Gerichtsbescheid vom Verwaltungsgericht Hamburg (1. Kammer) - 1 A 5933/18

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 26. Oktober 2018, soweit entgegenstehend, verpflichtet, zugunsten des Klägers ein nationales Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans festzustellen.

Die Klage im Übrigen wird abgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu zwei Dritteln und die Beklagte zu einem Drittel.

Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Gerichtsbescheids vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutzes, höchsthilfsweise ein nationales Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans und wendet sich gegen die Abschiebungsandrohung.

2

Der Kläger beantragte am 9. Januar 2015 in Schweden internationalen Schutz unter Angabe des Geburtsdatums [...] 2001. Schweden (Migrationsverket) lehnte den Antrag am 18. August 2016 ab, bestandskräftig am 30. Mai 2017, unter Annahme des Geburtsdatums [...] 1998.

3

Der Kläger meldete sich am 25. September 2017 am Ankunftszentrum Hamburg als Asylsuchender mit den Angaben: Geburtsdatum [...] 2001, Geburtsort Maydan Wardak, Staatsangehörigkeit Afghanistan, Volkszugehörigkeit Hazara, Einreisedatum 20. September 2017. Durch Schriftsatz seines Amtsvormunds vom 22. Februar 2017 stellte er bei der Beklagten einen auf die Zuerkennung internationalen Schutz beschränkten Asylantrag mit den Angaben: Geburtsdatum [...] 2001, Geburtsort Maydan Wardak, Staatsangehörigkeit Afghanistan, Volkszugehörigkeit und Religion unbekannt, erste Sprache Dari. Er wurde eine Tazkera für die Provinz Maidan Wardak vom 19. März 2015 vorgelegt, ausweislich der er nach Aussehen 14 Jahre alt sei.

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Bei der Anhörung gemäß § 25 AsylG am 4. Januar 2018 gab er an: Er habe in der Provinz Maydan Wardak gelebt und sei als kleines Kind, vielleicht im Alter von einem Jahr, bereits mit seinen Eltern und Geschwistern nach Isfahan (Iran) gegangen. Bis zur fünften Klasse sei er im Iran auf eine „Schule für Afghanen“ gegangen. Er habe sich ca. 13 Jahre lang illegal im Iran aufgehalten. Den Iran habe er vor ungefähr drei Jahren verlassen. Er sei zwei Jahre in Schweden gewesen, dort 2015 Asyl beantragt und drei Ablehnungsbescheide bekommen, den ersten 2016, den dritten vor drei bis vier Monaten. Seine Eltern, Schwestern, seine Tante mütterlicherseits seien im Iran. Sein Vater arbeite als Bauarbeiter, seine Mutter als Schneiderin. Er habe nicht danach gefragt, weshalb seine Eltern Afghanistan verlassen hätten. Afghanistan sei ein Land, das er noch nie gesehen habe und dort niemanden kenne. Er sei Hazara. Es gebe keine Sicherheit für Hazara in Afghanistan. Sie seien eine schiitische Minderheit. Er legte einen Kurzarztbericht des Wilhelmstifts vom 11. November 2017 nach Selbstverletzung vor.

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Die Beklagte lehnte mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 26. Oktober 2018 (Nr. 1) die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und (Nr. 2) subsidiären Schutzes ab, (Nr. 3) stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen, (Nr. 4) drohte für den Fall des Ablaufs einer Ausreisefrist die Abschiebung an, wobei sie Afghanistan als Zielstaat nannte, und (Nr. 5) regelte ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot. Zur Begründung führte sie insbesondere aus: Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor. Der Kläger sei ein arbeitsfähiger, lediger junger Mann. Für alleinstehende, arbeitsfähige, gesunde, männliche Rückkehrer liege selbst ohne nennenswertes Vermögen und abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer zwangsweisen Rückführung nach Afghanistan keine hinreichende Wahrscheinlichkeit vor, bei Rückkehr dorthin alsbald zu verhungern oder ähnlich existenzbedrohenden Mangellagen ausgesetzt zu sein, da sie durchaus in der Lage wären, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen, sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren und allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren. Den Angaben des Klägers sei zweifelsfrei zu entnehmen, dass seine Familienangehörigen im Nachbarland Iran leben würden und es ihnen finanziell offenkundig möglich gewesen sei, die Ausreise des Klägers in das europäische Ausland zu finanzieren. Der Bescheid wurde am 8. November 2018 zugestellt.

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Der Kläger hat am 21. November 2018 Klage erhoben.

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Der Kläger hat schriftsätzlich die Anträge formuliert,

8

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 26. Oktober 2018 – soweit er entgegensteht – zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

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hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 26. Oktober 2018 – soweit er entgegensteht – zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz zu gewähren,

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ganz hilfsweise unter Aufhebung ihres Bescheides vom 26. Oktober 2018 festzustellen – soweit er entgegensteht – dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen,

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äußerst hilfsweise unter Aufhebung ihres Bescheides vom 26. Oktober 2018 – soweit er entgegensteht – zu verpflichten, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf drei Monate zu befristen.

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Die Beklagte hat schriftsätzlich den Antrag angekündigt,

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die Klage abzuweisen.

14

Bei der Entscheidung haben die Asylakte und die von der Freien und Hansestadt Hamburg geführte Ausländerakte vorgelegen. Darauf sowie auf die in den Entscheidungsgründen in Bezug genommenen Erkenntnismittel sowie auf die Gerichtsakte wird wegen der Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

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Die Entscheidung trifft im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO der Berichterstatter an Stelle der Kammer.

II.

16

Das Gericht entscheidet gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

III.

17

Die Klage wird gemäß § 88 Abs. 1 AsylG nach den erkennbar verfolgten Rechtsschutzzielen dahingehend ausgelegt, dass der Kläger vom Gericht erstrebt,

18

- mit einem Hauptantrag die Beklagte unter Aufhebung von Nr. 1 des Bescheids vom 26. Oktober 2018 zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu verpflichten,

19

- erstrangig hilfsweise dazu die Beklagte unter Aufhebung von Nr. 2 des Bescheids vom 26. Oktober 2018 zur Zuerkennung subsidiären Schutzes zu verpflichten,

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- zweitrangig hilfsweise dazu die Beklagte unter Aufhebung von Nr. 4 des Bescheids vom 26. Oktober 2018 zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots hinsichtlich Afghanistans zu verpflichten (sachdienlich ist eine Klage auf Verpflichtung zur verwaltungsaktförmigen Feststellung deshalb, weil nach § 43 Abs. 3 Satz 2 VwGO die vom Kläger formulierte Feststellungsklage gegenüber der Verpflichtungsklage als besonderer Leistungsklage nachrangig ist; das nationale Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder nach Abs. 7 AufenthG bildet einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Schutz mit mehreren Anspruchsgrundlagen, BVerwG, Urt. v. 29.6.2015, 1 C 2/15, NVwZ-RR 2015, 790, juris Rn. 14),

21

- drittrangig hilfsweise dazu das verwaltungsaktförmige Einreise- und Aufenthaltsverbot in Nr. 5 des Bescheids vom 26. Oktober 2018 insoweit aufzuheben, wie es über drei Monate hinausgeht (eine kürzere Befristung als die im Bescheid ausgesprochene ist im Wege der Teilanfechtungsklage, zu verfolgen, da der Ausspruch zum Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht als begünstigender Verwaltungsakt zu verstehen ist, der ein ohnehin bestehendes gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot befristet, sondern als belastender Verwaltungsakt, der im Einzelfall ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnet, vgl. BVerwG, Urt. v. 25.7.2017, 1 C 10/17, juris Rn. 23; Urt. v. 21.8.2018, 1 C 21/17, BVerwGE 162, 382, Rn. 20),

22

- mit einem zweiten Hauptantrag die Abschiebungsandrohung in Nr. 4 des Bescheids vom 26. Oktober 2018 aufzuheben (die Aufhebung des Bescheids, soweit er einer Schutzgewährung durch Flüchtlingseigenschaft, subsidiären Schutz oder Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots entgegensteht, schließt auch die Aufhebung einer Abschiebungsandrohung ein, da sie mit der Verpflichtung zur Schutzgewährung nicht in Übereinstimmung zu bringen ist).

IV.

23

Die so ausgelegte zulässige Klage ist in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung unbegründet im Hauptantrag betreffend Flüchtlingseigenschaft sowie im erstrangigen Hilfsantrag betreffend subsidiären Schutz (hierzu unter 1.), aber begründet im zweitrangigen Hilfsantrag betreffend ein nationales Abschiebungsverbot (hierzu unter 2.), so dass über den drittrangigen Hilfsantrag nicht zu entscheiden ist. Begründet ist die Klage zudem im weiteren Hauptantrag betreffend die Abschiebungsandrohung (hierzu unter 3.).

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1. Im Hauptantrag, die Beklagte unter Aufhebung von Nr. 1 des Bescheids vom 26. Oktober 2018 zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu verpflichten, sowie im erstrangigen Hilfsantrag, die Beklagte unter Aufhebung von Nr. 2 des Bescheids vom 26. Oktober 2018 zur Zuerkennung subsidiären Schutzes zu verpflichten, ist die Verpflichtungsklage unbegründet. Nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO spricht, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Die Voraussetzungen liegen nicht zugunsten des Klägers vor. Zwar hat die Beklagte den Asylantrag des Klägers zu Unrecht in der Sache beschieden (hierzu unter a)). Doch verletzt dies keine Rechte des Klägers (hierzu unter b)).

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a) Die Beklagte hat unter Nr. 1 und 2 des Bescheids vom 26. Oktober 2018 den Asylantrag des Klägers zu Unrecht in der Sache beschieden. Diesen Asylantrag hatte der Kläger nach § 13 Abs. 2 Satz 2 AsylG auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkt, der nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie subsidiären Schutzes umfasst. Diesen Asylantrag hat die Beklagte nach Prüfung in der Sache abgelehnt, obwohl die Voraussetzungen einer behördlichen Sachentscheidung nicht gegeben sind. Sie hätte den Asylantrag nicht als unbegründet, sondern als unzulässig ablehnen müssen. Dies folgt aus § 29 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 AsylG. Danach ist ein Asylantrag dann unzulässig, wenn im Fall eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Stellt der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag), so ist gemäß § 71a Abs. 1 Halbs. 1 AsylG ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Die Prüfung obliegt nach § 71a Abs. 1 Halbs. 2 AsylG dem Bundesamt. Sicherer Drittstaat ist nach § 26a Abs. 2 AsylG insbesondere Schweden als Mitgliedstaat der Europäischen Union. Der vom Kläger am 22. Februar 2017 bei der Beklagten gestellten Asylantrag ist ein Zweitantrag, weil der Kläger nach eigenem Vortrag sowie nach Mitteilung Schwedens (Migrationsverket) zuvor dort erfolglos ein Asylverfahren durchlaufen hat. Dieser Zweitantrag führt nach § 71a Abs. 1 Halbs. 1 AsylG nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens, da bereits kein nach § 51 Abs. 1 VwVfG erforderlicher Wiederaufgreifensgrund dargelegt ist.

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b) Die behördliche Ablehnung des Asylantrags als unzulässig statt als unbegründet verletzt keine subjektiven Rechte des Klägers, die er mit der Verpflichtungsklage geltend gemacht werden könnte. Das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, wird nach der verallgemeinerungsfähigen Begriffsbestimmung des § 194 Abs. 1 BGB als Anspruch bezeichnet. Da es sich bei Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. subsidiären Schutzes nach allen Anspruchsgrundlagen in §§ 3, 4, 26 Abs. 5 AsylG um eine gebundene Entscheidung ohne behördlichen Entscheidungsspielraum auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite ankommt, bleibt die Bescheidungsklage als Unterfall der Verpflichtungsklage nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO hier außer Betracht. Mit der Vornahmeklage als Unterfall der Verpflichtungsklage nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO wird der Anspruch auf Erlass eines begehrten Verwaltungsaktes geltend gemacht. Streitgegenstand der Vornahmeklage ist nicht die Rechtmäßigkeit des versagenden Bescheides, sondern allein der dem Kläger zustehende Anspruch auf Erlass des begehrten Verwaltungsaktes (BVerwG, Urt. v. 4.12.2014, 4 C 33/13, BVerwGE 151, 36, Rn. 18; Schübel-Pfister, in Eyermann, 15. Aufl. 2019, VwGO, § 113 Rn. 40; Riese, in Schoch/Schneider/Bier/Riese, 38. EL Januar 2020, VwGO, § 113 Rn. 208). Die Vornahmeklage hat nur dann in der Sache Erfolg, wenn nach dem materiellen Recht der geltend gemachte Anspruch auf Erlass des begehrten Verwaltungsaktes besteht. Zum Erfolg der Klage im Hauptantrag bzw. erstrangigen Hilfsantrag müsste der Kläger von der Beklagten den Erlass eines Bescheids beanspruchen können, mit dem sie ihm die Flüchtlingseigenschaft bzw. subsidiären Schutz zuerkennt. Weder der eine noch der andere dieser Ansprüche bestehen jedoch. Der Kläger kann von der Beklagten keinen internationalen Schutz beanspruchen, die Beklagte darf ihm keinen internationalen Schutz gewähren. Die Beklagte hat nicht einmal ein neues Asylverfahren durchführen dürfen, sondern den internationalen Schutz umfassenden Asylantrag als unzulässig ablehnen müssen (s.o. a)).

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2. Im zweitrangigen Hilfsantrag, die Beklagte unter Aufhebung von Nr. 3 des Bescheids vom 26. Oktober 2018 zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots hinsichtlich Afghanistans zu verpflichten, ist die Verpflichtungsklage hingegen nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO begründet. Die behördliche Ablehnung der Feststellung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Denn nach dem anzulegenden Maßstab (hierzu unter b)) kann der Kläger die begehrte Feststellung beanspruchen (hierzu unter b)).

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a) Das Bundesamt hat vorliegend festzustellen, ob ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt. Es handelt sich um einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Schutz mit mehreren Anspruchsgrundlagen (BVerwG, Urt. v. 29.6.2015, 1 C 2/15, NVwZ-RR 2015, 790, juris Rn. 14). In Entscheidungen über unzulässige Asylanträge ist nach § 31 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 AsylG festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Ein unzulässiger Asylantrag ist nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 AsylG gegeben, da im vorliegenden Fall eines Zweitantrags nach § 71a AsylG kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist (s.o. 1. a)). Das Bundesamt hat sich bei Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Folgeanträgen oder Zweitanträgen zumindest insoweit sachlich mit einem Schutzbegehren zu befassen, wie nach § 31 Abs. 3 AsylG in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen ist, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen (BVerwG, Urt. v. 14.12.2016, 1 C 4/16, BVerwGE 157, 18, Rn. 20).

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Dass die Prüfung eröffnet ist, beantwortet zwar noch nicht die Frage, ob die Prüfung präjudiziert ist durch vorangegangene behördliche Entscheidungen oder die Prüfung stets unabhängig vom Vorliegen der Wiederaufgreifensvoraussetzungen ist. Die Vorschrift des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG gibt den Prüfungsmaßstab nicht an (VG Hamburg, Beschl. v. 16.3.2020, 17 AE 1084/20, juris Rn. 31; VG Sigmaringen, Urt. v. 10.3.2017, 3 K 3493/15, juris Rn. 44). Doch fehlt es vorliegend – wie grundsätzlich in Fällen eines unzulässigen Zweitantrags – an einem Bescheid des Bundesamtes, der mit Bindungswirkung das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG im Hinblick auf eine Abschiebung in das Herkunftsland festgestellt hätte. Insoweit können die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht nach Maßgabe der Vorgaben für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 VwVfG geprüft werden (zumindest in der Formulierung zu weitgehend deshalb VG Hamburg, Urt. v 12.6.2020, 8 A 486/17, http://www.rechtsprechung-hamburg.de/jportal/portal/page/bsharprod.psml?showdoccase=1&doc.id=MWRE200002599&st=ent). Es verbleibt bei der Prüfung der § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG, die durch keinen vorfindlichen Verwaltungsakt präjudiziert ist.

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b) Die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots liegen hier nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer drohenden unmenschlichen Behandlung im Zielstaat der Abschiebung (hierzu unter aa)) ausgehend von den allgemeinen humanitären Verhältnisse in Afghanistan (hierzu unter bb)) und den dazu von der Kammer entwickelten Grundsätzen (hierzu unter cc)) zugunsten des Klägers vor (hierzu unter dd)).

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aa) Ein Ausländer darf gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Zu prüfen sind insoweit lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen (BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, BVerwGE 146, 12, juris Rn. 35). Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung i.S.d. Art. 3 EMRK droht (BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, a.a.O., Rn. 36). Nach dieser Vorschrift darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

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Die Abschiebung durch einen Konventionsstaat kann dessen Verantwortlichkeit nach der Konvention begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land abzuschieben (EGMR, Urt. v. 7.7.1989, Nr. 1/1989/161/217, NJW 1990, 2183 Rn. 90 f. – Soering/Vereinigtes Königreich; Urt. v. 28.2.2008, Nr. 37201/06, NVwZ 2008, 1330 Rn. 125 – Saadi/Italien). Erforderlich ist nach Art. 3 EMRK eine konkrete Gefahr („real risk“) der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung (EGMR, Urt. v. 17.7.2008, Nr. 25904/07, juris Rn. 40 – NA/Vereinigtes Königreich). Dies entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, BVerwGE 146, 67, juris Rn. 32 m.w.N.), d.h. der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Beschl. v. 19.3.2014, 10 B 6/14, NVwZ 2014, 1039, juris Rn. 9).

33

Auch wenn schlechte humanitäre Bedingungen nicht auf das Handeln eines verantwortlichen Akteurs zurückgeführt werden, können sie dennoch als Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein, wenn ganz außerordentliche individuelle Umstände hinzutreten. Erforderlich ist zwar keine Extremgefahr i.S.d. Rechtsprechung zu § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG (BVerwG, Beschl. v. 8.8.2018, 1 B 25/18, NVwZ 2019, 61, juris Rn. 13). Doch müssen die gegen die Abschiebung sprechenden Gründe „zwingend“ sein (EGMR, Urt. v. 28.6.2011, Nr. 8319/07 und Nr. 11449/07, NVwZ 2012, 681, Rn. 280; BVerwG, Urt. v. 4.7.2019, 1 C 45/18, InfAuslR 2019, 455, juris Rn. 12; Urt. v. 13.6.2013, 10 C 13/12, BVerwGE 146, 12, juris Rn. 24 f.; VGH München, Urt. v. 6.7.2020, 13a B 18.32817, Rn. 42; OVG Lüneburg, Urt. v. 29.1.2019, 9 LB 93/18, juris Rn. 51; VGH Mannheim, Urt. v. 3.11.2017, a.a.O., Rn. 169).

34

Dabei können Ausländer aus der Konvention kein Recht auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen (EGMR, Urt. v. 27.5.2008, Nr. 26565/05, NVwZ 2008, 1334 Rn. 42 – N/Vereinigtes Königreich; vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, a.a.O., Rn. 23). Maßgeblich ist die Fähigkeit des Betroffenen, im Zielgebiet elementare Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu decken, die Verletzlichkeit durch Misshandlungen und die Aussicht auf Verbesserung innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens (EGMR, Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/09, NVwZ 2011, 413, Rn. 254 – M.S.S./Belgien und Griechenland; Urt. v. 28.6.2011, Nr. 8319/07 und Nr. 11449/07, NVwZ 2012, 681, Rn. 283 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich; daran anknüpfend VGH Mannheim, Urt. v. 3.11.2017, A 11 S 1704/17, juris Rn. 168; Urt. v. 24.7.2013, A 11 S 697/13, juris Rn. 80). Darauf abzustellen ist, ob sich die betroffene Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (zur Parallelvorschrift Art. 4 GRCh: EuGH, Urt. v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 89 ff.; Urt. v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 92 ff.). Die Annahme einer unmenschlichen Behandlung durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen setzt danach ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraus (VGH München, Beschl. v. 30.9.2015, 13a ZB 15.30063, juris Rn. 5), das nur unter strengen Voraussetzungen erreicht wird (OVG Münster, Beschl. v. 13.5.2015, 14 B 525/15.A, juris Rn. 15). Kann der Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und sich damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren, rechtfertigt Art. 3 EMRK keinen Abschiebungsschutz (BVerwG, Beschl. v. 25.10.2012, 10 B 16/12, InfAuslR 2013, 45, juris Rn. 10). Bei entsprechenden Rahmenbedingungen können schlechte humanitäre Verhältnisse eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führt. Hierbei sind indes eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und nicht zuletzt die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen u.s.w. (VGH Mannheim, Urt. v. 3.11.2017, a.a.O., Rn. 172).

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Hinsichtlich der Gefahrprognose ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (EGMR, Urt. v. 28.6.2011, a.a.O., Rn. 265, 301, 309; BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, BVerwGE 146, 12, juris Rn. 26). Dieser Ort ist im Fall einer Abschiebung nach Afghanistan Kabul (VGH Mannheim, Urt. v. 3.11.2017, a.a.O., Rn. 192 f.).

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Die vorausgesetzten individuellen Umstände können auch solche sein, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden (VGH Mannheim, Urt. v. 3.11.2017, a.a.O., Rn. 171 unter Bezugnahme auf EGMR, Urt. v. 13.12.2016, Nr. 41738/10, NVwZ 2017, 1187 Rn. 187, 189 – Paposhvili/Belgien), so dass eine ganze Bevölkerungsgruppe betroffen ist (VGH München, Urt. v. 23.3.2017, 13a B 17.30030, AuAS 2017, 175, juris Rn. 15). Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG hinsichtlich allgemeiner Gefahren steht nicht entgegen. Gemäß dieser Vorschrift sind Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nur bei Anordnungen der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG über die Aussetzung der Abschiebung zu berücksichtigen. Diese Sperrwirkung wird in verfassungskonformer Anwendung nur durchbrochen im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, wenn er bei Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre (BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, BVerwGE 146, 12 Rn. 38). Weder nach Wortlaut noch Sinn und Zweck findet der im Rahmen des § 60 Abs. 7 AufenthG zu prüfende Satz 6 indessen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK Anwendung. Verstieße eine Abschiebung völkerrechtlich gegen Art. 3 EMRK, führt dies nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu einem Abschiebungsverbot, selbst wenn damit einer allgemeinen Gefahr begegnet wird. Es bedarf keiner Durchbrechung einer grundsätzlichen Sperrwirkung nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG. Dieses Verständnis liegt auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerwG, Beschl. v. 8.8.2018, a.a.O.) zugrunde, die im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG keine Extremgefahr verlangt, wie sie zur Durchbrechung der Sperrwirkung für allgemeine Gefahren im Rahmen des § 60 Abs. 7 AufenthG erforderlich wäre.

37

Bei familiärer Lebensgemeinschaft ist für jedes Familienmitglied gesondert zu prüfen, ob ein nationales Abschiebungsverbot vorliegt (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019, 1 C 45/18, InfAuslR 2019, 45, juris Rn. 15, 16, 19). Jedoch ist für die Prognose der bei einer Rückkehr drohenden Gefahren bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder) im Familienverband in ihr Herkunftsland zurückkehrt. Von einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband ist für die Rückkehrprognose im Regelfall auch dann auszugehen, wenn einzelnen Familienmitgliedern bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist.

38

bb) Nach Angaben des Auswärtigen Amtes ist Afghanistan nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Das rapide Bevölkerungswachstum mache es dem afghanischen Staat nahezu unmöglich, alle Grundbedürfnisse der gesamten Bevölkerung angemessen zu befriedigen und ein Mindestmaß an sozialen Dienstleistungen, etwa im Bildungsbereich, bereitzustellen. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes bleibe zudem geprägt von der schwierigen Sicherheitslage sowie schwacher Investitionstätigkeit. Die Schaffung von Arbeitsplätzen sei eine zentrale Herausforderung für Afghanistan und der Anteil formaler Beschäftigungsverhältnisse extrem gering. Vor diesem Hintergrund sei die Grundversorgung für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, was in besonderem Maße für Rückkehrer gelte. Darüber hinaus träten Dürre, Überschwemmungen oder extreme Kälteeinbrüche regelmäßig auf. Dürren der vergangenen Jahre hätten dazu beigetragen, dass ca. zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren als akut unterernährt gälten. Eine medizinische Versorgung in rein staatlicher Verantwortung finde kaum bis gar nicht statt. Insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie zeigten sich Unterfinanzierung und Unterentwicklung des öffentlichen Gesundheitssystems. Zwar sei die medizinische Grundversorgung nach der Verfassung für alle Staatsangehörigen kostenlos. Die Verfügbarkeit und die Qualität der Grundbehandlung sei jedoch mangels gut ausgebildeter Ärzte und Assistenzpersonal, mangels Verfügbarkeit von Medikamenten, aufgrund schlechten Managements sowie schlechter Infrastruktur begrenzt und deshalb ebenfalls korruptionsanfällig. Viele Afghanen suchten daher, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten für Diagnose und Behandlung variierten stark und müssten von den Patienten komplett selbst getragen werden. Daher sei die Qualität der Gesundheitsversorgung stark einkommensabhängig. Insbesondere Rückkehrern werde die Reintegration stark erschwert, wenn sie lange Zeit im Ausland gelebt oder Afghanistan mit der gesamten Familie verlassen hätten, da es in diesem Fall wahrscheinlich sei, dass lokale Netzwerke nicht mehr existierten oder der Zugang zu diesen erheblich erschwert sei. Der Mangel an Arbeitsplätzen stelle für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar, da der Zugang zum Arbeitsmarkt maßgeblich von lokalen Netzwerken abhänge (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 16.7.2020, Stand: Juni 2020, S. 4, 22 ff.).

39

Im Hinblick auf den Zugang zu Unterkunft, grundlegender Infrastruktur und grundlegender Versorgung, hebt das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen die Bedeutung sozialer Netzwerke hervor, die bereit und trotz der prekären humanitären Lage zur Unterstützung fähig sind (UNHCR-Richtlinie zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 30.8.2018, S. 124 f.). Nach einem Bericht des European Asylum Support Office (EASO Country of Origin Information Report, Afghanistan Networks, Februar 2018) sei der afghanische Staat schwach sowie Netzwerke und nicht der Staat seien entscheidend für die Sicherheit, den Schutz, die Unterstützung und die Pflege vulnerabler Personen. Die Treue zu Familie, Clan und örtlichen Anführern sei stärker als die Bindung an den Staat oder die Behörden. Die erweiterte Familie sei die Grundsäule der afghanischen Gesellschaft. Die wechselseitige Verpflichtung zu Hilfe und Unterstützung innerhalb der erweiterten Familie sei stark (S. 13). Nach der patrilinearen Gesellschaftsstruktur Afghanistans gehörten Kinder zur Familie ihres Vaters. Die Familie der Mutter könne aber zum individuellen Netzwerk gehören (S. 14). Das ethnische Zugehörigkeitsgefühl sei stark (S. 16). Allein aufgrund der gleichen ethnischen Zugehörigkeit könne jedoch keine Unterstützung erwartet werden (S. 16 f.). Ein Zugang zum Arbeitsmarkt sei ein entscheidender Faktor für eine erfolgreiche Wiedereingliederung. Dieser sei herausfordernd und die Arbeitslosenquote sei hoch. Auch für die Hochgebildeten und gut Qualifizierten sei es schwer, ohne Netzwerk oder Empfehlung einen Arbeitgeber zu finden. Vetternwirtschaft sei weit verbreitet und die meisten höheren Positionen in Verwaltung und Gesellschaft würden auf Grundlage von Beziehungen oder Bekanntschaft vergeben. Aus Sicht eines Arbeitgebers sei es praktisch, jemanden aus dem eigenen Netzwerk anzustellen, weil er genau wisse, was er bekomme. Der Schlüssel, um eine Beschäftigung zu erlangen, liege in den persönlichen Beziehungen und Netzwerken, denen Arbeitgeber mehr Wert beimessen als formalen Qualifikationen (S. 27 f.).

40

Infolge der weltweiten Corona-Pandemie hat sich diese prekäre humanitäre Lage in Afghanistan weiter verschärft.

41

Die COVID-19-Pandemie führt insbesondere zu einer weiteren Anspannung des auch vorher schon hart umkämpften Arbeitsmarktes in Afghanistan. Während sich der landwirtschaftliche Sektor aufgrund guter Witterungsbedingungen positiv entwickelt habe, seien der Industrie- und der Dienstleistungssektor aufgrund des Lockdowns und der Grenzschließungen stark eingebrochen (World Bank Group, Surviving the Storm, Juli 2020, S. II, 3, nachfolgend: „World Bank Group 2020“). Aufgrund des Lockdowns der Innenstädte könnten hunderttausende Pendler, Händler und Tagelöhner kein Einkommen mehr generieren (Konrad Adenauer Stiftung, Die COVID-Krise in Afghanistan: Welche Auswirkungen auf die humanitäre und politische Lage?, Stand: Juli 2020, S. 5, nachfolgend: „KAS 2020“). Zwei Drittel der Einkommen in den afghanischen Städten würde von Berufsgruppen, wie Einzelhändlern, Tagelöhnern, Bauarbeitern, Landwirtschaftshelfern oder Personaldienstleistern, erzielt, die besonders sensibel auf den pandemiebedingten Lockdown sowie dessen Auswirkungen reagierten. Ärmere Haushalte seien gezwungen, die Quantität und die Qualität ihrer Nahrung zu verringern, da es ihnen aufgrund ihres geringen Ausgangsniveaus nicht mehr möglich sei, ihren Verbrauch weiter zu reduzieren oder mangels Kreditwürdigkeit einen Kredit aufzunehmen. Dies könne insbesondere bei Kindern zu negativen Langzeitwirkungen führen (World Bank Group 2020, S. 20, 23). Humanitäre Hilfsorganisationen seien insbesondere besorgt über die Auswirkungen des Lockdowns auf vulnerable Personen, wie behinderte Menschen und Familien, die abhängig vom Tagelohn seien (OCHA, Afghanistan: COVID-19 Multi Sectoral Response, 22.7.2020, S. 1). Die insgesamt drastischen Einkommensverluste sowie ein wahrgenommener Anstieg der Kriminalität führten dazu, dass sich viele Branchen ohne Zugang zu ausländischer Unterstützung nur langsam von der wirtschaftlichen Krise würden erholen können (KAS 2020, S. 7).

42

Über die unmittelbaren Auswirkungen des Lockdowns hinaus werde der afghanische Arbeitsmarkt durch die anhaltende Rückkehr afghanischer Gastarbeiter und Flüchtlinge insbesondere aus dem Iran, aber auch aus Pakistan, strapaziert. Seit Beginn der COVID-19-Pandemie habe sich die Rückkehr bzw. die Abschiebung aus dem Iran besonders problematisch entwickelt (KAS 2020, S. 4). Die Anzahl der Rückkehrer aus dem Iran sei weiterhin auf einem hohen Stand – in den ersten vier Monaten 2020 seien 271.000 Afghanen aus dem Iran zurückgekehrt, im Jahr 2019 insgesamt 485.000 und 2018 775.000 (Lagebericht 2020, S. 18, 24). Diese fortdauernde Rückkehr führe ebenfalls zu einem Anstieg der Lebenshaltungskosten sowie zu einem erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt (Lagebericht 2020, S. 18).

43

Der internationale Lockdown habe in Afghanistan außerdem zu einer aktuellen Nahrungsmittelkrise geführt, die einem Einkommensausfall vieler Haushalte bei gleichzeitig gestiegenen Lebensmittelpreisen folge (KAS 2020, S. 5; s.a. OCHA, COVID-19 Multi Sector Humanitarian Country Plan Afghanistan, 24.3.2020, S. 6 f; BAMF, Briefing Notes, 20.7.2020, S. 2). Die Preise einiger Grundnahrungsmittel seien im ersten Halbjahr 2020 um bis zu 20 % gestiegen (World Bank Group 2020, S. II, siehe im Einzelnen zu den Nahrungsmittelpreisen: OCHA, Afghanistan: COVID-19 Sectoral Response, 22.7.2020; World Food Programme, Afghanistan Countrywide Weekly Market Price Bulletin, 29.7.2020).

44

Die Armutsrate werde infolgedessen vermutlich auf bis zu 72 % ansteigen, da die Einkommen bei steigenden Nahrungsmittelpreisen fielen (World Bank Group 2020, S. II). International wird dabei die Armutsgrenze bei verfügbaren 1,90 USD pro Person und Tag gezogen (OCHA, Humanitarian Needs Overview 2020, Dezember 2019, S. 9). Die COVID-19-Krise werde sich auch ernsthaft und nachhaltig auf Afghanistans Wirtschaft auswirken. Insgesamt werde erwartet, dass auch das Brutto-Inlandsprodukt von Afghanistan aufgrund der COVID-19-Pandemie um bis zu 7,4 % sinken werde. Es werde mittelfristig unterhalb des Niveaus vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie bleiben (World Bank Group 2020, S. IV, 18, 15). Eine Erholung der Volkswirtschaft werde erwartungsgemäß mehrere Jahre andauern und sei nicht vor 2023 oder 2024 zu erwarten (World Bank Group 2020, S. 15). Diese wirtschaftliche Rezession führe zu einer weiteren Belastung der privaten Haushalte (Lagebericht 2020, S. 22). Infolgedessen werde die Nachfrage für Konsumgüter und Dienstleistungen weiter stark reduziert (World Bank Group 2020, S. 3). Auch die mit der Pandemie verbundenen Grenzschließungen seien für die afghanische Wirtschaft und die humanitäre Lage einschneidend (KAS 2020, S. 3).

45

Rückkehrer könnten allerdings von anfänglichen Unterstützungsmaßnahmen seitens des Bundes, internationaler Organisationen sowie des afghanischen Staates profitieren (vgl. im Einzelnen Auswärtiges Amt, Lagebericht 2020, S. 24; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, Stand: August 2017, S. 17 ff.), wobei die tatsächliche Inanspruchnahme der Hilfsangebote vor Ort aufgrund technischer und bürokratischer Hürden sowie der Befürchtung, als Rückkehrer identifiziert zu werden, offenbar begrenzt ist (Asylos, Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, S. 26 f.; s.a. VGH Mannheim, Urt. v. 16.10.2017, A 11 S 512/17, juris Rn. 284, 295, m.w.N.).

46

cc) Das erkennende Gericht geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Kammer (VG Hamburg, Urt. v. 7.8.2020, 1 A 3562/17, juris Rn. 53 ff.) für die im Einzelfall unter Würdigung aller Umstände zu erstellende Gefahrenprognose von folgenden Grundsätzen aus:

47

Dem Rückkehrer nach Afghanistan droht dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche Behandlung, wenn er sein Existenzminimum an Nahrung, Hygiene und Unterkunft voraussichtlich nicht zu sichern vermag, da er weder allein die zur Befriedigung dieser elementaren Bedürfnisse notwendigen Beziehungen aufbauen könnte noch hinreichend von einem bereits vorhandenen Netzwerk unterstützt würde.

48

Eine Existenzsicherung ohne bereits vorhandenes Netzwerk setzt grundsätzlich voraus:

49

Zum einen muss der Rückkehrer volljährig, gesund, arbeitsfähig und – ausgehend von den sozialen Gegebenheiten des Zielstaats – männlichen Geschlechts sein sowie eine Landessprache (Dari/Farsi oder Paschto) hinreichend verstehen und sprechen. Diese Voraussetzungen entsprechen im Wesentlichen der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. VGH München, Urt. v. 6.7.2020, 13a B 18.32817, juris Rn. 47; VGH Mannheim, Urt. v. 29.11.2019, A 11 S 2376/19, juris Rn. 111; VGH Kassel, Urt. v. 23.8.2019, 7 A 2750/15.A, juris Rn. 50; OVG Münster, Urt. v. 18.6.2019, 13 A 3930/18.A, juris Rn. 198; OVG Lüneburg, Urt. v. 29.1.2019, 9 LB 93/18, juris Rn. 55; auch VG Freiburg, Urt. v. 19.5.2020, A 8 K 9604/17, juris Rn. 40 ff.).

50

Zum anderen bedarf es, um die Erwartung zu tragen, dass der Rückkehrer sich aus eigener Kraft durchsetzen wird, nach Überzeugung der Kammer zusätzlicher Umstände. Auf dem Land (im ruralen Raum) bedarf er zur Existenzsicherung eines ihm zur Bewirtschaftung zur Verfügung stehenden Landbesitzes. In den Großstädten (im urbanen oder semi-urbanen Raum) muss er sich auf dem infolge der COVID-19-Pandemie besonders umkämpften Wohnungs- und Arbeitsmarkt allein behaupten und dafür notwendige Beziehungen knüpfen können.

51

Dabei folgt die Kammer nicht der Regel, dass eine Existenzsicherung nur dann zu erwarten wäre, wenn der Rückkehrer über erhebliche eigene finanzielle Mittel verfügt oder zu erwarten ist, dass er von Dritten erhebliche nachhaltige finanzielle oder andere materielle Unterstützung erhält (so nun VG Hamburg, GB v. 10.8.2020, 4 A 7929/17, n.v., unter Bezugnahme auf: VG Hannover, Urt. v. 9.7.2020, 19 A 11909/17, juris Rn. 44 ff.; VG Cottbus, Urt. v. 3.9.2020, 3 K 1599/16.A, juris Rn. 43; Urt. v. 29.5.2020, 3 K 633/20.A, juris Rn. 53; VG Freiburg, Urt. v. 22.5.2020, A 10 K 573/17, asylnet, S. 10; VG Karlsruhe, Urt. v. 15.5.2020, A 19 K 16467/17, juris Rn. 107; VG Düsseldorf, GB v. 5.5.2020, 21 K 19075/17.A, juris Rn. 271 ff.).

52

Fehlt dem Rückkehrer allerdings eine vollständige Sozialisation im heimischen Kulturkreis (der mindestens Afghanistan und den sprachlich sowie religiös-politisch verwandten Iran umfasst), weil er aus diesem Kulturkreis noch minderjährig ausgereist ist, kann eine Durchsetzungsfähigkeit grundsätzlich nicht angenommen werden. In diesem Fall kann ausgehend von der überragenden Wichtigkeit von Beziehungen für den Zugang zu Erwerbsmöglichkeiten und Obdach die Fähigkeit, ohne vorhandenes Netzwerk vor Ort die erforderlichen Beziehungen zu knüpfen, nicht unterstellt werden. Etwaige Rückkehrhilfen und humanitäre Hilfen ermöglichen einen gewissen zeitlichen Aufschub der zu befürchtenden Verelendung, vermindern die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts aber nur unwesentlich (insoweit VG Hannover, Urt. v. 9.7.2020, a.a.O., Rn. 45 ff.). Ausnahmsweise kann eine Durchsetzungsfähigkeit angenommen werden z.B. aufgrund besonderer Vermögenswerte, besonderer Ressourcen, besonderer Fertigkeiten, besonderen organisatorisches, strategisches und menschliches Geschicks (vgl. hierzu VGH Mannheim, Urt. v. 29.11.2019, a.a.O., Rn. 113) oder einer besonderen Robustheit im Umgang mit roher Gewalt, wie sie das Verhalten des Rückkehrers im heimischen Kulturkreis oder im Gastland belegt (vgl. hierzu VG Hamburg, Urt. v. 30.1.2020, 1 A 886/19, n.v., in Deutschland aufgewachsener Intensivtäter).

53

Verfügt der (volljährige, gesunde, arbeitsfähige, männliche, eine Landessprache sprechende) Rückkehrer indessen über eine vollständige Sozialisation im heimischen Kulturkreis und hat dort wirtschaftlich und sozial auf eigenen Beinen gestanden, so ist seine Durchsetzungsfähigkeit grundsätzlich dann anzunehmen, wenn aus Art und Weise der in der Vergangenheit im heimischen Kulturkreis gezeigten Existenzsicherung gefolgert werden kann, dass ihm eine Existenzsicherung in der Zukunft auch ohne bereits vorhandenes Netzwerk und auch unter Berücksichtigung der Folgen der COVID-19-Pandemie erneut gelingen wird. Anknüpfen kann diese Erwartung z.B. an eine im heimischen Kulturkreis in der Vergangenheit entfaltete unternehmerische Aktivität, vielfältige erfolgreiche Erwerbstätigkeiten oder die gezeigte Fähigkeit, hohe finanzielle Mittel aufzubringen. Dass jedem Rückkehrer unabhängig von bereits vorhandenen Erfahrungen, Fähigkeiten oder Fertigkeiten die Verelendung drohen würde, kann nicht angenommen werden. Es gibt keine dahingehende Studie, die hinsichtlich der Anzahl der Untersuchten im Verhältnis zur Gesamtzahl der Rückkehrer aus dem westlichen Ausland belastbar wäre (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.12.2019, 9 LA 452/19, juris Rn. 15). Wer im heimischen Kulturkreis bereits das Leben eines Erwachsenen geführt und in der Vergangenheit vergleichbare Herausforderungen gemeistert hat, wie diejenigen, denen er sich gegenwärtig bei einer Rückkehr stellen müsste, wird voraussichtlich daran anknüpfen können.

54

Eine Existenzsicherung mit Hilfe eines Netzwerks ist wie folgt zu prüfen:

55

Der spezifische Bedarf, d.h. in welcher Hinsicht und in welchem Umfang ein Rückkehrer auf Unterstützung durch ein Netzwerk angewiesen ist, kann grundsätzlich ausgehend davon bestimmt werden, welche Umstände fehlen, dass er nicht ohne Netzwerk seine Existenz zu sichern vermag. Ein spezifischer Unterstützungsbedarf kann z.B. auf Krankheit, Behinderung, hohem Alter, fehlenden Sprachkenntnissen, fehlenden Erfahrungen auf dem afghanischen Arbeitsmarkt, einer fehlenden vollständigen Sozialisation beruhen.

56

Der so ermittelte Unterstützungsbedarf muss voraussichtlich durch ein vorfindliches Netzwerk vor Ort gedeckt werden. Die Aufnahmefähigkeit und -bereitschaft des Netzwerks sind nach den zur Verfügung stehenden sachlichen Mitteln und personalen Mitteln zu beurteilen. In Betracht kommt insbesondere, welche Unterstützungsleistungen das Netzwerk in der Vergangenheit geleistet hat und in welcher Weise sich die Ressourcen des Netzwerks verändert haben.

57

Für in realitätsnaher Betrachtung allein zurückkehrende Frauen oder gemeinsam mit minderjährigen Kindern zurückkehrende Eltern steht eine Existenzsicherung ohne bereits vor Ort vorhandenes, zur Aufnahme fähiges und bereites Netzwerk grundsätzlich nicht zu erwarten. Der von diesem Netzwerk zu deckende Unterstützungsbedarf gemeinsamer Rückkehrer ist grundsätzlich vielfältiger und umfangreicher als bei alleinigen Rückkehrern und hängt auch von Anzahl und Alter der Kinder ab.

58

dd) Vor diesem Hintergrund ist das Gericht davon überzeugt, dass den Klägern in Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK droht. Sie würden bei Rückkehr nach Afghanistan ihr Existenzminimum an Nahrung, Hygiene und Unterkunft voraussichtlich nicht sichern können.

59

Seine Existenz vermöchte er nicht allein ohne Netzwerk vor Ort sichern. Zwar ist der Kläger volljährig, männlich sowie der Landessprache Dari mächtig. Doch kann bereits dahinstehen, ob der Kläger gesund und arbeitsfähig ist. Jedenfalls fehlt es an zusätzlich zu fordernden Umständen, aufgrund derer erwartet werden könnte, dass der Kläger die zur Existenzsicherung notwendigen Beziehungen auch ohne vorfindliches Netzwerks knüpfen könnte. Eine Durchsetzungsfähigkeit in Afghanistan kann beim Kläger nicht angenommen werden, im Einzelfall unabhängig davon, ob er noch minderjährig und gerade bereits volljährig nach Europa ausgereist ist. Der Kläger ist nach Überzeugung des Gerichts, wenn schon nicht als Minderjähriger, allenfalls als Heranwachsender aus dem zum heimischen Kulturkreis zählenden Iran ausgereist. Er hat dort nicht das Leben eines Erwachsenen geführt, sondern als Kind seiner Herkunftsfamilie. Ressourcen, Fertigkeiten, Geschick oder Robustheit sind beim Kläger nicht in besonderer Weise ausgeprägt.

60

Das im Einzelfall vor Ort zur Unterstützung erforderliche Netzwerk würde der Kläger voraussichtlich nicht vorfinden. Familienangehörige im Nachbarland genügen insoweit nicht, um vor Ort in Afghanistan die für eine nachhaltige Existenzsicherung notwendigen Beziehungen zu knüpfen.

61

3. Im weiteren Hauptantrag ist die Klage nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO begründet. Die Abschiebungsandrohung in Nr. 4 des Bescheids vom 26. Oktober 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte ist wegen des nationalen Abschiebungsverbots nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG nicht zum Erlass einer Abschiebungsandrohung befugt.

V.

62

Die Kostenentscheidung beruht auf § 83b AsylG, § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Die Kostenteilung bei Teilobsiegen im Asylverfahren lehnt sich an die höchstrichterliche Rechtsprechung (BVerwG, Beschl. v. 29.6.2009, 10 B 60/08, juris Rn. 9) an. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 84 Abs. 1 Satz 3, 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 Satz 1 und 2 ZPO.

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