Urteil vom Oberlandesgericht Naumburg (9. Zivilsenat) - 9 U 75/13

Tenor

Die Berufung gegen das am 03. Juli 2013 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stendal wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: 10.219,35 EUR.

Gründe

A.

1

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

B.

2

Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

I.

3

Im Berufungsverfahren sind Entscheidungen des ersten Rechtszugs nach § 513 Abs. 1 ZPO nur noch darauf überprüfbar, ob die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung nach § 546 ZPO beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

II.

4

Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht einen Unterlassungsanspruch gemäß §§ 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 2; 3; 4 Nr. 1 UWG bejaht. Die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers wird hier durch die beanstandete Werbung der Beklagten im Sinne eines sonstigen unangemessenen unsachlichen Einflusses gemäß § 4 Nr. 1 UWG beeinträchtigt. Die Rügen der Beklagten gegen diese rechtliche Wertung des Landgerichts greift insoweit nicht durch. Die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts werden ohnehin nicht angegriffen.

5

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, die das Landgericht auch zutreffend zitiert hat, kommt eine unangemessene unsachliche Beeinflussung dann in Betracht, wenn der angesprochene Verkehr bei Entscheidung, die er zu treffen hat, auch die Interessen dritter Personen zu wahren hat. Soweit ein Versicherungsnehmer die Interessen des Versicherers wahrzunehmen hat, kann das Versprechen eines Vorteils zu seinen Gunsten gegen § 4 Nr. 1 UWG verstoßen, wenn der Versicherungsnehmer dadurch veranlasst werden kann, auf das Angebot einzugehen, ohne den Vorteil an den Versicherer weiterzuleiten (Urteil des ersten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 08. November 2007, Aktenzeichen I ZR 121/06, zitiert nach juris Rdn. 14).

6

Eine unangemessene unsachliche Beeinflussung im Sinne des § 4 Nr. 1 UWG liegt dann nicht vor, wenn der versprochene Vorteil geringfügig und branchenüblich ist, so dass ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass der Versicherer keine Einwände erheben würde (BGH a.a.O. Rn. 21).

7

2. Die Gewährung der Gutscheine hat für die Verbraucher hier geschäftliche Relevanz im Sinne des Lauterkeitsrechts.

8

a) Die Beklagte vertritt in der Berufung die Auffassung, dass es für den sonstigen unangemessenen unsachlichen Einfluss im vorliegenden Fall einem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der geschäftlichen Relevanz fehle. Denn die einen Verbraucher begünstigende und seine Versicherung potenziell benachteiligende Entscheidung träfe dieser gar nicht beim Windschutzscheibenwechsel, sondern erst bei dem Folgegeschäft, bei dem er den Gutschein einlöse.

9

b) Der Senat vermag dieser Argumentation nicht zu folgen. Denn die Gewährung des Gutscheins kann ein Argument für den Verbraucher sein, die Windschutzscheibe bei der Beklagten wechseln zu lassen und nicht ein an sich günstigeres Angebot eines Konkurrenzunternehmens auszuwählen. Auch wenn zum Zeitpunkt dieser Entscheidung noch nicht klar sein mag, ob der Verbraucher den Gutschein tatsächlich in einem Folgegeschäft verwenden wird, so kann er dies doch für ihn ein Argument bei der Vergabe des Reparaturauftrages sein. Die -die Versicherung – benachteiligende Entscheidung wird daher gerade beim "Windschutzscheibenwechsel" getroffen. Denn die Kaskoversicherung muss ggf. für den Windschutzscheibenwechsel einen höheren Betrag aufwenden.

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Die Gewährung des Gutscheins hat ja gerade den Sinn, das Angebot der Beklagten bezüglich des Windschutzscheibenwechsels unabhängig vom Preis attraktiver zu gestalten und damit zusätzlich Verbraucher anzulocken.

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3. Bei der Gewährung der Gutscheine handelt es sich auch nicht um geringfügige branchenübliche Vorteile.

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a) Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass eine erhebliche Beeinflussung der Entscheidungs-und Verhaltensfreiheit nur dann bejaht werden könne, wenn eine geschäftliche Handlung geeignet ist, die Rationalität der Nachfrageentscheidung der angesprochenen Marktteilnehmer vollständig in den Hintergrund treten zu lassen. Eine bloß geringfügige Einwirkung, die nahezu in jedem Angebot eines Verkehrsteilnehmers zu sehen ist, überschreitet diese Grenze nicht.

13

b) Die Gewährung eines Vorteils in Höhe von 30,00 € ist für sich genommen nicht als geringfügig anzusehen.

14

Der Vorteil wird hier auch nicht dadurch geringfügig, dass etwa die Chance, diesen Vorteil auch tatsächlich zu erhalten, geringfügig wäre.

15

Die Beklagte ist ersichtlich der beanstandeten Zeitungswerbung (vgl. Blatt 15 d.A.) Vertragshändlerin der Marke … . Jedenfalls erweckt sie durch die Bezeichnung "… G. " und die Verwendung des Logos der Marke … diesen Eindruck. Zumindest für Fahrer dieser Automarke ergibt sich eine verhältnismäßig hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie den Gutschein in Höhe von 30,00 € innerhalb des Gültigkeitszeitraums auch tatsächlich im Rahmen eines Folgegeschäftes im Umfang von mindestens 150,00 € werden einlösen können. Dieser Personenkreis dürfte ohnehin der Hauptadressat der Werbung sein.

16

3. Der Senat hält auch die Bedenken, die das Landgericht in seiner Entscheidung gegen die Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs geäußert hat, nicht für durchschlagend.

17

a) Das Landgericht argumentiert, dass sich ein Gewerbetreibender grundsätzlich drauf verlassen könne, dass sich seine Kunden rechtskonform verhielten. Andernfalls wäre auch der Vertrieb von Schusswaffen an dazu berechtigte Personen unlauter, weil diese Waffen nicht nur zu legalen Zwecken eingesetzt werden könnten.

18

Dieser Vergleich trifft nicht den vorliegenden Fall. Selbstverständlich dürfte sich die Beklagte auch hier grundsätzlich darauf verlassen, dass der von ihr reparierte Pkw nicht zu Straftaten eingesetzt wird. Dagegen liegt hier – wie bereits ausgeführt – in der Werbung der Beklagten ein Anreiz für Verbraucher, ihre eigenen Vermögensinteressen denen der Kaskoversicherung vorzuziehen. Die Bewertung der Werbung als Unlauter liegt in diesem Anreiz.

19

b) Das zweite Bedenken des Landgerichts betrifft die Auslegung von § 4 Nr. 1 UWG.

20

Im Lichte des Europarechts müsse das Tatbestandsmerkmal "unangemessener unsachlicher Einfluss" ein vergleichbares Gewicht wie die anderen aufgezählten Nötigungsmitteln (z.B. Ausübung von Druck in menschenverachtender Weise) haben. Hierfür genüge eine Einflussnahme auf die Entscheidungsgewalt des Kunden durch das Angebot eines 30,00 € Gutscheins nicht.

21

Hierzu ist zu sagen, dass das Tatbestandsmerkmal "Ausübung von Druck in menschenverachtender Weise" auf das Verhältnis zwischen zwei Personen zugeschnitten ist. Dagegen ist die Versuchung im Dreipersonenverhältnis wesentlich größer, die eigenen Vermögensinteressen denen eines Dritten vorzuziehen. Deshalb ist bei dieser Konstellation auch eine geringere Einwirkungsintensität ausreichend, um das Verhalten als unlauter zu beurteilen.

22

4. Der Senat hat gegen die Fassung des Antrages keine Bedenken.

23

a) Soweit die Beklagte rügt, dass durch die Fassung des Antrages suggeriert werde, dass sie einen Barnachlass gewähre, vermag der Senat diesen Eindruck schlicht nicht nachzuvollziehen.

24

b) Aus der Formulierung des Antrages ist tatsächlich nicht ersichtlich, dass der im Gutschein verbriefte Nachlass erst ab einem Mindestumsatz von 150,00 € versprochen wird. Dies ist aber nicht für die Fassung des Antrages, sondern nur für seine materielle Berechtigung von Bedeutung. Der Mindestumsatz ist lediglich ein Umstand, der im Rahmen der Beurteilung der Erheblichkeit des gewährten Vorteils für die Entscheidung des Verbrauchers zu bewerten ist.

C.

25

I. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Eine Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO war gemäß § 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO nicht auszusprechen, da die Beschwer 20.000,00 EUR nicht übersteigt.

26

II. Die Entscheidung über die Höhe des Gebührenstreitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf den §§ 39 Abs. 1, 47, 63 GKG, 3 ZPO.

27

III. Die Revision war nicht zuzulassen.

28

Die Voraussetzungen für eine Zulassung nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor; denn diese Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Der Bundesgerichtshof hat eine vergleichbare Fallkonstellation bereits entschieden. Der Senat wendet die dort erarbeiteten Maßstäbe nur auf diesen konkreten Fall an.

29

Die Beurteilung des Einzelfalles gebietet auch nicht, die Revision zur Fortbildung des Rechtes zuzulassen, weil die vorliegende Entscheidung nicht von der obergerichtlichen oder höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht.

30

IV. Der nichtnachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 28. Januar 2014 enthält nur Rechtsausführungen, die der Senat zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Neues Vorbringen in tatsächlicher Hinsicht wäre ohnehin gemäß § 296a ZPO inhaltlich nicht zu berücksichtigen. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist dementsprechend nicht geboten. Denn die Voraussetzungen des § 156 ZPO liegen nicht vor.


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