Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 8 W 48/12

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 23. Mai 2012 - 11 O 12/10 - aufgehoben.

2. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

4. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 258.939,44 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des Z (nachfolgend: Schuldner) und wehrt sich im Wege einer (verlängerten) Vollstreckungsgegenklage gegen die Vollstreckung der Beklagten aus zwei Kostenfestsetzungsbeschlüssen. Die Beklagte ist die geschiedene Ehefrau des Schuldners mit Wohnsitz in der Schweiz.
In dem Verfahren 11 O 82/06 des Landgerichts Karlsruhe stritten der frühere, inzwischen verstorbene Insolvenzverwalter des Schuldners und die Beklagte über die Wirksamkeit einer zwischen ihnen am 30. April 2001 geschlossenen und im Juli sowie September 2001 ergänzten Vergleichs- und Auseinandersetzungsvereinbarung. Hintergrund des Rechtsstreits war, dass der Schuldner, der im Jahre 2001 wegen Wirtschaftsstraftaten zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, der Beklagten zur Erfüllung einer Güterstandsvereinbarung aus dem Jahr 1995 in erheblichem Umfang Vermögensgegenstände übertragen hatte.
Der frühere Insolvenzverwalter machte deshalb im Jahr 2000 gegen die Beklagte in großem Umfang Ansprüche unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung geltend und erhob im April 2001 gegen die Beklagte Klage auf Zahlung von rund 115 Millionen DEM sowie auf Rückübertragung diverser Vermögensgegenstände. Am 30. April 2001 schlossen er und die Beklagte eine Vergleichs- und Auseinandersetzungsvereinbarung, wonach die Beklagte ihm ihr gesamtes Vermögen zu übertragen hatte und sich der Insolvenzverwalter im Gegenzug verpflichtete, aus dem übernommenen Vermögen 10 Millionen DEM zu zahlen. Außerdem sollte die Beklagte eine Abfindung in Höhe von weiteren 9,5 Millionen DEM als Gegenleistung dafür erhalten, dass sie als Gesellschafterin aus einer zur Verwertung von Vermögensgegenständen der Beklagten gegründeten Gesellschaft bürgerlichen Rechts ausschied.
Nachdem die Beklagte einen Großteil ihrer Verpflichtungen erfüllt hatte, kam es im Jahre 2004 zu einem Streit der Vertragsparteien über die weitere Abwicklung der Vereinbarung. Im November 2005 vertrat die Beklagte die Auffassung, die Vereinbarung sei sittenwidrig. Sie erklärte die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und trat außerdem von der Vereinbarung zurück mit der Begründung, der Insolvenzverwalter sei seinen Verpflichtungen aus der Vereinbarung nicht nachgekommen. Dieser klagte daraufhin auf Feststellung der Wirksamkeit der geschlossenen Vereinbarung. Das Landgericht Karlsruhe gab der Feststellungsklage statt, während das Oberlandesgericht Karlsruhe die Klage auf die Berufung der Beklagten mangels internationaler Zuständigkeit als unzulässig abwies. Die dagegen vom Insolvenzverwalter geführte Revision wurde durch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27.04.2010 - IX ZR 108/09 - zurückgewiesen.
Die Beklagte erwirkte in diesem Vorprozess einen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 29.06.2009 über 850.792,80 EUR und einen weiteren Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25.06.2010 über 347.684,80 EUR. Gegen die titulierten Kostenerstattungsansprüche hat der Kläger mit Schreiben vom 06.05.2010 und mit Schreiben vom 08.07.2010 mit einer Forderung in Höhe von 17,5 Millionen CHF aufgerechnet.
Die Aufrechnungsforderung war zuvor mit Klageschrift vom 23.12.2008 vor dem Bezirksgericht Meilen geltend gemacht worden. Sie wird auf folgenden Sachverhalt gestützt: Zu den nach der Auseinandersetzungs- und Vergleichsvereinbarung zu übertragenden Vermögensgegenständen gehörte auch ein Hausgrundstück in St. Moritz, das von der Beklagten 1997 für 4.060.000 CHF gekauft worden war. Nach dem Erwerb wurde das Anwesen für mehrere Millionen Schweizer Franken mit Mitteln des Schuldners umgebaut und erweitert. Nach dem Vortrag des Klägers erhöhte sich der Verkehrswert dadurch auf mindestens 17,86 Millionen CHF. In Zusammenhang mit der Erweiterung des Anwesens wurde das Grundstück in zwei Stockwerkeigentumseinheiten aufgeteilt, um den Erweiterungsbau ohne Einholung einer Bewilligung nach dem schweizerischen Bundesgesetz über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland zu verwirklichen. Eine Einheit wurde auf die Beklagte, die andere auf den Vater des Schuldners übertragen. Da die Liegenschaft ohne entsprechende behördliche Bewilligung auch nicht auf den Insolvenzverwalter übertragen werden konnte, kamen dieser und die Beklagte im Rahmen der Auseinandersetzungs- und Vergleichsvereinbarung überein, dass die Beklagte dem Insolvenzverwalter eine unwiderrufliche Verkaufsvollmacht einräume und zukünftige Verkaufserlöse aus dem Verkauf des Anwesens im Voraus an den Insolvenzverwalter abtrete. Die Beklagte sagte weiterhin zu, dass der Vater des Schuldners gleichlautende Erklärungen abgeben werde. Der Vater des Schuldners entsprach dem, widerrief seine Verkaufsvollmacht aber im November 2003. Nach Anfechtung der Vereinbarung bzw. nach erklärtem Rücktritt verkaufte die Beklagte ihre Einheit im November/Dezember 2005 für 2,4 Millionen CHF an ihre Kinder gegen Einräumung eines lebenslangen Wohnrechts. Der Vater des Schuldners schenkte den Kindern seine Einheit. Im Namen ihrer Kinder verkaufte die Beklagte das Anwesen im Mai 2006 für 17,5 Millionen CHF gegen Löschung des Wohnrechts an einen Dritten, ohne den Verkaufserlös an die Insolvenzmasse abzuführen.
Das Bezirksgericht Meilen bejahte die Aktivlegitimation des Klägers mit Vorurteil vom 13.04.2010. Das in zweiter Instanz angerufene Obergericht des Kantons Zürich hob das Vorurteil mit Beschluss vom 18.05.2011 auf und trat nicht auf die Klage ein. Mit Urteil vom 26.10.2011 bestätigte das schweizerische Bundesgericht diese obergerichtliche Entscheidung. Ein ausländischer Konkursverwalter sei in der Schweiz nicht aktivlegitimiert, sofern er nicht zuvor die Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets erwirkt habe.
Im Anschluss gab das Bezirksgericht Meilen dem Anerkennungsantrag des Klägers mit Urteil vom 23.02.2012 statt und beauftragte das Konkursamt Küsnacht mit der Durchführung des Konkurses über das in der Schweiz gelegene Vermögen des Schuldners. Das vor einer Klage nach schweizerischem Recht durchzuführende Schlichtungsverfahren ist seit dem 29.03.2012 vor dem Friedensrichteramt Küsnacht rechtshängig, wobei die Konkursmasse dort durch das Konkursamt Küsnacht als Kläger vertreten wird.
Der Kläger meint, ihm stehe auf der Grundlage der Vereinbarung vom 30.04.2001 ein Zahlungsanspruch gegen die Beklagte auf Auskehr des Erlöses aus dem Grundstücksverkauf zu. Konkurrierend ergebe sich ein solcher Anspruch auch als Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Vereinbarung sowie als Anspruch aus unerlaubter Handlung.
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Der Kläger hat zunächst beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 29.06.2009 für unzulässig erklären und die Beklagte zu verurteilen, die vollstreckbare Ausfertigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses an den Kläger herauszugeben. Nachdem die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss stattgefunden und der Kläger 947.012,43 EUR an die Beklagte überwiesen hat, stellt der Kläger nunmehr folgenden Antrag:
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Die Beklagte wird verurteilt, an den 947.012,43 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18.07.2011 zu zahlen.
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Klageerweiternd beantragt der Kläger hinsichtlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 25.06.2010,
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die Zwangsvollstreckung bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Aufrechnung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 29.06.2009 für unzulässig zu erklären, soweit aus einem Hauptbetrag von 345.329,67 EUR nebst Zinsen und Kosten die Zwangsvollstreckung begehrt wird,
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hilfsweise:
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die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25.06.2010 für unzulässig zu erklären, soweit aus einem Hauptbetrag von 345.329,67 EUR nebst Zinsen und Kosten die Zwangsvollstreckung begehrt wird.
16 
Die Beklagte beantragt,
17 
die Klage abzuweisen.
18 
Sie bestreitet, den Kaufpreis aus der Veräußerung der schweizerischen Liegenschaft vereinnahmt zu haben. Sie halte den Betrag nur treuhänderisch für ihre Kinder. Schadensersatzansprüche seien aus Rechtsgründen nicht gerechtfertigt. Der Vater des Schuldners habe unstreitig seine Verkaufsvollmacht bereits im November 2003 widerrufen, so dass jedenfalls ab diesem Zeitpunkt der Kläger nicht mehr allein veräußerungsbefugt gewesen sei. Etwaige Ansprüche seien mit Ablauf des Jahres 2008 verjährt. Außerdem fehle es an der internationalen Zuständigkeit des Landgerichts für die Beurteilung der zur Aufrechnung gestellten Forderung. Im Hinblick auf die mit einem Urteil verbundene Rechtskraftwirkung (§ 322 Abs. 2 ZPO) müsse die internationale Zuständigkeit auch für die Aufrechnungsforderung gegeben sein. Weder sei der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung in Deutschland gegeben, noch seien - mangels Konnexität - die Voraussetzungen des § 33 ZPO oder die Voraussetzungen des Gerichtsstandes des Vermögens (§ 23 ZPO) erfüllt.
19 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
20 
Mit Beschluss vom 29.07.2011 hat das Landgericht auf Antrag des Klägers angeordnet, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 25.06.2010 bis zum Erlass des Urteils über die im Wege der Erweiterung der Vollstreckungsabwehrklage geltend gemachten Einwendungen gegen Sicherheitsleistung eingestellt wird.
21 
Auf die mündliche Verhandlung vom 23.05.2012 hat das Landgericht folgenden Beschluss gefasst:
22 
Die Verhandlung wird nach § 148 ZPO bis zur rechtskräftigen Erledigung des Schiedsverfahrens vor dem Friedensrichteramt Küsnacht über die Aufrechnungsforderung ausgesetzt.
23 
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der sofortigen Beschwerde. Sie hält die Aussetzung für rechtsfehlerhaft. Die Vollstreckungsgegenklage sei abweisungsreif.
24 
Der Kläger verhalte sich rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB), weil er die Aufrechnungsforderung aus demselben Lebenssachverhalt herleite, der auch den titulierten Kostenerstattungsansprüchen zugrundeliege.
25 
Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei das Verfahren vor dem Friedensrichteramt Küsnacht nicht vorgreiflich im Sinne von § 148 ZPO. Dies folge bereits daraus, dass die Parteien des vorliegenden und des dortigen Verfahrens nicht identisch seien.
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Außerdem habe sich das Landgericht mit seiner Entscheidung in Widerspruch zu den Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 07.11.2001 - VIII ZR 263/00 - und des Europäischen Gerichtshofs vom 13.07.1995 - C-341/93 - gesetzt. Soweit der EuGH für den Aufrechnungseinwand die Anwendung von Art. 6 Nr. 3 EuGVVO abgelehnt habe, weil diese Vorschrift nur für eine Klage des Beklagten auf gesonderte Verurteilung gelte, nicht aber für den Fall, dass der Beklagte eine Forderung als bloßes Verteidigungsmittel im Wege der Aufrechnung einwende, könne daraus nicht abgeleitet werden, die Aufrechnung sei hier ohne Rücksicht auf die Frage der internationalen Zuständigkeit für die zur Aufrechnung gestellte Forderung zuzulassen. Das Urteil des EuGH beziehe sich auf die Aufrechnung als Verteidigungsmittel gegen eine Klage, während im vorliegenden Fall die Aufrechnung die Grundlage der Klage bilde und schon deshalb die Ausführungen des Gerichts nicht einschlägig seien. Es komme vielmehr darauf an, ob das Landgericht Karlsruhe für die Beurteilung der Aufrechnungsforderung international zuständig sei. Fehle es an dem erforderlichen Kompetenzbezug, sei die Klage ohne weiteres abzuweisen. Das Landgericht habe deshalb die Frage der internationalen Zuständigkeit nicht offen lassen dürfen, sondern hätte sie verneinen müssen. Bei fehlender internationaler Zuständigkeit verbiete sich eine Aussetzung des Verfahrens. Schließlich meint die Beklagte, die Aussetzung sei ermessensfehlerhaft, weil das Landgericht sowohl die Zwangsvollstreckung nach § 769 Abs. 1 ZPO einstweilen eingestellt als auch das Verfahren insgesamt nach § 148 ZPO ausgesetzt habe. Dadurch werde die Beklagte auf unbestimmte Zeit rechtlos gestellt, weil das in der Schweiz anhängige Verfahren „noch einen enormen Zeitraum in Anspruch nehmen“ werde.
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Die Beklagte beantragt,
28 
den Aussetzungsbeschluss aufzuheben.
29 
Der Kläger beantragt,
30 
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
31 
Er verteidigt die landgerichtliche Entscheidung.
II.
32 
Die sofortige Beschwerde der Beklagten hat Erfolg.
33 
1. Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12.05.1993 - VIII ZR 110/92 - (NJW 1993, 2753, zitiert nach Juris) setzt die Entscheidung über eine im Wege der Prozessaufrechnung geltend gemachte Gegenforderung des Beklagten voraus, dass das Prozessgericht auch insoweit international zuständig ist (Leitsatz 1). Der Bundesgerichtshof hat dies in erster Linie aus § 322 Abs. 2 ZPO abgeleitet, wonach die Entscheidung über die Aufrechnungsforderung der materiellen Rechtskraft fähig sei und deshalb nur dann in die Kompetenz deutscher Gerichte falle, wenn diese auch insoweit international zuständig seien (a.a.O., Rn. 7). Daneben hat das Gericht eine entsprechende Anwendung von Art. 6 Nr. 3 EuGVVO erwogen, diese aber im damaligen Fall verneint, weil es an der erforderlichen Konnexität von Klageforderung und Aufrechnungsforderung fehlte. Das Urteil des EuGH vom 13.07.1995 - C-341/93 - (NJW 1996, 42, zitiert nach Juris) führt nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung (ebenso OLG Hamm, Urteil vom 05.11.1997 - 11 U 41/97 -, IPRspr. 1997 Nr. 160 A, S. 323, 325; Jayme/Kohler IPRax 1995, 343, 349; in diesem Sinne wohl auch Geimer in Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Auflage, Art. 6 EuGVVO Rn. 79). Zwar hat der Europäische Gerichtshof eine Anwendung von Art. 6 Nr. 3 EuGVVO auf die Prozessaufrechnung abgelehnt und ausgeführt, dass die Vorschrift nicht für den Fall gelte, dass ein Beklagter eine Forderung gegenüber dem Kläger als bloßes Verteidigungsmittel geltend mache, er hat aber zugleich ausgesprochen, dass sich die Voraussetzungen, unter denen eine Prozessaufrechnung zuzulassen sei, nach nationalem Recht bestimmten (a.a.O., Rn. 18). Demnach entscheidet allein das nationale Zivilprozessrecht darüber, ob und unter welchen Vor-aussetzungen der Aufrechnungseinwand zuzulassen ist (Wagner IPRax 1999, 65, 67). Deshalb sind die deutschen Gerichte nicht gehindert, die Zulässigkeit der Prozessaufrechnung davon abhängig zu machen, dass das Gericht der Hauptsache auch für die klageweise Geltendmachung der Aufrechnungsforderung international zuständig wäre (Jayme/Kohler, a.a.O.).
34 
2. Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12.05.1993 weiterhin davon aus, dass die Entscheidung über eine im Wege der Prozessaufrechnung geltend gemachte Gegenforderung des Beklagten nur zulässig ist, wenn das Prozessgericht insoweit international zuständig ist, es sei denn, die für die Aufrechnung verwendete Gegenforderung ist „liquide“, d.h. nicht streitig oder rechtskräftig festgestellt. Erst recht muss dies gelten, wenn die Forderung nicht als Verteidigungsmittel dient, sondern - wie im Fall der Vollstreckungsabwehrklage im Sinne des § 767 ZPO - die Grundlage einer neuen Klage gegen einen rechtskräftigen Vollstreckungstitel bildet.
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Eine wertende Betrachtung der Parteiinteressen bestätigt dieses Ergebnis. Schon für den Regelfall der Aufrechnung als Einwendung der beklagten Partei weist Geimer (in Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Auflage Art. 6 Rn. 77 und 78) zutreffend darauf hin, dass bei Zulassung des Aufrechnungseinwandes für inkonnexe (bestrittene) Forderungen bei internationaler Unzuständigkeit des Gerichtsstaates die Grenzen der Gerichtspflichtigkeit des Klägers weiter gezogen werden als die der Gerichtspflichtigkeit des Beklagten. Diese Ungleichbehandlung mag unter dem Gesichtspunkt vertretbar sein, dass dem Kläger als Angreifer die Zulassung des Aufrechnungseinwandes für inkonnexe (bestrittene) Forderungen auch bei internationaler Unzuständigkeit zuzumuten ist (zweifelnd Geimer a.a.O). In Fällen der vorliegenden Art lässt sich eine Ungleichbehandlung der Parteien mit dieser Erwägung jedoch nicht rechtfertigen. Vielmehr verfügt die beklagte Partei über eine geschützte Rechtsposition in Form des rechtskräftigen Vollstreckungstitels, die der Kläger mit dem Instrument einer prozessualen Gestaltungsklage beseitigen will. Bei einer solchen Ausgangslage erscheint es nicht gerechtfertigt, dem Kläger einen Positionsvorteil zu gewähren und die Grenzen der Gerichtspflichtigkeit der beklagten Partei weiter zu ziehen als die der Gerichtspflichtigkeit des Klägers.
36 
3. Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Karlsruhe für die zur Aufrechnung gestellte Forderung ist nicht gegeben.
37 
a. Die Voraussetzungen des Gerichtsstands des Erfüllungsortes (Art. 5 Nr. 1 lit. a LugÜ) sind nicht erfüllt. Die Aufrechnungsforderung wird auf die Behauptung gestützt, die Beklagte habe die Vereinbarung vom 30.04.2001 verletzt. Nach Art. 27 EGBGB a. F. richtet sich die Beurteilung des Anspruchs nach deutschem Sachrecht, weil die Parteien in § 8 Nr. 2 der Vereinbarung eine entsprechende Rechtswahl getroffen haben. Maßgeblich ist § 269 BGB. Danach hat der Schuldner die ihm obliegende Leistungshandlung dort zu erbringen, wo er zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte, falls nicht ein anderer Ort für die Leistung entweder vereinbart oder aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen ist.
38 
Für Schadensersatzansprüche wegen Vertragsverletzung ist der Ort maßgeblich, an dem die verletzte Pflicht zu erfüllen war. Hier waren die auf die Liegenschaft in St. Moritz bezogenen Pflichten der Beklagten in der Schweiz zu erfüllen, so dass jedenfalls kein die Zuständigkeit des Landgerichts Karlsruhe begründender Erfüllungsort vorliegt.
39 
b. Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Karlsruhe wird auch nicht durch Art. 5 Nr. 3 LugÜ begründet. Im Sinne dieser Regelung ist Ort, „an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, der Ort, an dem das ursächliche Geschehen stattgefunden hat und der Schaden eingetreten ist, nicht aber der Wohnsitz der geschädigten Person, wo sich deren Gesamtvermögen befindet (Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Auflage, Art. 5 EuGVVO Rn. 90 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 10.06.2004 - C-168/02 - NJW 2004, 2441). Für den vorliegenden Fall folgt daraus, dass der die Zuständigkeit begründende Schadensort in der Schweiz liegt und nicht auf den Sitz des Insolvenzverwalters abzustellen ist (vgl. Stadler in Musielak, Zivilprozessordnung, 9. Auflage, Art. 5 EuGVVO Rn. 24, wonach es bei Untreue-Delikten auf die Belegenheit der konkret betroffenen Vermögensgegenstände ankommt).
40 
c. Auf eine (entsprechende) Anwendung von § 33 ZPO (vgl. BGHZ 149, 120, 127) lässt sich die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Karlsruhe ebenfalls nicht stützen. Das Landgericht hat hierzu zutreffend ausgeführt, dass die Aufrechnungsforderung und die titulierte Forderung nicht konnex sind, also nicht in einem Zusammenhang im Sinne von § 33 ZPO stehen.
41 
d. Schließlich ergibt sich die internationale Zuständigkeit auch nicht aus § 23 ZPO. Im Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens von 2007 kann ein Beklagter nur verklagt werden, wenn eine Zuständigkeit nach diesem Übereinkommen begründet ist (Art. 3 Abs. 1 LugÜ). Die Zuständigkeitsordnung des Übereinkommens verdrängt das autonome Zuständigkeitsrecht und führt dazu, dass die im internationalen Rechtsverkehr als störend empfundenen sogenannten exorbitanten Gerichtsstände gegen einen Beklagten nicht geltend gemacht werden können (Geimer in Zöller, ZPO, 29. Auflage, Art. 3 EuGVVO Rn. 6). Für § 23 ZPO ist dies ausdrücklich in Art. 3 Abs. 2 LugÜ in Verbindung mit Anhang I des Übereinkommens angeordnet (dort 5. Spiegelstrich).
42 
Danach fehlt es an einem Kompetenzbezug des Landgerichts Karlsruhe für die vom Kläger zur Aufrechnung verwendete Gegenforderung mit der Folge, dass das Landgericht die Berechtigung des Aufrechnungseinwandes nicht prüfen darf und sich die Vollstreckungsgegenklage als unbegründet erweist. Der Ausnahmefall einer „liquiden“ Gegenforderung liegt unstreitig nicht vor.
43 
3. Die Ansicht des Landgerichts, eine Klageabweisung lasse sich dadurch vermeiden, dass das Verfahren analog § 148 ZPO ausgesetzt wird, begegnet rechtlichen Bedenken.
44 
a. Das Landgericht stützt sich bei seiner Entscheidung auf Stellungnahmen im Schrifttum, die bei einer Prozessaufrechnung mit einer Forderung, für die eine internationale Zuständigkeit des Prozessgerichts nicht gegeben ist, die vom Bundesgerichtshof (BGHZ 16, 124, 138 ff.) für die Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung entwickelten Grundsätze entsprechend anwenden wollen (z.B. Wagner IPRax 1999, 65, 73; Rüßmann, jurisPK-BGB, 5. Auflage, § 388 Rn. 37). Danach soll über die zur Entscheidung reife Klageforderung durch Vorbehaltsurteil nach § 302 Abs. 1 ZPO entschieden werden, um anschließend das Nachverfahren über die Berechtigung der Gegenforderung nach § 148 ZPO bis zur Klärung durch das international zuständige Gericht auszusetzen.
45 
b. Es kann dahinstehen, ob diese für die Prozessaufrechnung (durch den Beklagten) entwickelte Lösung Zustimmung verdient (ablehnend etwa OLG Hamm IPRspr. 1997 Nr. 160 A, S. 323, 325); denn die vorliegende Konstellation unterscheidet sich im Hinblick auf die beteiligten Parteiinteressen deutlich vom Regelfall der Prozessaufrechnung. In der Normalkonstellation stehen sich zwei Parteien gegenüber, die ihre Forderungen beide nicht auf einen gerichtlichen Titel stützen können. Obwohl der Kläger und Aufrechnungsgegner in diesem Fall im Vergleich zum Beklagten nicht über eine überlegene Rechtsposition verfügt, sollen seine Interessen durch den Erlass eines Vorbehaltsurteils, das wie ein Endurteil nach allgemeinen Regeln vorläufig vollstreckbar ist (§ 302 Abs. 3 ZPO), gewahrt werden. Im Unterschied dazu begegnen sich die Parteien in Fällen der vorliegenden Art von vornherein mit ungleichen Rechtspositionen. Der Beklagte und Aufrechnungsgegner verfügt als Ergebnis eines – in der Regel – gerichtlichen Verfahrens über einen Vollstreckungstitel, während der aufrechnende Kläger mit dem Instrument der Vollstreckungsgegenklage materiell die Realisierung einer bislang gerichtlich nicht geprüften Forderung anstrebt. Nach Auffassung des Senats ist dieser sich vom Regelfall der Prozessaufrechnung unterscheidenden prozessualen Ausgangslage bei der Bewertung der beiderseitigen Parteiinteressen und damit bei der Ermessensentscheidung, ob eine Aussetzung nach § 148 ZPO gerechtfertigt ist, Rechnung zu tragen. Der angefochtene Beschluss lässt nicht erkennen, dass das Landgericht den dargestellten Unterschied in seine Ermessenserwägungen eingestellt hat. Dieses Ermessensdefizit ist rechtsfehlerhaft und eröffnet dem Senat eine eigene Ermessensentscheidung.
46 
Die Aussetzung des Verfahrens führt hier in Verbindung mit der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. § 769 ZPO dazu, dass die Beklagte des vorliegenden Verfahrens - wie die Beschwerde mit Recht rügt - auf unbestimmte Zeit an der Durchsetzung ihres titulierten Anspruchs gehindert wird. Das erscheint dem Senat nicht interessengerecht. Wird die Vollstreckungsgegenklage auf eine Aufrechnung mit einer Forderung geschützt, für die die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht begründet ist, besteht jedenfalls dann keine Veranlassung, das Verfahren auszusetzen, um dem Kläger die Beibringung eines ausländischen Vollstreckungstitels zu ermöglichen, wenn - wie hier - nicht abzusehen ist, dass der Titel in absehbarer Zeit vorgelegt werden kann.
47 
4. Nach alledem ist der angefochtene Beschluss auf die sofortige Beschwerde der Beklagten aufzuheben.
48 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
49 
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 574 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 ZPO. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Die Frage, ob im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 13.07.1995 die Berücksichtigung der Prozessaufrechnung mit einer inkonnexen Forderung die internationale Zuständigkeit voraussetzt, ist bislang höchstrichterlich nicht beantwortet (ausdrücklich offen gelassen in BGHZ 149, 120, 127) und wird im Schrifttum kontrovers diskutiert. Sofern an dem Erfordernis der internationalen Zuständigkeit festzuhalten ist, erscheint grundsätzlich klärungsbedürftig, ob die Aufrechnung mit einer Forderung, für die keine internationale Zuständigkeit gegeben ist, bei der Entscheidungsfindung unberücksichtigt zu bleiben hat oder ob der aufrechnenden Partei durch Aussetzung des Verfahrens Gelegenheit zu geben ist, die Berechtigung ihrer Forderung durch das international zuständige Gericht klären zu lassen.
50 
Den Streitwert des Beschwerdeverfahrens bemisst der Senat mit einem Fünftel des Streitwertes der Hauptsache (Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 13. Auflage, Rn. 1492-1494).

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