Urteil vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. Senat) - 2 L 73/11

Tatbestand

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Die Kläger wenden sich gegen eine vom Beklagten verfügte Untersagung der Nutzung eines Gebäudes zu Wohnzwecken.

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Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks der Gemarkung A-Stadt, Flur A, Flurstück 55, mit der Straßenbezeichnung „Hinter dem W.“. Am 12.12.1991 erteilte der Beklagte der Klägerin zu 1 die Genehmigung für einen „Anbau an das vorhandene Gartenhaus“ auf diesem Grundstück. Das Vorhaben beinhaltete nach den von der Klägerin zu 1 vorgelegten Bauzeichnungen einen 24,85 m² großen Anbau mit einem Schlafzimmer und einem Wohnzimmer. In dem Bauantrag waren in dem Abschnitt „Erläuterung“ die Felder „Wohnen“ und „Errichtung“ angekreuzt, nicht hingegen das Feld „Nutzungsänderung“. Hiervon abweichend wurde ein Anbau mit einer Fläche von etwa 46 m² errichtet.

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Am 25.03.1997 beantragte die Klägerin zu 1 die Genehmigung eines weiteren „Anbaus an ein Einfamilienhaus“. In den vorgelegten Bauunterlagen war als Bestand der bereits errichtete Anbau in der tatsächlichen Größe eingezeichnet. Die Grundfläche sollte von 85,43 m² auf 129,30 m² erweitert und ein Dachgeschoss mit einer Nettofläche von 70,09 m² errichtet werden. Den Bauantrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 20.06.1997 ab. Den von der Klägerin zu 1 erhobenen Widerspruch wies das damalige Regierungspräsidium Magdeburg mit Bescheid vom 09.12.1997 zurück. Am 18.12.1997 erhob die Klägerin zu 1 Klage. Bei einer Ortsbesichtigung im August 1998 stellten Mitarbeiter des Beklagten fest, dass bereits Außenwände für den im Jahr 1997 beantragten Anbau errichtet waren. Daraufhin ordnete der Beklagte mit Bescheid vom 13.08.1998 gegenüber der Klägerin zu 1 die Einstellung der Bauarbeiten an. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies das Regierungspräsidium Magdeburg mit Widerspruchbescheid vom 27.05.2003 zurück. Die auf Erteilung der Baugenehmigung gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 07.07.2000 (4 A 546/97 MD) ab. Den Antrag der Klägerin zu 1 auf Zulassung der Berufung (2 L 309/00) lehnte der Senat mit Beschluss vom 27.10.2003 ab.

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Mit streitgegenständlichen Bescheiden vom 15.10.2004 untersagte der Beklagte den Klägern die weitere Nutzung des Gebäudes als Wohnhaus und drohte für den Fall der Missachtung ein Zwangsgeld an. Zur Begründung gab er an: Eine Genehmigung für die Nutzung des Gebäudes bestehe nicht und dürfe auch nicht erteilt werden. Es bestehe die erhebliche Gefahr einer Nachahmung, zumal es im fraglichen Bereich zu einem weiteren rechtswidrigen Umbau eines Gartenhauses gekommen sei.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.2005 ergänzte das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt die Bescheide vom 15.10.2004 dahingehend, dass die Kläger die Nutzung des Gebäudes als Wohnhaus innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung des Bescheides zu unterlassen haben. Gleichzeitig wurde ihnen gesamtschuldnerisch ein Zwangsgeld von 10.000,00 € angedroht. Im Übrigen wies das Landesverwaltungsamt die Widersprüche zurück.

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Am 18.04.2005 haben die Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung sie u.a. vorgetragen haben: Der Zustand des Gebäudes einschließlich der Umbaumaßnahmen sowie die Nutzung als Wohnung sei Mitarbeitern des Beklagten fortlaufend bekannt gewesen. Der Landrat habe in einem Gespräch am 09.02.2001 die Fertigstellung des im Rohbau befindlichen Anbaus, die Neuüberdachung des gesamten Gebäudes und die Nutzung des Erdgeschosses als Wohnung ausdrücklich geduldet. Darüber hinaus habe der Beklagte im Einvernehmen mit der Stadt A. fortlaufend Baugenehmigungen für Nachbargrundstücke erteilt. Ihr Grundstück befinde sich zudem nicht im Außenbereich.

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Die Kläger haben beantragt,

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die Bescheide des Landkreises A-Stadt vom 15.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 14.03.2005 aufzuheben,

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sowie

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die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

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Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er hat u. a. vorgetragen, auch aus dem Aufstellungsbeschluss der Stadt A. vom 17.08.2005, nach welchem das Grundstück der Kläger in einem reinen Wohngebiet liege, ergebe sich keine abweichende Beurteilung. Es sei nicht abzusehen, dass das eingeleitete Verfahren in einen wirksamen Bebauungsplan münde. Gegen die Rechtmäßigkeit eines entsprechenden Bebauungsplans bestünden erhebliche Bedenken.

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 30.08.2005 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Für die Nutzung des streitgegenständlichen Gebäudes zu Dauerwohnzwecken liege keine Baugenehmigung vor. Der Beklagte habe am 12.12.1991 lediglich die Genehmigung für einen 24,85 m² großen Anbau an das vorhandene Gartenhaus erteilt. Diese Genehmigung umfasse weder das tatsächlich errichtete Gebäude noch eine Nutzung desselben zu Dauerwohnzwecken. Die Nutzung des Gebäudes als Dauerwohnung sei auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig, weil sie bauplanungsrechtlichen Vorschriften widerspreche. Das Grundstück der Kläger liege im Außenbereich; die Umgebung sei insgesamt durch kleingärtnerische Bungalows geprägt. Ermessensfehler lägen nicht vor. Solche ergäben sich insbesondere nicht aus einer längerfristigen Duldung der Wohnnutzung. Die im Februar 2001 vom damaligen Landrat des Beklagten ausgesprochene Duldung entfalte keinerlei Legalisierungswirkung. Sie habe lediglich die Bedeutung gehabt, dass der illegale Zustand zunächst hingenommen werde. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liege nicht vor. Sofern der Beklagte rechtswidrig Baugenehmigungen erteilt haben sollte, sei er nicht gezwungen, vom Erlass einer Nutzungsuntersagung abzusehen, wenn es gerade an einer Baugenehmigung fehle. Die Nutzungsuntersagung erweise sich schließlich nicht im Hinblick auf den Beschluss der Stadt A. vom 17.08.2005 als fehlerhaft, in welchem diese die Absicht bekundet habe, das fragliche Gebiet als Wohnbaufläche auszuweisen. Für die Kläger bestehe lediglich eine vage Aussicht, dass das Vorhaben nach Abschluss des Bebauungsplanverfahrens genehmigungsfähig werde. Zudem habe der Beklagte deutlich gemacht, dass er die Realisierung eines für das Vorhaben der Kläger günstigen Bebauungsplans als sehr zweifelhaft ansehe.

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Am 06.05.2009 beschloss die Stadt A.. die 1. Erweiterung des Bebauungsplans Nr. 37 „Lange Gasse“, der das Grundstück der Kläger, das östlich angrenzende Grundstück (Flur A, Flurstücke 103/56 und 104/56) sowie das an den bisherigen Geltungsbereich sich anschließende Flurstück 54 umfasste. Der Plan setzte für die Grundstücke der Kläger sowie für die östlich angrenzenden Flurstücke 103/56 und 104/56 ein reines Wohngebiet fest mit Ausnahme eines 20 m tiefen, mit Garagen bebauten Streifens an der Straße „Hinter dem W.“, für den eine „private Grünfläche“ festgesetzt wurde. Für das an das Grundstück der Kläger im Westen angrenzende, etwa 105 m tiefe und 40 m breite Flurstück 54, auf dem 10 Kleingärten angelegt waren, setzte der Plan für einen Teilbereich an der Straße „Lange Gasse“ von etwa 35 m Tiefe und voller Grundstücksbreite, der der Fläche der beiden nördlich gelegenen Kleingärten entspricht, ein „eingeschränktes“ reines Wohngebiet fest. Für einen „Zeitraum 1“ war als Nutzungsart folgendes bestimmt: „Kleingarten, befristet nach § 9 Abs. 2 BauGB bis zur Aufgabe des Gartens durch den derzeitigen Nutzer, max. 15 Jahre ab Rechtskraft des B-Plans“. Für einen „Zeitraum 2“ war als Nutzungsart festgesetzt: „reines Wohngebiet, gem. § 9 Abs. 2 BauGB, nach der Aufgabe des Gartens durch den Nutzer, spätestens nach 15 Jahren ab Rechtskraft des B-Plans“. Ferner wurde in Nr. 1 der textlichen Festsetzungen geregelt, dass gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 2 BauGB eine Bebauung im vorgegebenen Baufeld (Teilbereich) erst nach Aufgabe des Gartens durch die derzeitigen Nutzer, spätestens nach 15 Jahren ab Rechtskraft des Bebauungsplans zulässig ist. Für den übrigen Teil des Flurstücks 54 war – ohne zeitliche Begrenzung – eine private Grünfläche festgesetzt. Für das Flurstück 104/56 wurde im Bereich der vorhandenen Wohnbebauung durch Baugrenzen ein etwa 22,5 tiefes und 10 m breites Baufenster festgesetzt. Ein weiteres, durch Baugrenzen festgelegtes Baufenster erstreckte sich im nördlichen, an der Straße „Lange Gasse“ gelegenen Teil. Innerhalb dieses Baufensters befand sich auch das von den Klägern zu Wohnzwecken genutzte Gebäude.

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Am 29.06.2009 wandten sich die Eigentümer der Flurstücke 103/56 und 104/56 im Wege der Normenkontrolle gegen den Bebauungsplan (2 K 102/09). Daraufhin setzte der Senat das vorliegende Verfahren mit Beschluss vom 12.08.2009 entsprechend § 94 VwGO bis zur Erledigung des Normenkontrollverfahrens aus. Mit seit dem 08.04.2011 rechtskräftigem Urteil vom 17.02.2011 erklärte der Senat den Bebauungspan Nr. 37 „Lange Gasse“, 1. Erweiterung, für unwirksam. Zur Begründung führte er aus, einer Erweiterung des Bebauungsplans könne zwar nicht entgegengehalten werden, sie sei mit dem Erforderlichkeitsgebot des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB nicht vereinbar; die Bebauungsplanerweiterung sei aber deshalb fehlerhaft, weil die von der Stadt A.. auf der Grundlage des § 9 Abs. 2 BauGB getroffene Festsetzung einer zeitlich gestaffelten Nutzung für das Flurstück 54 unzulässig sei. In dem Urteil ließ der Senat offen, ob die Planerweiterung auch abwägungsfehlerhaft war, insbesondere in Bezug auf die Belange des Hochwasserschutzes und die im Bebauungsplan vorgesehenen Baugrenzen.

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Daraufhin beschloss die Stadt A. am 19.05.2011 die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens nach § 214 Abs. 4 BauGB. In seiner Sitzung vom 10.07.2012 beschoss sie den Bebauungsplan Nr. 37 „Lange Gasse“, 1. Erweiterung im ergänzenden Verfahren. Der Plan sieht wiederum die Festsetzung eines reinen Wohngebiets für das Grundstück der Kläger, der östlich angrenzenden Flurstücke 103/56 und 104/56 sowie des nördlichen Teils des Flurstücks 54 vor. Festsetzungen nach § 9 Abs. 2 BauGB sind nicht mehr enthalten. Die westliche Baugrenze für das Flurstück 104/56 wurde gegenüber dem ursprünglichen Bebauungsplan dergestalt geändert, dass sie auf der Grenze zum Grundstück der Kläger liegt. Die nördliche Baugrenze verläuft weiter nördlich als im ursprünglichen Bebauungsplan. Nach Ausfertigung am 10.07.2012 wurde der Bebauungsplan im Amtsblatt der Stadt A. vom 21.07.2012 bekannt gemacht.

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Zur Begründung der vom Senat bereits mit Beschluss vom 07.03.2007 zugelassenen Berufung haben die Kläger u.a. vorgetragen, ihr Vorhaben sei – jedenfalls mittlerweile – aufgrund des von der Stadt A. beschlossenen Bebauungsplans offensichtlich genehmigungsfähig. Ein ergänzendes Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB sei möglich gewesen. Wirksamkeitsmängel bestünden nicht (mehr).

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Die Kläger beantragen,

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das angefochtene Urteil zu ändern und die Bescheide des Landkreises A-Stadt vom 15.10.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt vom 14.03.2005 aufzuheben,

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sowie

22

die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Zur Begründung nimmt er Bezug auf sein bisheriges Vorbringen und führt ergänzend aus, es lägen weiterhin keine Gründe vor, von einer Untersagung der illegalen Dauerwohnnutzung abzusehen.

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Das bestehende Gebäude verletze die Abstandsflächen zum Nachbargrundstück. Des Weiteren sei die augenblickliche Situation von mehreren Unwägbarkeiten gekennzeichnet. Die Kläger hätten am 10.11.2009 einen Bauantrag zum Umbau des Gebäudes gestellt, der eine Aufstockung und einen Rückbau vorsehe. Ob die Kläger den beantragten Umbau durchführen wollen, erscheine nach ihrem zwischenzeitlichen Auszug im Jahre 2011 als nicht sicher. Sie hätten andernorts ein neu saniertes Objekt bezogen.

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Darüber hinaus sei die Nutzungsuntersagung abhängig von der Rechtswirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 37 „Lange Gasse“ 1. Erweiterung, der im Wege eines ergänzenden Verfahrens nach § 214 Abs. 4 BauGB korrigiert worden sei. Der Senat sei in seinem Urteil vom 17.02.2011 von einer Gesamtnichtigkeit des Bebauungsplans ausgegangen, weil nicht davon habe ausgegangen werden können, dass die Stadt A. die Bebauungsplanerweiterung auch ohne die Befristung der kleingärtnerischen Nutzung beschlossen hätte. Dann aber seien die Grundzüge der Planung betroffen, so dass ein lediglich ergänzendes Verfahren die falsche Verfahrensart gewesen sei. Bei der ursprünglichen Festsetzung einer zeitlich befristeten baulichen Nutzung habe es sich um einen materiellen Fehler gehandelt, der einen erneuten Abwägungsbedarf ausgelöst habe. Mit der Entscheidung darüber, ob die Gartennutzung dauerhaft festgeschrieben oder eine Wohnnutzung ermöglicht werden solle, sei über eine grundsätzliche Ausrichtung des Bebauungsplanes zu befinden gewesen.

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Zudem sei die städtebauliche Erforderlichkeit der Planung nicht gegeben. Der Stadtrat der Stadt A. habe nach umfassender öffentlicher Einbeziehung ihrer Bürger in seiner Sitzung am 07.05.2008 die „integrierte Stadtentwicklungskonzeption 2020“ beschlossen, die sich an den städtebaulichen Notwendigkeiten unter Berücksichtigung demografischer Entwicklungen bis zum Jahr 2020 orientiere. Die Konzeption setze sich auch mit der Frage nach der Ausweisung von Bauland für die Wohnbebauung auseinander und gelange zu der Aussage, dass in keinem Fall weiteres neues Bauland an der Stadtperipherie oder im Umland ausgewiesen werden sollte, sondern Überlegungen angestellt werden sollten, wie die Wohnwünsche der Einwohner flexibel und preiswert auch in der Innenstadt angeboten bzw. gefördert werden könnten. Diese Ordnungsvorstellungen hätten im Bebauungsplan Berücksichtigung finden müssen. Stattdessen werde in der Planbegründung das der integrierten Stadtentwicklungskonzeption 2020 widersprechende Ziel definiert, das Wohnen in reizvoller Lage am Stadtrand zu ermöglichen. Betrachte man die Ziele der Planung im Einzelnen und vergleiche sie mit den Möglichkeiten, diese tatsächlich durch die Planung zu erreichen, ergäben sich einige Widersprüchlichkeiten. Nach Ziffer 2.2 der Begründung sei als weiteres Ziel die „Vermeidung der weiteren Zersiedelung im städtischen Randbereich“ vorgegeben. Die Planung scheine damit als Ziel zu verfolgen, der bereits vorhandenen illegalen Bautätigkeit im Plangebiet entgegenzuwirken und auf das Vorhandene zu beschränken. Als Problem werde dabei die Vermischung von großen Gartenbereichen mit bereits vorhandener, teils legaler und teils illegaler Wohnbebauung im Plangebiet angesehen. Betrachte man jedoch das Plangebiet und die sich anschließende Bebauung Richtung Osten, so müsse festgestellt werden, dass auch im weiteren Verlauf der Langen Gasse eine durchwachsene Bebauung anzutreffen sei, welche von Privatgärten und dazwischen errichteten (bestandsgeschützten) Wohnhäusern geprägt werde. Die östliche Abgrenzung des Plangebietes (hinter einem der bestandsgeschützten Wohnhäuser) erscheine willkürlich gewählt und ungeeignet, das vorgegebene Ziel zu erreichen. Zudem sei es einer Gemeinde auch nicht möglich, einer illegalen Bautätigkeit in den Randbereichen der Stadt mit planungsrechtlichen Mitteln effektiv entgegenzuwirken. Illegale Bautätigkeit könne nur durch ordnungsbehördliche Maßnahmen der Bauaufsichtsbehörde aufgegriffen werden. Nur diese verfüge über die rechtlichen Instrumentarien, solch illegales Bauen zu unterbinden und nicht weiter ausufern zu lassen. Es sei auch nicht ohne weiteres erkennbar, was der Planaufsteller mit dem angegebenen Ziel der „Begrenzung einer optimierten Bautätigkeit zum Wohnen und zur Erholung im Plangebiet“ im Blick habe. Um etwa das Ziel zu erreichen, auch in Zeiten schrumpfender Städte einen gewissen Bestand an attraktivem Bauland in ruhiger Lage vorzuhalten, erscheine der Bebauungsplan ungeeignet. Da sich im Plangebiet bereits 4 Wohnhäuser befänden, würde im Ergebnis nur ein neuer Standort für eine Wohnbebauung entstehen. Die Eigentümer des betroffenen Grundstücks hätten aber bisher ausdrücklich erklärt, dass ihrerseits kein Interesse an einer weiteren Bebauung bestehe. Da hiernach keine städtebaulichen Ziele erreichbar seien, entstehe unter Berücksichtigung der bisherigen Begleitumstände der Eindruck, dass die verwaltungsrechtlichen Auseinandersetzungen hinsichtlich des illegal errichteten und genutzten Gebäudes der Kläger treibende Kraft im Bebauungsplanverfahren eingenommen hätten und die in der Planung aufgezeigte städtebauliche Konzeption in ihrer positiven Zielsetzung nicht wirklich gewollt sei.

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Der Bebauungsplan genüge auch in mehrfacher Hinsicht nicht den Anforderungen des Abwägungsgebots nach § 1 Abs. 7 BauGB. Zu den abzuwägenden Belangen zählten gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB auch die von der Gemeinde beschlossenen städtebaulichen Entwicklungskonzepte und sonstige städtebauliche Planungen und damit auch die integrierte städtebauliche Entwicklungskonzeption bis 2020. Jedoch habe es die Stadt A. unterlassen, sich in der Abwägung mit diesen Zielstellungen auseinanderzusetzen. Zudem sei im Bebauungsplanverfahren den Interessen der Kleingartenbesitzer im nördlichen Bereich des Grundstückes Flur A Flurstück 54 zunächst ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt worden. Warum diese Interessen in der neueren Fassung keine Berücksichtigung mehr finden, sei nicht ersichtlich. Auch habe die Stadt A. Planalternativen, wie etwa die Gartennutzung dauerhaft festzuschreiben und dann über ein entsprechendes Monitoring die Entwicklungen im Gebiet im Auge zu behalten, nicht in Erwägung gezogen. Die Stadt A. habe zudem die Belange des Hochwasserschutzes (§ 1 Abs. 6 Nr. 12 BauGB) nicht hinreichend beachtet. Nach der Stellungnahme des Landesbetriebes für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft vom 11.04.2012 werde nach neuesten Berechnungen der gesamte Bereich des Bebauungsplanes bei einem HQ100-Ereignis (Jahrhunderthochwasser) komplett überströmt. Das Festsetzungsverfahren hierzu sei bereits eingeleitet. Dies habe im August 2012 stattgefunden. In der Zeit vom 21.09.2012 bis 22.10.2012 sei die öffentliche Bekanntmachung und Auslegung erfolgt. Das Festsetzungsverfahren stehe damit unmittelbar vor seinem Abschluss. Selbst wenn wegen der im Zeitpunkt der Beschlussfassung noch fehlenden Festsetzung des Bereiches als Überschwemmungsgebiet kein Planungsverbot im Sinne von § 78 Abs. 1 WHG bestanden habe, hätte sich die Stadt mit der Problematik umfassender auseinandersetzen müssen.

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Am 16.07.2013 haben die Eigentümer der Flurstücke 103/56 und 104/56 erneut einen Normenkontrollantrag gestellt, diesen aber noch nicht begründet.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Stadt A. Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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I. Die zulässige Berufung ist begründet.

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Die Klage hat Erfolg, denn die angefochtenen Nutzungsuntersagungen sind gegenwärtig rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Maßgeblich ist insoweit die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat.

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Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts richtet sich nicht nach dem Prozessrecht, sondern nach dem Streitgegenstand und dem darauf anwendbaren materiellen Recht. Im Zweifel gilt die Regel, dass bei der Anfechtung von Verwaltungsakten ohne Dauerwirkung die Sachlage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend ist, während bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung – je nach dem zeitlichen Umfang des Aufhebungsbegehrens – auch spätere Veränderungen der Sachlage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts zu berücksichtigen sind (BVerwG, Urt. v. 14.12.1994 – 11 C 25.93 –, BVerwGE 97, 214 [220], RdNr. 29 in Juris, m.w.N.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn das materielle Recht nicht die Maßgeblichkeit eines anderen Zeitpunkts bestimmt (BVerwG, Urt. v. 11.07.2011 – 8 C 12.10 –, Juris; Urt. v. 22.01.1998 – 3 C 6.97 –, BVerwGE 106, 141 [143], RdNr. 18 in Juris). Eine Nutzungsuntersagungsverfügung stellt einen Dauerverwaltungsakt dar, weil sie nicht nur das Gebot enthält, die beanstandete Nutzung (einmalig) einzustellen, sondern auch das Verbot, auf Dauer dieselbe oder eine vergleichbare Nutzung dort wieder aufzunehmen (vgl. auch OVG NW, Urt. v. 19.12.1995 – 11 A 2734/93 –, UPR 1996, 458 [nur Leitsatz], RdNr. 13 in Juris). Da das Bauordnungsrecht keine Aussage über den maßgeblichen Zeitpunkt trifft, ist eine – ursprünglich rechtmäßige – Nutzungsuntersagung auf eine Anfechtungsklage hin aufzuheben, wenn die untersagte Nutzung nach einer dem Betroffenen günstigen Änderung der Verhältnisse materiell baurechtmäßig geworden ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.01.1989 – 4 B 132.88 –, Juris, RdNr. 6; OVG NW, Urt. v. 19.12.1995, a.a.O.; BayVGH, Urt. v. 19.02.1999 – 14 B 98.296 –, Juris, RdNr. 14).

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Nach § 79 Satz 2 der Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt vom 20.12.2005 (GVBl. S. 769) – BauO LSA –, die der Regelung des § 84 Abs. 3 Satz 2 der Bauordnung Sachsen-Anhalt vom 09.02.2001 (GVBl. S. 50) – BauO LSA a. F. – entspricht, kann, wenn bauliche Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden, diese Nutzung untersagt werden.

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Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 07.03.2006 – 2 L 76/04 –, Juris, RdNr. 8, m.w.N.) sind die Voraussetzungen dieser Vorschrift immer schon dann erfüllt, wenn eine bauliche Anlage formell illegal – also ohne die erforderliche Genehmigung – genutzt wird; nur wenn sich die Genehmigungsfähigkeit geradezu aufdrängt, kann sich die Behörde wegen des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben auf die fehlende Genehmigung nicht berufen.

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1. Die Nutzung des Gebäudes der Kläger zu Dauerwohnzwecken dürfte zwar formell rechtswidrig sein, weil die der Klägerin zu 1 erteilte Baugenehmigung vom 12.12.1991 die Nutzung des Gebäudes zu Dauerwohnzwecken nicht umfasst haben dürfte und auch zu einem späteren Zeitpunkt eine entsprechende Genehmigung nicht erteilt wurde. Die Baugenehmigung vom 12.12.1991 erlaubte nach ihrem Wortlaut lediglich den „Anbau an ein vorhandenes Gartenhaus“; eine Änderung der Nutzung als Gartenhaus in eine Dauerwohnnutzung ist darin nicht genannt. Auch der von der Klägerin zu 1 seinerzeit eingereichte Bauantrag lässt nicht mit der erforderlichen Klarheit erkennen, dass mit dem Anbauvorhaben zugleich eine Nutzungsänderung erfolgen sollte.

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Der Antragsteller bestimmt selbst, was Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens ist, und es ist daher seine Sache, durch seinen Bauantrag den Verfahrensgegenstand festzulegen sowie hierzu klar und eindeutig alle für die Genehmigung notwendigen Angaben zu machen, von denen die Bauaufsichtsbehörde auszugehen hat. Der Antrag muss so klar sein, dass auf ihn, wird ihm stattgegeben, ein verständlicher, inhaltlich genau abgegrenzter, eindeutig bestimmter Verwaltungsakt ergehen kann, der Umfang und Bindung der Baugenehmigung regelt. Für die Auslegung von Willenserklärungen des Bürgers gegenüber der Verwaltung gilt wie im umgekehrten Fall, dass der erklärte Wille maßgebend ist, wie ihn bei objektiver Würdigung der Empfänger verstehen konnte (BVerwG, Urt. v. 27.05.1981 – 8 C 49.81 –, Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 42, S. 2, RdNr. 19 in Juris). Für die Auslegung eines Bauantrags als Willenserklärung ist zum einen auf die Angaben des Bauherrn in dem Bauantragsformular, zum anderen auf die von ihm eingereichten Bauvorlagen abzustellen; soweit diese von der Behörde mit einem Zugehörigkeitsvermerk versehen sind, werden sie zum inhaltlichen Bestandteil der Baugenehmigung und haben Anteil an ihren Rechtswirkungen (vgl. OVG NW, Beschl. v. 12.01.2001 – 10 B 1827/00 –, BauR 2001, 755 [756], RdNr. 7 in Juris).

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Das Vorhaben der Klägerin zu 1 war im Bauantrag lediglich als „Anbau an vorhandenes Gartenhaus“ bezeichnet. Zwar kreuzte sie in der Erläuterung das Feld „Wohnen“ an und gab als Anzahl der Wohnungen die Zahl 1 an. Diese Angaben können aber ohne weiteres auch so verstanden werden, dass das Gebäude weiterhin als Garten- oder Wochenendhaus bewohnt und durch den Eintrag lediglich klargestellt werden sollte, dass es sich um eine – auch für ein Garten- oder Wochenendhaus zulässige – beschränkte zeitweise Wohnnutzung und nicht um eine anderweitige Nutzung, etwa als Geräte- und Lagerraum, handeln sollte. Für diese Auslegung spricht maßgeblich, dass in der entsprechenden Zeile nur das Feld „Errichtung“, nicht aber auch das Feld „Nutzungsänderung“ angekreuzt wurde. Auch aus dem Umfang der baulichen Erweiterung des Gartenhauses ließ sich nicht ohne weiteres ableiten, dass nach der Fertigstellung eine Dauerwohnnutzung erfolgen sollte. Ein Gebäude mit einer Wohnküche von 12,33 m², einem WC/Bad von 4,5 m², einem Flur von 4,22 m², einem Wohnzimmer von 12,67 m² und einem Schlafzimmer von 12,18 m², mithin einer Gesamtnutzfläche von (netto) 45,9 m² kommt ohne weiteres auch für eine Nutzung als Wochenendhaus in Betracht. Ferner fehlten die für Wohnhäuser regelmäßig erforderlichen Nachweise zum Schallschutz, Wärmeschutz und Brandschutz.

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2. Die Nutzung zu Dauerwohnzwecken ist aber offensichtlich genehmigungsfähig geworden. Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit liegt regelmäßig vor, wenn die ausgeübte Nutzung den Festsetzungen eines Bebauungsplans entspricht und dieser keine beachtlichen Mängel erkennen lässt. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

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2.1. Die Nutzung des in Rede stehenden Gebäudes der Kläger entspricht den Festsetzungen des am 21.07.2012 in Kraft getretenen Bebauungsplans der Stadt A. Nr. 37 „Lange Gasse“, 1. Erweiterung, in seiner nach Durchführung des ergänzenden Verfahrens maßgeblichen Fassung vom 29.05.2012. Danach liegt das Grundstück der Kläger in einem reinen Wohngebiet nach § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 3 BauNVO, wo Wohngebäude allgemein zulässig sind (§ 3 Abs. 2 BauNVO).

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2.2. Der Bebauungsplan lässt in der Gestalt, die er nach Durchführung des ergänzenden Verfahrens erhalten hat, keine beachtlichen Mängel erkennen.

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2.2.1. Entgegen der Annahme des Beklagten kann der darin vorgenommenen Erweiterung des Bebauungsplans Nr. 37 „Lange Gasse“ um das Grundstück der Kläger, die Flurstücke 103/56 und 104/56 sowie das Flurstück 54 weiterhin nicht entgegengehalten werden, sie sei mit dem Erforderlichkeitsgebot des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB nicht vereinbar.

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Nach dieser Bestimmung ist die Gemeinde zur Bauleitplanung berechtigt, soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Die Planrechtfertigung ist gegeben, wenn der Bebauungsplan nach seinem Inhalt auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung ausgerichtet und nach der planerischen Konzeption der zur Planung berufenen Gemeinde als Mittel hierfür erforderlich ist. Die Gemeinde besitzt in der Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ein weites Planungsermessen (st. Rspr. des BVerwG, vgl. Urt. v. 07.05.1971 – IV C 76.68 –, DVBl 1971, 759 [761 f.]). § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist zwar verletzt, wenn und soweit dem Inhalt eines Bauleitplanes unabhängig von aller Abwägung der von ihm berührten Belange von vornherein kein mit der Ordnung der städtebaulichen Entwicklung zusammenhängendes öffentliches Interesse zugrunde liegt (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.07.1974 – IV C 50.72 –, BVerwGE 45, 309 [312]). Dies ist in aller Regel aber erst bei groben und einigermaßen offensichtlichen, von keiner nachvollziehbaren Konzeption getragenen planerischen Missgriffen der Fall; es reicht aus, wenn der Plan „vernünftigerweise geboten“ ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.01.1993 – 8 C 46.91 –, BVerwGE 92, 8 [14 f.], m.w.N.). Ein solcher „grober Missgriff“ kann auch dann vorliegen, wenn Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht dem wahren planerischen Willen der Gemeinde entsprechen, sondern nur ein vorgeschobenes Mittel zur Verfolgung anderer als städtebaulicher Gründe darstellen (VGH BW, Urt. v. 27.07.2001 – 5 S 2534/99 –, BauR 2002, 897 [899], m.w.N.).

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Ein solcher die Planungsschranke des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB überschreitender Missgriff liegt hingegen nicht bereits dann vor, wenn die Aufstellung eines Bebauungsplans auf Anregungen oder Wünsche Privater zurückgeht.

46

Die städtebauliche Steuerungsfunktion der gemeindlichen Bauleitplanung wird – selbstverständlich – auch durch die Interessen Privater beeinflusst; denn die Planung vollzieht sich nicht abstrakt im freien Raum. Werden für bestimmte Bereiche konkrete Nutzungswünsche verlautbart, steht es der Gemeinde grundsätzlich frei, aus städtebaulichen Gründen in der von ihr gewollten Weise darauf zu reagieren. So kann sie Nutzungswünsche, die mit dem bestehenden Baurecht nicht vereinbar sind, zum Anlass nehmen, durch ihre Bauleitplanung entsprechende Baurechte zu schaffen, wenn dies ihren städtebaulich motivierten Zielvorstellungen entspricht. Umgekehrt kann sie bestimmte Nutzungswünsche auch zum Anlass nehmen, aus städtebaulichen Gründen eine von ihr nicht gewollte bauliche Entwicklung in einem bestimmten Bereich durch Schaffung entgegenstehenden Baurechts künftig zu unterbinden, indem sie eine anderweitige, die unerwünschte Entwicklung verhindernde positive planerische Aussage über die zukünftige Funktion der betreffenden Fläche in ihrem städtebaulichen Gesamtkonzept trifft. Einer Gemeinde ist es nicht verwehrt, im Rahmen ihrer städtebaulich motivierten Zielvorstellungen bereits vorhandene – legale oder auch zunächst ohne hinreichende Legalisierung entstandene – Nutzungen planungsrechtlich abzusichern und hinsichtlich der künftigen Weiterentwicklung zu steuern. All dies liegt im zulässigen Spektrum des planerischen Gestaltungsspielraums der Gemeinde, so dass bei einer positiven Reaktion auf bestimmte Veränderungswünsche der Planung nicht etwa von vornherein die städtebauliche Rechtfertigung fehlt. Dies kommt auch in § 12 Abs. 1 BauGB über den vorhabenbezogenen Bebauungsplan zum Ausdruck, bei dem die Initiative zur Bauleitplanung vom (privaten) Investor ausgehen kann, über dessen Antrag auf Einleitung des Bebauungsplanverfahrens die Gemeinde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat. Entscheidend für die Frage einer Beachtung der Erfordernisse des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist allein, ob die jeweilige Planung – mag sie von privater Seite initiiert worden sein oder nicht – in ihrer Ausgestaltung darauf ausgerichtet und in ihrer konkreten Form der Durchführung dadurch motiviert ist, den betroffenen Raum in der nach Maßgabe der gesetzlichen Bindungen letztlich von der Gemeinde selbst zu verantwortenden Weise sinnvoll städtebaulich zu ordnen (vgl. zum Ganzen: OVG NW, Urt. v. 22.06.1998 – 7a D 170/95.NE –, Juris, RdNr. 47 ff.).

47

In diesem Rahmen ist auch eine sog. Einzelfallplanung zulässig, d. h. eine solche, die räumlich auf nur ein Grundstück oder ganz wenige Grundstücke beschränkt ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.08.1993 – 4 NB 12.93 –, ZfBR 1994, 100). Die Erforderlichkeit einer Bauleitplanung ist hingegen zu verneinen, wenn sie nur im ausschließlich privaten Interesse Einzelner erfolgt, insbesondere um eine Bebauung im privaten Interesse der betroffenen Bauherren zu legalisieren (vgl. OVG RP, Urt. v. 17.11.2005 – 8 C 10964/05 –, BauR 2006, 417 [nur Leitsatz]; VGH BW, Urt. v. 30.01.1995 – 5 S 862/94 –, NuR 1996, 36 [37]; HessVGH, Urt. v. 20.06.1990 – 4 UE 475/87 –, BRS 50 Nr. 7, S. 21) oder wenn die Planung nur im privaten Interesse eines bestimmten Grundstückseigentümers erfolgt, um diesem einen wirtschaftlichen Vorteil zu ermöglichen (BVerwG, Beschl. v. 24.08.1993, a.a.O.).

48

Gemessen daran verstößt die Erweiterung des Bebauungsplans Nr. 37 „Lange Gasse“ um die drei betroffenen Grundstücke nicht gegen das Erforderlichkeitsgebot des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB.

49

Zu dem – aus anderen Gründen – für unwirksam erklärten Bebauungsplan vom 06.05.2009 hat der Senat in seinem Normenkontrollurteil vom 17.02.2011 ausgeführt:

50

„Die Planung erfolgte zwar nach Lage der Dinge auch im privaten Interesse. In der Begründung zum Bebauungsplan wird in der Vorbemerkung u. a, ausgeführt, ausschlaggebend für die Planaufstellung sei auch das Anliegen „mehrerer“ Eigentümer und Nutzer zum Bau von Einfamilienhäusern bzw. deren Erweiterung gewesen. Es mag sogar sein, dass Anlass und Ausgangspunkt der angegriffenen Planerweiterung hauptsächlich – wenn nicht sogar ausschließlich – das ohne die erforderliche Baugenehmigung erweiterte und zu Wohnzwecken genutzte Gebäude der Beigeladenen auf dem Flurstück 55 war, auch wenn dies in der Begründung zum Bebauungsplan keinen Niederschlag gefunden hat.

51

Die Antragsgegnerin hat sich bei der Planung aber auch auf städtebauliche Gründe berufen, die einer rechtlichen Prüfung standhalten.

52

Sie führt in Abschnitt 2.2 der Begründung des Bebauungsplans zunächst an, sie beabsichtige mit der Planung den am Standort begonnenen Bau von Einfamilienhäusern zu optimieren und räumlich zu begrenzen. Dabei solle einerseits den Vorgaben der Stadtentwicklung „gemäß FNP/17“ entsprochen, andererseits dem zunehmenden Alter der Gartennutzer und dem drohenden Leerstand mit Alternativen der Umnutzung oder baulichen Erweiterung begegnet werden. Gemäß FNP stelle das Plangebiet die Grenze zum Übergang in den Außenbereich der Stadt dar, der nicht bebaut werden solle. Im Abschnitt 2.3 der Begründung heißt es weiter, eine plausible Begrenzung von Innen- und Außenbereich sei bisher räumlich nur schwer verständlich zu machen, zumal einige Gärten aus Altersgründen von den Nutzern in absehbarer Zeit aufgegeben würden und zum Teil Baurecht bestehe. Die darin zum Ausdruck kommende Absicht der Antragsgegnerin, durch die Erweiterung des bereits bestehenden Bebauungsplans Nr. 37 „Lange Gasse“ Rechtssicherheit hinsichtlich der Bebaubarkeit der östlich des bisherigen Plangebiets liegenden, teilweise bereits bebauten Grundstücks zu schaffen, ist ein legitimes städtebauliches Ziel. Dabei ist Folgendes in Rechnung zu stellen:

53

Die in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zur Erforderlichkeit eines Bebauungsplans können nicht unbesehen auf die Änderung eines bereits rechtsgültigen Bebauungsplans übertragen werden (BVerwG, Beschl. v. 10.09.2002 – 4 BN 39.02 –, BRS 66 Nr. 3). Zu der Aufgabe der Gemeinde, eine städtebauliche Konzeption festzulegen und städtebauliche Schwerpunkte zu setzen, gehört es auch, eine bereits vorhandene Bebauung durch eine verbindliche Bauleitplanung zu überplanen, um den bereits entstandenen städtebaulichen Zustand rechtlich festzuschreiben. Das gilt selbst dann, wenn sich die Bebauung weitestgehend nach § 34 Abs. 2 BauGB bestimmt. Auch hier darf die Gemeinde es als eine Aufgabe städtebaulicher Ordnung ansehen, ein faktisches Baugebiet nunmehr rechtlich zu ordnen und damit städtebaulich „festzuschreiben". Insbesondere stellt es keinen Einwand gegen die Annahme der Erforderlichkeit einer verbindlichen Bauleitplanung dar, dass eine städtebauliche Ordnung auch ohne einen Bebauungsplan hinreichend gewährleistet wäre. Eine derartige Betrachtungsweise würde nämlich außer Acht lassen, dass es in der Hand der Gemeinde liegt, konzeptionelle Vorgaben für die weitere städtebauliche Entwicklung zu entscheiden. Soweit eine derartige Bauleitplanung alsdann eine bislang vorhandene Bebaubarkeit eines Grundstücks einschränkt, ist dies keine Frage der Erforderlichkeit der Bauleitplanung als Ganzer. Vielmehr hat die Gemeinde eine Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten als einen zu beachtenden Belang privater Eigentümerinteressen in gebotener Abwägung der öffentlichen und privaten Belange nach § 1 Abs. 7 BauGB zu beachten. Werden mit der Festsetzung Ziele im Rahmen des der Planung zugrunde liegenden städtebaulichen Konzepts verfolgt, dann ist auch die Festsetzung erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Gerade durch eine derartige verbindliche Regelung kann die Gemeinde Rechtssicherheit für solche Grundstücke schaffen, deren Bebaubarkeit fraglich ist (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Beschl. v. 16.01.1996 – 4 NB 1.96 –, ZfBR 1996, 223).“

54

An dieser Einschätzung vermögen auch die vom Beklagten erhobenen Einwände nichts zu ändern. Insbesondere entfällt die städtebauliche Erforderlichkeit nicht im Hinblick darauf, dass die Stadt A. in der „integrierten Stadtentwicklungskonzeption 2020“ die Absicht äußerte, es solle in keinem Fall weiteres neues Bauland an der Stadtperipherie oder im Umland ausgewiesen werden. Ungeachtet dieses Ziels bleibt es der Stadt A. unbenommen, Rechtssicherheit hinsichtlich der Bebaubarkeit der östlich des bisherigen Plangebiets liegenden, teilweise bereits bebauten Grundstücke durch Überplanung dieses Gebiets zu schaffen. Dem kann der Beklagte nicht mit Erfolg entgegen halten, dass auch im weiteren Verlauf der Langen Gasse eine durchwachsene Bebauung anzutreffen sei, welche von Privatgärten und dazwischen errichteten (bestandsgeschützten) Wohnhäusern geprägt werde, so dass die östliche Abgrenzung des Plangebietes willkürlich gewählt erscheine und ungeeignet sei, das vorgegebene Ziel zu erreichen. Es liegt grundsätzlich im planerischen Ermessen der Gemeinde, wo sie im Bereich einer solchen „durchwachsenen Bebauung“ die Grenze ziehen will. Es mag in der Tat andere oder gar bessere Lösungen gegeben haben, um das angegebene städtebauliche Ziel zu erreichen, die Grenze zwischen Innen- und Außenbereich planerisch festzuschreiben. Dies ist jedoch Gegenstand der Abwägung und betrifft nicht die Frage der Erforderlichkeit der Planung. Ob die weiteren von der Stadt A. angegebenen städtebaulichen Gründe tragfähig sind, ist damit unerheblich.

55

2.2.2. Die Stadt A. konnte den vom Senat in seinem Normenkontrollurteil beanstandeten Mangel (Unzulässigkeit der Festsetzungen nach § 9 Abs. 2 BauGB) im ergänzenden Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB beheben, wovon das Amt für Regionalplanung und Wirtschaftsförderung des Beklagten in seiner Stellungnahme vom 31.01.2012 im Übrigen selbst ausgegangen ist.

56

Nach dieser Vorschrift können der Flächennutzungsplan oder die Satzung durch ein ergänzendes Verfahren zur Behebung von Fehlern auch rückwirkend in Kraft gesetzt werden. Im Wege des ergänzenden Verfahrens behebbar sind grundsätzlich alle beachtlichen Satzungsmängel. Ausgenommen sind nur Nachbesserungen, die geeignet sind, das planerische Gesamtkonzept in Frage zu stellen; denn § 214 Abs. 4 BauGB bietet keine Handhabe dafür, die Planung in ihren Grundzügen zu modifizieren. Die Identität des Bebauungsplans oder der sonstigen Satzung darf nicht angetastet werden. Mängel, die aus einer Überschreitung der durch § 9 BauGB und die Baunutzungsverordnung eröffneten Festsetzungsmöglichkeiten herrühren, lassen sich ebenfalls im Wege eines ergänzenden Verfahrens beheben (vgl. zu dem inhaltsgleichen § 215a Abs. 1 Satz 1 BauGB a. F.: BVerwG, Urt. v. 18.09.2003 – 4 CN 20.02 –, Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 118, S. 97, RdNr. 34 in Juris, m.w.N.). Diese zu § 215a Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgestellten Grundsätze gelten auch für § 214 Abs. 4 BauGB (BVerwG, Beschl. v. 14.11.2005 – 4 BN 51.05 –, NVwZ 2006, 329 [331], RdNr. 10 in Juris). Da das ergänzende Verfahren kein Verfahren zur Änderung oder Ergänzung des Änderungsbebauungsplans ist, sondern ein Verfahren zur Heilung von Fehlern dieses Plans ist, ist entscheidend, ob der ursprüngliche Bebauungsplan durch den Änderungsbebauungsplan, der sich aus zwei Teilnormgebungsakten, dem ursprünglichen Plan und der Ergänzung, zusammensetzt und insgesamt als ein Änderungsbebauungsplan Wirksamkeit erlangt, in seiner Grundkonzeption geändert worden ist (BVerwG, Urt. v. 29.01.2009 – 4 C 16.07 –, BVerwGE 133, 98 [109], RdNr. 22). Der zu behebende Mangel darf nicht von solcher Art und Schwere sein, dass er die Planung als ganzes von vornherein in Frage stellt oder die Grundzüge der Planung berührt (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.10.1998 – 4 CN 7.97 –, NVwZ 1999, 414, RdNr. 13 in Juris). Das Mittel des § 214 Abs. 4 BauGB versagt in den Fällen, in denen eine „Planreparatur" schlechterdings unmöglich erscheint; ob der Fehler so schwer wiegt, dass er das Grundgerüst der Planung zum Einsturz bringt, hängt von den jeweiligen Umständen ab (BVerwG, Beschl. v. 05.08.2002 – 4 BN 32.02 –, NVwZ-RR 2003, 7 [8]), RdNr. 7 in Juris). Hingegen sind Änderungen des Plans, welche die Grundzüge der Planung im Sinne von § 13 BauGB nicht berühren, stets im ergänzenden Verfahren möglich (Kalb/Külpmann, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 214 RdNr. 225, m.w.N.). Das ist der Fall, wenn die Änderung das der bisherigen Planung zugrunde liegende Leitbild nicht verändert, wenn also der planerische Grundgedanke erhalten bleibt; Abweichungen von minderem Gewicht, die die Planungskonzeption des Bebauungsplans unangetastet lassen, berühren die Grundzüge der Planung nicht (BVerwG, Urt. v. 29.01.2009, a.a.O., RdNr. 21, m.w.N.).

57

Wann eine Planänderung die Grundzüge der Planung berührt, lässt sich nicht für alle Konstellationen abstrakt bestimmen. Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung gehören nicht stets oder zumindest in der Regel zu den Grundsätzen der Planung. Ob eine Abweichung die Grundzüge der Planung berührt oder von minderem Gewicht ist, beurteilt sich, jedenfalls wenn nicht ein anderes Baugebiet im Sinne der §§ 2 bis 11 BauNVO festgesetzt wird, nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, nämlich dem im Bebauungsplan zum Ausdruck gebrachten planerischen Wollen. Bezogen auf dieses Wollen darf der Abweichung vom Planinhalt keine derartige Bedeutung zukommen, dass die angestrebte und im Plan zum Ausdruck gebrachte städtebauliche Ordnung in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird. Die Abweichung muss – soll sie mit den Grundzügen der Planung vereinbar sein – durch das planerische Wollen gedeckt sein; es muss – mit anderen Worten – angenommen werden können, die Abweichung liege noch im Bereich dessen, was der Planer gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er die weitere Entwicklung einschließlich des Grundes für die Abweichung gekannt hätte (BVerwG, Urt. v. 29.01.2009, a.a.O., RdNr. 23, m.w.N.).

58

Gemessen daran ist das von der Stadt A. aus Anlass des Normenkontrollurteils des Senats durchgeführte ergänzende Verfahren nicht zu beanstanden, weil die vorgenommenen Änderungen nicht die Grundzüge der Planung berühren.

59

a) Dies betrifft insbesondere die Änderung der baulichen Nutzung des nördlichen Teils des Flurstücks 54 dergestalt, dass anstelle eines „eingeschränkten“ reinen Wohngebiets mit einer aufschiebend bedingten bzw. spätestens nach 15 Jahren zulässigen Wohnnutzung ein reines Wohngebiet ohne eine solche Einschränkung festgesetzt wird.

60

Nach der Begründung des Bebauungsplans in seiner ursprünglichen Fassung verfolgte die Stadt A. nach ihrer planerischen Konzeption insgesamt sechs Hauptziele, nämlich (1.) die Sicherung großflächiger Grünbereiche, (2.) die Ermöglichung des Wohnens in reizvoller Lage, (3.), die Begrenzung einer optimierten Bautätigkeit zum Wohnen und zur Erholung im Plangebiet, (4.) die Schaffung einer Perspektive für bebaubares Gartenland bei altersbedingtem Nutzerwechsels und damit die Ermöglichung des Bauens in Gärten nach Aufgabe der Gartenbewirtschaftung durch die derzeitigen Nutzer, (5.) die Vermeidung der weiteren Zersiedelung im städtischen Randbereich sowie (6.) die Ausnutzung und Verbesserung der vorhandenen technischen Infrastruktur. Zwar war es, was den in Frage stehenden nördlichen Teil des Flurstücks 54 anbetrifft, auch ein Anliegen der Stadt A., dass die Nutzung der dort vorhandenen Kleingärten für einen Übergangszeitraum erhalten bleiben kann. Mit der Streichung der Festsetzung nach § 9 Abs. 2 BauGB hat die Stadt A. aber nur eines der von ihr genannten städtebaulichen (Teil-)Ziele aufgegeben. Aber auch in der Benennung des Ziels Nr. 4 kam deutlich zum Ausdruck, dass auf dem nördlichen Teil des Flurstücks 54 früher oder später Wohnnutzung stattfinden soll. Auch kann angenommen werden, dass die Streichung der Festsetzung nach § 9 Abs. 2 BauGB noch im Bereich dessen liegt, was die Stadt A. gewollt hätte, wenn sie die weitere Entwicklung gekannt hätte. Nach der Mitteilung der Eigentümer des Flurstücks 54 wird in dem Teil des Plangebiets, in welchem ursprünglich das „eingeschränkte“ reine Wohngebiet festgesetzt wurde, ohnehin nur noch einer der beiden dort vorhandenen Gärten tatsächlich kleingärtnerisch genutzt. Diesbezüglich erklärten die Eigentümer im ergänzenden Verfahren, dass der bestehende Pachtvertrag auf unbestimmte Zeit weiterlaufe.

61

Dem allem kann der Beklagte auch nicht entgegen halten, der Senat habe in seinem Normenkontrollurteil vom 17.02.2011 in Ansehung des Anliegens der Stadt A., die Nutzungsmöglichkeit der vorhandenen Kleingärten zu erhalten, eine Gesamtnichtigkeit des Bebauungsplans angenommen, weil nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Stadt A. die Bebauungsplanerweiterung auch ohne die fehlerhafte Festsetzung beschlossen hätte. Mit dieser Entscheidung trug der Senat dem Umstand Rechnung, dass das Gericht nicht gestaltend tätig sein darf, sondern den planerischen Willen des Ortsgesetzgebers zu respektieren hat; beschränkt sich eine Rechtsverletzung auf bestimmte Festsetzungen im Bebauungsplan, ist zu prüfen, ob eine Feststellung der Nichtigkeit gerade dieses Teils dem (hypothetischen) Willen der Gemeinde am besten entspricht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 06.11.2007 – 4 BN 44.07 –, Juris, RdNr. 3). Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Normenkontrollverfahren am 17.02.2011 konnte nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Aufrechterhaltung des Bebauungsplans ohne die Festsetzung nach § 9 Abs. 2 BauGB dem Willen der Stadt A. entspricht. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Gemeinde mit einer solchen Änderung die planerische Grundkonzeption ändert.

62

b) Die geringfügige Änderung der Baugrenzen auf dem Nachbargrundstück berührt die Grundzüge der Planung ersichtlich nicht.

63

2.2.3. Der im ergänzenden Verfahren beschlossene Bebauungsplan lässt auch keine beachtlichen Abwägungsmängel erkennen.

64

a) Dem Beklagten ist zwar darin beizupflichten, dass in die Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 12 BauGB auch die Belange des Hochwasserschutzes einzustellen waren. Darauf wies der Senat bereits in seinem Normenkontrollurteil vom 17.02.2011 hin.

65

Bei diesen Belangen ist u. a. von Bedeutung, dass durch die Bauleitplanung nicht in solchen Gebieten eine bauliche Entwicklung vorgesehen werden soll, in denen Hochwasser zu erwarten ist (Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1 RdNr. 178). Die Lage eines Baugebiets in einem Überschwemmungsgebiet nach §§ 76 bis 78 WHG stellt einen abwägungserheblichen Belang nach § 1 Abs. 6 BauGB dar, der besonders gewichtet werden muss (vgl. BayVGH, Urt. v. 30.07.2007 – 15 N 06.741 –, ZfBR 2008, 52 [55]). Im maßgeblichen Zeitpunkt der Abwägungsentscheidung (§ 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB) lag das Plangebiet zwar (noch) nicht in einem festgesetzten Überschwemmungsgebiet nach §§ 76 Abs. 2, 78 WHG oder in einem vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet nach § 76 Abs. 3 WHG. Da die Belange des Hochwasserschutzes in § 1 Abs. 6 Nr. 12 BauGB eigenständig bodenrechtlich (städtebaulich) geregelt sind, hat diese Vorschrift allerdings unabhängig von den (weitergehenden) Vorschriften des WHG Bedeutung. Dies gilt vor allem dann, wenn die wasserrechtlichen Instrumente in räumlicher Hinsicht nicht greifen oder in zeitlicher Hinsicht noch nicht getroffen sind (vgl. zum Ganzen: Söfker, a.a.O., m.w.N.). In diesem Zusammenhang kommt es auch darauf an, ob die Festsetzung eines Überschwemmungsgebiets den Schluss darauf zulässt, außerhalb liegende Flächen blieben von Überschwemmungsereignissen verlässlich verschont (vgl. NdsOVG, Urt. v. 24.11.2010 – 1 KN 266/07 –, DVBl 2011, 292, RdNr. 34 in Juris, m.w.N.). Insofern ist von Bedeutung, dass der Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt in seiner aktualisierten Stellungnahme vom 11.04.2012 darauf hinwies, dass neue hydraulische Berechnungen der HQ100-Wertes größere Überschwemmungsflächen am Gewässerlauf der Eine in der Ortslage A. ergeben hätten und nach diesen Vorgaben der gesamte Bebauungsplan zu überdenken sei, weil der Bereich „Lange Gasse“ nach diesen neuesten Berechnungen bei HQ100 komplett überströmt werde.

66

Weiter musste die Stadt A. beachten, dass das Plangebiet im Regionalen Entwicklungsplan für die Planungsregion Harz als Vorbehaltsgebiet für Hochwasserschutz dargestellt ist. Vorbehaltsgebiete wirken als Gewichtungsvorgaben auf nachfolgende Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen ein und dürfen durch öffentliche oder private Belange von höherem Gewicht überwunden werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.03.2003 – 4 C 4.02 –, BVerwGE 118, 33 [47 f.], RdNr. 43 in Juris). Mit einer Gewichtungsvorgabe soll auf den Abwägungsvorgang steuernder Einfluss genommen werden; der Gemeinde werden Ziele vorgegeben, die in der Abwägung zwar nicht von vornherein unüberwindbar sind, denen nach der programmatischen Wertung des übergeordneten Normgebers jedoch erkennbar ein erhöhtes inneres Gewicht zukommen soll (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.01.1997 – 4 NB 27.96 –, BVerwGE 104, 68 [77], RdNr. 27 in Juris). Eine Zurückstellung der in der Gewichtungsvorgabe benannten Belange kommt folglich nur zugunsten entsprechend gewichtiger anderer Belange in Betracht. Dies bedarf besonderer Rechtfertigung. Die Gemeinde muss die Belange, die sie für vorzugswürdig hält, präzise benennen (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.01.1997, a.a.O., S. 78, RdNr. 31 in Juris).

67

Gemessen daran mag zweifelhaft erscheinen, ob die Stadt A. in Bezug auf den Hochwasserschutz fehlerfrei abgewogen hat. So hat sie zwar die Belegenheit des Plangebiets in einem Vorbehaltsgebiet für Hochwasserschutz in ihrer Abwägung erkannt und ausgeführt, dass dem Vorbehaltsgebiet in der Abwägung konkurrierender Nutzungsansprüche ein besonderes Gewicht beigemessen werde (vgl. lfd. Nr. 17 des Abwägungsbogens). Allerdings lässt sich weder dem Abwägungsbogen noch der Begründung des Bebauungsplans entnehmen, welche besonderen Gründe vorliegen, die es rechtfertigen, das besondere Gewicht des Vorbehaltsgebiets hinter die in Teilbereichen vorgesehene Wohnnutzung zurücktreten zu lassen.

68

b) Etwaige Mängel bei der Abwägung der Belange des Hochwasserschutzes sind aber, soweit sie erheblich im Sinne von § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. § 214 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB gewesen sein sollten, jedenfalls gemäß § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 3 BauGB unbeachtlich geworden, weil sie nicht innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung des Bebauungsplans am 21.07.2012 schriftlich gegenüber der Stadt A. unter Darlegung des die Verletzung begründenden Sachverhalts geltend gemacht wurden. Auf die Rechtsfolgen des § 215 Abs. 1 BauGB wurde gemäß § 215 Abs. 2 BauGB in der Bekanntmachung des Bebauungsplans hingewiesen.

69

Fehler bei der Einschätzung der Überschwemmungsgefahr beträfen die Ermittlung oder Bewertung der Belange des Hochwasserschutzes nach § 2 Abs. 3 BauGB. Solche Mängel unterfallen den Planerhaltungsvorschriften der §§ 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB. Eine fehlerhafte Gewichtung der Belange des Hochwasserschutzes ist ebenfalls dem Abwägungsvorgang zuzuordnen (vgl. Lemmel, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl., § 214 RdNr. 61), so dass insoweit eine Unbeachtlichkeit nach § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB i.V.m. § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB eingetreten wäre.

70

Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 25.07.2013 auf Nachfrage erklärt, dass er die von ihm im gerichtlichen Verfahren beanstandeten Mängel nicht an die Stadt A. herangetragen habe. Auch in dem von den Eigentümern des Nachbargrundstücks am 16.07.2013 gestellten Normenkontrollantrag sind bislang keine Abwägungsmängel benannt worden. In der Antragsschrift haben sie lediglich vorgetragen, es werde sich erweisen, dass der Bebauungsplan unwirksam sei, die nähere Begründung aber einem späteren Schriftsatz vorbehalten. Es bestehen schließlich keine Anhaltspunkte dafür, dass von anderer Seite Mängel bei der Abwägung dieser Belange innerhalb der Jahresfrist geltend gemacht wurden.

71

b) Mögliche weitere Mängel im Abwägungsvorgang wären ebenfalls nach § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 3 BauGB nach Ablauf der Jahresfrist unbeachtlich geworden. Dies gilt insbesondere für die vom Beklagten angeführten Mängel, wie etwa die Nichtberücksichtigung bzw. fehlende Gewichtung der integrierten Stadtentwicklungskonzeption der Stadt A., eine unzureichende Auseinandersetzung mit den Belangen der Kleingartennutzer sowie die von ihm vermisste Prüfung von Planungsalternativen.

72

3. Der Beklagte kann die angefochtene Nutzungsuntersagung auch nicht darauf stützen, dass das (Wohn-)Gebäude der Kläger gegen die Vorschriften über Abstandsflächen verstoße. Zwar dürfte ein solcher Verstoß nach Lage der Dinge gegeben sein, weil der von den Klägern errichtete Anbau den nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauO LSA erforderlichen Mindestabstand von 3 m nach Aktenlage teilweise nicht einhält. Diese Verletzung landesrechtlicher Normen kann auch nicht durch den Bebauungsplan mit der Festsetzung von Baugrenzen legalisiert werden. Ferner mag eine Nutzungsuntersagung nicht nur dann ausgesprochen werden können, wenn die ausgeübte Nutzung öffentlichen Vorschriften widerspricht, sondern – als im Vergleich zur Beseitigungsanordnung milderes Mittel – auch dann, wenn die Errichtung des Baukörpers gegen baurechtliche Vorschriften verstößt. Im konkreten Fall untersagte der Beklagte indes nur die Nutzung des Gebäudes als Wohnhaus, nicht aber die Nutzung des Gebäudes insgesamt wegen des zu geringen Abstandes zum Nachbargrundstück. Insoweit schiebt der Beklagte nicht lediglich Ermessenserwägungen nach, die die Untersagung der Nutzung als Wohnhaus stützen bzw. ergänzen sollen. Vielmehr würde er damit der Sache nach die bisherige Ermessensbegründung in ihrem Kern auswechseln und damit in ihrem Wesen verändern, was die Grundsätze über das Nachschieben von Gründen (§ 114 Satz 2 VwGO) nicht zulassen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.08.2003 – 1 WB 23.03 – Buchholz 236.1 § 3 SG Nr. 32, RdNr. 6 in Juris).

73

II. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO.

74

III. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren ist gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 08.12.2009 – 1 WB 61/09 –, Juris; Beschl. v. 01.10.2009 – 6 B 14/09 –, Juris, m.w.N.). Diese Voraussetzungen waren im maßgeblichen Zeitpunkt der Bevollmächtigung erfüllt. Die Frage, ob der Beklagte sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat, war angesichts der baulichen Verhältnisse in der näheren Umgebung des Grundstücks der Kläger und des Verhaltens des ehemaligen Landrats des Beklagten nicht einfach gelagert.

75

IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 709 Satz 1, 708 Nr. 11 ZPO.

76

V. Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.


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