Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 WF 42/12

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Schwetzingen vom 15.02.2012 (30 F 9/12) aufgehoben.

Der Antrag der Staatsanwaltschaft Mannheim vom 15.02.2012 auf Anordnung der Ergänzungspflegschaft mit dem Wirkungskreis „Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 52 StPO im Verfahren der Staatsanwaltschaft Mannheim …/12“ für J., geb. ...2005, wird zurückgewiesen.

2. Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Beschwerdeführerin ist die Mutter des am ...2005 geborenen minderjährigen J. Z. Sie ist Inhaberin der alleinigen elterlichen Sorge. Leiblicher Vater des Kindes ist deren früherer Freund, D. B., mit dem die Kindesmutter drei weitere jüngere Kinder hat. Seine Vaterschaft hat D. B. bislang nicht förmlich anerkannt.
Die Staatsanwaltschaft Mannheim führt nach einer Strafanzeige der Mutter unter dem Aktenzeichen …/12 ein Ermittlungsverfahren gegen D. B. (im Folgenden: Beschuldigter) wegen gefährlicher Körperverletzung, Vergewaltigung, Entziehung Minderjähriger und Bedrohung. Dem Beschuldigten wird insoweit unter anderem vorgeworfen, er habe am 05.11.2011 drei der gemeinsamen Kinder unter gegen sie gerichteten Todesdrohungen gegen den Willen der Mutter mitgenommen und sie erst gegen 23.30 Uhr desselben Tages wieder zurückgebracht. Weiter wird ihm vorgeworfen, er habe die Kindesmutter am 02.01.2012 im Beisein der Kinder gewürgt, so dass diese Todesangst gehabt habe, nicht mehr habe atmen können und für eine nicht näher bestimmte Zeitspanne das Bewusstsein verloren habe; von der Mutter habe der Beschuldigte erst abgelassen, nachdem J. ihn angefleht habe, seine Mutter am Leben zu lassen. Darüber hinaus wird dem Beschuldigten neben weiteren Straftaten vorgeworfen, er habe dem Vater der Kindesmutter am 16.01.2012 aus Verärgerung mit einem Elektroschocker mehrere Stromschläge versetzt.
Am 19.01.2012 hat das Amtsgericht Mannheim unter dem Aktenzeichen …/12 Haftbefehl gegen den Beschuldigten erlassen.
Die Staatsanwaltschaft beabsichtigt, J. Z. in dem Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten als Zeugen zu den Themenbereichen „Bedrohung/Körperverletzung von März/April 2011“, „Entziehung der Kinder vom 05.11.2012“, „gefährliche Körperverletzung vom 02.01.2012“ und „Besitzverhältnisse am Elektroschocker“ richterlich vernehmen zu lassen. Die Mutter hat einer Vernehmung ihres Sohnes J. zugestimmt.
Am 14.02.2012 hat die zuständige Ermittlungsrichterin J. richterlich vernommen, um dessen Verstandesreife und Aussagebereitschaft zu überprüfen. J. hat dabei der Richterin nach (kindgerechter) Erklärung, dass er keine Angaben zu machen brauche und dass man seinen „Papa“ möglicherweise aufgrund seiner Aussage bestrafen werde, mitgeteilt, dass er etwas erzählen wolle. Ausweislich des Vermerks der Staatsanwaltschaft vom 15.02.2012 bestand aufgrund des per Video übertragenen Vorgesprächs mit J. bei den Verfahrensbeteiligten übereinstimmend der Eindruck, dass mit Blick auf die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes nicht mit Sicherheit von der notwendigen Verstandesreife von J. ausgegangen werden könne.
Mit Antrag vom 15.02.2012 hat die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht beantragt, für J. Z. eine Ergänzungspflegschaft mit dem Wirkungskreis „Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 52 StPO“ anzuordnen und das Jugendamt Rhein-Neckar-Kreis, Herrn A., als Ergänzungspfleger zu bestellen.
Der Rechtspfleger des Amtsgerichts hat diesem Antrag mit Beschluss vom 15.02.2012 entsprochen und gemäß §§ 1909, 1911 BGB eine Ergänzungspflegschaft mit dem Wirkungskreis „Vertretung des Pflegebefohlenen im Verfahren …/12 der Staatsanwaltschaft Mannheim, insbesondere für die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts“ angeordnet; das Jugendamt des Rhein-Neckar-Kreises wurde als Pfleger bestellt. Der Ergänzungspfleger, Herr A., hat in der Folge angekündigt, das Zeugnisverweigerungsrecht auszuüben.
Gegen den Beschluss des Rechtspflegers vom 15.02.2012 hat die Mutter mit Anwaltsschriftsatz vom 01.03.2012, beim Amtsgericht eingegangen am 05.03.2012, Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt die Mutter aus, die Voraussetzungen für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft lägen nicht vor. Insbesondere sei sie nicht gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO von der Vertretung ihres Sohnes und der Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts ausgeschlossen, weil sie nicht Beschuldigte des Ermittlungsverfahrens sei. Die Zustimmung des Beschuldigten sei für eine Vernehmung von J. nicht erforderlich, weil der Beschuldigte mangels Anerkennung seiner Vaterschaft nicht einmal rechtlicher Vater des Kindes sei, schon gar nicht aber Inhaber des Sorge- und Vertretungsrechts. Eine analoge Anwendung des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO sei schon mangels Regelungslücke und mangels vergleichbarer Interessenlage ausgeschlossen. Das Familiengericht habe auch nicht geprüft, ob J. aussagebereit sei. Schließlich habe J., wie in der von ihr mit Schriftsatz vom 20.03.2012 vorgelegten fachärztlichen Stellungnahme eines Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie -psychotherapie bestätigt werde, die nötige Verstandesreife, um über seine Aussagebereitschaft selbst zu entscheiden.
Die Mutter beantragt,
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den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Schwetzingen vom 15.02.2012 über die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft für das Kind J. Z. aufzuheben,
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hilfsweise,
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den Beschluss des Amtsgerichts dahingehend abzuändern, dass ein anderer Mitarbeiter des Jugendamtes als Ergänzungspfleger bestellt wird.
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Der Beschwerde der Mutter hat das Amtsgericht nicht abgeholfen (Entscheidung des Rechtspflegers vom 06.03.2012). Zur Begründung hat der Rechtspfleger ausgeführt, es bestehe ein Interessenkonflikt der Mutter als Geschädigter einerseits und als Inhaberin der elterlichen Sorge andererseits.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Vernehmungsprotokoll und die Beschlüsse des Amtsgerichts, die bei den Akten befindlichen Auszüge aus den polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten sowie auf die Schriftsätze des Verfahrensbevollmächtigten der Mutter einschließlich der vorgelegten Anlagen Bezug genommen.
II.
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1. Die Beschwerde der Mutter ist gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft liegen nicht vor.
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Für Personen, die unter elterlicher Sorge oder unter Vormundschaft stehen, ist gemäß § 1909 Abs. 1 BGB ein Ergänzungspfleger zu bestellen, soweit die Eltern oder der Vormund an der rechtlichen Vertretung verhindert sind. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Mutter ist als alleinige Inhaberin des Sorgerechts (§ 1626a Abs. 2 BGB) an der ihr nach § 1629 Abs. 1 Satz 3 BGB alleine zustehenden Vertretung ihres Kindes J. im Bereich der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts im Ermittlungsverfahren gegen den leiblichen Vater des Kindes nicht gehindert.
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a) Gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO steht einem minderjährigen Zeugen in Ermittlungsverfahren gegen Verwandte gerader Linie ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Hat der Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife von der Bedeutung seines Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung, so darf er nur vernommen werden, wenn er zur Aussage bereit ist und auch sein gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StPO).
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Hinsichtlich des Vorliegens oder Fehlens der erforderlichen Verstandesreife des minderjährigen Zeugen ist das Oberlandesgericht an die Einschätzung der vernehmenden Stelle gebunden (vgl. OLG Nürnberg, FamRZ 2010, 1996, m.w.N.). Von der erforderlichen Verstandesreife kann hiernach bei J. nicht ausgegangen werden, nachdem die Staatsanwaltschaft und die Ermittlungsrichterin letzte Zweifel an der nötigen Verstandesreife des Kindes nicht ausgeräumt sahen; auf die Einschätzung der Mutter des Kindes und des von ihr zu Rate gezogenen Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie -psychotherapie kommt es insoweit nicht an.
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b) Für eine Vernehmung von J., der ausweislich des richterlichen Vernehmungsprotokolls vom 14.02.2012 aussagebereit ist, bedarf es daher der Zustimmung seiner Mutter als gesetzlicher Vertreterin.
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aa) Die Mutter ist vorliegend nicht nach § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO an der Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts gehindert. Über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts kann der gesetzliche Vertreter eines minderjährigen Zeugen gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO nur dann nicht entscheiden, wenn er selbst - oder im Falle der gemeinsamen Vertretung durch beide Eltern der andere Elternteil - Beschuldigter des Ermittlungs- oder Strafverfahrens ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Mutter ist gemäß § 1626a Abs. 2 BGB Inhaberin der alleinigen elterlichen Sorge für J. und damit gemäß § 1629 Abs. 1 Satz 1 und 3 BGB seine alleinige gesetzliche Vertreterin. Da sie nicht Beschuldigte des Ermittlungsverfahrens ist, ist sie an der Vertretung von J. bei der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 52 Abs. 1 StPO nicht nach § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO gehindert.
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bb) Die Regelung in § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch nicht analog auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Umstritten ist bereits, ob die Vorschrift des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO auf den Fall entsprechend angewendet werden kann, dass der gesetzliche Vertreter mit dem Beschuldigten verheiratet ist (vgl. OLG Nürnberg, a.a.O., 1996 f., m.w.N.). Die überwiegende Auffassung geht dabei unter Hinweis auf den Gesetzeswortlaut und das Fehlen einer Regelungslücke davon aus, dass eine entsprechende Anwendung des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO auf die vorstehend genannte Fallgestaltung ausscheidet (LG Berlin, FamRZ 2004, 905, m.w.N.; OLG Nürnberg, a.a.O.; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 52 Rn. 20).
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Erst Recht scheidet jedoch eine analoge Anwendung des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO auf Fälle der vorliegenden Art aus, in denen der gesetzliche Vertreter nicht Beschuldigter in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist, sondern Geschädigter der fraglichen Straftat. Eine Ausweitung des Regelungsbereichs des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO im Wege richterlicher Rechtsfortbildung verbietet sich mit Blick auf die Grundrechtsrelevanz des damit verbundenen Eingriffs in das elterliche Vertretungs- und Sorgerecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) schon deshalb, weil § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO hierfür keine Grundlage bietet. Der klare und unzweideutige Wortlaut des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO erlaubt eine erweiternde oder analoge Auslegung, für die ein entsprechender Wille des Gesetzgebers auch nicht erkennbar ist, nicht. § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO enthält gerade keine zu verallgemeinernde Regelung in dem Sinne, dass die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts durch den gesetzlichen Vertreter ausscheidet, wenn bei diesem ein Interessenkonflikt besteht oder zu befürchten ist. Die Vorschrift regelt ausschließlich den speziellen Fall, dass der gesetzliche Vertreter oder (mindestens) einer der beiden gemeinsam zur gesetzlichen Vertretung berechtigten und verpflichteten Elternteile des Zeugen Beschuldigter eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens ist und damit nicht nur einem, sondern dem denkbar größten Interessenkonflikt unterliegt.
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Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der engen Fassung des Wortlauts des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO um ein Redaktionsversehen handeln und damit eine unbeabsichtigte Regelungslücke vorliegen könnte, sind nicht erkennbar. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass die Vielzahl möglicher Interessenkonflikte des gesetzlichen Vertreters eines minderjährigen Zeugen in einem Ermittlungs- oder Strafverfahren auf der Hand liegt und gerade der Fall, dass der gesetzliche Vertreter Opfer der dem Beschuldigten vorgeworfenen Straftat ist, in der Rechtswirklichkeit nicht selten auftritt; eine diesbezügliche Regelung hätte sich mithin aufgedrängt, wenn dies dem Willen des Gesetzgebers entsprochen hätte. Der engen Fassung des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO ist daher im Gegenteil zu entnehmen, dass im Regelfall - auch bei bestehendem Interessenkonflikt - dem gesetzlichen Vertreter die Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts des Minderjährigen anvertraut ist und überlassen bleiben soll. Dies ergibt sich letztlich auch daraus, dass eine Entziehung der Vertretungsmacht des sorgeberechtigten Elternteils gemäß §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 Abs. 1 und 2 BGB nur dann in Betracht kommt, wenn ein erheblicher Interessengegensatz vorliegt und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der sorge- und vertretungsberechtigte Elternteil deshalb nicht mehr im Interesse des Kindes entscheiden kann (vgl. MünchKommBGB/Huber, 6. Aufl., § 1629 Rn. 56).
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c) Die Mutter ist an der Vertretung ihres Kindes bei der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nach § 52 Abs. 1 StPO auch nicht deshalb verhindert, weil ihr insoweit die gesetzliche Vertretung gemäß §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 Abs. 1 und 2 BGB zu entziehen ist.
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Die angefochtene Entscheidung ist nicht im Sinne einer Entziehung der elterlichen Vertretungsmacht nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 Abs. 1 und 2 BGB für den Teilbereich der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts zu verstehen, sie ordnet lediglich eine Ergänzungspflegschaft an. Der Rechtspfleger wäre zwar gemäß § 3 Nr. 2a RPflG für eine Entziehung der elterlichen Vertretungsmacht nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 Abs. 1 und 2 BGB funktional zuständig gewesen, weil eine Ausnahme von der Zuständigkeit des Rechtspflegers für Kindschaftssachen nach § 14 RPflG nicht vorliegt (vgl. BGH NJW 2009, 1496 ff.). Eine solche Entscheidung wurde jedoch nicht getroffen. Durch den Beschluss vom 15.02.2012 wurde eine Entziehung der elterlichen Vertretungsmacht weder ausdrücklich noch konkludent angeordnet. Eine Entziehung des elterlichen Vertretungsrechts nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 Abs. 1 und 2 BGB wurde von der Staatsanwaltschaft auch nicht beantragt.
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Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Entziehung der Vertretungsmacht für den Bereich der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nach § 52 Abs. 1 StPO liegen auch nicht vor. Gemäß §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 Abs. 1 und 2 BGB kann das Familiengericht den sorge- und vertretungsberechtigten Eltern die Vertretung des Kindes für einzelne Angelegenheiten oder für einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten nur dann entziehen, wenn das Interesse des Kindes zu dem Interesse der Eltern oder einer der in § 1795 Nr. 1 BGB bezeichneten Personen in erheblichem Gegensatz steht. Zweck des § 1796 Abs. 1 und 2 BGB ist es, Loyalitätskonflikte, wie sie typischerweise bei Interessengegensätzen entstehen können, zu vermeiden. Ein erheblicher Interessengegensatz ist dabei gegeben, wenn das eine Interesse nur auf Kosten des anderen Interesses durchgesetzt werden kann und die Gefahr besteht, dass die sorgeberechtigten Eltern das Kindesinteresse nicht genügend berücksichtigen können (MünchKommBGB/Huber, a.a.O.). Erforderlich ist hierbei, dass im konkreten Einzelfall besondere Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die sorgeberechtigten Eltern aufgrund eines erheblichen Interessengegensatzes nicht in der Lage sind, das Kindesinteresse in der gebotenen Weise zu berücksichtigen.
27 
Ob ein erheblicher Interessenkonflikt im Sinne des § 1796 Abs. 2 BGB vorliegt, kann jedoch vorliegend dahin gestellt bleiben. Von einer Entziehung der Vertretungsmacht ist nämlich schon dann mit Blick auf den immer strikt zu wahrenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abzusehen, wenn trotz eines konkret festgestellten oder erkennbaren Interessenwiderstreits zu erwarten ist, dass der Sorgerechtsinhaber dennoch im Interesse seines Kindes handeln wird (OLG Stuttgart, FamRZ 1983, 831; OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, 51 f. Staudinger/Peschel-Gutzeit, BGB, Neubearb. 2007, § 1629 Rn. 284 f.).
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Dies ist vorliegend der Fall. Der Senat erwartet eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung der Mutter über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts des Kindes. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Mutter trotz einer möglichen Interessenkollision nicht zu einer Entscheidungsfindung in der Lage wäre, die sich am Kindesinteresse orientiert, sind nicht erkennbar. Zu berücksichtigen ist dabei mit Blick auf die von der Mutter im Interesse des Kindes zu treffende Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts, dass nicht von vornherein davon ausgegangen werden kann, dass eine Aussage des Kindes in dem Ermittlungsverfahren gegen seinen leiblichen Vater die Interessen des Kindes verletzt. Neben dem Interesse des Kindes, eine erneute Konfrontation mit den belastenden Situationen, die es bezeugen soll, zu vermeiden, und einem möglichen Interesse des Kindes, seinen biologischen Vater nicht belasten zu müssen, kann auch ein erhebliches Interesse des Kindes anzuerkennen sein, durch seine Aussage eine Verurteilung des leiblichen Vaters zu ermöglichen und hierdurch weitere Straftaten gegen sich, seine Geschwister und seine Mutter zu verhindern. Dies gilt vorliegend insbesondere in Anbetracht des Umstands, dass ausweislich der bisherigen Ermittlungsergebnisse keine engere sozial-familiäre Beziehung zwischen J. und dem Beschuldigten besteht, sondern sich die Beziehung des Kindes zu seinem leiblichen Vater bislang auf unregelmäßige Besuchskontakte beschränkt hat, die nicht selten von Gewalt gegen die Mutter und Bedrohungen - auch gegen das Kind - geprägt waren.
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2. Der Senat konnte gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, nachdem den Beteiligten rechtliches Gehör gewährt wurde und von einer mündlichen Verhandlung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten waren.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 FamFG. Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 2 FamFG) liegen nicht vor.
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3. Die Festsetzung des Verfahrenswerts beruht auf § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

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