Urteil vom Verwaltungsgericht Halle (5. Kammer) - 5 A 38/15
Tatbestand
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Der Kläger begehrt für den Zeitraum 1. Januar 2008 bis 30. Juni 2009 eine altersdiskriminierungsfreie Besoldung nach dem Endgrundgehalt seiner Besoldungsgruppe.
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Der am … 1975 geborene, verheiratete Kläger ist drei minderjährigen Kindern unterhaltsverpflichtet und bei der Bundespolizei als Beamter tätig. Nach bestandener Laufbahnprüfung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst im Bundesgrenzschutz wurde er mit Wirkung vom 31. Juli 1999 zum Polizeikommissar im Bundesgrenzschutz zur Anstellung und am 1. Februar 2001 zum Polizeikommissar im Bundesgrenzschutz ernannt. Mit Wirkung vom 16. September 2002 wurde dem Kläger die Eigenschaft eines Beamten auf Lebenszeit verliehen. Mit Wirkung vom 27. Mai 2003 wurde er zum Polizeioberkommissar im Bundesgrenzschutz und am 26. August 2006 zum Polizeihauptkommissar befördert.
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Mit Schreiben vom 13. Februar 2012 beantragte der Kläger rückwirkend seit dem 1. Januar 2008 bis zum 30. Juni 2009 die Bemessung seines Grundgehalts nach der höchsten Stufe der jeweiligen Grundgehaltstabelle (Stufe 12) und Auszahlung der Differenz für den streitigen Zeitraum. Die Bemessung des Grundgehaltes auf der Grundlage der bis zur Umstellung des Besoldungssystems bestehenden Tabelle (Grundgehaltssätze) sei unter Berücksichtigung europäischen Rechts und der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union sowie des Verwaltungsgerichts Halle altersdiskriminierend.
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Das Bundesverwaltungsamt wies den klägerischen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2012 zurück. Ein Anspruch auf Neuberechnung der Besoldung und darauf gestützte Nachzahlung von Besoldungsleistungen bestehe nicht. Das Bundesbesoldungsgesetz in seiner bis zum 30. Juni 2009 geltenden Fassung verstoße nicht gegen das Altersdiskriminierungsverbot der Richtlinie 2000/78/EG. Die den BAT betreffende Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union sei auf die sich am Besoldungsdienstalter orientierenden §§ 27, 28 BBesG a.F. nicht übertragbar. Die sich am Dienstalter der Beschäftigten orientierende Berufserfahrung könne als legitimes Ziel der Entgeltpolitik berücksichtigt werden. Der Aufstieg in den Stufen sei nicht anhand des Lebensalters, sondern nach Dienstjahren und Leistung erfolgt; er habe sich grundsätzlich bei einer Beurlaubung ohne Besoldung verzögert. Die erstmalige Stufenfestsetzung habe sich nicht stets nach dem Lebensalter gerichtet. Zudem sei der Anspruch nicht zeitnah geltend gemacht worden. Der behauptete rechtswidrige Zustand sei spätestens seit 1. Juli 2009 beseitigt. Es entspreche nicht dem Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme, trotz erheblichen Zeitablaufs Ansprüche aus einer früheren Rechtslage abzuleiten. Die nach dem 31. Dezember 2011 geltend gemachten Ansprüche für 2008 seien verjährt.
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Mit seiner am 7. Juni 2012 erhobenen Klage trägt der Kläger vor, sein Grundgehalt sei im streitbefangenen Zeitraum unzulässigerweise altersdiskriminierend bemessen worden. Das Lebensalter bilde für das Besoldungsdienstalter nicht nur einen pauschalierenden Berechnungsfaktor neben anderen Bestimmungsfaktoren. Der Kläger sei allein nach Lebensalter und unter Berücksichtigung des Zeitablaufs eingestuft worden. Verjährung sei nicht eingetreten, eine Verwirkung nicht gegeben. Der Kläger habe zwischenzeitlich Dienstzeiten in Saudi Arabien absolviert, so dass ihn – sollte eine Frist versäumt worden sein – kein Verschulden treffe. Seinen Ansprüchen stehe das Erfordernis der zeitnahen Geltendmachung von Nachzahlungsansprüchen nicht entgegen. Eine restriktive Anwendung der Zweimonatsfrist sei nicht sachgerecht, da das Gesetz auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung von der Benachteiligung durch den Betroffenen abstelle und den Betroffenen die Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 8. September 2011 nicht unmittelbar bekannt geworden sei.
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Der Kläger beantragt,
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den Widerspruchsbescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 2. Mai 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 30. Juni 2009 die höchste Stufe des Grundgehaltes seiner Besoldungsgruppe zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie macht geltend, §§ 27, 28 BBesG in der bis zum 30. Juni 2009 geltenden Fassung verstießen nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung. Eine Ungleichbehandlung wegen des Alters im Sinne von Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG oder § 3 Abs. 1 oder 2 AGG liege nicht vor. Die Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 8. September 2011 (C-297/10 u.a. – Hennigs und Mai) und des Bundesarbeitsgerichts vom 10. November 2011 (6 AZR 148/09) seien auf §§ 27, 28 BBesG a.F. nicht übertragbar. Die Besoldung nach dem Besoldungsdienstalter berücksichtige, dass mit zurückgelegter Dienstzeit Erfahrung und Leistung des Beamten wüchsen. Auch knüpften Instrumente wie die Leistungsstufe (§ 27 Abs. 3 Satz 1 und 2 BBesG a.F.) und Stufenhemmung (§ 27 Abs. 3 Satz 3 und 4 BBesG a.F.) ausschließlich an die Leistung der Beamten an. Nach der Ersteinstufung spiele das Lebensalter für den Aufstieg keine Rolle mehr, sondern Leistung und Stufenlaufzeiten. Im streitbefangenen Zeitraum sei der Kläger in Ansehung seines Alters weder (erst-)eingestuft noch höhergestuft worden. Jedenfalls wäre eine Diskriminierung gerechtfertigt, da sie legitimen Zwecken (Honorierung der Berufserfahrung; Leistungsprinzip; Vereinfachung der Regelungen über das Besoldungsdienstalter) diene und erforderlich sowie angemessen sei. Der Anspruch sei auch nicht zeitnah geltend gemacht worden. Spätestens seit dem Ablauf der Umsetzungsfrist zum 2. Dezember 2006 sei auch der Kläger von einem rechtswidrigen Zustand ausgegangen. Die Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 22. August 2007 (86 Ca 1696/07) und 11. September 2008 (20 Sa 2244/07) seien in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert worden. Die Überleitung in das neue Besoldungssystem zum 1. Juli 2009 sei ebenfalls frühzeitig bekannt gewesen. Die Ausschlussfrist nach § 15 Abs. 4 AGG sei abgelaufen, da der Anspruch spätestens zwei Monate nach Einführung des Erfahrungsstufensystems am 1. Juli 2009 hätte geltend gemacht werden müssen. Er sei demnach seit 1. September 2009 verfristet oder nach dem Bundesverwaltungsgericht zumindest seit dem 8. November 2011. Im Übrigen bestehe kein Anspruch auf Besoldung aus der Endstufe einer Besoldungsgruppe.
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Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Gerichts gewesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
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Der Widerspruchsbescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 2. Mai 2012 ist teilweise rechtswidrig und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Entschädigung in Höhe von monatlich 100 Euro gemäß § 15 Abs. 2 AGG für den Zeitraum 1. Januar 2008 bis 30. Juni 2009. Im Übrigen steht ihm ein Anspruch auf altersdiskriminierungsfreie Besoldung nicht zu (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).
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Grundlage der Besoldung des Klägers sind im streitbefangenen Zeitraum bis zur Neufassung des Gesetzes durch Bekanntmachung vom 19. Juni 2009 (BGBl. I 1434) die §§ 27 und 28 des Bundesbesoldungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. August 2002 (§§ 27 und 28 BBesG a.F., BGBl I S. 3020).
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Nach §§ 27 und 28 BBesG a.F. bildet das in Abhängigkeit vom Lebensalter bestimmte Besoldungsdienstalter den Anknüpfungspunkt für die erstmalige Zuordnung zu einer Besoldungsstufe der Tabelle der Grundgehaltssätze. Anschließend steigt das Grundgehalt des Beamten nach der Dienstzeit im Beamtenverhältnis und seiner dort erbrachten Leistung an. Danach unterscheidet sich das Grundgehalt, das zwei gleichzeitig ernannte Beamte mit der gleichen oder einer vergleichbaren Berufserfahrung, aber unterschiedlichem Lebensalter erhalten, allein aufgrund ihres Lebensalters zum Zeitpunkt ihrer Ernennung (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014, Rs. C-501/12 u.a. – Specht, juris, Rdnr. 42 f.).
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Dieses Besoldungssystem führt zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 und 2 lit. a) der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG L 303 vom 2. Dezember 2000, S. 16 ff.) – im Folgenden: Richtlinie 2000/78/EG –. Die Besoldungsbedingungen der Beamten der Mitgliedstaaten fallen in den persönlichen Anwendungsbereich dieser Richtlinie (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014, Rs. C-501/12 u.a. – Specht, a.a.O., Rdnr. 37).
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Die erstmalige Zuordnung des Beamten in eine Besoldungsstufe seiner Besoldungsgruppe knüpft an das Lebensalter an und führt damit zu einer unmittelbar auf dem Kriterium des Lebensalters beruhenden Ungleichbehandlung. Diese ist nicht nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt. Zwar stellt es ein legitimes Ziel der Entgeltpolitik dar, das Aufsteigen der Besoldung an die im Dienst erworbene Berufserfahrung zu knüpfen. Allerdings geht das System der §§ 27, 28 BBesG a.F. über das hinaus, was zur Erreichung dieses legitimen Ziels erforderlich ist. Denn die Regelung führt dazu, dass auch ein älterer Beamter ohne jede Berufserfahrung bei seiner erstmaligen Berufung in ein Beamtenverhältnis allein aufgrund seines höheren Lebensalters höher eingestuft wird (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014, C-501/12 u.a. – Specht, a.a.O., Rdnr. 50 f.).
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Das Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes am 18. August 2006, das auch der Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG dient (vgl. BT-Drs. 16/1780 S. 1) und dessen Vorschriften nach § 24 Nr. 1 AGG unter Berücksichtigung ihrer besonderen Rechtsstellung entsprechend für Beamte gelten, änderte nichts an dieser unmittelbar diskriminierenden Wirkung der §§ 27, 28 BBesG a.F. Zwar verstießen diese Bestimmungen seit dem 18. August 2006 gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG. § 7 Abs. 2 AGG, wonach Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, unwirksam sind, erfasst aber lediglich Bestimmungen in Kollektiv- und Individualvereinbarungen sowie einseitige Maßnahmen des Arbeitgebers, nicht gesetzliche Regelungen. § 7 Abs. 2 AGG setzt Art. 16 lit. b) der Richtlinie 2000/78/EG um, wonach ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot die Nichtigkeit der entsprechenden Klausel in Individual- oder Kollektivverträgen zur Folge hat (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 16/1780 S. 34). Rechtsfolge eines Verstoßes einer gesetzlichen Regelung gegen das Benachteiligungsverbot ist die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie zur Entschädigung nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG.
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Zum Ausgleich dieser Ungleichbehandlung kann der Kläger nicht in eine höhere Dienstaltersstufe eingruppiert werden. Eine derartige „modifizierende“ Anwendung vorhandener Besoldungsgesetze kommt nicht in Betracht, weil das Bezugssystem der §§ 27, 28 BBesG a.F. insgesamt diskriminierend wirkt und daher nicht mehr herangezogen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2014, 2 C 6.13, juris, Rdnr. 18).
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Zwar verlangt das Gebot der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts, dass das nationale Gericht unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles ihm Mögliche tut, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel in Einklang steht (vgl. EuGH, Urteil vom 5. Oktober 2004, Rs. C-397/01 u.a. – BT., juris, Rdnr. 114).
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Eine entsprechend unionskonforme Auslegung der §§ 27 und 28 BBesG a.F. ist hier aber nicht möglich. Die diesem Besoldungssystem innewohnende Ungleichbehandlung gilt für jeden Beamten bei seiner erstmaligen Berufung in ein Beamtenverhältnis, sodass die hieraus resultierende unmittelbare Diskriminierung potenziell alle Beamten betrifft. Es existiert damit bereits kein gültiges Bezugssystem, an dem sich die diskriminierungsfreie Behandlung des Klägers orientieren könnte (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014, C-501/12 u.a. – Specht, a.a.O., Rdnr. 96). Eine höhere Einstufung des Klägers innerhalb des Systems der §§ 27, 28 BBesG a.F. würde die vom Gesetzgeber beabsichtigte Honorierung bereits erworbener Berufserfahrung entwerten. Der Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters ist in der Regel zur Erreichung des legitimen Ziels geeignet, die Berufserfahrung zu honorieren, die den Arbeitnehmer befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2006, Rs. C-17/05 – Cadman, juris, Rdnr. 34 ff.). Mit der Höherstufung eines Beamten innerhalb des Systems der §§ 27, 28 BBesG a.F. zum Ausgleich der Altersdiskriminierung würden aber diejenigen Beamten benachteiligt, die diese höhere Stufe unionsrechtlich zulässig aufgrund ihrer Berufserfahrung erlangt haben (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 28. November 2013, Rs. C-501/12 u.a., juris, Rdnr. 100 – Specht).
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Mangels gültigen Bezugssystems kann die vom Gerichtshof der Europäischen Union zur Wahrung des Gleichheitssatzes entwickelte Rechtsprechung, nach der bis zur Abhilfe der Ungleichbehandlung den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile gewährt werden müssen, wie denjenigen der privilegierten Gruppe (vgl. EuGH, Urteile vom 26. Januar 1999, Rs. C-18/95 – Terhoeve, juris, Rdnr. 57 m.w.N., und vom 22. Juni 2011, Rs. C-399/09 – Landtová, juris, Rdnr. 51), nicht angewandt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2014, 2 C 6.13, a.a.O., Rdnr. 18 ff.; OVG Saarland, Urteil vom 15. Juli 2015, 1 A 355/13, juris, Rdnr. 35 - 50).
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Der Kläger kann aber für den Zeitraum Januar 2008 bis Ende Juni 2009 eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 1.800,00 EUR beanspruchen. Dies folgt zwar weder aus der Richtlinie 2000/78/EG, noch aus dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch. Der Kläger hat aber einen Anspruch aus dem am 18. August 2006 in Kraft getretenen § 15 Abs. 2 AGG.
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Nach Art. 17 der Richtlinie 2000/78/EG legen die Mitgliedstaaten die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Anwendung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um deren Durchführung zu gewährleisten. Dabei müssen die Sanktionen, die auch Schadensersatzleistungen an die Opfer umfassen können, wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.
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Diese Vorgaben sind in § 15 Abs. 2 AGG umgesetzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013, BVerwG 2 C 12.11, juris, Rdnr. 57 f.). Im Übrigen folgt aus Art. 17 der Richtlinie 2000/78/EG unmittelbar kein Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Entschädigung oder eines Geldbetrages in Höhe des Unterschieds zwischen seiner tatsächlichen Besoldung und der Besoldung nach der höchsten Stufe seiner Besoldungsgruppe (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014, C-501/12 u.a. – Specht, a.a.O., Rdnr. 108).
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Auch aus dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch kann der Kläger für den Zeitraum bis zum 30. Juni 2009 keine Ansprüche herleiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2014, 2 C 6.13, a.a.O., Rdnr. 25 ff.; OVG Saarland, Urteil vom 15. Juli 2015, 1 A 355/13, a.a.O., Rdnr. 55 ff.). Der unionsrechtliche Haftungsanspruch setzt voraus, dass die unionsrechtliche Norm, gegen die verstoßen worden ist, die Verleihung von Rechten an die Geschädigten bezweckt, der Verstoß gegen diese Norm hinreichend qualifiziert ist und dass zwischen diesem Verstoß und dem den Geschädigten entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht (vgl. statt vieler: EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014, C-501/12 u.a. – Specht, a.a.O., Rdnr. 99). Die Voraussetzung des hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen das Unionsrecht ist erst mit der Verkündung des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union in Sachen Hennigs und Mai am 8. September 2011 (Rs. C-297/10 u.a.) erfüllt. Denn ein Verstoß gegen das Unionsrecht ist hinreichend qualifiziert, wenn die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig verkannt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 25. November 2010, Rs. C-429/09 – Fuß, juris, Rdnr. 51 f. m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26. Juli 2012, BVerwG 2 C 29.11, BVerwGE 143, 381 Rdnr. 18). Erst im Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union in Sachen Hennigs und Mai vom 8. September 2011 wurde den Mitgliedstaaten der Bedeutungsgehalt von Art. 2 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/ EG in Bezug auf ein mit §§ 27, 28 BBesG a.F. vergleichbares Besoldungssystem verdeutlicht (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2004, C-501/12 u.a. – Specht, a.a.O., Rdnr. 104). Noch im Jahr 2010 hatte das Bundesarbeitsgericht in der Sache Hennigs und Mai in einem Verfahren, das die vergleichbare Bemessung der Grundvergütungen in den einzelnen Vergütungsgruppen nach Lebensaltersstufen betrifft, den Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung von Bestimmungen der Richtlinie 2000/78/EG angerufen (vgl. BAG, Beschluss vom 20. Mai 2010, 6 AZR 148/09 (A), BAGE 134, 327). Im Jahr 2010 und auch noch danach haben deutsche Verwaltungsgerichte wiederholt entschieden, dass das Lebensalter im System der §§ 27, 28 BBesG a.F. lediglich einen pauschalierenden Berechnungsfaktor darstelle, sodass es bereits an einer Altersdiskriminierung fehle (so etwa: VG Berlin, Urteil vom 24. Juni 2010, 5 K 17/09, juris, Rdnr. 16, und VG Lüneburg, Urteil vom 15. Februar 2012, 1 A 106/10, juris, Rdnr. 19).
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Für das Bestehen des klägerischen Anspruchs auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG ist es ohne Bedeutung, dass sich der Kläger im behördlichen und im gerichtlichen Verfahren nicht ausdrücklich auf § 15 AGG als Anspruchsgrundlage berufen hat. Das Gericht ist nicht an die vom Kläger bezeichneten Rechtsnormen gebunden, sondern hat den geltend gemachten Anspruch im Rahmen des Streitgegenstandes aus jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2014, 2 C 6.13, a.a.O., Rdnr. 32).
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Die Sanktionsregelung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes setzt die Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG umfassend in nationales Recht um (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013, BVerwG 2 C 12.11, juris, Rdnr. 57 ff.). Art. 17 der Richtlinie 2000/78/EG schreibt den Mitgliedstaaten selbst keine bestimmten Sanktionen vor. Die zur Umsetzung geschaffene nationale Sanktionsregelung muss aber einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus der Richtlinie hergeleiteten Rechte gewährleisten. Die Härte der Sanktionen muss der Schwere der mit ihnen geahndeten Verstöße entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleistet. Zugleich muss sie den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren; eine rein symbolische Sanktion genügt für eine ordnungsgemäße und wirksame Umsetzung nicht (EuGH, Urteil vom 25. April 2013, Rs. C-81/12 – Asociatia Accept, juris, Rdnr. 63 f. m.w.N.).
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Grundlage des abgestuften Sanktionensystems des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist die Regelung des § 15 Abs. 2 AGG. Der erforderliche immaterielle Schaden liegt regelmäßig bei einer ungerechtfertigten Benachteiligung aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe vor. Der Vorgabe des Art. 17 Satz 2 der Richtlinie 2000/78/EG, eine abschreckende Wirkung der Sanktion zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber durch das Merkmal der Angemessenheit der Entschädigung Rechnung getragen. Der Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist verschuldensunabhängig. Damit ist das unionsrechtliche Erfordernis erfüllt, dass die Haftung des Urhebers einer Diskriminierung keineswegs vom Nachweis eines Verschuldens oder vom Fehlen eines Rechtfertigungsgrundes abhängig gemacht werden darf (vgl. EuGH, Urteil vom 22. April 1997, Rs. C-180/95 – Draehmpaehl, juris, Rdnr. 17 und 22, unter Hinweis auf das Urteil vom 8. November 1990, Rs. C-177/88 – Dekker, juris, Rdnr. 22, zur Richtlinie 76/207/EWG). Demgegenüber setzt die Verpflichtung zum Ersatz des - regelmäßig wesentlich höheren - materiellen Schadens, entsprechend dem Vorbild des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB, das Verschulden des Pflichtigen voraus. Auch diese Abstufung entspricht dem Gebot der Verhältnismäßigkeit (Art. 17 Satz 2 der Richtlinie 2000/78/EG). Denn es wiegt schwerer und bedarf stärkerer Sanktionen, hat ein Arbeitgeber den Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot zu vertreten oder sogar absichtlich begangen.
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Der Heranziehung des § 15 AGG als Grundlage für einen Zahlungsanspruch des Klägers wegen der Diskriminierung aufgrund seines Lebensalters steht nicht entgegen, dass diese Benachteiligung durch den korrekten Vollzug einer gesetzlichen Regelung (§§ 27 und 28 BBesG a.F.) eingetreten ist. Denn §§ 7 und 15 AGG, die Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 sowie Art. 17 der Richtlinie 2000/78/EG in nationales Recht umsetzen, stellen nicht auf die Form der diskriminierenden Maßnahme des Mitgliedstaates ab. Die Vorgaben der Richtlinie, insbesondere das Verbot der Benachteiligung, gelten umfassend. Sie erfassen die Tätigkeit des privaten Arbeitgebers ebenso wie die Maßnahmen des staatlichen Normgebers. Auch dessen Unterlassen, die für Beschäftigung und Beruf geltenden gesetzlichen Vorschriften an das Benachteiligungsverbot der Richtlinie anzupassen, muss zur Durchsetzung der durch die Richtlinie verliehenen Rechte eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion zur Folge haben. Die unionsrechtliche Haftung kennt seit jeher eine Haftung für die unterlassene oder unvollständige Umsetzung von Richtlinien (vgl. statt vieler: EuGH, Urteil vom 19. November 1991, Rs. C-6/90 u.a. – Francovich, juris) und knüpft daher an Maßnahmen oder Unterlassungen der Gesetzgeber an. Für die nationale Umsetzung in § 15 AGG kann nichts anderes gelten.
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Auch die Regelung in § 24 Nr. 1 AGG, wonach die Vorschriften des Gesetzes unter Berücksichtigung ihrer besonderen Rechtsstellung entsprechend für Beamte gelten, führt nicht dazu, dass wegen des im Besoldungsrecht geltenden strikten Gesetzesvorbehalts (§ 2 Abs. 1 BBesG) die gesetzeskonforme Berechnung der Bezüge der Beamten keinen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG darstellte, sodass Ansprüche nach § 15 AGG ausgeschlossen wären. Zum einen ist der Richtlinie eine solche erhebliche Einschränkung der Reichweite des Benachteiligungsverbots nicht zu entnehmen. Zum anderen stünde die Richtlinie andernfalls unter dem Vorbehalt, dass die gesetzlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten keine anderslautenden Vorgaben regeln. Der Vorrang des Unionsrechts wäre in sein Gegenteil verkehrt.
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Auf § 15 Abs. 1 i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG kann der Kläger seinen Zahlungsanspruch nicht stützen. Nach dieser Vorschrift ist der Arbeitgeber bei einem von ihm zu vertretenden Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Im Zeitraum vom Februar 2007 bis Ende März 2011 hat der Beklagte den Verstoß der §§ 27, 28 BBesG a.F. gegen § 7 Abs. 1 AGG nicht zu vertreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2014, BVerwG 2 C 6.13, a.a.O., Rdnr. 41). Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage der Vereinbarkeit eines mit §§ 27, 28 BBesG a.F. vergleichbaren Entlohnungssystems mit der Richtlinie 2000/78/EG ist erst durch das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 8. September 2011 (Rs. C-297/10 u.a. – Hennigs und Mai) geklärt worden (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014, Rs. C-501/12 u.a. – Specht, a.a.O., Rdnr. 104). Bis zur Verkündung dieses Urteils war die Rechtsauffassung, §§ 27, 28 BBesG a.F. seien nicht unionsrechtswidrig, – wie zuvor dargestellt – in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung verbreitet.
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Auf der Grundlage von § 15 Abs. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG hat der Kläger für den Zeitraum vom Januar 2008 bis Juni 2009 einen Anspruch auf Entschädigung. Nach § 15 Abs. 2 AGG i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG kann der Beamte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Der Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG setzt nicht den Nachweis eines konkreten immateriellen Schadens, das heißt die Feststellung von persönlich belastenden Folgen einer Benachteiligung, voraus. Vielmehr liegt ein solcher Schaden bereits im Falle einer ungerechtfertigten Benachteiligung aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe vor (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 16/1780 S. 38; BVerwG, Urteil vom 3. März 2011, BVerwG 5 C 16.10, BVerwGE 139, 135, Rdnr. 14; BAG, Urteil vom 22. Januar 2009, 8 AZR 906/07, juris, Rdnr. 74 - 76).
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Der Kläger hat die – mit Art. 9 der Richtlinie 2000/78/EG vereinbare (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013, BVerwG 2 C 12.11, a.a.O., Rdnr. 59; BAG, Urteil vom 21. Juni 2012, 8 AZR 188/11, juris, Rdnr. 20 ff.) – zweimonatige Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG eingehalten, da er bereits mit Schreiben vom 13. Februar 2012, beim Bundesverwaltungsamt am 16. April 2012 eingegangen, Ansprüche auf eine altersdiskriminierungsfreie Besoldung für den Zeitraum 1. Januar 2008 bis 1. Juli 2009 geltend gemacht hat.
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Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss der Anspruch nach Absatz 2 der Regelung innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Nach Satz 2 beginnt die Frist zu dem Zeitpunkt, in dem der Kläger von der Benachteiligung Kenntnis erlangt hat. Grundsätzlich hat der Beschäftigte Kenntnis von der Benachteiligung, wenn er die das belegenden Tatsachen kennt. Dass er aus diesen Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht, ist nicht erforderlich. … ist eine Ausnahme für den Fall einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage geboten. Der Lauf der Ausschlussfrist beginnt dann zu dem Zeitpunkt, ab dem die Erhebung einer Klage für den Betroffenen zumutbar ist, das heißt die Klage hinreichend aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos ist (vgl. BAG, Urteil vom 15. März 2012, 8 AZR 160/11, juris, Rdnr. 61; BGH, Urteile vom 25. Februar 1999, IX ZR 30/98, juris, Rdnr. 19, und vom 23. September 2008, XI ZR 262/07, juris, Rdnr. 15 zu dem gleich behandelten Fall des Beginns der Verjährung nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Danach ist in diesen Fällen die objektive Klärung der Rechtslage durch höchstrichterliche Entscheidungen maßgeblich (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 2008, XI ZR 262/07, a.a.O., Rdnr. 19; BAG, Urteil vom 15. März 2012, 8 AZR 160/11, a.a.O.; BGH, Urteil vom 25. Februar 1999, IX ZR 30/98, a.a.O., Rdnr. 19 ff.).
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Die entscheidungserhebliche Rechtslage wurde vorliegend nicht bereits durch die Verkündung des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union in Sachen Hennigs und Mai am 8. September 2011 geklärt (a.A. VG Greifswald, Urteil vom 14. Oktober 2015, 6 A 1139/12, juris, Rdnr. 15; VG Weimar, Urteil vom 21. Januar 2016, 4 K 223/14 We, juris, Rdnr. 26). Dies war vielmehr erst durch das speziell zu der für die Beamten maßgeblichen Rechtslage ergangene Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 19. Juni 2014 (C-501/12 u.a. – Specht) der Fall. (vgl. OVG Saarland, Urteile vom 15. Juli 2015, 1 A 355/13, juris, Rdnr. 105, und vom 6. August 2015, 1 A 290/14, juris, Rdnr. 30 ff., 40). Der Kläger konnte keine Kenntnis von der Benachteiligung haben, wenn – wie zuvor dargestellt – die meisten deutschen Verwaltungsgerichte und Behörden eine solche bis zur Verkündung des Specht-Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union abgelehnt hatten. Darüber hinaus stellt es sich als grob treuwidrig dar, wenn sich der Beklagte nunmehr auf die Verkündung des Urteils in Sachen Hennigs und Mai am 8. September 2011 als maßgeblichen Zeitpunkt für den Beginn der Ausschlussfrist beruft, wenn er zuvor, nämlich bis zum Ergehen des Specht-Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union am 19. Juni 2014, vehement eine Übertragbarkeit der zum BAT ergangenen Rechtsprechung auf das für Beamte geltende Besoldungssystem der §§ 27, 28 BBesG a.F. verneint hat.
- 37
Auf den 8. September 2011 als maßgeblichen Zeitpunkt der Kenntnis abzustellen, würde zudem die Möglichkeit der Inanspruchnahme wirksamen Rechtsschutzes übermäßig erschweren. Die Wahrung des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes setzt aber voraus, dass die Festlegung des Zeitpunktes des Fristbeginns die Ausübung des Rechts, hier: die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs, weder unmöglich macht, noch übermäßig erschwert. Aus der Unionsrechtswidrigkeit des tarifvertraglichen Vergütungssystems und daraus folgenden Ausgleichsansprüchen lässt sich nicht zwingend ableiten, dass auch ein etwaiger Verstoß der §§ 27, 28 BBesG a.F. gegen das Benachteiligungsverbot einer an Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG orientierten Rechtsprüfung nicht standhalten kann. Demgemäß wurde das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 8. September 2011 in Bezug auf die Beamten – wie zuvor bereits dargestellt – unterschiedlich von den deutschen Verwaltungsgerichten interpretiert, was belegt, dass die erforderliche Klarheit bezüglich der entscheidungserheblichen Rechtslage noch nicht vorlag.
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Aufgrund dieser Erwägungen folgt das Gericht unter Bezugnahme auf dessen ausführliche Argumentation (vgl. Urteil vom 6. August 2015, 1 A 290/14, a.a.O., Rdnr. 40 ff.) der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes, wonach die Verkündung des Specht-Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 19. Juni 2014 den maßgeblichen Zeitpunkt für den Beginn der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG darstellt.
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Da die Regelung der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG abschließend ist, findet der Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung von nicht unmittelbar durch Gesetz begründeten Ansprüchen (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. September 2011, BVerwG 2 C 32.10, a.a.O., Rdnr. 19 f., und vom 26. Juli 2012, BVerwG 2 C 29.11, a.a.O., Rdnr. 26) keine Anwendung, wenn der Beamte – wie hier – diese gesetzliche Frist gewahrt hat.
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Die Geltendmachung der Ansprüche auf eine altersdiskriminierungsfreie Besoldung des Klägers ab Januar 2008 bis Juni 2009 mit Schreiben vom 13. Februar 2012 erfolgte vor Ablauf der Verjährungsfrist. Insbesondere sind die Ansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG auch nicht für den Zeitraum Januar 2008 bis Dezember 2008 verjährt. Zwar hat die Beklagte bezüglich des Kalenderjahres 2008 ausdrücklich die Einrede der Verjährung erhoben und sind auf Besoldungsansprüche die §§ 194 ff. BGB entsprechend anzuwenden. Darüber hinaus gilt für alle besoldungsrechtlichen Ansprüche grundsätzlich die dreijährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB (vgl. Lenders, RiA 2012, S. 49, 52). Dies dürfte jedoch für die monatsweise entstandenen Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG nicht gelten. Für diese gilt vielmehr die zehnjährige Verjährungsfrist gemäß § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB. Danach verjähren sonstige Schadensersatzansprüche ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an. Zwar sieht lediglich § 15 Abs. 1 AGG einen (verschuldensabhängigen) Schadensersatzanspruch und § 15 Abs. 2 AGG dagegen einen (verschuldensunabhängigen) Entschädigungsanspruch vor. Dieser soll der Wiedergutmachung eines erlittenen immateriellen Schadens dienen und ist deshalb eher einem Schadensersatzanspruch (zehnjährige Verjährungsfrist) als einem Besoldungsanspruch (dreijährige Verjährungsfrist) vergleichbar. Die Geltendmachung seiner Ansprüche ab dem 1. Januar 2008 mit Schriftsatz vom 13. Februar 2012 erfolgte danach noch vor Ablauf der zehnjährigen Verjährungsfrist. Seit dem Eingang des klägerischen Schreibens beim Bundesverwaltungsamt am 16. April 2012 ist die Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 12 BGB bis drei Monate nach dem Erlass des Widerspruchsbescheides, danach gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB durch die Erhebung der Klage gehemmt.
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Dem Kläger steht ein Entschädigungsanspruch lediglich in Höhe von 100 EUR/Monat und nicht auf Zahlung der höchsten Stufe des Grundgehaltes seiner Besoldungsgruppe zu. Als Ausgleich für die Benachteiligung wegen des Lebensalters sieht das Bundesverwaltungsgericht einen Pauschalbetrag von 100 EUR pro Monat als angemessen im Sinne von § 15 Abs. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2014, 2 C 6.13, a.a.O., Rdnr. 61). Vergleichbar der Bemessung des angemessenen Schmerzensgeldes nach § 253 Abs. 2 BGB ist die Bestimmung der Höhe der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG dem Gericht überlassen, das die Besonderheiten jedes einzelnen Falles zu berücksichtigen hat (BT-Drs. 16/1780 S. 38). Dazu zählen die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns, der Grad der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, etwa geleistete Wiedergutmachung oder erhaltene Genugtuung und das Vorliegen eines Wiederholungsfalles.
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Ferner ist auch der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen, sodass die Höhe auch danach zu bemessen ist, was zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entschädigung geeignet sein muss, eine abschreckende Wirkung gegenüber dem Dienstherrn zu haben und dass sie in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen muss (vgl. BAG, Urteile vom 17. Dezember 2009, 8 AZR 670/08, juris, Rdnr. 38, vom 22. Januar 2009, 8 AZR 906/07, juris, Rdnr. 82 m.w.N., und vom 23. August 2012, 8 AZR 285/11, juris, Rdnr. 38). In § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG sowie § 97a Abs. 2 Satz 3 BVerfGG hat der Gesetzgeber - im Falle der überlangen Dauer von Gerichtsverfahren - eine Entschädigung für einen Nachteil bestimmt, der nicht Vermögensnachteil ist. In Anlehnung an diese Regelungen sieht das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 30. Oktober 2014, 2 C 6.13, a.a.O., Rdnr. 63) in Bezug auf den Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG eine Entschädigung von 100 EUR/Monat als angemessen an, was das Bundesverfassungsgericht gebilligt hat (vgl. Nichtannahmebeschluss vom 7. Oktober 2015, 2 BvR 465/15, juris, Rdnr. 31).
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Die Kammer schließt sich im Hinblick auf die Frage, nach welchen monetären Gesichtspunkten eine Sanktionierung zu erfolgen hat, im konkreten Fall der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts an. Dabei hat es im Rahmen seiner Abwägungsentscheidung insbesondere den Umstand als gegen einen höheren Entschädigungsbetrag als 100 EUR/Monat sprechend berücksichtigt, dass die Beklagte ihr altersdiskriminierendes System der Beamtenbesoldung – beispielsweise im Unterschied zum sächsischen Besoldungsgesetzgeber – als erste im Bundesgebiet und ohne äußeren Druck auf ein Erfahrungsstufensystem mit Überleitungsvorschriften umgestellt hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 VwGO. Danach sind die Kosten verhältnismäßig zu teilen, wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt. Der Anteil des klägerischen Obsiegens beträgt – ausgehend von dem im Schriftsatz vom 17. Juni 2015 mitgeteilten klägerischen Interesse in Höhe von 9.578,28 EUR – 18,79 %.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 ZPO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Referenzen
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- BVerfGG § 97a 1x
- XI ZR 262/07 2x (nicht zugeordnet)
- Urteil vom Bundesarbeitsgericht (6. Senat) - 6 AZR 148/09 1x
- 1 RL 2000/78 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 155 1x
- 4 K 223/14 1x (nicht zugeordnet)
- 6 AZR 148/09 1x (nicht zugeordnet)
- 6 A 1139/12 1x (nicht zugeordnet)
- BBesG § 2 Regelung durch Gesetz 1x
- AGG § 1 Ziel des Gesetzes 2x
- VwGO § 167 1x
- VwGO § 113 1x
- BGB § 199 Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist und Verjährungshöchstfristen 2x
- BGB § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung 1x
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- BGB § 253 Immaterieller Schaden 1x
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- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- Nichtannahmebeschluss vom Bundesverfassungsgericht (2. Senat 1. Kammer) - 2 BvR 465/15 1x
- Urteil vom Oberverwaltungsgericht des Saarlandes - 1 A 290/14 2x
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