Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (4. Kammer) - 4 A 167/11

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Beklagte.

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Der Kläger erhielt bei einer Internet-Auktion des Landes Sachsen-Anhalt über das Aneignungsrecht an dem seit 2007 herrenlosen Grundstück Flurstücke ..., ... und … der Flur ... in der Gemarkung A-Stadt den Zuschlag.

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Das Grundstück liegt im Geltungsbereich der Entwicklungssatzung der Beklagten über die Festlegung des städtebaulichen Entwicklungsbereichs „Entwicklungsmaßnahme R.“ vom 06.12.1993, zuletzt geändert durch die Dritte Änderungssatzung vom 27.05.2008. Es liegt im städtebaulichen Entwicklungsbereich R., Zone IV und ist mit einem durch Brandschaden zerstörten Gebäude bebaut.

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Das Land Sachsen-Anhalt und der Kläger schlossen am 21.03.2011 einen notariellen „Kaufvertrag“, mit dem sich der Kläger als „Erwerber“ verpflichtete, an das Land als „Veräußerer“ den Kaufpreis in Höhe von 3.801,00 € zu zahlen.

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Der Notar bat namens des Klägers mit am 26.03.2011 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben um Erteilung eines Negativzeugnisses hinsichtlich des Vorkaufsrechts.

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Mit Bescheid vom 29.03.2011 setzte die Beklagte gegenüber dem Kläger die Kosten für das Negativattest zur Nichtausübung des Vorkaufsrechts mit 30,00 € fest. In dem Bescheid heißt es unterstrichen und in größerer, fett sowie kursiv gedruckter Schrift:

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„Das Negativattest, worin dokumentiert ist, dass die Kommune kein Vorkaufsrecht geltend macht, wird dem Notar erst nach Bezahlung der 30,- € zugestellt.“

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Der Kläger zahlte daraufhin den Betrag ein.

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Mit Anhörungsschreiben vom 13.04.2011 erklärte die Beklagte, dass sie beabsichtige, das Vorkaufsrecht auf der Grundlage des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB auszuüben. Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 12.05.2011 „Widerspruch“. Er erklärte, dass er das Grundstück nicht gekauft, sondern lediglich ein Aneignungsrecht erworben habe.

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Mit Bescheid vom 19.05.2011 nahm die Beklagte den Kostenfestsetzungsbescheid vom 29.03.2011 zurück und erklärte, dass der eingezahlte Betrag bereits erstattet worden sei.

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Mit Bescheid vom 24.05.2011, dem Land Sachsen-Anhalt am 25.05.2011 und dem Kläger am 30.05.2011 zugestellt, übte die Beklagte gegenüber dem Land Sachsen-Anhalt das Vorkaufsrecht aus. Auch wenn das Grundstück Gegenstand einer Grundstücksauktion gewesen sei, handele es sich doch um einen Kaufvertrag. Im Übrigen habe auch der Verkauf eines Aneignungsrechts die Merkmale eines Kaufvertrages. Das Wohl der Allgemeinheit rechtfertige die Ausübung des Vorkaufsrechts.

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Mit Schreiben vom 17.06.2011 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.05.2011 über die Rücknahme des Kostenfestsetzungsbescheides und gegen den Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts vom 24.05.2011: Der Kostenfestsetzungsbescheid enthalte eine Zusicherung, dass das Negativattest nach Zahlung der Kosten zugestellt werde. Er habe sich auf die Richtigkeit des Verwaltungsakts verlassen. Die Ersteigerung eines Aneignungsrechts habe mit dem Kauf eines Grundstücks nichts zu tun. Ein gesetzliches Vorkaufsrecht sehe das Gesetz für diesen Fall nicht vor.

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Am 26.06.2011 hat der Kläger gegen den Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts Klage erhoben.

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Mit Bescheid vom 16.09.2011 hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen die Rücknahme des Kostenfestsetzungsbescheides zurückgewiesen. Es sei fraglich, ob der Bescheid eine Zusicherung beinhalte. In diesem Fall seien die Voraussetzungen für einen Widerruf gegeben, da nach Auskunft der D. eine Bonitätsverschlechterung vorliege. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger ebenfalls Klage erhoben, die Gegenstand des Verfahren 4 A 279/11 MD ist.

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Der Kläger bekräftigt zur Klagebegründung sein Vorbringen aus dem Widerspruchsschreiben und seine Auffassung, dass die Versteigerung des Aneignungsrechts an einem herrenlosen Grundstück nicht dem Verkauf eines Grundstücks gleichzusetzen sei. Da die Beklagte sich an der Versteigerung nicht beteiligt habe, habe sie billigend den Zuschlagsbeschluss an Dritte in Kauf genommen. Kaufgegenstand des notariellen Vertrages sei nicht das Grundstück, sondern das Recht zur Eintragung des Eigentums. Ein Kaufvertrag scheitere schon daran, dass es keinen Rechtsträger für das Eigentum gegeben habe. Es sei lediglich ein Recht des Fiskus ersteigert worden. Entsprechend werde auch keine Grunderwerbsteuer erhoben. Daher sei auch die für das baurechtliche Vorkaufsrecht maßgebliche Frist von zwei Monaten irrelevant. Sollte es ein Widerspruchsrecht der Beklagten geben, so sei es verfristet. Im Übrigen seien die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB nicht erfüllt. Soweit die Beklagte seine Bonität anzweifle, richteten sich die Vollstreckungsmaßnahmen, die zur angeblichen Bonitätsverschlechterung geführt hätten, nicht gegen ihn, sondern gegen seinen Vater.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 24.05.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm ein Negativzeugnis hinsichtlich der Ausübung des Vorkaufsrechts für das Grundstück Flurstücke ..., ... und … der Flur ... in A-Stadt zu erteilen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie erwidert: Wenn man davon ausgehe, dass der Kläger nicht das Grundstück, sondern das Aneignungsrecht an dem Grundstück schuldrechtlich erworben habe, seien gemäß § 453 BGB die Vorschriften über den Kauf entsprechend anzuwenden. Unabhängig davon komme die Vertragsgestaltung einem Kauf so nahe, dass auch ein Vorkaufsrecht ausgeübt werden könne. Aus dem Kostenfestsetzungsbescheid ergebe sich kein Anspruch auf Erteilung eines Negativattests. Es sei schon fraglich, ob es sich um eine Zusicherung handele. Die Prüfung der Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts sei im Zeitpunkt des Erlasses des Kostenbescheides noch nicht erfolgt. Die gebührenpflichtige Amtshandlung habe aus Gründen der Kostensicherung erst nach Eingang der Gebühren erfolgen sollen. Im Übrigen seien die Voraussetzungen des § 38 Abs. 3 VwVfG erfüllt, da von einer Bonitätsverschlechterung des Klägers auszugehen sei. Dadurch bestünden begründete Zweifel an der Durchführung der Investitionen entsprechend den städtebaulichen Entwicklungszielen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig.

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Das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage entfällt nicht deshalb, weil unter Zugrundelegung der Auffassung des Klägers kein Fall des § 24 BauGB vorliegt. Denn selbst wenn der zwischen dem Land Sachsen-Anhalt und dem Kläger geschlossene notarielle Vertrag vom 21.03.2011 kein Vertrag über den Kauf eines Grundstücks i. S. des § 24 Abs. 1 Satz 1 BauGB sein sollte, hat der Kläger ein berechtigtes Interesse daran, von der Beklagten ein Negativattest zu erhalten, um als Grundstückseigentümer eingetragen werden zu können. Denn dem Grundbuchamt muss zur Eintragung des Eigentumswechsels ein Negativzeugnis der Gemeinde nach § 28 Abs. 1 Satz 3 BauGB vorgelegt werden, wenn nach den Eintragungsunterlagen nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann, dass der zugrunde liegende Vertrag einen Kaufvertrag im Sinne des § 24 BauGB darstellt und deshalb ein Vorkaufsrecht der Gemeinde in Betracht kommt (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 28.05.1982 - 2 Wx 5/82 –, RPfleger 1982, 338). Im Hinblick darauf, dass es jedenfalls nicht ohne Schwierigkeiten zu beurteilen ist, ob in der vorliegenden Fallgestaltung die Regelung des § 24 Abs. 1 BauGB unmittelbar oder analog anwendbar ist, wird die Grundbucheintragung ohne die Vorlage eines Negativattests nicht durchgeführt werden.

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Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten über die Ausübung des Vorkaufsrechts vom 24.05.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf die Erteilung des beantragten Negativzeugnisses (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

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Rechtsgrundlage für die Erteilung eines Negativzeugnisses ist § 28 Abs. 1 Satz 3 BauGB. Besteht ein Vorkaufsrecht nicht oder wird es nicht ausgeübt, hat die Gemeinde nach dieser Regelung auf Antrag eines Beteiligten darüber unverzüglich ein Zeugnis auszustellen.

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Die Beklagte ist gegenüber dem Kläger zur Erteilung eines Negativzeugnisses verpflichtet, weil sie dem Kläger eine entsprechende Zusicherung i. S. des § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG erteilt hat und weil die vorliegende Vertragsgestaltung keinen Anwendungsfall des § 24 Abs. 1 Satz 1 BauGB darstellt.

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Der Bescheid der Beklagten vom 29.03.2011 enthält eine verbindliche Zusage an den Kläger, ihm ein Negativattest auszustellen, in dem dokumentiert ist, dass die Beklagte kein Vorkaufsrecht geltend macht.

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Gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG stellt eine behördliche Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen, eine Zusicherung dar. Sie ist wirksam und damit für die Behörde bindend, wenn die in § 38 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwVfG genannten Voraussetzungen erfüllt sind, keine Unwirksamkeitsgründe nach § 38 Abs. 2 VwVfG bestehen und die Bindung nicht gemäß § 38 Abs. 3 VwVfG weggefallen ist.

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Eine Erklärung der Behörde stellt nur dann eine Zusicherung i. S. des § 38 VwVfG dar, wenn gegenüber dem Adressaten unzweifelhaft der Wille der Behörde zum Ausdruck kommt, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (BVerwG, Urteil vom 25.01.1995 – 11 C 29.93 -, BVerwGE 97, 323). Ob ein entsprechender Bindungswille vorliegt oder die Behörde lediglich eine Auskunft erteilen, einen Hinweis geben oder eine sonstige unverbindliche Erklärung abgeben will, ist durch Auslegung nach der auf öffentlich-rechtliche Willenserklärung entsprechend anwendbaren Auslegungsregel des § 133 BGB zu ermitteln (Thür. OVG, Urteil vom 24.10.2007 – 1 KO 645/06 -, BRS 71 Nr. 196).

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Danach sind die Voraussetzungen für eine Zusicherung erfüllt. In dem Kostenfestsetzungsbescheid vom 29.03.2011 hat die Beklagte eindeutig ihren Willen zum Ausdruck gebracht, dem Kläger das begehrte Negativattest über die Nichtausübung des Vorkaufsrechts zu erteilen. Die Formulierung, das Negativattest werde erst nach Bezahlung der festgesetzten Kosten zugestellt, bringt deutlich zum Ausdruck, dass der entsprechende Bescheid erteilt wird und nur noch die Zustellung von der Begleichung der Kosten abhängig ist.

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Dagegen spricht nicht, dass die Erklärung in einer als „Kostenfestsetzungsbescheid“ überschriebenen Verfügung abgegeben wurde, in der gewöhnlich lediglich eine Kostenregelung, nicht jedoch eine Regelung über die Maßnahme in der Sache erfolgt. Schon aus der besonderen Hervorhebung durch Unterstreichung, eine größere Schriftart sowie den Kursiv- und Fettdruck ergibt sich, dass die Erklärung über die (bevorstehende) Zustellung des Negativattests keinen nebensächlichen Charakter, sondern – im Gegenteil – besondere Bedeutung hat, die auch für das Vorliegen eines Bindungswillens spricht.

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Der Erklärung ist auch nicht zu entnehmen, dass mit ihr lediglich die Zahlung der Gebühr für eine noch bevorstehende Prüfung gesichert werden sollte. Ein solches Verständnis kommt in dem Wortlaut der Erklärung nicht zum Ausdruck. Vielmehr spricht die Kostenfestsetzung unter Bezugnahme auf Nr. 8.4 des Kostentarifs dafür, dass die Prüfung bereits abgeschlossen war. Denn dieser Kostentarif ist nur für die Ausstellung eines Negativzeugnisses über das Nichtbestehen eines Vorkaufsrechts anwendbar, jedoch nicht für die Ablehnung eines Negativattests und die Ausübung des Vorkaufsrechts. Der Kläger konnte nicht annehmen, dass die Kostenfestsetzung erfolgt ist, obwohl die kostenpflichtige Amtshandlung nicht erfolgt war. Dass es sich bei der Kostenfestsetzung um einen Vorschuss handelt, ist aus dem Bescheid nicht ersichtlich. Ebenso wenig ging aus dem Bescheid hervor, dass er im Falle einer Ausübung des Vorkaufsrechts aufgehoben werden sollte.

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Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich auch dem kurzen Zeitraum zwischen der Antragstellung auf Erteilung eines Negativattests und dem Erlass des Kostenfestsetzungsbescheides nicht entnehmen, dass eine inhaltliche Prüfung der Ausübung des Vorkaufsrechts noch nicht erfolgt war. Selbst wenn man davon ausginge, dass der Erteilung eines Negativattests regelmäßig ein gewisser Prüfungszeitraum zugrunde liegt, wurde der Bescheid nicht so früh erlassen, dass eine solche Prüfung aus der – maßgeblichen – Sicht des Klägers als Empfänger der Erklärung ausgeschlossen sein musste. Der Kostenfestsetzungsbescheid wurde am 29.03.2011 ausgestellt, also mehr als eine Woche nach dem Abschluss des notariellen Vertrages. Über die Zwischenschritte, insbesondere das Eingangsdatum des vom Notar gestellten Antrags auf Erteilung des Negativattests, war der Kläger nicht informiert. Anhaltspunkte dafür, dass die Prüfung der Ausübung des Vorkaufsrechts länger als einige Tage dauern würde, waren nicht erkennbar. Je nach Art und Lage der Grundstücke wird ohne besondere Schwierigkeiten festzustellen sein, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht in Betracht kommt. Selbst wenn das vorliegende Grundstück wegen seiner Lage im Sanierungsgebiet für ein Vorkaufsrecht in Betracht kam, musste der Kläger nicht mit einer langwierigen Prüfung rechnen. Abgesehen davon, dass bereits eine Vorbefassung der Beklagten aufgrund von Parallelfällen vorliegen konnte, lag es aus Sicht des Klägers nahe, dass die Beklagte aufgrund der besonderen Art des Vertrages keinen Anwendungsfall des § 24 BauGB angenommen hatte.

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Die Bindung an die Zusicherung ist nicht gemäß § 38 Abs. 3 VwVfG entfallen. Nach dieser Vorschrift ist die Behörde an die Zusicherung nicht mehr gebunden, wenn sich nach Abgabe der Zusicherung die Sach- oder Rechtslage derart ändert, dass die Behörde bei Kenntnis der nachträglich eingetretenen Änderung die Zusicherung nicht gegeben hätte oder aus rechtlichen Gründen nicht hätte geben dürfen.

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Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Eine Änderung der Sachlage ist nicht durch die von der Beklagten nach Erteilung der Zusicherung erfolgte Auskunft der D. entfallen. Der Auskunft über die angeblich fehlende Bonität des Klägers lag – was die Beklagte inzwischen einräumt – eine Personenverwechselung zugrunde. Allein aufgrund einer unzutreffenden Bonitätsauskunft konnte die Beklagte nicht davon ausgehen, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers in einer Weise geändert haben, dass dieser nicht mehr in der Lage war, das Grundstück in einer den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme entsprechenden Weise zu nutzen (§ 27 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Im Übrigen ist der Vortrag der Beklagten unschlüssig. Wenn die Beklagte ausführt, dass ihrer Erklärung keinerlei inhaltliche Prüfung der Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts zugrunde lag, war die Bonität des Klägers auch für die Abgabe der Erklärung unerheblich. Darüber hinaus hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Kostenfestsetzung vor der Erteilung des Negativattests gerade gegenüber säumigen Schuldnern erfolge. Dies spricht dafür, dass die Beklagte bereits im Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung nicht von einer Bonität des Klägers ausgegangen ist.

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Die Zusicherung ist auch nicht aufgrund der mit Bescheid vom 19.05.2011 erfolgten Rücknahme des Kostenfestsetzungsbescheides gemäß § 38 Abs. 2 i. V. m. § 48 Abs. 1 VwVfG unwirksam geworden. Die Rücknahme der in dem Kostenfestsetzungsbescheid vom 29.03.2011 enthaltenen Zusicherung ist rechtswidrig. Insoweit wird auf das Urteil vom heutigen Tage im Parallelverfahren 4 A 279/11 MD Bezug genommen. Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, jedoch entfaltet die Klage des Klägers gegen den Rücknahmebescheid gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Die Zusicherung bleibt wirksam (§ 43 Abs. 2 VwVfG).

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Der Kläger hat aber auch deshalb einen Anspruch auf Erteilung eines Negativzeugnisses gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 BauGB, weil ein Vorkaufsrecht der Beklagten nicht besteht. Das allgemeine Vorkaufsrecht gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 BauGB steht der Gemeinde nur beim „Kauf von Grundstücken“ zu. Wie sich aus § 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB ergibt, müssen die Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts gemäß § 463 BGB erfüllt sein. Erforderlich ist ein Kaufvertrag, der von dem Verkäufer mit einem Dritten über das Grundstück abgeschlossen wird. Ein Kaufvertrag ist gemäß § 433 BGB ein Vertrag, durch den der Verkäufer einer Sache verpflichtet wird, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen, und in dem sich der Käufer verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis (in Geld) zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen. Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 463 BGB kann ein Vorkaufsrecht nach § 24 BauGB aber auch dann bestehen, wenn ein kaufähnliches Vertragsverhältnis bei formaler Betrachtung nicht unter § 433 BGB zu fassen ist, aber nach der Interessenlage des Vorkaufsberechtigten und -verpflichteten einem Kauf nahe kommt und die Vertragsgestaltung der Umgehung des Vorkaufsrechts dienen soll (vgl. Stock, in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 24 Rdnr. 50 und 53 unter Bezugnahme auf BGH, Urteil vom 11.10.1991 – V ZR 127/90 -, BGHZ 115, 335).

38

Ein Kaufvertrag über ein Grundstück, wie § 24 Abs. 1 Satz 1 BauGB den Vorkaufsfall regelt, liegt nicht vor. Bei dem notariellen „Kaufvertrag“ vom 21.03.2011 handelt es sich nicht um einen Vertrag über den Kauf eines Grundstücks. Da das Eigentum an dem Grundstück durch Verzicht aufgegeben wurde, stand dem Land Sachsen-Anhalt gemäß § 928 Abs. 2 BGB ein Aneignungsrecht zu. Das Land Sachsen-Anhalt ist kein Eigentümer des Grundstücks und hat dem Kläger nicht das Grundstück, sondern lediglich das Aneignungsrecht verkauft. Der Eigentumserwerb auf Grund eines abgetretenen Aneignungsrechts erfolgt nicht als Übergang des Eigentums von einem auf einen anderen Rechtsinhaber, sondern ist originär (vgl. BFH, Urteil vom 01.04.1981 – II R 87/78 -, DB 1981, 2209 zur – fehlenden - Grunderwerbsteuerpflicht bei der Abtretung des Aneignungsrechts).

39

Aus § 453 Abs. 1 BGB, nach dem die Vorschriften über den Kauf von Sachen auf den Kauf von Rechten und sonstigen Gegenständen entsprechende Anwendung finden, folgt nicht, dass der Vorkaufsfall nach § 24 Abs. 1 Satz 1 BauGB auch beim Kauf eines Aneignungsrechts nach § 928 Abs. 2 BGB vorliegt. Aufgrund § 453 BGB ist der Verkäufer eines Rechts verpflichtet, dem Käufer das Recht frei von Rechtsmängeln zu verschaffen. Wie beim Sachkauf kann der Verkäufer auch beim Rechtskauf ausdrücklich oder stillschweigend Garantien etwa für den Bestand des Rechts übernehmen (Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drucks. 14/6040, S. 242). Die in § 463 BGB geregelten Voraussetzungen zur Ausübung des Vorkaufs werden durch § 453 Abs. 1 BGB nicht ersetzt. Im Fall des § 24 Abs. 1 Satz 1 BauGB ergibt sich die Berechtigung zum Vorkauf aus dem „Kauf eines Grundstücks“, der beim Kauf eines Aneignungsrechts gerade nicht vorliegt.

40

Eine analoge Anwendung des § 24 Abs. 1 Satz 1 BauGB auf den Kauf eines nach § 928 Abs. 2 BGB bestehenden Aneignungsrechts an einem herrenlosen Grundstück scheidet aus. Eine dem Kauf eines Grundstücks entsprechende Interessenlage lässt sich für den Kauf des Aneignungsrechts nicht feststellen.

41

Das Vorkaufsrecht wird bei anderen vertraglichen Gestaltungen, die einem Grundstückskaufvertrag ähneln, nicht ohne weiteres angenommen. So besteht bei der Schenkung kein Vorkaufsrecht. Auch beim Tauschvertrag ist das Vorkaufsrecht ausgeschlossen, obwohl nach § 480 BGB die Vorschriften über den Kauf entsprechend anzuwenden sind (vgl. Stock, in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, a. a. O., Rdnr. 52). Bei Zwangsvollstreckung oder Insolvenz ist das Vorkaufsrecht bereits aufgrund der gesetzlichen Regelung des § 471 BGB ausgeschlossen.

42

Die von der Beklagten aufgeführte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteile vom 11.10.1991 - V ZR 127/09 -, BGHZ 115, 335 und vom 20.03.1998 – V ZR 25/97 -, NJW 1998, 2136) zu Vertragsgestaltungen, in denen ein Vorkaufsfall angenommen wurde, betrifft Verträge, die der Umgehung des Vorkaufsrechts dienen bzw. als „verschleierter Kauf“ einem Kaufvertrag gleichkommen. Auch nach dieser Rechtsprechung muss der übereinstimmende Wille der Vertragsschließenden darauf gerichtet sein, sich zur Übereignung des Objekts gegen Zahlung eines bestimmten Preises durch eine entsprechende vertragliche Bindung zu verpflichten. Ein „verschleierter“ Kaufvertrag in diesem Sinne liegt bei der vorliegenden Vertragsgestaltung jedoch nicht vor. Es handelt sich um den Kauf eines dem Land zustehenden Aneignungsrechts bei einem herrenlosen Grundstück. Das Land ist kein Eigentümer des Grundstücks und verpflichtet sich nicht, das Grundstück dem Käufer des Aneignungsrechts zu übereignen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Vertrag über den Kauf eines Aneignungsrechts dazu dient, den Grundstückskaufvertrag zu umgehen, um den Vorkaufsfall zu vermeiden.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. Das Gericht hat die Bedeutung der Sache für den Kläger in Orientierung an Ziff. 9.6.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf ein Viertel des Kaufpreises geschätzt.


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