Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 O 4/18

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 27. Februar 2018 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer.

Gründe

1

Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Vollstreckungsschuldners und Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 27. Februar 2018, mit dem dieses die vom Vollstreckungsschuldner nach Maßgabe des § 167 VwGO iVm § 766 ZPO eingelegte Erinnerung gegen die Vollstreckungsmaßnahme der Vorsitzenden der 4. Kammer des Verwaltungsgerichts vom 20. Juni 2017 zurückgewiesen hat, ist nicht begründet. Zwar war vorliegend nicht die Vorsitzende, sondern die Kammer für die Entscheidung über die Erinnerung zuständig (1.). Der Beschwerde bleibt gleichwohl der Erfolg versagt, weil die Vollstreckungsmaßnahme vom 20. Juni 2017 keine Rechtsfehler in der Sache erkennen lässt (2.).

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1. Die Entscheidung über die Erinnerung nach § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 766 ZPO hätte nicht durch die Vorsitzende, sondern durch die Kammer als Vollstreckungsgericht gemäß § 167 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 5 Abs. 3 Satz 1 und 2 VwGO getroffenen werden müssen, d.h. in der Besetzung des Spruchkörpers mit drei Richtern (vgl. OVG C-Stadt-Brandenburg, Beschluss vom 4. März 2015 – OVG 6 L 8.15 –, juris, Rn. 6; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 11. Juni 2012 – 3 O 24/12 –, juris, Rn. 12; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Juli 2007 – 11 E 612/07 –, juris, Rn. 1; OVG Thüringen, Beschluss vom 28. Februar 1995 – 1 VO 9/95 –, juris, Rn. 24; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 14. September 1988 – 9 S 2550/88 –, NVwZ-RR 1989, 512).

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Die Auffassung, über die Vollstreckungserinnerung gegen Entscheidungen des Vorsitzenden nach § 169 Abs. 1 VwGO entscheide der Vorsitzende selbst (vgl. OVG Sachsen, Beschluss vom 14. April 2014 – 5 E 103/12 –, juris, Rn. 9;Pietzner/Möller, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 35. Erg.-Lfg. September 2018, § 169 Rn. 147), teilt der Senat nicht. Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit sind mit Blick auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) streng formal zu handhaben. Dies bedeutet, dass für eine den Wortlaut übersteigende Auslegung zwingende Gründe sprechen müssen. § 169 Abs. 1 Satz 2 VwGO weist dem Vorsitzenden die Zuständigkeit für die Anordnung von Vollstreckungsmaßnahmen zu. Die Vorschrift enthält im Wortlaut keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Vorsitzende – entgegen § 167 Abs. 1 Satz 2 VwGO – auch zuständig ist für die Entscheidung über vollstreckungsrechtliche Rechtsbehelfe. Zwingende Gründe, gleichwohl dem Vorsitzenden diese Zuständigkeit zuweisen, sind nicht ersichtlich.

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2. Die Beschwerde des Vollstreckungsschuldners gegen die Vollstreckungsmaßnahme des Verwaltungsgerichts vom 20. Juni 2017 bleibt gleichwohl in der Sache ohne Erfolg. Nach der dem Senat nach § 146 Abs. 1 VwGO eröffneten und vorliegend angewandten vollumfänglichen Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 12. September 2006 – 5 OB 194/06 –, juris, Rn. 18) ist die Vollstreckungsmaßnahme des Verwaltungsgerichts vom 20. Juni 2017 nicht zu beanstanden. Eine Zurückverweisung an die 1. Instanz wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 VwGO analog lehnt der Senat bereits deshalb ab, weil eine Entscheidung in der Sache unter Ausübung seiner vollumfänglichen Prüfungs- und Entscheidungskompetenz ohne weites möglich ist und zudem einen Besetzungsmangel in 1. Instanz heilt (vgl. zu dieser Möglichkeit bei Berufungen BVerwG, Urteil vom 20. August 1965 – IV C 119.65 –, NJW 1965, 2317). Darüber hinaus liegen die weiteren Voraussetzungen einer Zurückverweisung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 VwGO analog nicht vor. Vor diesem Hintergrund bedarf es letztlich auch keiner Entscheidung der umstrittenen Frage, ob der Senat in entsprechender Anwendung des § 130 Abs. 2 VwGO zu einer Zurückverweisung an die 1. Instanz zur erneuten Entscheidung überhaupt befugt wäre; zumal die Beteiligten eine solche Zurückverweisung ohnehin nicht beantragt haben.

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a. Vorliegend hat die Vorsitzende der 4. Kammer nach § 169 Abs. 1 VwGO als das zuständige Vollstreckungsorgan gehandelt. Die Übertragung des Rechtsstreits im Erkenntnisverfahren auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin, führt nicht dazu, dass die Einzelrichterin als (funktionale) Vorsitzende im Sinne des § 169 Abs. 1 Satz 2 VwGO anzusehen wäre. Bei der aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden, für die gerichtliche Zuständigkeitsregelung gebotenen formalen Betrachtung verweist der Begriff „Vorsitzende des Gerichts des ersten Rechtszugs“ auf den Vorsitzenden i.S.d. § 5 Abs. 1, § 4 Satz 1 VwGO, § 21f GVG (vgl. Clausing, in: Schoch/ Schneider/ Bier, VwGO, 35. EL September 2018, § 6 Rn. 56; Gersdorf, in: BeckOK-VwGO,Stand 1. Juli 2018, § 6 Rn. 8; a.A. 1. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichtes, Beschluss vom 6. Februar 2018 – 1 O 1/18 (unveröffentlicht); OVG Thüringen, Beschluss vom 16. Februar 2010 – 1 VO 93/09 –, juris, Rn. 20 ff.;OVG C-Stadt-Brandenburg, Beschluss vom 18. November 2016 – OVG 3 K 65.15 –, juris, Rn. 2; Kronisch: in Sodan/ Ziekow, VwGO 5. Auflage 2015, § 6 Rn. 18). Der Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist auch bei Maßnahmen des Vorsitzenden nach § 169 VwGO eröffnet, unabhängig von der Frage, ob die Tätigkeit des Vorsitzenden nach § 169 VwGO als Rechtsprechung im materiellen Sinne i.S.d. Art. 92 GG einzuordnen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08. Februar 1967 – 2 BvR 235/64 –, juris, Rn. 16 f. zur Tätigkeit der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit).

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Die vom Thüringer Oberverwaltungsgericht (Beschluss vom 16. Februar 2010 – 1 VO 93/09 –, juris) angeführten Gesichtspunkte für eine funktionale Auslegung des Begriffs des Vorsitzenden geben keinen Anlass für eine den Wortlaut übersteigende Auslegung. Nach Ansicht des Thüringer Oberverwaltungsgericht sprechen zwei Aspekte für ein funktionales Begriffsverständnis: Zum einen erstrecke sich die Übertragung auf den Einzelrichter im Erkenntnisverfahren auch auf eine etwaige Vollstreckung, da die Übertragung des Verwaltungsrechtsstreits die Befugnis zur Entscheidung aller damit verbundenen Nebenverfahren umfasse, insbesondere zur Entscheidung über Anträge auf Gewährung von Prozesskostenhilfe sowie von Anträgen im Rahmen der Zwangsvollstreckung (OVG Thüringen, Beschluss vom 16. Februar 2010 – 1 VO 93/09 –, juris, Rn. 31). Zum anderen sei Zweck der Regelung, das Gebot der Sachnähe zwischen Vollstreckung und Ausgangsverfahren zu wahren, dem bei vom Einzelrichter durchgeführten Erkenntnisverfahren nur dann Genüge getan werde, wenn der Einzelrichter als Vorsitzender im funktionalen Sinn auch die Vollstreckung durchführe (OVG Thüringen, Beschluss vom 16. Februar 2010 – 1 VO 93/09 –, juris, Rn. 32).

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Eine solche Auslegung überzeugt nach Auffassung des Senats bereits deshalb nicht, weil eine im Erkenntnisverfahren erfolgte Übertragung auf den Einzelrichter nach § 6 VwGO nicht im Vollstreckungsverfahren fortwirkt. Vielmehr beschränkt sie sich auf das Erkenntnisverfahren und die hierzu gehörenden Nebenverfahren. Das Vollstreckungsverfahren ist hingegen weder Teil des Erkenntnisverfahrens noch ist dies ein hierzu gehörendes Nebenverfahren. Es ist ein selbstständiges, eigenen Regeln folgendes Verfahren (vgl. OVG Nordrhein-Westfahlen, Beschluss vom 1. Juli 1994 – 11 E 239/94 –, NVwZ-RR 1994, 619, 620 für den Fall einer Einzelrichterübertragung im Eilverfahren; Gersdorf, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, § 6 Rn. 8, 48. Ed. 1. Juli 2018; Clausing, in: Schoch/ Schneider/ Bier, VwGO, 35. EL September 2018, § 6 Rn. 56). Eine Übertragung auf den Einzelrichter im Vollstreckungsverfahren durch die Kammer ist dabei grundsätzlich nicht ausgeschlossen; § 6 VwGO ist auch in diesem Verfahren anwendbar. Dies gilt jedoch nicht im vorliegenden Vollstreckungsverfahren nach § 169 Abs. 1 VwGO, wonach eine ausschließliche Zuständigkeit des Vorsitzenden besteht.

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Auf eine etwaige Sachnähe des Einzelrichters kommt es vorliegend deshalb bereits nicht an. Darüber hinaus ist eine besondere Sachnähe für die Anordnung von Vollstreckungsmaßnahmen nach § 169 VwGO nicht vonnöten. Materielle Rechtsfragen stellen sich dabei nicht. Der Vorsitzende hat für die Anordnung von Vollstreckungsmaßnahmen die Vollstreckungsvoraussetzungen zu prüfen und Vollstreckungsrecht anzuwenden, eine sachliche Nähe zu dem entschiedenen Sachverhalt ist dafür nicht Voraussetzung.

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b. Die weiteren Voraussetzungen für eine Vollstreckung nach § 169 Abs. 1 VwGO sind gegeben. Vollstreckungstitel sind vorliegend die beiden rechtskräftigen Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Urkundsbeamten vom 30. Oktober 2015, die zum Klageverfahren 4 A 100/15 der Mutter des Vollstreckungsschuldners gegen den Vollstreckungsgläubiger ergangen sind (vgl. § 168 Abs. 1 Nr. 4 VwGO). Die Kostenfestsetzungsbeschlüsse sind dem Vollstreckungsschuldner als Prozessbevollmächtigen der Klägerin wirksam zugestellt worden (vgl. § 67 Abs. 6 Satz 5 VwGO). Der zwischenzeitliche Tod der Klägerin hat das Verfahren nicht unterbrochen, da der Vollstreckungsschuldner als Prozessbevollmächtigter die Klägerin vertreten hat (vgl. § 173 VwGO i.V.m. §§ 239, 246 Abs. 1 ZPO). Für die Kostenfestsetzungsbeschlüsse ist auch die notwendige Klausel für eine Vollstreckung gegen den Rechtsnachfolger (vgl. § 727 ZPO) am 3. Juni 2016 erteilt worden. Die insoweit erforderliche Zustellung nach § 750 Abs. 2 ZPO an den Rechtsnachfolger erfolgte ausweislich der Postzustellungsurkunde am 7. Juli 2016 (Blatt 220 der Gerichtsakte zum Verfahren 4 A 100/15). Der Vollstreckungsschuldner hätte daher spätestens zu diesem Zeitpunkt erkennen können, welche Beträge verlangt werden.

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Auf der Grundlage der Kostenfestsetzungsbeschlüsse können auch – ohne gesonderte Titulierung – die Kosten der Zwangsvollstreckung beigetrieben werden (vgl. § 788 Abs. 1 ZPO).Mit § 788 ZPO wird dem Vollstreckungsgläubiger ein vereinfachtes Verfahren zur Befriedigung wegen der Vollstreckungskosten eingeräumt, indem er zur Durchsetzung der Vollstreckungskosten nicht darauf angewiesen ist, eine weitere Klage wegen eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs zu erheben (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2005 – V ZB 5/05 –, juris, Rn. 9). Zu den Kosten der Zwangsvollstreckung gehören auch Anwaltskosten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2014 – VII ZB 21/12 –, juris, Rn. 8, 19).

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b. Soweit der Vollstreckungsschuldner eine fehlende Aufstellung der zu zahlenden Zinsen rügt, ist er auf das Schreiben der Vollstreckungsgläubigerin vom 1. Juni 2017 (Bl. 9 der Gerichtsakten) zu verweisen, worin diese den Betrag der Zinsen, welche jeden Tag anfallen, genau auf die jeweilige Hauptleistung beziffert. Das Benennen eines Endbetrages kann von der Vollstreckungsgläubigerin in Bezug auf die Zinsen letztlich nicht verlangt werden, da einer solcher von dem Leistungszeitpunkt des Vollstreckungsschuldners abhängig ist.

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c. Der Vortrag des Vollstreckungsschuldners, der Betrag sei von der Vollstreckungsgläubigerin per illegaler Pfändung am 25. Juni 2017 beigetrieben worden, ist in diesem Vollstreckungsverfahren unbeachtlich. Die Pfändung am 25. Juni 2017 erfolgte nicht zur Durchsetzung der hier maßgeblichen Kostenfestsetzungsbeschlüsse.

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d. Eine Einstellung des Vollstreckungsverfahrens wegen Erfüllung gemäß § 167 Abs. 1 VwGO iVm § 775 Nr. 4 ZPO kommt nicht in Betracht. Die Forderungen der Vollstreckungsgläubigerin wurden nicht durch Zahlung von 1.872 € am 18. Mai 2017 vollständig erfüllt. Soweit der Vollstreckungsschuldner vorträgt, dass er mit Zahlung von 1.872,00 € am 18. Mai 2017 eine Tilgungsbestimmung auf die Hauptforderung getroffen habe, so liegt eine solche Tilgungsbestimmung tatsächlich nicht vor. Der in der Überweisung vom 18. Mai 2017 angegebene Leistungszweck „KfB v.3-6-16 und 2-6-16 VG-S-H 4 A 100-12“ lässt sich bei der gebotenen, am objektiven Empfängerhorizont auszurichtenden Auslegung (vgl. §§ 133, 156 BGB) keine Bestimmung der Tilgungsreihenfolge entnehmen, sondern dient offenkundig der bloßen Zuordnung des Zahlungsvorgangs. Eine Tilgungsreihenfolge, dahingehend, dass zunächst auf die Hauptforderungen geleistet werden sollte, folgt auch nicht aus der Höhe des überwiesenen Betrages (1.872 €), da dieser nicht der Summe der Hauptleistungen (1.871,87 €) entsprach. Damit gilt die gesetzliche Tilgungsreihenfolge des § 367 Abs. 1 BGB: Tilgung der Kosten vor den Zinsen und diese vor der Hauptforderung.

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Darüber hinaus ist die Tilgung der Hauptforderung nicht in der nach § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 775 Nr. 4 ZPO gebotenen Form nachgewiesen.

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d. Im Übrigen kann der Vollstreckungsschuldner mit seinen materiellen Einwänden gegen den titulierten Anspruch im Rahmen des Erinnerungsverfahrens nicht gehört werden (vgl. Pietzner/Möller, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, § 169, Rn. 151, 35. EL Juni 2018; Herget, in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 767, Rn. 12, 32. Auflage 2018; zudem OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 11. Juni 2012 – 3 O 24/12 -, juris, Rn. 14; Bayrischer VGH, Beschluss vom 19. November 1984 – 8 C 84 A.2557 –, NVwZ 1985, 352; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 2. August 2001 – 1 O 3654/00 –, juris, Rn. 4) .

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, da nach Nr. 5502 der Anlage 1 GKG eine Festgebühr von 60,00 € vorgesehen ist.

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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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