sich aus den klaren Ausführungen von Prof. Dr. C in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht (Bl. 201, 201R d.A.). Ob es sich um einen einfachen oder um einen zur Beweislastumkehr in Bezug auf die Kausalität führenden groben Behandlungsfehelr gehandelt hat, kann dahinstehen. Denn Prof. Dr. C hat eine Mitursächlichkeit der einmaligen Injektion von Morphin für den Tod der Patientin ausgeschlossen (Bl. 201R d.A.). Hiergegen setzt der Kläger in der Berufungsbegründung allein seine gegenteilige Auffassung, was keinen Anlass zur weiteren Sachaufklärung gibt.
713. Schließlich kann nicht angenommen werden, dass sich das Unterlassen einer begleitenden Heparintherapie ab dem 17.1.2005 im Rahmen einer Gesamtbetrachtung als grob fehlerhaft darstellt, weil zusätzlich am 21.1.2005 nach Eintritt der Bewusstlosigkeit einmalig eine Spritze Morphin fehlerhaft ohne ärztliche Anordnung injiziert worden ist.
72Dies gilt schon deshalb, weil die Behandlungsfehler in keinerlei innerem Zusammenhang stehen und der zweite Behandlungsfehler die Schwierigkeiten des Klägers, den Kausalzusammenhang zwischen unterlassener Heparingabe und dem Tod der Patienten zu beweisen, nicht weiter erhöht hat.
734. Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Klägers vom 24.2.2014 gibt zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung keinen Anlass.
74Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die entscheidungserheblichen Fragen sind ausschließlich solche des Einzelfalls.
75Berufungsstreitwert: 197.944,46 € (wie in 1. Instanz)
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- BGB § 831 Haftung für den Verrichtungsgehilfen 1x
- 9 O 419/11 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- BGB § 31 Haftung des Vereins für Organe 1x
- BGB § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x