Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 A 320/10

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 12.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Wehrbereichsverwaltung Nord vom 10.11.2010 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund der Entscheidung vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Die am 09.02.1985 geborene Klägerin wendet sich gegen die Entlassungsverfügung der Beklagten vom 12.04.2010.

2

Sie steht seit dem 01.03.2005 in Diensten der Beklagten, zunächst als Regierungssekretäranwärterin. Nach erfolgreich bestandener Laufbahnprüfung der Laufbahn des mittleren Dienstes der Fernmelde- und elektronischen Aufklärung des Bundes (Verordnung über die Laufbahn des mittleren Dienstes der Fernmelde- und elektronischen Aufklärung des Bundes vom 01.03.2002) wurde sie mit Wirkung vom 23.02.2007 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zur Regierungssekretärin zur Anstellung ernannt. Die Probezeit wurde mit Bescheid vom 06.03.2007 auf zwei Jahre festgesetzt und endete mit Ablauf des 22.02.2009. Am 09.03.2009 wurde der Klägerin das Amt einer Regierungssekretärin verliehen. Eine Ernennung zur Beamtin auf Lebenszeit ist nicht erfolgt, da die Klägerin erst im laufenden gerichtlichen Verfahren am 08.02.2012 das 27. Lebensjahr vollendet hat (§ 147 Bundesbeamtengesetz – BBG – in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Nr. 2 BBG in der bis zum 11. Februar 2009 geltenden Fassung). Die Klägerin ist schwerbehindert mit einem GdB von 100. Sie war ursprünglich beschäftigt im Fernmeldeaufklärungsabschnitt 911 in Stadum, eine Verwendung, die die Sicherheitsüberprüfung der Stufe 3 voraussetzt.

3

Am 30./31.03.2009 beging die Klägerin während einer Lehrgangsteilnahme in Hof die Straftaten der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr in Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr gemäß §§ 316 Abs. 1 und 2, 142 Abs. 1 Nr. 2, 52, 53, 69, 69a StGB. Nach dem vom Amtsgericht Hof im rechtskräftigen Strafbefehl vom 08.06.2009 zugrunde gelegten Sachverhalt fuhr die Klägerin am 30.03.2009 gegen 23:50 Uhr mit ihrem privaten PKW vom Kasernengelände der General-Hüttner-Kaserne und fuhr auf der dortigen Zufahrt ein Verkehrsschild um, dessen Standrohr dabei komplett umgebogen wurde. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von 115,– €. Die Klägerin fuhr mit ihrem Fahrzeug davon und fuhr am 31.03.2006 gegen 0:05 Uhr wieder in die Zufahrt zur Kaserne ein. Die Klägerin wurde vom dortigen Sicherheitswachdienst angehalten, es wurde eine Feldjägerstreife informiert. Die Klägerin wurde zur Blutentnahme ins Krankenhaus verbracht, wo eine Blutalkoholkonzentration von 1,98 ‰ festgestellt wurde.

4

Aufgrund dieses festgestellten Sachverhalts wurde gegen die Klägerin im Wege des Strafbefehls eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 85 Tagessätzen verhängt. Der Tagessatz wurde auf 45,– € (Gesamtgeldstrafe 3.825,– €) festgesetzt. Der Klägerin wurde die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperre von neun Monaten für die Neuerteilung verhängt.

5

Die Klägerin hatte sich in der ersten Vernehmung der zentralen Untersuchungsstelle der Bundeswehr für technische Aufklärung am 01.04.2009 dahingehend eingelassen, sie könne sich an den Tathergang nicht erinnern. Sie sei am Montagabend mit einem weiteren Lehrgangsteilnehmer mit einem Taxi in die Innenstadt von Hof gefahren und hätte sich dort in verschiedenen Lokalen aufgehalten. Sie sei dann wohl gegen 23:30 Uhr mit dem Taxi allein zur Kaserne gefahren. Das Nächste, an das sie sich erinnern könne, sei, dass die Polizei sie ins Krankenhaus zur Blutentnahme mitgenommen habe.

6

Mit Bescheid vom 24.04.2009 leitete der Präsident der Wehrbereichsverwaltung Nord ein Disziplinarverfahren gegen die Klägerin ein, welches gemäß § 22 Abs. 3 BDG mit Blick auf das laufende Strafverfahren ausgesetzt wurde.

7

Nach Rechtskraft des Strafbefehls wurde mit Schreiben vom 30. September 2009 der Disziplinarvorgang vom Untersuchungsführer an die Beklagte geleitet mit der Bitte um Prüfung der Entlassung der Klägerin gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG.

8

Die Klägerin wurde mit Schreiben vom 02.03.2010 zur beabsichtigten Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe angehört. Die bereits im Disziplinarverfahren beteiligte Bezirksschwerbehindertenvertretung forderte die Beklagte auf, sie im Rahmen der beabsichtigten Entlassung der Klägerin ordnungsgemäß zu beteiligen, und äußerte sich mit Schreiben vom 07.04.2010 gegenüber der Beklagten. Nach Auswertung der übermittelten Unterlagen sowie Gesprächen mit der Betroffenen halte die Schwerbehindertenvertretung eine Entlassung nicht für angezeigt. Es sei auffällig, dass der Vorfall vor der GeneralHüttner-Kaserne zum Anlass genommen werde, eine zu 100 % (Merkzeichen „G“ und „aG“) schwerbehinderte Beamtin aus dem Dienstverhältnis zu entfernen. Auffällig sei hierbei, dass die Beklagte unverzüglich nach der Tat bereits zu Lasten der Klägerin in deren Dienststelle ermittelt habe. Die Maßnahme stelle sich als Diskriminierung dar.

9

Die Klägerin äußerte sich im Anhörungsverfahren dahingehend, dass die Tat von ihr nicht bestritten werde. Es habe sich indes um ein völlig singuläres Ereignis in ihrem bisherigen dienstlichen als auch privaten Leben gehandelt. Der Vorgang stelle sich als „Augenblicks- versagen“ dar, welches sie von typischen Tätern einer Trunkenheitsfahrt unterscheide. Ihr sei überhaupt nicht erklärlich, wie es zu diesem „Absturz“ gekommen sein soll. Ihr sei nicht in der sonst typischen Selbstüberschätzung von Trunkenheitsfahrern unter Hinnahme eines erheblichen Gefährdungspotentials das Ausmaß ihrer Volltrunkenheit bewusst gewesen. Sie habe sich mit dieser hohen BAK schon nahe am Bereich der verminderten Schuldfähigkeit befunden. Sie habe auch das Auto nur wenige Meter außerhalb des Kasernengeländes geführt und nach Bemerken des Verkehrsunfalls den PKW gewendet, um zur Kaserne zurückzufahren, um dort Meldung zu machen. All diese Umstände dieses einmaligen außerdienstlichen Verhaltens führten dazu, dass die Voraussetzungen, unter denen gegen einen Lebenszeitbeamten eine disziplinarrechtliche Kürzung der Besoldungsbezüge in Betracht käme, nicht gegeben seien.

10

Mit Entlassungsverfügung vom 12.04.2010 entließ die Beklagte die Klägerin mit Ablauf des 30. Juni 2010 aus dem Beamtenverhältnis auf Probe. Unerheblich sei, dass die laufbahnrechtliche Probezeit bereits absolviert sei, § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG knüpfe ausschließlich an die statusrechtliche Stellung als Beamter auf Lebenszeit an. Die Feststellungen des Gerichts im Strafbefehlsverfahren seien hier ebenso wie im Disziplinarverfahren zugrunde zu legen. Durch die außerdienstliche Straftat sei vorsätzlich gegen die Verpflichtung des § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG verstoßen worden, hierdurch sei ein außerdienstliches Dienstvergehen gemäß § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG verwirklicht worden. Die beiden vorsätzlich ausgeführten Straftaten der Trunkenheitsfahrt und der Verkehrsunfallflucht seien in besonderem Maße geeignet, das Vertrauen in das Amt und das Ansehen des Beamtentums in bedeutsamer Weise zu beeinträchtigen. Bezeichnenderweise sei am 01.04.2009 in der Lokalpresse mit der Überschrift „Im Vollrausch in die Kaserne“ über diesen Vorfall berichtet worden und so die Bundeswehr in der Öffentlichkeit in ein schlechtes Licht gerückt worden. Das Verhalten habe aber auch über die Örtlichkeit der Kaserne hinaus Bezug zum Dienst. Zum Einen sei bei der festgestellten BAK auch noch am nachfolgenden Lehrgangstag um 07:30 Uhr von einer nicht unerheblichen Alkoholisierung auszugehen, damit sei gegen das Verbot, alkoholisiert den Dienst anzutreten, verstoßen worden. Des Weiteren erfolge die dienstliche Verwendung aufgrund der Ausbildung ausschließlich in sehr sensiblen Bereichen, die ein hohes Maß an Zuverlässigkeit erforderten. Die Beamtin sei in einem sicherheitsempfindlichen Bereich eingesetzt, wofür die Sicherheitsüberprüfung der Stufe 3 Voraussetzung sei. Es sei aufgrund der verwirklichten Straftat damit zu rechnen, dass der Geheimschutzbeauftragte die Sicherheitsstufe entziehen werde und die Beamtin damit nicht mehr auf dem Dienstposten einsetzbar sei. Ohne entsprechende Sicherheitsstufe könne sie auch im gesamten Bereich Fernmeldeaufklärung, für den sie ausgebildet worden sei, nicht mehr verwendet werden. Die Gesamtschau und Würdigung aller Umstände lasse den Schluss darauf zu, dass im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit eine Kürzung der Dienstbezüge zu verhängen gewesen wäre. Unbeachtlich hierfür sei die Maßnahmebeschränkung des § 14 Abs. 1 BDG. Diese Vorschrift sei auf die Entlassung von Beamten auf Probe wegen eines Dienstvergehens nicht anwendbar. Angesichts der Schwere des Dienstvergehens sei die Entlassung im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG intendiert und nur ausnahmsweise die gegenteilige Entscheidung ermessensfehlerfrei. Besondere Umstände, die ausnahmsweise ein Absehen von der Entlassung rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Solche Umstände, die sich etwa aus dem Persönlichkeitsbild, dem beruflichen Werdegang oder den bisherigen dienstlichen Leistungen ergeben könnten, seien nicht ersichtlich. Im Gegenteil schließe die letzte Beurteilung zum Ablauf der laufbahnrechtlichen Probezeit mit dem mäßigen Gesamturteil „D“ (entspricht den Anforderungen) ab. Diese Beurteilung lasse tendenziell kein übermäßiges Engagement erkennen. Die aktuelle Regelbeurteilung zum Stichtag 31. Januar 2010 sei noch nicht abgeschlossen, ausweislich der Leistungsvoreinschätzung des Berichterstatters stehe jedoch keine Leistungssteigerung zu erwarten. Auch die Schwerbehinderung stehe der Entlassung nicht entgegen. Der Vorwurf der Bezirksschwerbehindertenvertretung, dass der Vorfall genutzt werde, um eine Beamtin gerade wegen der Schwerbehinderung zu entlassen, sei mit Nachdruck zurückzuweisen. Ebenso sei nicht nachvollziehbar, dass es eine Ursächlichkeit der Schwerbehinderung für die BAK von 1,98 ‰ geben könne.

11

Gegen diese Entlassungsverfügung hat die Klägerin mit Schreiben vom 22.04.2010 Widerspruch eingelegt. Dieser wurde mit Schreiben vom 05.06.2010 im Wesentlichen mit den bereits im Anhörungsverfahren erfolgten Ausführungen begründet. Die Beklagte beteiligte im laufenden Widerspruchsverfahren erneut die Schwerbehindertenvertretung, die sich mit Schreiben vom 25.06.2010 nochmals dahingehend äußerte, dass ihrer Ansicht nach eine Entlassung nicht angezeigt sei. Es sei gegen die Beamtin von vornherein nur in eine Richtung, nämlich Entlassung aus dem Beamtenverhältnis, ermittelt worden, entlastende Sachverhalte seien nicht in dem erforderlichen Maße berücksichtigt bzw. ignoriert worden.

12

Mit Verfügung vom 22.06.2010 ordnete die Beklagte die sofortige Vollziehung des Entlassungsbescheides vom 12.04.2010 an. Das diesbezüglich angerufene Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 23. Juli 2010 – 12 B 58/10 – die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Klägerin vom 20.04.2010 gegen die Entlassungsverfügung der Antragsgegnerin vom 12.04.2010 wiederhergestellt.

13

Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 10.11.2010 zurückgewiesen, wogegen unter dem 25.11.2010 Klage erhoben wurde.

14

Die gegen die ca. 1,5 Jahre nach dem Vorfall mit Schreiben vom 24.09.2010 ausgesprochene Entziehung der der Sicherheitsüberprüfung erhobene Klage vom 08.02.2011 – 12 A 25/11 – hat die Klägerin nach Erörterung der Gründe des dortigen ablehnenden PKH- Beschlusses vom 05.03.2012 in der gemeinsamen mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

15

Die Klägerin beantragt,

16

den Bescheid des Beklagten auf Entlassung der Klägerin vom 12.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Wehrbereichsverwaltung Nord vom 10.11.2010 aufzuheben.

17

Die Beklagte beantragt,

18

die Klage abzuweisen.

19

Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide. Die Klägerin unterliege einer ganz besonderen Verantwortung in allen Aspekten der Lebensführung, dies sei mit allen Laufbahnen der elektronischen Aufklärung untrennbar verbunden. Die Beamten dieser Laufbahnen hätten in regelmäßigen Abständen die Überprüfung ihrer gesamten Lebensumstände durch den militärischen Abschirmdienst hinzunehmen, welcher zusammen mit dem Sicherheitsoffizier vor Ort und dem Geheimschutzbeauftragten im BMV für die Erteilung von Sicherheitsfreigaben und die Vergabe von Sicherheitsstufen zuständig sei. Dieses ganz besondere Vertrauen sei durch die Verfehlung der Klägerin enttäuscht worden. Es seien Zweifel an ihrer Vertrauenswürdigkeit begründet worden, so dass ihre Weiterbeschäftigung über den Entlassungszeitpunkt hinaus eine Beeinträchtigung der Sicherheitsbelange darstelle. Die Äußerungen der Schwerbehindertenvertretung seien jeweils hinreichend berücksichtigt worden, zumal die Klägerin wegen eines allgemeinen Verstoßes wie jeder andere behandelt werde.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten.

Entscheidungsgründe

21

Die Klage ist zulässig und begründet, da die angefochtene Entscheidung rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt.

22

Die Beklagte hat die Entlassung der Antragstellerin auf § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Bundesbeamtengesetz (BBG) gestützt. Nach dieser Vorschrift kann der Beamte auf Probe bei einem Verhalten entlassen werden, das bei einem Beamten auf Lebenszeit mindestens eine Kürzung der Dienstbezüge zur Folge hätte. Dass in einem entsprechenden Fall gegen einen Beamten auf Lebenszeit eine Maßnahme im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG verhängt worden wäre, muss dabei mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden können (vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 23.02.1967 – II C 29.65, BVerwGE 26, 228 ff., vom 09.06.1981 – 2 C 24.79, BVerwGE 62, 280 ff. und vom 12.10.1989 – 2 C 22/87, BVerwGE 82, 356 ff.).

23

Diese Feststellung kann im vorliegenden Fall jedoch nicht getroffen werden. Gemäß § 13 Abs. 1 Bundesdisziplinargesetz (BDG) ergeht die Entscheidung über die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Disziplinarmaßnahme ist insbesondere nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen. Das Persönlichkeitsbild der Beamtin oder des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Beamte oder die Beamtin das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat.

24

Nach § 77 Abs. 1 BBG begehen Beamte ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen. Ein Verhalten der Beamten außerhalb des Dienstes ist nach Satz 2 der Vorschrift ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalles in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für das Amt oder das Ansehen des öffentlichen Dienstes bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Zu den von Beamten zu beachtenden Pflichten gehört die Wohlverhaltenspflicht gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 BBG. Danach sind Beamte verpflichtet, mit ihrem Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die ihr Beruf erfordert.

25

Für den im vorliegenden Fall ermittelten Lebenssachverhalt kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass in einer entsprechenden Fallgestaltung gegen einen Beamten auf Lebenszeit eine Maßnahme im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG, § 8 BDG verhängt worden wäre, weil von einem außerdienstlichen Dienstvergehen auszugehen wäre, das nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet wäre, Achtung und Vertrauen in einer für ihr Amt und das Ansehen des öffentlichen Dienstes bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.

26

Das Bundesverwaltungsgericht hat unter ausdrücklicher Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung in seinem Urteil vom 30.08.2000 – 1 D 37/99, BVerwGE 112, 19 ff. (bestätigt mit Urteil vom 25.08.2009 – 1 D 1/08, Buchholz 232.0 § 77 BBG 2009 Nr 1) grundlegende Ausführungen zu Dienstvergehen im Bereich des außerdienstlichen Verhaltens gemacht. Die amtlichen Leitsätze lauten:

27

„1. Eine einmalige außerdienstliche Trunkenheitsfahrt im Sinne von § 316 StGB bedeutet bei einem Beamten, der dienstlich nicht mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs betraut ist, keine Verletzung der ihm gemäß § 54 Satz 3 BBG obliegenden Dienstpflicht (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).

28

2. Bei außerdienstlichem Verhalten ist ein Verstoß gegen § 54 Satz 3 BBG Tatbestandsmerkmal eines Dienstvergehens. Nur wenn durch das Verhalten eines Beamten Ansehen und Vertrauen in Bezug auf sein konkretes Amt oder das Ansehen des Berufsbeamtentums beeinträchtigt sind, liegt eine Pflichtverletzung nach § 54 Satz 3 i.V.m. § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG vor. Den Tatbestand eines Dienstvergehens verwirklicht ein pflichtwidriges außerdienstliches Verhalten nur dann, wenn die in § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG normierten besonderen Voraussetzungen der allgemeinen Bedeutsamkeit und der besonderen einzelfallbezogenen Eignung erfüllt sind.“

29

Nach den in dieser Entscheidung niedergelegten Grundsätzen ist bereits zweifelhaft, ob dem von der Klägerin gezeigten Verhalten überhaupt die Qualität eines Dienstvergehens zukommt.

30

Zwar wurde die strafrechtlich geahndete Tat gelegentlich einer Lehrgangsteilnahme verübt, jedoch nicht während dienstlicher Verrichtungen. Das pflichtwidrige außerdienstliche Verhalten der Klägerin hat in seinen Auswirkungen den inneren dienstlichen Kreis aber nicht in nennenswertem Umfang verlassen und hat schon deshalb keine allgemeine Bedeutsamkeit erlangt. Der von der Beklagten herangezogene Artikel aus der Lokalzeitung lässt außer der eher aus Unterhaltungsgründen erfolgten Verbreitung des Fehlverhaltens einer Einzelperson keinerlei strukturelle Kritik an der Beklagten im Allgemeinen oder an organisatorischen Vorkehrungen innerhalb des Dienstbetriebs erkennen. Die zu später Stunde in unmittelbarer Nähe zur Kaserne stattgefundenen Ereignisse haben bis auf den angerichteten vergleichsweise geringen Fremdsachschaden ansonsten Dritte weder gefährdet, noch sind sie ihnen überhaupt zur Kenntnis gelangt.

31

Das Gericht hat nach Auswertung der Beiakten und persönlicher Anhörung der Klägerin die Überzeugung gewonnen, dass bei dem strafrechtlich geahndeten Fehlverhalten der Klägerin von einem singulären Ereignis auszugehen ist. Hinweise auf allgemeine charakterliche Mängel oder gar Alkoholmissbrauch haben sich nicht ergeben. Ob sich die in der mündlichen Verhandlung klägerseits vorgetragenen jüngeren Erkenntnisse, nach denen möglicherweise auch die Behinderung der Klägerin mitursächlich für die starke Alkoholwirkung und das damit einhergegangene fehlende Erinnerungsvermögen der Klägerin an den Tathergang war, tatsächlich medizinisch erhärten ließen, kann für diesen Rechtsstreit dahinstehen. Auch ohne einen solchen Zusammenhang ist für das Gericht die Angabe der Klägerin glaubhaft, nach der sie aus dem Verlauf des Abends die Lehre gezogen hat, künftig noch sorgsamer mit Alkohol umzugehen. Ihr war der erfahrene Kontrollverlust sichtlich unangenehm, zumal ihr bewusst ist, dass sich auch für sie noch durchaus schlimmere Folgen hätten ergeben können.

32

Das Gericht ist deshalb überzeugt, dass das gezeigte Fehlverhalten der Klägerin nicht im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geeignet ist, das auch vom Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung grundsätzlich mit Recht angeführte Ziel der Wahrung des „Ansehens des Beamtentums“ zu gefährden. Das Bundesverwaltungsgericht hat a.a.O. ausgeführt:

33

„Eine außerdienstliche Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB beeinträchtigt das Vertrauen in die pflichtgemäße Amtserfüllung eines Beamten, wenn ihm das Führen eines Kraftfahrzeuges als Dienstaufgabe obliegt. Sofern der Beamte hingegen dienstlich nicht mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges betraut ist, lässt eine einmalige vorsätzliche oder fahrlässige Trunkenheitsfahrt keinen Schluss auf ein dienstliches Verhalten zu, das die Gesetze oder die dem Beamten anvertrauten Rechtsgüter missachtet. Ein solcher Schluss erscheint dem Senat unter Aufgabe seiner bisherigen anderslautenden Rechtsprechung nur bei einer Mehrzahl entsprechender außerdienstlicher Gesetzesverstöße möglich, wenn das Fehlverhalten dadurch eine neue Qualität im Hinblick auf die Beurteilung der dienstlichen Vertrauenswürdigkeit des Beamten erhält.“

34

Eine solche geforderte Mehrzahl von Verstößen liegt nicht vor, auch wenn im Strafbefehl drei Delikte mit einer Gesamtstrafe geahndet worden sind. Jedenfalls disziplinarrechtlich erscheint die dort vorgenommene Aufteilung in Abfahrt, Entfernen vom Unfallort und Rückfahrt nicht angemessen. Es liegt vielmehr auch bereits in zeitlicher Hinsicht ein einheitlich zu würdigender Lebenssachverhalt vor und keine Mehrzahl von Gesetzesverstößen im Sinne der Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts.

35

Ist so bereits die grundsätzliche Einstufung als Dienstvergehen zweifelhaft, ist aus den genannten Gründen aber jedenfalls die hypothetisch gebotene Ahndung mittels einer Kürzung der Dienstbezüge nicht sicher festzustellen, bzw. sogar vorliegend als eher ausgeschlossen anzusehen.

36

Zu Unrecht beruft sich die Beklagte darauf, dass dem Verhalten der Klägerin auch mit Blick auf deren weitere Verwendbarkeit in einem sicherheitsrelevanten Bereich eine besondere Schwere zukomme. Zwar ist der Klägerin nach Rücknahme der entsprechenden Klage die ihr verliehene Sicherheitsstufe 3 bestandskräftig für einen beschränkten Zeitraum von 3 Jahren durch den Geheimschutzbeauftragten entzogen worden. Abgesehen davon, dass diese Maßnahme ausweislich der Aktenlage aktiv vor dem Hintergrund des hier streitgegenständlichen Entlassungsverfahrens betrieben wurde und in der Sache seitens des Geheimschutzbeauftragten auch eine andere Bewertung denkbar gewesen wäre, ist jedenfalls nicht von vornherein auszuschließen, dass die Klägerin die entsprechende Sicherheitsfreigabe wieder erhalten kann. In dem entsprechenden Schreiben vom 24.09.2010 heißt es unter „VI. Fürsorgeerwägungen“ entsprechend:

37

„Aufgrund der von Ihnen geäußerten Einsicht in Ihr Verhalten und der Bewertung Ihrer Person durch Ihren Vorgesetzten bin ich jedoch bereit, den ansonsten geltenden Fünfjahreszeitraum für die Feststellung eines Sicherheitsrisikos auf 3 Jahre zu verkürzen.“

38

Zudem sind auch andere Konstellationen denkbar, in denen in derselben Verwendung wie der Klägerin tätigen Beamten die Sicherheitsfreigabe entzogen wird, unter Umständen sogar, ohne dass ein dafür kausales schuldhaftes Verhalten des Betroffenen vorliegt. Auch in solchen Fällen ist der Dienstherr gehalten, zumindest zeitweise eine alternative Verwendung zu ermöglichen.

39

Ist so nach allem § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Bundesbeamtengesetz (BBG) tatbestandlich nicht erfüllt, bedarf es keiner weiteren Ausführungen zur Ermessensbetätigung der Beklagten. Ob diese angesichts des Umstandes, dass zwar das aus der Beurteilungslage ersichtliche Beurteilungsniveau der Klägerin vor der Tat zu deren Lasten berücksichtigt worden ist, die faktische Bewährung in der Probezeit aber keine hinreichende Würdigung erfahren hat, ohne Rechtsfehler erfolgt ist, kann damit ebenso dahinstehen, wie die in der mündlichen Verhandlung diskutierte Frage, ob die Äußerungen der Schwerbehindertenvertretung hinreichend berücksichtigt worden sind.

40

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

41

Beschluss

42

Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§ 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Nr. 1, 63 Abs. 2 GKG auf 14.631,50 € festgesetzt (Hälfte des 13-fachen Endgrundgehaltes der Besoldungsgruppe A 6, hier 2.251,– €).


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