Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 A 432/19 HGW

Tenor

1. Unter Abweisung der Klage im Übrigen wird der Bescheid des Beklagten vom 30. Januar 2019 - Nr. XX - in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2019 insoweit aufgehoben, als die Festsetzung den Betrag von 5.382,00 € übersteigt.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin zu 68 v.H. und dem Beklagten zu 32 v.H. auferlegt.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe der Vollstreckungsschuld vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen (Schmutz- und Niederschlagswasser).

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Sie ist Eigentümerin der in der Gemarkung B-Stadt gelegenen Grundstücke G1 (2.007 m²), G2 (7.393 m²), G3 (6.205 m²) und G4 (1.936 m²). Auf den Grundstücken befinden sich die denkmalgeschützten Gebäude eines Sanatoriums, das seit dem Jahre 1992 leer steht. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 11 „Kurzentrum“ der Stadt B-Stadt, der Teilflächen der Grundstücke als Sondergebiet Kurgebiet ausweist. Die bebaubare Teilfläche des Grundstücks G2 – es handelt sich um den Teil eines in nördliche Richtung zeigenden „Fingers“ mit einer Länge von etwa 24 m und einer Breite von etwa 6,50 m – beträgt ca. 156 m². Für eine weitere Teilfläche des Grundstücks sieht der Bebauungsplan die Anlegung von Gemeinschaftsstellplätzen vor. Für die Restflächen der Grundstücke sind private Grünflächen festgesetzt. Auf dem Grundstück G4, das im Bebauungsplan teilweise als öffentliche Straße ausgewiesen ist, befindet sich die Zufahrt zu dem Komplex.

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Die Klägerin hat das Eigentum an den Grundstücken im Jahre 2010 zu einem Kaufpreis von 1,00 EUR von der Stadt B-Stadt erworben. In dem notariellen Grundstückskaufvertrag vom 18. Mai 2010 heißt es unter § 8 Erschließungskosten:

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„1. Der Veräußerer (Stadt B-Stadt) trägt alle Erschließungsbeiträge, Anliegerbeiträge und Kostenerstattungen nach dem Baugesetzbuch sowie anderen Rechtsvorschriften einschließlich etwaiger Vorauszahlungen, über die ihm oder seinem Rechtsvorgänger vor der heutigen Beurkundung ein Bescheid zugegangen ist oder über die bereits ein Bescheid von der zuständigen Behörde gefertigt wurde. Für bereits fertig gestellte Erschließungsanlagen zur leitungsgebundenen Abwasserentsorgung (Anschlussbeitrag) oder Abschnitte dieser Erschließungsanlagen, die bereits hätten abgerechnet werden können aber noch nicht abgerechnet wurden, stellt der Veräußerer den Erwerber bis zur Höhe von 6.700,00 EUR frei.

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2. Dem Erwerber ist bekannt, dass das Gebiet des ‚Alten Sanatoriums‘ nicht an der zentralen Schmutzwasserkanalisation ‚Salinenstraße‘ angeschlossen ist. Es wurde jedoch vorsorglich ein Schmutzwasserschacht als sogenannte Endhaltung gelegt, der sich in der Zuwegung von der Salinenstraße zum ‚Alten Sanatorium‘ konkret am Rondell befindet.

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3. Der Veräußerer stimmt zu, dass der Erwerber Niederschlagswasser in Bezug auf das Erwerbsgrundstück zur eigenen Nutzung auffangen oder auf dem Erwerbsgrundstück versickern lassen kann und dass für diesen Fall eine Veranlagung für die Einleitung von Niederschlagswasser in die öffentliche Abwasserentsorgung nicht erfolgt.“

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Die Grundstücke sind über das Grundstück G4 an die vom Zweckverband betriebene zentrale Schmutz- und Niederschlagswasseranlage angeschlossen. Auf diesem Grundstück liegen die jeweiligen Hauptsammler sowie sieben Grundstücksanschlüssen. Die Leitungen wurden Mitte der 1990er Jahre hergestellt.

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Mit Bescheiden vom 30. Januar 2019 zog der Beklagte die Klägerin zu Anschlussbeiträgen Schmutz- und Niederschlagswasser i.H.v. 13.848,30 EUR und 3.853,44 EUR (G1), 51.011,70 EUR und 14.194,54 EUR (G2), 42.814,50 EUR und 11.913,60 EUR (G3) sowie 13.358,40 EUR und 3.717,12 EUR (G4) heran. Auf die hiergegen gerichteten Widersprüche der Klägerin hob der Beklagte die das Grundstück G4 betreffenden Festsetzungen insoweit auf, als sie die Beträge von 2.752,41 EUR bzw. 765,89 EUR übersteigen und wies die Rechtsbehelfe im Übrigen mit Widerspruchsbescheiden vom 21. Februar 2019, 27. Februar 2019 bzw. 28. Februar 2019 zurück.

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Am 18. März 2018 (Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2019), am 21. März 2019 (Widerspruchsbescheide vom 21. Februar 2019) sowie am 22. März 2019 und am 25. März 2019 (Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2019 und übrige Widerspruchsbescheide vom 28. Februar 2019) hat die Klägerin zu den Aktenzeichen 3 A 432/19 HGW, 3 A 455/19 HGW, 3 A 457/19 HGW, 3 A 462/19 HGW, 3 A 463/19 HGW, 3 A 464/19 HGW, 3 A 469/19 HGW bzw. 3 A 470/19 HGW Anfechtungsklagen erhoben, die das Gericht mit Beschluss vom 11. Juni 2019 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter Führung des erstgenannten Verfahrens verbunden hat.

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Die Klägerin ist der Auffassung, ihre Heranziehung sei rechtswidrig. Die Grundstücke seien nicht an die zentrale Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigung angeschlossen. Die Stadt B-Stadt habe in dem Kaufvertrag einer Versickerung des Niederschlagswassers auf dem Grundstück zugestimmt. Hieran sei der Beklagte gebunden. Die Anwendung der Maßstabsregelung sei fehlerhaft, da es sich bei den Grundstücken um Außenbereichsflächen handele. Zudem stehe die mit der Stadt B-Stadt geschlossene Freistellungsvereinbarung der Heranziehung entgegen. Die Beitragsansprüche seien infolge Festsetzungsverjährung erloschen. Zudem stehe der Grundsatz der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit der Heranziehung entgegen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Bescheide des Beklagten vom 30. Januar 2019 – Nrn. XX bis XX – in der Gestalt seiner Widerspruchsbescheide vom 21. Februar 2019, 27. Februar 2019 bzw. 28. Februar 2019 aufzuheben.

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Der Beklagte verteidigt die angegriffenen Bescheide und beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Mit Beschluss vom 11. Juni 2019 hat das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Dem Gericht haben bei der Entscheidung die beim Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgänge vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist in dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Bescheid Nr. XX ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), soweit die Festsetzung den Betrag von 5.382,00 EUR übersteigt. Die übrigen Bescheide sind dagegen nicht zu beanstanden.

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1. Alle Bescheide finden ihre gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG M-V) erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung des Abwasserzweckverbandes Marlow-B-Stadt über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 23. Juni 2017. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung bestehen im Umfang der mangels substantiierter Rügen lediglich gebotenen Plausibilitätskontrolle nicht. Da die Klägerin insoweit keine Einwände geltend macht, kann von weiteren Darlegungen abgesehen werden.

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2. Die Rechtsanwendung durch den Beklagten ist in Ansehung des Bescheides Nr. XX teilweise fehlerhaft. Im Übrigen begegnet sie keinen Bedenken.

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a) So ist die sachliche Beitragspflicht – und auf ihrer Grundlage – mit der Heranziehung der Klägerin auch deren persönliche Beitragspflicht entstanden. Das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht richtet sich nach § 9 Abs. 3 Satz 1 Danach entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung (st. Rspr. bereits zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993: vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 03.03.2005 – 1 L 56/04 – S. 4 ff. des Entscheidungsumdrucks). Dies ist – wie noch zu zeigen sein wird – die Abwasserbeitragssatzung vom 23. Juni 2017. Auch die übrigen Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht liegen vor, so dass mit ihrer Heranziehung die persönliche Beitragspflicht der Klägerin begründet worden ist (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V).

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aa) Die Grundstücke unterliegen als B-Plan-Grundstücke gemäß § 2 Abs. 1 Buchst. a ABS der sachlichen Beitragspflicht. Da der Grundstücksanschluss, also die Verbindung des öffentlichen Hauptsammelkanals mit dem Grundstück nach § 2 Abs. 6 der Satzung des Abwasserzweckverbandes Marlow-B-Stadt über die Entwässerung der Grundstücke und den Anschluss an die Abwasseranlage (Abwassersatzung – AwS) vom 2. November 2010 zur öffentlichen Einrichtung gehört, liegt ein das Anschlussrecht i.S.d. § 3 Abs. 1 AwS auslösender betriebsfertiger Anschluss erst vor, wenn auch der jeweilige Grundstücksanschluss existiert. Erst dann entsteht die sachliche Beitragspflicht (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 28.06.2017 – 3 A 689/14 –, m.w.N. ).

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aa) Auch dies ist vorliegend der Fall. Grundstücksanschlussleitungen (Schmutz- und Niederschlagswasser) existieren (nur) auf dem Grundstück G4. Dies wird von der Klägerin zwar bestritten. Der Beklagte hat jedoch die Zahl und Lage der Grundstücksanschlüsse in dem Schriftsatz vom 5. August 2019 detailliert beschrieben. Dem ist die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht mehr entgegen getreten, so dass weitere Ermittlungen zu dieser Frage entbehrlich sind.

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bb) Der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht steht nicht entgegen, dass für die anderen Grundstücke der Klägerin wurden keine Grundstücksanschlüsse hergestellt worden sind. Zwar bestimmt § 9 Abs. 1 Satz 1 AwS, dass jedes Grundstück einen eigenen, unmittelbaren Anschluss an die öffentliche Abwasseranlage haben muss. Allerdings sieht § 9 Abs. 2 Satz 1 AwS vor, dass der Zweckverband ausnahmeweise den Anschluss mehrerer Grundstücke an einen gemeinsamen Anschlusskanal zulassen kann. Zwar hindert ein solches satzungsrechtlich in das Ermessen der Gemeinde gestelltes Anschlussrecht das Entstehen der Anschlussbeitragspflicht grundsätzlich auch dann, wenn nach den Umständen des Einzelfalles das Ermessen „auf Null“ reduziert ist und folglich ein Anspruch auf Genehmigung eines gemeinsamen Anschlusses besteht (vgl. OVG Münster, Urt. v. 24.01.2006 – 15 A 3819/03 –, juris). Vorliegend ist jedoch zu beachten, dass die Zulassung eines gemeinsamen Anschlusses vom Beklagten mit der Erhebung von Anschlussbeiträgen für die vier im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstücke konkludent erfolgt ist. Denn mit der Beitragserhebung für alle vier Grundstücke erklärt er auch, dass er mit einem Anschluss dieser Grundstücke über das Grundstück G4 einverstanden ist.

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 Etwas anderes folgt nicht aus dem Umstand, dass § 9 Abs. 2 Satz 2 AwS als Voraussetzung für die Zulassung eines gemeinsamen Anschlusses dessen dingliche Sicherung durch die beteiligten Grundeigentümer fordert. Denn diese Vorschrift ist vorliegend unanwendbar. Sie gilt, wie ihr ausdrücklicher Wortlaut zeigt, nur für die Zulassung gemeinsamer Grundstücksanschlüsse bei eigentümerverschiedenen Grundstücken. Besteht bei den betroffenen Grundstücken – wie hier – aber eine Eigentümeridentität, ist eine dingliche Sicherung des Grundstücksanschlusses überflüssig, weil Nutzungsstreitigkeiten nicht auftreten können. In diesem Fall bedarf es keiner rechtlichen Sicherung des Leitungsrechts, da es allein vom Willen des (identischen) Grundstückseigentümers abhängt, ob er von der Möglichkeit einer Leitungsverlegung Gebrauch macht; das einheitliche Eigentum stellt eine ausreichende Sicherheit des Leitungsrechts dar (VG Greifswald, Urt. v. 21.10.2009 – 3 A 508/09 –, S. 6 des Entscheidungsumdrucks; vgl. auch OVG Greifswald, Urt. v. 24.03.2004 – 1 L 58/02 –, juris Rn. 174 m.w.N.).
Abweichendes folgt auch nicht aus der neueren Rechtsprechung des OVG Greifswald. Zwar hat es in dem Urteil vom 26. Juni 2018 (– 1 L 381/15 –, juris Rn. 21) bei einer vergleichbaren Grundstückssituation ein Anschlussrecht für das Hinterliegergrundstück trotz einer Identität der Eigentümer des Anlieger- und des Hinterliegergrundstücks verneint. Dies beruht jedoch auf den Besonderheiten des in der Entscheidung zu berücksichtigenden Satzungsrechts, das die Genehmigung eines gemeinsamen Anschlusses nur auf Antrag der Grundeigentümer vorsieht. Die Zulassung eines gemeinsamen Anschlusskanals nach § 9 Abs. 2 Satz 1 AwS ist demgegenüber nicht antragsgebunden.
cc) Weiter ist die Verlegung der Hauptsammler und Grundstücksanschlüsse auf dem Grundstück G4 nicht rechtswidrig erfolgt. Der Beitragsanspruch besteht nur bei der Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Denn der Anwendungsbereich der Regelung über die Beitragserhebung ist durch das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz – GG) begrenzt. Für eine rechtswidrige Maßnahme kann kein Beitrag verlangt werden, weil dieser mit dem Risiko behaftet ist, dass sie früher oder später zur Behebung des eingetretenen rechtswidrigen Zustands beseitigt wird (vgl. zum Erschließungsbeitragsrecht: BVerwG, Urt. vom 21.10.1994 – 8 C 2.93 –, juris Rn. 16). Arbeiten auf Privatgrundstücken bedürfen daher des Einverständnisses des Grundstückseigentümers. Hiervon ist vorliegend aber auszugehen. Zum Zeitpunkt der Herstellung der Leitungen Mitte der 1990er Jahre befand sich das Grundstück noch im Eigentum der Stadt B-Stadt. Diese war zu diesem Zeitpunkt bereits Mitglied des Abwasserzweckverbandes. Anhaltspunkte dafür, dass die Stadt B-Stadt der Baumaßnahme widersprochen hatte und diese daher rechtswidrig war, sind nicht ersichtlich. Denn die Stadt B-Stadt wollte die Flächen als baulich nutzbare Flächen vermarkten, was ihr mit Abschluss des Grundstückskaufvertrages vom 18. Mai 2010 auch gelungen ist.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Klägerin aktuell die Beseitigung der auf ihrem Grundstück verlegten Leitungen verlangen kann. Dies ist jedenfalls dann denkbar, wenn die auf dem Grundstück G4 vorhandene Zufahrt nebst Rondell nicht straßenrechtlich gewidmet ist (dazu sogleich). Denn die auf einem aus Sicht des kommunalen Aufgabenträgers fremden Grundstück verlegten Teile einer öffentlichen Einrichtung der Schmutzwasserentsorgung sind als bloße Scheinbestandteile des fremden Grundstücks bewegliche Sachen (§ 95 BGB), und zwar in der Regel Zubehör (§ 97 BGB) des Betriebsgrundstücks des Aufgabenträgers (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 10.09.2018 – OVG 9 A 1.18 –, juris Rn. 44). Ein Beseitigungsverlangen der Klägerin wäre aber unbeachtlich, weil die sachliche Beitragspflicht – wie bereits dargelegt – bereits mit dem Inkrafttreten der Abwasserbeitragssatzung vom 23. Juni 2017 entstanden ist. Die einmal entstandene sachliche Beitragspflicht kann nicht durch die nachträgliche Veränderung von anspruchsbegründenden Umständen wieder beseitigt werden (vgl. VGH Kassel, Urt. v. 10.06.2014 – 5 A 337/13 –, juris Rn. 31 zur nachträgliche Aufhebung der Beitragssatzung; VG Greifswald, Urt. v. 19.05.2016 – 3 A 438/14 –, juris Rn. 42 zur nachträgliche Aufhebung der straßenrechtlichen Widmung).
dd) Die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die auf dem Grundstück G4 verlegten Hauptsammler und Grundstücksanschlüsse nicht durch Leitungsrechte gesichert sind und dass zumindest offen ist, ob die Zufahrt straßenrechtlich gewidmet ist.
(1) So scheidet die Annahme einer außerhalb des Grundbuchs entstandenen beschränkt persönlichen Dienstbarkeit zu Gunsten des Zweckverbandes nach § 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 Nr. 1 Grundbuchbereinigungsgesetz (GBBerG) i.V.m. § 1 Satz 1 Sachenrechts-Durchführungsverordnung (SachenR-DV) aus, weil die Hauptsammler erst nach der Wende hergestellt worden sind und von den genannten Vorschriften daher nicht erfasst werden. Grundbuchliche Sicherungsrechte existieren ebenso wenig.
Ob die Zufahrt nebst Rondell straßenrechtlich gewidmet wurde, ist offen. Der Beklagte konnte keine Widmungsverfügung vorlegen; sein Vortrag zur Existenz einer straßenrechtlichen Widmung ist unzulänglich.
Auch die Widmungsfiktion des § 7 Abs. 4 Satz 1 Straßen- und Wegegesetz (StrWG M-V) greift vorliegend nicht. Trotz ihrer Ausweisung im Bebauungsplan als öffentliche Straße gilt die Zufahrt nicht nach dieser Vorschrift als gewidmet. Werden in einem förmlichen Verfahren aufgrund anderer gesetzlicher Vorschriften der Bau oder die Änderung von Straßen unanfechtbar angeordnet, so gilt die Straße nach § 7 Abs. 4 Satz 1 StrWG M-V mit der Überlassung für den öffentlichen Verkehr als gewidmet, sofern sie in der Anordnung als öffentlich bezeichnet, in eine Straßengruppe eingestuft und der Träger der Straßenbaulast bestimmt worden ist. Die Festsetzung einer Straße in einem Bebauungsplan erfüllt diese Anforderungen nicht. Die Vorschrift knüpft an die Unanfechtbarkeit, d.h. die Bestandskraft der in einem förmlichen Verfahren getroffenen (Bau-)Anordnung an. Ganz abgesehen davon, dass Bebauungspläne lediglich eine „Angebotsplanung“ darstellen, die nur im Falle der Bebauung gelten, ohne eine Verpflichtung zur Bebauung zu begründen, so dass es bereits an dem Merkmal der „Anordnung“ fehlen dürfte, werden Bebauungspläne als Satzungen erlassen (vgl. § 10 Abs. 1 Baugesetzbuch - BauGB). Satzungen sind als Rechtsnorm der Bestandskraft nicht fähig. Gegenteiliges folgt insbesondere nicht aus § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, denn die dort normierte Antragsfrist betrifft ausschließlich das (abstrakte) Normenkontrollverfahren. Der Ablauf dieser Frist schließt daher eine inzidente (konkrete) verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle – etwa in einem Rechtsstreit über die Erteilung einer Baugenehmigung – nicht aus. Der Anwendungsbereich des § 7 Abs. 4 Satz 1 StrWG M-V ist daher auf Planfeststellungsbeschlüsse beschränkt, die als Verwaltungsakte ergehen und damit bestandskräftig werden können (VG Greifswald, Beschl. v. 23.02.2004 – 3 B 3825/03 –, n.v.).
(2) Das Fehlen von Leitungsrechten steht der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht im vorliegenden Fall jedoch nicht entgegen. Richtig ist zwar, dass nach herrschender Meinung die sachliche Beitragspflicht nur entstehen kann, wenn die Benutzung von Abwasserkanälen auf Privatgrundstücken durch Leitungsrechte gesichert ist. Denn mit dem Anschlussbeitrag wird ein Dauervorteil abgegolten. Die erfordert, dass die beitragsfähige Anlage vom Beitragspflichtigen auch dauerhaft genutzt werden kann (vgl. Aussprung in: ders./Siemers/Holz, KAG M-V, Stand 01/2017, § 9 Anm. 7.4.2). Diese Auffassung bezieht sich aber ausschließlich auf Fälle, in denen die Anschlussleitung zur öffentlichen Einrichtung auf Grundstücken verläuft, die im Eigentum Dritter stehen (sog. Hinterliegersituationen). Solange ein Dritter die Benutzung der öffentlichen Einrichtung durch den Hinterlieger verhindern kann – wie dies bei fehlenden Leitungsrechten regelmäßig der Fall ist –, entsteht auch die sachliche Beitragspflicht nicht. Um einen solchen Fall handelt es sich vorliegend nicht. Das Grundstück G4 ist kein Hinterliegergrundstück, das durch ein Anliegergrundstück vom öffentlichen Hauptsammler getrennt ist. Vielmehr verläuft der öffentliche Hauptsammler auf dem Grundstück. Da Grundstücksanschlüsse vorhanden sind, kann die Klägerin dieses Grundstück und die weiteren in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke an die Abwasserbeseitigungsanlage anschließen und diese nutzen, ohne von Dritten daran gehindert werden zu können.
Hiergegen kann nicht eingewandt werden, dass es der Klägerin möglicherweise (s.o.) freisteht, vom Beklagten die Beseitigung der auf ihrem Grundstück verlaufenden Leitungsteile zu verlangen. Denn auch insoweit gilt, dass die einmal entstandene sachliche Beitragspflicht durch nachträgliche Veränderungen nicht beseitigt werden kann.

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ee) Die Vereinbarungen in Nr. 3 des Grundstückskaufvertrages schließen die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht (für den Niederschlagswasserbeitrag) ebenfalls nicht aus. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht – wie aufgezeigt – allein nach den genannten gesetzlichen und satzungsrechtlichen Bestimmungen richtet und damit einer vertraglichen Vereinbarung nicht zugänglich ist. Zum anderen ist die Stadt B-Stadt nach den vom Beklagten übersandten Unterlagen bereits seit der Verbandsgründung im Jahre 1991 Gründungsmitglied des Abwasserzweckverbandes Marlow-B-Stadt. Damit ist die ihr nach § 40 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz Landeswassergesetz (LWaG) grundsätzlich obliegende Abwasserbeseitigungspflicht auf den Zweckverband übergegangen (§ 40 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz, Abs. 4 LWaG). Folglich fehlt der Stadt B-Stadt die Zuständigkeit für die Abwasserbeseitigung. Als Folge davon konnte sie im Jahre 2010 ohne Zustimmung des Zweckverbandes keine Vereinbarungen mit Dritten – hier: der Klägerin – über die Art und Weise der Beseitigung des auf den Grundstücken anfallenden Niederschlagswassers treffen. Es liegt ein Fall der rechtlichen Unmöglichkeit vor. Jedenfalls binden solche Vereinbarungen den Zweckverband nicht.

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b) Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Beitragsansprüche auch nicht infolge Festsetzungsverjährung erloschen, § 47 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V beträgt die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und damit auch für Anschlussbeiträge vier Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist. Die Entstehung der Beitragspflicht richtet sich nach § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V. Danach entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Damit konnte die Beitragspflicht trotz des bereits in den 1990er Jahren erfolgten Anschlusses der Grundstücke erst mit dem Inkrafttreten der Abwasserbeitragssatzung vom 23. Juni 2017 entstehen. Nach gegenwärtiger Erkenntnis ist diese Satzung die erste wirksame Satzung i.S.d. § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V. Die zuvor Geltung beanspruchenden Satzungen sind allesamt unwirksam, weil die darin normierten Tiefenbegrenzungen nicht auf einer ordnungsgemäßen Ermittlung der ortsüblichen Bebauungstiefe im Verbandsgebiet beruhen und die Flächenseiten der Beitragskalkulationen fehlerhaft war (VG Greifswald, Urt. v. 26.07.2018 – 3 A 520/17 –, S. 5 des Entscheidungsumdrucks, n.v.).

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c) Mit Blick auf die Definition einer von der Entstehung der Beitragspflicht unabhängigen Festsetzungshöchstfrist in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V hat sich die Möglichkeit der Beitragserhebung weder „verflüchtigt“, noch verstößt sie gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 68 ff.; rechtskräftig durch BVerwG, Beschl. v. 18.05.2017 – 9 B 71.16 –, juris). Die in der Vorschrift normierte Frist ist vorliegend nicht überschritten.

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d) Die von der Klägerin mit der Stadt B-Stadt geschlossene Freistellungsvereinbarung (Nr. 1 des Grundstückskaufvertrages) steht der Heranziehung ebenfalls nicht entgegen. Ihre Bindungswirkung beschränkt sich auf das Vertragsverhältnis und kann das öffentlich-rechtliche Abgabenschuldverhältnis daher nicht berühren. Deshalb konnte von der von der Klägerin angeregten (fakultativen) Beiladung der Stadt B-Stadt abgesehen werden.

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e) Anhaltspunkte dafür, dass der Abwasserzweckverband Marlow-B-Stadt sein Recht zur Beitragserhebung verwirkt haben könnte, bestehen schließlich ebenfalls nicht. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass zwischen dem tatsächlichen Anschluss des Grundstücks an die Schmutzwasseranlage ihrer seiner Heranziehung im Jahre 2019 ein verhältnismäßig langer Zeitraum liegt. Dies allein reicht für die Annahme einer Verwirkung jedoch nicht aus. Denn neben dem Zeitablauf muss hinkommen, dass die Klägerin in Folge eines bestimmten Verhaltens des Beklagten darauf vertrauen durfte nicht (mehr) zu einem Anschlussbeitrag herangezogen zu werden (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 02.05.2005 – 1 L 105/05 –, juris Rn 81). Hierzu fehlt ein Vortrag der Klägerin. Die mit der Stadt B-Stadt getroffenen Vereinbarungen können dem Beklagten aus den bereits benannten Gründen nicht zugerechnet werden.

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f) Teilweise erfolgreich ist die Klage dagegen, was die Höhe der Festsetzungen angeht: Die Erhebung des Schmutzwasserbeitrags für das Grundstück G1 (Bescheid Nr. XX) ist fehlerhaft, soweit die Festsetzung den Betrag von 5.382,00 EUR übersteigt. Die übrigen Festsetzungen sind dagegen nicht zu beanstanden.

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Die Flächenermittlung bestimmt sich vorliegend nach § 4 Abs. 2 Buchst. a) ABS, da die klägerischen Grundstücke im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 11 liegen, der für die Flächen eine bauliche und gewerbliche Nutzung (Sondergebiet Kurgebiet) vorsieht. Da die Klägerin keine Anhaltspunkte für die Nichtigkeit des Bebauungsplanes vorträgt und diese sich auch nicht aufdrängen, ist die Annahme, dass es sich bei den Grundstücken der Klägerin um Außenbereichsgrundstücke i.S.d. § 35 Baugesetzbuch (BauGB) handelt, aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag, die bodenrechtliche Einstufung der Grundstücke durch richterliche Augenscheinnahme zu klären, war daher abzulehnen. Für die Anwendung der für bebaute Außenbereichsgrundstücke geltenden Regelung des § 4 Abs. 2 Buchst. g) ABS ist damit kein Raum.

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Nach § 4 Abs. 2 Buchst. a) ABS gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken, die gesamte im Plangebiet liegende Fläche, für die eine bauliche oder gewerbliche Nutzung festgesetzt ist. Die Flächenermittlung ist grundsätzlich nicht auf die nach den Festsetzungen des Bebauungsplans unmittelbar baulich nutzbaren Teilflächen des Grundstücks beschränkt. Aus § 4 Abs. 2 Buchst. a) ABS folgt, dass der Umfang der baulichen oder abgabenrechtlich vergleichbaren Nutzbarkeit des Grundstücks und damit die Bemessung der beitragsfähigen Grundstücksfläche für Flächen innerhalb eines Bebauungsplanes durch den Bebauungsplan bestimmt werden. Es wird daher grundsätzlich die gesamte vom Bebauungsplan erfasste Grundstücksfläche als bevorteilt und damit als berücksichtigungsfähig angesehen (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 14.09.2010 – 4 K 12/07 –, juris, Rn. 53; OVG Magdeburg, Beschl. v. 09.08.2006 – 4 L 255/06 –, juris, Rn. 5). Baulinien, Baugrenzen, Abstandsflächen und Vorschriften über Anbauverbote, die lediglich auf den Standort der erlaubten bauliche Anlage Einfluss nehmen und nach ihrer Zielsetzung nicht das Maß der baulichen Nutzung festlegen, haben keine Auswirkungen (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.01.1985 – 8 C 106.83 –, DVBl. 1985, 621, 622; OVG Greifswald, a.a.O.; OVG Schleswig, Beschl. v. 02.09.1998 – 2 M 19/98 –, juris Rn. 9; OVG Magdeburg, a.a.O.). Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass das Baurecht fast nie die volle Überbauung eines Grundstücks zulässt, sondern die Zulässigkeit einer Bebauung im Regelfall die Freihaltung erheblicher Grundstücksteile voraussetzt, mithin für die Ausführbarkeit eines Bauvorhabens durchweg mehr an Fläche zur Verfügung stehen muss, als für die bauliche Anlage als solche benötigt wird, das Anschlussbeitragsrecht gleichwohl aber an das Grundstück in seiner Gesamtheit anknüpft (vgl. für das Erschließungsbeitragsrecht: BVerwG, Beschl. v. 29.11.1994 – 8 B 171.94 –, NVwZ 1995, 1215). Dieser Gedanke kommt auch in den in der Baunutzungsverordnung (BauNVO) normierten Grundflächenzahlen (GRZ) zum Ausdruck, vgl. § 17 Abs. 1 BauNVO. Selbst die nicht bebaubaren Flächen sind demnach bebauungsrechtlich Grundlage des Maßes der baulichen Nutzbarkeit eines Grundstückes.

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Für die Annahme eines beitragsrechtlich relevanten Vorteils reicht es demnach bereits aus, dass die nicht überbaubare Grundstücksfläche einheitlich mit der baulich nutzbaren Fläche genutzt werden kann (so genannte bauakzessorische Nutzung, vgl. VG Greifswald, Urt. v. 03.08.2005 – 3 A 3667/04 –, S. 7 des Entscheidungsumdrucks). Dies gilt auch dann, wenn die Nutzbarkeit der Teilfläche eines Grundstücks durch Festsetzungen i.S.d. § 9 BauGB (Lärmschutzwall: OVG Lüneburg, Beschl. v. 22.10.1999 – 9 M 3461/99 –, NVwZ-RR 2000, 318 f.) oder gesetzliche Bauverbote (Bauverbot nach § 89 Abs. 1 Nr. 1 LWaG: VG Greifswald, Urt. v. 28.02.2006 – 3 A 1213/05 –, S. 7 f. des Entscheidungsumdrucks) beschränkt ist, weil eine Einbeziehung der betreffenden Teilflächen in die bauliche Nutzung der Restfläche möglich ist. Eine abwasserrelevante Nutzung gerade auf der betreffenden Teilfläche ist dagegen nicht erforderlich (unklar allerdings: OVG Magdeburg, Beschl. v. 09.08.2006 – 4 L 225/06 –, juris, Rn. 12).

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Eine andere Betrachtungsweise gebietet sich allerdings dann, wenn die vorhandenen Einschränkungen auf Grund der Festsetzungen im Bebauungsplan ein derartiges Ausmaß erreichen, dass sie einer Nicht-Bebaubarkeit des Grundstückes gleichkommen und so die Annahme einer beitragsrechtlich relevanten Inanspruchnahmemöglichkeit ausgeschlossen ist bzw. wenn den von der Bebauung freizuhaltenden Teilflächen durch eine Festsetzung im Bebauungsplan oder durch eine Widmung eine öffentlich-rechtliche Zweckbestimmung beigemessen wurde und diesen dadurch zugleich jede private und damit beitragsrechtlich relevante Nutzung entzogen worden ist. Nur in diesen Fällen wären die Teilfläche nicht bevorteilt und damit bei der Beitragsberechnung auch nicht zu berücksichtigen (vgl. nur OVG Greifswald, Urt. v. 14.09.2010, a.a.O.).

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aa) Nach diesen Kriterien weist die Flächenermittlung für die Grundstücke G4, G1 und G3 keine Fehler auf. Die GrundstückeG1 und G3 liegen vollständig im Plangebiet und sind daher vollständig berücksichtigt worden. Die nur teilweise Berücksichtigung der Fläche des ebenfalls vollständig im Plangebiet gelegenen GrundstücksG4 beruht auf dem Umstand, dass der Bebauungsplan die auf dem Grundstück vorhandene Zufahrt nebst Rondell als öffentliche Verkehrsfläche ausweist. Solchen Flächen fehlt eine Bebaubarkeit oder beitragsrechtlich vergleichbaren Nutzbarkeit. Sie sind daher generell ungeeignet, eine Beitragspflicht auszulösen (für den Erschließungsbeitrag vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.1996 – 8 C 40.95 –, juris Rn. 10; für den Straßenbaubeitrag vgl. VG Greifswald, Beschl. v. 20.02.2008 – 3 B 53/08 –, n.v.). Dies ist vom Beklagten im Widerspruchsverfahren beachtet worden. Die nicht von der genannten Festsetzung betroffene Restfläche des Grundstücks ist nach der genannten Vorschrift dagegen in den Vorteilsausgleich einzubeziehen, denn sie liegt mit einer Teilfläche im Baufeld des Bebauungsplans und ist zudem teilweise mit dem auf dem Grundstück G1 vorhandenen Gebäudes überbaut. Zu Recht ist der Beklagte bei der Flächenermittlung für den auf das Grundstück G2 entfallenden Niederschlagswasserbeitrag von der Gesamtfläche ausgegangen, denn der Bebauungsplan erlaubt mit der Festsetzung der Gemeinschaftsstellplätze eine niederschlagswasserrelevante gewerbliche Nutzung.

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bb) Anders ist die Rechtslage aber in Bezug auf den auf das Grundstück G2 entfallenden Schmutzwasserbeitrag. Dieser ist deutlich überhöht und damit fehlerhaft. Richtig ist zwar, dass nach den oben dargestellten Kriterien das Grundstück vollständig in den Vorteilsausgleich einbezogen werden muss. Es liegt vollständig im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der für eine Teilfläche die bauliche Nutzbarkeit vorsieht. Damit ist – es gilt der bürgerlich-rechtliche Grundstücksbegriff – vorbehaltlich der genannten Ausnahmen das ganze Grundstück in den Vorteilsausgleich einzubeziehen. Dieser Mechanismus gilt jedoch dann nicht, wenn seine Anwendung im Einzelfall zu einer unbilligen Härte i.S.d. § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 163 Satz 1 Abgabenordnung (AO) führt.

37

Diese Bestimmungen sind vorliegend anwendbar. Zwar das OVG Greifswald in dem sog. Volkswerfturteil vom 10. Oktober 2007 (– 1 L 256/06 –, juris) der vom Verwaltungsgericht in jenem Verfahren angestrebten Billigkeitskorrektur eine Absage erteilt. Dies erfolgte jedoch nicht aus prinzipiellen Erwägungen, sondern um den öffentlichen Aufgabenträger zu schützen. Denn eine Billigkeitskorrektur hätte ein Beitragsvolumen in Millionenhöhe betroffen, mit dem der öffentliche Aufgabenträger ausgefallen wäre (a.a.O., Rn. 57). Von diesem Bereich ist der vom Beklagten hinzunehmende Beitragsausfall weit entfernt.

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Nach § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 163 Satz 1 AO können Abgaben niedriger festgesetzt werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung über die abweichende Festsetzung kann nach § 163 Satz 3 AO mit der Abgabenfestsetzung verbunden werden. Vorliegend kommt eine sachliche Unbilligkeit in Betracht. Sie liegt vor, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – hätte er sie geregelt – im Sinne der Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte; wenn also – mit anderen Worten – der gegebene Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Abgabenerhebung aber dennoch den Wertungen des Gesetzes zuwider läuft (VG Aachen, Urt. v. 25.10.2007 – 4 K 2613/05 –, juris Rn. 42 m.w.N.). Härten, die der Gesetzgeber bei der Regelung des gesetzlichen Tatbestandes dagegen bedacht und in Kauf genommen hat, können demgegenüber grundsätzlich keine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigen (BVerfG, Beschl. v. 05.04.1978 – 1 BvR 117/73 –, NJW 1978, 2089 f. m.w.N.). Diese Einschränkung trifft auf Maßstabsregelungen zur Vorteilsverteilung in besonderer Weise zu, weil der Ortsgesetzgeber in diesem Bereich auf eine Typisierung angewiesen ist und deshalb gewisse Härten in Kauf nehmen muss (Aussprung in: ders./Siemers/Holz, KAG M-V, Stand 07/2008, § 12 Anm. Rn. 43.1). Aus diesen Erwägungen folgt, dass eine Billigkeitskorrektur wegen sachlicher Unbilligkeit nur in sehr seltenen Ausnahmefällen denkbar ist und anhand des mutmaßlichen Willens des Ortsgesetzgebers zu erfolgen hat. Keinesfalls darf die abgabenerhebende Stelle (oder das Verwaltungsgericht) die Billigkeitsentscheidung nach eigenen Vorstellungen oder Wertungen treffen.

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(1) Vorliegend ist auch unter Berücksichtigung einer notwendigen Typisierung eine Billigkeitskorrektur geboten, da der durch die Anschlussmöglichkeit an die zentrale Schmutzwasseranlage aufgrund der Umstände des Einzelfalls deutlich niedriger ist, als nach der der Maßstabsregel zugrunde liegenden Bewertung (vgl. VG Aachen a.a.O.). Auch wenn die Zulässigkeit einer Bebauung – wie dargelegt – im Regelfall die Freihaltung erheblicher Grundstücksteile voraussetzt, führt die Anwendung der an sich einschlägigen Regelung des § 4 Abs. 2 Buchst. a ABS zu einer nicht mehr vorteilsgerechten Belastung. Das Grundstück hat eine Fläche von 7.393 m². Bebaubar ist davon – wegen seines atypischen Zuschnitts („Finger“) – lediglich eine Fläche von 156 m², das sind etwa 2 v.H. der Grundstücksfläche. Dabei kann offen bleiben, wo genau die Grenze zur Vorteilswidrigkeit verläuft. Denn auch wenn man konzediert, dass die im Bebauungsplan festgesetzte Nutzung als Kureinrichtung das Vorhandensein verhältnismäßig großer Grünflächen erfordert, kann im vorliegenden Fall der Bezug auf die Grundstücksgesamtfläche den von der Möglichkeit des Anschlusses an die Schmutzwasserbeseitigung gebotenen Vorteil im Fall des Grundstücks G2 nicht mehr angemessen abbilden. Dies folgt aus den Wertungen der Baunutzungsverordnung. Zwar haben deren Bestimmungen eine ausschließlich bodenrechtliche Zweckrichtung und bilden daher keinen Prüfungsmaßstab für die Zulässigkeit des Vollgeschossmaßstabes. Insbesondere kann aus dem Umstand, dass die tatsächliche oder zulässige Grundflächenzahl eines Grundstücks hinter den Maßgaben des § 17 Abs. 1 BauNVO zurückbleibt, nicht auf eine Vorteilswidrigkeit des Vollgeschossmaßstabes geschlossen werden. Denn bei der ausgewiesenen Grundflächenzahl handelt es sich lediglich um Obergrenzen. Allerdings geben die in § 17 Abs. 1 BauNVO normierten Grundflächenzahlen ein Leitbild wieder, das als grober Anhalt zur Bestimmung von atypischen „Ausreißern“ herangezogen werden kann. Je weiter die im Einzelfall zulässige Grundflächenzahl von der des Leitbildes entfernt ist, desto eher liegt ein Ausreißer vor. Hieran gemessen ist vorliegend von einem solchen Ausreißer auszugehen: Eine Bebaubarkeit von 2 v.H. der Grundstücksfläche entspricht einer Grundflächenzahl von 0,02 (vgl. § 19 Abs. 1 und Abs. 2 BauNVO). Die Grundflächenzahl 0,02 liegt weit unter der von der Baunutzungsverordnung für „sonstige Sondergebiete“ i.S.d. § 11 BauNVO vorgesehenen Grundflächenzahl von 0,8 (vgl. § 17 Abs. 1 BauNVO), die eine bauliche Nutzbarkeit von 80 v.H. ermöglicht. Dieser erhebliche Unterschied zwingt zu der Annahme einer sachlichen Unbilligkeit. Zugleich erlaubt er die Annahme, dass das nach § 163 Satz 1 AO bestehende Korrekturermessen im vorliegenden Fall „auf Null“ reduziert ist, denn bei dieser erheblichen Diskrepanz ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigt, die erkannte Unbilligkeit nicht zu korrigieren.

40

Es bestehen weiter keine Anhaltspunkte dafür, dass der Abwasserzweckverband diese Härte bewusst in Kauf genommen hat, denn in diesem Fall besteht das Risiko einer Nichtigkeit der Maßstabsregel und damit der Abwasserbeitragssatzung insgesamt (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 10.10.2007 – 1 L 256/06 – juris, „Volkswerft“). Die Annahme, dass er dieses Risiko tragen will, ist fernliegend.

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Andere schmutzwasserrelevante Nutzungen lässt der Bebauungsplan, der für das Grundstück die Festsetzungen „private Grünfläche“ und „Fläche für Gemeinschaftsstellplätze“ enthält, nicht zu. Dass die erstgenannte Festsetzung keine bauliche oder gewerbliche Nutzung erlaubt, liegt auf der Hand und bedarf keine weiteren Darlegung. Bei der „Fläche für Gemeinschaftsstellplätze“ handelt es sich zwar um einen Bereich, in dem zumindest eine gewerbliche Nutzung zulässig ist, denn die Stellplätze sind im Zusammenhang mit der Nutzung der Kuranlagen zu sehen. Allerdings kann bei dieser Nutzung nur Niederschlagswasser, keinesfalls aber Schmutzwasser anfallen.

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Auch in dem nach den vom Beklagten übersandten Unterlagen in der Nähe der westlichen Grundstücksgrenze vorhandenen Gebäude kann keine schmutzwasserrelevante Nutzung aufgenommen werden. Die Gebäudefläche ist im Bebauungsplan als Grünfläche ausgewiesen. Zudem weist er für das Gebäude die Festsetzung „zu beseitigende bauliche Anlage“ auf. Diese Festsetzung hat zwar keinen Normcharakter und kann damit keine Verbindlichkeit entfalten. Dennoch ist die Annahme der Zulässigkeit einer schmutzwasserrelevanten Nutzung des aktuell leer stehenden Gebäudes ausgeschlossen, denn das nicht denkmalgeschützte Gebäude genießt keinen Bestandsschutz (mehr). Zwar verliert ein Altbestand, der vernichtet, oder eine Nutzung, die aufgegebenen worden ist, nicht automatisch die prägende Kraft. Die Prägung dauert fort, solange mit einer Wiederbebauung oder einer Wiederaufnahme der Nutzung zu rechnen ist. Nach dem vom zu § 35 Abs. 4 Nr. 3 BauGB entwickelten Zeitmodell (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.05.1995 – 4 C 20/94 – juris Rn. 15) ist unter anderem zu berücksichtigen, ob es um die Wiederbebauung nach Abriss eines Gebäudes oder um die Wiederaufnahme einer Nutzung in einem vorhandenen und legal errichteten Gebäudebestand geht, ob sich das Vorhaben im Innen- oder im Außenbereich befindet, ob eine gewerbliche oder nicht gewerbliche Nutzung und ob eine kleine oder große Anlage in Rede steht. Zu berücksichtigen ist auch das Interesse des Eigentümers an der Nutzbarkeit einer vorhandenen und verwertbaren Gebäudesubstanz, die legal errichtet und genutzt worden ist (OVG Münster, Urt. v. 21.11.2005 – 10 A 1166/04 – juris; OVG Münster, Urt. v. 29.04.2011 – 7 A 45/09 – juris). Ist allerdings die Nutzung seit mehr als einem Jahrzehnt endgültig aufgegeben worden, kann die auf dem Buchgrundstück noch vorhandene, funktionslos gewordene Bebauung auf ihre Umgebung keine prägende Kraft mehr ausüben. Sie ist nicht geeignet, die künftige Bebauung und Nutzung zu lenken (für ein leerstehendes Kasernengrundstück: VGH Mannheim, Urt. v. 10.07.2006 – 3 S 2309/05 – juris Rn. 24). Damit verbietet sich die Annahme eines irgendwie gearteten Bestandsschutzes, weil die Nutzung des Sanatoriums seit über 25 Jahren aufgegeben worden ist.

43

(2) Die Billigkeitskorrektur hat vorliegend anhand der in § 4 Abs. 2 Buchst. f Satz 1 ABS enthaltenen Wertung zu erfolgen. Wie bereits ausgeführt, kommt es für die Korrektur darauf an, wie der Ortsgesetzgeber das Problem gelöst hätte, wenn es ihm bekannt gewesen wäre. Ein Indiz hierfür bilden Regelungen im Satzungsrecht des Abwasserzweckverbandes, die dieser für vergleichbare Problemstellungen normiert hat. Nach der genannten Vorschrift gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken, für die im Bebauungsplan eine sonstige Nutzung (z.B. als Friedhof, Sportplatz, Grünfläche, Zoo) festgesetzt ist oder die innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils (§ 34 BauGB) tatsächlich so genutzt werden, die Grundfläche der an die zentrale öffentliche Schmutz- bzw. Niederschlagswasserbeseitigungseinrichtung angeschlossenen oder anschließbaren Baulichkeiten, geteilt durch die Grundflächenzahl 0,2, höchstens jedoch die tatsächliche Grundstücksgröße. Die Division der Gebäudegrundfläche durch die Zahl 0,2 ist gleichzusetzen mit der Multiplikation mit dem Faktor 5. Dies führte zu einer maßvollen Erhöhung der anzusetzenden Fläche.

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Ein Rückgriff auf diese Regelung bietet sich deshalb an, weil sie zeigt, wie der Ortsgesetzgeber das Problem des Verhältnisses von Fläche der baulichen Nutzung und Grundstücksgröße in einem sehr ähnlichen Zusammenhang vorteilsgerecht gelöst hat. Ein solcher Flächenabschlag ist im Bereich der Schmutzwasserbeseitigung nur deshalb zulässig, weil die in der Vorschrift genannten Nutzungen in der Regel auf großflächigen Grundstücken mit einer nur untergeordneten Bebauung erfolgen (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 05.04.2018 – 3 A 619/15 HGW –, juris Rn. 29; Beschl. v. 25.06.2001 – 3 B 2393/00 –, juris Rn. 4 m.w.N.), so dass eine „strenge“ Anwendung des Vollgeschossmaßstabes in diesen Fällen zu vorteilswidrigen Ergebnissen führen würde. Die sonach notwendige Korrektur kann unter Geltung des Vollgeschossmaßstabes nur durch eine Reduzierung der Bemessungsfläche vorgenommen werden.

45

Wenn sonach bei Grundstücken mit einer typischerweise untergeordneten Bebauung die vom Ortsgesetzgeber normierte Flächenbegrenzung zulässig ist, so spricht Überwiegendes dafür, dass diese Flächenbegrenzung vom ihm auch gewählt worden wäre, wenn ihm die durch den atypischen Zuschnitt des Grundstücks G2 verursachte untergeordnete Bebauung bekannt gewesen wäre. Damit ist die Billigkeitskorrektur nach dieser Vorschrift vorzunehmen. Für das Grundstück G2 errechnet sich mithin ein Schmutzwasserbeitrag i.H.v. 5.382,00 EUR (156 m²: 0,2 x 1,5 x 4,60 EUR).

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(3) Dies führt zur teilweisen Aufhebung des das Grundstück G2 betreffenden Schmutzwasserbeitragsbescheides Nr. 756. Zwar handelt es sich bei der Billigkeitsentscheidung um einen eigenständigen Verwaltungsakt (Aussprung in: ders./Siemers/Holz, KAG M-V, Stand 08/2011, § 12 Anm. 43). Dies zwingt aber nicht zu einer Abweisung der Klage unter gleichzeitiger Verpflichtung des Beklagten, eine Billigkeitskorrektur vorzunehmen. Denn im Rahmen einer Anfechtungsklage kommt ein Erlass dann in Betracht, wenn der Beklagte bereits bei der Festsetzung offensichtlich erkennbare Härtegründe, d.h. solche Gründe hätte berücksichtigen müssen, die ein derartiges Gewicht haben, dass sie ein gesetzlich vorgesehenes Entscheidungsermessen auf Null reduziert haben und allein die Gewährung eines – auch teilweisen – Erlasses der Rechtslage entspricht (OVG Greifswald, Beschl. v. 20.05.2003 – 1 L 137/02 –, juris Rn. 39 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die zur Billigkeitskorrektur führenden Gründe waren dem Beklagten von Anfang an bekannt, so dass es keines Antrag oder Darlegungen der Klägerin bedurft hätte. Dass das Korrekturermessen „auf Null“ reduziert ist, wurde bereits dargelegt. Der Bescheid ist daher aufzuheben, soweit die Festsetzung den Betrag von 5.382,00 EUR übersteigt.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO; die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 709 Zivilprozessordnung (ZPO). Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.

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