Gerichtsbescheid vom Verwaltungsgericht Hamburg (9. Kammer) - 9 A 4845/17

Tenor

Es wird festgestellt, dass Nr. 1 und Nr. 3 Sätze 1 bis 3 des Bescheides vom 13. April 2017 unwirksam sind.

Nr. 2 und Nr. 4 des Bescheides vom 13. April 2017 werden aufgehoben.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Gerichtsbescheids vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin, 67-jährige syrische Staatsangehörige, begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit eines Bescheides, mit dem die Beklagte ihren Asylantrag als unzulässig abgelehnt und ihr die Abschiebung nach Rumänien angedroht hat.

2

Die Klägerin reiste nach eigenen Angaben am 29. Februar 2016 nach Deutschland ein und stellte am 8. Juni 2016 einen Asylantrag. Auf Grundlage eines Eurodac-Treffers der Kategorie 1 für Rumänien ersuchte die Beklagte Rumänien am 9. August 2016 darum, die Klägerin im Rahmen des Dublin-Verfahrens wiederaufzunehmen. Dies lehnte Rumänien mit Schreiben vom 17. August 2016 ab, da die Dublin III Verordnung auf Personen, denen bereits internationaler Schutz zuerkannt worden sei, keine Anwendung finde. Der Klägerin sei am 31. März 2014 der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden.

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Im Rahmen einer Anhörung zur Zulässigkeit ihres Asylantrags am 25. Oktober 2016 gab die Klägerin an, nicht genau zu wissen, ob sie in Rumänien Asyl beantragt und internationalen Schutz erhalten habe. Man habe ihr Dokumente vorgelegt, die sie unterzeichnet habe. Ihr sei gesagt worden, dass sie weiterreisen könne. Sie habe dort Schutz für zwei Jahre erhalten, vielleicht auch nur für ein Jahr. Insgesamt sei sie zwei Monate in Rumänien gewesen. Auch ihre Töchter hätten sich dort aufgehalten, aber diese seien dann nach Deutschland gereist und hier anerkannt worden. Sie sei mit ihren Töchtern und deren Kindern aus Syrien ausgereist. In Rumänien habe sie niemanden, ihre ganze Familie sei in Deutschland. Sie sei krank. Sie habe einen Bandscheibenvorfall gehabt und Rheuma sowie psychische Beschwerden. Im Rahmen der Anhörung legte die Klägerin nach § 25 Abs. 2 AufenthG erteilte Aufenthaltstitel ihrer Töchter ... (geboren am ...) und ... (geboren am ...) sowie ihrer Enkel ... (geboren am ...), ... (geboren am ...) und ... (geboren am ...) vor.

4

Mit Bescheid vom 13. April 2017, zugestellt am 23. April 2017, lehnte die Beklagte den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1). Zudem entschied sie, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), drohte der Klägerin nach Ablauf einer einwöchigen Ausreisefrist die Abschiebung nach Rumänien an (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot im Sinne von § 11 Abs. 1 AufenthG auf zwölf Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4). Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, der Asylantrag sei nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig. Nach ihren Erkenntnissen sei der Klägerin in Rumänien internationaler Schutz gewährt worden.

5

Am 27. April 2017 hat die Klägerin Klage erhoben – zunächst gerichtet auf Aufhebung des Bescheides – und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt.

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Mit Beschluss vom 12. Juli 2017 (9 AE 4846/17) hat das Verwaltungsgericht Hamburg die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 13. April 2017 angeordnet und zur Begründung ausgeführt, die Erfolgsaussichten der Klage seien im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2017 (1 C 26/16) zum Gerichtshof der Europäischen Union offen. Die zu den Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Italien ergangene Rechtsprechung lasse sich auf Rumänien übertragen. Es bedürfe einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren nach Klärung der Vorlagefragen durch den EuGH, ob die Klägerin angesichts der Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Rumänien auf europarechtskonforme Weise nach Rumänien abgeschoben werden dürfe. Die deshalb vorzunehmende Interessenabwägung falle zu Gunsten der Klägerin aus.

7

Mit Verfügung vom 12. Juli 2017 hat das Verwaltungsgericht Hamburg darauf hingewiesen, dass § 37 Abs. 1 AsylG im vorliegenden Verfahren voraussichtlich keine Anwendung finde. Diese Vorschrift sei in Fällen, in denen das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen offener Erfolgsaussichten stattgebe, teleologisch zu reduzieren.

8

Mit Verfügung vom 6. Juli 2018 hat der Berichterstatter darauf hingewiesen, dass die Kammer angesichts aktueller obergerichtlicher Rechtsprechung (VGH Mannheim, Beschl. v. 20.2.2018, A 4 S 169/18, juris; VGH München, Beschl. v. 15.1.2018, 10 ZB 17.30211, juris) Zweifel habe, ihre bisherige Auffassung zur einschränkenden Auslegung des § 37 Abs. 1 AsylG aufrechterhalten zu können. Zudem ist ein Hinweis zur Stellung sachdienlicher Klaganträge erfolgt.

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Danach beantragt die Klägerin,

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1. festzustellen, dass Nr. 1 und Nr. 3 Sätze 1 bis 3 des Bescheides vom 13. April 2017 unwirksam sind, sowie Nr. 2 und Nr. 4 des Bescheides vom 13. April 2017 aufzuheben,

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2. hilfsweise, den Bescheid vom 13. April 2017 aufzuheben,

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3. äußerst hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. April 2017, soweit dieser entgegensteht, zu verpflichten, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Rumäniens festzustellen.

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Aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 5. Mai 2017 ergibt sich der Antrag,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung verweist die Beklagte auf den Bescheid vom 13. April 2017. Ergänzend führt sie aus, nicht in die Änderung der Klage einzuwilligen. Denn gegen die Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG sei allein die Anfechtungsklage statthaft. Sie – die Beklagte – werde das Asylverfahren der Klägerin nicht fortführen. § 37 Abs. 1 AsylG sei im Einklang mit der bisherigen Auffassung der Kammer einschränkend auszulegen. Denn die Pflicht zur Fortführung des Asylverfahrens in § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG bedeute, dass sie eine inhaltliche Entscheidung über die Fluchtgründe zu treffen hätte. Zudem bezwecke § 37 Abs. 1 AsylG eine Beschleunigung des Asylverfahrens. Eine erneut durchgeführte Prüfung habe hinsichtlich des Bescheides vom 13. April 2017 zu keinem anderen Ergebnis geführt, da die Klägerin in Rumänien unstreitig subsidiären Schutz erhalten habe und ihrer Abschiebung ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht entgegenstehe. Bei einer aktuellen Gesamtwürdigung der zu Rumänien vorliegenden Berichte und Stellungnahmen vor allem von Nichtregierungsorganisationen drohte anerkannten Schutzberechtigten in Rumänien keine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK.

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Das Gericht hat den Beteiligten mitgeteilt, dass es eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid erwäge, und ihnen Gelegenheit gegeben, ihren Vortrag in sachlicher und rechtlicher Hinsicht zu ergänzen. Die Akten der Verfahren 9 A 4845/17, 9 AE 4846/17, 9 A 4983/17 und 9 AE 4984/17, die Sachakten der Beklagten und die Ausländerakten der drei Töchter der Klägerin ..., ... und ... haben bei der Entscheidung vorgelegen.

Entscheidungsgründe

I.

17

Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

II.

18

Die Klage ist im maßgebenden Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) zulässig (hierzu unter 1.) und begründet (hierzu unter 2.).

19

1. Die Klage ist zulässig.

20

a) Die Klageänderung ist gemäß § 91 Abs. 1 Alt. 2 VwGO zulässig, weil die Kammer diese für sachdienlich hält. Sofern die Rechtsfolge des § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG eingetreten ist, kann die Klage nur in der geänderten Form Erfolg haben (s. auch VG Hamburg, Urt. v. 23.10.2017, 9 A 6901/16, n. v., rechtskräftig nach OVG Hamburg, Beschl. v. 13.2.2018, 4 Bf 276/17.AZ, n. v.; VGH Mannheim, Beschl. v. 20.2.2018, A 4 S 169/18, juris Rn. 9; VG Berlin, Urt. v. 23.3.2018, 23 K 117.17 A, juris Rn. 17 f. u. 20). Hierauf hat der Berichterstatter die Beteiligten mit Verfügung vom 6. Juli 2018 hingewiesen. Soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 24. August 2018 um Darlegung gebeten hat, inwieweit die als sachdienlich angesehenen Klaganträge in der Sache zu einem anderen Ergebnis führen sollten, bedarf es eines weiteren Hinweises nicht. Diese Bitte betrifft nicht die sachdienliche Antragstellung im vorliegenden Klagverfahren, sondern die in der Begründetheit zu beantwortende materielle Frage der Auslegung des § 37 Abs. 1 AsylG.

21

b) Der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit von Nr. 1 und Nr. 3 Sätze 1 bis 3 des Bescheides vom 13. April 2017 ist als Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Die Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 43 Abs. 2 VwGO) steht dem nicht entgegen. Gegen die Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG sowie die Abschiebungsandrohung ist im Ausgangspunkt zwar die Anfechtungsklage statthaft (BVerwG, Urt. v. 21.11.2017, 1 C 39/16, juris Rn. 16; VGH München, Beschl. v. 13.10.2016, 20 B 14.30212, juris Rn. 20 ff.). Für eine gerichtliche Aufhebung ist im Falle der nach § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG gesetzlich angeordneten Unwirksamkeit, die zur Erledigung im Sinne von § 43 Abs. 2 VwVfG führt, jedoch kein Raum mehr (VG Berlin, a.a.O., Rn. 17).

22

Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO, weil die Beklagte mit Schriftsatz vom 24. August 2018 ausdrücklich mitgeteilt hat, das Asylverfahren der Klägerin nicht fortführen zu wollen.

23

c) Der Antrag auf Aufhebung der mit der Unzulässigkeitsentscheidung verbundenen Entscheidungen in Nr. 2 und Nr. 4 des Bescheides vom 13. April 2017 ist als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft (VG Hamburg, Gerichtsbescheid v. 25.10.2016, 1 A 2789/16, n. v.; VG Berlin, a.a.O., Rn. 20; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 14.12.2016, 1 C 4.16, juris Rn. 21).

24

2. Die Klage ist auch begründet.

25

a) Die Regelungen in Nr. 1 und Nr. 3 Sätze 1 bis 3 des Bescheides vom 13. April 2017 sind unwirksam. Dies ergibt sich aus § 37 Abs. 1 AsylG. Danach werden die Entscheidungen des Bundesamts über die Unzulässigkeit des Antrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 AsylG und die Abschiebungsandrohung unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht. Das Bundesamt hat das Verfahren fortzuführen. Diese Voraussetzungen liegen vor, da die Beklagte mit Bescheid vom 13. April 2017 den Asylantrag der Klägerin nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt sowie dieser die Abschiebung nach Rumänien angedroht und das Verwaltungsgericht Hamburg ihrem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit Beschluss vom 12. Juli 2017 im Verfahren 9 AE 4846/17 entsprochen hat.

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Die Regelung in § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass sie in Fällen, in denen das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO aufgrund offener Erfolgsaussichten der Klage entspricht, keine Anwendung findet. Nach fast einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur gilt die Norm unabhängig davon, welche Gründe für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage maßgebend waren (VGH Mannheim, Beschl. v. 20.2.2018, A 4 S 169/18, juris Rn. 6 ff.; VGH München, Beschl. v. 15.1.2018, 10 ZB 17.30211, juris Rn. 4 ff.; VG Hamburg, Urt. v. 23.10.2017, 9 A 6901/16, n. v., m.w.N., rechtskräftig nach OVG Hamburg, Beschl. v. 13.2.2018, 4 Bf 276/17.AZ, n. v.; VG Berlin, Urt. v. 23.3.2018, 23 K 117.17 A, juris Rn. 23; Hailbronner, AuslR, 99. Aktualisierung, Dezember 2016, § 37 AsylG Rn. 5; Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, 115. Ergänzungslieferung, März 2018, § 37 Rn. 11; Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Auflage 2018, § 37 AsylG Rn. 6; a. A. VG Lüneburg, Urt. v. 18.12.2016, 8 A 175/16, juris Rn. 55; Urt. v. 21.12.2016, 8 A 170/16, juris Rn. 39). Dieser Auffassung schließt sich die Kammer aufgrund der nachfolgenden Erwägungen an.

27

Der Wortlaut der Norm bietet für eine einschränkende Auslegung keine Anhaltspunkte. Die Entscheidung des Bundesamts über die Unzulässigkeit des Antrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG und die Abschiebungsandrohung werden danach stets dann unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht, ohne dass auf die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgestellt würde.

28

Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergeben sich ebenfalls keine Hinweise darauf, dass § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG bei Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage aufgrund offener Erfolgsaussichten keine Anwendung finden sollte. In der Begründung des Entwurfs eines Integrationsgesetzes vom 31. Mai 2016, mit dem die Vorschrift ihre aktuelle Fassung erhalten hat, indem das Wort „Unbeachtlichkeit“ durch die Wörter „Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nummer 2 und 4“ ersetzt worden ist, heißt es insoweit nur, es handele sich um eine Folgeänderung (BT-Drs. 18/8615, S. 19 u. 52). Im Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens vom 12. Februar 1992, mit dem § 37 Abs. 1 seine vorherige Fassung erhalten hatte, ist zur Begründung lediglich ausgeführt, die Regelung entspreche inhaltlich § 10 Abs. 4 des zuvor geltenden AsylVfG (BT-Drs. 12/2062, S. 34). Diese Vorschrift beruhte wiederum auf dem Gesetz über das Asylverfahren vom 16. Juli 1982 (BGBl. I S. 946; im Folgenden: AsylVfG 1982). Nach § 10 Abs. 4 AsylVfG 1982 war der Asylantrag unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten, wenn dem gegen die Abschiebungsandrohung erhobenen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprochen wurde. Die Kategorie der unbeachtlichen Asylanträge diente seinerzeit der Trennung der Zuständigkeit von Ausländerbehörde und Bundesamt und hatte die Nichtweiterleitung des Antrags zur Folge, so dass das Bundesamt nicht über diesen Antrag entschied (Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Auflage 2016, § 29 AsylG Rn. 2). Ein Asylantrag war nach § 7 Abs. 2 AsylVfG 1982 unbeachtlich, wenn offensichtlich war, dass der Ausländer bereits in einem anderen Staat Schutz vor Verfolgung gefunden hatte. Dies wurde nach § 7 Abs. 3 AsylVfG 1982 vermutet, wenn der Ausländer im Besitz eines von einem anderen Staat ausgestellten Reiseausweises nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge war. Eine § 10 Abs. 4 AsylVfG 1982 entsprechende Regelung war im Entwurf eines Gesetzes über das Asylverfahren vom 7. Oktober 1981 (BT-Drs. 9/875) noch nicht vorgesehen, sondern erst in einer Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses (BT-Drs. 9/1792, S. 2). Diese enthält jedoch keine Begründung.

29

Teleologische Gesichtspunkte lassen eine den klaren Wortlaut der Bestimmung einschränkende Auslegung nicht zu. Ziel der getroffenen Regelung ist die unmittelbare Weiterführung des Asylfahrens durch das Bundesamt, nachdem das Verwaltungsgericht die Anwendung der spezifischen und auf eine beschleunigte Aufenthaltsbeendigung gerichteten Vorschriften durch die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung ausgeschlossen hat (Hailbronner, AuslR, 99. Aktualisierung, Dezember 2016, § 37 AsylG Rn. 1). Infolge des gesetzlich angeordneten unmittelbaren Eintritts der Unwirksamkeit der Entscheidungen des Bundesamts bei Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bedarf es einer Aufhebung des Bescheides durch das Verwaltungsgericht im Klageverfahren nicht mehr. Der Beschleunigungszweck kommt unter systematischen Gesichtspunkten auch in § 37 Abs. 3 AsylG zum Ausdruck, wonach § 37 Abs. 1 AsylG nicht eingreift, wenn auf Grund der Entscheidung des Verwaltungsgerichts die Abschiebung in einen der in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staaten vollziehbar wird.

30

Die Anwendung des § 37 Abs. 1 AsylG in Fällen, in denen das Verwaltungsgericht einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bei offenen Erfolgsaussichten der Klage stattgibt, läuft diesem Beschleunigungszweck nicht unter jedem denkbaren Gesichtspunkt zuwider. Beruht die Bewertung der Erfolgsaussichten als offen auf der ausstehenden höchstgerichtlichen Klärung einer Rechtsfrage, kann das Verfahren anschließend zeitnah nicht nur vom Verwaltungsgericht, sondern auch vom Bundesamt fortgeführt werden. Betrifft die ausstehende höchstgerichtliche Klärung überdies eine Vielzahl an Fällen, können diese vom Bundesamt womöglich sogar zügiger abgearbeitet werden. Das Bundesverwaltungsgericht selbst spricht im Vorabentscheidungsersuchen, das im vorliegenden Fall für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage maßgebend war, von mehreren Tausend beim Bundesamt und bei den Verwaltungsgerichten zu bearbeitenden Verfahren, die aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens nicht abschließend entschieden werden könnten (BVerwG, Beschl. v. 27.6.2017, 1 C 26/16, juris Rn. 48). Auch bei der beschließenden Kammer sind parallel liegende Verfahren in größerer Anzahl anhängig, die auch Abschiebungsandrohungen in die Zielstaaten Italien und Griechenland zum Gegenstand haben.

31

Dabei ist die Beklagte nicht daran gehindert, nach Fortführung des Asylverfahrens bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen den Asylantrag erneut als unzulässig abzulehnen. § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG gebietet weder seinem Wortlaut nach noch nach seinem Sinn und Zweck eine solche Einschränkung des Prüfprogramms. Sieht das Verwaltungsgericht die Erfolgsaussichten der Hauptsache als offen an, liegt es in der Natur der Sache, dass im Anschluss an die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach Klärung der Sach- und Rechtslage eine erneute Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nicht ausgeschlossen ist. Im Übrigen kommt nach der im Zuge des Integrationsgesetzes erfolgten Neufassung des § 29 Abs. 1 AsylG, in dem die möglichen Gründe der Unzulässigkeit eines Asylantrags in einem Katalog zusammengefasst wurden, zu denen nunmehr auch die Gründe, aus denen ein Antrag zuvor als unbeachtlich betrachtet wurde, zählen, auch die Ablehnung des Asylantrags aus einem anderen der in § 29 Abs. 1 AsylG angeführten Gründe in Betracht, etwa wenn dessen Vorliegen erst nachträglich bekannt wird.

32

Soweit die Beklagte um Darlegung bittet, inwiefern es nach Fortführung des Asylverfahrens zu einem anderen Ergebnis kommen sollte, kommt es hierauf nicht an, weil die Rechtsfolge des § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG unmittelbar kraft Gesetzes im Zeitpunkt der Anordnung der aufschiebenden Wirkung eintritt. Allein maßgebend ist, dass das Verwaltungsgericht in diesem Zeitpunkt dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprochen hat.

33

b) Die Regelungen in Nr. 2 und Nr. 4 des Bescheides vom 13. April 2017 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

34

Die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen von § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG in Nr. 2 des Bescheides kann aufgrund der Unwirksamkeit der Ablehnung des Antrags als unzulässig nicht mehr auf § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestützt werden (VG Hamburg, a.a.O.). Im fortzuführenden Asylverfahren hat die Beklagte zunächst erneut über die vorrangigen (vgl. insbesondere § 31 Abs. 2 AsylG, zur früheren Rechtslage: BVerwG, Urt. v. 15.4.1997, 9 C 19/96, juris, Rn. 11 f.) Fragen der Anerkennung als Asylberechtigte und der Zuerkennung internationalen Schutzes zu entscheiden.

35

Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Sinne von § 11 Abs. 1 AufenthG auf zwölf Monate ab dem Tag der Abschiebung in Nr. 4 des Bescheides kann keinen Bestand haben, weil mit der Unwirksamkeit der Abschiebungsandrohung die Grundlage für die zu befristenden Wirkungen der Abschiebung entfällt. Die Beklagte ist für diese Entscheidung nach § 75 Nr. 12 AufenthG nur in den Fällen einer Abschiebungsandrohung oder -anordnung nach dem AsylG zuständig. An einer solchen fehlt es nunmehr.

III.

36

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 83b AsylG und § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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