Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (2. Senat für Familiensachen) - 8 WF 196/10

Tenor

Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Bernburg – 4 F 426/10 EAUB – wird mit der - lediglich klarstellenden - Maßgabe zurückgewiesen, dass die Unterbringung - wie geschehen - in einer schließbaren Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie genehmigt wird.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Das unter der alleinigen elterlichen Sorge der Kindesmutter stehende 16 – jährige Kind befindet sich seit dem 11.05.2010 in dem Fachklinikum B. – Klinik für Kinder – und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, nachdem das Amtsgericht – Familiengericht - Bernburg durch Beschluss vom 05.05.2010 – 4 F 14/10 UB – seine Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung – längstens bis zum 27.07.2010 – familiengerichtlich genehmigt hatte.

2

Nach dem der Entscheidung zugrunde liegenden jugendpsychiatrischen Gutachten der Dr. med. E. D. und des Dipl-Psychologen F. Sch. vom 29.03.2010 liegt bei dem Kind eine psychische Krankheit vor, die in ihrer Ausprägung eine deutliche soziale Beeinträchtigung und seelische Behinderung darstellt. Die ausgeprägte Sozialverhaltensstörung berge die Gefahr, dass er anderen Personen weiteren erheblichen Schaden unter anderem durch das Anleiten zu Regelübertritten oder durch fremdaggressive Handlungen zufüge und sich selbst in seiner eigenen Entwicklung gefährde. Durch die bestehende psychische Störung sei prognostisch eine weitere Manifestierung bzw. Chronifizierung des Krankheitsbildes wahrscheinlich mit der Gefahr der Entwicklung einer dissozialen Persönlichkeitsstörung. Es erscheine eine Verhaltensverbesserung mit entsprechender Reduktion der Symptomausprägung unter stationären Bedingungen erreichbar zu sein. Es bestehe jedoch die Gefahr eines Scheiterns der stationären jugendpsychiatrischen Intervention ohne die eine Perspektive einer langfristigen intensiven Jugendhilfemaßnahme und einer pädagogischen Betreuung während der Wochenend-Belastungserprobungen.

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Zurzeit wird deshalb der Übergang des Kindes in eine Jugendhilfemaßnahme in der Nähe von C. vorbereitet, die unmittelbar im Anschluss an die stationäre Unterbringung spätestens in 2 Wochen beginnen soll.

4

Die weitere Unterbringung des betroffenen Kindes ist auf Antrag seiner Mutter durch den angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht - Bernburg vom 27.07.2010 – 4 F 426/10 EAUB – bis zum 09.08.2010 im Wege der einstweiligen Anordnung familiengerichtlich genehmigt worden. Der Betroffene leide an einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens, einer dissozialen Persönlichkeitsstörung und einer sonstigen Verhaltens- und emotionalen Störung. Es bestehe weiterhin die Gefahr, dass der Betroffene sich oder Dritte erheblichen Schaden zufüge. Der Betroffene war unmittelbar vor der Entscheidung persönlich angehört worden und hatte erklärt, ihm sei es egal, wie das Gericht entscheide, da es ja nur noch 2 Wochen seien.

5

Mit der am 30.07.2010 beim Amtsgericht Bernburg vom Verfahrensbeistand für den Betroffenen eingelegte Beschwerde wendet er sich gegen die ihm am 28.07.2010 zugestellte Entscheidung. Der Betroffene habe erklärt, dass er weder zwei weitere Wochen in der stationären Einrichtung in B. noch danach in die Einrichtung nach C. gehen möchte. Stattdessen möchte er nach Hause zu seiner Mutter. Wenn er wieder zu Hause sei, würde er sich sofort mit dem Arbeitsamt wegen einer Ausbildung in Verbindung setzen. Eine weitere ambulante Therapie sei für ihn ausreichend.

II.

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1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

7

Die Beschwerde ist nach § 58 Absatz 1 FamFG statthaft. Der Statthaftigkeit des Rechtsmittels gegen die im Wege der einstweiligen Anordnung ergangene Genehmigung der vorläufigen Unterbringung eines Minderjähriger steht insbesondere § 57 Satz 1 FamFG nicht entgegen. Denn gemäß § 167 Absatz 1 FamFG wird das allgemein als Kindschaftssache i.S.d. § 151 Nr. 6 FamFG und als solche gemäß § 111 Nr. 2 FamFG als Familiensache eingeordnete Verfahren über die Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen (gemäß §§ 1631 b, 1800 und 1915 BGB ) dahingehend geregelt, dass die Vorschriften über das Verfahren betreffend die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung eines Volljährigen anzuwenden sind (§§ 312 Nr. 1 FamFG ff). Die im Rahmen der anzuwendenden Verfahrensvorschriften gemäß § 331 FamFG zulässige einstweilige Anordnung ist unbeschränkt anfechtbar, da es sich um keine Familiensache i.S.d. § 111 FamFG handelt und deshalb die Anfechtbarkeit nicht gemäß § 57 FamFG ausgeschlossen ist. Neben diesem systematischen Argument streiten die Bedeutung des Rechtsgutes, in welches mit der angefochtenen gerichtlichen Maßnahme eingegriffen wird, und die Eingriffsintensität für die Anfechtbarkeit einer einstweiligen Anordnung in diesen Verfahren. Der Schutz des Grundrechts aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz auf persönliche Freiheit gebietet eine Rechtsschutzmöglichkeit gegen freiheitsentziehende Maßnahmen, die im Wege einer einstweiligen Anordnung bis zu einer Dauer von 3 Monaten ergehen können (vgl. § 333 S. 4 FamFG). Im Übrigen wollte der Gesetzgeber mit der Neuregelung an der bisherigen Regelung, die eine Anfechtbarkeit einstweiliger Anordnungen in diesem Bereich vorsah (vgl. §§ 70 m Absatz 1, 70 h Absatz 1 Satz 2, 70 g Absatz 3 Satz 1 FGG, Sonnenfeld in Jansen FGG, 3. Auflage 2005, § 70 h Rz 44), festhalten (vgl. OLG Frankfurt Beschl. V. 26.11.2009 – 1 UF 2307/09 – FamRZ 2010, 907, 908). Nach dem in § 167 Absatz 1 FamFG niedergelegten Willen des Gesetzgebers soll das Verfahren der Unterbringung Minderjähriger und der Unterbringung Volljähriger in jeder Hinsicht identisch ausgestaltet sein; eine Unterscheidung hinsichtlich der Anfechtungsmöglichkeit zwischen Minderjährigen und Volljährigen wäre angesichts der Unverletzlichkeit der persönlichen Freiheit gem. Art. 2 II 2 GG sachlich nicht gerechtfertigt und widersinnig (OLG Celle, Beschl. V. 12.3.2010 – 19 UF 49/10, NJW 2010, 1678, 1679). Lediglich eine bereits nach altem Recht angezeigte Klarstellung ist durch die nahezu unveränderte Übernahme von § 620 c ZPO a.F. in § 57 FamFG unterblieben.

8

Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben.

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2. In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg.

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Das Amtsgericht hat zu Recht die vorläufige Unterbringung des Betroffenen im Wege der einstweiligen Anordnung genehmigt.

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Es bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für die Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen gemäß § 1631 b Satz 1 BGB bestehen, weil die Unterbringung zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Nach dem Kindeswohlprinzip kommt es darauf an, dass der Minderjährige wegen seiner geistigen, körperlichen oder seelischen Konstitution der Unterbringung bedarf. Dies ist nach der fachärztliche, psychologischen Stellungnahme der Dr.med. E. D., des Dipl-Med. L. Bn. und des Dipl-Psychologen D. G. vom 20.07.2010 der Fall. Danach besteht die Gefahr fremdgefährdenden Verhaltens. Deshalb und zur Abwehr einer Kindeswohlgefährdung wird ärztlicherseits eine weitere Krankenhausbehandlung unter geschlossenen Bedingungen für weitere 6 Wochen für indiziert angesehen.

12

Auch ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des § 1631 b S. 2 BGB gewahrt, denn die Gefahr kann nicht durch andere mildere Mittel, wie etwa öffentliche Hilfen, abgewendet werden. Nach einer stationären Heimerziehung in einer 5 Tagesgruppe vom 10.09.2006 bis 31.07.2008 hatten sich die Verhaltensauffälligkeiten nach der Rückkehr in das häusliche Umfeld ab August 2008 bis Anfang Januar 2009 zunehmend verschlechtert. Das Kind ist nicht therapieeinsichtig und will nicht in die für notwendig erachtete intensive stationäre Jugendhilfemaßnahme - außerhalb von B. - in die Nähe von C. . Deshalb ist die weitere Unterbringung in der geschlossenen Einrichtung bis zur Vorbereitung der anschließenden Jugendhilfemaßnahme erforderlich.

13

Das Amtsgericht hatte einen Verfahrensbeistand bestellt und das betroffene Kind angehört. Eine Anhörung der sorgeberechtigten Kindesmutter war nicht erforderlich, da diese den Antrag auf Verlängerung der Unterbringung gestellt hatte und eine persönliche Anhörung gemäß § 331 FamFG nicht vorgeschrieben ist.

14

Im Beschwerdeverfahren konnte von weiteren Anhörungen insbesondere der erneuten persönlichen Anhörung des betroffenen Kindes gemäß § 68 Absatz 3 Satz 2 FamFG abgesehen werden, weil davon keine zusätzlichen Kenntnisse zu erwarten wären. Denn der Betroffene ist erst vor kurzer Zeit durch das Amtsgericht angehört worden. Seine in der Beschwerdeschrift zum Ausdruck gebrachte Ablehnung der für ihn geplanten weiteren Jugendhilfemaßnahme kam bereits vor der Anhörung von ihm während seiner stationären Behandlung im Fachklinikum B. zur Sprache und ist kein nach der Haftanordnung sich ergebender neuer Gesichtspunkt, der eine erneute Anhörung des Betroffenen erforderlich erscheinen ließe (vgl. BGH, Beschl. V. 17.6.2010 – V ZB 3/10). Er findet in der ärztlichen Stellungnahme vom 20.07.2010 bereits Erwähnung.

15

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 81 Absatz 3, 84 FamFG,

16

Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 40 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 1 FamGKG.


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