Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (5. Senat) - 5 ME 16/10

Gründe

I.

1

Der Antragsteller und die Beigeladene konkurrieren um den nach der Besoldungsgruppe A 11 BBesO bewerteten und unter dem 22. Juni 2009 (Bl. 9 der Beiakte - BA - A) ausgeschriebenen Beförderungsdienstposten "Sachbearbeiter/in Einzelpersonal" bei dem Bundeswehr-Dienstleistungszentrum (BwDLZ) C., auf dem eine Beförderung bereits konkret beabsichtigt ist (vgl. Bl. 133 BA B).

2

Die Auswahlentscheidung zwischen dem Antragsteller und der Beigeladenen wurde laut des Auswahlvermerks vom 29. September 2009 (Bl. 5 BA A) auf der Grundlage eines Vollnotenunterschieds in den (vermeintlichen) aktuellen Beurteilungen getroffen. Als aktuelle Beurteilungen (für den Zeitraum vom 1. Februar 2006 bis zum 31. Januar 2009) zog die Wehrbereichsverwaltung allerdings die bis dahin lediglich vorhandenen, abschließenden Beurteilungsentwürfe der nach den Bestimmungen über die dienstliche Beurteilung der Beamtinnen/Beamten und Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung vom 14. Mai 2004 - BeurtBest - (VMBl 2004, S. 86 - Bl. 63 ff. der Gerichtsakte - GA -) zuständigen Berichterstatter heran. Mit Bescheid vom 19. Oktober 2009 (vgl. Bl. 4 BA A) lehnte sie die Bewerbung des Antragstellers ab und teilte ihm mit, dass die Beigeladene für den umstrittenen Dienstposten ausgewählt worden sei.

3

Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schriftsatz vom 3. November 2009 Widerspruch, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden ist. Mit Schreiben vom 6. November 2009 (Bl. 33 f. [34] GA) gab die Wehrbereichsverwaltung dem Antragsteller - auf seinen Widerspruch hin - zu bedenken, dass derzeit infolge eines gegen ihn laufenden Disziplinar- und Strafverfahrens wegen Vorteilsannahme im Amt seine uneingeschränkte charakterliche Eignung für den begehrten Beförderungsdienstposten nicht zweifelsfrei festzustellen sei. Selbst wenn er sich nach Leistungsgrundsätzen gegen die Beigeladene hätte behaupten können, wäre er für die Dauer des Disziplinarverfahrens von der nach Leistung und Eignung zu treffenden Auswahl auszunehmen gewesen.

4

Durch Verfügung vom 15. Oktober 2009 (Bl. 134 BA B) wurde die Beigeladene mit Wirkung vom 16. November 2009 von dem BwDLZ D. an das BwDLZ C. versetzt und ihr der umstrittene Dienstposten übertragen.

5

Die Beurteilungen des Antragstellers und der Beigeladenen (in BA F) wurden von den Beurteilern erst am 5. November bzw. 19. November 2009 gezeichnet und dem/der Beamtin am 23. bzw. 20. November 2009 eröffnet. Anlässlich der nachfolgenden Erörterung seiner Beurteilung am 30. November 2009 erklärte der Antragsteller, dass diese von ihm "nicht anerkannt" werde. Später hat er Widerspruch gegen sie erhoben (vgl. Bl. 77 GA).

6

Bereits am 11. November 2009 hat der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht den Erlass einer Sicherungsanordnung beantragt, durch die die Übertragung des Dienstpostens und die Beförderung der Beigeladenen untersagt werden sollen. Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Es fehle an einem Anordnungsanspruch, weil die Antragsgegnerin ihre Auswahlentscheidung mit dem Schreiben der Wehrbereichsverwaltung E. vom 6. November 2009 näher begründet habe und keine Bedenken gegen das "Nachschieben" dieser Auswahlerwägungen bestünden, die die Auswahlentscheidung zu Lasten des Antragstellers zu tragen vermöchten.

7

Gegen die erstinstanzliche Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 13. Januar 2010. Das gegen den Antragsteller geführte Disziplinarverfahren ist im Anschluss an eine Vorlage vom 20. April 2009 (Bl. 35 ff. GA) mit Bescheid des Präsidenten der Wehrbereichsverwaltung Nord vom 29. Januar 2010 (Bl. 133 f. GA) eingestellt worden.

8

Der Antragsteller beantragt,

9

den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade vom 23. Dezember 2009, Az. 3 B 1517/09, aufzuheben und es der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO einstweilen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens zu untersagen, der Beigeladenen den Dienstposten Sachbearbeiterin Einzelpersonal zu übertragen und sie zur Regierungsamtfrau, A 11, zu ernennen.

10

Die Antragsgegnerin beantragt,

11

die Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen.

12

Die Beigeladene hat in beiden Rechtszügen keine Anträge gestellt und sich zur Sache nicht eingelassen.

II.

13

Die Beschwerde des Antragstellers hat lediglich teilweise Erfolg und ist im Übrigen unbegründet.

14

Dem Rechtsmittelantrag (zum Begriff vgl. Happ, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 124a Rn. 25) des Antragstellers ist nicht stattzugeben, weil eine Aufhebung der angegriffenen Entscheidung hier allenfalls in Verbindung mit einer Zurückverweisung analog § 130 Abs. 2 VwGO in Betracht käme. Eine Zurückverweisung ist jedoch weder von einem Beteiligten beantragt worden noch lägen ihre sonstigen Voraussetzungen (vgl. Bader, in: Bader u. a., VwGO, 4. Aufl. 2007, § 130 Rn. 1) vor.

15

Dem Sachantrag des Antragstellers ist nur teilweise stattzugeben.

16

Er muss erfolglos bleiben, soweit der Antragsteller begehrt, dass der Antragsgegnerin untersagt wird, der Beigeladenen den umstrittenen Dienstposten zu übertragen. Eine entsprechende Änderung des angefochtenen Beschlusses verbietet sich, weil Verwaltungsgericht dieses Antragsbegehren im Ergebnis zu Recht abgelehnt hat. Das Begehren hat sich nämlich - spätestens - am 16. November 2009 erledigt, als die Übertragung des umstrittenen Dienstpostens an die Beigeladenen wirksam wurde (vgl. Nds. OVG Beschluss v. 14. 9. 2009 - 5 ME 130/09 -, juris, Langtext Rn. 21). Eine an dieses Geschehen anknüpfende und in entsprechender Anwendung des § 264 Nr. 3 ZPO (i. V. m. § 173 Satz 1 VwGO) - erstinstanzlich - unproblematische Umstellung seines Antrags in Richtung auf eine Wegsetzung der Beigeladenen hat der anwaltlich vertretene Antragsteller unterlassen. In der begehrten Untersagung der Dienstpostenübertragung ist das Verlangen nach einer Wegsetzung der Beigeladenen aber nicht enthalten (vgl. Nds. OVG, Beschluss v. 14. 9. 2009 - 5 ME 130/09 -, juris, Langtext Rn. 19). Der vor der inneren Wirksamkeit (zum Begriff: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 43 Rn. 166) der Dienstpostenübertragung anwaltlich formulierte Sachantrag ist auf die Untersagung der Übertragung des Dienstpostens als einen einmaligen Vorgang, und nicht etwa auf die Unterbindung der Dienstpostenbesetzung als einen andauernden Zustand gerichtet. Das ergibt sich unter anderem daraus, dass die unverändert begehrte einstweilige Anordnung ausdrücklich als Sicherungsanordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO) bezeichnet worden ist, die nachträgliche Wegsetzung der ausgewählten Beigeladenen jedoch den Erlass einer Regelungsanordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO) erfordern würde. Eine Wegsetzung steht zu der Untersagung der Übertragung eines Dienstpostens in einem ähnlichen Verhältnis wie die Aufhebung der Vollziehung (§ 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO) zu der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs. Auch der Wiederherstellungsantrag schließt das weiter gehende Verlangen nach Vollzugsfolgenbeseitigung nicht ohne weiteres ein (vgl. Funke-Kaiser, in: Bader u. a., VwGO, 4. Aufl. 2007, § 80 Rn. 111, m. w. N.). Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das unveränderte Antragsbegehren (im Sinne der §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO) von vornherein über die anwaltliche Fassung des Sachantrags hinausreichte. Denn die Annahme, in dem Antrag auf Untersagung einer Dienstpostenübertragung liege - für den Fall einer zwischenzeitlichen Vornahme der Übertragung - stets zugleich das Verlangen nach Wegsetzung, würde nicht im wohl verstandenen Interesse eines nicht ausgewählten Eilantragstellers liegen. Sie hätte nämlich zur Folge, dass allein mit der Dienstpostenübertragung eine vollständige Erledigung des auf den Dienstposten bezogenen Antragsbegehrens nicht einträte - und dementsprechend von dem Rechtsbehelfsführer nicht erklärt werden könnte, ohne eine ihm zumindest teilweise nachteilige Kostenfolge befürchten zu müssen. Eine solche Kostenfolge ließe sich nicht ohne weiteres dadurch vermeiden, dass an dem (einmal als eingeschlossenen unterstellten) Wegsetzungsbegehren festgehalten würde. Denn ein solches Begehren vermag unter Gesichtspunkten zu scheitern, die einer Untersagung der Dienstpostenübertragung noch gar nicht entgegengestanden hätten: So kann die erforderliche Regelungsanordnung etwa schon dann nicht mehr zu rechtfertigen sein, wenn der vormalige Dienstposten der umgesetzten oder versetzten Ausgewählten inzwischen nicht mehr vakant ist. Nach alledem hätte der anwaltlich vertretene Antragsteller nach der Übertragung des Dienstpostens an die Beigeladene entweder deren Wegsetzung beantragen oder den Rechtsstreit teilweise für erledigt erklären müssen. Da beides nicht geschehen ist, müssen sein Eilantrag und seine Beschwerde mit dem Begehren nach einer Untersagung der bereits vollzogenen Dienstpostenübertragung erfolglos bleiben. Eine solche Untersagung wäre sinnlos. Ein auf sie gerichteter Anordnungsanspruch scheidet aus.

17

Soweit der Antragsteller begehrt, die Beförderung der Beigeladenen gerichtlich zu unterbinden, ergibt die Prüfung der dargelegten Beschwerdegründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) jedoch, dass ihm nicht nur ein Anordnungsgrund zur Seite steht, sondern dass er auch den nach § 123 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwGO i. V. m. den §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung vorausgesetzten Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat. Das Auswahlverfahren ist nämlich mit erheblicher Wahrscheinlichkeit fehlerhaft und es lässt sich nicht ausschließen, dass der Antragsteller bei einer erneuten Entscheidung der Antragsgegnerin ausgewählt werden wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24. 9. 2002 - 2 BvR 857/02 -, NVwZ 2003, 200 [201]).

18

Zu Recht beanstandet er, dass das Verwaltungsgericht die Eignungszweifel, die die Wehrbereichsverwaltung E. mit Schreiben vom 6. November 2009 aus dem Disziplinarverfahren ableitete, als in zulässiger Weise nachgeschobene Auswahlerwägungen angesehen hat, die die Ablehnung seiner Bewerbung zu tragen vermögen.

19

Bereits in seinem Beschluss vom 14. Januar 2008 - 5 ME 317/07 - (NVwZ-RR 2008, 552 ff. [553]) hat der Senat zur Zulässigkeit eines Nachschiebens von Auswahlerwägungen Stellung genommen: Als Verwaltungsakt unterliegt die Ablehnung der Auswahl eines Beförderungsbewerbers einem Begründungserfordernis. Diesem Begründungserfordernis ist nicht bereits dann genügt, wenn nach ständiger Verwaltungspraxis bekannt und gewährleistet ist, dass dem abgelehnten Bewerber die Gründe für die Auswahlentscheidung durch Auskunft oder Einsichtnahme zugänglich gemacht werden. Vielmehr folgt aus Art. 33 Abs. 2 i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG eine Verpflichtung der Antragsgegnerin, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9. 7. 2007 - 2 BvR 206/07 -, DÖD 2007, 279 ff. [280 f.] = NVwZ 2007, 1178 f. [1179]). Die alleinige Möglichkeit, auf Anfrage Auskünfte über den Inhalt dieser Auswahlerwägungen zu erhalten, würde daher schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht genügen. Über die verfassungsrechtlichen Anforderungen hinausgehend ergibt sich zudem einfachgesetzlich aus § 39 Abs. 1 VwVfG, dass dem erfolglosen Beförderungsbewerber bereits in der Begründung, mit der die Behörde ihren ablehnenden schriftlichen Verwaltungsakt zu versehen hat, diejenigen der wesentlichen Auswahlerwägungen mitzuteilen sind, die dafür maßgeblich waren, dass gerade dem Adressaten des ablehnenden Bescheides der oder die Ausgewählte vorgezogen wurde. Soweit der Erlass des Bundesministeriums der Verteidigung vom 28. Juli 1998 über die Ausschreibung ziviler Dienstposten (VMBl 1998, S. 242 - Bl. 60 ff. [62] GA) unter Nr. 4.5.2 vorsieht, dass die Ablehnung einer Bewerbung im Allgemeinen nur mit einer nahezu nichtssagenden Begründung versehen wird, ist er gesetzeswidrig.

20

Begründungsmängel eines Verwaltungsaktes lassen sich allerdings sowohl unter formellem als auch unter materiell-rechtlichem Blickwinkel in bestimmten Grenzen beheben: Gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 VwVfG kann eine Behörde die erforderliche Begründung eines Verwaltungsaktes bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachholen. Dies betrifft allerdings nur den Fall, dass diejenigen Gründe, die für den Erlass eines Verwaltungsaktes tatsächlich maßgebend waren und die lediglich in der zunächst gegebenen Begründung nicht oder nicht ausreichend wiedergegeben worden waren, nachträglich bekanntgegeben werden, nicht aber ein „Nachschieben von Gründen“ in dem Sinne, dass die von der Behörde tatsächlich angestellten Erwägungen im Nachhinein korrigiert und durch neue oder andere Erwägungen ergänzt oder ausgewechselt werden (BVerwG, Beschl. v. 16. 12. 2008 - BVerwG 1 WB 19.08 -, NVwZ-RR 2009, 604 ff. [606 Rn. 48], Nds. OVG, Beschl. v. 14. 1. 2008 - 5 ME 317/07 -, NVwZ-RR 2008, 552 ff. [553]). Die Erwägungen, die tatsächlich dafür maßgeblich waren, dass die Bewerbung des Antragstellers erfolglos blieb, finden sich in dem Auswahlvermerk vom 29. September 2009. Aus diesem Vermerk ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Bewerbung des Antragstellers nicht entsprochen wurde, weil das gegen ihn geführte Disziplinarverfahren Eignungszweifel begründete. Wären solche Erwägungen für die Auswahlentscheidung wesentlich gewesen, so hätten sie nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bereits damals schriftlich niedergelegt werden müssen. Mit ihrer Behauptung, durch das Disziplinarverfahren begründete Eignungszweifel seien schon in die ursprüngliche Auswahlentscheidung ergänzend eingeflossen, kann die Antragsgegnerin daher nicht durchdringen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Ablehnung der Bewerbung des Antragstellers nicht bereits ursprünglich auf Eignungszweifel gestützt war, die aus dem Disziplinarverfahren hergeleitet wurden. Dementsprechend können solche Eignungszweifel nicht gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG als Begründung der ablehnenden Entscheidung nachgeholt und berücksichtigt werden.

21

Mit der Berufung auf durch das Disziplinarverfahren begründete Eignungszweifel vermag die Antragsgegnerin auch nicht gemäß § 114 Satz 2 VwGO eine Rechtmäßigkeit ihrer ablehnenden Entscheidung herbeizuführen. Die genannte Vorschrift bestimmt zwar, dass eine Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann. Diese Möglichkeit findet ihre Grenzen aber dort, wo das Wesen der ursprünglichen Auswahlentscheidung verändert wird (BVerwG, Beschl. v. 20. 8. 2003 - BVerwG 1 WB 23.03 -, in: Schütz, BeamtR ES/A II 1.4 Nr. 107), indem sie der Dienstherr gleichsam mit einem neuen argumentativen Unterbau versieht (BVerwG, Beschl. v. 16. 12. 2008 - BVerwG 1 WB 19.08 -, NVwZ-RR 2009, 604 ff. [606 Rn. 46]; Nds. OVG, Beschl. v. 14. 1. 2008 - 5 ME 317/07 -, NVwZ-RR 2008, 552 ff. [553]; siehe auch BVerfG, Beschl. v. 9. 7. 2007 - 2 BvR 206/07 -, NVwZ 2007, 1178 f. [1179]). Die Errichtung eines solchen, dem ursprünglichen nicht wesensgleichen Unterbaus stellt es indessen dar, dass die Antragsgegnerin die Ablehnung der Bewerbung des Antragstellers nunmehr - nachträglich - auf aus dem Disziplinarverfahren hergeleiteten Eignungszweifeln zu stützen versucht.

22

Soweit es die Vorinstanz abgelehnt hat, der Antragsgegnerin vorläufig die Beförderung des Antragstellers zu untersagen, erweist sich der angefochtene Beschluss auch nicht aus anderen als den ihm beigegebenen Gründen als richtig. Ein absolutes rechtliches Hindernis für eine Auswahl des Antragstellers kann nämlich vor dem Hintergrund des Inhalts der Vorlage vom 20. April 2009, der die Antragsgegnerin schließlich selbst gefolgt ist, in dem bis zum 29. Januar 2010 fehlenden formellen Abschluss des Disziplinarverfahrens nicht gesehen werden (vgl. Nds. OVG, Beschl. v.18. 12. 2007 - 5 ME 351/07 -, RiA 2008, 184, hier zitiert nach der Rechtsprechungsdatenbank der nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit). Damit ist es erheblich, dass die in dem Auswahlvermerk vom 29. September 2009 dokumentierte Auswahlentscheidung zu Lasten des Antragstellers auf einen in wesentlicher Hinsicht unzutreffenden Sachverhalt gestützt worden ist. Ihr lag nämlich die fehlerhafte Annahme zugrunde, es existierten feststehende Gesamturteile der dienstlichen (Regel-) Beurteilungen des Antragstellers und der Beigeladenen für den Beurteilungszeitraum vom 1. Februar 2006 bis zum 31. Januar 2009, die der Auswahl zugrunde gelegten werden könnten. Solche Gesamturteile waren jedoch für den Antragsteller erst am 5. November 2009 und für die Beigeladene erst am 19. November 2009 vorhanden. Es ergibt sich mittelbar aus § 50 Abs. 3 BLV, der bestimmt, dass die Beurteilung zu den Personalakten zu nehmen ist, dass eine dienstliche Beurteilung nur schriftlich, nicht mündlich, vorgenommen werden kann. Bis zu ihrer Unterzeichnung durch den Beurteiler ist sie daher in ihrer Gesamtheit als Beurteilung im Rechtssinne nicht existent (Nds. OVG, Beschl. v. 25. 7. 2007 - 5 ME 137/07 - veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank der nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit und in juris). Darüber hinaus kann sie - selbst nach ordnungsgemäßer schriftlicher Ausfertigung - vor ihrer Eröffnung und Besprechung noch keine voll geeignete Grundlage für Auswahlentscheidungen nach dem Leistungsgrundsatz sein (Nds. OVG, Beschl. v. 25. 7. 2007 - 5 ME 137/07 -, a. a. O.; Lemhöfer, in: Schröder u. a., Das Laufbahnrecht der Bundesbeamten, Stand: Sep. 2009, § 50 BLV [2009] Rn. 0.1 und Rn. 02. i. V. m. §§ 40/41 BLV a. F. Rn. 46 und 47). Zu Unrecht hält dem die Antragsgegnerin entgegen, dass die zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung bereits vorhandenen abschließenden Beurteilungsentwürfe der Berichterstatter (Nr. 13 Abs. 6 BeurtBest) deshalb zur Grundlage der Auswahlentscheidung hätten gemacht werden können, weil sie schon mit den Beurteilern abgestimmt gewesen seien. Denn auch einem abschließenden Beurteilungsentwurf fehlt, wie sich schon aus dem Wortsinn von "Entwurf" erschließt, die Verbindlichkeit. Der Beurteiler kann den abschließenden Beurteilungsentwurf ohne weiteres noch ändern (Nr. 15 Abs. 3 Satz 3 BeurtBest). Die von der Antragsgegnerin geltend gemachten Schwierigkeiten, eine Vielzahl von Regelbeurteilungen zu erstellen und zu eröffnen, können ihr Vorgehen nicht rechtfertigen. Vielmehr müssen die zuständigen Beurteiler ersucht werden, die Regelbeurteilung derjenigen Beamten, die sich in einem Bewerbungsverfahren befinden, vorrangig fertig zu stellen.

23

Unerheblich ist, dass - nach der Auswahlentscheidung - die Regelbeurteilungen des Antragstellers und der Beigeladenen für den Beurteilungszeitraum vom 1. Februar 2006 bis zum 31. Januar 2009 in einer gegenüber der abschließenden Entwurfsfassung unveränderten Fassung von den Beurteilern unterzeichnet, sodann eröffnet und besprochen worden sind. Denn auch in solchen Fällen findet die Anwendung des § 114 Satz 2 VwGO ihre Grenze dort, wo das Wesen des ursprünglichen Verwaltungsaktes verändert wird, indem ihn der Dienstherr gleichsam mit einem neuen argumentativen „Unterbau“ versieht. Einen neuen argumentativen Unterbau stellt es indessen dar, wenn die Ablehnung der Auswahl für einen Beförderungsdienstposten, die an noch nicht existente Regelbeurteilungen anknüpfte, damit begründet wird, dass nunmehr nachträglich Regelbeurteilungen, die eine solche Entscheidung zu rechtfertigen vermögen, erstmals erstellt und eröffnet worden seien (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 25. 7. 2007 - 5 ME 137/07 - veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank der nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit und in juris).

24

Der Erlass einer Sicherungsanordnung, die die beabsichtigte Ernennung der Beigeladenen unterbindet, erübrigt sich auch nicht deshalb, weil sich ausschließen ließe, dass der Antragsteller im Falle einer erneuten Auswahlentscheidung erfolgreich sein kann. Das lässt sich nämlich nicht ausschließen. Zwar hat er in seiner inzwischen eröffneten, aktuellen Regelbeurteilung lediglich das Gesamturteil "Übertrifft die Anforderungen" erhalten, wohingegen die Beigeladene um eine Vollnote besser mit "Übertrifft die Anforderungen deutlich" beurteilt worden ist. Der Antragsteller hat aber bereits erklärt, dass er seine Beurteilung nicht akzeptiere, und gegen diese einen Widerspruch erhoben habe - hinsichtlich dessen Begründetheit der Senat allerdings keine Prognose aufstellen kann, weil die Beteiligten dafür nicht ausreichend vorgetragen haben. Es bedarf gleichwohl keiner weiteren Ermittlungen von Amts wegen. Denn die Antragsgegnerin hat bislang keine Bereitschaft gezeigt, die erforderliche erneute Auswahlentscheidung zeitnah zu treffen. Ihre Annahme einer solchen Auswahlentscheidung wäre dasselbe "Leistungsbild" wie bisher zugrunde zu legen, muss aber - unabhängig von der Begründetheit des gegen die letzte Regelbeurteilung des Antragstellers erhobenen Widerspruchs - mit zunehmendem Zeitablauf Bedenken begegnen.

25

Schon jetzt dürfte es nämlich geboten sein, eine erneute Auswahlentscheidung nicht mehr auf der Grundlage der aktuellen Regelbeurteilungen der Konkurrenten zu treffen, sondern auf der Grundlage anzufordernder, sonstiger Beurteilungen im Sinne der Nr. 7 Abs. 1 BeurtBest. Denn die Beigeladene ist mit Wirkung vom 16. November 2009 auf den umstrittenen Dienstposten versetzt worden und ihre für die Auswahl herangezogene Beurteilung für den Zeitraum vom 1. Februar 2006 bis zum 31. Januar 2009 gibt über ihre Leistungen auf diesem Dienstposten keine Auskunft. Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 18. 12. 2008 - 5 ME 353/08 -, IÖD 2009, 90, = PersV 2009, 460, hier zitiert nach der Rechtsprechungsdatenbank der nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit) ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob für alle Bewerber zeitnahe dienstliche Beurteilungen vorliegen, die noch einen aktuellen Leistungsvergleich ermöglichen, da für die Auswahlentscheidung hinsichtlich Leistung und Eignung auf den aktuellen Stand abzustellen und der Grundsatz der Chancengleichheit zu beachten ist. Unter welchen Voraussetzungen zurückliegende Regelbeurteilungen nach diesem Maßstab noch eine hinreichend verlässliche Grundlage für eine Auswahlentscheidung darstellen, lässt sich hiernach nicht generalisierend, sondern nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles beantworten. Zu den Umständen, die eine Anlassbeurteilung erforderlich machen, gehören namentlich einschneidende Veränderungen, die seit der letzten Regelbeurteilung in Bezug auf die Verwendung einer Beamtin eingetreten sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22. 9. 2005 - BVerwG 1 WB 4.05 -, DVBl. 2006, 574 [578]). Denn auch eine bisher gut beurteilte Beamtin kann - vor neue Aufgaben gestellt - Stärken und Schwächen in ihren Leistungen und in ihrer Eignung offenbaren, die im Zuge ihres bisherigen Einsatzes nicht erkennbar waren. Aus der aktuellen Regelbeurteilung ist ersichtlich, dass die Beigeladene vor ihrer Versetzung den Dienstposten einer Sachbearbeiterin im Objektmanagement für die Kaserne F. bekleidete, und aus dem Auswahlvermerk vom 29. September 2009 geht hervor, dass sie über die für den umstrittenen Dienstposten "Sachbearbeiter/in Einzelpersonal" erwünschten (Vor-)Kenntnisse auf dem Gebiet der Personalangelegenheiten, insbesondere im Tarif- und Personalvertretungsrecht, nicht verfügte. Dies deutet darauf hin, dass sich ihre Aufgaben seit nun schon mehr als drei Monaten nicht unerheblich von ihrer bisherigen Verwendung unterscheiden. Der bislang noch relative kurze Zeitraum von wenig über drei Monaten kann aber schon jetzt nicht ohne weiteres als unerheblich betrachtet werden. Denn aus Nr. 21 Abs. 2 BeurtBest ist zu folgern, dass lediglich Zeiträume von weniger als drei Monaten - weil zu kurz - als nicht aussagekräftig anzusehen sind.

26

Ist es jedoch geboten, im Vorfeld einer erneuten Auswahlentscheidung für die Beigeladene eine Anlassbeurteilung (Sonstige Beurteilung im Sinne der Nr. 7 Abs. 1 BeurtBest) anzufordern, so dürfte dies aus Gründen der Gleichbehandlung auch in Bezug auf den Antragsteller der Fall sein, dessen aktuelle Regelbeurteilung sich auf einen Zeitraum bezieht, der nun auch schon vor mehr als einem Jahr endete. Angesichts der Möglichkeit, ggf. von Nr. 7 Abs. 1 Satz 2 BeurtBest Gebrauch zu machen, hält sich der damit verbundene Aufwand mit Blick auf alle in die erneute Auswahl einzubeziehenden Konkurrenten in Grenzen.

27

Mutmaßungen über den wahrscheinlichen Inhalt von Anlassbeurteilungen (Sonstige Beurteilungen im Sinne der Nr. 7 Abs. 1 BeurtBest) des Antragstellers und der Beigeladenen sind nicht anzustellen, weil auch diese Beurteilungen bis zu ihrer Erstellung und Eröffnung nicht zur Grundlage einer Auswahlentscheidung gemacht werden können und den Gerichten eine auf ihren vermutlichen Inhalt gestützte negative Prognose des Bewerbungserfolgs versagt ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24. 9. 2002 - 2 BvR 857/02 -, NVwZ 2003, 200 [201 unter B I 2 b bb] sowie Nds. OVG, Beschl. v. 14. 1. 2008 - 5 ME 317/07 -, NVwZ-RR 2008, 552 ff. [555]).

28

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 3, 155 Abs. 1 Satz 1 und 162 Abs. 3 VwGO.

29

Die Änderung der Wertfestsetzung der Vorinstanz erfolgt gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG, weil das Verwaltungsgericht bei der Bemessung des Streitwerts irrtümlich vom Endgrundgehalt A 11 eines niedersächsischen Landesbeamten ausgegangen ist. Die nunmehrige Streitwertfestsetzung beruht für den ersten Rechtszug auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und für das Beschwerdeverfahren zusätzlich auf § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG. Der Streitwert 11.683,75 EUR (= ½ x ½ x 13 x 3.595 EUR) beträgt die Hälfte desjenigen Betrages, der gemäß den § 52 Abs. 5 Satz 2 i. V. m. Satz 1 Nr. 1 GKG in einem Hauptsacheverfahren maßgeblich wäre.

 


Abkürzung FundstelleWenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie genau dieses Dokument verlinken möchten:
http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE100000920&psml=bsndprod.psml&max=true

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen