Urteil vom Oberlandesgericht Stuttgart - 3 U 193/03

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 25.09.2003 - Aktenzeichen 21 O 74/03 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 14.681,60 EUR

Gründe

I. Am 02.10.2002 beauftragte die Versicherungsnehmerin der Klägerin, Fa. ... die Beklagte mit dem Transport von 26 Paketen von ihrem Sitz in ... zur Fa. ... mit Sitz in ... in Großbritannien. Während des Transports sind 8 dieser Pakete verloren gegangen. Auf welchem Abschnitt dieses Transports der Verlust eingetreten ist, ist streitig.
Die Klägerin hat an ihre Versicherungsnehmerin zum Ausgleich des Schadens insgesamt 14.681,68 EUR gezahlt und verlangt nunmehr von der Beklagten aus übergegangenem sowie abgetretenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin Ersatz dieses Betrages zzgl. Zinsen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands vor dem Landgericht wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Das Landgericht hat die Beklagte ohne Abstriche zum vollständigen Ersatz des verlangten Schadensersatzes zzgl. Zinsen verurteilt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Mit ihrem Rechtsmittel verfolgt sie ihren erstinstanzlichen Klagabweisungsantrag weiter.
Sie ist nach wie vor der Auffassung, der Verlust der insgesamt 8 Pakete sei in Großbritannien eingetreten. Somit sei gemäß § 452 a HGB englisches Recht anwendbar, welches aber eine sekundäre Einlassungsobliegenheit des Frachtführers nicht kenne. Fälschlicherweise habe zudem das Landgericht die sekundäre Darlegungslast allein dem Prozessrecht zugeordnet. Darüber hinaus bestreite die Beklagte nach wie vor den von der Klägerin behaupteten Inhalt der 8 verloren gegangenen Pakete. Rechnung und Lieferschein (Anlagen K 6 und K 7) bezögen sich lediglich auf die Gesamtlieferung von 26 Paketen. Dem entsprechend beschränke sich der nach der jüngsten BGH-Rechtsprechung (BGH TranspR 2003, 56) auf die genannten Papiere gründende Anscheinsbeweis auch auf den Gesamtinhalt aller 26 Pakete, nicht aber auf den Inhalt der lediglich 8 verloren gegangenen Pakete. Den ihr obliegenden Vollbeweis über den Inhalt der verloren gegangenen 8 Pakete habe aber die Klägerin nicht erbringen können. Die Vermutungen des Landgerichts könnten einen solchen Vollbeweis keinesfalls ersetzen. Denn aus dem bloßen Gewicht der einzelnen Pakete könne nicht auf deren Inhalt geschlossen werden.
Die Beklagte beantragt dem gemäß,
das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 25.09.2003 - Aktenzeichen 21 O 74/03 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt dem gegenüber,
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die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
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Dazu verteidigt sie das Urteil des Landgerichts als richtig.
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II. Die Berufung ist zwar zulässig, aber nicht begründet.
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Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin von der Beklagten Ersatz für die verlorenen 8 Pakete verlangen kann. Anspruchsgrundlage hierfür bilden die § 425 Abs. 1, 435 HGB i. V. m. § 67 Abs. 1 Satz 1 VVG/hilfsweise § 398 BGB, nicht dagegen, wie vom Landgericht angenommen, Art. 17, 29 CMR. Denn weder wurde eine grenzüberschreitende Beförderung der verlorenen Ware mittels eines Kraftfahrzeuges zwischen den Parteien des Frachtvertrages vereinbart noch, was dem gleich steht, in das Ermessen der Beklagten als Auftragnehmerin gestellt (vgl. zu diesen Anwendungsvoraussetzungen den CMR nur: Koller, TranspR, 4. Aufl., Art. 1 CMR Rn. 5). Gemäß § 435 HGB haftet die Beklagte unbeschränkt, weil davon auszugehen ist, dass der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung der Beklagten zurückzuführen ist, die sie oder eine der in § 428 HGB genannten Personen vorsätzlich oder leichtfertig und in dem Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, begangen hat. Auf die Haftungsbeschränkung des § 431 HGB kann sich die Beklagte dem gegenüber nicht berufen.
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1. Die Aktivlegitimation der Klägerin ist im Berufungsverfahren außer Streit. Ausweislich des als Anlage K 9 vorgelegten Deckblatts des Versicherungsscheins (K 9 = Bl. 42) war die Klägerin zum Zeitpunkt des Schadenseintritts (nach dem 02.10.2002) alleiniger Transportversicherer der Fa. ... . Die Abtretung der streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche an die Klägerin ist erfolgt (vgl. die Erklärung der Fa. ... vom 26.02.2003 - Anlage K 2 = Bl. 8). Allerdings ging diese Abtretung wohl ins Leere. Denn in K 2 hat die genannte VN gegenüber der Klägerin die dort erwähnte Zahlung in Höhe von 14.681,68 EUR bestätigt. Somit ist die hier geltend gemachte Schadensersatzforderung schon als Folge dieser Zahlung auf die Klägerin übergegangen (§ 67 Abs. 1 Satz 1 VVG).
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2. Die Übernahme des Transportguts als solche hat die Beklagte zu keiner Zeit in Zweifel gezogen und ebenso wenig den Verlust von 8 der insgesamt 26 Pakete mit den von der Klägerin vorgetragenen Endnummern (vgl. dazu Klageschrift S. 3 i. V. m. den eigenen Angaben der Beklagten in deren Schreiben an die Klägerin vom 09.12.02 - Anlage K 4 = Bl. 15). Unbestritten ist ferner, dass 6 dieser Pakete ein Gewicht von jeweils 12,8 kg sowie weitere 2 Pakete ein solches von jeweils 14,05 kg aufwiesen, woraus sich ein Gesamtgewicht von 104,9 kg errechnet (ebenso: Klagerwiderung S. 3 = Bl. 27 unter Ziff. 3). Auf die Haftungsbeschränkung des § 431 HGB kann sich die Beklagte nicht berufen. Denn sie haftet ohne Rücksicht auf eine solch gewichtsabhängige Haftung gemäß § 435 HGB unbeschränkt, weil ihr ein qualifiziertes Verschulden im Sinne dieser Vorschrift zur Last fällt. Das ist nämlich zu vermuten, weil die Beklagte ihrer sog. sekundären Darlegungslast nicht ausreichend nachgekommen ist. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt diese sog. sekundäre Darlegungslast u.a. dann zum Tragen, wenn, wie hier, der Schadensfall im Dunkeln liegt, weil er sich völlig im Verantwortungsbereich der Beklagten abgespielt hat (OLG Stuttgart, TranspR, 2002, 200, 201 m. w. N.). Verlangt wird somit vom Frachtführer, dass er substantiiert die Umstände darlegen muss, die seines Wissens nach zum Schaden geführt haben. Dazu muss er unter Benennung der beteiligten Personen samt ihrer ladungsfähigen Anschrift den Organisationsablauf in seinem Betrieb offen legen und in zumutbarer Weise dartun und beweisen, welche Schadensverhütungsmaßnahmen er oder seine Hilfspersonen getroffen haben (Koller § 435 HGB Rn. 21). Diesen Anforderungen hat schon der erstinstanzliche Vortrag der Beklagten (vgl. Klagerwiderung S. 3 unten = Bl. 27 d. A.) nicht genügt (so zu Recht das Landgericht unter I. 3. der Entscheidungsgründe). Gegen die dahingehende Wertung des Landgerichts wendet sich die Berufungsbegründung konsequenterweise auch nicht. Genügt der Frachtführer aber, wie hier die Beklagte, seiner sekundären Darlegungslast nicht, wird dessen qualifiziertes Verschulden vermutet (OLG Stuttgart a.a.O.). Entscheidungsrelevant ist deshalb nur, ob es einmal der Klägerin gelungen ist, einen Schaden zu beweisen, der über dem Haftungshöchstbetrag des § 431 HGB liegt und andererseits der Beklagten nicht darin gefolgt werden kann, über § 452 a HGB sei hier englisches Recht anzuwenden, welches aber eine Einlassungsobliegenheit des Frachtführers nicht kenne. Die erste Frage ist im Sinne der Klägerin zu beantworten, die zweite gegen die Beklagte.
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3. Schadenshöhe:
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a) Die Übernahme der 26 Pakete durch die Beklagte ist ebenso unstreitig wie der Verlust von 8 Paketen. Streitig ist nach wie vor der Inhalt dieser verloren gegangenen 8 Pakete. Dies ist eine Frage der Schadenshöhe.
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b) Insoweit hat das Landgericht aus der als Anlage K 3 vorgelegten Übernahmequittung sowie der damit korrespondierenden Rechnung der Fa. ... geschlossen, prima facie spreche alles dafür, dass die dort (in Anlage K 3) aufgeführten Waren tatsächlich in den vom Fahrer der Beklagten übernommenen (insgesamt 26) Paketen gewesen seien. Ausdrücklich offen gelassen hat das Landgericht dagegen die Frage, ob dieser Anscheinsbeweis sich auch auf den Inhalt der 8 verschwundenen Pakete erstrecke (Entscheidungsgründe S. 4 ganz unten). Es hat jedoch anhand der Übernahmequittung (Anlage K 3) festgestellt, dass 6 der 8 verschwundenen Pakete mit den Endnummern 7871, 7899, 7906, 7915, 7933 und 7942 jeweils ein Gewicht von 12,780 kg aufgewiesen haben, was darauf schließen lasse, dass sich in ihnen auch jeweils der selbe Inhalt befunden habe. Da die verschwundenen 6 Pakete zu einer Gruppe von insgesamt 8 Paketen gehörten und diese 8 Pakete jeweils 12,780 kg aufgewiesen hätten, ließen sich die insgesamt 160 bestellten Festplatten der Marke „Maxtor, Typ Fireball 2 F 040J0, 40 GB“ gleichmäßig auf diese 8 Pakete verteilen. Inhalt pro Paket somit 20 Festplatten. Dementsprechend ermittelt hat das Landgericht den Inhalt der darüber hinaus verschwundenen zwei Pakete mit den Endnummern 8085 und 8101 (Einzelheiten: Entscheidungsgründe S. 5 unter I. 2.).
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c) Gegen diese Feststellungen des Landgerichts wendet sich die Berufung vergeblich.
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Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist nämlich das Berufungsgericht an die Feststellungen 1. Instanz gebunden, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen. Solche Anhaltspunkte sind hier nicht ersichtlich.
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aa) Nicht zu beanstanden ist zunächst der Ausgangspunkt des Landgerichts zum Inhalt der 26 versandten Pakete: Sofern Güter, wie hier, in verschlossenen Behältnissen (Kartons) von einem Kaufmann zum Versand gebracht werden, ist nämlich prima facie anzunehmen, dass im Lieferschein und der korrespondierenden Rechnung aufgeführten Waren tatsächlich dort enthalten waren. Denn im gewerblichen Bereich spricht nach der Lebenserfahrung eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür, dass der gewerbliche Kunde exakt die bestellten und sodann seinem Abnehmer in Rechnung gestellten Waren auch tatsächlich versandt hat (BGH TranspR 2003, 156, 159; Koller, § 425 HGB Rn. 41). In der Begründung bedarf das Urteil des Landgerichts nur in soweit einer Korrektur als es die Übernahmequittung (Anlage K 3) als Lieferschein gewertet hat. Tatsächlich ist jedoch der als Anlage K 6 (Bl. 17) vorgelegte „Kommissionierschein“ als Lieferschein anzusehen. Davon geht offensichtlich auch die Beklagte aus (vgl. jedenfalls BB S. 4 unter II. 2.). Mit Hilfe einer Übernahmequittung (hier: Übernahmequittung der Beklagten - Anlage K 3) kann dagegen nur der Beweis für die Anzahl der übergebenen Frachtstücke, im Zweifel jedoch nicht für den Inhalt einer verschlossenen Sendung geführt werden (BGH a.a.O. S. 158 m. w. N.). Ob darüber hinaus mit Hilfe einer solchen Übernahmequittung auch der Beweis für das Gewicht der  übergebenen Frachtstücke geführt werden kann, braucht hier nicht vertieft zu werden. Denn das Gewicht sowohl der Gesamtsendung wie der Einzelpakete ist hier zwischen den Parteien unstreitig.
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bb) Soweit die Beklagte meint, der auf Lieferschein und korrespondierender Rechnung basierende Anscheinsbeweis beziehe sich nur auf den Gesamtinhalt aller 26 von ihr übernommenen Pakete, nicht aber auf den Inhalt der 8 verloren gegangen Pakete, mag dies richtig sein. Jedenfalls behandelt die schon mehrfach zitierte Entscheidung BGH TranspR 2003, 156 f. nur den Fall einer Sendung, die insgesamt nicht bei der Empfängerin angekommen war, weil der Fahrer des dortigen Beklagten sie unterschlagen hatte. Der Fall, dass nur ein Teil der Sendung auf dem Transport verloren geht, war somit vom BGH nicht zu entscheiden. Dem entsprechend hat das Oberlandesgericht Düsseldorf für den entsprechenden Fall eines solchen Teilverlusts angenommen, es bleibe trotz der genannten BGH-Entscheidung beim Grundsatz, dass der Versender den Inhalt der verloren gegangenen Einzelpakete beweisen müsse. Denn würden sich aus dem Lieferschein (wie auch hier - Anlage K 6) keine Anhaltspunkte dafür ergeben, welche Waren in welchem Paket verpackt gewesen seien, so könne der Lieferschein nicht den Anschein dafür begründen, dass ein einzelnes Packstück einen bestimmten Teil der gesamten auf mehrere Pakete verteilten Warensendungen enthalten habe (OLG Düsseldorf, Urteil vom 30.07.03 - I - 18 U 6/03 S. 7 unten - vorgelegt vom Beklagtenvertreter als Anlage B2).
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Selbst wenn man dem OLG Düsseldorf folgt, verbessert sich dadurch die Situation der Beklagten nicht. Denn auch nach dessen Auffassung kann der Wert einzelner, verloren gegangener Pakete und damit die Schadenshöhe gemäß § 287 ZPO geschätzt werden. Dem entsprechend ist nicht nur das Oberlandesgericht Düsseldorf in der erwähnten Entscheidung verfahren (vgl. S. 8 oben und 9 oben des Urteils vom 30.07.2003), sondern auch das Landgericht im angegriffenen Urteil. Hinsichtlich der Grundlagen für seine Schätzung hat das Landgericht - zu Recht - auf Anlage K 3 zurückgegriffen, nämlich die dort angegebenen Paketnummern und das jeweils dahinter gesetzte Gewicht eines Einzelpakets. Diese Schätzgrundlagen werden im Übrigen von der Berufung ebenso wenig angegriffen wie die Annahme des Landgerichts, der Warenwert habe sich gleichmäßig auf alle Pakete der einschlägigen Gewichtsgruppe verteilt (ebenso: OLG Düsseldorf, Urteil vom 30.07.2003, S. 8 sowie 9 oben für den dort entschiedenen Fall). Soweit die Beklagte meint, es bedürfe eines Vollbeweises zum Paketinhalt, das Landgericht habe sich deshalb nicht mit Wahrscheinlichkeitserwägungen begnügen dürfen, kann dem schon im Grundsatz nicht gefolgt werden. Denn es geht hier nicht um einen Fall der haftungsbegründenden Kausalität. Dass 8 Pakete nicht angekommen sind und damit ein Schaden entstanden ist, steht nämlich als unstreitig fest. Vielmehr geht es um eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität (§ 287 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative) oder die Frage nach der Höhe des entstandenen Schadens (§ 287 Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative ZPO). Der Anwendungsbereich des § 287 ZPO ist somit eröffnet (vgl. nur Thomas/Putzo, 25. Aufl., § 287 ZPO Rn. 11 und Zöller/Greger, 24. Aufl., § 287 ZPO Rn. 2 und 3).
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4. Zur Anwendbarkeit deutschen Rechts:
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Ihrer unbegrenzten Haftung nach deutschem Recht (§ 435 HGB) entgehen kann die Beklagte schließlich auch nicht dadurch, dass sie sich auf englisches Recht beruft, welches angeblich den Grundsatz der sekundären Darlegungslast des Frachtführers nicht kennt.
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a) Schon im Ansatz verfehlt ist der Versuch der Beklagten, über § 452 a Satz 1 HGB zur Anwendung von englischem Recht zu kommen. Denn nur bei bekanntem Schadensort gilt gemäß § 452 a HGB das Recht, das für einen hypothetischen Teilstreckenvertrag gelten würde (OLG Dresden TranspR 2002, 32; Koller, VersR 2000, 1187, 1191), wobei von einem Teilstreckenvertrag zwischen den Parteien des Gesamtvertrags, nicht aber zwischen dem Auftragnehmer und einem Subunternehmer auszugehen ist (Herber, TranspR 2001, 101, 102 f.). Die Beklagte hat zwar behauptet, der Verlust der Pakete sei erst in England eingetreten. Doch hat die Klägerin dies zu Recht als gänzlich unsubstantiiert bestritten (zuletzt: BE S. 2 = Bl. 151). Den Beweis für den von ihr behaupteten Schadensort hat die Beklagte zu führen (Koller TranspR § 452 a Rn. 9). Den diesbezüglichen Beweis hat sie aber nicht angetreten (und kann dies offensichtlich auch nicht, weil sie den Lauf des Pakets nicht/nicht ausreichend dokumentiert hat). Der Versuch eines solchen Beweisantritts auf Seite 4 oben des erstinstanzlichen Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 09. 04. 2003 - „Zeugnis eines Mitarbeiters der Beklagten, Name und Anschrift werden nachgereicht“- war zu unbestimmt und deshalb untauglich; er ist in der Berufungsbegründung auch nicht wiederholt worden. Es ist deshalb hier von einem unbekannten Schadensort auszugehen.
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Selbst wenn man zugunsten der Beklagten aber einmal unterstellt, dass sich die Teilstrecke, auf welcher die Pakete verloren gegangen sind, in Großbritannien befindet, gilt nichts anderes. Denn dann wäre zu prüfen, ob auf den hypothetischen Teilstreckenvertrag deutsches oder britisches/englisches Recht anzuwenden ist, was sich aber nicht nach § 452 a HGB, sondern nach IPR richtet (OLG Dresden, TranspR 2002, 32; Koller, VersR 2000, 1193).
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Da die Parteien keine Vereinbarung für Teilstrecken getroffen haben, gilt nicht Art. 27, sondern Art. 28 EGBGB, der aber wiederum zur Anwendung deutschem Rechts führt (§§ 425 ff. HGB). Denn jedenfalls gemäß Art. 28 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 EGBGB ist die engste Verbindung zu Deutschland zu vermuten, da dort sowohl die Beklagte als auch die VN der Klägerin dort ihren Hauptsitz haben (ebenso: OLG Dresden, TranspR 2002, 32 für den dort entschiedenen Fall).
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b) Bei unbekanntem Schadensort bestimmt sich die Haftung des Multimodalbeförderers (als solcher will die Beklagte behandelt werden - vgl. Schriftsatz vom 21.11.03 Bl. 147 f.) dagegen nach § 452 HGB; dessen Satz 1 verweist direkt auf die §§ 425 ff. HGB (OLG Dresden, TranspR 2002, 32; OLG Düsseldorf, TranspR, 2003, 33, 34).
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c) Keiner Entscheidung bedarf somit die Frage, ob die sekundäre Darlegungslast des Frachtführers dem materiellen Recht zu entnehmen ist (so die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung) oder aber dem deutschen Prozessrecht (so das Landgericht auf S. 6 der Entscheidungsgründe - unter I. 3.). Sollte es darauf ankommen, wäre auch diese Frage zu Lasten der Beklagten zu entscheiden. Denn die Einlassungsobliegenheit des Frachtführers sowie die Rechtsfolge der Nichterfüllung dieser Obliegenheit folgt den Grundsätzen der sog. sekundären Behauptungslast (BGH TranspR 2003, 1, 3 - dort zur entsprechenden Einlassungsobliegenheit des Fixkostenspediteurs - Kopie: Bl. 158 f. d. A.; ebenso: OLG Köln, TranspR 2003, 111, 113). Diese Grundsätze sind somit auch für das vorliegende Verfahren vor einem deutschen Gericht maßgeblich.
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5. Soweit die Beklagte sich in 1. Instanz zudem auf den Einwand des Mitverschuldens wegen unterlassener Wertdeklaration berufen hatte, hat das Landgericht diesen Einwand - zu Recht als unbeachtlich angesehen (Entscheidungsgründe S. 6 unter I. 4.). Die Berufungsbegründung greift die Entscheidung des Landgerichts in diesem Punkt nicht an.
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6. Zinsanspruch:
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Das Landgericht hat der Beklagten antragsgemäß Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten oberhalb des Basiszinssatzes unter Hinweis auf Art. 27 CMR zugesprochen. Im Anwendungsbereich der CMR wäre dieser Zinssatz zu hoch. Art. 27 Nr. 1 CMR begrenzt nämlich den konkreten Verzugsschaden auf 5 % der zu gewährenden Entschädigung und ist insoweit abschließend (Koller, Art. 27 CMR Rn. 6). Im Anwendungsbereich des HGB gilt dagegen der höhere Zinssatz nach § 288 Abs. 1 BGB (5 % über Basiszins - vgl. Baumbach/Hopt, HGB, 31. Aufl., § 352 Rn. 5). Eine Reduzierung des Zinssatzes ist somit nicht angezeigt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10 und 713 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind weder ersichtlich noch vorgetragen.

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