Urteil vom Verwaltungsgericht Lüneburg (6. Kammer) - 6 A 280/18

Tatbestand

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Der Kläger begehrt nach erfolgreicher Anfechtung seines Prüfungsergebnisses in der zweiten juristischen Staatsprüfung die Ausstellung eines Zeugnisses, das nicht auf den Tag der tatsächlichen Unterzeichnung, sondern denjenigen der Unterzeichnung des ursprünglichen – durch die Notenverbesserung überholten – Zeugnisses datiert ist.

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Nachdem er im April 2015 die Klausuren für die zweite juristische Staatsprüfung angefertigt hatte, unterzog er sich am 11. September 2015 der mündlichen Prüfung, nach deren Abschluss ihm mit einem auf den 14. September 2015 datierten und von der damaligen Vizepräsidentin des Beklagten B. unterzeichneten Zeugnis bescheinigt wurde, die zweite juristische Staatsprüfung am 11. September 2015 mit „befriedigend (8,51 Punkte)“ bestanden zu haben.

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Gegen die Prüfungsentscheidung des Beklagten erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Hannover, das den Beklagten mit Urteil vom 23. November 2016 (6 A 1676/16) zur Neubewertung der Klausuren VA und A2 durch andere Prüfer verpflichtete. Die Bewertung beider Klausuren wurde im Zuge der Neubewertung jeweils von ursprünglich 2 Punkten auf nunmehr 4 Punkte angehoben. Dies führte zu einer rechnerischen Verbesserung des Gesamtergebnisses auf 8,81 Punkte. Die Prüfungskommission wich hiervon in Ausübung des ihr nach § 12 Abs. 5 NJAG zustehenden Ermessens um 0,2 Punkte zugunsten des Klägers ab, so dass sich die Gesamtnote „vollbefriedigend (9,01 Punkte)“ ergab.

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Mit Schreiben vom 18. Februar 2018 beantragte der Kläger die Neuerteilung eines Zeugnisses über sein Bestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung, das er auf den 14. September 2015 zu datieren bat.

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Ein Mitarbeiter des Beklagten stellte in einem Vermerk vom 26. März 2018 (Bl. 195-197 BA 001) fest, „Zeugnisse nach Neubeurteilungen werden grundsätzlich mit dem aktuellen Datum unterschrieben“. Weiter hielt er fest, dass der Beklagte hinsichtlich der textlichen Gestaltung von Zeugnissen über die zweite juristische Staatsprüfung rechtlich nur nach Maßgabe des § 11 Abs. 1 Satz 4 NJAG gebunden sei. Unter Berufung auf den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 7. Februar 2008 (2 LA 418/07) führte er aus, ein Anspruch auf die vom Kläger begehrte Rückdatierung bestehe nicht, auch nicht unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass ein Prüfling aufgrund eines Beurteilungsfehlers oder Verfahrensfehlers im Prüfungsverfahren keine Nachteile erleiden dürfe. Dies, so schätzte der Mitarbeiter in dem Vermerk weiter ein, dürfte auch in Anbetracht des von dem Kläger in seinem Antrag angeführten Urteils des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichtes vom 20. Januar 2015 (3 Bf 155/10) gelten. Für den Beklagten sei die Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes maßgeblich.

6

Mit Bescheid vom 26. April 2018 und einer dem Inhalt des Vermerks im Wesentlichen gleichen Begründung lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab, bot dem Kläger zur Vermeidung etwaiger Nachteile aber die Ausstellung eines Begleitschreibens an, in dem „zu dem Prüfungszeugnis beide Daten und die näheren Umstände aufgeführt werden“. In der Rechtsbehelfsbelehrung benannte der Beklagte eine Klage zum Verwaltungsgericht Lüneburg als statthaften Rechtsbehelf. Mit der Ablehnung stellte der Beklagte dem Kläger ein das korrigierte Gesamtprüfungsergebnis ausweisendes, auf den 26. April 2018 datiertes und vom nunmehrigen Vizepräsidenten des Beklagten Prof. Dr. C. unterzeichnetes Zeugnis aus.

7

Der Kläger hat am 17. Mai 2018 Klage erhoben. Zur Begründung zitiert er insbesondere eine Passage des genannten Urteils des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichtes, ausweislich derer in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt ein Anspruch auf eine Rückdatierung des Unterschriftsdatums bestehe. Art. 12 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG geböten, dass einem Prüfungskandidaten daraus, dass er eine fehlerfreie Bewertung seiner Leistung mit einem Rechtsbehelf durchsetzen müsse, weder Vor- noch Nachteile erwachsen dürften. Dies beinhalte auch die Verpflichtung, Nachweise über den berufsqualifizierenden Abschluss im Rahmen der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten so zu gestalten, dass der Betroffene gegenüber seinen prüfungsfehlerfrei beurteilten Mitkandidaten nicht benachteiligt werde. Das Prüfungszeugnis sei zwar eine öffentliche Urkunde im Sinne von §§ 417 Abs. 1, 415 Abs. 1 ZPO. Das Datum der Unterschrift sei allerdings von der erhöhten Beweiswirkung nicht erfasst. Die erhöhte Beweiskraft öffentlicher Urkunden bestehe nur in dem Maße, in dem diese unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung zweifelsfrei Sinn und Zweck des Gesetzes entspreche. Für den Zeitpunkt einer Beurkundung treffe dies nur dann zu, wenn dieser nach den einschlägigen Vorschriften zwingend anzugeben sei; dürfe oder solle er lediglich angegeben werden, fehle es an der erhöhten Beweiskraft. Das hamburgische Landesrecht schreibe die Nennung des Beurkundungszeitpunktes im Zeugnis der zweiten juristischen Staatsprüfung nicht vor, weshalb eine Rückdatierung möglich und geboten sei. Soweit der Beklagte sich auf die genannte Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes stütze, fehle es an einer Vergleichbarkeit der Sachverhalte: Anders als in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt habe er nicht die mündliche Prüfung wiederholt. Überdies habe er – ebenfalls anders als in dem vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht entschiedenen Fall – mit dem Beklagten im Rahmen der Prüfungsanfechtung keinen Vergleich geschlossen, der die ursprüngliche Prüfungsentscheidung im Grundsatz aufrecht erhalte. Vielmehr sei die frühere Beurteilung seiner Leistungen in der zweiten juristischen Staatsprüfung durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover aufgehoben worden.

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Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

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den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 26.04.2018, Az.: PA II. 9221/15, zu verpflichten, ihm ein Zeugnis über das Bestehen der Zweiten Juristischen Staatsprüfung zu erteilen, das als Unterschriftsdatum den „14.09.2015“ ausweist.

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Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er nimmt zur Begründung auf die Gründe seines Bescheides Bezug, wiederholt diese teils nochmals und ergänzt, die von dem Kläger begehrte Rückdatierung liefe dem Grundsatz der Zeugniswahrheit zuwider. Sein Vizepräsident habe das Zeugnis nicht am 14. September 2015, sondern am 26. April 2018 unterzeichnet. Hinzu komme, dass der gegenwärtige Vizepräsident dieses Amt am 14. September 2015 nicht innegehabt habe. Die zum damaligen Zeitpunkt amtierende Vizepräsidentin könne das Zeugnis nicht mehr unterzeichnen, da sie dieses Amt nicht mehr innehabe. Allein der Umstand, dass der gegenwärtige Vizepräsident das Zeugnis unterzeichnet habe, belege, dass die Unterschrift nach dem 1. April 2018 – dem Tag des Amtsantritts des gegenwärtigen Vizepräsidenten – geleistet worden sein müsse.

13

Mit Blick auf den Wechsel im Amt der/des Vizepräsidentin/en des Beklagten repliziert der Kläger, dieser Umstand berühre seinen Anspruch auf Rückdatierung nicht. Die Frage nach dem einzusetzenden Unterschriftsdatum richte sich nach materiellem Recht, sie hänge nicht von einer vorübergehenden Unterzeichnungsbefugnis des jeweiligen Amtsinhabers ab. Im Übrigen habe dem Beklagten offengestanden, seinen am 18. Februar 2018 verfassten Antrag vor dem Amtswechsel am 1. April 2018 zu bescheiden.

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Hinsichtlich des letztgenannten Arguments des Klägers ergänzt der Beklagte, dass zwischen dem 18. Februar 2018 und dem 1. April 2018 Frau D. Vizepräsidentin gewesen sei und eine Unterschrift hätte leisten müssen.

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Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt, der Kläger mit der Klageschrift vom 14. Mai 2018, der Beklagte mit Schriftsatz vom 8. Juni 2018. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

16

Die Klage, über die die Kammer im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 1 VwGO), hat Erfolg.

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I. Sie ist zulässig, insbesondere bedurfte es der Durchführung eines Vorverfahrens nicht. Zwar sieht § 68 Abs. 1 Satz 2, 1. Hs. VwGO i.V.m. § 80 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 1 NJG die Pflicht zur Durchführung eines Vorverfahrens für Verwaltungsakte vor, „denen eine Bewertung einer Leistung im Rahmen einer berufsbezogenen Prüfung zugrunde liegt“. Unter den Wortlaut der Norm ließe sich die angegriffene Versagung der begehrten Rückdatierung des Examenszeugnisses ohne Zwang fassen: Die Ausstellung des neuen Zeugnisses und damit auch deren Datierung geht auf die Neubewertung der Klausuren VA und A2 und damit auf die Bewertung einer Leistung im Rahmen einer berufsbezogenen Prüfung zurück. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NJG bedarf jedoch der einschränkenden Auslegung dahingehend, dass die Bewertung einer Leistung im Rahmen einer berufsbezogenen Prüfung dem angegriffenen Verwaltungsakt unmittelbar zugrunde liegen muss, es sich in der Regel also um die Feststellung des Prüfungsergebnisses durch Verwaltungsakt handeln wird. Grund ist, dass der Gesetzgeber mit der Beibehaltung des Widerspruchsverfahrens in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NJG die verfassungsrechtlich gebotene Durchführung des Überdenkungsverfahrens sicherstellen wollte (vgl. LT-Drs. 15/1121, S. 21); von dieser Absicht ist die Frage nach dem Bestehen eines Anspruchs auf die begehrte Rückdatierung indes nicht betroffen.

18

II. Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses über das Bestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung am 11. September 2015 mit der Note „vollbefriedigend (9,01 Punkte)“, das auf den 14. September 2015 datiert ist. Der entgegenstehende Bescheid des Beklagten vom 26. April 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

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Seine Grundlage findet der Anspruch des Klägers in § 11 Abs. 1 Satz 4 NJAG i.V.m. Art. 3 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG. § 11 Abs. 1 Satz 4 NJAG sieht vor, dass der Beklagte die Zeugnisse über das Bestehen der Staatsprüfungen ausstellt und darin die jeweils zu bildende Prüfungsgesamtnote aufnimmt; weitere Regelungen zum Inhalt des Zeugnisses oder des Verfahrens seiner Erteilung existieren nicht und finden sich insbesondere weder im NJAG noch in der NJAVO. Der damit für den Beklagten im Grundsatz bestehende weite Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung des Zeugnisses erfährt jedoch durch Art. 3 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG für den Fall einer erfolgreichen Prüfungsanfechtung eine Einschränkung. Das in den genannten Grundrechten verankerte Gebot der Chancengleichheit erlegt der Prüfungsbehörde nicht allein auf, bei der Wiederholung von Prüfungsleistungen Prüfungsbedingungen zu schaffen, die denen der zu wiederholenden Prüfung so ähnlich wie möglich sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.10.2004 - 6 B 51/04 -, juris, Rn. 20; Urt. v.19.12.2001 - 6 C 14/01 -, juris, Rn. 26; Beschl. v. 17.4.1991 - 1 BvR 419/81 -, juris, Rn. 53; Nds. FG, Urt. v. 15.12.2011 - 6 K 59/11 -, juris, Rn. 67). Vielmehr verpflichtet es die Prüfungsbehörde auch, durch Ausschöpfung der ihr rechtlich und tatsächlich zur Verfügung stehenden Maßnahmen einen von einem Prüfungsmangel betroffenen Kandidaten gegenüber seinen Mitkandidaten davor zu schützen, Nachteile zu erleiden, denen er ohne den Prüfungsmangel nicht ausgesetzt gewesen wäre (vgl. Hambg. OVG, Urt. v. 20.1.2015 - 3 Bf 155/10 -, juris, Rn. 39; Nds. OVG, Beschl. v. 7.2.2008 - 2 LA 418/07 -, juris, Rn. 9; Jeremias, in: Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 509; ebenso für eine dienstliche Beurteilung: VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 16.7.2019 - 4 S 672/19 -, juris, Rn. 9). Ein der Prüfungsbehörde etwaig grundsätzlich offenstehendes Ermessen ist in diesem Falle auf das Ergreifen der den betroffenen Kandidaten bestmöglich schützenden Maßnahme reduziert.

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Nach diesem Maßstab ist der Beklagte verpflichtet, dem Kläger aufgrund diesem infolge der Prüfungsmängel drohender Nachteile (hierzu unter 1.) ein auf den Tag der Unterzeichnung des ursprünglichen Zeugnisses datiertes Zeugnis auszustellen. Diese Vordatierung stellt das einzige wirksame Mittel zur weitgehenden Vermeidung von Nachteilen für den Kläger dar; ein weniger weitreichendes, aber ebenso wirksames Mittel existiert nicht (hierzu unter 2.). Der Verpflichtung stehen weder rechtliche noch tatsächliche Hindernisse entgegen (hierzu unter 3.).

21

1. Nachteile befürchtet der Kläger durch die Datierung des neu ausgestellten Zeugnisses auf den 26. April 2018 und damit auf einen Zeitpunkt mehr als zwei Jahre und sieben Monate nach Bestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung zu Recht. Einem potentiellen Arbeitgeber wird sich allein aus der Divergenz der Daten des Bestehens einerseits und der Ausstellung andererseits der Verdacht aufdrängen, der Kläger habe einen Prüfungsrechtsstreit geführt. Dieser Umstand wiederum hat bei lebensnaher Betrachtung die Eignung, einen möglichen Arbeitgeber Rückschlüsse auf die Streitbarkeit des Klägers auch und gerade im Verhältnis zu seinem Dienstherrn/Arbeitgeber ziehen und den Kläger als Bewerber abweisen zu lassen. Aber auch wenn ein potenzieller Arbeitgeber aus einem von dem Kläger geführten Prüfungsrechtsstreit keine die Erfolgsaussichten des Klägers im Bewerbungsverfahren unmittelbar schmälernden Schlüsse zieht, bleibt die ernsthafte Möglichkeit, dass er dem aktuellen – nach Durchführung des Prüfungsrechtsstreits ausgestellten – Zeugnis vor dem Hintergrund sowohl der Einwirkungen des Rechtsstreits als auch des zeitlichen Abstandes zur Prüfung eine geringere Aussagekraft beimisst als einem mit oder kurz nach dem Abschluss der Prüfung ausgestellten Zeugnis (vgl. Hambg. OVG, Urt. v. 20.1.2015 - 3 Bf 155/10 -, juris, Rn. 40; Nds. OVG, Beschl. v. 7.2.2008 - 2 LA 418/07 -, juris, Rn. 9). Die Möglichkeit des letztgenannten denkbaren Nachteils wiegt hier zudem schwerer als im Durchschnitt vergleichbarer Sachverhalte, da der Kläger mit einem Prüfungsgesamtergebnis von 9,01 Punkten die für eine Vielzahl von Arbeitgebern bedeutende Grenze zum “Prädikatsexamen“ nur denkbar knapp überschreitet.

22

2. Diesen Nachteilen begegnete der Beklagte durch die dem Kläger angebotene Ausstellung eines Begleitschreibens, in dem „beide Daten und die näheren Umstände aufgeführt werden“, nicht. Zum einen erschließt sich der Kammer auch mit Blick auf die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 7. Februar 2008 (2 LA 418/07), auf die der Beklagte sich insoweit stützt, nicht mit Sicherheit, welchen konkreten Inhalt ein solches Begleitschreiben haben soll. Die Kammer kann nur vermuten, dass der Beklagte darlegen würde, welches das Datum des Bestehens der zweiten juristischen Staatsprüfung ist und aus welchem Grund – nämlich wegen der Prüfungsmängel und des aufgrund dieser von dem Kläger geführten Rechtsstreits – es zu dem erheblich divergierenden Datum der Unterzeichnung des aktuellen Zeugnisses gekommen ist. Auf diesem Wege vermochte der Beklagte keine der dargelegten möglichen Nachteile auszuräumen; er bestätigte lediglich die tatsächlichen Umstände, die die Nachteile hervorrufen könnten.

23

Die von dem Kläger begehrte Datierung des Zeugnisses auf den Zeitpunkt der Ausstellung des ersten Zeugnisses ist danach die einzige Maßnahme, die der Beklagte zur weitgehenden Vermeidung der geschilderten Nachteile ergreifen kann. Eine andere Maßnahme, die den Kläger ebenso wirksam zu schützen geeignet wäre, hat der Beklagte nicht vorgeschlagen; sie ist auch sonst nicht ersichtlich.

24

3. Der Beklagte ist weder aus rechtlichen (siehe hierzu unter a.) noch aus tatsächlichen (siehe hierzu unter b.) Gründen an dieser Vordatierung gehindert.

25

a. Rechtliche Gründe stehen der Umsetzung des von dem Kläger geltend gemachten Anspruches nicht entgegen.

26

aa. Soweit in dem Vermerk des Beklagten vom 26. März 2018 ausgeführt wird, Zeugnisse nach Neubeurteilungen würden grundsätzlich mit dem aktuellen Datum unterschrieben, und sich dies dahingehend verstehen ließe, dass der Beklagte meint, der Kläger habe allein Anspruch auf eine Gleichbehandlung im Rahmen der bestehenden Verwaltungspraxis, die eine Datierung des neuen Zeugnisses auf das Datum der Unterzeichnung des ersten Zeugnisses nicht vorsehe, steht dies dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Eine derartige Verwaltungspraxis wäre rechtswidrig. Sie sähe eine Differenzierung der Prüflinge danach vor, ob Prüfungsmängel vorlagen und im Rahmen eines Rechtsstreits erfolgreich geltend gemacht wurden oder aber ein fehlerfreies Prüfungsverfahren stattgefunden hat. Auf diesem Wege würden zwei im Wesentlichen gleiche Gruppen – Kandidaten der zweiten juristischen Staatsprüfung – ungleich behandelt, ohne dass ein rechtfertigender Grund für diese Ungleichbehandlung vorläge; das Vorhandensein eines (erfolgreich geltend gemachten) Prüfungsmangels kann und darf nach den dargelegten, in Art. 3 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG verankerten Grundsätzen der Chancengleichheit kein eine Ungleichbehandlung rechtfertigendes Unterscheidungsmerkmal darstellen.

27

bb. Ob der – arbeitsrechtliche – Grundsatz der Zeugniswahrheit, den der Beklagte durch die begehrte Vordatierung verletzt sieht, Anwendung findet, kann dahinstehen. Der Grundsatz der Zeugniswahrheit betrifft in erster Linie die Bewertung und Darstellung der Leistungen des Arbeitnehmers im Arbeitszeugnis (vgl. BT-Drs. 14/8796, S. 25). Er gilt (jedenfalls) im Falle eines zu berichtigenden oder berichtigten Arbeitszeugnisses mit Blick auf das Datum der Unterschrift auf dem Zeugnis nicht (vgl. BAG, Urt. v. 9.9.1992 - 5 AZR 509/91 -, juris, Rn. 17).

28

cc. Die in Rede stehende Datierung verwirklichte nicht den Tatbestand des § 348 Abs. 1 StGB. Nach der Regelung macht sich ein zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugter Amtsträger einer Falschbeurkundung im Amt strafbar, der innerhalb seiner Zuständigkeit eine rechtlich erhebliche Tatsache falsch beurkundet. Rechtlich erheblich im Sinne der Norm ist eine Tatsache, die gesteigerten Beweiswert im Sinne der §§ 415, 416a, 417, 418 ZPO aufweist (vgl. Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 348, Rn. 12; Freund, in: MüKo StGB, 3. Aufl. 2019, § 348, Rn. 10). Welchen Angaben in einer Urkunde dieser gesteigerte Beweiswert zukommt, ist auf Grundlage der für die Errichtung und den Zweck der öffentlichen Urkunde maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen und unter Beachtung der Anschauungen des Rechtsverkehrs zu beurteilen. Ist eine Tatsache beurkundet, deren Angabe nicht gesetzlich zwingend vorgesehen ist und deren etwaige Unwahrheit der Wirksamkeit der eigentlichen Beurkundung nicht entgegensteht, stellt diese Tatsache keine rechtlich erhebliche Tatsache im Sinne des § 348 Abs. 1 StGB dar (vgl. BGH, Urt. v. 25.5.2001 - 2 StR 88/01 -, juris, Rn. 11; Urt. v. 27.8.1998 - 4 StR 198/98 -, juris, Rn. 7; OLG Hamburg, Beschl. v. 17.5.2010 - 2 Ws 160/09 -, juris, Rn. 31). Bei Zugrundelegung dieses Maßstabes handelt es sich bei dem Datum der Unterschrift nicht um eine rechtlich erhebliche Tatsache. Seine Angabe ist nicht gesetzlich vorgesehen. Wird das Datum falsch angegeben, ist dies – wie die dargelegten möglichen Nachteile für den Kläger zeigen – zwar von tatsächlicher, nicht aber von rechtlicher Relevanz.

29

dd. Der Anspruch auf Vordatierung kollidiert auch nicht mit dem Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Wahrheitspflicht der mit der Aufnahme öffentlicher Urkunden betrauten Amtspersonen. Das Zeugnis über das Bestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung stellt eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 Abs. 1 ZPO dar; um eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 417 ZPO handelt es sich entgegen der Auffassung des Klägers und der von ihm zitierten Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (Urt. v. 20.1.2015 - 3 Bf 155/10 -, juris, Rn. 41) nicht. Mit dem Zeugnis gibt der Beklagte keine „Anordnung, Verfügung oder Entscheidung“, mithin keine eigene Erklärung ab, die den zu beweisenden Inhalt selbst verkörpert, sondern – dies macht auch die Benennung des Dokuments deutlich – bezeugt lediglich eine Tatsache. Urkunden gemäß § 418 Abs. 1 ZPO erbringen im Gegensatz zu Urkunden gemäß § 417 ZPO indes gerade keinen vollen Beweis ihres Inhalts, sondern lediglich vollen Beweis der in ihnen bezeugten Tatsachen. Das Datum der Unterzeichnung des Zeugnisses ist von dieser Beweiskraft nicht erfasst.

30

b. In tatsächlicher Hinsicht ist der Beklagte ebenfalls nicht an der Ausstellung des neuen Zeugnisses des Klägers auf den 14. September 2015 gehindert. Eine Unterzeichnung des Zeugnisses durch den derzeitigen Präsidenten oder Vizepräsidenten des Beklagten ist ohne Weiteres möglich. Zuzugeben ist dem Beklagten zwar, dass eine solche Unterzeichnung unter dem vom Kläger begehrten Datum insoweit widersprüchlich ist, als weder der derzeitige Präsident noch der derzeitige Vizepräsident zum damaligen Zeitpunkt im Amt waren. Dieser Widerspruch ist jedoch im Zuge der Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit hinzunehmen.

31

Ohne dass es hierauf ankäme, lässt sich der Einwand des Klägers nicht völlig von der Hand weisen, der Beklagte habe die Unumgänglichkeit des dargelegten Widerspruches durch seine zögerliche Bearbeitung selbst verursacht. Denn – soweit ersichtlich – war der Amtsvorgänger des derzeitigen Präsidenten seit dem Jahr 2015 bis in das Jahr 2019 im Amt und hätte das in der begehrten Weise datierte Zeugnis ohne Herbeiführen eines Widerspruches unterzeichnen können.

32

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

33

Die Berufung ist gemäß §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Es entspricht offenbar der bisher ständigen Praxis des Beklagten, Zeugnisse nach erfolgreichen Prüfungsanfechtungen auch dann unter dem aktuellen Datum auszustellen, wenn lediglich eine Neubewertung von Prüfungsleistungen stattgefunden hat; bei derartigen Konstellationen handelt es sich nicht um Einzelfälle. Eine Divergenz gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO besteht nicht: Die vorstehenden Erwägungen weichen nicht von der Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes vom 7. Februar 2008 (2 LA 418/07) ab. Gegenstand der Entscheidung ist nämlich – anders als hier – nicht die Frage, unter welchem Datum das Zeugnis zu unterzeichnen ist, sondern welches Datum als dasjenige des Bestehens der zweiten juristischen Staatsprüfung zu benennen ist (a.a.O., juris Rn. 3). Über diese Frage besteht zwischen den Beteiligten im vorliegenden Rechtsstreit – zu Recht – Einigkeit.

 


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