Urteil vom Verwaltungsgericht Regensburg - RO 10A DK 19.2

Tenor

I. Gegen die Beklagte wird auf die Aberkennung des Ruhegehalts erkannt.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Der Kläger beantragt die Aberkennung des Ruhegehalts der Beklagten.

Die am …1950 geborene Beklagte bestand die Erste Prüfung für das Lehramt an Volksschulen im Jahr 1975 mit der Gesamtnote gut (Notendurchschnitt: 1,81). Am 14. April 1975 wurde sie unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zur Lehramtsanwärterin für den Volksschuldienst berufen. Im September 1978 legte sie die Zweite Prüfung für das Lehramt an Volksschulen ab (Notendurchschnitt: 3,25). Sie wurde im September 1978 zur Lehrerin auf Arbeitsvertrag ernannt und im September 1979 in das Beamtenverhältnis auf Probe und am 10. März 1981 in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen. Bis 1985 war die Beklagte an der S1. in R. und beurlaubt. In der Folge war sie an der S2. in R. eingesetzt und ab 1. September 1987 an der Volksschule S3. Zum September 1993 wurde sie an die Volksschule S4. versetzt. Im Jahr 1984 wurde der Beklagten ein Schwerbehindertenausweis mit einem Grad der Erwerbsminderung von 50% ausgestellt. Sie war am 3. März 1996 Opfer eines Raubüberfalles und deshalb bis zum 15. Juli 1996 dienstunfähig. Zum September 1999 wurde die Beklagte an die S5. (Grundschule) versetzt. Seit dem 6. November 2001 war sie ununterbrochen krankgeschrieben. Mit Gutachten der medizinischen Untersuchungsstelle vom Januar 2003 wurde festgestellt, dass sie an einem ausgeprägten psychischen Störungsbild leide und eine Intensivierung der Behandlungsmaßnahmen im Sinne einer stationären Behandlung in einer psychiatrischen Klinik für sinnvoll erachtet. Nach Durchführung der Behandlung wurde die Beklagte im September 2003 erneut untersucht. Sie wurde im Januar 2004 in den Ruhestand versetzt. Eine erneute Untersuchung im Dezember 2006 ergab, dass sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Beschwerden nicht reaktiviert werden könne.

In der dienstlichen Beurteilung im Jahr 1997 erzielte die Beklagte, wie in den vorangegangenen Beurteilungen in den Jahren 1993 und 1989, das Gesamturteil „übertrifft die Anforderungen“. Sie ist strafrechtlich und disziplinarrechtlich mit Ausnahme des gegenständlichen Verfahrens bisher nicht in Erscheinung getreten.

Die Regierung der Oberpfalz informierte die Landesanwaltschaft Bayern mit Schreiben vom 14. September 2016 über ein gegen die Beklagte u.a. wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen laufendes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Regensburg. Mit Verfügung vom 21. September 2016 leitete die Landesanwaltschaft ein Disziplinarverfahren ein und setzte dieses mit Verfügung vom selben Tage im Hinblick auf das bei der Staatsanwaltschaft Regensburg anhängige Ermittlungsverfahren aus.

Mit seit 20. Januar 2017 rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts Regensburg vom 2. Januar 2017 (Az. 29 Cs 102 Js 16771/1 6) wurde gegen die Beklagte wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in sieben Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen verhängt. Die Landesanwaltschaft setzte das Disziplinarverfahren mit Verfügung vom 27. Februar 2017 daraufhin fort.

Mit Verfügung vom 26. Februar 2018 beschloss die Landesanwaltschaft, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob die Beklagte für die Begehung der ihr in dem Strafbefehl des Amtsgerichts Regensburg zur Last gelegten Straftaten aus ärztlicher Sicht uneingeschränkt verantwortlich war oder zum Zeitpunkt der Tatbegehung die Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit wesentlich eingeschränkt oder gar ausgeschlossen war. Mit Verfügung vom 28. Februar 2018 wurde das Disziplinarverfahren im Hinblick auf den Gutachtensauftrag ausgesetzt. Am 14. November 2018 wurden vom Bezirkskrankenhaus … ein psychiatrisches Sachverständigengutachten vom 13. November 2018 sowie ein psychologisches Zusatzgutachten vom 30. Juli 2018 übermittelt. Daraufhin wurde das Disziplinarverfahren mit Verfügung vom 16. November 2018 fortgesetzt. Am 28.03.2017 sowie am 30.01.2018 gab die Beklagte jeweils zur Niederschrift Erklärungen im Rahmen des Verfahrens ab. Sie habe von 2006-2009 eine sehr schwierige Lebensphase gehabt. Aufgrund der Bankenkrise sei ein Großteil des Erbes verloren gegangen, ihre Mutter sei an Alzheimer erkrankt bis zu ihrem Tod 2016, ferner sei sie 2009 von ihrem Lebensgefährten verlassen worden. Die Briefe habe sie aus dem Gefühl geschrieben, sie müsse etwas kompensieren. Sie habe sich so verletzt gefühlt, dass sie auch andere verletzen wollte. Dass die einfache Siegrune nicht erlaubt sei habe sie nicht gewusst, sie dachte nur die doppelte Siegrune sei verboten. Sie habe kein rechtsradikales Gedankengut, sondern nur andere angesichts des eigenen Unglücks verletzen wollen. Die Bedeutung der Zahl „88“ kenne sie nicht, insbesondere habe sie nicht gewusst, dass diese Zahlenkombination in der rechtsradikalen Szene als Symbol für „Heil Hitler“ benutzt werde.

Die Landesanwaltschaft erhob am 2. Januar 2019 Disziplinarklage und wirft der Beklagten folgende Sachverhalte vor:

„Mit seit 20. Januar 2017 rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts Regensburg vom 2. Januar 2017 (Az. 29 Cs 102 Js 16771/16) wurde gegen die Beklagte wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in sieben Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung gemäß den §§ 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 86 Abs. 1 Nr. 4, 185, 194 Abs. 1, 53 StGB eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen verhängt.

Dem Strafbefehl lassen sich folgende tatsächlichen Feststellungen entnehmen:

„In der Zeit von Oktober 2014 bis Juli 2015 schrieben Sie insgesamt sieben Postkarten und Briefe in Ihrer Wohnung in R., …, die Sie anschließend mit der öffentlichen Post versandten. Dabei schrieben Sie den Buchstaben „S“ in einer Vielzahl von Fällen als Siegrune und als Doppelsiegrune, auch bei der Angabe der Adresse des Empfängers und des fingierten Absenders sowie dem rückseitigen Text der Postkarten. Ihnen war bewusst, dass es sich bei den Siegrunen um Erkennungszeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation, nämlich bei der einfachen Siegrune um das des Deutschen Jungvolks in der Hitlerjugend und bei der Doppelsiegrune um das der Sturmabteilung (SS) der NSDAP handelte. Sie wussten auch, dass diese Runen auf den äußeren Seiten der Postsendungen von jedermann gesehen werden konnten. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Fälle:

1. Am 29.10.2014 ging eine von Ihnen versandte Postkarte im Rathaus der Gemeinde W. in W., …, ein, auf deren rückseitigem Text eine einfache Siegrune geschrieben war.

2. Am 26.11.2014 ging eine von Ihnen versandte Postkarte im Pelzmodegeschäft A. in R., …, ein, auf deren Vorder- und Rückseite insgesamt acht einfache und eine Doppelsiegrune geschrieben waren. Der Empfänger war als „Pelze A.“ bezeichnet. Der rückseitige von Ihnen verfasste Text lautete: „Schön, dass es bald ein Judengeschäft weniger hier in R. gibt! Deutsche! Kauft nicht bei der jüdischen Schmarotzerbande!“ Dadurch wollten Sie den Inhaber des Pelzmodengeschäfts A. in seiner Ehre herabwürdigen, was Ihnen auch gelang. A. hat am 01.12.2014 schriftlichen Strafantrag bei der Kriminalpolizei Regensburg gestellt.

3. Am 18.02.2015 ging ein von Ihnen versandter Brief mit DIN-A5-Kuvert bei der Jüdischen Gemeinde R. in R., …, ein, auf dem drei einfache Siegrunen geschrieben waren.

4. Am 13.04.2015 ging ein von Ihnen versandter Brief mit DIN-A5-Kuvert bei der Jüdischen Gemeinde R. in …R., …, ein, auf dem acht einfache Siegrunen geschrieben waren.

5. Am 01.07.2015 ging eine von Ihnen versandte Postkarte im Rathaus der Gemeinde W. in W., …, ein, auf deren Vorder- und Rückseite insgesamt drei einfache und eine Doppelsiegrune geschrieben waren.

6. Am 12.11.2015 ging ein von Ihnen versandter Brief mit DIN-B6-Kuvert im Rathaus der Gemeinde W. in W., …, ein, auf dessen Vorderseite drei einfache Siegrunen geschrieben waren.

7. Am 11.07.2016 ging eine von Ihnen versandte Postkarte im Bischöflichen Sekretariat in R., …, ein, auf deren Vorder- und Rückseite insgesamt 26 einfache und eine Doppelsiegrune geschrieben waren.“

Die der Beklagten vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen habe diese nach der Versetzung in den Ruhestand begangen. Ruhestandsbeamte könnten mangels Dienstleistungspflicht weder ein innerdienstliches noch ein außerdienstliches Dienstvergehen begehen. § 47 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG enthalte eine gesetzliche Fiktion, indem für Ruhestandsbeamte, obwohl sie in keinem Dienstverhältnis mehr stehen, bestimmte aus dem früheren Beamtenverhältnis fortdauernde Pflichten sowie die sich aus dem Eintritt in den Ruhestand ergebenden Pflichten wie Dienstpflichten behandelt werden, deren schuldhafte Verletzung einem Dienstvergehen gleichgestellt wird. Gemäß § 47 Abs. 2 BeamtStG gelte es als Dienstvergehen, wenn eine Ruhestandsbeamtin sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes betätige. Die Pflicht zur Verfassungstreue sei die Grundpflicht der Beamten gegenüber dem Staat. Sie bilde auch einen Kernbestandteil des Diensteids. Wegen ihrer grundlegenden Bedeutung wirke sie auch über das Ende des Beamtenverhältnisses hinaus, wenn und solange der (frühere) Beamte aufgrund seines früheren Beamtenverhältnisses finanzielle Leistungen erhalte. Während für die aktiven Beamten ein Gebot zum Bekennen zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und eine Verpflichtung bestehe, für sie einzutreten, beschränke sich § 47 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG auf das Verbot der Betätigung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung. Eine verfassungsfeindliche Betätigung könne darin liegen, dass sie einen zum Schutz der Verfassung erlassenen Straftatbestand verletzt. Die Beklagte habe den Straftatbestand des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwirklicht und sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung betätigt.

Sie habe auch vorsätzlich gehandelt. Der Vortrag, sie habe nicht gewusst, dass die einfache Siegrune das Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation ist, werde nach wie vor als Schutzbehauptung gewertet. Berücksichtige man den Inhalt der Briefe und Postkarten, die sich u.a. gegen Juden und Asylbewerber richten und sich nationalsozialistischer Diktion und Symbole bedienen, sei er nicht glaubhaft. Rechtfertigungsgründe seien nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.

In Bezug auf die Dienstpflichtverletzungen lägen keine Schuldausschließungsgründe vor. Dies ergebe sich aus dem psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 13. November 2018 sowie dem psychologischen Zusatzgutachten vom 30. Juli 2018. Die in den beiden Gutachten getroffenen Feststellungen seien durch mehrere psychologische Testreihen verifiziert und wissenschaftlichen Anforderungen entsprechend begründet worden. Den Gutachten lasse sich entnehmen, dass bei der Beklagten zwar eine Störungskonstellation vorliegt, die als depressives Syndrom auf dem Boden einer neurotischen Entwicklung aufzufassen sei. Ein schwerwiegender Störungskomplex, der aus psychiatrischer Sicht einem der Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB zuzuordnen wäre, lasse sich jedoch nicht verifizieren. Das psychophysische Leistungsvermögen der Beklagten in den tatrelevanten Zeiträumen scheine laut Gutachten vielmehr nicht so nachhaltig verändert gewesen zu sein, dass von einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bzw. einer krankhaften seelischen Störung gesprochen werden könnte. Dagegen würden die gezeigten Anpassungsleistungen im Alltag, eine erhaltene Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie die Fähigkeit, kognitiv Recht von Unrecht zu unterscheiden, sprechen. Im psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 13. November 2018 werde ausdrücklich festgestellt, dass weder testpsychologisch noch aufgrund der psychiatrischen Untersuchung unter Berücksichtigung des biografischen Lebensweges eine Persönlichkeitsstörung naheläge. Bereits die nach der ICD 10 geforderten allgemeinen Kriterien einer Persönlichkeitsstörung lägen nicht vor. Auch im psychologischen Zusatzgutachten vom 30. Juli 2018 heiße es ausdrücklich, dass Anhaltspunkte für eine Persönlichkeitsanomalie oder schwerwiegende Störung mit Beeinträchtigungen der Wahrnehmung und des Realitätsbezuges dem Befundmuster nicht zu entnehmen seien.

Die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme sei nach der Schwere des Dienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung sei danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Bei der Auslegung des Begriffs „Schwere des Dienstvergehens“ sei maßgebend auf das Eigengewicht der Verfehlung abzustellen. Gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BayDG werde einem Ruhestandbeamten das Ruhegehalt aberkannt, wenn er, wäre er noch im Dienst, aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen. Aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen seien Beamte, die durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren haben. Im vorliegenden Fall führe die gebotene Abwägung aller be- und entlastenden Umstände zu dem Ergebnis, dass das Fehlverhalten der Beklagten schwer wiege und zu einem irreversiblen Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit geführt habe.

Es handele sich um ein schweres Dienstvergehen. Bestehe die Dienstpflichtverletzung in einem strafbaren Verhalten, bilde der vom Strafgesetzgeber im jeweiligen Strafrahmen zum Ausdruck gebrachte Unrechtsgehalt einen Orientierungsrahmen. Im vorliegenden Fall betrage der Strafrahmen Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Sei der Strafrahmen bis zur Freiheitsstrafe von drei Jahren bemessen, könne das strafbare Verhalten bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen. Im Rahmen der Gesamtabwägung und Maßnahmebemessung sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte vorsätzlich über einen längeren Straftaten begangen habe. Erschwerend sei zu werten, dass sie im Kernbereich ihrer Pflichten versagte. Die besondere politische Treuepflicht des Beamten sei ein hergebrachter und zu beachtender Grundsatz des Berufsbeamtentums sowie als solcher verfassungsrechtlich verankert. Erschwerend sei zudem zu werten, dass der Inhalt der Postkarten und Briefe in vorhersehbarer und zurechenbarer Weise nach außen hin deutlich machte, dass sie sich mit dem Nationalsozialismus identifiziere, zumindest aber mit ihm sympathisiere. Die subjektiven Handlungsumstände könnten nicht zu Gunsten der Beklagten gewertet werden. Es handele sich um eine bloße Schutzbehauptung, dass die von der Beklagten verfassten Schreiben inhaltlich nicht ihrer Überzeugung entsprächen. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls sei das Dienstvergehen als sehr schwer einzustufen. Bei einem aktiven Beamten wäre eine Entfernung angemessen und erforderlich.

Anerkannte Milderungsgründe oder sonstige durchgreifende Entlastungsgründe lägen nicht vor. Die Voraussetzungen einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit seien ebenfalls nicht gegeben. Eine solche würde voraussetzen, dass die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinne von § 20 StGB bei Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Es komme darauf an, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass die Betroffene den Tatanreizen erheblich weniger Widerstand als gewöhnlich entgegenzusetzen vermochte. Dem psychiatrischen Sachverständigengutachten sowie dem psychologischen Zusatzgutachten lasse sich entnehmen, dass ein schwerwiegender Störungskomplex sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit verifizieren lasse. Das psychophysische Leistungsvermögen der Beklagten scheine in den tatrelevanten Zeiträumen vielmehr nicht so nachhaltig verändert gewesen zu sein, dass von einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bzw. einer krankhaften seelischen Störung gesprochen werden könnte. Dagegen würden die gezeigten Anpassungsleistungen im Alltag, eine erhaltene Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie die Fähigkeit, kognitiv Recht von Unrecht zu unterscheiden, sprechen. Auch im psychologischen Zusatzgutachten werde festgestellt, dass die in der Testuntersuchung offenbarten Persönlichkeitsdimensionen bei der Beklagten weder auf eine psychotische Grunderkrankung, noch auf eine forensisch-relevante Persönlichkeitsanomalie im Sinne einer Persönlichkeitsstörung hindeuten.

Für das Vorliegen sonstiger anerkannter Milderungsgründe bestünden ebenfalls keine Anhaltspunkte. Die von der Beklagten vorgetragenen schwierigen Lebensumstände seien jedoch nicht von einem derartigen Gewicht, dass sie die schweren Verfehlungen in einem milderen Licht erscheinen lassen könnten. Die geschilderten familiären Schwierigkeiten können grundsätzlich jeden treffen und seien nicht geeignet, eine ausweglose Ausnahmesituation zu begründen. Die Beklagte habe die Taten zudem über einen längeren Zeitraum von begangen. Darüber hinaus habe sie in ihrer Beschuldigtenvernehmung vom 20. Juli 2016 angegeben, sie habe auch schon vor dem fraglichen Zeitpunkt an die jüdische Gemeinde in R. geschrieben. Ob es sich um Briefe oder Postkarten gehandelt habe, wisse sie nicht mehr, da es schon Jahre her sei. Auch habe die Beklagte das Schreiben der Postkarten und Briefe nicht freiwillig beendet. Bei der Durchsuchung ihres Hauses am 19. Juli 2016 seien weitere Beweismittel auf dem Schreibtisch im Wohnzimmer sichergestellt worden. Unter anderem sei dort eine Postkarte an die CDU und die Bundeskanzlerin Frau Dr. M2. vorgefunden worden, auf der ebenfalls Siegrunen angebracht waren. Auch die Zahl „88“ sei wieder im Rahmen der Absenderadresse verwendet worden („W. straße 88“). Eine einmalige Augenblickstat liegt somit ebenfalls nicht vor. Zugunsten der Beklagten könnten Ihre beanstandungslose Dienstzeit sowie die bisherige straf- und disziplinarrechtliche Unbescholtenheit gewertet werden. Diese Tatsachen hätten aber nicht ein derartiges Gewicht, dass von einer Aberkennung abgesehen werden könne.

Die Beklagte habe durch die über einen längeren Zeitraum erfolgte Begehung vorsätzlicher Straftaten im Kernbereich ihrer Pflichten versagt und das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört. Bei einem aktiven Beamten würde die Entfernung aus dem Dienst die angemessene Reaktion darstellen. Für Ruhestandsbeamte gelte insoweit nichts anderes. Ihnen sei das Ruhegehalt abzuerkennen. Im vorliegenden Fall sei die Aberkennung des Ruhegehalts insbesondere auch im Hinblick auf die Zwecke der Generalprävention sowie der Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes erforderlich und geboten. Die von der Beklagten begangenen Straftaten seien geeignet, das Ansehen des öffentlichen Dienstes nachhaltig zu beschädigen und die Verfassungstreue des öffentlichen Dienstes in Zweifel zu ziehen. Auch könnten die Taten Nachahmer finden.

Bei der Beklagten bestehe wohl bereits seit Jahren eine latente Suizidalität. Eine für möglich erachtete Suizidgefahr stünde der getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Sollte sich diese konkretisieren, wäre ihr primär durch geeignete medizinische Maßnahmen, ersatzweise mit denjenigen Instrumenten zu begegnen, die die Rechtsordnung zum Schutz von Personen vorsieht, bei denen ggf. eine Selbstgefährdung zu besorgen ist. Unter Abwägung aller be- und entlastenden Umstände sei festzustellen, dass die Beklagte ein derart schwerwiegendes Dienstvergehen begangen habe, dass ein endgültiger und unwiederbringlicher Vertrauensverlust eingetreten und die Verhängung der Höchstmaßnahme angezeigt sei. Es werde nicht verkannt, dass die straf- und disziplinarrechtlichen Konsequenzen eine erhebliche Belastung darstellen. Diese Konsequenzen seien ihr jedoch als vorhersehbare Folgen der von ihr begangenen Pflichtverletzungen zuzurechnen.

Der Kläger beantragt,

der Beklagten das Ruhegehalt abzuerkennen (Art. 13 BayDG).

Die Beklagte beantragt,

die Disziplinarklage abzuweisen,

hilfsweise: auf eine mildere Maßnahme als die Aberkennung des Ruhegehalts zu erkennen.

Nach dem von der Landesanwaltschaft eingeholten Gutachten stehe fest, dass die Klägerin möglicherweise schuldunfähig war. Eine solche Schuldunfähigkeit sei deshalb zu ihren Gunsten zu unterstellen. Die Klägerin leide an einem depressiven Syndrom auf dem Boden einer neurotischen Entwicklung. Es stehe fest, dass die Schuldfähigkeit nicht positiv festgestellt werden könne. Unter Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ genüge für die Annahme einer Schuldunfähigkeit aber die Feststellung, dass sie sich nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen lasse. Insofern sei zugunsten der Beklagten Schuldunfähigkeit zu unterstellen. Überdies sei noch einmal darauf hinzuweisen, dass sie wenigstens teilweise nicht vorsätzlich gehandelt habe, was die Verwendung der „einfachen Siegrune“ angehe. Es seien ihre persönlichen Lebensumstände vor und während des Tatzeitraums ebenfalls mildernd zu berücksichtigen und zwar unabhängig davon, ob Schuldfähigkeit im juristischen Sinn vorliege. Die Beklagte teile - wie es sich ja auch aus dem Gutachten ergebe - verfassungswidriges Gedankengut nicht. Für ihre Taten habe sie eine völlig andere, zum Teil im Verborgenen liegende Motivation gehabt, die auf ihre desolate psychische Verfassung zurückgehe. Letztlich sei bei der Beklagten von einer erheblich geminderten Schuldfähigkeit auszugehen. Auch nach den im gerichtlichen Verfahren eingeholten ergänzten Stellungnahmen sei dies nicht ausgeschlossen. Selbst wenn ihr Verhalten den Grad der Schuldunfähigkeit oder geminderten Schuldfähigkeit im Sinne der §§ 20 f., StGB nicht erreichen würde, wäre die gesundheitlichen Einschränkungen zugunsten der Beklagten zu berücksichtigen. Eine Aberkennung des Ruhegehalts träfe die Beklagte existentiell und wäre unverhältnismäßig.

Das Gericht hat zu dem im behördlichen Verfahren von Frau Dr. B., Ärztliche Direktorin der Forensik am Bezirkskrankenhaus …, eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten ergänzende Stellungnahmen von dieser angefordert. In ihren ergänzenden Stellungnahmen vom 07.01.2020 und 18.05.2020 führt Frau Dr. B. im Ergebnis aus, dass sich bei der Beklagten zwar einerseits unbewusste (neurotische) Motive für die Handlungen unterstellen lassen, andererseits jedoch das psychophysische Leistungsvermögen in den tatrelevanten Zeiträumen nicht so nachhaltig beeinträchtigt gewesen sei, dass eine forensische Relevanz bejaht werden könnte. Hiergegen sprächen insbesondere die gezeigten Anpassungsleistungen im Alltag, die erhaltene Selbstund Fremdwahrnehmung sowie die Fähigkeit zur Realitätsprüfung. Auch würden die testpsychologischen Befunde im Zusatzgutachten von Dr. C. die Schlussfolgerung und Einschätzung bestätigen, dass die neurotischen Strukturanteile der Beklagten keine negativen Auswirkungen auf deren psychosoziale Kompetenz entfalten würden. Die erfolgte Diagnose einer phasenweise mittelschweren bis schweren Depression nach ICD 10 mit neurotische Entwicklung und depressive Symptomatik reiche daher nicht aus, um eine krankhafte seelische Störung zum Tatzeitpunkt aus medizinischer Sicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen. Nachdem bereits aus medizinischer Sicht der Schweregrad der Störung nicht oder nicht sicher anzunehmen ist, könne eine quantitative Abschätzung der Störung und deren Auswirkungen auf die Tat entsprechend der Vorgabe der Rechtsprechung des BGH nicht erfolgen, womit sich eine psychiatrische Beurteilung der Auswirkungen einer forensisch relevanten Störungskonstellation auf die Einsichtund Schuldfähigkeit erübrige.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die vorgelegten Behördenunterlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Disziplinarkammer entscheidet mit Urteil ohne mündliche Verhandlung, da die Parteien ihr Einverständnis hiermit erklärt haben, Art. 3 des Bayerischen Disziplinargesetzes (BayDG) i.V.m. § 87a Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), Art. 58 Abs. 1 Satz 2 BayDG.

Die zulässige Disziplinarklage führt zu der Entscheidung, der Beklagten das Ruhegehalt abzuerkennen, da sie wegen eines schweren Dienstvergehens das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat.

Gegen die Ordnungsgemäßheit der Klageschrift bestehen keine Bedenken. Sie entspricht den Anforderungen des Art. 50 Abs. 1 BayDG und gibt in ausreichender Weise den persönlichen und beruflichen Werdegang der Beklagten, den bisherigen Gang des Disziplinarverfahrens sowie die für die Entscheidung bedeutsamen Tatsachen und Beweismittel in geordneter Darstellung wieder. Mängel der Klageschrift wurden nicht geltend gemacht.

1. Das Gericht legt der disziplinarrechtlichen Würdigung die tatsächlichen Feststellungen des seit 20. Januar 2017 rechtskräftigen Strafbefehls des Amtsgerichts Regensburg im Verfahren Az. 29 Cs 102 Js 16771/16 zugrunde. Dieses verurteilte die Beklagte wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in sieben Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung gemäß den §§ 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 86 Abs. 1 Nr. 4, 185, 194 Abs. 1, 53 StGB zu eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen zu je 70 €, also insgesamt 10.500 €.

Die tatsächlichen Feststellungen eines Strafbefehls sind zwar nicht gemäß Art. 55 BayDG i.V.m. Art. 25 Abs. 1 BayDG für ein Disziplinar(-klage) verfahren zwingend bindend. Das Gericht kann sie jedoch gemäß Art. 25 Abs. 2 BayDG seiner Entscheidung ohne nochmalige Prüfung zugrunde legen. Hinzu kommt, dass den in einem rechtskräftigen Strafbefehl getroffenen tatsächlichen Feststellungen eine erhebliche Indizwirkung zukommt (vgl. z.B. BayVGH vom 1.6.2005 Az. 16a D 04.3502). Die Beklagte ist den tatsächlichen Feststellungen des Strafbefehls auch nicht mit - substantiierten - Einwänden entgegen getreten, sondern hat das Versenden der Briefe zugestanden.

2. Die Beklagte hat durch das ihr zur Last gelegte und nachgewiesene Verhalten als Ruhestandsbeamtin gegen ihre Verpflichtung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG verstoßen.

Nach dieser Bestimmung gilt bei Ruhestandsbeamtinnen und Ruhestandsbeamten oder früheren Beamtinnen mit Versorgungsbezügen und früheren Beamten mit Versorgungsbezügen als Dienstvergehen, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes betätigen oder an Bestrebungen teilnehmen, die darauf abzielen, den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen, oder wenn sie schuldhaft gegen die in den §§ 37, 41 und 42 BeamtStG bestimmten Pflichten verstoßen.

Da mit dem Eintritt in den Ruhestand das Beamtenverhältnis endet, also kein Dienstverhältnis mehr besteht, können auch keine Dienstpflichten im Sinne des § 47 Abs. 1 BeamtStG mehr verletzt werden. Abs. 2 Satz 1 enthält deshalb eine gesetzliche Fiktion, indem für Ruhestandsbeamte und gleichgestellte frühere Beamte, obwohl sie in keinem Dienstverhältnis mehr stehen, bestimmte aus dem früheren Beamtenverhältnis fortdauernde Pflichten als Dienstpflichten behandelt werden, deren schuldhafte Verletzung einem Dienstvergehen gleichgestellt wird.

Als Dienstvergehen gilt u.a. die Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.

Die Pflicht zur Verfassungstreue ist die Grundpflicht der Beamten gegenüber dem Staat. Sie bildet auch einen Kernbestandteil des Diensteids (§ 38 Abs. 1 Satz BeamtStG), den die Beklagte 02.05.1975 abgelegt hat. Wegen ihrer grundlegenden Bedeutung wirkt die Pflicht zur Verfassungstreue auch über das Ende des Beamtenverhältnisses hinaus, wenn und solange der (frühere) Beamte aufgrund seines früheren Beamtenverhältnisses finanzielle Leistungen erhält. Zwischen der nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG für aktive und nach § 47 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG für Ruhestandsbeamte und gleichgestellte frühere Beamte getroffenen Regelung besteht ein gradueller Unterschied. Während für die aktiven Beamten ein Gebot zum Bekennen zur freilich demokratischen Grundordnung und eine Verpflichtung besteht, für sie einzutreten, beschränkt sich § 47 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG auf das Verbot der Betätigung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung. Der Pflichtenrahmen ist somit für den Ruhestandsbeamten enger als für den aktiven Beamten gezogen. Der Grund liegt aber nicht darin, dass von Ruhestandsbeamten ein geringeres Maß an Verfassungstreue erwartet wird, sondern dass den Ruhestandsbeamten und gleichgestellten früheren Beamten schon aus altersbedingten Gründen keine weitreichenden aktiven Handlungspflichten auferlegt werden können (Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Rn. 132 zu § 47 BeamtStG).

Während die aktive Beamtin nach § 33 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG sich somit durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten muss, nimmt § 47 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG eine passive Haltung gegenüber verfassungsfeindlichen Bestrebungen hin. Als Dienstvergehen gilt deshalb erst, wenn sich der Ruhestandsbeamte oder frühere Beamte mit Versorgungsbezügen selbst aktiv verfassungsfeindlich betätigt (Schachel in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht, Stand 9/2018, § 47 BeamtStG Rn. 29; Heitz, GKÖD, L § 77 Rn. 14).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werden dem entsprechend Aktivitäten feindseliger Art gefordert (BVerfG, B.v. 22.5.1975 - 2 BvL 13/73, BVerfGE 39, 334-391, Rn. 46). Meinungsäußerungen können, müssen aber nicht in jedem Fall den Charakter von solchen Aktivitäten feindseliger Art haben. Solange sie sich daran erschöpfen, im Vertrauen auf die Überzeugungskraft des Arguments Kritik an bestehenden Zuständen zu üben oder bestehende rechtliche Regelungen in Gesetzen und in der Verfassung in den dafür vorgesehenen verfassungsrechtlichen Verfahren zu ändern, erfüllen sie nicht die genannten Tatbestände eines Dienstvergehens. Dagegen stellen Agitationen, die die freiheitlich demokratische Grundordnung herabsetzen, verfassungsrechtliche Wertentscheidungen und Institutionen diffamieren und zum Bruch geltender Gesetze auffordern, Betätigungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung dar (BVerfG, a.a.O.).

Hiervon ausgehend hat die Beklagte durch die strafbare strafbare Verwendung nationalsozialistischer Symbole unter Benutzung nationalsozialistischem judenfeindlichen Gedankentums gegen die Pflichten aus § 47 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG verstoßen. Diese Handlungen und Aussagen sind von dem Recht auf freie Meinungsäußerung nicht gedeckt. Die Schreiben enthalten eindeutig Ausländerund judenfeindlichen Inhalt und belegen eine gedankliche Nähe zum Nationalsozialismus.

3. Die Schwere des Dienstvergehens gebietet nicht nur die Kürzung, sondern die Aberkennung des Ruhegehalts nach Art. 6 Abs. 2 Nummer 2 iVm 13 BayDG.

Nach Art. 14 Abs. 1 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach pflichtgemäßen Ermessen, insbesondere nach der Schwere des Dienstvergehens, dem Persönlichkeitsbild und der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme (BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 6/14 -, juris; U.v. 29.10.2013 - 1 D 1.12 -, BVerwGE 148, 192). Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden (BVerfG, B.v. 8.12.2004 - 2 BvR 52/02 -, BVerfGK 4, 243). Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 20.10.2005 - 2 C 12.04 -, BVerwGE 124, 252).

Nach Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BayDG wird Ruhestandsbeamten und -beamtinnen das Ruhegehalt aberkannt, wenn sie, während sie noch im Dienst, aus dem Beamtenverhältnis hätten entfernt werden müssen. Dies ist vorliegend der Fall.

Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist nur zulässig, wenn der Beamte wegen der schuldhaften Verletzung einer ihm obliegenden Pflicht das für die Ausübung seines Amtes erforderliche Vertrauen endgültig verloren hat. Ruhestandsbeamten und -beamtinnen wird das Ruhegehalt aberkannt.

Da die Schwere des Dienstvergehens nach Art. 14 Abs. 1 BayDG maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist, muss das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des Art. 6 Abs. 1 BayDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zugeordnet werden. Bei der Auslegung des Begriffs „Schwere des Dienstvergehens“ ist maßgebend auf das Eigengewicht der Verfehlung abzustellen. Hierfür können bestimmend sein objektive Handlungsmerkmale (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, z.B. Kern- oder Nebenpflichtverletzung, sowie besondere Umstände der Tatbegehung, z.B. Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte (BVerwG, U.v. 20.10.2005 - 2 C 12.04 -, BVerwGE 124, 252).

Die in Ausfüllung dieses Rahmens zu treffende Bemessungsentscheidung nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 1 BayDG führt zur Aberkennung des Ruhegehaltes (Art. 14 Abs. 2 BayDG).

Die Beklagte hat sich - wie ausgeführt - gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung betätigt und damit als Ruhestandsbeamtin ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen, dass bei einem aktiven Beamten zur Entfernung aus dem Dienst führen würde. Anhaltspunkt hierfür ist zunächst der Strafrahmen den der Gesetzgeber für das der Beklagten zur Last gelegte Verhalten vorgesehen hat. Dieser beträgt nach §§ 86a Abs. 1 Nummer 1, Absatz 2, 86 Abs. 1 Nummer 4 StGB bis zu 3 Jahren. Damit kann das strafbare Verhalten bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen (vgl. unter anderem Urteil des BVerwG vom 10.12.2015 -2C6.14-).

Unter Berücksichtigung der weiteren Umstände des Einzelfalles ist festzustellen, dass die Beklagte im Kernbereich ihrer Pflichten, nämlich der besonderen politischen Treuepflicht eines Beamten gegenüber dem Staat und seiner Verfassung verstieß. Dies wurde von der Beklagten durch ihre Postkarten und Briefe deutlich dokumentiert. Insoweit wird ersichtlich, dass die Beklagte sich mit dem Nationalsozialismus identifiziert bzw. mit diesem sympathisiert. Über die strafrechtliche Relevanz der Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen hinaus, waren die Postkarten und Briefe in klassisch nationalsozialistischem Sprachduktus gehalten („Wo Judeda Dreck!“, „Wie aus dem Stürmer entsprungen“, „der jüdische Volksverderber“, „sperrt den Saujuden endlich weg“, „jüdische Ratten wirkten im Hintergrund“, „an den Asylanten Bürgermeister“, „Asylanten sind keine Bereicherung sondern Fressfeinde“), und mehrmals mit der in der rechtsextremen Szene als Code für „Heil Hitler“ benutzten Zahlenkombination „88“ versehen. Hiermit wird eindeutig ein rechtsradikales Gedankengut dokumentiert, welches in eklatantem Widerspruch zur Pflicht der Beklagten zur Verfassungstreue steht, gerade aufgrund der deutschen Geschichte. Damit hat sich die Beklagte aktiv gegen die elementarsten Grundsätze des Rechtsstaates, für den sie aktiv Beamte war und nun Ruhestandsbeamten ist, gestellt. Die insoweit von der Beklagten zur Rechtfertigung vorgetragene Begründung, sie hätte nicht gewusst, dass sie strafbare Siegrunen verwendet, ist vor dem Hintergrund der weiteren ausländerfeindlichen und judenfeindlichen Äußerungen, verbunden mit dem nationalsozialistischen Kürzel „88“ für „Heil Hitler“ als reine Schutzbehauptung einzustufen. Auch vermag bei den über mehrere Monate andauernden Taten die Argumentation, „sie wollte wegen ihrer eigenen Schwierigkeiten und Kränkungen andere verletzen und kränken“ nicht zu überzeugen. Dies wird auch durch die strafrechtliche Verurteilung belegt. Hiermit ist das Vertrauensverhältnis zwischen Dienstherrn und Beamten restlos und schwerwiegend aufgebraucht, ferner tritt damit verbunden ein erheblicher Achtungsverlust für den öffentlichen Dienst ein.

Ergänzend wird auf die zutreffende rechtliche Bewertung des Klägers in der Disziplinarklage verwiesen, die sich die Kammer zu eigen macht.

4. Von einer an sich verwirkten Höchstmaßnahme ist ausnahmsweise zugunsten einer milderen Disziplinarmaßnahme abzusehen, wenn ein anerkannter Milderungsgrund von einem solchen Gewicht vorliegt, der geeignet ist, das schwere Dienstvergehen des Beklagten als weniger gravierend erscheinen zu lassen (vgl. BayVGH vom 22.11.2017 Az. 16b D 15.1182). Es bestehen hier jedoch keine hinreichenden tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die ihr vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen aufgrund einer krankhaften seelischen Störung in einem Zustand der erheblich verminderten Schuldfähigkeit i.S.d. §§ 20, 21 des Strafgesetzbuches (StGB) begangen hat.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind die Schuldunfähigkeit bzw. verminderte Schuldfähigkeit im Disziplinarverfahren unter folgenden Voraussetzungen zu berücksichtigen (vgl. BVerwG vom 19.2.2018 Az. 2 B 51/17 m.w.N.):

„Die Verwaltungsgerichte treffen bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme eine eigene Bemessungsentscheidung gemäß § 13 LDG NRW. Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 2 LDG NRW nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Das Bemessungskriterium „Persönlichkeitsbild des Beamten“ gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 LDG NRW erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten vor, bei und nach der Tatbegehung. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder einer psychischen Ausnahmesituation davon abweicht (BVerwG, Urteile vom 20. Oktober 2005 - 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <259 f.> und vom 3. Mai 2007 - 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 14). In diesem Zusammenhang haben die Verwaltungsgerichte auch der Frage einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit im Sinne der §§ 20 und 21 StGB nachzugehen, wenn der Sachverhalt hinreichenden Anlass bietet. Lässt sich nach erschöpfender Sachaufklärung ein Sachverhalt nicht ohne vernünftigen Zweifel ausschließen, dessen rechtliche Würdigung eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Beamten ergibt, so ist dieser Gesichtspunkt nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ in die Gesamtwürdigung einzustellen. Dies trägt auch der disziplinarrechtlichen Geltung des Schuldprinzips und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung (BVerwG, Urteile vom 3. Mai 2007 - 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 30 und vom 29. Mai 2008 - 2 C 59.07 - Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3 Rn. 27).

Erheblich verminderte Schuldfähigkeit gemäß §§ 20 und 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinne von § 20 StGB bei Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Für die Steuerungsfähigkeit kommt es darauf an, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass der Betroffene den Tatanreizen erheblich weniger Widerstand als gewöhnlich entgegenzusetzen vermochte (vgl. BGH, Urteile vom 27. November 1959 - 4 StR 394/59 - BGHSt 14, 30 <32> und vom 21. November 1969 - 3 StR 249/68 - BGHSt 23, 176 <190>; stRspr). Die daran anknüpfende Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung „erheblich“ war, ist eine Rechtsfrage, die die Verwaltungsgerichte ohne Bindung an die Einschätzung Sachverständiger in eigener Verantwortung zu beantworten haben. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seines Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der Berücksichtigung der Tatumstände, insbesondere der Vorgehensweise. Die Erheblichkeitsschwelle liegt umso höher, je schwerer das in Rede stehende Delikt wiegt (vgl. BGH, Urteile vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03 - NStZ 2004, 437 und vom 22. Oktober 2004 - 1 StR 248/04 - NStZ 2005, 329 <330>). Für die Annahme einer erheblichen Minderung der Schuldfähigkeit sind schwerwiegende Gesichtspunkte heranzuziehen wie etwa Psychopathien, Neurosen, Triebstörungen, leichtere Formen des Schwachsinns, altersbedingte Persönlichkeitsveränderungen, Affektzustände sowie Folgeerscheinungen einer Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten (vgl. Lackner/Kühl, StGB, 28. Auflage 2014, § 21 Rn. 2 m.w.N.). Dementsprechend hängt im Disziplinarrecht die Beurteilung der Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB von der Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ab. Aufgrund dessen wird sie bei Zugriffsdelikten nur in Ausnahmefällen erreicht werden (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. Mai 2007 - 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 34 und vom 29. Mai 2008 - 2 C 59.07 - juris Rn. 30).“

Aufgrund der im behördlichen Verfahren eingeholten psychiatrischen Gutachten (psychiatrisches Sachverständigengutachten vom Frau Dr. B. vom 13.11.2018 sowie psychologisches Zusatzgutachten von Herrn Dr. C. vom 30.07.2018) einschließlich der im gerichtlichen Verfahren eingeholten ergänzenden Stellungnahmen von Frau Dr. B. vom 07.01.2020 und 18.05.2020 steht für das Gericht fest, dass eine erheblich geminderte Schuldfähigkeit bei der Beklagten im tatrelevanten Zeitraum auszuschließen ist. Aus forensische Sicht ist bereits eine forensische Relevanz (Schweregrad der depressiven Störung) nicht oder nicht sicher anzunehmen. Insoweit kann auch eine Beurteilung der dadurch bedingten Auswirkung nicht umfassend bewertet werden. Zudem sprechen laut Gutachter Dr. B. die gezeigten Anpassungsleistungen der Beklagten im Alter, ihre erhaltene Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie die Fähigkeit zur Realitätsprüfung, dass ihr Krankheitsbild keine Auswirkungen in dem Maß hatte, dass eine erheblich geminderte Schuldfähigkeit in Betracht käme.

Anhaltspunkte für weitere anerkannte Milderungsgründe sind nicht ersichtlich. Insbesondere handelt es sich bei den Tathandlungen, welche sich über einen Zeitraum von über eineinhalb Jahre erstrecken, nicht um eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat. Auch die Annahme eines Milderungsgrundes im Sinne einer unverschuldeten, schwierigen und überwundenen Lebensphase greift vorliegend nicht. Zwar hat die Klägerin persönliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten in den Jahren 2006-2009 beschrieben (Vermögensverlust durch Finanzkrise 2008, Trennung von Lebensgefährten 2009, sowie Erkrankung der Mutter an Alzheimer mit deutlicher Wesensveränderung im Jahr 2006, Betreuung der Mutter im Pflegeheim ab dem Jahr 2009), doch stellt dies zum einen keine ausweglose Ausnahmesituation dar, zum anderen wurden die ersten Briefe erst ab Oktober 2014 verschickt.

5. Die Aberkennung des Ruhegehalts ist auch nicht unverhältnismäßig. Das aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip folgende Verhältnismäßigkeitsgebot beansprucht auch bei der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen Geltung. Danach muss die dem Einzelnen staatlicherseits auferlegte Belastung geeignet und erforderlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Darüber hinaus darf der Eingriff seiner Intensität nach nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den von dem Betroffenen hinzunehmenden Einbußen stehen. Ist durch das Gewicht des (aufgrund der gesetzlichen Fiktion des § 47 BeamtStG) Dienstvergehens und mangels Milderungsgründen das Vertrauen endgültig zerstört, erweist sich die Aberkennung des Ruhegehalts als erforderliche und geeignete Maßnahme, den aufgezählten Zwecken der Disziplinarmaßnahme Geltung zu verschaffen. Abzuwägen sind dabei das Gewicht des Dienstvergehens und der dadurch eingetretene Vertrauensschaden einerseits und die mit der Verhängung der Höchstmaßnahme einhergehende Belastung andererseits. Ist das Vertrauensverhältnis - wie hier - endgültig zerstört, erweist sich die Aberkennung des Ruhegehalts als angemessene und erforderliche Reaktion auf das Dienstvergehen. Die Höchstmaßnahme beruht dann auf der schuldhaften Pflichtverletzung durch den Ruhestandsbeamten und ist diesem daher als für alle öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnisse vorhersehbare Folge bei derartigen Dienstpflichtverletzungen zuzurechnen (BayVGH, U.v. 9.4.2014 - 16a D 12.1439 - juris Rn. 106 mit weiteren Nachweisen).

Die Kammer verkennt nicht, dass die Beklagte mit der Aberkennung des Ruhegehalts existentiell betroffen wird. Dies ist jedoch allein die Folge der von ihr begangenen gravierenden Dienstpflichtverletzung im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG. Ihr steht zudem für die Dauer von sechs Monaten ein Unterhaltsbeitrag gemäß Art. 13 Abs. 2 BayDG zu. Auch ist sie in der gesetzlichen Rentenversicherung nachzuversichern (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 iVm. Abs. 2 SGB VI). Im Übrigen ist die Beklagte ggf. auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu verweisen (vgl. BayVGH, U.v. 20.5.2015 - 16a D 14.1158 -, juris Rn. 68 f.).

Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Das Verfahren ist gebührenfrei (Art. 73 Abs. 1 BayDG).

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