Urteil vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 LB 24/15

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 6. Kammer – vom 15. Oktober 2015 geändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 2. Juni 2014 und der Widerspruchsbescheid vom 23. September 2014 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Beklagte ist ein in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts gegründeter Wasser- und Bodenverband. Die Klägerin ist Erbbauberechtigte des Grundstücks …, Gemarkung Dahme (Dahme, …). Sie wendet sich gegen einen Beitragsbescheid des Beklagten.

2

Die Verbandssatzung des Beklagten vom 9. Dezember 2008 enthielt hinsichtlich des Verbandsgebiets in § 1 folgende Bestimmung:

3

(1) – (2)

...

(3)

4

Das Verbandsgebiet umfasst das Einzugsgebiet gemäß anliegender Übersichtskarte im Maßstab 1:35.000 innerhalb der im Verbandsplan gemäß § 4 genannten Verbandsgrenzen.

5

(4) – (6)

...

6

Zuständig für Satzungsänderungen war gemäß § 11 Satz 2 Nr. 2 der Satzung der Verbandsausschuss. Durch die von diesem am 18. Dezember 2013 beschlossene 3. Nachtragssatzung wurde die bisherige Regelung zum Verbandsgebiet in § 1 der Satzung wie folgt geändert:

7

(1) – (2)

...

(3)

8

Das Gebiet des Verbandes ist ca. 25.500 ha groß und umfasst das Einzugsgebiet der Gewässer Nr. 1, 2, 3, 4 und 5.

9

Die Flächen des Einzugsgebietes liegen in den Gemeinden Beschendorf, Dahme, Damlos, Göhl, Gremersdorf, Grömitz, Grube, Harmsdorf, Heringsdorf, Kabelhorst, Lensahn, Manhagen, Riepsdorf, Schönwalde, Wangels und der Stadt Oldenburg.

(4)

10

In der dieser Satzung als Anlage beigefügten Übersichtskarte im Maßstab 1:25.000 ist die Grenze des Verbandsgebietes als rote Linie dargestellt. Die Übersichtskarte ist Bestandteil der Satzung.

(5)

11

Die Grenze des Verbandsgebietes ist in Abgrenzungskarten im Maßstab 1:5.000 rot eingetragen. Sie verläuft auf der dem Verbandsgebiet zugewandten Seite der roten Linie. Die Ausfertigung der Karten ist bei der Aufsichtsbehörde, dem Kreis Ostholstein, Lübecker Straße 41, 23701 Eutin, verwahrt. Die Karten sind Bestandteil dieser Satzung.

12

Eine weitere Ausfertigung der Karten ist bei der Geschäftsstelle des Verbandes Gewässer- und Landschaftsverband Wagrien-Fehmarn, Heiligenhafener Chaussee 35 a, 23758 Oldenburg/Holstein, niedergelegt.

13

Die Karten können bei diesen Behörden während der Dienststunden eingesehen werden.

14

(6) – (8)

...

15

Mit Bescheid vom 2. Juni 2014 zog der Beklagte die Klägerin zur Zahlung eines Wasserverbandsbeitrages für das Jahr 2014 in Höhe von 179,84 Euro heran. Darin wurden für die Gewässerunterhaltung ein Grund- und ein Flächenbeitrag sowie für den Hochwasserschutz ein Grund- und ein Hochwasserschutzbeitrag erhoben.

16

Nach erfolglosem Widerspruch hat die Klägerin Klage erhoben. Ein Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den Präsidenten des Verwaltungsgerichts … und den Richter am Verwaltungsgericht …hat das Verwaltungsgericht zurückgewiesen.

17

Die Klägerin hat beantragt,

18

den Beitragsbescheid 2014 aufzuheben.

19

Der Beklagte hat beantragt,

20

die Klage abzuweisen.

21

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 15. Oktober 2015 abgewiesen. Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide sei die Satzung des Beklagten. Diese sei hinsichtlich der Bestimmung des Verbandsgebiets ohne Fehler. Die Festlegung des Verbandsgebietes sei Sache der Satzung selbst. Die Bezugnahme auf einen Plan, aus dem sich das Verbandsgebiet ergeben könnte, reiche dafür nicht aus. Die durch den Verbandsausschuss geänderte Satzung entspreche nunmehr diesen Anforderungen. Mit den jetzigen Regelungen sei der räumliche Geltungsbereich der Satzung klar erkennbar. Auch die Bezugnahme auf eine Karte, die für jeden zugänglich und einsehbar sei und auf die in der Satzung hingewiesen werde, genüge den Anforderungen.

22

Die Änderung der Satzung sei wirksam zustande gekommen. Das Verbandsgebiet sei entsprechend den Regelungen des alten Wasserverbandsrechts bestimmt gewesen. Nach In-Kraft-Treten des Wasserverbandsgesetzes am 1. Mai 1991 sei der Beklagte verpflichtet gewesen, innerhalb einer Übergangsfrist von fünf Jahren die Anpassung an das neue Recht vorzunehmen. Weder der Verband noch der Verbandsausschuss seien dadurch untergegangen, dass die Satzung nicht fristgemäß an die Anforderungen des Wasserverbandsgesetzes angepasst worden sei. Die Rechtsstellung der Altverbände werde durch die Gesetzesänderung nicht berührt. Ausgenommen von der Anpassungspflicht seien Regelungen zu den Aufgaben des Verbands, die Bestimmungen darüber, wer Verbandsmitglied sei, Regelungen zum Beitragsmaßstab sowie zum Stimmenverhältnis in der Verbandsversammlung, mithin die Kernregelungen der Organisation eines Wasserverbandes. Dagegen betreffe die hier nicht angepasste Satzungsregelung eine eher formelle Frage. Die Regelungen über die Verbandsorgane hätten eine von der Regelung über das Verbandsgebiet unabhängige Bedeutung. Eine bloße Nichtanpassung der Satzung sei nicht vergleichbar mit einer Neugründung eines Wasser- und Bodenverbandes mit einer von Anfang an fehlerhaften Satzung bezüglich des Verbandsgebietes. Die Rechtsfolge der Nichtanpassung der Satzung sei allein, dass der Altverband eine Satzung habe, die nicht mehr den gesetzlichen Anforderungen entspreche.

23

Der angefochtene Bescheid sei auch nicht zu beanstanden, soweit er Beiträge für den Hochwasserschutz festsetze. Die Wasser- und Bodenverbände seien für bestimmte Deiche unterhaltungspflichtig. Daher könnten diejenigen, deren Grundstücke durch Deiche und Dämme geschützt würden, zu den Kosten der Unterhaltung nach dem Maß ihres Vorteils herangezogen werden. Der Verband handele insofern im Rahmen seiner Selbstverwaltungsangelegenheiten.

24

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung der Klägerin.

25

Die Klägerin macht geltend, die in der Satzung des Beklagten ursprünglich enthaltene Regelung zum Verbandsgebiet entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben. Deshalb sei die Satzung insgesamt nichtig und habe durch den Verbandsausschuss nicht geändert werden können. Infolge der Gesamtnichtigkeit sei der Beklagte zum 1. Mai 1996 erloschen. Im Übrigen fehle es für den Beitrag zum Hochwasserschutz an einer gesetzlichen Grundlage. Die erstinstanzliche Entscheidung beruhe auch auf Verfahrensfehlern, weil voreingenommene Richter mitgewirkt hätten und das rechtliche Gehör verletzt worden sei.

26

Die Klägerin beantragt,

27

unter Aufhebung des Verwaltungsgerichtsurteils vom 15. Oktober 2015 den Beitragsbescheid vom 2. Juni 2014 in Form der Widerspruchsentscheidung vom 23. September 2014 aufzuheben, hilfsweise, den Betrag auf 30,99 Euro herabzusetzen.

28

Der Beklagte beantragt,

29

die Berufung zurückzuweisen.

30

Er trägt vor, die Klägerin könne Einwendungen gegen die wirksame Gründung des Verbandes nicht mehr geltend machen. Der Beklagte sei ein Altverband, der in seinem Fortbestand geschützt sei. Demzufolge könne ein Verstoß der Satzung gegen die Vorgaben des Wasserverbandsgesetzes nicht zur Gesamtnichtigkeit der Satzung führen. Die Aufhebung einer Satzung komme der Auflösung des Verbandes gleich. Das Gesetz sehe einen solchen Auflösungsgrund jedoch nicht vor. Auch sei keine Rechtsfolge für den Fall geregelt, dass der Verband seine Satzung nicht fristgemäß anpasse. Da die Aufsichtsbehörde nicht eingeschritten sei, habe der Beklagte seine teilnichtige Satzung ändern können. Nunmehr sei die Grenze des Verbandsgebietes hinreichend bestimmt. Der Ausschuss sei zur Satzungsänderung befugt gewesen. Der Beklagte sei auf der Grundlage der Wasserverbandverordnung gegründet worden. Diese sehe vor, dass der Verband einen Vorstand und einen Ausschuss habe. Der Verband könne immer nur Satzungsänderungen vornehmen, daher sei eine Nichtigkeit der Satzung immer nur eine Teilnichtigkeit. Die Gesamtnichtigkeit sei ein schwerwiegender Eingriff, den der Gesetzgeber hätte regeln müssen, wenn er ihn gewollte hätte.

31

Die Erhebung eines Hochwasserschutzbeitrages sei rechtmäßig. Das Landeswassergesetz sei nicht maßgeblich, denn dieses betreffe mit der Übertragung einer Auftragsangelegenheit eine andere Regelungsmaterie.

32

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

33

Die Berufung ist begründet. Der angefochtene Beitragsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Satzung des Beklagten bietet keine Grundlage für die Beitragserhebung. Die Festlegung des Verbandsgebietes in § 1 Abs. 3 der Satzung in der Fassung vom 9. Dezember 2008 ist unwirksam. Dies führt zur Gesamtnichtigkeit der Satzung. Der Fehler ist durch die vom Verbandsausschuss am 18. Dezember 2013 beschlossene Satzungsänderung nicht geheilt worden.

34

Zutreffend und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (Beschlüsse vom 11. Dezember 2013 – 4 MB 54/13 und 4 MB 55/13 – und vom 24. Oktober 2014 – 4 MB 45/14 und 4 MB 47/14 –) ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass § 1 Abs. 3 der Satzung des Beklagten in der Fassung vom 9. Dezember 2008 keine wirksame Bestimmung des Verbandsgebietes enthält. Zum einen genügt die Regelung nicht den materiellen Anforderungen des Gesetzes, zum anderen sind die Vorschriften über die Bekanntmachung der Satzung nicht eingehalten worden.

35

§ 6 Abs. 2 WVG regelt, welche Bestimmungen die Satzung eines Wasser- und Bodenverbandes mindestens enthalten muss. Dazu gehören gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 3 WVG Bestimmungen über das Verbandsgebiet. Das Verbandsgebiet muss demnach in der Satzung selbst umschrieben werden. Ungenügend ist eine Bezugnahme auf satzungsfremde Unterlagen, deren Inhalt nur grob umrissen wird und bei denen nicht ausgeschlossen ist, dass sie unabhängig von der Satzung geändert werden können. Dieser Mangel ist hier gegeben. § 1 Abs. 3 der Satzung vom 9. Dezember 2008 verweist zunächst auf eine maßstäblich genannte und als anliegend bezeichnete Übersichtskarte. Dies lässt sich dahin auslegen, dass die Übersichtskarte an der Rechtsnormqualität der Satzung und somit auch an deren Änderungsverfahren teilhaben soll. Allerdings ergibt sich bereits aus der Bezeichnung als „Übersichtskarte“, dass es im Rahmen der Übersicht weitere detailliertere Darstellungen bzw. Festlegungen geben muss, die Karte somit für sich genommen noch keine hinreichende Bezeichnung des Verbandsgebietes leistet. Dieses Ziel wird erst dadurch erreicht, dass § 1 Abs. 3 der Satzung für die Abgrenzung des Verbandsgebietes zusätzlich auf die im Verbandsplan gemäß § 4 der Satzung genannten Verbandsgrenzen verweist. Das genügt nicht den Anforderungen des § 6 Abs. 2 WVG. Der Plan besteht nach § 4 Abs. 3 der Satzung aus den Gründungsunterlagen, dem Gewässer- und Anlagenverzeichnis, den Gewässerpflegeplänen, genehmigten Bau- und Betriebsplänen für die Schöpfwerke, den Anlagenverzeichnissen für die Deichunterhaltung und weiteren Verzeichnissen für die Aufgabenerfüllung des Verbandes. Ein solcher Plan ist nur dann Teil der Satzung, wenn er dazu erklärt worden ist (BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1964 – IV C 143/62 –, BVerwGE 18, 318, 320). Das ist hier nicht der Fall. Der Plan nimmt damit auch nicht an dem Verfahren zur Änderung der Satzung teil. Nach welchen Regeln die in § 4 Abs. 4 der Satzung vorgesehene Fortschreibung der Planunterlagen durch den Gewässer- und Landschaftsverband Wagrien-Fehmarn vonstattengeht und inwieweit dies Auswirkungen auf das Verbandsgebiet haben kann, geht aus der Satzung nicht hervor. Die Umgrenzung des Verbandsgebietes ist jedoch Sache der Satzung und nicht des Plans (BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1964, a.a.O. S. 322; Senat, Beschluss vom 15. August 2013 – 4 MB 27/13 –).

36

Zudem ist § 1 Abs. 3 der Satzung in der Fassung vom 9. Dezember 2008 nicht ordnungsgemäß bekanntgemacht worden. § 7 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 WVG bzw. § 58 Abs. 2 Satz 2 WVG verlangen, dass sowohl die Satzung zur Errichtung des Wasser- und Bodenverbandes als auch spätere Änderungen von der Aufsichtsbehörde öffentlich bekanntzumachen sind; die Bekanntmachung ist Voraussetzung für das In-Kraft-Treten der Satzung bzw. der Satzungsänderung (vgl. auch § 68 Satz 1 und § 69 LVwG). Die Einzelheiten ergeben sich aus § 67 WVG i.V.m. § 22 LWVG. Diesen Anforderungen genügt § 1 Abs. 3 der Satzung in der ursprünglichen Fassung vom 9. Dezember 2008 schon deshalb nicht, weil die dort in Bezug genommene Übersichtskarte nicht bekanntgemacht worden ist. Eine die textliche Umgrenzung des Verbandsgebietes in der Satzung ersetzende Landkarte als Bestandteil der Satzung eines Wasserverbandes ist mitzuverkünden (BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1964 – IV C 143/62 –, BVerwGE 18, 318, 322). Entsprechend den für Schutzgebietsverordnungen aufgestellten Anforderungen der rechtsstaatlichen Normenklarheit muss bei der Verweisung auf eine anderweit aufbewahrte Karte u.a. der Aufbewahrungsort so genau bezeichnet sein, dass der Betroffene ihn ohne weiteres zwecks Einsichtnahme aufsuchen kann (BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1967 – IV C 105.65 –, BVerwGE 26, 129, 130). Daran fehlt es hier.

37

Enthält die Satzung eines Wasser- und Bodenverbandes keine gültige Bestimmung des Verbandsgebietes, so hat dies nicht lediglich die Teilunwirksamkeit der Satzung zur Folge. Die Satzung ist vielmehr insgesamt nichtig. An dieser bisher vom Senat vertretenen Auffassung (Beschlüsse vom 15. August 2013 – 4 MB 27/13 –, vom 11. Dezember 2013 – 4 MB 54/13 und 4 MB 55/13 –, vom 24. Oktober 2014 – 4 MB 45/14 und 4 MB 47/14 – sowie vom 31. März 2015 – 4 M 53/14 –) ist auch unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgericht angeführten Gegenargumente festzuhalten.

38

Die Teilbarkeit einer Norm ist unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 139 BGB zu verneinen, wenn der fehlerbehaftete Teil mit dem übrigen Normgefüge – bzw. einem wiederum abtrennbaren Teil davon – so verflochten ist, dass die Restbestimmung ohne den nichtigen Teil nicht sinnvoll bestehen bleiben kann. Das ist dann der Fall, wenn der verbleibende Teil nicht der Rechtsordnung entspricht, etwa eine unter Gleichheitsaspekten unzureichende Regelung darstellt oder den gesetzlichen Regelungsauftrag verfehlt. Dabei ist auf den (objektivierten) mutmaßlichen Willen des Normgebers abzustellen (BVerwG, Urteil vom 2. August 2012 – 7 CN 1/11 –, juris Rn. 28; Beschluss vom 13. Januar 2012 – 9 B 56/11 –, juris Rn. 5; Urteil vom 26. März 2009 – 4 C 21/07 –, juris Rn. 30; OVG Lüneburg, Urteil vom 13. Oktober 2015 – 1 KN 66/14 –, juris Rn. 47; OVG Magdeburg, Urteil vom 26. August 2015 – 2 K 174/13 –, Rn. 34, juris; OVG Greifswald, Urteil vom 19. Mai 2015 – 3 K 44/11 –, juris Rn. 87; OVG Bautzen, Beschluss vom 22. Januar 2015 – 5 B 120/14 –, juris Rn. 12; OVG Koblenz, Urteil vom 15. Juni 2011 – 8 C 10364/11 –, juris Rn. 67; VGH München, Urteil vom 30. November 2006 – 26 N 03.395 –, juris Rn. 33; OVG Münster, Urteil vom 3. Dezember 2003 – 7a D 118/02.NE –, juris Rn. 97; Gerhardt/Bier, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand 2015, § 47 Rn. 110; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 47 Rn. 359; Schmidt, in: Eyermann/Fröhler, VwGO, 14. Auflage 2014, § 47 Rn. 93; Friedersen, in: Foerster/Friedersen/Rohde, LVwG, Stand 2014, § 67 Erl. 2).

39

Hinsichtlich der Bestimmung des Verbandsgebiets fehlt es an der objektiven Teilbarkeit. Die Regelung zählt gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 3 WVG zum Mindestinhalt der Satzung. Ihre Unwirksamkeit führt dazu, dass das verbleibende Normgefüge nicht mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Ein solcher Mangel führt nicht nur im Gründungsstadium (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. März 2012 – 7 B 10/12 –, juris Rn. 13; VGH Kassel, Urteil vom 11. November 2011 – 7 A 2465/10 –, juris Rn. 38), sondern generell zur Nichtigkeit der Satzung. Auch eine auf die Regelungen über die Verbandsorgane beschränkte Fortgeltung kommt nicht Betracht, weil eine solche Rumpfsatzung ebenfalls nicht mit § 6 Abs. 2 WVG in Einklang stünde.

40

Dem kann nicht entgegengehalten werden, der ungültige Teil der Satzung betreffe eine eher formelle Frage außerhalb der Kernregelungen zur Verbandsorganisation. Die Bestimmung des Verbandsgebietes ist Grundlage dafür, dass bestimmte Rechtsträger überhaupt von den Maßnahmen des Verbandes betroffen sein können. Auch die Anknüpfung der dinglichen Mitgliedschaft an das von Art. 14 GG geschützte Grundstückseigentum macht eine klare räumliche Abgrenzung des verbandlichen Wirkungskreises notwendig (Reinhardt, in: Reinhardt/Hasche, WVG, 2011, § 6 Rn. 18). Das aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Erfordernis einer in der Satzung enthaltenen Umgrenzung hat das Bundesverwaltungsgericht bereits zu einer Zeit hervorgehoben, als eine entsprechende einfachgesetzliche Regelung fehlte (BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1964 – IV C 143/62 –, BVerwGE 18, 318, 322; Urteil vom 27. Januar 1967 – IV C 105.65 –, BVerwGE 26, 129, 130; vgl. Rapsch, WVVO, 1989, § 36 Rn. 12 ff.). Diese Rechtsprechung hat den Gesetzgeber zur Schaffung des § 6 Abs. 2 Nr. 3 WVG veranlasst, ohne die Altverbände gemäß § 79 Abs. 2 Satz 2 WVG von einer Anpassungspflicht freizustellen (BTDrs. 11/6764 S. 25; Rapsch, Wasserverbandsrecht, 1993, Rn. 72 Rn. 59). Daher kann nicht der Meinung beigetreten werden, die fehlerhafte Bestimmung des Verbandsgebietes sei ohne praktische Relevanz und könne vorbehaltlich eines Einschreitens der Aufsichtsbehörde (§ 72 Abs. 1 Satz 1 WVG) unbeachtet bleibe, sodass der Verband bei Aufrechterhaltung der Satzung ohne wirksame Bestimmung des Verbandsgebietes seine Arbeit ungestört fortsetzen könne. Sämtliche der in § 3 der Satzung genannten Aufgaben haben einen Bezug zum Verbandsgebiet. Ohne (wirksame) Festlegung dieses Gebietes wäre der Verband praktisch handlungsunfähig.

41

Das im Wasserverbandsgesetz enthaltene Übergangsrecht lässt keinen Schluss darauf zu, dass der Gesetzgeber die Rechtsfolge der Gesamtnichtigkeit vermeiden wollte. § 79 Abs. 1 i.V.m. § 78 Abs. 1 WVG sieht vor, dass die Rechtsstellung der Altverbände durch das Außerkrafttreten des früher geltenden Wasserverbandsrechts nicht berührt wird. Dies hat zur Folge, dass der Beklagte seinen durch das Reichswasserverbandgesetz vom 10. Februar 1937 und die Erste Wasserverbandverordnung vom 3. September 1937 begründeten Status als Wasser- und Bodenverband nicht deshalb verloren hat, weil diese Normen aufgehoben worden sind. Zur Änderung der Rechtsstellung aus anderen Gründen verhält sich § 79 Abs. 1 WVG nicht. Gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 WVG sind die Satzungen von Altverbänden innerhalb von fünf Jahren den Vorschriften des neuen Rechts anzupassen. Nicht geregelt ist, welche Folgen eine Fristversäumung nach sich zieht. Dies könnte Anlass zu der Überlegung geben, ob nicht die Gesamtnichtigkeit eine unangemessen scharfe Reaktion auf die bloße Nichtbeachtung einer Frist darstellt. Damit würde indessen der Übergangsvorschrift eine Bedeutung beigelegt, die sie im Zusammenhang mit der Bestimmung des Verbandsgebiets nicht hat. Wie ausgeführt bestanden die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Bestimmung des Verbandsgebietes auch schon unter der Geltung des alten Rechts. § 79 Abs. 2 Satz 1 WVG will nicht eine bisher schon rechtswidrige Satzungsbestimmung bis zum Ablauf der Anpassungsfrist als rechtmäßig fingieren. Die Rechtswidrigkeit von § 1 Abs. 3 der Satzung des Beklagten beruht also gerade nicht auf einer Versäumung dieser Frist.

42

Der Rechtsverstoß und damit die Nichtigkeit der Satzung sind durch die am 18. Dezember 2013 vom Verbandsausschuss beschlossene 3. Nachtragssatzung nicht geheilt worden. Zum einen kann der Mangel der Gesamtnichtigkeit nicht dadurch geheilt werden, dass lediglich eine einzelne Bestimmung – hier § 1 der Satzung – geändert wird (vgl. Beschlüsse des Senats vom 24. Oktober 2014 – 4 MB 45/14 und 4 MB 47/14 –). Zum anderen war der Verbandsausschuss für die Satzungsänderung nicht zuständig. § 46 Abs. 1 Satz 1 WVG sieht als Organe des Verbandes die Versammlung der Verbandsmitglieder (Verbandsversammlung) und den Vorstand vor. Die Beschlussfassung über Änderungen der Satzung obliegt gemäß § 47 Abs. 1 WVG der Verbandsversammlung. Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 WVG kann die Satzung bestimmen, dass der Verband anstelle der Verbandsversammlung einen Verbandsausschuss als Vertreterversammlung der Verbandsmitglieder hat. Von dieser Möglichkeit hat der Beklagte in § 8 der Satzung Gebrauch gemacht. Zu den Aufgaben des Verbandsausschusses gehört gemäß § 11 Satz 2 Nr. 2 der Satzung die Beschlussfassung über Änderung der Satzung. Die Kompetenz des Verbandsausschusses wäre dadurch aber nur dann begründet worden, wenn die Satzung oder jedenfalls dieser Teil der Satzung wirksam gewesen wäre. Dies war infolge der Gesamtnichtigkeit nicht der Fall.

43

Unergiebig ist der Einwand, im Falle der Gesamtnichtigkeit einer bestimmten Satzung gelte die zuvor erlassene Satzung fort, sodass die Zuständigkeit des Verbandsausschusses für Satzungsänderungen aus jener Satzung und für den Fall einer auch dort festzustellenden Gesamtnichtigkeit aus noch früheren Satzungen, im äußersten Fall aus der Gründungssatzung, abgeleitet werden könne. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass frühere Satzungen des Beklagten eine den rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Bestimmung des Verbandsgebiets enthielten. Im Übrigen werden förmlich aufgehobene ältere Satzungsbestimmungen, selbst wenn die Aufhebung unwirksam sein sollte, regelmäßig durch derogierendes Gewohnheitsrecht außer Kraft gesetzt. Voraussetzung der Bildung solchen Gewohnheitsrechts ist eine lang dauernde Nichtanwendung der Rechtsnorm und die gemeinsame Rechtsüberzeugung, dass sie außer Kraft getreten sei (BVerfG, Beschluss vom 17. März 1959 – 1 BvR 53/56 –, juris Rn. 27; BVerwG, Beschluss vom 31. August 1978 – VII B 127.77 –, juris Rn. 7). Dieser Tatbestand ist typischerweise dann erfüllt, wenn die Betroffenen in der Folge von Satzungsänderungen über einen langen Zeitraum hinweg – wie auch hier bis vor wenigen Jahren – davon überzeugt sind, die jeweils aktuelle Fassung der Satzung sei wirksam. Umgekehrt ist aber durch solche Überzeugungsbildung nicht wirksam neues Satzungsgewohnheitsrecht geschaffen worden. Dies ist deshalb auszuschließen, weil sich die aus dem Verstoß gegen höherrangiges Recht resultierende Nichtigkeitsfolge über die förmliche erlassene Satzung hinaus auch auf inhaltlich gleichlautendes Gewohnheitsrecht erstreckt.

44

Der Umstand, dass keine wirksame Satzung vorlag, führt zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beitragsbescheides. Die Frage, ob die Nichtigkeit der Satzung darüber hinaus den Untergang des Verbandes zur Folge hat, ist für die Entscheidung über die hiesige Klage nicht erheblich. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung einen Satzungsbeschluss der Verbandsversammlung zur Behebung der Gesamtnichtigkeit für zulässig gehalten und damit stillschweigend die Fortexistenz des Verbandes angenommen hat (Beschluss vom 31. März 2015 – 4 MB 53/14 –). Für eine solche Annahme spricht, dass sachliche Gründe für eine Beendigung nicht ersichtlich sind und das Gesetz derartiges auch nicht vorsieht (insbesondere nicht in § 7 WVG). Allerdings fehlen Vorschriften, die das Verfahren bei einer insgesamt nichtigen Satzung regeln. Offenbar hat der Gesetzgeber diesen Fall nicht bedacht. Es liegt nahe, die gesetzliche Regelung zur Änderung der Satzung (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 WVG) analog anzuwenden.

45

Ob Wasser- und Bodenverbände einen Hochwasserschutzbeitrag in Form eines Mitgliedsbeitrages erheben dürfen, ist ebenfalls nicht streitentscheidend. Der Senat hat diese Frage bisher offengelassen (Beschlüsse vom 24. Oktober 2014 – 4 MB 45/14 und 4 MB 47/14 –). Insofern genügt der Hinweis, dass die Verbandsmitglieder gemäß § 28 Abs. 1 WVG verpflichtet sind, dem Verband Beiträge zu leisten, soweit dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. Zu den Aufgaben des Beklagten gehört laut § 3 Nr. 6 der – als wirksam unterstellten – Satzung der Hochwasserschutz. Dabei handelt es sich gemäß § 2 Nr. 5 WVG um eine zulässige Aufgabe des Verbandes, denn eine abweichende landesrechtliche Regelung ist nicht ersichtlich (vgl. § 63 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LWG). Zwar sieht § 63 Abs. 4 Satz 2 LWG vor, dass der Hochwasserschutzbeitrag im Streitfall von der zuständigen Wasserbehörde oder Küstenschutzbehörde festgesetzt wird. Jedoch darf nicht übersehen werden, dass es sich dabei um ein Landesgesetz handelt, welches hinter entgegenstehendem Bundesrecht zurücktritt (Art. 31 GG). Bundesrechtlich benötigt der Verband eine behördliche Zustimmung nur für den Fall, dass er Beiträge von Nichtmitgliedern erhebt (§ 28 Abs. 3 WVG). § 63 Abs. 4 Satz 2 LWG dürfte daher auf Mitgliedsbeiträge nicht anwendbar sein. Der Beitragsmaßstab richtet sich bei Verbandmitgliedern ebenfalls nicht nach Landesrecht, sondern nach § 30 WVG.

46

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

47

Die Revision war gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.


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