Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 3 Ausl. 52/06; 3 Ausl 52/06

Tenor

Gegen den Verfolgten, einen in der Bundesrepublik Deutschland lebenden polnischen und deutschen Staatsangehörigen, liegt ein 2006 erlassener Europäischer Haftbefehl des Landgerichts Z. G./Republik Polen vor. Grundlage des Europäischen Haftbefehls sind zwei nationale polnische Haftbefehle aus dem Jahr 2000 wegen einer 1997 in der Republik Polen begangenen veruntreuenden Unterschlagung und eines 2000 ebenfalls dort begangenen schweren Raubes. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart hat der Senat Auslieferungshaftbefehl erlassen.

Gründe

 
II.
Die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Polen ist nicht von vorn herein unzulässig (§ 15 Abs. 2 IRG).
1. Seit Inkrafttreten des (neuen) EuHbG vom 20. Juli 2006 (BGBl. I S. 1537; s. hierzu Böhm, NJW 2006, 2592 ff.) richtet sich die Auslieferung an die Republik Polen als einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gemäß § 1 Abs. 4, 78 IRG nach §§ 80 ff. IRG, mit denen der Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABlEG Nr. L 190 v. 18. Juli 2002 S. 1 – RbEuHb) umgesetzt wird. Das neue Recht ist auch auf Alttaten und auf vor seinem Inkrafttreten eingeleitete Auslieferungsverfahren anwendbar (vgl. bereits Senat, Beschluss vom 07. September 2004 – 3 Ausl. 80/04 = NJW 2004, 3437); die in BVerfGE 113, 273 (308 f.) hiergegen geäußerten Bedenken betreffen die hier nicht vorliegende Konstellation einer zum Tatzeitpunkt nach deutschem Recht straflosen Tat ohne maßgeblichen Auslandsbezug. Der Senat trägt keine Bedenken, dass das (neue) EuHbG die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG a.a.O.) verfehle. Die ggf. vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zu entscheidende Frage, ob diese Vorgaben ihrerseits mit vorrangigem Unionsrecht vereinbar sind (vgl. Art. 35 EUV i.V. mit dem EuGHG), stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht.
2. Aus § 80 IRG ergibt sich nicht, dass die Auslieferung des Verfolgten als eines (auch) deutschen Staatsangehörigen von vorn herein unzulässig wäre.
a) Gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 IRG muss gesichert sein, dass die Republik Polen nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe anbieten wird, den Verfolgten auf seinen Wunsch zur Vollstreckung in die Bundesrepublik Deutschland zurückzuüberstellen. Wann die Rücküberstellung „gesichert“ ist, ist umstritten (s. zum Streitstand Böse, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 2. Aufl., § 80 IRG Rdn. 5 mit umf. Nachw.). Der Senat hat in seinem Beschluss vom 28. Januar 2005 – 3 Ausl. 1/05 (NJW 2005, 1522 = StV 2005, 146) hieran strengere Anforderungen gestellt, als sie dem Willen des Gesetzgebers (s. BT-Drucks. 16/1024 S. 14 f. und bereits zuvor 15/1718 S. 16) und der überwiegenden Auffassung (z.B. OLG Karlsruhe StV 2005, 32) entsprechen. Im Verhältnis zur Republik Polen genügt es allerdings, dass die Bewilligungsbehörde im Zulässigkeitsverfahren erklärt, sie werde die Auslieferung nur unter der Bedingung bewilligen, dass der Verfolgte nach Rechtskraft der Verurteilung auf seinen Wunsch zur Vollstreckung in die Bundesrepublik zurücküberstellt werde, und dies so tut. Denn Art. 607j poln. StPO bestimmt, dass, erklärt der Vollstreckungsstaat – hier die Bundesrepublik Deutschland – einen entsprechenden Vorbehalt, in der Republik Polen kein Vollstreckungsverfahren eingeleitet wird und das für die Sache zuständige Gericht – hier das Landgericht Z. G.– nach Rechtskraft der Verurteilung einen Beschluss über die Rücküberstellung fasst, der der zuständigen Justizbehörde des Vollstreckungsstaats – hier der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart – übermittelt wird, die das Weitere veranlasst. Der Senat hat keinen Anlass anzunehmen, dass sich die polnischen Stellen nicht an diese eindeutige polnische Rechtslage halten. Die für eine Zurücküberstellung erforderliche beiderseitige Strafbarkeit (s. zum Problem Senat a.a.O. und Böse a.a.O. Rdn. 7 ff.) ist gegeben (s. sogleich II. 3.).
b) Die dem Verfolgten zur Last gelegten Handlungen sind vollständig im Hoheitsgebiet der Republik Polen begangen worden, wo auch die tatbestandsmäßigen Erfolge eingetreten sind (§ 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 IRG; vgl. BVerfGE 113, 273 [303]).
3. Die Unzulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten ergibt sich auch nicht aus § 81 i.V. mit § 3 IRG .
a) Aus dem Europäischen Haftbefehl ergibt sich in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise, dass die dem Verfolgten zur Last gelegte Tat vom 09. März 2000 die Tatbestandsmerkmale des Art. 280 § 1 poln. StGB erfüllt und mit Freiheitsstrafe bis zu zwölf Jahren bedroht ist. Die Tat wäre auch nach deutschem Recht als schwerer Raub (§§ 249, 250 Abs. 1 Nr. 1 a] StGB) strafbar. Offen bleiben kann, ob insoweit die beiderseitige Strafbarkeit überhaupt zu prüfen ist (vgl. § 81 Nr. 4 IRG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 RbEuHb: „Diebstahl … mit Waffen“, sofern der Baseballschläger als Waffe einzuordnen wäre).
b) Hinsichtlich der Tat vom 22. August 1997 fehlt im Europäischen Haftbefehl die Angabe des zur Tatzeit geltenden Strafgesetzes (vgl. Art. 1 § 1 poln. StGB), so dass theoretisch die Möglichkeit besteht, dass sie zur Tatzeit in der Republik Polen straflos war. Der Senat geht aber davon aus, dass die veruntreuende Unterschlagung auch nach dem alten – i.d.R. strengeren – poln. StGB strafbar und mit Freiheitsstrafe von im Höchstmaß mindestens zwölf Monaten bedroht war; dann könnte Art. 284 § 2 poln. StGB als lex mitior (vgl. Art. 4 § 1 poln. StGB) anwendbar sein. In jedem Fall hängt die Haftentscheidung von der Frage nicht ab; in Vorbereitung einer möglichen Zulässigkeitsentscheidung sollte sie aber durch Rückfrage bei den polnischen Stellen geklärt werden. Nach deutschem Recht wäre die Tat gemäß § 246 Abs. 2 StGB strafbar.
4. Dafür, dass die ergänzenden Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 83 IRG nicht erfüllt sind, gibt es keinerlei Anhaltspunkte.
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5. Der Europäische Haftbefehl benennt die anwendbaren polnischen gesetzlichen Bestimmungen i.S. von § 83a Abs. 1 Nr. 4 IRG . Dass deren Wortlaut – den der Senat ermittelt hat – nicht mitgeteilt wird, ist unschädlich. Im Unterschied zu §§ 114 Abs. 2 Nr. 2, 200 Abs. 1 Satz 1 StPO verlangt § 83a Abs. 1 Nr. 4 IRG nicht die Angabe der „gesetzlichen Merkmale der Straftat“, und im Unterschied zu § 10 Abs. 1 Satz 1 IRG ist eine „Darstellung“ der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen (hierzu Lagodny/Schomburg/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/ Gleß/Hacker, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl., § 10 Rdn. 10) nicht erforderlich. Art. 8 Abs. 1 d) RbEuHb verlangt nur, dass „die Art und rechtliche Würdigung der Straftat“ mitgeteilt wird; eine Subsumtion des Sachverhalts unter die jeweiligen Straftatbestände ist hierfür nicht erforderlich (vgl. BT-Drucks. 16/1024 S. 18). Soweit BVerfGE 113, 273 (315 – gegen Senat, Beschluss vom 07. September 2004 – 3 Ausl. 80/04 = NJW 2004, 3437) die Vollständigkeit der Auslieferungsunterlagen als verfassungsrechtlich zwingende Voraussetzung der Zulässigerklärung einer Auslieferung angesehen hat, lässt sich dem nicht entnehmen, dass die Angabe des Wortlauts der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen in den Auslieferungsunterlagen von Verfassungs wegen geboten wäre. Dem Gebot effektiven Rechtsschutzes kann in der Weise Rechnung getragen werden, dass das Oberlandesgericht jedenfalls in Zweifelsfällen den Wortlaut selbst ermittelt oder gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 IRG vorgeht.
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6. Es ist nicht ersichtlich, dass die Bewilligungsbehörde verpflichtet wäre, ein Bewilligungshindernis nach § 83 b IRG geltend zu machen. Nach BVerfGE 113, 273 (309 ff.) haben die in § 83 b IRG enthaltenen Ermessenstatbestände individualschützenden Charakter und müssen gerichtlicher Nachprüfung zugänglich sein. Deshalb sieht das Gesetz nunmehr vor, dass die Nichtgeltendmachung von Bewilligungshindernissen nach § 83 b IRG der Überprüfung durch das Oberlandesgericht im Zulässigkeitsverfahren nach § 29 IRG unterliegt (§ 79 Abs. 2 Satz 3 IRG; s. hierzu KG Berlin, Beschluss vom 14. August 2006 – [4] Ausl. A 378/06 [149/06]). Der Senat lässt offen, ob hieraus folgt, dass die fehlerfreie Ermessensausübung bei § 83 b IRG auch materiell eine Voraussetzung der Zulässigkeit der Auslieferung ist, die im Rahmen des § 15 Abs. 2 IRG zu prüfen ist, bevor das Verfahren nach § 29 IRG eingeleitet und eine Entscheidung der Bewilligungsbehörde nach § 79 Abs. 2 Satz 1 IRG getroffen ist. In jedem Falle wäre es nach Auffassung des Senats unverhältnismäßig, Auslieferungshaft anzuordnen, wenn von vornherein feststünde, dass die Bewilligungsbehörde kraft Ermessensreduzierung auf Null verpflichtet wäre, eines der in § 83 b IRG genannten Bewilligungshindernisse geltend zu machen. Hierbei ist freilich zu berücksichtigen, dass ein sehr weites Ermessen der Bewilligungsbehörde besteht und aus Sinn und Zweck des RbEuHb folgt, dass im Regelfall eine zulässige Auslieferung auch bewilligt wird (BT-Drucks. 16/1024 S. 13). Nach diesen Maßstäben gilt in der vorliegenden Sache: Bereits tatbestandsmäßig kommt allein das Bewilligungshindernis des § 83 b Abs. 1 a) IRG in Betracht, da die Staatsanwaltschaft Ulm ein Ermittlungsverfahren gegen den Verfolgten wegen der auch hier gegenständlichen Taten eingeleitet hat. Nach BVerfGE 113, 273 (307) kann zwar die Einleitung (und Fortführung) eines deutschen Ermittlungsverfahrens individualrechtsschützende, nämlich die Auslieferung hindernde Funktion haben (BVerfGE 113, 273 [307]; krit. zu dieser „Vision eines verfassungsrechtlich gebotenen Verfahrens zur Erzwingung strafrechtlicher Verfolgung der eigenen Person“ BVerfG 113, 273 [332 f.] – abw. M. Lübbe-Wolff; s. auch BT-Drucks. 16/1024: „Es gibt grundsätzlich […] keinen Anspruch, dass ein Strafverfahren in Deutschland geführt wird“). Jedoch kann eine Abwägung insbesondere anhand der in BT-Drucks. 16/1024 S. 13 aufgeführten Kriterien zu der ermessensfehlerfreien Entscheidung führen, dem ausländischen – hier polnischen – Strafverfahren den Vorzug zu geben. Hierfür lassen sich der Tatort in der Republik Polen, die Interessen der polnischen, in der Republik Polen wohnhaften Verletzten, die effektive Verfügbarkeit der Beweismittel in der Republik Polen, deren öffentliches, durch den Europäischen Haftbefehl dokumentiertes Interesse an der bereits vorangeschrittenen polnischen Strafverfolgung und nicht zuletzt der Grundsatz der Schonung der deutschen, aber auch polnischen Strafverfolgungsressourcen anführen. Den Interessen des Verfolgten als eines auch deutschen Staatsangehörigen mit derzeitigem Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland kann durch eine – nicht an der fehlenden beiderseitigen Strafbarkeit scheiternde (s.o. II. 2. a) – Rücküberstellung zur Vollstreckung Rechnung getragen werden.
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7. Schließlich hat der Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Auslieferung des Verfolgten im Widerspruch zu den in Art. 6 EUV enthaltenen Grundsätzen des europäischen ordre public in strafrechtlichen Angelegenheiten widerspräche ( § 73 Satz 2 IRG) . Der offenbare Stillstand der polnischen Strafverfolgung zwischen 2000 und 2006 erklärt sich möglicherweise daraus, dass der Verfolgte in die Bundesrepublik Deutschland übersiedelte und dort nach altem Recht vor Auslieferung geschützt war.
III.
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In rahmenbeschlusskonformer Auslegung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG geht der Senat davon aus, dass eine den Erlass eines Auslieferungshaftbefehls rechtfertigende Gefahr besteht, dass sich der Verfolgte dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung entziehen werde. Mit der Festnahme des Verfolgten wird am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu prüfen sein, ob der Auslieferungshaftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt werden kann.
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Die Generalstaatsanwaltschaft stützt die Fluchtgefahr i.S.v. § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG allein auf die „erhebliche Strafdrohung“, also auf die Straferwartung des Verfolgten. In der Tat lässt sich nach derzeitiger Aktenlage wenig mehr sagen; namentlich ist bislang offen geblieben, warum der Verfolgte in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt ist, wie und wo er sozial und familiär verwurzelt ist und mit welcher Wahrscheinlichkeit er mit einer Verurteilung in der Republik Polen rechnen muss. Allerdings teilt der Senat – auch vor dem Hintergrund seiner in anderen deutsch-polnischen Auslieferungssachen gesammelten Erfahrung – die Einschätzung der Generalstaatsanwaltschaft, dass dem Verfolgten möglicherweise eine langjährige Freiheitsstrafe droht. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass eine mögliche soziale und familiäre Verwurzelung des Verfolgten in der Bundesrepublik Deutschland auch gegen seine Bereitschaft sprechen kann, sich der polnischen Strafverfolgung zu stellen (zu dieser zu deutschen Inlandsfällen „spiegelbildlichen“ Argumentation Schomburg/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG, 4. Aufl., § 15 IRG Rdn. 18; verkannt von OLG Hamm StV 2001, 526 [527]; StraFo 2005, 383 [f.]).
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2. Im Rahmen des § 112 Abs. 2 Nr. 2 © wäre es allerdings problematisch, auf dieser Tatsachengrundlage Fluchtgefahr anzunehmen. Insbesondere ist anerkannt, dass selbst hohe Straferwartung für sich genommen nicht ausreicht, um Fluchtgefahr zu begründen; vielmehr bedarf es stets einer tatsachengestützten Gesamtschau und Abwägung aller Umstände des Einzelfalles (s. nur Hilger, in: Löwe/Rosenberg, ©, 25. Aufl. § 112 Rdn. 39 mit umf. Nachw.). Teilweise wird vertreten, diese Grundsätze müssten auch im Rahmen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG gelten (OLG Hamm a.a.O.; s. auch – von § 112 Abs. 2 Nr. 2 © her argumentierend – Gercke, StV 2004, 675 [678 f.]). Diese Auffassung ist schwerlich mit dem Gesetz vereinbar (a). Bei Europäischen Haftbefehlen ist eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG möglich und geboten, wonach entsprechend dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung in den Grenzen des europäischen ordre public (§ 73 Satz 2 IRG) zu berücksichtigen ist, dass der Ausstellungsmitgliedstaat Haftgründe, insbesondere Fluchtgefahr, geprüft und bejaht hat (b). Bei alledem muss Art. 2 Abs. 2 GG sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz über eine mögliche Aussetzung des Vollzugs des Auslieferungshaftbefehls Rechnung getragen werden (c).
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a) Der Wortlaut des § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG weicht von dem des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO u.a. insoweit ab, als im IRG anders als in der StPO keine „bestimmten Tatsachen“ als Grundlage der Überzeugung von der Fluchtgefahr verlangt werden. Darin liegt eine dem Gesetzgeber bewusste und von ihm beabsichtigte „Beweiserleichterung“ (s. BT-Drucks. 9/1338 S. 48 zu § 14 RegE-IRG). Deren Grund liegt zum einen darin, den deutschen Stellen die Erfüllung einer völkerrechtlichen Auslieferungspflicht zu erleichtern (BT-Drucks. a.a.O.); zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Frage der Haft und der Haftgründe bereits vom ersuchenden Staat geprüft und bejaht worden ist, was von deutschen Stellen berücksichtigt werden muss (Schomburg/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner a.a.O. § 15 Rdn. 18; Wilkitzki, in: Grützner/Pötz a.a.O. § 15 Rdn. 20). Die Beweiserleichterung ist nicht menschenrechtswidrig; so geht die MRK von unterschiedlichen Standards für Untersuchungs- und Auslieferungshaft aus (s. einerseits Art. 5 Abs. 1 lit. c] MRK zur Haft in Strafverfahren, wo ausdrücklich Haftgründe – u.a. Fluchtgefahr – verlangt werden, und andererseits lit. f] zur Haft in Auslieferungsverfahren, wo Haftgründe nicht ausdrücklich verlangt werden).
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b) Bei Europäischen Haftbefehlen wird die mit § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG bezweckte Beweiserleichterung durch die Grundsätze über die rahmenbeschlusskonforme Auslegung verstärkt.
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aa) Art. 3 und 4 RbEuHb sehen das Fehlen von Fluchtgefahr oder – allgemeiner – eines Haftgrundes nicht als Grund vor, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abzulehnen. Vielmehr geht Art. 12 RbEuHb davon aus, dass ein Europäischer Haftbefehl, dessen Vollstreckbarkeit nicht an Gründen i.S. von Art. 3 und 4 RbEuHb scheitert, in jedem Falle durch „Festnahme“ zu vollstrecken ist. Erst danach entscheidet die Justizbehörde (das Gericht) des Vollstreckungsstaats, ob der Verfolgte nach Maßgabe des Rechts des Vollstreckungsstaats „in Haft zu halten ist“ oder ob es zu einer „vorläufigen Haftentlassung“ kommt, wobei die erforderlichen Maßnahmen zur Fluchtverhinderung zu treffen sind (Art. 12 Satz 2 RbEuHb). Hintergrund dieses Regelungssystems ist das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung: Da ein die Übergabe zur Strafverfolgung betreffender Europäischer Haftbefehl auf einem nationalen Haftbefehl beruhen muss, der gem. Art. 5 Abs. 1 lit. c) MRK nur bei Vorliegen eines Haftgrundes erlassen werden darf, hat der Ausstellungsmitgliedstaat notwendigerweise das Vorliegen eines Haftgrundes geprüft und bejaht; das ist – mögen sich auch die Haftgründe von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheiden – gegenseitig anzuerkennen. Grenze dieser Anerkennung ist allerdings der europäische ordre public i.S. von Art. 1 Abs. 3 RbEuHB, § 73 Satz 2 IRG; hiernach dürfen Haftgründe, die im Einzelfall willkürlich oder unverhältnismäßig angewendet werden oder auf einer menschenrechtswidrigen, z.B. Art. 5 Abs. 1 lit. c) MRK widersprechenden Gesetzeslage beruhen, nicht anerkannt werden.
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bb) § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG muss konform zu dieser Rahmenbeschlussrechtslage ausgelegt werden. Auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (1. Kammer des Zweiten Senats, Beschl. v. 24. November 2005 – 2 BvR 1667/05) bindet der RbEuHb „weiterhin als völkerrechtlicher Vertrag nach Art. 34 Abs. 2 lit. b EU die Mitgliedstaaten der Europäischen Union hinsichtlich des zu erreichenden Ziels. Soweit dies nach innerstaatlichem Recht zulässig ist, soll der Rahmenbeschluss bei der Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts beachtet werden (vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 16. Juni 2005, C-105/03 – Pupino).“ Zwar wäre es im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 2 Abs. 2 GG (hierzu 1. Kammer des Zweiten Senats, Beschl. v. 02. Februar 2006 – 2 BvR 155/06) fragwürdig, dass das Vorliegen eines Europäischen Haftbefehls automatisch den Haftgrund der Fluchtgefahr indizierte (s. Wilkitzki, in: Grützer/Pötz a.a.O. § 15 Rdn. 21). Jedoch darf das Oberlandesgericht seine Überzeugung, die Auslieferung müsse durch Haftanordnung gesichert werden, + auch + darauf stützen, dass ein anderes mitgliedstaatliches Gericht einen Haftgrund – insbesondere Fluchtgefahr – in den Grenzen des Art. 5 Abs. 1 lit. c) MRK bejaht hat.
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c) Für die Fortdauer, d.h. den Vollzug der Haft nach Festnahme des Verfolgten und für die der Außervollzugsetzung der Haftanordnung ggf. mit Auflagen verweist Art. 12 RbEuHb hingegen vollumfänglich auf das jeweilige nationale – hier deutsche – Recht. Das trägt dem Umstand Rechnung, dass der Vollstreckungsmitgliedstaat den Vollzug der Freiheitsentziehung und deren Rechtmäßigkeit zu verantworten hat. Im deutschen Recht sind verfassungsrechtlich Art. 2 Abs. 2 GG und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, einfach-rechtlich § 21 (vor allem Abs. 5) und §§ 23 bis 25 IRG zu beachten.
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3. In Anwendung dieser Grundsätze gilt vorliegend: (wird ausgeführt).

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