Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 9 W 48/18

Tenor

Das Verfahren der Erinnerung des Schuldners gegen die Erteilung der Vollstreckungsklausel vom 11.10.2018 für die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil des Landgerichts Freiburg vom 16.09.2008 - 8 O 220/08 - wird an das Landgericht Freiburg zur Entscheidung in eigener Zuständigkeit zurückgegeben.

Gründe

 
I.
Die Parteien streiten nach einem Rechtsmittel des Schuldners um die Frage, ob der Gläubigerin zu Recht eine weitere vollstreckbare Ausfertigung eines Versäumnisurteils erteilt worden ist.
Die Gläubigerin erwirkte am 16.09.2008 ein Versäumnisurteil gegen den Schuldner, in welchem dieser verurteilt wurde, 12.008,00 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Der Gläubigerin wurde vom Landgericht Freiburg am 16.10.2008 eine vollstreckbare Ausfertigung erteilt.
Für die Gläubigerin ist seit dem 02.09.2004 durch Beschluss des Amtsgerichts Staufen - Vormundschaftsgericht - eine Betreuung mit dem Wirkungskreis der Vermögenssorge angeordnet. Die Anordnung der Betreuung umfasst einen Einwilligungsvorbehalt. Seit dem 16.02.2017 ist R. B. zum Betreuer bestellt, welcher die Gläubigerin im vorliegenden Verfahren vertritt. Im Juni 2017 beauftragte der Betreuer den Gerichtsvollzieher mit der Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil vom 16.09.2008 unter Beifügung der vollstreckbaren Ausfertigung des Titels. Der Schuldner wandte sich an den Gerichtsvollzieher und wandte ein, die Forderung sei bereits seit dem Jahr 2011 vollständig bezahlt. Der Schuldner übermittelte dem Gerichtsvollzieher Quittungen der Gläubigerin und eine schriftliche Bestätigung der Gläubigerin vom 11.04.2011 (AS. 141 ff.). Sämtliche Urkunden waren von der Gläubigerin persönlich unterzeichnet. Der Bestätigung vom 11.04.2011 war eine notarielle Unterschriftsbeglaubigung vom 12.04.2011 beigefügt. Der Gerichtsvollzieher informierte den Betreuer über die Unterlagen, welche er vom Schuldner erhalten hatte.
Mit Schreiben vom 12.07.2017 an den Gerichtsvollzieher erklärte der Betreuer, er habe bis dahin keine Kenntnis gehabt, dass die Forderung „offenbar bereits erledigt“ sei. Er bitte den Gerichtsvollzieher darum, die vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnisurteils an den Prozessbevollmächtigten des Schuldners auszuhändigen. Dies hatte der Prozessbevollmächtigte des Schuldners in einem Schreiben vom 10.07.2017 an den Betreuer „zur Vermeidung der Vollstreckungsabwehrklage“ verlangt.
Nachträglich gelangte der Betreuer zu der Auffassung, dass die Forderung der Gläubigerin in Wahrheit vom Schuldner nicht bezahlt sei, und der Vollstreckungstitel daher zu Unrecht an den Schuldner ausgehändigt worden sei. Die vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnisurteils vom 16.09.2008 ist unstreitig nicht mehr vorhanden; der Schuldner hat die Urkunde vernichtet.
Mit Schriftsatz vom 08.01.2018 an das Landgericht Freiburg hat die Gläubigerin, vertreten durch ihren Betreuer, beantragt, ihr eine weitere vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnisurteils vom 16.09.2008 zu erteilen. Der Schuldner ist diesem Antrag entgegengetreten. Mit Verfügung vom 23.03.2018 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts den Antrag der Gläubigerin auf Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Erteilung gemäß §§ 733, 725 ZPO seien nicht gegeben.
Gegen diese Entscheidung hat die Gläubigerin mit Schriftsatz vom 05.04.2018 „sofortige Beschwerde“ eingelegt, mit dem Antrag, die Entscheidung der Urkundsbeamtin aufzuheben und eine weitere vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnisurteils zu erteilen. Mit Beschluss vom 10.10.2018 hat der zuständige Richter des Landgerichts die Urkundsbeamtin angewiesen, der Vollstreckungsgläubigerin eine weitere vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnisurteils zu erteilen. Das Rechtsmittel der Gläubigerin sei als befristete Erinnerung gemäß § 573 Abs. 1 ZPO statthaft. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung gemäß § 733 Abs. 1 ZPO seien gegeben. Die Urkundsbeamtin hat daraufhin am 11.10.2018 der Gläubigerin eine weitere vollstreckbare Ausfertigung erteilt.
Am 29.10.2018 hat der Schuldner mit einem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten „sofortige Beschwerde“ eingelegt und beantragt, der Vollstreckungsgläubigerin keine weitere vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnisurteils vom 16.09.2008 zu erteilen. Es seien überwiegende Interessen des Vollstreckungsschuldners zu berücksichtigen. Die Erteilung einer zweiten vollstreckbaren Ausfertigung komme nicht in Betracht, weil die Gläubigerin, beziehungsweise deren Betreuer, die vorhandene erste vollstreckbare Ausfertigung freiwillig an den Schuldner herausgegeben habe. Die Gläubigerin ist dem Rechtsmittel des Schuldners entgegengetreten.
Mit Beschluss vom 20.11.2018 hat das Landgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht Karlsruhe - Zivilsenate in Freiburg - zur Entscheidung vorgelegt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und auf die Gründe der Entscheidungen des Landgerichts verwiesen.
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Mit Beschluss vom 16.01.2019 hat der Senat die Parteien auf eine mögliche Umdeutung des Rechtsmittels hingewiesen. Der Schuldner hat keine Bedenken gegen eine Umdeutung des Rechtsmittels in eine Erinnerung gemäß § 732 Abs. 1 ZPO.
II.
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Die Sache ist zur Entscheidung des Landgerichts in eigener Zuständigkeit über die Anträge des Schuldners im Schriftsatz vom 29.10.2018 zurückzugeben. Denn dieser Schriftsatz enthält der Sache nach keine sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts vom 10.10.2018. Der Schriftsatz ist vielmehr in eine unbefristete Erinnerung gegen die inzwischen erfolgte Erteilung der zweiten vollstreckbaren Ausfertigung gemäß § 732 Abs. 1 ZPO umzudeuten (vgl. zur Umdeutung Zöller/Greger, ZPO 32. Aufl. 2018, vor § 128 ZPO, Rn. 25; Zöller/Heßler a.a.O., vor § 511 ZPO, Rn. 37). Dies ergibt sich daraus, dass eine sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts vom 10.10.2018 nicht statthaft ist. Das richtige Rechtsmittel ist eine Erinnerung gemäß § 732 Abs. 1 ZPO, über welche das Landgericht abschließend zu entscheiden hat. Eine solche abschließende Entscheidung enthält der Nichtabhilfebeschluss vom 20.11.2018 nicht. Sollte das Landgericht die Erinnerung des Schuldners zurückweisen, wäre (erst) gegen diese Entscheidung eine sofortige Beschwerde gemäß § 567 Abs. 1 Ziffer 2 ZPO statthaft.
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1. Der Senat schließt sich bei der Frage des richtigen Rechtsmittels bei Erteilung einer zweiten vollstreckbaren Ausfertigung gemäß § 733 ZPO der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur an. Eine unbefristete Erinnerung gemäß § 732 ZPO gegen die Zulässigkeit der Vollstreckungsklausel bei einer zweiten vollstreckbaren Ausfertigung ist auch dann das richtige Rechtsmittel, wenn die vollstreckbare Ausfertigung (nach einer Erinnerung der Gläubigerin) auf eine Anordnung des Richters erteilt wird. (Vgl. Zöller/Seibel, Zivilprozessordnung, 32. Auflage 2018, § 724 ZPO Rn. 13; Baumbach/Hartmann, ZPO, 77. Auflage 2019, § 724 ZPO Rn. 16; Münzberg in Stein/Jonas, ZPO, 22. Auflage 2002, § 732 ZPO Rn. 8; ausführlich Münzberg in Rechtspfleger 1991, 210 ff.; a. A. OLG Hamm, NJW-RR 1990, 1277).
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Das Gesetz unterscheidet in § 732 Abs. 1 ZPO für die Statthaftigkeit der Erinnerung nicht danach, ob die Klausel auf Grund einer eigenen Entscheidung der Urkundsbeamtin erteilt wird, oder erst auf Anweisung des Erinnerungs- oder Beschwerdegerichts. Die Voraussetzungen für eine sofortige Beschwerde gemäß § 567 Abs. 1 Ziffer 2 ZPO liegen hingegen nicht vor, weil das Landgericht im Beschluss vom 10.10.2018 nicht über ein Gesuch des Schuldners, sondern über die Erinnerung der Gläubigerin entschieden hat. Die Auffassung des OLG Hamm (a. a. O.) wonach bereits ein Gegenantrag des Schuldners im Erinnerungsverfahren als „Gesuch“ im Sinne von § 567 Abs. 1 Ziffer 2 ZPO anzusehen sei, überzeugt nicht (vgl. ausführlich Münzberg, a. a. O.). Eine sofortige Beschwerde des Schuldners ist auch nicht gemäß § 793 ZPO statthaft; denn das Klauselerteilungsverfahren ist kein Zwangsvollstreckungsverfahren im Sinne von § 793 ZPO (vgl. OLG Hamm, a. a. O.).
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2. Obiter Dictum: Die Entscheidung des Landgerichts im Beschluss vom 10.10.2018 ist nach Auffassung des Senats auch unter Berücksichtigung der Einwendungen des Schuldners im Schriftsatz vom 29.10.2018 zutreffend.
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a) Eine weitere vollstreckbare Ausfertigung ist gemäß § 733 Abs. 1 ZPO zu erteilen, wenn der Gläubiger ein Interesse an einer nochmaligen vollstreckbaren Ausfertigung hat, und wenn keine berechtigten (überwiegenden) Interessen des Schuldners entgegenstehen (vgl. Zöller/Seibel, a. a. O., § 733 ZPO Rn. 4 ff.).
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b) Die Gläubigerin hat ein Interesse an der zweiten vollstreckbaren Ausfertigung, weil die erste Ausfertigung nicht mehr vorhanden ist, und sie eine zweite Ausfertigung zur Vollstreckung gegen den Schuldner benötigt. Das Interesse der Gläubigerin ist berechtigt, weil es - auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts - keine erheblichen Einwendungen des Schuldners gegen die Berechtigung der Gläubigerin zur weiteren Vollstreckung gibt.
18 
Die Forderung der Gläubigerin aus dem Titel vom 16.09.2008 ist nicht nachträglich durch Erfüllung erloschen. Die vom Schuldner behaupteten Zahlungen an die Gläubigerin hatten keine Erfüllungswirkung, weil für die Gläubigerin ein Betreuer bestellt und ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet war (vgl. ausführlich BGH, NJW 2015, 2497). Soweit man in der Bestätigung der Gläubigerin vom 11.04.2011 ein negatives Schuldanerkenntnis sieht, ist dieses gemäß §§ 1903 Abs. 1 Satz 2, 108 Abs. 1 BGB unwirksam. Zahlungen des Schuldners an die Gläubigerin und die Bestätigung vom 11.04.2011 wurden vom Betreuer zu keinem Zeitpunkt genehmigt.
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Insbesondere ergibt sich aus der Herausgabe der ersten vollstreckbaren Ausfertigung des Versäumnisurteils durch den Betreuer auf Grund seines Schreibens an den Gerichtsvollzieher vom 12.07.2017 (AS. 149) keine Genehmigungserklärung zu Gunsten des Schuldners. Die Herausgabe eines Vollstreckungstitels durch die Gläubigerin enthält - ebenso wie die Ausstellung einer Quittung - in aller Regel keine Willenserklärung zu Gunsten des Schuldners. (Vgl. Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 78. Auflage 2019, § 368 BGB Rn. 2, § 371 BGB Rn. 4). Vielmehr ist die Rückgabe eines Schuldtitels in aller Regel nur eine tatsächliche Handlung, mit welcher die Gläubigerin einer Verpflichtung gegenüber dem Schuldner nachkommt, der eine Forderung erfüllt hat. Vorliegend hat der Betreuer mit der Rückgabe des Titels eine - vermeintliche - Verpflichtung gegenüber dem Schuldner erfüllt, nachdem er vom Prozessbevollmächtigten der Schuldnerin zur Vermeidung einer Vollstreckungsabwehrklage hierzu aufgefordert worden war. Die Rückgabe des Schuldtitels hat unter diesen Umständen keinen Erklärungswert im Sinne einer Willenserklärung zu Gunsten des Schuldners.
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c) Überwiegende Interessen des Schuldners stehen der Erteilung einer zweiten vollstreckbaren Ausfertigung nicht entgegen. Dies ergibt sich schon daraus, dass am Fortbestand der titulierten Forderung auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts kein Zweifel besteht (siehe oben). Eine Doppelvollstreckung ist ausgeschlossen, da die erste vollstreckbare Ausfertigung vernichtet ist.
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d) Der Umstand, dass die erste vollstreckbare Ausfertigung vom Betreuer der Gläubigerin freiwillig an den Schuldner herausgegeben wurde, ändert entgegen der Auffassung des Schuldners, nichts. Entscheidend ist - im Hinblick auf mögliche Schuldnerinteressen - allein, ob eine weitere Berechtigung der Gläubigerin zur Vollstreckung besteht, was vorliegend unzweifelhaft der Fall ist (siehe oben). Auch aus den vom Schuldner zitierten Entscheidungen anderer Gerichte ergibt sich keine abweichende Auffassung. Das OLG Düsseldorf (MDR 2013, 427) hat ausdrücklich hervorgehoben, dass die Rückgabe eines Schuldtitels im Rahmen von § 733 Abs. 1 ZPO keine Rolle spielt, wenn der Gläubiger die weitere Berechtigung zur Zwangsvollstreckung glaubhaft macht. In der vom Schuldner zitierten Entscheidung des OLG Koblenz (NJW-RR 2013, 1019) spielte die Rückgabe des Schuldtitels nur deshalb eine Rolle, weil sie in einem Zusammenhang mit einer vorausgegangenen vergleichsweisen Einigung über die titulierte Forderung stand. Eine solche vergleichsweise Einigung gab es vorliegend nicht.

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