Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 Ws 495/15

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Heidelberg vom 25.9.2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

Gründe

 
I.
Das Landgericht K. verurteilte den Beschwerdeführer am 10.5.1988 wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und ordnete die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Der Beschwerdeführer hatte im September 1987 ein 16-jähriges Mädchen aufgrund eines von diesem aufgegebenen Inserats, mit dem es eine Beschäftigung als Babysitterin suchte, unter dem Vorwand, er habe einen zweijährigen Sohn, in seine Wohnung gelockt und es anschließend unter Drohungen und Gewaltanwendung zu sexuellen Handlungen (u.a. Oral- und versuchter Analverkehr sowie das Einführen von Lebensmitteln in die Scheide bzw. den After) genötigt, die sich über etwa drei Stunden erstreckten. Das Hemmungsvermögen des Beschwerdeführers war bei Begehung der Tat aufgrund eines Intelligenzdefekts mit schwerwiegenden Mängeln der Trieb- und Aggressionskontrolle erheblich vermindert. Eine im Jahr 1972 angeordnete Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt, die mit kurzzeitigen Unterbrechungen bis 1985 vollstreckt worden war, war zum Zeitpunkt der Tat zur Bewährung ausgesetzt.
Mit Beschluss des Landgerichts H. vom 16.8.2010 wurde die weitere Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Das Landgericht ordnete die unbefristete Führungsaufsicht auf der Grundlage des § 68c Abs. 3 Nr. 2 StGB (in der Fassung des Gesetzes vom 13.4.2007, BGBl. I S. 513) „aufgrund der ganz erheblichen Anlasstat und der weiterhin bestehenden Persönlichkeitsstörung“ an.
Die Dauer der Bewährungszeit setzte es auf fünf Jahre fest und unterstellte den Untergebrachten während dieser Zeit der Aufsicht und Leitung des für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshelfers. Er erhielt u.a. die Weisungen, die psychiatrische Behandlung in der Fachambulanz forensische Psychiatrie in dem von dort für erforderlich gehaltenen Umfang fortzuführen, sich jeglichen Konsums von Alkohol oder Drogen zu enthalten und regelmäßig eine Suchtselbsthilfegruppe zu besuchen sowie eine ganztägige Tätigkeit in einer Werkstatt für Behinderte aufzunehmen.
Die Führungsaufsichtszeit verlief nach den Berichten der Bewährungshilfe und der eingeholten Stellungnahme des Psychiatrischen Zentrums X. (PZX) vom 19.8.2015 weitgehend problemlos. Die Termine bei der Bewährungshilfe sowie bei der Forensischen Ambulanz nahm der Beschwerdeführer zuverlässig wahr. Hinweise für problematische oder unangepasste Verhaltensweisen sowie für Alkohol- oder Drogenmissbrauch während der bisherigen Dauer der Führungsaufsicht ergaben sich nicht. Der Beschwerdeführer konnte allerdings aufgrund seiner körperlichen Beschwerden nicht über längere Zeit stabil in ein Arbeits- und Beschäftigungsangebot integriert werden. So war es ihm nicht möglich, die angewiesene Tätigkeit in der Werkstatt für Behinderte aufzunehmen.
Das PZX geht diagnostisch aktuell von einer Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen Zügen (ICD 60.3) aus und nicht mehr von einer affektiven Übererregbarkeit und erhöhten Aggressionsbereitschaft aufgrund einer intellektuellen Minderbegabung.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 25.9.2015 lehnte das Landgericht Heidelberg die Aufhebung der unbefristeten Führungsaufsicht ab und unterstellte ihn auch für die weitere Zeit dem für seinen Aufenthaltsort zuständigen Bewährungshelfer. Zudem beschloss das Landgericht im Wesentlichen die Fortgeltung der Weisungen aus dem Beschluss vom 16.8.2010. Gegen den am 7.10.2015 zugestellten Beschluss legte der Verurteilte mit Schreiben vom gleichen Tag sofortige Beschwerde ein, die am 6.11.2015 begründet wurde.
II.
Das zulässige Rechtsmittel des Beschwerdeführers hat vorläufig Erfolg.
1. Die Strafvollstreckungskammer war nicht ordnungsgemäß besetzt. Zutreffend hat die Strafvollstreckungskammer in der Besetzung mit drei Richtern unter Einschluss des Vorsitzenden gemäß § 78b Abs. 1 Nr. 1 GVG entschieden, da die Entscheidung über den Fortbestand der Führungsaufsicht einer zur Bewährung ausgesetzten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in untrennbarer Verbindung zur getroffenen Aussetzungsentscheidung steht, denn mit dem Ende der Führungsaufsicht ist gemäß § 67g Abs. 5 StGB die Maßregel der Unterbringung erledigt (vgl. L/R-Siolek, StPO, 26. Aufl. 2010, § 78b GVG, Rn 3; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 78b GVG, Rn 5).
Jedoch verstößt die Besetzung der entscheidenden Strafvollstreckungskammer mit einem Richter auf Probe und einem vom Amtsgericht abgeordneten Richter gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 29 DRiG. Die in § 29 DRiG getroffene allgemeine Regelung wird durch § 78b Abs. 2 GVG nicht durchbrochen, denn § 78b Abs. 2 GVG trifft keine Aussage, wie viel vom Amtsgericht abgeordnete Richter in einer Strafvollstreckungskammer mitwirken können (Staats, DRiG, 1. Aufl. 2012, § 29 DRiG, Rn 2; L/R-Siolek, StPO, 26. Aufl. 2010, § 78b GVG, Rn 9).
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2. Das Verfahren zur Aufhebung der unbefristeten Führungsaufsicht richtet sich vorliegend nach §§ 463 Abs. 2, 453 StPO i.V.m. §§ 68c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2a, 68d Abs. 1 StGB und nicht - wie von der Strafvollstreckungskammer angenommen - nach §§ 463 Abs. 3 StPO, 68e Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StGB.
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a. Der Senat kann insoweit offen lassen, ob sich die Änderung oder Aufhebung einer Entscheidung nach § 68c Abs. 3 StGB generell nach § 68d Abs. 1 StGB richtet und § 68e Abs. 3 insoweit nur die Fristen festlegt, in denen eine Überprüfung der unbefristeten Führungsaufsicht durch das Gericht erforderlich ist. Hierfür spricht, dass bereits der in § 62 StGB verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, dass der Maßstab bei der Überprüfung der unbefristeten Führungsaufsicht dem bei der Anordnung entspricht. Während § 68c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StGB für die unbefristete Verlängerung der Führungsaufsicht verlangt, dass sich auf Grund bestimmter Tatsachen konkrete Anhaltspunkte ergeben, dass eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung weiterer erheblicher Taten zu befürchten ist, ist nach dem Wortlaut des § 68e Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 StGB auch die unbefristete Führungsaufsicht erst dann aufzuheben, wenn zu erwarten ist, dass die verurteilte Person auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird. Die Erwartung im Sinne des § 68e Abs. 2 Satz 1 StGB muss sich zwar nicht zur Gewissheit verdichten, erforderlich ist aber eine entsprechend hohe Wahrscheinlichkeit, wobei Zweifel zu Lasten des Verurteilten gehen; die Anforderungen sind daher strenger als in § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB, der nur eine realistische Chance im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit künftiger Straffreiheit genügen lässt (OLG Köln, Beschluss vom 9.7.2010, 2 Ws 418/10, NStZ 2011, 162).
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Dieser - von der Strafvollstreckungskammer angewandte - Maßstab widerspricht dem in § 68c Abs. 2 und 3 StGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wonach die unbefristete Führungsaufsicht, die für den Betroffenen eine besondere Belastung bedeutet, zumal während der Dauer der Führungsaufsicht die Möglichkeit des Widerrufs der Aussetzung der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus bestehen bleibt (OLG Braunschweig, Beschluss vom 6.3.2012, Ws 7/12, juris; LG Marburg, Beschluss vom 13.1.2014, 11 StVK 9/14, juris), nur angeordnet werden darf, wenn einer Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten zu befürchten ist (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 18.9.2014, 2 Ws 370/14, NStZ-RR 2015, 42; LG Marburg, Beschluss vom 13.1.2014, 11 StVK 9/14, juris). Die Befürchtung weiterer rechtswidriger Taten verlangt aber eine konkrete Gefahr solcher Taten (OLG Braunschweig, Beschluss vom 6.3.2012, Ws 7/12, juris; LK-StGB/Schneider, 12. Aufl. 2007, § 68c StGB, Rn 14).
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b. Jedenfalls im vorliegenden Fall ist eine Überprüfung der Voraussetzungen des § 68c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2a StGB im dafür vorgesehenen Verfahren nach §§ 463 Abs. 2, 453 StPO erforderlich. Im Hinblick auf den im Verfassungsrecht verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des mit der unbefristeten Führungsaufsicht verbundenen erheblichen Eingriffs in die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und 2 GG kann nicht außer Betracht bleiben, dass die Anordnung der unbefristeten Führungsaufsicht im Beschluss vom 16.8.2010 einer gesetzlichen Grundlage entbehrte. § 68c Abs. 3 StGB gestattet nur die unbefristete Verlängerung der zunächst zeitlich befristeten Führungsaufsicht, nicht aber, wie das Landgericht H. im Beschluss vom 16.8.2010 rechtsirrig angenommen hatte, die Anordnung der unbefristeten Führungsaufsicht bereits im Aussetzungsbeschluss. Eine solche Anordnung wäre nur unter den - hier nicht vorliegenden - Voraussetzungen des § 68c Abs. 2 StGB statthaft gewesen. Nach dem Wortlaut und insbesondere auch nach dem Regelungszweck des § 68c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StGB, auf kritische Entwicklungen, die sich während einer laufenden Führungsaufsicht zeigen, noch reagieren zu können, kann die unbefristete Führungsaufsicht auf Grundlage des § 68c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StGB nur nachträglich nach § 68d StGB und regelmäßig auch nur gegen Ende einer befristeten Führungsaufsicht angeordnet werden. § 68c Abs. 3 StGB setzt eine Legalprognose voraus, die auf das Verhalten der verurteilten Person während der Führungsaufsicht abstellt und die erzielten Resozialisierungserfolge berücksichtigt (OLG Braunschweig, Beschluss vom 6.3.2012, Ws 7/12; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 68c StGB, Rn 3b; LK-StGB/Schneider, 12. Aufl. 2007, § 68c StGB, Rn 20).
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Da eine Prüfung der in § 68c Abs. 3 Satz 1 Nr.1 und Nr. 2a StGB genannten Voraussetzungen bisher nicht vorgenommen wurde, hat die Strafvollstreckungskammer dies vorliegend im Rahmen der nach §§ 68d Abs. 1, 68e Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StGB vorzunehmenden Prüfung nachzuholen. Die Strafvollstreckungskammer hat daher aufzuklären, ob sich entweder aus dem Verstoß gegen Weisungen nach § 68b Abs. 1 oder 2 StGB oder aufgrund anderer bestimmter Tatsachen konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung weiterer erheblicher Straftaten zu befürchten ist. Das Gericht muss sich diesbezüglich eine ausreichende Tatsachengrundlage beschaffen, insbesondere wird hierzu vorliegend eine den Anforderungen an ein Sachverständigengutachten genügende fachpsychiatrische Stellungnahme einzuholen sein, um insbesondere auch das Fortbestehen der im Anlassurteil festgestellten psychischen Störung und der daraus resultierenden konkreten Gefahr der Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten beurteilen zu können (vgl. Senat, Beschluss vom 17.3.2009, 2 Ws 20/09, juris; Beschluss vom 10.7.2015, 2 Ws 294/15; OLG Braunschweig, Beschluss vom 6.3.2012, Ws 7/12). Von der mündlichen Anhörung des Sachverständigen kann dann nur abgesehen werden, wenn der Verurteilte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft hierauf verzichten und auch das Gebot der bestmöglichen Sachaufklärung die Durchführung einer mündlichen Anhörung nicht gebietet, §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO.
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Die Strafvollstreckungskammer wird sich - sachverständig beraten -auch mit der Möglichkeit der unbefristeten Verlängerung der Führungsaufsicht nach § 68c Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StGB auseinanderzusetzen haben, insbesondere ob aufgrund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, der Verurteilte würde sich nach Ende der Führungsaufsicht einer möglicherweise zur Vermeidung eines Zustands nach §§ 20, 21 StGB erforderlichen psychiatrischen Nachsorge entziehen.
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3. Für den Fall, dass die unbefristete Führungsaufsicht auch nach dem Maßstab des § 68c Abs. 3 StGB Bestand hat, ist die Strafvollstreckungskammer gehalten, auch die Ausgestaltung der Führungsaufsicht einer Überprüfung zu unterziehen und die Weisungen dem aktuellen Stand anzupassen (vgl. Senat, Beschluss vom 10.7.2015, 2 Ws 294/15).
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4. Die Strafvollstreckungskammer hat zudem über einen Erlass der zur Bewährung ausgesetzten Reststrafe nach § 56g Abs. 1 StGB zu entscheiden. Die Entscheidung über den Straferlass steht gleichfalls in untrennbarem Zusammenhang mit der Entscheidung über die Fortdauer der Führungsaufsicht, da nach § 68g Abs. 1 Satz 2 StGB die Führungsaufsicht nicht vor Ablauf der Bewährungszeit endet.
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Eine eigene Sachentscheidung des Senats kam angesichts des der Strafvollstreckungskammer in § 68c Abs. 3 StGB eingeräumten Ermessens, der noch nicht getroffenen Entscheidung über den Straferlass nach § 56g Abs. 1 StGB und aufgrund der Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens und der ggfs. erforderlichen mündlichen Anhörung des Sachverständigen nicht in Betracht.

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