Urteil vom Verwaltungsgericht Koblenz (4. Kammer) - 4 K 504/15.KO

Tenor

Der Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses des Beklagten vom 12. Mai 2015 (Az.: 10/057-09-109/13) wird aufgehoben; im Übrigen wird das Verfahren eingestellt.

Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen; hiervon ausgenommen sind die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen einen Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses des Beklagten, mit dem ein an den Beigeladenen gerichteter Ausbaubeitrags-Vorausleistungsbescheid aufgehoben wurde.

2

Der Beigeladene ist Eigentümer des Grundstücks Flur 14, Flurstück Nr. .../10 in der Ortsgemeinde ... Mit Bescheid vom 23. August 2013 zog ihn die Klägerin zu einer Vorausleistung für den Ausbau der Verkehrsanlage „...“ in Höhe von 33.702,76 € heran. Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete der Beigeladene unter anderem damit, das Grundstück Flur 18, Flurstück Nr. .../11 sei nicht mit in die Oberflächenverteilung hereingenommen worden, obwohl diese Parzelle trotz des auf ihr vorhandenen Weihers mit einer Teilfläche bebaut werden könne.

3

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2015 hob der Kreisrechtsausschuss beim Beklagten den Vorausleistungsbescheid vom 23. August 2013 auf bei Kostenlast der Klägerin. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe zu Unrecht die Fläche der Parzelle Flur 18, Flurstück Nr. .../11 nicht berücksichtigt und damit die Höhe der Vorausleistungen nicht entsprechend den beitragsrechtlichen Vorgaben ermittelt. Dieses Grundstück sei mit seiner Größe von 7.439 m² gut zu bebauen, obwohl der vorhandene Weiher einen Großteil der Fläche einnehme. Hierbei handele es sich um ein künstliches Gewässer, dessen ursprüngliche Zweckbestimmung nicht mehr eindeutig nachzuvollziehen und damit die Wasserfläche nicht als naturgegebener Bestand anzunehmen sei. Ungeachtet der Frage einer nachträglichen Genehmigungsfähigkeit oder eines Bestandsschutzes könne der Grundstückseigentümer dessen ganze oder auch teilweise Beseitigung herbeiführen. In diesem Falle sei das Grundstück baulich nutzbar und aufgrund seiner Größe stelle sich die Frage einer nur unterwertigen Bebauung nicht. Sei die Parzelle Flur 18, Flurstück .../11 danach zumindest teilweise mit zu berücksichtigen, habe die Klägerin der Vorausleistungsberechnung einen fehlerhaften Beitragssatz zugrunde gelegt mit der Folge einer letztlich in fehlerhafter Höhe festgesetzten Vorausleistung. In Selbstverwaltungsangelegenheiten sei der Kreisrechtsausschuss nicht befugt, seine eigenen Erwägungen bei der Vorausleistungsbemessung insoweit an die Stelle der Klägerin zu setzen; soweit dieser ein Ermessensspielraum zustehe, sei der Vorausleistungsbescheid in Gänze aufzuheben. Insofern könne es dahinstehen, ob auch andere Gründe zur Aufhebung des Bescheides geführt hätten.

4

Die Klägerin hat am 12. Juni 2015 Klage erhoben, mit der sie zunächst die Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2015 und die Zurückweisung des Widerspruches insgesamt begehrt hat. Sie legt im Einzelnen ihre Rechtsauffassung dar, dass nach der Begründung des Widerspruchsbescheides der angefochtene Ausbaubeitrags-Vorausleistungsbescheid nur zum Teil hätte aufgehoben werden dürfen, und zwar in dem Umfang der Entlastung des Beigeladenen durch Einbeziehung der Parzelle .../11 in die Oberverteilung. Eine entsprechende Vergleichsberechnung habe dem Kreisrechtsausschuss vorgelegen. Die Frage der Beitragspflicht des genannten Grundstücks stehe nicht im Ermessen, sondern sei nach objektiven Kriterien zu entscheiden. Das Grundstück sei auch in beitragsrechtlich relevanter Weise baulich nutzbar.

5

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 27. August 2015 den Antrag auf Zurückweisung des Widerspruchs zurückgezogen und beantragt noch,

den Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2015 aufzuheben.

6

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Er hält die Klage sowohl für unzulässig als auch unbegründet. Die Klageschrift sei mit dem Zusatz „im Auftrag“ unterschrieben worden und nicht mit der Unterzeichnung „in Vertretung“. Mit dem Zusatz „i.A.“ gebe der Unterzeichner zu erkennen, dass er für den Inhalt der Rechtsbehelfsschrift keine Verantwortung übernehmen wolle und übernehme; er trete dem Gericht gegenüber nur als Erklärungsbote auf und eine Auslegung unter Heranziehung von Umständen außerhalb der Urkunde komme nicht in Betracht. Nach ständiger Rechtsprechung müsse der Unterzeichner einer Rechtsbehelfsschrift die volle Verantwortung für den Inhalt derselben übernehmen und dies müsse auch zum Ausdruck kommen. Damit sei die Klage nicht wirksam erhoben und eine Heilung des Mangels nach Ablauf der Rechtsmittelfrist nicht mehr möglich. Im Übrigen sei die Klage unbegründet, da das Grundstück Flur 18, Flurstück .../11 trotz seiner Bebaubarkeit nicht als beitragspflichtig gewertet worden und damit die Klägerin von einer fehlerhaften beitragspflichtigen Gesamtgrundstückfläche ausgegangen sei. Der danach rechtswidrige Ausbaubeitrags-Vorausleistungsbescheid sei folgerichtig vom Kreisrechtsausschuss aufgehoben worden.

8

Der Beigeladene, der auf das Stellen eines Klageabweisungsantrags verzichtet, beantragt,

seine, des Beigeladenen, Kosten der Klägerin aufzuerlegen.

9

Unter ausführlicher Darlegung im Einzelnen begründet er seine Ansicht, dass der Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2015 rechtmäßig sei.

10

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie einen Ordner und einen Hefter Verwaltungsakten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

12

Das Gericht kann über die vorliegende Klage gemäß § 101 Abs. 2 VwGO aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

13

Soweit die Klägerin ihre Klage hinsichtlich des Begehrens auf Zurückweisung des Widerspruchs mit Schriftsatz vom 27. August 2015 zurückgenommen hat, war das Verfahren nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Die Anfechtungsklage gegen den Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2015 ist zulässig und begründet.

14

Die Kammer geht zunächst entgegen der Rechtsansicht des Beklagten von einer wirksamen Klageerhebung aus. Diese wird nicht durch die Unterzeichnung der Klageschrift „im Auftrag“ durch den Sachbearbeiter der Klägerin gehindert. Denn für die Wirksamkeit einer Prozesshandlung wie der Klageerhebung ist es unerheblich, ob diese „in Vertretung“ oder „im Auftrag“ geschieht. Nach § 67 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 VwGO sind vertretungsbefugt als Bevollmächtigte vor dem Verwaltungsgericht unter anderem die Beschäftigten eines Beteiligten. Dies ist hier der Mitarbeiter der Klägerin, welcher die Klage – unter Wahrung der Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO – erhoben hat. Der die Klageschrift unterzeichnende Mitarbeiter der Klägerin ist zwar nicht deren Vertreter im Sinne von § 62 Abs. 3 VwGO. Dies spielt indes keine Rolle, da der in § 67 Abs. 2 VwGO gebrauchte Vertretungsbegriff nicht in einem materiell rechtlichen, sondern allein in einem prozessualen Sinne gemeint ist. Der Gesetzgeber hat sich für den Begriff der „Vertretung“ im Sinne der Prozessvertretung entschieden; mit dem hinzugefügten Kürzel „i.A.“ kennzeichnet ein Bediensteter der Klägerin lediglich, dass er im – behördeninternen – Auftrag und mithin in amtlicher Eigenschaft handelt (vgl. im Einzelnen Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 16. März 1993 – 4 B 253/92 –, und OVG Hamburg, Beschluss vom 25. Februar 2010 – IV Bf 59/09 Z –, jeweils juris).

15

Der Widerspruchsbescheid ist nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO zulässiger Gegenstand isolierter Anfechtung, da er durch Aufhebung des Ausbaubeitrags-Vorausleistungsbescheides vom 23. August 2013 eine erstmalige Beschwer für die Klägerin enthält.

16

Die zulässige Klage ist begründet, da der angefochtene Widerspruchsbescheid rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die erforderliche weitere Sachaufklärung nimmt ein Ausmaß an, das gemäß § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führt.

17

Die Rechtswidrigkeit des Widerspruchsbescheides folgt daraus, dass er den vom Beigeladenen im Widerspruchsverfahren angefochtenen Ausbaubeitrags-Vorausleistungsbescheid vom 23. August 2013 in Gänze aufhebt, obwohl vom rechtlichen Ausgangspunkt des Kreisrechtsausschusses her der Ausbaubeitrag lediglich in seiner Höhe fehlerhaft festgesetzt worden war mit der Folge eines nur teilweise erfolgreichen Widerspruchs.

18

Das Gericht hält auch aufgrund der Beratung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO an seiner im Hinweisschreiben vom 19. August 2015 geäußerten Rechtsansicht fest, dass der Kreisrechtsausschuss den angefochtenen Beitragsbescheid uneingeschränkt hätte überprüfen müssen. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist die Kammer auf die entsprechenden Ausführungen im genannten Schreiben:

19

„Auf eine eingeschränkte Überprüfungsbefugnis vermag sich der Kreisrechtsausschuss nicht zu berufen. Der Widerspruchsbescheid verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass „der Kreisrechtsausschuss in Selbstverwaltungsangelegenheiten nicht befugt ist, seine eigenen Erwägungen bei der Bemessung der Vorausleistungen insoweit an die Stelle der Widerspruchsgegnerin zu setzen, soweit ihr ein Ermessensspielraum zusteht“. Damit wird auf die Regelung des § 6 Abs. 2 Satz 1 AGVwGO Bezug genommen, wonach – in Abweichung von der grundsätzlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsaktes durch die Widerspruchsbehörde gemäß § 68 Absatz 1 Satz 1 VwGO – Verwaltungsakte, die von einer Gemeinde in Selbstverwaltungsangelegenheiten erlassen worden sind, vom Rechtsausschuss nur auf ihre Rechtmäßigkeit nachgeprüft werden können. Die hier streitigen Fragen betreffen aber gerade die Rechtmäßigkeit des Vorausleistungsbescheides, bei dem es sich auf der Grundlage der gemeindlichen Beschlüsse um einen gebundenen Verwaltungsakt handelt (§ 3 Absatz 1 Nr. 3 KAG i.V.m. § 85 AO). Es geht im Wesentlichen um die Beitragspflicht des Beigeladenen der Höhe nach. Diese hängt u. a. davon ab, mit welcher Fläche sein Grundstück veranlagt wird und welche anderen Grundstücke in die Oberverteilung einbezogen werden. Bei der Klärung dieser Fragen ist kein Ermessen auszuüben, das Raum für Zweckmäßigkeitserwägungen ließe.

20

Eine Beschränkung auf die bloße Aufhebung des Ausgangsbescheides widerspräche ferner dem im Widerspruchsverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatz. Dieser gebietet eine Aufklärung derjenigen entscheidungserheblichen Tatsachen und Umstände, die für eine abschließende Entscheidung notwendig sind. Eine faktische Zurückverweisung an die Ausgangsbehörde scheidet hiernach grundsätzlich aus. Dies gilt im vorliegenden Fall insbesondere deshalb, weil sich zahlreiche der von den Beteiligten angesprochenen Fragen aus dem Baurecht, Wasserrecht oder Naturschutzrecht bei dem Beklagten als jeweils zuständiger Behörde gleichsam im eigenen Hause klären lassen.

21

Für eine weitgehende Überprüfungsbefugnis des Rechtsausschusses spricht schließlich die Regelung des § 3 Absatz 5 Satz 2 KAG. Danach können die Rechtsausschüsse unter näher bezeichneten Voraussetzungen Abgabenbescheide auch zum Nachteil eines Widerspruchsführers ändern. Diese zulässige reformatio in peius setzt aber gerade voraus, dass die Widerspruchsbehörde eine grundsätzlich vollständige Überprüfung des Bescheides vornimmt und diesen nicht lediglich aufhebt.“

22

Neue Gesichtspunkte, die zu einer Änderung der vorgenannten Rechtsauffassung führten, sind weder vorgetragen worden noch ansonsten aufgekommen.

23

Nach § 113 Abs. 3 Satz 1 und Satz 4 VwGO kann das Gericht, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält – binnen 6 Monaten seit Eingang der Behördenakten bei Gericht –, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Diese Voraussetzungen sind nach Aktenlage gegeben, so dass die Anfechtungsklage Erfolg hat.

24

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, Abs. 3 und § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Danach trägt der Beklagte als unterliegender Teil die Verfahrenskosten. Dem Beigeladenen können keine Kosten auferlegt werden, da er hinsichtlich des Streitgegenstandes keinen Antrag gestellt hat. Die grundsätzliche Kostenpflicht der Klägerin nach § 155 Abs. 2 VwGO hinsichtlich des zurückgenommenen Teiles der Klage wirkt sich kostenmäßig nicht aus, da ein Unterliegen „nur zu einem geringen Teil“ im Sinne des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO gegeben ist (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. Juni 2001 – 8 A 10085/01.OVG – ). Es besteht kein Anlass, den Beklagten mit den außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu belasten, da dies nicht der Billigkeit im Sinne des § 162 Abs. 3 VwGO entspricht. Zum einen ist der Beigeladene der Sache nach auf Seiten des Beklagten unterlegen und zum anderen hat er sich durch fehlende Antragstellung keinem Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt.

25

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO.

Beschluss

26

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 33.702,76 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen