Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 12 U 39/21

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 05.02.2021, Az. 21 O 93/20 im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.822,10 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.06.2019 sowie weitere 5.478,91 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.09.2018 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz trägt die Klägerin zu 67 % und die Beklagte zu 33 %.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin zu 26 % und die Beklagte zu 74 %.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 11.289,79 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht Zahlungsansprüche nach erfolgtem Widerspruch im Zusammenhang mit zwei Versicherungsverträgen geltend.
Die Versicherungsnehmerin Martina S., geb. R. (nachfolgend: Zedentin S.) schloss bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (nachfolgend: Beklagte) im Jahr 1996 einen Lebensversicherungsvertrag mit dem Recht auf vorgezogene Teilauszahlungen zu festgelegten Terminen und mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung unter der Versicherungsscheinnummer ...39 ab (Versicherungsschein vom 09.10.1996). Versicherungsbeginn war der 01.10.1996; der Ablauf der Beitragszahlung sowie des Versicherungsvertrags war für den 30.09.2032 vorgesehen. Die monatliche Beitragszahlung belief sich auf 100 DM bzw. 51,13 EUR.
Im von der Zedentin S. am 27.09.1996 unterzeichneten Antragsformular, findet sich unter der fettgedruckten Überschrift "Empfangsbekenntnis des Antragstellers" umrahmt folgende Erklärung:
„Hiermit bestätige ich, daß mir die maßgebenden Versicherungsbedingungen (vgl. „Tarife und maßgebende Versicherungsbedingungen", Seite 4) vor der Unterzeichnung des Antrags ausgehändigt worden sind.“
Im Anschluss an die Unterschrift unter der Empfangsbestätigung sind mit fettgedruckter Überschrift „Wichtige Hinweise" im Antragsformular zwei gesondert umrandete Textblöcke enthalten, wobei der zweite Textblock vor einer erneuten Unterschrift der Zedentin S. die nachfolgende Belehrung enthält:
„Sie können innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins vom Versicherungsvertrag zurücktreten bzw. ihm widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung bzw. des Widerspruchs (§ 4 AVB).“
In der Folge zahlte die Zedentin S. vereinbarungsgemäß die monatlichen Prämien, genoss Versicherungsschutz und erhielt regelmäßig Standmitteilungen. Sie beantragte eine Bezugsrechtsänderung auf ihren Ehemann Stefan S. als bezugsberechtigte Person im Todesfall, die von der Beklagten mit Schreiben vom 02.12.1999 bestätigt wurde.
Mit Schreiben vom 13.03.2007 erklärte die Zedentin S. die Kündigung des Versicherungsvertrags. Die Beklagte akzeptierte die Kündigung zum 01.05.2007 und errechnete mit Schreiben vom 16.04.2007 einen garantierten Rückkaufswert in Höhe von 5.308,80 EUR, der zzgl. 369,10 EUR Überschussbeteiligung und abzüglich 307,27 EUR Kapitalertragssteuer an die Zedentin S. ausgezahlt wurde (Auszahlungsbetrag ohne Abzug Kapitalertragsteuer: 5.677,90 EUR). Die Summe aller gezahlten Prämien belief sich auf 6.493,51 EUR.
Am 29.01.2018/16.03.2018 schloss die Zedentin S. mit der Klägerin hinsichtlich des Versicherungsvertrags einen Forderungskauf- und Abtretungsvertrag mit Erlösbeteiligung ab. Mit anwaltlichen Schreiben vom 26.10.2018 und mit Schreiben vom 23.05.2019 forderte die Klägerin unter Vorlage einer Widerspruchs- bzw. Rücktrittserklärung der Zedentin S. vom 29.01.2018 und Abtretungsanzeige die Beklagte erfolglos zur Rückabwicklung des Vertrags auf.
10 
Die Zedentin S. unterhielt bei der Beklagten seit November 1996 zudem einen im Jahr 2016 gekündigten Rentenversicherungsvertrag.
11 
Die Versicherungsnehmerin Anneliese W. (nachfolgend: Zedentin W.) schloss bei der Beklagten im Jahr 2004 im sogenannten Policenmodell einen Vertrag über eine fondsgebundene Rentenversicherung unter der Versicherungsscheinnummer ...65 ab. Versicherungsbeginn war der 01.12.2004; der Ablauf der Beitragszahlung sowie Beginn der Rentenzahlung war zum 01.12.2035 vorgesehen. Die monatliche Beitragszahlung belief sich auf 500 EUR.
12 
Die Beklagte übersandte der Zedentin W. mit Policenbegleitschreiben vom 15.10.2004 den Versicherungsschein. Im Policenbegleitschreiben findet sich unter der Überschrift „Wichtige Hinweise" im nicht gesondert hervorgehobenen dritten von insgesamt sechs Textblöcken unter dem Abschnitt „Widerspruchsrecht" die nachfolgende Belehrung:
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„Wie Ihnen bereits auf Grund unseres Hinweises im Versicherungsantrag bekannt ist, können Sie innerhalb einer bestimmten Frist nach Erhalt des Versicherungsscheins dem Versicherungsvertrag uns gegenüber in Textform widersprechen. Genaue Angaben über Beginn und Ablauf der Frist enthält die Ziffer "Können Sie nach Abschluss des Versicherungsvertrags dem Vertrag noch widersprechen?" in der beigefügten "Verbraucherinformation zu Ihrer Fondsgebundenen Rentenversicherung nach Tarif 1FLR60". BITTE BEACHTEN SIE HIERZU, DASS AUF GRUND EINER ÄNDERUNG DES VERSICHERUNGSVERTRAGSGESETZES (VVG) DIE WIDERSPRUCHSFRIST AB DEM 01.10.2004 VON 14 AUF 30 TAGE VERLÄNGERT WURDE. DIESE REGELUNG GILT SELBSTVERSTÄNDLICH AUCH FÜR IHREN VERTRAG. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.“
14 
In der Folge zahlte die Zedentin W. vereinbarungsgemäß die monatlichen Prämien, genoss Versicherungsschutz und erhielt regelmäßig Standmitteilungen. Am 14.06.2008 verlangte die Zedentin W. eine Beitragsfreistellung, die von der Beklagten mit Schreiben vom 05.08.2008 bestätigt wurde.
15 
Mit Schreiben vom 18.04.2013 begehrte die Zedentin W. die Auszahlung des Rentenversicherungsvertrags. Die Beklagte bestätigte dieses Begehren als Kündigung zum 01.05.2013 und errechnete mit Schreiben vom 03.05.2013 einen Rückkaufswert in Höhe von 18.927,90 EUR, den sie an die Zedentin W. auszahlte.
16 
Am 17.07.2018/24.07.2018 schloss die Zedentin W. mit der Klägerin hinsichtlich des Rentenversicherungsvertrags einen Forderungskauf- und Abtretungsvertrag mit Erlösbeteiligung ab. Mit anwaltlichem Schreiben vom 17.08.2018 und Schreiben vom 10.04.2019 forderte die Klägerin unter Vorlage einer Widerspruchs- bzw. Rücktrittserklärung der Zedentin W. vom 17.07.2018 und Abtretungsanzeige die Beklagte erfolglos zur Rückabwicklung des Vertrags auf.
17 
Die Klägerin hat vorgetragen,
18 
hinsichtlich des Lebensversicherungsvertrags Nr. ...39 habe die Zedentin S. bei Antragstellung keine vollständigen Verbraucherinformationen erhalten. Es fehle die Angabe der garantierten Rückkaufswerte. Ferner sei die Verbraucherinformation unübersichtlich gegliedert. Der Vertrag sei im Policenmodell zustande gekommen. Die Beklagte habe die Zedentin S. nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt. Die Widerspruchsbelehrung sei formal unzureichend und beinhalte keine zutreffende Angabe zum Fristbeginn. Im Übrigen sei auch die Rücktrittsbelehrung fehlerhaft, da sie die Rücktritts- und die Widerspruchsbelehrung vermische. Das Widerspruchsrecht sei auch nicht verwirkt. Bei geleisteten Prämien in Höhe von 6.493,51 EUR ergebe sich zzgl. Nutzungen über 2.722,92 EUR berechnet nach der Nettoverzinsung und abzgl. tatsächlicher Risikokosten in Höhe von 324,68 EUR und der Auszahlung über 5.677,90 EUR eine restliche Forderung in Höhe von 3.213,86 EUR.
19 
Bei dem Rentenversicherungsvertrag Nr. ...65 sei die Zedentin W. ebenfalls nicht ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht belehrt worden. Die Widerspruchsbelehrung sei nicht drucktechnisch hinreichend hervorgehoben und beinhalte keine zutreffende Angabe betreffend den Fristbeginn. Das Widerspruchsrecht sei auch nicht verwirkt. Bei geleisteten Prämien in Höhe von 22.000 EUR ergebe sich zzgl. Nutzungen über 4.647,28 EUR aus den Beiträgen und sonstigen Nutzungen („Kick-Backs“) von 796,55 EUR berechnet nach der Nettoverzinsung und abzgl. tatsächlicher Risikokosten in Höhe von 440 EUR und der Auszahlung über 18.927,90 EUR eine restliche Forderung in Höhe von 8.075,93 EUR.
20 
Die Klägerin hat in erster Instanz nach teilweiser Klagerücknahme zuletzt beantragt:
21 
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 3.213,86 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 20.06.2019 sowie eine Verzugskostenpauschale von 40,00 EUR zu zahlen.
22 
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 8.075,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 10.09.2018 sowie eine Verzugskostenpauschale von 40,00 EUR zu zahlen.
23 
3. Die Beklagte wird weiter verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.554,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten per anno hieraus über den Basiszinssatz seit dem 06.04.2020 freizustellen.
24 
Die Beklagte hat beantragt,
25 
die Klage abzuweisen.
26 
Die Beklagte hat vorgetragen,
27 
beide Verträge seien wirksam geschlossen worden. Jedenfalls seien die geltend gemachten Ansprüche verwirkt. Das Geschäftsmodell der Klägerin, die Lebensversicherungsverträge gewerblich verwerte, stehe nicht im Einklang mit dem Schutzzweck des Gesetzes. Schließlich seien auch die Ausführungen der Klägerin zur Höhe des Rückabwicklungsanspruchs unzutreffend.
28 
Bei dem Lebensversicherungsvertrag Nr. ...39 (S.) seien Risikokosten in Höhe von 95,40 EUR kalkuliert, auf die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung entfielen Beiträge über 133,35 EUR. Es seien Abschlusskosten in Höhe von 865,21 EUR und Verwaltungskosten über 699,62 EUR angefallen. Nutzungen habe die Beklagte aus dem Sparbeitrag in Höhe von 1.097,16 EUR gezogen, aus den Verwaltungskosten allenfalls in Höhe von 5,75 EUR.
29 
Bei dem Rentenversicherungsvertrag Nr. ...65 (W.) seien nur Beiträge in Höhe von 21.500 EUR gezahlt worden. Abschlusskosten seien in Höhe von 3.120 EUR sowie Verwaltungskosten in Höhe von 2.818,81 EUR entstanden. Zusätzlich zu den Sparbeiträgen habe die Beklagte Überschusszuteilungen in Höhe von insgesamt 1.171,25 EUR zum Fondskauf verwenden können. Hinsichtlich der investierten Sparbeiträge sei ein Fondsgewinn in Höhe von 2.305,46 EUR erzielt worden. Aus den Verwaltungskosten habe sie allenfalls Nutzungen in Höhe von 16,95 EUR ziehen können.
30 
Das Landgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil vom 05.02.2021 vollumfänglich abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stünden gegen die Beklagte hinsichtlich beider Versicherungsverträge keine Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs.1 Satz 1 Alt. 1, § 818 BGB zu. Die Klägerin sei aktivlegitimiert. Die Abtretungen seien nicht wegen Verstoßes gegen § 3 Abs. 1, § 2 Abs. 1 RDG oder gegen § 138 Abs. 1 und 2 BGB nichtig. Die Widerspruchsbelehrungen genügten bei beiden Versicherungsverträgen nicht den Anforderungen des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.; bei dem Rentenversicherungsvertrag Nr. ...65 (W.) sei die Belehrung nicht in drucktechnisch deutlicher Form hervorgehoben. Der Lebensversicherungsvertrag Nr. ...39 (S.) sei ebenfalls im Policenmodell geschlossen worden, die Empfangsbestätigung der Zedentin S. im Antragsformular beschränke sich auf den Erhalt der maßgebenden Versicherungsbedingungen; im Übrigen wäre selbst die Belehrung über den Rücktritt im Antrag inhaltlich fehlerhaft. Die Berufung auf das Widerspruchsrecht verstoße aber bei beiden Verträgen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB. Aufgrund der langjährigen Vertragsdurchführung, der erfolgten Abwicklung und des langen Zeitraums zwischen Abwicklung und Widerspruch sei nicht nur das Zeitmoment, sondern auch das Umstandsmoment gegeben.
31 
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge vollumfänglich weiterverfolgt.
32 
Die Klägerin trägt vor,
33 
das Landgericht sei zu Unrecht von der Verwirkung der Ansprüche ausgegangen. Es fehle am Umstandsmoment. Neben dem wertenden Gesichtspunkt, ob sich der Verpflichtete darauf einrichten durfte, dass der Berechtigte sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde, komme es auch darauf an, dass sich der Verpflichtete tatsächlich darauf eingerichtet habe. Seit dem Jahr 2015 bilde die Beklagte mit Rücksicht auf die Auswirkungen der EuGH-Entscheidung und der nachfolgenden nationalen Judikatur auf die Rückabwicklung von Lebensversicherungsverträgen Rückstellungen. Gravierende Umstände, die eine Verwirkung rechtfertigen könnten, seien weder festgestellt, noch dargetan oder sonst ersichtlich. Nach einer neuen Schätzung der Klägerin betrügen die tatsächlichen Risikokosten für den Vertrag Nr. ...65 (W.) in Abweichung von der bisherigen Berechnung nur 55 EUR, die kalkulierten Risikokosten nur 110 EUR.
34 
Hinsichtlich der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung für den Vertrag Nr. ...39 (S.) dürften nicht die gesamten Prämien als Gegenwert des genossenen Berufsunfähigkeitsschutzes angerechnet werden, sondern lediglich die kalkulierten Risikokosten. Ohne Mitteilung der kalkulierten Risikokosten könne die Klägerin weder den Spar- noch den Verwaltungskostenanteil berechnen. Hinsichtlich der gezogenen Nutzungen legt die Klägerin neue Berechnungen auf der Grundlage der Nettoverzinsung vor.
35 
Die Klägerin beantragt nach einer Rücknahme der Berufung hinsichtlich des Antrags Ziff. 2 in Höhe von 500 EUR zuletzt:
36 
Das Urteil der Zivilkammer XXI des Landgerichts Karlsruhe vom 05.02.2021 - 21 O 93/20 - wird abgeändert:
37 
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin
38 
1. einen Betrag von 3.213,86 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 20.06.2019 sowie eine Verzugskostenpauschale von 40,00 EUR zu zahlen;
39 
2. einen Betrag von 8.075,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 10.09.2018 sowie eine Verzugskostenpauschale von 40,00 EUR zu zahlen.
40 
hilfsweise
41 
Unter Aufhebung des Urteils der Zivilkammer XXI des Landgerichts Karlsruhe vom 05.02.2021 - 21 O 93/20 - und des Verfahrens wird die Sache zurückverwiesen.
42 
Die Beklagte beantragt,
43 
die Berufung zurückzuweisen.
44 
Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil, soweit dieses angegriffen wird, unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags. Ergänzend trägt sie vor, die reinen Risikokosten der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung des Vertrags der Zedentin S. seien mit 98,85 EUR kalkuliert worden. Von der Beklagten gezogene Nutzungen seien nicht nach der Nettoverzinsung ihrer Kapitalanlagen, sondern nach der zehnjährigen Null-Kupon-Euro-Swaprate zu bestimmen, da die Versicherungsnehmer mit ihrem Widerspruch zum Ausdruck brächten, an der kollektiven Kapitalanlage des Versichertenkollektivs nicht mehr partizipieren zu wollen und die zehnjährige Null-Kupon-Euro-Swaprate die konservative Anlagepolitik der Versicherer besser abbildete. Hiernach ergäben sich für den Vertrag der Zedentin S. Nutzungen aus den Sparbeiträgen in Höhe von 965,29 EUR und Nutzungen aus den Verwaltungskosten in Höhe von 4,76 EUR. Für den Vertrag der Zedentin W. ergäben sich Nutzungen aus Verwaltungskosten in Höhe von 14,32 EUR.
45 
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird, soweit der Senat keine abweichenden Feststellungen getroffen hat, auf das erstinstanzliche Urteil sowie auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
46 
Die zulässige Berufung der Klägerin ist teilweise begründet.
47 
1. Zutreffend ist das Landgericht von der Aktivlegitimation der Klägerin bzgl. Ansprüchen aus beiden Versicherungsverträgen ausgegangen.
48 
a) Die Klägerin ist aktivlegitimiert, da die jeweiligen Versicherungsnehmerinnen Martina S. (Vertrag Nr. ...39) und Anneliese W. (Vertrag Nr. ...65) die streitgegenständlichen Forderungen jeweils mit „Forderungskauf- und Abtretungsvertrag mit Erlösbeteiligung“ wirksam an die Klägerin abgetreten haben. Die Klägerin zieht aufgrund dieser Vereinbarungen die Forderungen auf eigene, nicht auf fremde Rechnung ein.
49 
aa) Für die Abgrenzung des (echten) Forderungskaufs von der nach § 2 Abs. 2 Satz 1, § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG erlaubnispflichtigen Inkassozession kommt es entscheidend darauf an, ob das wirtschaftliche Ergebnis der Einziehung dem Abtretenden zugute kommen soll. Maßgeblich ist insoweit, ob die Forderung einerseits endgültig, also ohne Möglichkeit der Rückbelastung, auf den Erwerber übertragen wird und dieser andererseits insbesondere das Bonitätsrisiko, das heißt das volle wirtschaftliche Risiko der Beitreibung der Forderung übernimmt (BGH, Urteil vom 21. März 2018 - VIII ZR 17/17, Rn. 25 f., juris; BGH, Beschluss vom 11. Juni 2013 - II ZR 245/11, Rn. 3, juris; jeweils m.w.N.).
50 
Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht die Vereinbarungen zu Recht als Forderungskauf gewertet. Die Forderung wurde mit der jeweiligen Vereinbarung endgültig auf die Klägerin übertragen, eine Rückabtretung ist nicht vorgesehen. Der vereinbarte Kaufpreis in Höhe von 625,25 EUR an die Zedentin S. und in Höhe von 1.026,08 EUR an die Zedentin W. ist nach § 4 Abs. 1 Satz 2 der Vereinbarung vier Wochen nach Annahme des Kaufvertrages durch die Klägerin zur Zahlung fällig. Die Fälligkeit ist mithin nicht an die erfolgreiche Beitreibung der abgetretenen Forderung gebunden. Das Risiko der Forderungseinziehung ist nicht nur in Höhe des vereinbarten Kaufpreises, sondern auch in Höhe der Kosten der Beitreibung, welche ausschließlich von der Klägerin getragen werden, auf Letztere übergegangen. Allein die Beteiligung an dem Beitreibungserlös nach § 5 der Vereinbarung rechtfertigt die Einstufung als Inkassodienstleistung nicht, da die Zedentinnen diese Beteiligung nur unter der Voraussetzung erhalten, dass der Beitreibungserlös die Berechnungsbasis von 3.126,24 EUR bei der Zedentin S. und von 7.329,15 EUR bei der Zedentin W. übersteigt; die Beteiligung ist zudem auf 20 % des Mehrerlöses begrenzt. Das wirtschaftliche Ergebnis der Abtretung kommt daher nur unter engen Voraussetzungen und in begrenztem Umfang der jeweiligen Zedentin zu.
51 
bb) Im Übrigen wäre die Abtretungsvereinbarung auch im Falle der Qualifizierung als erlaubnispflichtige Inkassodienstleistung nicht wegen Verstoßes gegen § 3 RDG nach § 134 BGB nichtig, da die Klägerin zur Einziehung der Forderung aufgrund ihrer Registrierung (ausweislich des Eintrags im Rechtsdienstleistungsregister unter dem von ihr angegebenen Aktenzeichen registriert für Inkassodienstleistungen) nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG berechtigt ist. Ihre Zulassung als Inkassodienstleister deckt auch die Vornahme von mit der Inkassotätigkeit notwendig verbundenen rechtlichen Prüfungen (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2019 - VIII ZR 285/18, BGHZ 224, 89, Rn. 111 ff., juris).
52 
cc) Gründe für eine Sittenwidrigkeit der Vereinbarung (§ 138 BGB) sind nicht ersichtlich. Insbesondere sind keine Anhaltspunkte für die Annahme gegeben, dass die Klägerin eine geschäftliche Unerfahrenheit der jeweiligen Zedentin ausgenutzt haben könnte. Es liegt auch kein auffälliges Missverhältnis der wechselseitigen Leistungen im Sinne von § 138 Abs. 2 BGB vor. Die Klägerin hat sich nicht nur zur Zahlung eines Kaufpreises in Höhe von 20 % des von der Klägerin prognostizierten Beitreibungserlöses zuzüglich 20 % eines etwaigen Mehrerlöses verpflichtet, sondern darüber hinaus auch das Risiko der Beitreibbarkeit der Forderung und der Aufwendung der damit verbundenen Kosten übernommen.
53 
2. Zu Recht hat das Landgericht auch angenommen, dass sowohl die Zedentin S. als auch die Zedentin W. bzw. die Klägerin dem Vertragsschluss noch im Jahr 2018 nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblichen Fassung wirksam widersprechen konnten.
54 
a) Vertrag Nr. ...39 (S.)
55 
aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten wurde der Lebensversicherungsvertrag im Jahr 1996 nicht im Antragsmodell, sondern im Policenmodell geschlossen, weil der Zedentin S. bei Antragstellung die nach § 10a VAG in der seit dem 29.07.1994 geltenden Fassung erforderliche Verbraucherinformation nicht vollständig ausgehändigt wurde.
56 
(1) Zwar hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte (vgl. OLG Köln, Urteil vom 2. Mai 2014 - I-20 U 15/12, Rn. 21, juris; Prölss, in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 5a Rn. 54b) behauptet, die Zedentin S. habe bereits vor der Unterzeichnung des Antrags die Versicherungsbedingungen und vollständigen Verbraucherinformationen erhalten. Sie hat sich hierfür auf die unterzeichnete Empfangsbestätigung berufen und zudem unter Zeugenbeweis gestellt, dass die Antragsdurchschrift für die Versicherungsnehmerin mit den Verbraucherinformationen sowie den Versicherungsbedingungen fest verbunden gewesen sei.
57 
(2) Die Empfangsbestätigung genügt allerdings bereits deshalb nicht für den Nachweis des Erhalts der Verbraucherinformationen, weil darin nur der Empfang der „maßgebenden Versicherungsbedingungen“ bestätigt wird und nicht der Erhalt von (konkret bezeichneten) Verbraucherinformationen.
58 
(3) Das pauschale Vorbringen der Beklagten, die Zedentin S. habe die „vollständigen Verbraucherinformationen“ erhalten, umfasst zudem nicht lediglich eine dem Beweis zugängliche Tatsachenbehauptung, sondern auch die Rechtsauffassung, dass die Informationen „vollständig“ waren. Dies ist nicht ausreichend, nachdem die Klägerin konkret vorgetragen hat, dass die Zedentin S. erst mit der Übersendung des Versicherungsscheins vom 09.10.1996 Informationen über die Todesfallleistungen und garantierten Rückkaufswerte erhalten hat. Diesem konkreten Tatsachenvortrag ist die Beklagte nicht entgegengetreten, zumal die Richtigkeit durch den Inhalt des erst nach Antragstellung ausgestellten Versicherungsscheins bestätigt wird. Dort und in der beigefügten „Anlage GW“ erfolgen ausführliche Informationen über die garantierten Leistungen im Todesfall, die garantierten Rückkaufswerte und die beitragsfreien Versicherungssummen. Zudem heißt es unter der Überschrift „Verbraucherinformation“:
59 
„Zu der gesetzlich vorgeschriebenen Verbraucherinformation vor bzw. bei Vertragsabschluß gehören die garantierten Rückkaufswerte und die garantierten beitragsfreien Versicherungssummen zu Ihrer Versicherung, die Ihnen in Anlage GW mitgeteilt werden. Die übrigen zu erteilenden Informationen haben Sie bei Antragstellung in der mit der Antragsdurchschrift verbundenen "Verbraucherinformation zu Ihrer kapitalbildenden Lebensversicherung" erhalten.“
60 
Angesichts dieser Hinweise im Versicherungsschein ist nicht ersichtlich, dass die nach § 10a VAG a.F. in Verbindung mit Anlage D Abschnitt I Nr. 2 b) bis d) erforderlichen Angaben in der Verbraucherinformation zu den Rückkaufswerten, über die Leistungen aus prämienfreier Versicherung und über das Ausmaß, in dem diese Leistungen garantiert sind, bereits bei Antragstellung mitgeteilt wurden, so dass der Versicherungsvertrag im Policenmodell abgeschlossen wurde.
61 
bb) Die Widerspruchsfrist ist nicht in Lauf gesetzt worden, weil eine ordnungsgemäße Belehrung der Zedentin S. über ihr Widerspruchsrecht nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG in der ab dem 29.07.1994 geltenden Fassung bei Aushändigung des Versicherungsscheins weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich ist.
62 
b) Vertrag Nr. ...65 (W.)
63 
Hinsichtlich des unstreitig im Policenmodell abgeschlossenen Vertrags der Zedentin W. liegt ebenfalls keine ordnungsgemäße Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG in der ab dem 01.08.2001 geltenden Fassung vor, weil die Belehrung nicht in drucktechnisch deutlicher Form erfolgt ist.
64 
aa) Der Sinn und Zweck der drucktechnisch hervorgehobenen Belehrung liegt in der Sicherstellung der Rechte des Versicherungsnehmers. Um zu verhindern, dass der Widerspruch aus Unkenntnis der Rechtslage unterbleibt, ist es erforderlich, den Versicherungsnehmer durch eine entsprechende Ausgestaltung auf sein Widerspruchsrecht unübersehbar hinzuweisen. Die Belehrung muss sich aus dem übrigen Text deutlich herausheben und so die Rechtslage unübersehbar zur Kenntnis bringen. Sie darf in den Vertragsunterlagen nicht nahezu untergehen und ist so gesondert zu präsentieren beziehungsweise drucktechnisch so stark hervorzuheben, dass sie dem Versicherungsnehmer nicht entgehen könnte, selbst wenn er nicht nach einer Widerspruchsmöglichkeit sucht (Senat, Urteil vom 24.03.2016 - 12 U 141/15, Rn. 43, juris).
65 
bb) Diesen Anforderungen genügt die Belehrung im Policenbegleitschreiben vom 15.10.2004 (Anlagenband Beklagte, S. 37 ff.) offensichtlich nicht. Sie ist im Vergleich zum sonstigen Text des dreiseitigen Begleitschreibens nicht hervorgehoben, sondern geht in den weiteren, identisch formatierten Informationen etwa zum Beitrag, zur Überschussbeteiligung und zu steuerlichen Regelungen unter, die ebenfalls im zweiseitigen Textblock mit der Überschrift „WICHTIGE HINWEISE“ enthalten sind. Soweit angenommen werden kann, dass es sich bei dem von der Beklagten vorgelegten Policenbegleitschreiben nur um eine Reproduktion handelt, welche nicht der Gestaltung des Originaldokuments entspricht, hat die Beklagte eine den gesetzlichen Anforderungen genügende hervorgehobene Gestaltung im Original weder vorgetragen, noch nachgewiesen.
66 
cc) Darüber hinaus ist die Widerspruchsbelehrung auch inhaltlich unzutreffend, da die fristauslösenden Unterlagen nicht vollständig benannt werden, sondern nur auf den Erhalt des Versicherungsscheins abgestellt wird (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 24. Februar 2016 - IV ZR 201/14, Rn. 11, juris; BGH, Urteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 448/14, Rn. 25, juris).
67 
3. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war die Ausübung der Widerspruchsrechte bezüglich beider Verträge nicht verwirkt.
68 
a) Im Fall nicht ordnungsgemäßer Belehrung kann der Versicherer grundsätzlich kein schutzwürdiges Vertrauen in Anspruch nehmen, weil er die Situation selbst herbeigeführt hat (BGH, Urteil vom 1. Juni 2016 - IV ZR 343/15, Rn. 21, juris; BGH, Urteil vom 7. Mai 2014 - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101, Rn. 39, juris). Etwas anderes kann sich im Einzelfall ergeben, wenn der Versicherungsnehmer durch sein Verhalten den Eindruck erweckt hat, den Vertrag unbedingt fortsetzen zu wollen, und sein nachträglicher Widerspruch oder Rücktritt deshalb treuwidrig erscheint. Insoweit reicht allerdings die "normale" Vertragsdurchführung - sei es auch über einen langen Zeitraum - nicht aus. Erforderlich sind vielmehr besonders gravierende Umstände (Senat, Urteil vom 18. August 2020 - 12 U 77/19, Rn. 59, juris; BGH, Beschluss vom 3. Juni 2020 - IV ZB 9/19, Rn. 14, juris; BGH, Urteil vom 26. September 2018 - IV ZR 304/15, Rn. 23, juris; Senat, Urteil vom 6. Dezember 2016 - 12 U 137/16, Rn. 26, juris). Allein ein langer Zeitablauf zwischen der Kündigung mit Auszahlung des Rückkaufswerts und einem späteren Widerspruch genügt nicht (BGH, Urteil vom 1. Juni 2016 - IV ZR 343/15: 8 Jahre).
69 
b) Unter Zugrundelegung dieser im Grundsatz hohen Anforderungen ist hier bzgl. des Vertrags Nr. ...65 (W.) nicht von einer Verwirkung des Widerspruchsrechts auszugehen.
70 
Insoweit genügen weder die Beitragsfreistellung, das Auskunftsverlangen über die aktuellen Vertragswerte und die Kündigung nebst Auszahlung. Diese Umstände waren nicht geeignet, den Willen der jeweiligen Versicherungsnehmerin zur unbedingten Vertragsfortführung zum Ausdruck zu bringen, sondern zählen zum normalen Vertragsleben. Auch bei einer Gesamtschau dieser Umstände und unter Berücksichtigung des Zeitablaufs sowie dem Gesichtspunkt, dass die Klägerin nach ihrem Geschäftsmodell Versicherungsverträge aufkauft und profitorientiert arbeitet, rechtfertigt sich keine andere Beurteilung.
71 
c) Auch eine Verwirkung des Widerspruchsrechts bzgl. des Vertrags Nr. ...39 (S.) ist trotz der - ganz erheblichen - verstrichen Zeit zwischen Vertragsschluss und Widerspruch einerseits sowie zwischen Kündigung und Widerspruch andererseits angesichts des Fehlens weiterer besonderer Umstände nicht gegeben.
72 
Dabei ist zu berücksichtigen, dass weder die Änderung des Bezugsrechts im Todesfall noch das Auskunftsverlangen über die aktuellen Vertragswerte und der Abschluss eines weiteren Versicherungsvertrags für sich genommen für die Annahme des Umstandsmoments ausreichen.
73 
Allerdings ist hier von einem außergewöhnlich langen Zeitmoment auszugehen, nachdem zwischen dem Vertragsschluss und dem Widerspruch mehr als 21 Jahre lagen und nach der bereits im Jahr 2007 erklärten Kündigung noch weitere fast 11 Jahre vergangen sind, bis schließlich der Widerspruch erklärt wurde. Je länger der Gläubiger untätig bleibt, obwohl eine Geltendmachung seiner Rechte zu erwarten wäre, desto mehr wird der Schuldner in seinem Vertrauen schutzwürdig, der Gläubiger werde ihn nicht mehr in Anspruch nehmen (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2000 - X ZR 150/98,Rn. 43, juris; Senat, Urteil vom 06. Dezember 2016 – 12 U 137/16 –, Rn. 33, juris). Bei einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung durch den Gläubiger und der damit erkennbaren Erschwernis der Ausübung des Widerspruchsrechts sind allerdings auch bei langem Zeitablauf grundsätzlich zusätzlich weitere gravierende Umstände erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2021 - IV ZR 67/20, juris; BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2020 - IV ZR 272/19, juris; OLG München, Beschluss vom 01. Dezember 2020 – 25 U 5829/20 –, Rn. 20, juris). Es müssen also auch hier regelmäßig noch weitere Umstände hinzukommen, die ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten in den unbedingten Bestand des Vertrags begründen (vgl. etwa Senat, Urteil vom 30. Mai 2018 – 12 U 14/18 –, Rn. 30, juris [Widerspruch 17 Jahre nach Vertragsschluss und 11 Jahre nach Kündigung durch Versicherer bei Stellung eines Leistungsantrags durch den Versicherungsnehmer]; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 12. August 2019 – 11 U 95/18 –, Rn. 36, juris [Erklärung des Widerspruchs 21 Jahre nach Abschluss und 12 Jahre nach Kündigung des Vertrags - zusätzlich fast durchgängige Abtretung als Sicherheit]). An derartigen Umständen fehlt es vorliegend, so dass eine Verwirkung nicht gegeben ist. Soweit die Frage der Verwirkung bei außergewöhnlich langem Zeitablauf in der von Beklagtenseite angeführten obergerichtlichen Rechtsprechung im Einzelfall anders beurteilt wird, folgt der Senat dem nicht.
74 
4. Hinsichtlich der Höhe des Rückabwicklungsanspruchs sind die geltend gemachten Ansprüche nur zum Teil begründet.
75 
a) Vertrag Nr. ...39 (S.)
76 
aa) Bei der Berechnung der Höhe des bereicherungsrechtlichen Anspruchs ist zunächst von den unstreitig von der Zedentin S. gezahlten Versicherungsprämien in Höhe von 6.493,51 EUR auszugehen.
77 
bb) Hiervon abzuziehen ist der Wert des genossenen Versicherungsschutzes, der auf Grundlage der Versicherungsprämie, die wiederum auf der Kalkulation des Versicherers beruht, geschätzt werden kann (vgl. Senat, Urteil vom 27. September 2019 - 12 U 78/18, Rn. 47, juris; BGH, Urteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, Rn. 36 f., juris; BGH, Urteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 448/14, Rn. 35, juris). Die kalkulierten Risikokosten für die Hauptversicherung beliefen sich nach dem insoweit nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten auf näherungsweise 95,40 EUR.
78 
Die Beiträge für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in Höhe von 133,35 EUR sind in vollem Umfang in Abzug zu bringen sind (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 22. Juli 2019 - 4 U 977/19, juris Rn. 3; OLG Frankfurt, Beschluss vom 7. März 2019 - 12 U 139/17, juris Rn. 7). Der von der Klägerin auf Grundlage tatsächlicher Risikokosten zunächst angegebene Betrag von insgesamt 324,68 EUR ist nicht maßgeblich, ebenso wenig wie die in der Berufungsinstanz angegebenen kalkulierten Risikokosten von insgesamt 114,38 EUR bzw. 96,85 EUR. Bei der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung handelt es sich um eine reine Risikoversicherung, so dass die hierauf entfallenden Beiträge als Gegenwert des bis zum Widerspruch genossenen Versicherungsschutzes bei einer Rückabwicklung insgesamt nicht berücksichtigt werden (OLG Dresden, Beschluss vom 22. Juli 2019 – 4 U 977/19 –, Rn. 3, juris; vgl. auch BGH, Urteil vom 11. Mai 2016 – IV ZR 348/15 –, Rn. 25, juris und BGH, Urteil vom 29. Juli 2015 – IV ZR 384/14 –, Rn. 37, juris mit jeweils ausdrücklicher Billigung einer solchen Berechnungsweise). Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass nach Auffassung anderer Obergerichte auch in Bezug auf eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung allein die tatsächlich kalkulierten anzusetzen seien (etwa OLG Köln, Urteil vom 09. Oktober 2020 – 20 U 105/20 –, Rn. 42, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 21. Dezember 2017 – 7 U 80/17 –, Rn. 77, juris), folgt dem der Senat nicht.
79 
cc) (1) Ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen kann den Sparanteil der Prämien und den Verwaltungskostenanteil betreffen, soweit die Beklagte auf diese Weise den Einsatz sonstiger Finanzmittel ersparte, die sie zur Ziehung von Nutzungen verwenden konnte (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2020 - IV ZR 5/19, Rn. 14 m.w.N., juris; BGH, Urteil vom 26. September 2018 - IV ZR 304/15, Rn. 31, juris). Anders als die Beklagte annimmt, ist zum Zwecke der Nutzungsbewertung der volle Verwaltungskostenanteil - und nicht etwa nur ein unverbrauchter Anteil hiervon - heranzuziehen (Senat, Urteil vom 27. September 2019 – 12 U 78/18, Rn. 55, juris). Die Verwendung von Kostenanteilen zur Bestreitung von Aufwendungen des Versicherungsbetriebs wirkt nicht bereicherungsreduzierend, weil die Beklagte auf diese Weise den Einsatz sonstiger Finanzmittel erspart hat (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, Rn. 42, juris, m.w.N.). Diese anderweitigen Finanzmittel konnte die Beklagte zur Ziehung von Nutzungen verwenden (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 2018, aaO). Nutzungen aus dem Risikoanteil, der dem Versicherer als Wertersatz für den vom Versicherungsnehmer faktisch genossenen Versicherungsschutz verbleibt, stehen dem Versicherungsnehmer hingegen nicht zu; auch der auf die Abschlusskosten entfallende Prämienanteil bleibt für Nutzungsersatzansprüche außer Betracht (BGH, Urteil vom 26. September 2018 - IV ZR 304/15, Rn. 31 m.w.N., juris).
80 
Entgegen der durch die Beklagten in der Berufungsinstanz geäußerten Rechtsauffassung ist für die Bemessung der gezogenen Nutzungen nicht auf die Null-Kupon-Euro-Swaprate abzustellen. Auch wenn es zutreffen mag, dass Lebensversicherer in der Vergangenheit wesentliche Teile ihrer Kapitalanlagen in festverzinsliche Papiere, maßgebend in Staatsanleihen, angelegt und mit diesen Kapitalanlagen eine geringere Rendite erzielt haben, als ihre auch Sondereffekte berücksichtigende Nettoverzinsung widerspiegelt (vgl. Grote/Schaaf, VersR 2020, 521, 524), eignet sich eine abstrakte Größe wie eine Festzins-Swaprate grundsätzlich nicht, die Nutzungsziehung nach § 818 Abs. 1 BGB näherungsweise zu bestimmen. Denn der Nutzungsbegriff in § 818 Abs. 1 BGB bezieht sich grundsätzlich auf die durch den individuellen Schuldner tatsächlich gezogenen Nutzungen. Erst wenn deren Bestimmung nicht möglich ist, kann auf abstrakte Erfahrungssätze zurückgegriffen werden (vgl. BGH, Urteil vom 04. Juni 1975 – V ZR 184/73 –, BGHZ 64, 322-325, Rn. 16). Im vorliegenden Fall kann zwar die konkrete Verwendung der Verwaltungskostenanteile im Vermögen der Beklagten nicht nachvollzogen werden, jedoch bietet die individuelle Nettoverzinsungsrate der Beklagten zumindest hinsichtlich ihrer Gesamtanlageerträge eine geeignete Berechnungsgrundlage. Damit verbietet sich ein Rückgriff auf andere Zinssätze, die in keinerlei Bezug zu der individuellen Ertragssituation der Beklagten stehen (vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 05. Februar 2021 – 20 U 24/20 –, Rn. 14, juris).
81 
(2) Hinsichtlich der Ziehung von Nutzungen obliegt der Klägerin die Darlegungs- und Beweislast, die ihren Tatsachenvortrag nicht ohne Bezug zur Ertragslage des jeweiligen Versicherers auf die tatsächliche Vermutung einer Gewinnerzielung in bestimmter Höhe stützen kann (vgl. Senat, Urteil vom 3. März 2020, 12 U 53/19, juris Rn. 126; BGH, Urteil vom 13. November 2019 - IV ZR 324/16, Rn. 18 f., juris; BGH, Urteil vom 26. September 2018 - IV ZR 304/15, Rn. 34, juris). Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Grundsätze hat die Klägerin die Nutzungen der Beklagten, mit der in der Berufungsinstanz nachgereichten Neuberechnung ausreichend dargelegt. Eine Schätzung auf dieser Grundlage ist möglich.
82 
Die Klägerin legt ihrer Berechnung die Nettoverzinsung der Beklagten als aussagekräftigen Maßstab zur Schätzung der tatsächlichen Nutzungsziehung gemäß § 287 ZPO zu Grunde (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 27. September 2019 - 12 U 78/18, Rn. 63 m.w.N., juris). Der von der Klägerin in Ansatz gebrachte Sparanteil vom 4.699,93 EUR korreliert exakt mit den Angaben der Beklagten im Schriftsatz vom 22.06.2020 (Klageerwiderung). Nach Angaben der Beklagten verteilen sich die Beiträge (6.493,51 EUR) auf 865,21 EUR Abschlusskosten, 699,62 EUR Verwaltungskosten, 95,40 EUR kalkulierte Risikobeiträge und 133,35 EUR BUZ-Beiträge. Damit verbleibt exakt der in der Anlage B2 eingesetzte Sparanteil. In der Anlage B2 ist ein Verwaltungskostenanteil von 1.068,82 EUR angesetzt. Die Beklagte gesteht allerdings lediglich einen Verwaltungskostenanteil von 699,62 EUR (entspricht 65% des von der Klägerin angesetzten Betrags) zu. Für den von der Klägerin behaupteten höheren Verwaltungskostenanteil ist die Klägerin beweisfällig. Infolgedessen reduziert sich auch der in der Anlage B2 errechnete Betrag der Nutzungen aus dem Verwaltungskostenanteil anteilig auf 799,05 EUR (65% von 1.229,31 EUR).
83 
Die in die Berechnung eingesetzten Werte zur Nettoverzinsung hat die Beklagte nicht bestritten. Auch sonst sind keine Bedenken gegen die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Berechnung erkennbar. Der Beklagten, die über sämtliche relevanten Informationen zur Beitragszerlegung und zu ihrer Nettoverzinsung verfügt, obliegt insoweit, sofern sie den nunmehr vorliegenden konkreten und substantiierten Vortrag der Klägerin bestreiten will, eine sekundäre Darlegungslast. Konkrete Einwendungen gegen die mit Schriftsatz vom 01.06.2021 vorgelegten Berechnungen hat die Beklagte nicht vorgebracht. Soweit die Beklagte bereits zuvor in der Klageerwiderung behauptet hat, sie habe „unter Berücksichtigung ihrer Ertragslage allenfalls“ Nutzungen in Höhe von 1.097,16 EUR aus dem Sparanteil und in Höhe von 5,75 EUR aus dem Verwaltungskostenanteil ziehen können, genügt dies nicht für ein substantiiertes Bestreiten, zumal die Beklagte nicht den oben dargestellten Grundsätzen zur Schätzung der gezogenen Nutzungen folgt.
84 
(3) Es ist somit hinsichtlich der gezogenen Nutzungen bzgl. des Sparbeitrags von dem in der Anlage B2 dargestellten Betrag von 1.535,62 EUR auszugehen. Bezüglich des Verwaltungskostenanteils, der über den Kündigungszeitpunkt hinaus bis zum Widerspruch zur Nutzungsziehung zur Verfügung stand, sind Nutzungen von 699,62 EUR in Ansatz zu bringen.
85 
dd) Unter Berücksichtigung der unstreitig in Höhe von 5.677,90 EUR erfolgten Auszahlung nach Kündigung ergibt sich folgende Berechnung:
86 
Versicherungsprämien
 6.493,51 EUR
 abzgl. Risikokosten Hauptversicherung
-  95,40 EUR
 abzgl. Beiträge BUZ
- 133,35 EUR
 zzgl. Nutzungen Sparanteil
+ 1.535,62 EUR
 zzgl. Nutzungen Verwaltungskostenanteil
+ 699,62 EUR
 abzgl. Auszahlungen
- 5.677,90 EUR
Gesamt
 2.822,10 EUR
87 
b) Vertrag Nr. ...65 (W.)
88 
aa) Bei der Berechnung der Höhe des bereicherungsrechtlichen Anspruchs ist zunächst von gezahlten Versicherungsprämien in Höhe von insgesamt 21.500 EUR auszugehen. Ursprünglich weitergehende Zahlungen, welche die Klägerin mit einem Betrag von insgesamt 22.000 EUR behauptet hatte, sind von ihr weder dargelegt, noch nachgewiesen und mit der teilweisen Klagerücknahme in der Berufungsinstanz auch gegenstandslos.
89 
bb) Hiervon abzuziehen sind Risikokosten in Höhe des in erster Instanz unstreitigen Betrags von 440 EUR. Soweit die Klägerin in der Berufungsinstanz erstmals vorträgt, auf Basis der in der Klageerwiderung genannten Zahlen berechneten sich kalkulierte Risikokosten von lediglich 110 EUR, ist dieser neue Vortrag nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, weshalb die Klägerseite ihre Schätzung zu den kalkulierten Risikokosten nicht bereits im ersten Rechtszug korrigiert hat, wenn nach eigenem Vorbringen die Möglichkeit hierzu mit Zugang der Klageerwiderung bestanden hat.
90 
cc) Bezüglich der anzusetzenden Nutzungen ist auch hier von den oben dargestellten Grundsätzen auszugehen.
91 
(1) Die Nutzungen aus dem Sparanteil sind in Form eines Fondsergebnisses von 2.305,46 EUR unstreitig.
92 
(2) Die behaupteten und von der Beklagten bestrittenen Rückflüsse aus den Verwaltungskosten der Fonds (“Kick-Backs“) in Höhe von 796,55 EUR kann die Klägerin bereits aus Rechtsgründen nicht beanspruchen. Dabei handelt es sich weder um Prämienbestandteile noch um Nutzungen aus von der Zedentin W. gezahlten Prämienbestandteilen (vgl. Senat, Urteil vom 27. September 2019 - 12 U 78/18, Rn. 75, juris; BGH, Urteil vom 21. Juni 2017 - IV ZR 176/15, Rn. 2, juris).
93 
(3) Für die Nutzungen aus den Verwaltungskosten hat die Klägerin in der Anlage B3 einen Verwaltungskostenanteil vom 2.629,56 EUR zu Grunde gelegt. Die Beklagte hat den Verwaltungskostenanteil in ihrer Klageerwiderung mit 2.818,81 EUR und somit höher angegeben. Allerdings hat die Beklagte unstreitig Überschüsse von 1.171,25 EUR in den Fonds zugeteilt, wo sie im weiteren Verlauf an dessen Performance teilhatten. Es ist davon auszugehen, dass diese Überschüsse sich aus nicht verbrauchten Verwaltungskosten gespeist haben, so dass ein für die Nutzungsziehung verfügbarer Verwaltungskostenanteil von (2.818,81 EUR - 1.171,25 EUR =) 1.647,56 EUR verblieb. Damit reduziert sich der in der Anlage B3 errechnete Betrag der Nutzungen ebenfalls anteilig. Es sind (1.647,56 EUR / 2.629,56 EUR entspricht) 63% des errechneten Betrags von 1.652,93 EUR, somit 1.041,35 EUR, anzusetzen.
94 
Bedenken gegen die Richtigkeit der in Anlage B3 vorgelegten Berechnung, die zutreffend auf der Nettoverzinsung der Beklagten beruht, sind weder vorgebracht noch ersichtlich.
95 
dd) Unter Berücksichtigung der unstreitig in Höhe von 18.927,90 EUR erfolgten Auszahlung nach Kündigung ergibt sich folgende Berechnung:
96 
Versicherungsprämien
 21.500,00 EUR
 abzgl. Risikokosten
- 440,00 EUR
 zzgl. Nutzungen Sparanteil
+ 2.305,46 EUR
 zzgl. Nutzungen Verwaltungskostenanteil
+ 1.041,35 EUR
 abzgl. Auszahlungen
- 18.927,90 EUR
Gesamt
 5.478,91 EUR
                 
97 
5. a) Der Zinsanspruch rechtfertigt sich gemäß § 288 Abs. 1 Satz 2, § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 BGB ab dem von der Klägerin jeweils geltend gemachten Zeitpunkt aus Verzug, da bzgl. des Vertrags der Zedentin S. eine ernsthafte und endgültigen Ablehnung der Ansprüche mit Schreiben vom 07.06.2019 erfolgt ist und bei dem Vertrag der Zedentin W. die Frist im anwaltlichen Schreiben vom 17.08.2018, welches als verzugsbegründende Mahnung anzusehen ist, abgelaufen ist.
98 
b) Ein Anspruch auf die Verzugspauschale in Höhe von 40 Euro besteht bzgl. beider Verträge nicht, weil es sich bei dem geltend gemachten Bereicherungsanspruch der Klägerin nicht um eine Entgeltforderung i.S.d. § 288 Abs. 5 BGB handelt (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 2017 - XI ZR 362/15, Rn. 46, juris).
III.
99 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO. Für die erste Instanz ist zu berücksichtigen, dass die Klage noch vor dem Verhandlungstermin in erheblichem Umfang teilweise zurückgenommen wurde. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
100 
Gründe gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, bestehen nicht. In Bezug auf die Berücksichtigung der Kosten der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung wurde der Abzug der gesamten hierauf entfallenden Prämien bereits durch den Bundesgerichtshof als zulässige Berechnungsweise bestätigt. Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall in Bezug auf eine mögliche Verwirkung obliegt grundsätzlich dem Tatrichter (BGH, Beschluss vom 11. November 2015 –- IV ZR 117/15, juris Rn. 16).

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