Beschluss vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (4. Zivilsenat) - 4 W 28/11


Tenor

Der angefochtene Beschluss wird, soweit dem Antragsteller Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage gegen die Antragsgegnerin zu 2) versagt worden ist, aufgehoben und das Verfahren in diesem Umfang zur neuen Sachbehandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Der Einzelrichter der Zivilkammer wird angewiesen, dem Antragsteller die nachgesuchte Prozesskostenhilfe für die Inanspruchnahme der Antragsgegnerin zu 2) nicht mit der Begründung zu versagen, dass eine gegen sie gerichtete Klage keine Aussicht auf zumindest teilweisen Erfolg habe.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Festgebühr für das Beschwerdeverfahren wird auf 25,00 € ermäßigt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller will gegen die Antragsgegner materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche aus einem Unfall geltend machen, den er als Arbeitnehmer der Baufirma D. H. GmbH erlitten hat, welche von der Antragsgegnerin zu 2) als Subunternehmerin beauftragt worden war.

2

Die Antragsgegnerin zu 2) errichtete als Generalunternehmerin das Logistikzentrum der Firma J. N. . Die Antragsgegner zu 1) und 3) waren auf der Baustelle als ihre Mitarbeiter (Polier bzw. angestellter Bauleiter) tätig. Mit der Ausführung von Rohbauarbeiten an einem Löschwassertank hatte die Antragsgegnerin zu 2) die Arbeitgeberin des Antragstellers beauftragt. Im Zuge dieser Arbeiten stürzte der Antragsteller am 6. August 2008 von einem ungesicherten Baugerüst ca. 6 Meter in die Tiefe und zog sich dabei schwerste Verletzungen zu.

3

Für die wegen Fehlens eines Rückenschutzes nicht ordnungsgemäße Sicherung des Gerüstes macht der Antragsteller alle drei Antragsgegner als Gesamtschuldner verantwortlich. Er beantragt Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 100.000,00 € begehrt werden soll sowie die Feststellung der Einstandspflicht für den unfallbedingten Schaden, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.

4

Das Landgericht hat Prozesskostenhilfe verweigert, weil nach Maßgabe des Nachunternehmervertrages zwischen der Antragsgegnerin zu 2) und der Arbeitgeberin des Antragstellers Letztere allein verkehrssicherungspflichtig für das Gerüst gewesen sei. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde.

II.

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Das nach § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen verfahrensrechtlich bedenkenfreie Rechtsmittel erzielt in der Sache den aus der Beschlussformel ersichtlichen (vorläufigen) Teilerfolg.

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1. Die sofortige Beschwerde ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für beabsichtigte Schadensersatz- und Schmerzensgeldklagen in Richtung auf die Antragsgegner zu 1) und zu 3) wendet. Diesen gegenüber stehen dem Antragsteller keine Ersatzansprüche aus §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zu.

7

a) Allerdings scheidet eine Inanspruchnahme dieser Antragsgegner für Gesundheitsschäden des Antragstellers nach Aktenlage nicht schon deshalb aus, weil sie wegen Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte nach § 106 Abs. 3 Alternative 3 SGB VII i. V. m. §§ 104, 105 SGB VII haftungsprivilegiert wären. Denn eine "gemeinsame" Betriebsstätte i. S. v. § 106 Abs. 3 Alternative 3 SGB VII ist mehr als "dieselbe" Betriebsstätte und deshalb nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht schon dann anzunehmen, wenn Sozialversicherte zweier Unternehmen auf derselben Betriebsstätte aufeinander treffen. Erforderlich ist vielmehr ein bewusstes Miteinander im Arbeitsablauf oder eine Gefahrengemeinschaft im Sinne einer wechselseitigen Gefährdungslage, wobei sich die Beteiligten aufgrund ihrer jeweiligen Tätigkeiten typischerweise ablaufbedingt "in die Quere kommen" (vgl. etwa BGH, Urteil vom 1. Februar 2011 - VI ZR 227/09 - Rdnrn. 7-10 m.w.N., zitiert nach juris; BGH NJW 2004, 947; BGH NJW 2008, 2116).

8

Davon ist in Bezug auf das streitige Unfallgeschehen vom 6. August 2008 nicht auszugehen. Denn die Antragsgegner tragen selbst vor, dass die Arbeiten im Inneren des Löschwassertanks, bei welchen der Antragsteller von dem Baugerüst stürzte, ausschließlich von den Mitarbeitern der Arbeitgeberin des Antragstellers durchgeführt wurden (Schriftsatz vom 19. August 2010, dort Seite 10 = Bl. 72 d.A.).

9

b) Eine Haftung der Antragsgegner zu 1) und zu 3) wegen Verkehrssicherungspflichtverletzung, die sich in Ermangelung einer schuldrechtlichen Beziehung dieser Personen zu dem Antragsteller nur aus unerlaubter Handlung (§ 823 Abs. 1 BGB) herleiten ließe, besteht aber aus anderen Gründen nicht.

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Allein der Umstand, dass der Antragsgegner zu 1) für die als Generalunternehmerin fungierende Antragsgegnerin zu 2) auf der Baustelle gearbeitet hat, machte ihn nicht verkehrssicherungspflichtig (BGH, Urteil vom 14. Juni 2005 - VI ZR 25/04 -, Rdnr. 26, zitiert nach juris); es ist auch nicht ersichtlich, dass er innerhalb des Unternehmens der Antragsgegnerin zu 2) als Polier überhaupt für den sicherheitsrelevanten Bereich zuständig gewesen wäre.

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Hinsichtlich des Antragsgegners zu 3) als vor Ort zuständigem Bauleiter der Antragsgegnerin zu 2) gilt Folgendes: Auf Baustellen trifft die Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich den Unternehmer und nicht dessen abhängig beschäftigte Mitarbeiter (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1993, 1309, 1310). Zwar kann der Unternehmer die Verkehrssicherungspflicht seinerseits auf einen von ihm dafür bestellten Dritten zur Wahrnehmung in eigener Verantwortung delegieren. Dass im Streitfall die Antragsgegnerin zu 2) ihre Verkehrssicherungspflicht in diesem Sinne dem bei ihr als Arbeitnehmer beschäftigten Antragsgegner zu 3) übertragen und sie sich seiner Person nicht etwa nur zur Erfüllung der eigenen Verkehrssicherungspflicht bedient hätte, ist von dem Antragsteller weder dargetan noch sonst ersichtlich.

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Damit ist eine i. S. v. § 114 ZPO hinreichende Erfolgsaussicht für Klagen gegen die Antragsgegner zu 1) und zu 3) insgesamt zu verneinen.

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2. Demgegenüber kann Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage gegen die Antragsgegnerin zu 2) nicht mangels hinreichender Aussicht auf (zumindest teilweisen) Erfolg versagt werden.

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a) Ein sozialversicherungsrechtliches Haftungsprivileg besteht auch für die Antragsgegnerin zu 2) nicht.

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Zum einen war - wie bereits ausgeführt - die Baustelle, auf der sich der Unfall des Antragstellers zugetragen hat, schon keine gemeinsame Betriebsstätte i. S. v. § 106 Abs. 3 Alternative 3 SGB VII.

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Zum anderen gilt die dort geregelte Haftungsprivilegierung ohnehin nicht zugunsten eines nicht selbst vor Ort tätigen Unternehmers (BGH VersR 2001, 1028). Eine Ausnahme davon kann allenfalls zum Tragen kommen, wenn es um die Haftung eines selbständigen Kleinunternehmers für Schäden eines Versicherten eines anderen Unternehmens durch seine eigenen Tätigkeiten auf der Betriebsstätte geht (BGH VersR 2001, 1028, 1029). Für die Antragsgegnerin zu 2) als Bau-KG trifft dies jedoch schon von ihrer Rechtsform her nicht zu.

17

b) Als Generalunternehmerin für das Bauvorhaben J.-L. hatte die Antragsgegnerin zu 2) für die Sicherheit der Baustelle zu sorgen. Ob sie die Verkehrssicherungspflicht für das Baugerüst, von dem der Antragsteller gestürzt ist, rechtsgeschäftlich auf dessen Arbeitgeberin übertragen hatte, steht zwischen den Parteien im Streit. Hierfür erforderlich war jedenfalls eine klare vertragliche Vereinbarung, welche die Sicherung der Gefahrenquelle zuverlässig garantierte (Palandt/Sprau, BGB, 70. Aufl., § 823, Rdnr. 50 m.w.N.). Dass sich im Streitfall eine dahingehende Absprache zwischen Haupt- und Subunternehmerin allein schon aus der - bestrittenen - Vertragspflicht der Arbeitgeberin des Antragstellers zur "Stellung" des Gerüstes ergeben soll, erscheint durchaus zweifelhaft. Hinzu kommt, dass - so die Antragsgegnerin zu 2) selbst (Schriftsatz vom 19. August 2010, dort Seite 6 = Bl. 68 d.A.) - das Gerüstmaterial abweichend von der behaupteten Vereinbarung tatsächlich von der Generalunternehmerin gestellt worden war.

18

Unbeschadet einer etwaigen vertraglichen Übertragung der Verkehrssicherungspflicht für das Baugerüst auf die Arbeitgeberin des Antragstellers verblieben bei der Antragsgegnerin zu 2) als Generalunternehmerin jedenfalls aber weiterhin eigene Auswahl-, Kontroll- und Überwachungspflichten (BGH NJW 1987, 2669, 2670 ; Palandt/Sprau, aaO, § 823, Rdnr. 52; Locher, Das private Baurecht, 7. Aufl., Rdnr. 713, jew.m.w.N.).

19

c) Von der Verletzung einer sonach in jedem Falle der Antragsgegnerin zu 2) weiter selbst obliegenden Verkehrssicherungspflicht zur Überwachung und Kontrolle (§ 823 Abs. 1 BGB) ist nach dem bisherigen Verfahrensstoff mit der für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe hinreichenden Wahrscheinlichkeit auszugehen:

20

Der Unfall des Antragstellers ereignete sich am 6. August 2008 um die Mittagszeit, als das Gerüst im Inneren des im Rohbau befindlichen Löschwasserbehälters bereits eine Höhe von mindestens 6-7 Metern erreicht hatte. Das für die laufenden Verschalungsarbeiten benutzte Gerüst war von außen nicht (mehr) einsehbar. Gleichwohl hat die Antragsgegnerin zu 2), wie sie selbst vorträgt (Schriftsatz vom 20. Oktober 2010, Seite 8 = Bl. 115 d.A.), vor dem Unfall keinerlei Überprüfung oder Kontrolle hinsichtlich der Beachtung der bei der Erhöhung des Gerüsts durch die Mitarbeiter der Subunternehmerin einzuhaltenden Sicherheitsbestimmungen vorgenommen, weil sie sich dafür offenbar nicht in der Pflicht sah. Da es insoweit um die Einhaltung von die Antragsgegnerin zu 2) originär treffender Sicherungspflichten und nicht um die Zurechnung von Fremdverschulden geht, kann sie sich auch nicht nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB für ein entsprechendes Versäumnis des Antragsgegners zu 3) entlasten (vgl. OLG Stuttgart, NJW-RR 2010, 451, 453 m.w.N.).

21

d) Die Rechtsfrage, ob neben einer deliktischen auch eine vertragliche Haftung der Antragsgegnerin zu 2) gegenüber dem Antragsteller auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht im Raum steht, muss im Prozesskostenhilfeverfahren nicht vertieft werden, weil sich daraus keine inhaltlich weitergehenden Ansprüche ergeben. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 18. März 2010 (8 U 3/09, MDR 2010, 919), wonach der Arbeitnehmer eines Subunternehmens in die Schutzpflichten des zwischen seiner Arbeitgeberin und der Generalunternehmerin geschlossenen Werkvertrages einbezogen sein kann. Diese Schutzpflichten umfassten in entsprechender Anwendung der §§ 618, 619 BGB die Pflicht des Bestellers, den Arbeitsplatz (im dort entschiedenen Fall: den Rohbau eines zu errichtenden Gebäudes) in einem sicheren Zustand zur Verfügung zu stellen. Die Schadensersatzpflicht gegenüber dem fremden Arbeitnehmer bestehe selbst dann, wenn der Generalunternehmer die Sicherungspflichten durch Vertrag auf dessen Arbeitgeber übertragen habe.

22

e) Der Aufbau des Gerüstes entsprach zum Unfallzeitpunkt wegen der fehlenden Umzäunung unstreitig nicht den Unfallverhütungsvorschriften der Bau- Berufsgenossenschaft, welche die im Verkehr erforderliche Sorgfalt konkretisieren. Verstöße gegen Unfallverhütungsvorschriften stellen regelmäßig schuldhafte Verletzungen der Verkehrssicherungspflicht dar. Dafür, dass der Verstoß (mit-) ursächlich für den Sturz des Antragstellers vom Gerüst war, spricht ein Anscheinsbeweis (BGH NJW 1996, 2035, 2037; OLG Stuttgart, NJW-RR 2010, 451, 452 m.w.N.). Einer haftungsrechtlichen Zuordnung des Unfalls gegenüber der Antragsgegnerin zu 2) steht auch nicht entgegen, dass der Antragsteller in Kenntnis des fehlenden Rückenschutzes auf dem Gerüst gearbeitet hat. Denn die Verantwortlichkeit des die erste Unfallursache Setzenden wird durch das Dazutreten des Verletzten nicht ausgeschlossen, wenn dessen Willensentschluss durch sein Verhalten herausgefordert worden ist und eine nicht ungewöhnliche Reaktion auf dieses darstellt (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1994, 1310, 1311 m.w.N.).

23

3. Das Vorliegen der persönlichen Bewilligungsvoraussetzungen des § 114 ZPO hat das Landgericht bislang nicht geprüft.

24

Gleiches gilt für die Frage, in welchem Umfang für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, die sich auf bestimmte erfolgversprechende Klageanträge beziehen muss, ein mitwirkendes Verschulden (§ 254 BGB) des Antragstellers an seinem Arbeitsunfall zu berücksichtigen ist (vgl. in diesem Zusammenhang etwa OLG Düsseldorf, NJW-RR 1994, 1310, 1311; OLG Stuttgart, NJW-RR 2010, 451).

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Der Senat macht deshalb zu diesen Punkten von der Möglichkeit des § 572 Abs. 3 ZPO Gebrauch und überträgt die abschließende Entscheidung hierüber dem Einzelrichter der Zivilkammer.

26

Hingegen muss dem etwaigen Klageverfahren die Klärung der weiteren Frage vorbehalten bleiben, ob und ggf. in welchem Ausmaß sich der Antragsteller möglicherweise nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs zusätzlich auch ein etwaiges Verschulden seiner ihm gegenüber nach § 104 Abs. 1 SGB VII (hinsichtlich der Ersatzpflicht für den Personenschaden) haftungsprivilegierten Arbeitgeberin anrechnen lassen muss, wenn diese ihn, was nicht fernliegt, in Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis der Sicherheitsmängel des Gerüstes mit Arbeiten auf dem Gerüst beauftragt hat (vgl. in diesem Zusammenhang etwa BGH, Urteil vom 13. März 2007 - VI ZR 178/05 -, Rdnr. 19 m.w.N., in juris; BGH, Urteil vom 14. Juni 2005 - VI ZR 25/04 -, Rdnr. 13, in juris; BGH NJW 1987, 2669; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1994, 1310, 1311 f). Denn dazu ist ggf. durch eine förmliche Beweisaufnahme zu klären, ob die nicht haftungsprivilegierte Antragsgegnerin zu 2) im Innenverhältnis der Schädiger (§ 426 BGB) kraft vertraglicher Vereinbarung kein Haftungsanteil trifft.

27

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil eine Kostenerstattung nicht erfolgt (§ 127 Abs. 4 ZPO). Im Hinblick auf den Teilerfolg der Beschwerde hat der Senat von der Möglichkeit der Ermäßigung der Festgebühr für das Beschwerdeverfahren Gebrauch gemacht (vgl. Kostenverzeichnis 1812, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).

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