Urteil vom Verwaltungsgericht Aachen - 4 K 317/14
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Februar 2014 verpflichtet, die Wohnsitzauflage zur Duldung des Klägers dahin zu ändern, dass er verpflichtet ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in 54662 Speicher/Rheinland-Pfalz zu nehmen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger begehrt die Änderung einer Wohnsitzauflage zu seiner Duldung.
3Der 1966 geborene Kläger, armenischer Staatsangehöriger, reiste Anfang Januar 2010 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte im Februar 2010 einen Asylantrag. Im Rahmen des Asylverfahrens wurde er der Gemeinde X. im Zuständigkeitsbereich des Beklagten zugewiesen. Sein Aufenthalt war während des Asylverfahrens räumlich auf den Zuständigkeitsbereich des Beklagten beschränkt.
4Das Asylverfahren ist seit dem 24. Mai 2013 unanfechtbar negativ abgeschlossen. Seitdem erhält der Kläger fortlaufend Duldungen, die mit einer Wohnsitzauflage für die Gemeinde X. und mit einer räumlichen Beschränkung auf das Land Nordrhein-Westfalen versehen sind. Seit dem 1. Januar 2015 ist die räumliche Beschränkung entfallen. Die Duldung wurde zuletzt bis zum 24. August 2015 befristet.
5Am 28. Juni 2012 reiste die Ehefrau des Klägers, die armenische Staatsangehörige N. H. , zusammen mit dem gemeinsamen Sohn W. D. in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 25. Juli 2012 einen Asylantrag. Im Rahmen des Asylverfahrens wurden beide dem Bezirk des Beigeladenen zugewiesen, der sie wiederum der Verbandsgemeinde T. zuwies. Ihre Aufenthaltsgestattungen sind mit einer Wohnsitzauflage für die Verbandsgemeinde T. versehen und räumlich auf den Landkreis C. -Q. /Rheinland-Pfalz beschränkt.
6Im September 2012 teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit, dass es für die Ehefrau und den Sohn des Klägers ein Dublin-Verfahren eingeleitet habe. Nachdem eine Überstellung nach Frankreich nicht innerhalb der Überstellungsfrist durchgeführt werden konnte, weil bei der Ehefrau des Klägers Ende April 2013 eine Risikoschwangerschaft diagnostiziert wurde, teilte das Bundesamt im September 2013 mit, dass die Bundesrepublik für die Asylanträge zuständig geworden sei und nunmehr ein nationales Asylverfahren durchgeführt werde. Über die Asylanträge ist bis heute nicht entschieden worden.
7Nach der Einreise der Ehefrau und des Sohnes des Klägers erteilte der Beklagte diesem fortlaufend befristete Erlaubnisse zum vorübergehenden Verlassen des Bereichs der Aufenthaltsgestattung bzw. später Duldung zum Zwecke des Besuchs seiner Familie in T. /Rheinland-Pfalz.
8Am 13. August 2013 beantragte der Kläger beim Beklagten unter Vorlage der Kopie einer armenischen Heiratsurkunden nebst deutscher Übersetzung sowie eines ärztlichen Attests vom 18. Juni 2013 förmlich die Änderung der Wohnsitzauflage zum Zwecke des Umzugs nach T. /Rheinland-Pfalz, da seine Ehefrau ein Kind von ihm erwarte und wegen einer Risikoschwangerschaft auf seine Hilfe angewiesen sei.
9Auf Anfrage des Beklagten lehnte der Beigeladene mit Schreiben vom 16. Oktober 2013 seine Zustimmung zur Änderung der Wohnsitzauflage ab. Zur Begründung führte er aus, dass die Duldung räumlich auf das Land Nordrhein-Westfalen beschränkt sei und ein Anspruch auf Änderung der Beschränkung grundsätzlich nicht bestehe. Eine Änderung komme nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der Umzug zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft zwischen Ehepartnern sowie Eltern und ihren minderjährigen Kindern diene, die über eine Aufenthaltserlaubnis nach dem zweiten Kapitel des fünften Abschnitts des Aufenthaltsgesetzes verfügten, oder zur Sicherstellung einer benötigten Pflege von Personen, die wegen Krankheit oder Behinderung pflegebedürftig seien. Die Familienangehörigen des Klägers seien aber nicht im Besitz einer humanitären Aufenthaltserlaubnis. Auch sei die Ehefrau des Klägers nicht pflegebedürftig. Abgesehen davon habe der Kläger die Heiratsurkunde nicht im Original vorgelegt. Dem vollziehbar ausreisepflichtigen Kläger könne auch keine Duldung nach § 43 Abs. 3 AsylVfG erteilt werden, um ihm die gemeinsame Ausreise mit seiner Familie zu ermöglichen. Dies sei nur dann zulässig, wenn die Ehegatten und ihre minderjährigen ledigen Kinder gleichzeitig oder unverzüglich nach der Einreise einen Asylantrag gestellt hätten. Dies sei nicht der Fall, weil die Ehefrau und der Sohn des Klägers erst am 28. Juni 2012, d.h. zweieinhalb Jahre später als der Kläger, ins Bundesgebiet eingereist seien und am 24. Juli 2012 einen Asylantrag gestellt hätten. Im Übrigen sei vor der Änderung der räumlichen Beschränkung oder Erteilung einer Duldung aus familiären Gründen vorrangig zu prüfen, ob die familiäre Lebensgemeinschaft nicht auch im Ausland hergestellt werden können. Außerdem sei davon abzusehen, solange eine Aufenthaltsbeendigung ausschließlich aus Gründen nicht möglich sei, die der Betroffene selbst zu vertreten habe. Beides sei hier der Fall. Zum einen weigerten sich der Kläger und seine Ehefrau, Auskunft über den Verbleib ihrer armenischen Pässe zu geben, die sie im Asylverfahren in Kopie vorgelegt hätten. Dem Kläger sei es jedoch möglich, sich entweder seinen angeblich in Armenien befindlichen Pass schicken oder aber einen neuen Pass bei der armenischen Botschaft ausstellen zu lassen. Zum anderen besäßen die Ehefrau und der Sohn des Klägers ebenfalls die armenische Staatsangehörigkeit, so dass es ihnen ohne weiteres möglich sei, dem Kläger nach Armenien zu folgen und die familiäre Lebensgemeinschaft dort herzustellen. Dies gelte umso mehr, als dort noch eine Tochter des Klägers lebe. Zudem hätten die Ehefrau und der Sohn des Klägers vor ihrer Einreise ins Bundesgebiet schon mindestens zweieinhalb Jahre getrennt vom Kläger gelebt, so dass ihnen eine weitere Trennung bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens zumutbar sei. Bis zur Geburt des Kindes im November 2013 könne der Beklagte die Abschiebung des Klägers weiter aussetzen und ihm das vorübergehende Verlassen des Bereichs der räumlichen Beschränkung erlauben.
10Am 8. November 2013 wurde in C. ein weiterer Sohn des Klägers und seiner Ehefrau, E. , geboren. Mit Urkunde vom 3. Dezember 2013 erkannte der Kläger vor dem Standesamt C. die Vaterschaft für ihn an. Nach Anzeige der Geburt beim Bundesamt durch den Beigeladenen wurde am 9. Dezember 2013 auch für ihn ein Asylverfahren eingeleitet, das bis heute nicht abgeschlossen ist. Der Aufenthalt des Sohnes E. ist ebenfalls räumlich auf den Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen beschränkt und seine Aufenthaltsgestattung mit einer Wohnsitzauflage für die Verbandsgemeinde T. versehen.
11Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Ablehnung der Änderung der Wohnsitzauflage wiederholte der Kläger seinen Antrag auf "Umverteilung" unter Hinweis darauf, dass zwischenzeitlich sein Sohn geboren worden sei und er die Vaterschaft für ihn anerkannt habe.
12Auf nochmalige Anfrage des Beklagten teilte der Beigeladene mit Schreiben vom 27. Januar 2014 mit, dass er der Änderung der Wohnsitzauflage nach wie vor nicht zustimme. Er nahm insoweit auf sein Schreiben vom 16. Oktober 2013 Bezug und führte ergänzend aus, dass nach der Geburt des Kindes für die Ehefrau des Klägers die Möglichkeit bestehe, zusammen mit den beiden Kindern und dem Kläger, der bereits seit Mai 2013 vollziehbar ausreisepflichtig sei, freiwillig nach Armenien auszureisen und dort die familiäre Lebensgemeinschaft zu führen. Im Übrigen seien die Gründe, aus denen der Kläger bisher geduldet worden sei, in Bezug auf die Familie inzwischen entfallen.
13Mit hier streitgegenständlichem Bescheid vom 4. Februar 2014, zugestellt am 6. Februar 2014, lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Änderung der Wohnsitzauflage zum Zwecke des Umzugs nach T. /Rheinland-Pfalz unter Hinweis auf die fehlende Zustimmung des Beigeladenen ab.
14Der Kläger erhielt vom Beklagten in der Folgezeit jedoch weiter fortlaufend befristete Erlaubnisse zum vorübergehenden Verlassen des Bereichs der Duldung.
15Im Dezember 2013 reiste die Tochter des Klägers, M. D1. , in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 6. Januar 2014 einen Asylantrag, über den bis heute ebenfalls nicht entschieden ist. Im Rahmen des Asylverfahrens wurde sie dem Beigeladenen und von diesem der Verbandsgemeinde T. zugewiesen. Auch ihr Aufenthalt ist räumlich auf den Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen beschränkt und ihre Aufenthaltsgestattung ist mit einer Wohnsitzauflage für die Verbandsgemeinde T. versehen.
16Im Februar 2014 veranlasste der Beklagte bei seinem Gesundheitsamt eine Untersuchung des Klägers auf dessen Reisefähigkeit. In dem psychiatrischen Gutachten vom 5. Mai 2014 kommt der Amtsarzt T1. , Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, auf der Grundlage der in der Ausländerakte befindlichen ärztlichen Stellungnahmen, einem Telefonat mit der Hausärztin des Klägers, Frau Dr. M1. und einer eigenen psychiatrischen Untersuchung zu dem Ergebnis, dass der Kläger an einer chronischen paranoid halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit einem ausgeprägten Verfolgungs- und Beeinträchtigungswahn sowie akustischen Halluzinationen in Form von imperativen und kommentierenden Stimmen leide. Im Rahmen des akuten Krankheitsgeschehens sei eine Reisefähigkeit derzeit nicht gegeben. Es werde dringend zur Aufnahme einer ambulanten psychiatrischen Behandlung geraten.
17Mit Schreiben vom 12. Juni 2014 bat der Beklagte unter Bezugnahme auf das psychiatrische Gutachten den Beigeladenen erneut um Prüfung des Antrags auf Änderung der Wohnsitzauflage. Mit Schreiben vom 21. August 2014 lehnte dieser die Änderung der Wohnsitzauflage wiederum ab. Laut Gutachten werde dringend zur Aufnahme einer ambulanten psychiatrischen Behandlung geraten. Nach dortiger Kenntnis halte sich der Kläger jedoch ständig bei seiner Ehefrau in T. auf und könne sich der empfohlenen Behandlung daher wohl kaum unterzogen haben.
18Am 20. Februar 2014 hat der Kläger gegen den Bescheid des Beklagten vom 4. Februar 2014 Klage erhoben, mit der er die Änderung der Wohnsitzauflage weiterverfolgt. Er macht im Wesentlichen geltend, dass er nach dem amtsärztlichen Gutachten vom 5. Mai 2014 an einer schweren psychischen Erkrankung leide, aufgrund der er dringend der Betreuung durch seine Ehefrau bedürfe. Außerdem könne sich der Aufenthalt bei seiner Familie ggf. positiv auf seinen Gesundheitszustand auswirken. Dies ergebe sich auch aus dem beigefügten ärztlichen Attest des Dr. L. , Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, aus N1. vom 21. Juli 2014, bei dem er sich seit Mai 2014 in regelmäßiger psychiatrischer/nervenärztlicher Behandlung befinde. Danach leide er an einer gemischten Angst- und depressiven Störung, nichtorganischer Insomnie und anderen gemischten Angststörungen. Es handele sich um eine affektive psychische Störung mit somatoformen Reaktionen bei erhöhter Vulnerabilität, eine affektive Instabilität, eine geminderte Belastbarkeit und eine Neigung, in diversen belastenden Situationen zur Dekompensation mit Ängsten, einem Beobachtungsgefühl und Neigung zum Panischen zu reagieren. Aufgrund der Spezifität der Krankheit und aufgrund einer Instabilität sowie reduzierter Stresstoleranz sei aus psychiatrischer Sicht dringend zu empfehlen, dass ihm ermöglicht werde, zusammen mit seiner Ehefrau zu leben. Sonst seien erneute Dekompensationen vorprogrammiert. Der Beklagte könne unter diesen Umständen die Änderung der Wohnsitzauflage auch ohne Zustimmung des Beigeladenen vornehmen.
19Der Kläger beantragt,
20den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Februar 2014 zu verpflichten, die Wohnsitzauflage dahin zu ändern, dass er verpflichtet ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in 00000 T. /Rheinland-Pfalz bei seiner Ehefrau und seinen Kindern zu nehmen.
21Der Beklagte beantragt,
22die Klage abzuweisen.
23Er nimmt Bezug auf die Gründe des angefochtenen Bescheides. Ergänzend führt er aus, dass eine länderübergreifende Änderung der räumlichen Beschränkung der Duldung nur im Einvernehmen mit der Ausländerbehörde des Landes des Zuzugsortes zulässig sei. Der Beigeladene habe sein Einvernehmen jedoch wiederholt verweigert, so dass er die wohnsitzbeschränkende Auflage nicht ändern könne.
24Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er lehnt nach wie vor ab, seine Zustimmung zur Änderung der Wohnsitzauflage und damit zur Gestattung des Umzugs des Klägers in seinen Zuständigkeitsbereich zu erteilen. Der Kläger habe bisher nachweislich keine Anstrengungen zur Verbesserung seines Gesundheitszustandes unternommen, obwohl in dem psychiatrischen Gutachten vom 5. Mai 2014 dringend zur Aufnahme einer ambulanten psychiatrischen Behandlung geraten worden sei. Der Kläger halte sich laut Auskunft des für seine Ehefrau zuständigen Sozialamtes T. ständig dort auf und reise lediglich in den Kreis I. , um dort seine Sozialleistungen in Empfang zu nehmen. Außerdem habe der Beklagte am 15. April 2015 telefonisch bestätigt, dass der Kläger sich bisher keiner psychiatrischen Behandlung unterzogen habe. Man beziehe sich dort lediglich auf das inzwischen ein Jahr alte Gutachten. Vor diesem Hintergrund könne ohne weiteres eine Rückführung des Klägers in sein Heimatland durchgeführt werden.
25Mit Beschluss vom 2. April 2015 hat die Kammer den Eifelkreis C. -Q. zum Verfahren beigeladenen. Mit Beschluss vom selben Tag hat sie dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt und das Verfahren auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen
26Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten beigezogenen Ausländerakte des Klägers sowie der vom Beigeladenen beigezogenen Ausländerakten der Ehefrau und der Kinder des Klägers.
27E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
28Die Klage, über die die Kammer trotz Ausbleibens des Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung entscheiden kann, weil er auf diese Rechtsfolge in der Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung hingewiesen worden ist (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg.
29I. Die Klage ist als Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
30Der Kläger begehrt die Änderung der seiner Duldung beigefügten Wohnsitzauflage. Dieses Begehren ist – jedenfalls – seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I, S. 2439) zum 1. Januar 2015 im Wege einer Verpflichtungsklage zu verfolgen. Denn nach dieser Rechtsänderung ist für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, deren Lebensunterhalt – wie im Fall des Klägers – nicht gesichert ist, eine Wohnsitzauflage nunmehr kraft Gesetzes angeordnet (vgl. § 61 Abs. 1d S. 1 AufenthG sowie Begründung des Gesetzgebers in BT-Drs. 18/3144, S. 2, 10 und 13). Damit kommt eine Anfechtungsklage gegen die Wohnsitzauflage mangels Vorliegens eines Verwaltungsakts nicht mehr in Betracht.
31Vgl. zur Statthaftigkeit einer Anfechtungsklage gegen eine Wohnsitzauflage nach § 61 Abs. 1 S. 2 AufenthG bisher: OVG NRW, Beschluss vom 10. März 2010 - 2 O 1/15 -, juris, Rn. 14 ff.
32Über eine Änderung der gesetzlichen Wohnsitzauflage entscheidet gemäß § 61 Abs. 1d S. 3 AufenthG die zuständige Ausländerbehörde jedoch im jeweiligen Einzelfall und damit durch Verwaltungsakt. Ist das Begehren des Klägers damit auf den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet, kommt als statthafte Klageart nunmehr allein die Verpflichtungsklage in Betracht.
33Vgl. ebenso zur neuen Rechtslage: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20. Januar 2015 - 2 O 1/15 -, juris, Rn. 3; Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum AufenthG (GK-AufenthG), Stand: März 2015, Band 3, § 61, Rn. 47 und 94.
34Der Kläger ist insbesondere nicht – mehr – gehalten, sein Begehren, ihm den länderübergreifenden Wohnsitzwechsel zu seiner Familie nach T. /Rheinland-Pfalz zu ermöglichen, im Wege einer Verpflichtungsklage gegen den Beigeladenen als zuständige Ausländerbehörde des Zuzugsortes gerichtet auf Erlass einer sog. „Zweitduldung" zu verfolgen.
35Vgl. hierzu grundlegend: OVG NRW, Beschluss vom 29. November 2005 - 19 B 2364/03 -, InfAuslR 2006, 64 = juris, Rn. 15 ff.; sowie nachfolgend OVG NRW, Beschluss vom 16. April 2012 - 18 B 1585/11 -, juris, Rn. 10; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Februar 2012 - 7 A 11177/11 -, AuAS 2012, 103 = juris, Rn. 23 ff.
36Hintergrund dieser zur Ermöglichung eines länderübergreifenden Wohnsitzwechsels geduldeter Ausländer entwickelten Rechtsprechung war die Regelung des § 61 Abs. 1 S. 1 AufenthG, wonach der Aufenthalt eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers kraft Gesetzes räumlich auf das Gebiet des Landes – hier Nordrhein-Westfalen – beschränkt ist. Bis zum Inkrafttreten der neuen Rechtslage zum 1. Januar 2015 sah das Aufenthaltsgesetz eine Änderung dieser kraft Gesetzes angeordneten räumlichen Beschränkung zur dauerhaften Verlegung des Wohnsitzes nicht vor. Die Regelungen in den § 61 Abs. 1 S. 3 und 4 AufenthG lassen aus systematischen Gründen lediglich Abweichungen von der räumlichen Beschränkung für die dort aufgeführten, vorübergehenden Aufenthalte außerhalb des Bereichs der räumlichen Beschränkung zu. Außerdem stand § 61 Abs. 1 S. 1 AufenthG der Erteilung einer Duldung durch die Ausländerbehörde des bisherigen Aufenthalts- bzw. Zuweisungsortes für ein anderes Bundeslandauch materiell-rechtlich entgegen.
37Vgl. hierzu: Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, a.a.O., § 61, Rn. 51 f.
38Dieses rechtliche Hindernis ist jedoch nunmehr entfallen. Denn nach der ebenfalls zum 1. Januar 2015 in Kraft getretenen Vorschrift des § 61 Abs. 1b AufenthG erlischt die gesetzliche räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 S. 1 AufenthG, wenn sich der Ausländer seit drei Monaten ununterbrochen erlaubt, geduldet oder gestattet im Bundesgebiet aufhält. Dies ist beim Kläger, der sich seit seiner Einreise im Jahr 2010 mit einer Aufenthaltsgestattung bzw. Duldung im Bundesgebiet aufhält, jedoch der Fall, so dass sein Aufenthalt – wie sich auch aus den ihm zuletzt erteilten Duldungen ergibt – nicht mehr auf das Land Nordrhein-Westfalen beschränkt ist. Eine Änderung der heute noch kraft Gesetzes bestehenden Wohnsitzauflage ist jedoch – wie dargelegt – nach Maßgabe von § 61 Abs. 1d S. 3 AufenthG möglich.
39Zur Verwirklichung des begehrten Wohnsitzwechsels ist auch nicht – mehr – zusätzlich eine Verpflichtungsklage gerichtet auf die Änderung einer fortbestehenden räumlichen Beschränkung aus dem Asylverfahren erforderlich (vgl. § 56 Abs. 3 AsylVfG in der bis zum 31. Dezember 2014 geltenden Fassung bzw. § 59a Abs. 2 S. 1 AsylVfG n.F.).
40Vgl. hierzu: OVG NRW, Beschlüsse vom 10. März 2015 - 18 B 1316/14 -, juris, Rn. 6 ff., und vom 10. März 2010 - 18 B 1702/09 -, AuAS 2010, 176 = juris, Rn. 2 ff.
41Zwar war der Aufenthalt des Klägers aufgrund seiner Zuweisung im Rahmen des Asylverfahrens nach § 50 Abs. 4 AsylVfG zur Gemeinde X. gemäß § 56 Abs. 2 AsylVfG räumlich auf den Zuständigkeitsbereich des Beklagten beschränkt. Auch blieb die räumliche Beschränkung nach Erlöschen der Aufenthaltsgestattung gemäß § 56 Abs. 3 AsylVfG a.F. zunächst in Kraft, bis sie aufgehoben wurde (S. 1) oder der Aufenthalt nach § 25 Abs. 1 S. 3 oder § 25 Abs. 2 S. 2 AufenthG als erlaubt galt oder ein Aufenthaltstitel erteilt wurde (S. 2).
42Vorliegend dürfte der Beklagte die räumliche Beschränkung nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens jedoch bereits aufgehoben haben. Denn die dem Kläger ab diesem Zeitpunkt erteilten Duldungen waren nur noch – deklaratorisch – mit einer räumlichen Beschränkung auf das Land Nordrhein-Westfalen (vgl. § 61 Abs. 1 S. 1 AufenthG), nicht aber auch mit einer räumlichen Beschränkung auf den Kreis I. versehen. Der Kläger, auf dessen Sicht es als Adressat der Duldung für die Frage ankommt, welchen Inhalt dieser Verwaltungsakt hat, konnte dies bei verständiger Würdigung nur so verstehen, dass die weitergehende räumliche Beschränkung aus dem Asylverfahren damit aufgehoben war. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, wäre eine fortbestehende räumliche Beschränkung auf den Kreis I. zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung jedenfalls gemäß § 59a Abs. 1 AsylVfG in der ab dem 1. Januar 2015 geltenden Fassung (n.F.) erloschen. Denn nach dieser Vorschrift erlischt nunmehr auch eine räumliche Beschränkung nach § 56 AsylVfG, wenn sich der Ausländer – wie der Kläger – seit drei Monaten ununterbrochen erlaubt, geduldet oder gestattet im Bundesgebiet aufhält.
43Der Kläger kann sein Begehren schließlich auch nicht – mehr – im Wege einer länderübergreifenden asylverfahrensrechtlichen Umverteilung nach Maßgabe von § 51 AsylVfG gegenüber der zuständigen Behörde des Landes Rheinland-Pfalz (vgl. § 51 Abs. 2 S. 2 AsylVfG) verfolgen. Denn mit Erteilung einer asylverfahrensunabhängigen Duldung – spätestens wegen der beim Kläger auf der Grundlage des psychiatrischen Gutachtens vom 5. Mai 2014 angenommenen Reiseunfähigkeit – ist die Zuweisungsentscheidung aus dem Asylverfahren gegenstandslos geworden und damit auch die Zuständigkeit der Zuweisungsbehörde entfallen.
44Vgl. hierzu: OVG NRW, Beschlüsse vom 29. November 2005 - 19 B 2364/03 -, InfAuslR 2006, 64 = juris, Rn. 30; vom 7. Januar 2004 ‑ 17 A 5234/00 -, juris, Rn. 3 ff.; vom 1. Dezember 1999 - 17 A 3994/98 -, NVwZ 2000, Beilage Nr. 7, 82 = juris, 4 ff.
45II. Die Klage ist auch begründet.
46Der Bescheid des Beklagten vom 4. Februar 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Änderung der Wohnsitzlage dahin zu, dass er verpflichtet ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in T. /Rheinland-Pfalz bei seiner Ehefrau und seinen Kindern zu nehmen (vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 und 2 VwGO).
471. Der geltend gemachte Anspruch richtet sich zutreffend gegen den Beklagten. Er ist passivlegitimiert, da er für die Änderung der Wohnsitzauflage sowohl die Verbandszuständigkeit als auch die örtliche Zuständigkeit besitzt.
48Das Aufenthaltsgesetz enthält keine bundesrechtliche Regelung der Verbandszuständigkeit bzw. örtlichen Zuständigkeit. Insbesondere fehlt eine § 60 Abs. 3 S. 3 und 5 AsylVfG n.F. entsprechende bundesrechtliche Regelung der Zuständigkeit der Landesbehörde des aufnehmenden Landes bei einem länderübergreifenden Wohnsitzwechsel bzw. der Ausländerbehörde des Zuzugsortes bei einem landesinternen Wohnsitzwechsel im Falle einer asylrechtlichen Wohnsitzauflage nach § 60 Abs. 1 bzw. Abs. 2 S. 1 AsylVfG n.F.
49Deswegen ist bei einem länderübergreifenden Wohnsitzwechsel im Falle einer aufenthaltsrechtlichen Wohnsitzauflage nach § 61 Abs. 1d S. AufenthG – wie hier – die zuständige Behörde in zwei Schritten zu bestimmen. In einem ersten Schritt ist festzustellen, welches Bundesland die Verbandskompetenz zur Sachentscheidung besitzt (Aufgabenzuweisung an ein bestimmtes Land). Diese Frage ist, wenn – wie hier – keine speziellen koordinierten landesrechtlichen Kompetenzregelungen vorliegen, durch entsprechende Anwendung der mit § 3 VwVfG übereinstimmenden Regelungen über die örtliche Zuständigkeit in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder zu beantworten. Aus § 4 Abs. 1 OBG NRW kann eine länderübergreifende Zuständigkeitsregelung nicht abgeleitet werden, da dem Land Nordrhein-Westfalen für eine einseitige länderübergreifende abdrängende Zuständigkeitsregelung die Verbandskompetenz fehlt. In einem zweiten Schritt ist auf der Grundlage des Landesrechts des zur Sachentscheidung befugten Bundeslandes zu ermitteln, welche Behörde innerhalb des Landes örtlich zuständig ist.
50Vgl. grundlegend zur Bestimmung der Zuständigkeit im Aufenthaltsrecht: BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 1 C 5.11 -, BVerwGE 142, 195 = juris, Rn. 17 ff.
51Dies zugrunde gelegt ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a VwVfG NRW das Land Nordrhein-Westfalen für die Behandlung der aufenthaltsrechtlichen Angelegenheit des Klägers zuständig. Nach dieser Vorschrift ist in Angelegenheiten, die eine natürliche Person betreffen, die Behörde örtlich zuständig, in deren Bezirk die natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte.
52Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist im Verwaltungsverfahrensgesetz NRW nicht näher umschrieben. Insoweit kann auf die Legaldefinition in § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I zurückgegriffen werden, jedoch mit der Maßgabe, dass der unbestimmte Rechtsbegriff unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck sowie Regelungszusammenhang der jeweiligen Normen auszulegen ist. Nach dieser Vorschrift hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Danach ist zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt nicht erforderlich. Es genügt vielmehr, dass der Betreffende sich an dem Ort oder in dem Gebiet „bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat. Als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung setzt dies einen – zumindest kurzfristigen – tatsächlichen Aufenthalt an einem bestimmten Ort voraus.
53Vgl. BVerwG, Urteile, vom 2. April 2009 - 5 C 2/08 -, BVerwGE 133, 320 = juris, Rn. 22; vom 7. Juli 2005 - 5 C 9.04 -, NVwZ 2006, 97 = juris, Rn. 16 ff.; vom 26. September 2002, - 5 C 46.0 1, 5 B 37/01 -, NVwZ 2003, 616 = juris, Rn. 19 vom 18. März 1999 - 5 C 11.98 -, NVwZ-RR 1999, 583 = juris, Rn. 15 ff.
54Die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts bestimmt sich nicht nach dem inneren Willen des Betroffenen, sondern erfordert eine in die Zukunft gerichtete Prognose, die alle in Betracht kommenden Umstände berücksichtigt.
55Vgl. BVerwG, Urteile, vom 2. April 2009 - 5 C 2/08 -, BVerwGE 133, 320 = juris, Rn. 22; Urteil vom 4. Juni 1997 - 1 C 25.96 -, NVwZ-RR 1997,751 = juris, Rn. 16.
56Neben den tatsächlichen Verhältnissen gehören dazu auch ausländerrechtliche Regelungen, die den Verbleib eines Ausländers an einem bestimmten Ort beeinflussen. Das sind beispielsweise asylrechtliche oder aufenthaltsrechtliche Zuweisungsentscheidungen, räumliche Beschränkungen oder auch Wohnsitzauflagen, aus deren gesetzlichen Regelungen sich unmittelbar ergibt, dass der Aufenthalt des Ausländers außerhalb des Bereichs des Zuweisungsortes, der Aufenthaltsbeschränkung oder der Wohnsitzauflage nur vorübergehend ist.
57Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. April 2014 - OVG 3 B 33.11 -, juris Rn. 6 und 30; OVG Hamburg, Beschluss vom 27. August 2012 - 5 BS 178/12 -, juris, Rn. 13; ebenso: Funke-Kaiser, in GK-AufenthG, a.a.O., § 61, Rn. 57 m.w.N.
58Davon ausgehend hat der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Soweit man dies nicht annehmen wollte, hatte er dort jedenfalls zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt.
59Der Kläger hat sich nach seiner Einreise ins Bundesgebiet entsprechend der Zuweisung im Rahmen des Asylverfahrens in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten begeben und am Zuweisungsort X. in einer Asylbewerberunterkunft Wohnsitz genommen. Den damit begründeten gewöhnlichen Aufenthalt hat der Kläger in der Folgezeit auch nicht aufgegeben. Zwar hält er sich seit der Einreise seiner Ehefrau und seines älteren Sohnes im Juni 2012 sowie insbesondere seit der Geburt seines jüngeren Sohnes im November 2013 tatsächlich ganz überwiegend im Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen auf und wohnt während seines Aufenthalts dort auch bei seiner Familie. Aufgrund der seiner Duldung beigefügten und heute kraft Gesetzes fortbestehenden Wohnsitzauflage war und ist er jedoch verpflichtet, in der Gemeinde X. Wohnsitz zu nehmen. Die Aufenthalte in Rheinland-Pfalz sind ihm bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern zum 1. Januar 2015 vom Beklagten lediglich auf der Grundlage von zeitlich befristeten Verlassenserlaubnissen gestattet worden. Deswegen kehrte und kehrt der Kläger auch heute noch nach Wegfall der räumlichen Beschränkung auf das Land Nordrhein-Westfalen seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung zufolge regelmäßig in den Bezirk des Beklagten zurück, um dort seine aufenthaltsrechtlichen (u.a. Verlängerung der Duldungen) und sozialrechtlichen (u.a. Ausstellung von Krankenscheinen) Angelegenheiten zu regeln oder auch Arzttermine wahrzunehmen. Der Kläger bezieht von der Gemeinde X. weiterhin Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (vgl. § 10a AsylbLG), auch wird dort für ihn nach wie vor ein Platz in einem Wohncontainer vorgehalten. Diese, wenn auch nur kurzfristigen, tatsächlichen Aufenthalte des Klägers im Zuständigkeitsbereich des Beklagten reichen für die Annahme eines fortbestehenden gewöhnlichen Aufenthalts im Bezirk des Beklagten aus.
60Vgl. ebenso: BVerwG, Urteil vom 26. September 2002, - 5 C 46.0 1, 5 B 37/01 - juris, Rn. 19, wonach zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts zumindest ein kurzfristiger tatsächlicher Aufenthalt an einem bestimmten Ort erforderlich ist.
61Sein fehlender Domizilwille wird dabei ebenso durch die aufenthaltsrechtliche Wohnsitzauflage überwunden wie die Tatsache, dass der Schwerpunkt seiner persönlichen Lebensbeziehungen inzwischen in T. /Rheinland-Pfalz bei seiner Familie liegt.
62Ferner spricht auch der Zweck der gesetzlichen Wohnsitzauflage für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, deren Lebensunterhalt nicht gesichert ist, dafür, dass die Ausländerbehörde, in deren Zuständigkeitsbereich die Wohnsitzauflage nach § 61 Abs. 1d S. 1 AufenthG entstanden ist, Ausländerbehörde des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a VwVfG NRW i.V.m. § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I ist und bleibt. Die Wohnsitzauflage soll nämlich dadurch, dass Sozialleistungen lediglich an dem Wohnort erbracht werden, auf den sich die Wohnsitzauflage bezieht (vgl. § 10a AsylbLG), die gerechte Verteilung der Sozialkosten zwischen den Ländern gewährleisten. Insbesondere sollen geduldete Ausländer, die unter Verstoß gegen eine Wohnsitzauflage in ein anderes Bundesland umziehen, dort keine Ansprüche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gelten machen können (vgl. BT-Drs. 18/3144, S. 9 f.). Dieser Zweck würde jedoch nicht in gleicher Weise erreicht, wenn geduldete Ausländer durch einen auflagewidrigen Umzug in ein anderes Bundesland selbst die Zuständigkeit der Ausländerbehörde des tatsächlichen Aufenthaltsorts begründen und dadurch ihren auflagewidrigen Aufenthalt ggf. verfestigen könnten. Dementsprechend ist der Ort eines illegalen Aufenthalts regelmäßig – und so auch hier – unabhängig davon, seit wann der Ausländer sich dort in der Absicht aufhält, auf Dauer zu bleiben – nicht als gewöhnlicher Aufenthalt anzusehen.
63Vgl. ebenso zu § 15a AufenthG: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. April 2014 - OVG 3 B 33.11 -, juris, Rn. 6 und 30; zum gewöhnlichen Aufenthalt: OVG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse vom 29. März 2006 ‑ 7 B 19291/06 -, juris, Rn. 3, und vom 16. Januar 2004 - 10 B 11661/03 -, juris, Rn. 5; für eine Zuständigkeit der Ausländerbehörde des bisherigen Wohnortes nach der neuen Rechtslage auch: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. Januar 2015 - 2 O 1/5 -, juris, Rn. 8; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, a.a.O., § 61 Rn. 94.
64Selbst wenn man dies anders sehen und annehmen wollte, dass der Kläger wegen seines überwiegenden tatsächlichen Aufenthalts in T. /Rheinland-Pfalz als Schwerpunkt seiner persönlichen Lebensbeziehungen den gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten aufgegeben hat, hätte er in Rheinland-Pfalz jedoch keinen neuen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Denn wegen der fortbestehenden Wohnsitzauflage für die Gemeinde X. ist nicht davon auszugehen, dass er sich in Rheinland-Pfalz „bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhielt. Die auflagenwidrigen Wohnsitznahme dort konnte jederzeit vom Beigeladenen ausländerrechtlich durch entsprechende Ordnungsverfügungen und bei Nichtbefolgung durch Anwendung von Verwaltungszwang beendet werden. Dass der Beigeladene dies trotz Kenntnis vom tatsächlichen Aufenthalt des Klägers in seinem Zuständigkeitsbereich in der Vergangenheit nicht getan hat, rechtfertigte nicht die Annahme, dass dies auch künftig so bleiben würde, zumal der Beigeladene einem Zuzug des Klägers in seinen Zuständigkeitsbereich durchgängig, auch im Rahmen des Klageverfahrens widersprochen hat. Hätte der Kläger demnach gegenwärtig weder im Zuständigkeitsbereich des Beklagten (mehr) noch im Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen (wieder) einen gewöhnlichen Aufenthalt, käme es nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 a, 2. Alternative VwVfG NRW darauf an, wo der Kläger zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dies war bis zur Einreise der Familie des Klägers jedoch im Zuständigkeitsbereich des Beklagten.
65Innerhalb des Landes Nordrhein-Westfalen ist der Beklagte als Ausländerbehörde, auf deren Bezirk sich die Wohnsitzauflage erstreckt, auch örtlich zuständig, weil in seinem Bezirk Anlass zum aufenthaltsrechtlichen Handeln besteht und damit die zu schützenden Interessen im Sinne des § 4 Abs. 1 OBG NRW verletzt oder gefährdet werden.
662. Der Kläger hat auch einen Anspruch darauf, dass die Wohnsitzauflage auf die Verbandsgemeine T. /Rheinland-Pfalz im Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen geändert wird.
67Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch bildet § 61 Abs. 1d S. 3 AufenthG. Nach dieser Vorschrift kann die Ausländerbehörde die Wohnsitzauflage von Amts wegen oder auf Antrag des Ausländers ändern. Hierbei sind die Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen oder sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht zu berücksichtigen.
68Die Änderung der Wohnsitzauflage erfolgt danach im Wege einer Einzelfallentscheidung. Sie steht im Ermessen der Ausländerbehörde („kann“). Bei der Ausübung des Ermessens hat die Ausländerbehörde das mit der gesetzlich angeordneten Wohnsitzauflage verfolgte öffentliche Interesse an einer gerechten Verteilung der Sozialkosten zwischen den Ländern einerseits (vgl. BT-Drs. 18/3144, S. 9 f.) und die persönlichen Belange des betroffenen Ausländers andererseits zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Als zu berücksichtigende Belange auf Seiten des Ausländers werden in § 61 Abs. 1d S. 3, 2. Halbs. AufenthG insbesondere seine Beziehungen zu Familienangehörigen, mit denen er in Haushaltsgemeinschaft lebt oder leben will, genannt. Damit wird – ebenso wie mit den Regelungen der § 15a Abs. 1 S. 6 und Abs. 4 S. 3 AufenthG, §§ 50 Abs. 4 S. 5, § 51 Abs. 1 AsylVfG im Rahmen der aufenthaltsrechtlichen und asylrechtlichen Verteilungsverfahren – Art. 6 Abs. 1 und 2 GG Rechnung getragen, der als wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde verpflichtet, bei jeder ausländerrechtlichen Entscheidung die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen.
69Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17. Mai 2011 - 2 BvR 2625/10 -, juris, Rn. 13 ff., vom 27. August 2010 - 2 BvR 130/10 -, NVwZ 2011, 35 = juris, Rn. 40 ff., und vom 4. Dezember 2007 2 BvR 2341/06 -, Inf-AuslR 2008, 239 = juris, Rn. 6 ff.
70Im vorliegenden Fall ist das ausländerbehördliche Ermessen aufgrund der familiären Bindungen des Klägers dahingehend „auf Null“ reduziert, dass die Änderung der Wohnsitzauflage im Sinne des Klägers die einzig rechtmäßige Entscheidung darstellt.
71Die begehrte Änderung der Wohnsitzauflage dient hier der Herstellung und Wahrung der von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG geschützten familiären Lebensgemeinschaft. Aufgrund der vorgelegten Urkunde über die Vaterschaftsanerkennung steht fest, dass der Kläger jedenfalls Vater des am 8. November 2013 im Bundesgebiet geborenen Kindes E. ist (vgl. §§ 1592 Nr. 2, 1594, 1595 Abs. 1, 1597 Abs. 1 BGB). Vor diesem Hintergrund kann dahin gestellt bleiben, ob auch von einer rechtsgültigen Ehe mit Frau H. und der Vaterschaft des Klägers für die in Armenien geborenen Kinder M. und W. auszugehen ist. Dies ist zwar bisher nicht durch Personenstandsurkunden nachgewiesen worden, da der Kläger lediglich eine Kopie der armenischen Heiratsurkunde mit deutscher Übersetzung und keine Geburtsurkunden für diese beiden Kinder vorgelegt hat. Allerdings haben bisher auch weder der Beklagte noch der Beigeladene substantiiert durchgreifende Zweifel an der Wirksamkeit der Ehe sowie der Vaterschaft des Klägers aufgezeigt.
72Im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung lassen bereits die familiären Bindungen des Klägers zu seinem knapp eineinhalb jährigen Sohn E. das öffentliche Interesse an einer gerechten Lastenverteilung zurücktreten. Die familiären Bindungen des Klägers wiegen deshalb besonders schwer, weil hier der Schutz der familiären Lebensgemeinschaft zwischen einem Vater und seinem minderjährigem Kleinkind in Rede steht. Wird die Änderung der Wohnsitzauflage – wie hier – zum Zweck der Herstellung der Familieneinheit von Eltern und ihren minderjährigen Kindern begehrt, kann eine solche Änderung im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 und 2 GG in der Regel nicht ermessensfehlerfrei abgelehnt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Familientrennung bereits seit längerer Zeit andauert und weder eine Aufenthaltsbeendigung eines beteiligten Familienmitglieds noch eine freiwillige Ausreise unmittelbar bevorstehen.
73Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. Januar 2015 - 2 O 1/5 -, juris, Rn. 9; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, a.a.O., § 61, Rn. 60 f.
74Denn das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kinder ist besonders schutzbedürftig. Dies gilt umso mehr, wenn es sich – wie hier – um ein Kleinkind handelt, bei dem sich bereits eine verhältnismäßig kurze Trennungszeit im Lichte von Art. 6 Abs. 2 GG regelmäßig als unzumutbar lang darstellt, weil die Entwicklung von Kleinkindern schnell voranschreitet und diese den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen können und diesen als endgültigen Verlust erfahren. Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters auch nicht durch die Betreuung des Kindes durch die Mutter oder dritter Personen entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes hat.
75Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 1. Dezember 2008 - 2 BvR 1830/08 -, juris, Rn. 29 und 33; vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682 = juris, Rn. 17 und 22; vom 31. August 1999 - 2 BvR 1523/99 -, NVwZ 2000, 59 = juris, Rn. 7 und 10.
76Die Änderung der Wohnsitzauflage ist ferner auch deswegen geboten, weil die Familientrennung bereits seit längerer Zeit andauert und weder eine Aufenthaltsbeendigung eines beteiligten Familienmitglieds noch eine freiwillige Ausreise unmittelbar bevorstehen. Die Trennung zwischen Vater und Sohn besteht im Grundsatz seit dessen Geburt Anfang November 2013. Daran ändert auch nichts, dass der Beklagte dem Kläger bis zur Änderung der Rechtslage zu Beginn dieses Jahres mit der fortlaufenden Erteilung von Verlassenserlaubnissen tatsächlich den Aufenthalt bei seiner Familie im Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen ermöglicht hat. Denn die lediglich befristeten Verlassenserlaubnisse führten dazu, dass der Kläger aufgrund der fortbestehenden Wohnsitzauflage für die Gemeinde X. gezwungen war, regelmäßig zur Verlängerung der Erlaubnis bzw. seiner Duldung in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten zurückzukehren. Die Situation hat sich auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung asylsuchender und geduldeter Ausländer zum 1. Januar 2015 nicht geändert. Denn der Kläger ist nach wie vor gezwungen, zur Regelung seiner ausländerrechtlichen (u.a. Verlängerung der Duldungen) und sozialrechtlichen Angelegenheiten (Asylbewerberleistungen einschließlich der Kosten für seine Krankenbehandlungen) regelmäßig in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten zurückzukehren. Dieser Zustand ist der Familie nicht länger zuzumuten und vom Gesetzgeber mit der gesetzlichen Neuregelung durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung asylsuchender und geduldeter Ausländer im Bundesgebiet auch ersichtlich nicht gewollt. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die durch die regelmäßig erforderlichen Reisen anfallenden, nicht unerheblichen Fahrtkosten, die der Familie für die Bestreitung ihres Lebensunterhalts fehlen.
77Eine Beendigung des Aufenthalts oder eine freiwillige Ausreise der Familie des Klägers stehen in absehbarer Zeit ebenfalls nicht bevor. Denn das Bundesamt hat über die Asylanträge der Ehefrau und der drei Kinder des Klägers bis heute nicht entschieden. Ihr Aufenthalt im Bundesgebiet ist daher für die Dauer des Asylverfahrens kraft Gesetzes gestattet (vgl. § 55 Abs. 1 AsylVfG). Dies gilt nach Ablauf der Überstellungsfrist im Dublin-Verfahren und Durchführung eines nationalen Asylverfahrens insbesondere auch für die Ehefrau und den älteren Sohn des Klägers. Wann mit einer Entscheidung des Bundesamtes zu rechnen ist, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt, zumal in Anbetracht der erheblichen Arbeitsbelastung des Bundesamtes infolge der stark gestiegenen Zahl von Asylanträgen u.a. von serbischen und kosovarischen Staatsangehörigen, nicht absehbar. Im Übrigen stünde der Ehefrau und den Kindern des Klägers auch im Falle einer ablehnenden Entscheidung des Bundesamtes hiergegen noch gerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung, wobei die voraussichtliche Dauer eines gerichtlichen Verfahrens sich derzeit ebenfalls nicht abschätzen lässt. Halten sich die Ehefrau und die Kinder des Klägers im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung aufgrund der gesetzlichen Aufenthaltsgestattung jedoch rechtmäßig im Bundesgebiet auf, können sie – entgegen der Ansicht des Beigeladenen – gegenwärtig auch nicht auf eine freiwillige Ausreise zusammen mit dem vollziehbar ausreisepflichtigen Kläger und damit auf eine Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft im Heimatland verwiesen werden.
78Unter diesen Umständen steht auch eine Aufenthaltsbeendigung des Klägers in nächster Zeit nicht bevor. Zum einen ist dessen Abschiebung vom Beklagten derzeit noch bis zum 24. August 2015 ausgesetzt. Zum anderen dürfte ihm auch künftig, jedenfalls solange die Asylverfahren seiner Ehefrau und Kinder noch nicht unanfechtbar bzw. vollziehbar abgeschlossen sind, nach wie vor ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 und 2 GG bzw. § 43 Abs. 3 AsylVfG zustehen.
79Die Anwendung der zuletzt genannten Vorschrift scheidet – entgegen der Ansicht des Beigeladenen – insbesondere nicht deswegen aus, weil die Ehefrau und die Kinder des Klägers nicht unverzüglich nach der Einreise des Klägers einen Asylantrag gestellt haben. Nach § 43 Abs. 3 AsylVfG darf die Ausländerbehörde in dem Fall, dass Familienangehörige im Sinne des § 26 Abs. 1 bis 3 AsylVfG gleichzeitig oder jeweils unverzüglich nach ihrer Einreise einen Asylantrag gestellt haben, die Abschiebung vorübergehend aussetzen, um die gemeinsame Ausreise der Familie zu ermöglichen. Damit stellt die Vorschrift bei getrennter Einreise für die Unverzüglichkeit der Asylantragstellung auf die eigene Einreise bzw. dieser gleichstehend die Geburt des jeweiligen Familienangehörigen und nicht des zuerst eingereisten Familienangehörigen ab. Bei getrennter Einreise – wie hier – schaden daher auch erhebliche Zeitabstände nicht. Der spätere Asylantrag muss nur ohne schuldhaftes Zögern nach der jeweiligen Einreise bzw. Geburt gestellt sein,
80vgl. Bergmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt Ausländerrecht, 10. Aufl., § 43 Rn. 6,
81was hier bei allen Familienangehörigen des Klägers der Fall ist. Der Asylantrag des Sohnes E. galt insoweit nach der Anzeige der Geburt durch den Beigeladenen gemäß § 14a Abs. 2 S. 3 AsylVfG als gestellt.
82Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob eine Aussetzung der Abschiebung des Klägers derzeit auch mit Blick auf seinen psychischen Gesundheitszustand gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG zu erfolgen hat, obwohl er sich nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung seit September 2014 nicht mehr in psychiatrischer Behandlung befunden und erst im Juni 2015 wieder einen Termin bei einem Psychiater/Neurologen in C. hat.
83Schließlich stellt der Zuzug des Klägers in den Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen auch unter Berücksichtigung der ursprünglichen Verteilungsregelung den geringsten Eingriff in die Kostenbelastung der beteiligten Rechtsträger dar. Denn die Lastenverteilung unter den Ländern wird am wenigsten berührt, wenn der allein lebende und erwerbslose Kläger zu seinen Familienangehörigen zieht und nicht etwa umgekehrt seine Familienangehörigen zu ihm.
843. Der Änderung der Wohnsitzauflage im begehrten Sinne durch den Beklagten steht auch nicht die verweigerte Zustimmung der Beigeladenen entgegen.
85Das Aufenthaltsgesetz sieht für die Änderung der gesetzlichen Wohnsitzauflage kein rechtlich verbindliches Beteiligungserfordernis im Sinne eines mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakts mit der Folge vor, dass diese nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde des Zuzugsortes vorgenommen werden kann und die Ausländerbehörde des bisherigen Wohnortes im Falle der Verweigerung der Zustimmung an einer Änderung der Wohnsitzauflage gehindert wäre.
86Der insoweit allein in Betracht zu ziehenden Regelung des § 72 Abs. 3 S. 1 AufenthG lässt sich ein solches Beteiligungserfordernis nicht entnehmen. Nach dieser Vorschrift dürfen räumliche Beschränkungen, Auflagen und Bedingungen, Befristungen nach § 11 Abs. 1 S. 3 AufenthG, Anordnungen nach § 47 AufenthG und sonstige Maßnahmen gegen einen Ausländer, der nicht im Besitz eines erforderlichen Aufenthaltstitels ist, von einer anderen Behörde nur im Einvernehmen mit der Behörde geändert oder aufgehoben werden, die die Maßnahme angeordnet hat. Die Vorschrift erfasst nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur räumliche Beschränkungen und Auflagen, die aufgrund einer behördlichen Anordnung im Einzelfall, d.h. in Form eines Verwaltungsakts, ergangen sind, nicht aber kraft Gesetzes bestehende räumliche Beschränkungen oder Auflagen, wie sie hier mit der Wohnsitzauflage nach § 61 Abs. 1d S. 1 AufenthG in Rede steht. Darüber hinaus verlangt sie nur ein Einvernehmen der Ausländerbehörde, die den jeweiligen Verwaltungsakt – hier die Wohnsitzauflage – erlassen hat, und nicht der Ausländerbehörde des Zuzugsortes.
87Vgl. ebenso: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. Januar 2015 - 2 O 1/5 -, juris, Rn. 10; OVG NRW, Beschluss vom 29. November 2005 - 19 B 2364/03 -, InfAuslR 2006, 64 = juris, Rn. 50 ff.
88Soweit in Nr. 12.2.5.2.4.3 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (AVwV-AufenthG) bestimmt ist, dass die Ausländerbehörde des bisherigen Wohnortes die wohnsitzbeschränkende Auflage erst dann streichen oder ändern darf, wenn die Zustimmung der Ausländerbehörde des Zuzugsortes vorliegt, steht dies einer Änderung der Wohnsitzauflage durch den Beklagten ebenfalls nicht entgegen. Denn diese rein verwaltungsintern wirkenden und an die nachgeordneten Behörden gerichteten Verwaltungsvorschriften, an die die Verwaltungsgerichte nicht gebunden ist, vermögen als reines Innenrecht die bestehende Rechtslage, die einen mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt gerade nicht vorsieht, nicht zu ändern. Insbesondere können sie auch einem – wie dargelegt – nach materiellem Recht bestehenden Anspruch auf Änderung der Wohnsitzauflage gemäß § 61 Abs. 1d S. 3 AufenthG nicht entgegenstehen.
89Vgl. ebenso: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. Januar 2015 - 2 O 1/5 -, juris, Rn. 10.
90Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen kommt nicht in Betracht, da dies nicht der Billigkeit entspricht. Denn der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt (vgl. §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
91Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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