Endurteil vom Oberlandesgericht München - 20 U 2914/19

Tenor

I. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 03.05.2019, Az. 73 O 3942/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.391,21 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.01.2019 zu bezahlen, und den Kläger von sämtlichen noch offenstehenden Darlehensraten, höchstens jedoch einem Gesamtbetrag von weiteren 1.836 €, freizustellen, die der Kläger bis zum 30.03.2021 an die Sparkasse L., …, … im Rahmen des Darlehnsvertrages vom 11.05.2016 mit Laufzeit bis 30.03.2021 zu zahlen hat, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkw Skoda Fabia mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …76 .

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 729,23 € freizustellen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen haben die Beklagte 37% und die Klagepartei 63% zu tragen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

1. V. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klagepartei verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen des Erwerbs eines Pkw, in den ein von der Beklagten hergestellter Motor der Baureihe „EA 189“ eingebaut ist.

Mit Kaufvertrag vom 05.04.2013 erwarb die Klagepartei den im Tenor bezeichneten gebrauchten Pkw zum Preis von 9.950 €. Der Kilometerstand zum Zeitpunkt des Kaufs betrug 48.060 km. Der Kaufpreis wurde über zwei Darlehen finanziert. Die Finanzierungskosten belaufen sich auf insgesamt 5.105,21 €.

Für den Fahrzeugtyp wurde die EG-Typengenehmigung mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.

Im September 2015 räumte die Beklagte öffentlich die Verwendung einer entsprechenden Software ein. Unter dem 15.10.2015 erging gegen sie ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) mit nachträglichen Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung, der auch das Fahrzeug des Klägers betrifft. Das KBA ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus und gab der Beklagten auf, diese zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte anderweitig zu gewährleisten. Die Beklagte gab mit Pressemitteilung vom 25.11.2015 bekannt, Software-Updates durchzuführen, mit denen diese Software aus allen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 mit 2,0-Liter-Hubraum entfernt werden sollte. Die Klagepartei ließ in der Folge das Software-Update durchführen.

Mit Schreiben vom 06.09.2018 (Anlage K 20) forderte die Klagepartei die Beklagte erfolglos zur Erstattung des Kaufpreises sowie der Finanzierungskosten unter Fristsetzung bis zum 20.09.2018 auf und bot Zug um Zug die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem landgerichtlichen Urteil Bezug genommen.

Ergänzend stellt der Senat fest, dass die Laufleistung des streitgegenständlichen Pkw am 04.03.2020 177.832 km betrug. Der Kläger hat die bis dahin angefallenen Darlehensraten bezahlt.

Das Landgericht hat mit Endurteil vom 03.05.2019 die Klage abgewiesen.

Die Klagepartei hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.

Die Klagepartei beantragt im Berufungsverfahren zuletzt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.066,21 € € abzüglich eines in das Ermessen des Gerichts gestellten Vorteilsausgleichs, höchstens aber in Höhe von 3.184,91 €, für vom Kläger gezogene Nutzungen, deren Voraussetzungen von der Beklagten noch darzulegen sind, nebst Zinsen auf den danach verbleibenden Betrag in Höhe von 4% p.a. seit dem 05.04.2013 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit aus weiteren 5.105,21 € € zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des PKWs Skoda Fabia 1,6 l mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …76.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von sämtlichen noch offenstehenden Darlehensraten, höchstens jedoch einem Gesamtbetrag von weiteren 3.825 €, welchen der Kläger noch bis zum 30.03.2021 an die Sparkasse L., …, … im Rahmen des Darlehnsvertrages vom 11.05.2016 mit Laufzeit bis 30.03.2021 zu zahlen hat, freizustellen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 € freizustellen.

4. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des PKW Skoda Fabia 1,6 l mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …76 in Annahmeverzug befindet.

Hilfsweise für den Fall, dass das Gericht den Antrag zu 1 und 2. auf Rückzahlung des Kaufpreises und Freistellung vom Restdarlehen abweist:

5. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche Schäden zu ersetzen, die dadurch entstanden sind, dass die Beklagte den PKW Skoda Fabia 1,6 l mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …76 in den Verkehr gebracht hat, obwohl dieser mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet war und daher keinem genehmigten Fahrzeugtyp entspricht, entstanden sind bzw. entstehen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen Wegen des Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung der Klagepartei vom 08.08.2019 (Bd. III Bl. 6/33 d.A.) und die Berufungserwiderung der Beklagten vom 18.02.2020 (Bd. III Bl. 37/99 d.A.), sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.03.2020 (Bd. III Bl. 100/105 d.A.).

II.

Die Berufung der Klagepartei ist zulässig und zum Teil begründet.

1. Die Beklagte haftet der Klagepartei aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. §§ 826, 31 BGB. Die Klagepartei kann von der Beklagten auf dieser Grundlage die Erstattung des Kaufpreises und der Finanzierungskosten - jeweils abzüglich einer Nutzungsentschädigung - nebst Prozesszinsen sowie Freistellung von den noch offenen Darlehnsraten Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verlangen.

a. Das Verhalten der Beklagten ist als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB anzusehen.

aa. Bei der im Fahrzeug der Klagepartei vorhandenen Einrichtung, die bei erkanntem Prüfstandslauf eine verstärkte Abschalteinrichtung aktiviert, handelt es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 171 vom 29. Juni 2007 S. 1 ff.; im Folgenden: VO 715/2007/EG) (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 17 im Folgenden BGH, aaO).

Die unzulässige Abschalteinrichtung konnte grundsätzlich dazu führen, dass die Zulassungsbehörde eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV vornahm, weil das Fahrzeug wegen der gegen Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG verstoßenden Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ (§ 3 Abs. 1 Satz 2 FZV) entsprach (vgl. BGH, Beschluss vom 08.01.2019 - VIII ZR 225/17, juris Rn. 20).

bb. Wenn ein Fahrzeughersteller, wie hier, im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typengenehmigungen der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des KBA zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in den Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen des Fahrzeugkäufers gezielt ausnutzt, steht dies wertungsmäßig einer unmittelbaren Täuschung der Fahrzeugkäufer gleich (vgl. BGH, aaO, juris Rn. 25). Die Beklagte trifft das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, daher gerade auch im Hinblick die Schädigung aller unwissenden Käufer der bemakelten Fahrzeuge. Diese Schädigung stellt die zwangsläufige Folge des Inverkehrbringens der betroffenen Fahrzeuge dar und liegt damit unmittelbar in der Zielrichtung des sittenwidrigen Verhaltens (vgl. BGH, aaO, juris Rn. 25).

b. Der vormalige Vorstand der Beklagten hat von der Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung gewusst. Dieses Wissen ist der Beklagten zuzurechnen (§ 31 BGB).

Die Klagepartei hat umfangreich dazu vorgetragen, wer nach ihrem Wissensstand zu welchem Zeitpunkt Kenntnis von den Entscheidungen bei der Beklagten gehabt und diese seitens des Vorstands der Beklagten gebilligt bzw. angeordnet hat. Auch hat sie vorgetragen, dass dies im Bewusstsein erfolgte, über die Zulassungsfähigkeit der Fahrzeuge zu täuschen. Dabei standen ihr allein öffentlich zugängliche Quellen zur Verfügung. Eine weitergehende Darlegung ist ihr daher nicht möglich. Diesem Vortrag ist die Beklagte im Rahmen der sie insoweit treffenden sekundären Darlegungslast nicht hinreichend entgegengetreten. Die Einlassung der Beklagten, nach dem derzeitigen Ermittlungsstand lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass eines ihrer Vorstandsmitglieder im Sinne des Aktienrechts an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen sei oder die Entwicklung oder Verwendung der Software in Auftrag gegeben oder gebilligt habe, reicht nicht aus. Denn dem Bestreitenden obliegt es im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Nachforschungen zu unternehmen, wenn es ihm zumutbar ist. Hier wären der Beklagten solche Nachforschungen möglich und zumutbar gewesen. Die Behauptung des Anspruchstellers gilt daher nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (vgl. zum Ganzen BGH, aaO, Rn. 35-39).

c. Der Klagepartei ist durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten ein Schaden entstanden, §§ 826, 249 Abs. 1 BGB, der in dem Abschluss des Kaufvertrags über das bemakelte Fahrzeug liegt.

Die Klagepartei hätte den Kaufvertrag in Kenntnis der illegalen Abschalteinrichtung nicht abgeschlossen. Denn nach dem sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung und der Art des zu beurteilenden Geschäfts ergebenden Erfahrungssatz ist auszuschließen, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (vgl. BGH, aaO, Rn. 51).

d. Die für die Beklagte tätigen Personen - namentlich der für die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Beklagten verantwortliche vormalige Vorstand - handelten mit Schädigungsvorsatz. Da dieser nach die grundlegende und mit der bewussten Täuschung des KBA verbundene strategische Entscheidung in Bezug auf die Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Software jedenfalls kannte und jahrelang umsetzte, ist schon nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass ihm als für die zentrale Aufgabe der Entwicklung und des Inverkehrbringens der Fahrzeuge zuständigem Organ bewusst war, in Kenntnis des Risikos einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge werde niemand - ohne einen erheblichen, dies berücksichtigenden Abschlag vom Kaufpreis - ein damit belastetes Fahrzeug erwerben (vgl. BGH, aaO, juris Rn. 63).

e. Die Beklagte hat gem. §§ 249 ff. BGB der Klagepartei sämtliche aus der sittenwidrigen Schädigung resultierenden Schäden zu ersetzen.

Der Ersatzanspruch richtet sich bei § 826 BGB auf das negative Interesse. Wenn wie hier der Geschädigte durch Täuschung eines Dritten zum Abschluss eines Vertrags veranlasst wurde, steht ihm im Rahmen der Naturalrestitution gem. § 249 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Rückgängigmachung der Folgen des Vertrags zu, das heißt Ausgleich der für den Vertrag getätigten Aufwendungen durch den Schädiger gegen Herausgabe des aus dem Vertrag Erlangten (vgl. Rechtsprechung des Senats, Urteile vom 15.01.2020 und 29.01.2020, u.a. 20 U 3219/18, juris Rn. 62).

aa. Die Klagepartei kann daher den von ihr aufgewendeten Kaufpreis Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des erlangten Fahrzeugs an die Beklagte zurückverlangen. Sie muss sich allerdings im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (vgl. BGH, aaO, juris Rn. 64-77).

Die zeitanteilige lineare Wertminderung ist im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer, ausgehend vom Bruttokaufpreis im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO zu ermitteln (BGH, Urteil vom 17.05.1995, VIII ZR 70/97, NJW 1995, 2159, 2161). Dabei ist Anknüpfungspunkt der gezahlte Bruttokaufpreis, der den Nutzungswert des Fahrzeugs verkörpert. Dieser betrug 9.950 Euro. Die im Einzelfall unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende Gesamtfahrlaufleistung stellt den Gesamtgebrauchswert dar. Der Senat schätzt gemäß § 287 ZPO die Gesamtlaufleistung eines Skoda Fabia auf 250.000 Kilometer. Die gefahrenen Kilometer belaufen sich auf 129.772 km. Dies ergibt eine zu berücksichtigende Nutzungsentschädigung von 6.394 Euro (= 9.950 Euro x 129.772 km: 201.940 km). Damit verbleibt aus dem Kaufpreis ein ersatzfähiger Betrag von 3.556 Euro (= 9.950 Euro - 6.394 Euro).

bb. Dem Kaufpreis abzüglich Nutzungsersatz hinzuzurechnen sind im vorliegenden Fall die Finanzierungskosten. Ausweislich der Darlehensverträge haben diese insgesamt 5.105,21 Euro betragen (Anlagen K 22, K 23). Die für die Finanzierung aufgewandten Beträge sind Teil der Kosten für die Beschaffung des Fahrzeuges und daher auch von dem nach §§ 249 ff. BGB im Wege der Naturalrestitution zu leistenden Schadensersatz, der hier darauf zielt, die Klagepartei so zu stellen, wie sie stünde, wenn sie das streitbefangene Fahrzeug nicht erworben hätte.

Darauf, dass der Klagepartei Finanzierungskosten möglicherweise auch anlässlich des Erwerbs eines anderen Fahrzeugs entstanden wären („Sowieso“-Kosten) kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen, zumal nicht unterstellt werden kann, dass derartige Kosten bei jedem Ersatzgeschäft in der nämlichen Höhe angefallen wären.

Die anlässlich der Finanzierung des Fahrzeugs aufgewendeten Kosten sind allerdings nicht in voller Höhe als vergebliche Aufwendungen anzuerkennen. Vielmehr stand auch dieser Aufwendung die - mit Hilfe der Darlehensfinanzierung erkaufte - Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs gegenüber, so dass auch insoweit eine Nutzungsvergütung anzurechnen ist (vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2005 - VIII ZR 275/04, juris Rn. 21 ff.; KG Berlin, Urteil v. 26.09.2019 - 4 U 77/18, juris Rn. 177). Die für diese Aufwendungen anzurechnenden Gebrauchsvorteile sind nicht anders als in Bezug auf den Kaufpreis nach den Grundsätzen der linearen Wertminderung zu berechnen, so dass der Aufwendungsersatzanspruch um den gemessen an der Gesamtlaufleistung des Fahrzeuges auf die Nutzungsdauer durch die Klagepartei entfallenden Anteil zu kürzen ist. Dies ergibt eine zu berücksichtigende Nutzungsentschädigung von 3.281 Euro (= 5.105,21 Euro x 129.772 km: 201.940 km). Damit verbleibt ein ersatzfähiger Betrag von 1.824,21 Euro (= 5.105,21 Euro - 3.281 Euro).

Der Kläger hat bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung insgesamt Zahlungen in Höhe von 13.066,21 Euro geleistet. Offen sind noch 12 Raten zu je 153 €.

Der Zahlungsanspruch des Klägers beläuft sich damit auf 3.391, 21 Euro (13.066,21 Euro abzüglich Nutzungsentschädigung von insgesamt 9.675 Euro). Von den noch offenen Darlehensraten in Höhe von insgesamt 1.836 Euro hat die Beklagte den Kläger freizustellen.

2. Die Verzinsung des gezahlten Kaufpreises seit dem Kaufdatum kann die Klagepartei nicht verlangen. Der Klagepartei steht lediglich ein Anspruch auf Verzinsung des Kaufpreises sowie der Finanzierungskosten jeweils abzüglich der Nutzungsentschädigung seit Rechtshängigkeit (§ 291 BGB) zu.

a. Zinsen nach §§ 849, 246 BGB in Höhe von 4% jährlich ab Zahlung des Kaufpreises kann die Klagepartei nicht verlangen, da sie den bezahlten Kaufpreis nicht ersatzlos weggegeben hat, sondern ihr im Gegenzug Eigentum und Besitz an dem streitgegenständlichen Fahrzeug einschließlich abstrakter Nutzungsmöglichkeit eingeräumt wurden.

Nach § 849 BGB kann zwar in den Fällen, in denen wegen der Entziehung einer Sache der Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache die Wertminderung zu ersetzen ist, eine Verzinsung des zu ersetzenden Betrages von dem Zeitpunkt an verlangt werden, der der Bestimmung des Werts zugrunde gelegt wird. Die Norm greift nicht nur bei einer Sachentziehung oder -beschädigung ein, sondern auch in Fällen, in denen dem Geschädigten Geld entzogen wurde (BGH, Urteil v. 12.06.2018, KZR 56/16, juris Rn. 45 m.w.N.). § 849 BGB ist seinem Wortlaut nach nicht auf die Wegnahme beschränkt und verlangt zudem nicht, dass die Sache ohne oder gegen den Willen des Geschädigten entzogen wird (BGH, Urteil v. 26.11.2007, II ZR 167/06, juris Rn. 4, 5).

Der Regelung des § 849 BGB kann dennoch ein allgemeiner Rechtssatz dahin, deliktische Schadensersatzansprüche seien stets von ihrer Entstehung an zu verzinsen, nicht entnommen werden (BGH, Urteil v. 12.06.2018 - KZR 56/16, juris, Rn. 45 m.w.N.). Der Normzweck geht vielmehr dahin, den endgültig verbleibenden Verlust an der Nutzbarkeit der weggegebenen Sache - als pauschalierten Mindestbetrag - auszugleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann (BGH, NJW 1983, 1614 f.).

Dieser Normzweck ist im hier vorliegenden Fall nicht betroffen, da zwar der Klagepartei ein Geldbetrag in Höhe des Kaufpreises für das Fahrzeug entzogen wurde, die Entziehung aber nicht ersatzlos erfolgte, sondern dadurch kompensiert wurde, dass die Klagepartei im Gegenzug für die Zahlung des Kaufpreises Eigentum und Besitz am Fahrzeug mit der abstrakten Möglichkeit, dieses jederzeit nutzen zu können, erhalten hat (vgl. OLG Hamm, Urteil v. 10.09.2019, 13 U 149/18, juris Rn. 99; OLG Koblenz, Urteil vom 28.08.2019 - 5 U 1218/18, BeckRS 2019, 20653 Rn. 109; OLG Karlsruhe, Urteil v. 06.11.2019, 13 U 37/19, juris Rn. 137; einschränkend unter Abzug einer Wertminderung des Fahrzeugs: OLG Koblenz, Urteil v. 16.09.2019, 12 U 61/19, juris Rn. 84; a.A: OLG Oldenburg, Urteil v. 02.10.2019, 5 U 47/19, BeckRS 2019, 23205 Rn. 41; diesen Gesichtspunkt nicht berücksichtigend: OLG Köln, Urteil v. 17.07.2019 - 16 U 199/18, juris Rn. 29). Ein etwaiger Minderwert des Fahrzeuges hat hierauf keinen Einfluss (a.A.: OLG Koblenz, Urteil v. 16.09.2019, 12 U 61/19, juris Rn. 84). Auch war im Zeitpunkt des Kaufs die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeuges nicht durch eine Stilllegung des Fahrzeuges eingeschränkt.

Überdies wäre der der Kaufpreissumme entsprechende Betrag mit der Möglichkeit, hieraus Nutzungen zu ziehen, nicht weiter in dem Vermögen der Klagepartei verblieben, wenn die Klagepartei in Kenntnis des vorliegenden Mangels den hiesigen Kaufvertrag nicht abgeschlossen und stattdessen den Kaufpreis für ein anderes Fahrzeug aufgewandt hätte (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 28.08.2019 - 5 U 1218/18, BeckRS 2019, 20653, Rn. 109; OLG Karlsruhe, Urteil v. 06.11.2019, 13 U 37/19, juris Rn. 139). Würde man die Verzinsungsregelung des § 849 BGB in diesem Fall gleichwohl anwenden, führte dies zu einer dem Schadensersatzrecht fremden Überkompensation, da die Klagepartei durch das schädigende Ereignis wirtschaftlich besser stünde als ohne dieses. Dies widerspräche dem schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbot (vgl. dazu BGH, Urteil v. 04.04.2014 - V ZR 275/12, juris Rn. 20 m.w.N.).

b. Ferner kann die Klagepartei keine Verzugszinsen gem. §§ 286 Abs. 2 Nr. 4, 288 Abs. 1 BGB verlangen. Zwar kann der Schuldner nach § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB auch ohne Mahnung in Verzug geraten, wenn aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzuges gerechtfertigt ist und kann dies insbesondere dann anzunehmen sein, wenn der Schuldner eine herauszugebende Sache durch eine unerlaubte Handlung erlangt hat, weil der Täter einer unerlaubten Handlung einer besonderen Aufforderung zur Rückgabe grundsätzlich nicht bedarf (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl. 2020, § 286, Rn. 25).

Auch im Anwendungsbereich von § 286 Absatz 2 Nr. 4 ZPO ist eine Geldforderung allerdings nicht anders als nach § 849 BGB nur dann ab Zahlung zu verzinsen, wenn wegen der Entziehung einer Sache der Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache die Wertminderung zu ersetzen ist. Ein solcher Fall liegt hier jedoch auch nach dem Klagevortrag nicht vor. Hier ist kein Geldinvestment, sondern ein auf Sachaustausch gerichteter Kaufvertrag abgeschlossen worden. Umgekehrt wurde der Klagepartei das in Erfüllung des (wirksamen) Kaufvertrags von ihr Geleistete nicht „entzogen“. Die Klagepartei hat vielmehr - anders als bei der betrügerisch bewirkten Hingabe von Geld zu (angeblichen) Anlagezwecken - für das Fahrzeug eine auch tatsächlich genutzte Gegenleistung erhalten. Ein der „Entziehung“ vergleichbarer Sachentzug liegt vorliegend auch nicht darin, dass die Klagepartei den Kaufpreis (über die finanzierende Bank) bezahlt hat. Wollte man schon hierin einen Sachentzug sehen, würde der Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift des § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB überdehnt (vgl. KG Berlin, Urteil vom 26.09.2019 - 4 U 77/18, juris Rn. 203 ff.).

c. Auch die Voraussetzungen des § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 BGB sind nicht gegeben, weil die Klagepartei die ihr obliegende Gegenleistung nicht ordnungsgemäß angeboten hat (vgl. unten Ziffer 4.).

d. Die Beklagte hat aber Prozesszinsen gem. § 291 i.V.m. § 288 Abs. 1 BGB ab 24.01.2019 zu bezahlen; die Zustellung der Klage ist am 23.01.2019 erfolgt.

3. Die Klagepartei hat Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 729,23 Euro.

a. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Beklagten, wonach der Kläger bzw. der von ihm beauftragte Rechtsanwalt ein außergerichtliches Tätigwerden als von vornherein sinnlos und zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht geeignet ansehen musste. Auch wenn die - unzutreffende - Rechtsansicht der Beklagten hinsichtlich ihrer Schadensersatzpflicht aus der Presseberichterstattung bekannt sein mochte, schloss das nicht aus, dass auch ohne Einschaltung der Gerichte eine vergleichsweise Einigung möglich war.

b. Für den Gegenstandswert bzgl. der vorgerichtlichen Tätigkeit ist der Wert des verfolgten Anspruchs zum Zeitpunkt des Tätigwerdens des Klägervertreters maßgeblich. Das Forderungsschreiben des Klägervertreters an die Beklagte (Anlage K 20) datiert vom 06.09.2018. Der Senat schätzt - ausgehend von einer „linearen“ Verteilung der durch die Klagepartei mit dem Auto gefahrenen Kilometer - die bis dahin angefallene Nutzungsentschädigung auf 7.487 €. Damit ergibt sich ein damals berechtigter Forderungsbetrag von rund 7.568 Euro und ein Gebührenanspruch (incl. Auslagenpauschale und Umsatzsteuer) in Höhe von 729,23 Euro.

4. Der Feststellungsantrag ist nicht begründet. Die Beklagte befindet sich nicht in Annahmeverzug (§ 293 ff. BGB). Die Klagepartei hat vorgerichtlich mit Schreiben vom 06.09.2018 (Anlage K 20) die Herausgabe des Fahrzeugs Zug um Zug gegen die Zahlung des bereits bezahlten Kaufpreises und der Finanzierungskosten angeboten. Dieses Angebot entspricht nicht der tatsächlich geschuldeten Leistung, denn die Beklagte hat nur den Betrag zu zahlen, der sich nach Abzug einer angemessenen Nutzungsentschädigung ergibt.

Auch im gerichtlichen Verfahren hat die Klagepartei die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs nicht zu den Bedingungen angeboten, von denen sie sie hätte abhängig machen dürfen. Sie hat zwar im Klageantrag den Vorteilsausgleich in das Ermessen des Gerichts gestellt, jedoch die Auffassung vertreten, für die Nutzungen sei nicht vom Kaufpreis auszugehen, sondern allenfalls vom Schrottwert, sowie die Kapitalnutzung durch die Beklagte zu berücksichtigen, so dass ein Überbetrag zugunsten des Klägers verbleibe (vgl. Bd. I Bl. 100 ff. d.A.). Darüber hinaus hat sie Zinsen ab Zahlung des Kaufpreises verlangt, auf die sie keinen Anspruch hat. Sie hat damit durchgängig die Zahlung eines deutlich höheren Betrags verlangt, als sie hätte beanspruchen können. Ein zur Begründung des Annahmeverzugs auf Seiten der Beklagten geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben (BGH aaO, juris Rn. 86).

III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Bei der Bemessung der Kostenquote berücksichtigt der Senat auch, dass die Klagepartei hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf Zinsen von der Kaufpreiszahlung bis zur Rechtshängigkeit - was einem Betrag von rund 1.868 € entspricht - unterlegen ist. Der Umstand, dass Zinsen als Nebenforderung bei der Bemessung des Streitwerts außer Betracht bleiben, führt nicht dazu, dass eine Zuvielforderung in diesem Bereich bei der Kostenverteilung nicht berücksichtigt werden kann. Ein Teilunterliegen kann auch angenommen werden, soweit eine Partei mit einem Nebenanspruch unterliegt (vgl. BGH, Urteil vom 28.04.1988 - IX ZR 127/87, juris Tz. 28). Soweit die Klagepartei im Antrag die abzuziehende Nutzungsentschädigung in begrenztem Umfang in das Ermessen des Gerichts stellt, ist der von ihr angegebene Höchstbetrag bereits bei der Bemessung des Streitwerts berücksichtigt. Es ist deshalb nicht veranlasst, hinsichtlich der weitergehenden Nutzungsentschädigung gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 2 ZPO von einer Kostenquotelung abzusehen.

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

3. Die Revision wird gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassen, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts zu der Frage erfordert, ob die Klagepartei Anspruch auf Zinsen nach § 849 BGB ab Zahlung des Kaufpreises hat. Der Senat weicht insoweit von den Entscheidungen des OLG Koblenz vom 16.09.2019, Az. 12 U 61/19 (juris Rn. 84), des OLG Köln vom 17.07.2019, Az. 16 U 199/18 (juris Rn. 29) und des OLG Oldenburg vom 02.10.2019, Az. 5 U 47/19 (BeckRS 2019, 23205 Rn. 41) ab, die einen Zinsanspruch ab Zahlung des Kaufpreises bejahen. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist hierzu bislang noch nicht ergangen.

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