Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 A 194/12

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 08. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Dezember 2012 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung überzahlter Versorgungsbezüge.

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Die Klägerin hat als Witwe des am 03. November 1994 verstorbenen ehemaligen Berufssoldaten … seit dem 01. Dezember 1994 Anspruch auf Versorgungsbezüge nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG). Mit Bescheid vom 27. Januar 1995 setzte das Wehrgebührnisamt die der Klägerin zustehenden Versorgungsbezüge fest. Da die Klägerin als Beamtin im Dienst des Landes Schleswig-Holstein stand, wurden die Versorgungsbezüge gemäß § 53 SVG gekürzt (Bescheid vom 30.01.1995).

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Seit dem 01. September 2002 bezog die Klägerin Ruhegehalt vom Land Schleswig-Holstein. Mit Bescheid vom 01. Oktober 2002 führte die Wehrbereichsverwaltung West (WBV) rückwirkend zum 01. September 2002 die Ruhensregelung nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 … SVG unter Beachtung der Höchstgrenze von 75 v.H. durch und forderte die daraus in der Zeit vom 01. September bis 31. Oktober 2002 entstandene Überzahlung in Höhe von 967,29 Euro zurück. Dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden.

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In der Folgezeit erhielt die Klägerin von der WBV laufend Änderungsmitteilungen über die Regelung der Versorgungsbezüge nach § 55 SVG.

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Mit Änderungsmitteilung Nr. 2/11B (Bl. 440 „B“) informierte die WBV die Klägerin darüber, dass die Höchstgrenzenberechnung zum 01. Januar 2011 von bisher - vorläufig - 75 v.H. der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge auf - vorläufig - 71,75 v.H. vermindert worden sei. Gleichwohl erhielt die Klägerin die Änderungsmitteilungen Nrn. 3/11 und 4/11 (Bl. 443 und 445 „B“), wonach ab 01. April 2011 die Höchstgrenzenberechnung wieder mit - vorläufig - 75 v.H. durchgeführt wurde.

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Nachdem sie der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte, forderte die WBV von ihr mit Bescheid vom 08. August 2012 für die Zeit vom 01. Januar 2011 bis 31. August 2012 zu viel gezahlte Versorgungsbezüge in Höhe von 2.752,90 Euro gemäß § 49 Abs. 2 SVG in Verbindung mit §§ 812 ff BGB zurück, wobei sie der Klägerin zur Vermeidung von Härten für die Rückzahlung des überzahlten Betrages 27 monatliche Tilgungsraten von je 100,- Euro brutto und eine restliche Rate in Höhe von 52,90 Euro brutto einräumte, beginnend ab Oktober 2012. Auf den Verbrauch der Leistung (§ 818 Abs. 3 BGB) könne sich die Klägerin nicht berufen, weil die Zahlung der Versorgungsbezüge gemäß § 820 Abs. 1 BGB unter dem gesetzlichen Vorbehalt einer Ruhens- oder Anrechnungsvorschrift stehe.

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Zur Begründung ihres dagegen unter dem 13. August 2012 eingelegten Widerspruchs führte die Klägerin in einem späteren Schreiben im Wesentlichen aus:

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Sie könne sich gemäß § 49 Abs. 2 Satz 1 SVG in Verbindung mit § 818 Abs. 3 BGB auf den Wegfall der Bereicherung berufen, denn sie habe die Überzahlung, die sich auf weniger als 10 % der für den Überzahlungszeitraum zustehenden Bezüge belaufe, im Rahmen ihrer normalen Lebensführung verbraucht. Sie habe weder positive Kenntnis von der Überzahlung gehabt noch sei diese so offensichtlich gewesen, dass sie sie hätte erkennen müssen (§ 49 Abs. 2 Satz 2 SVG in Verbindung mit § 819 BGB). Sie unterliege auch nicht der verschärften Haftung nach § 49 Abs. 2 Satz 1 SVG in Verbindung mit § 820 Abs. 1 Satz 2 BGB. Ein gesetzlicher Vorbehalt der nachträglichen Änderung bestehe nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht, wenn die Verwaltungsbehörde die Versorgungsbezüge nicht deshalb fehlerhaft festgesetzt habe, weil ihr das Einkommen des Versorgungsempfängers aus der Verwendung im öffentlichen Dienst unbekannt gewesen sei oder sich dieses oder die Versorgung nachträglich geändert habe, sondern weil sie eine für die Berechnung der Versorgungsbezüge maßgebliche Vorschrift nicht richtig angewendet oder übersehen habe. Ein solcher Fall liege hier vor. Die WBV habe bei der Berechnung § 55 Abs. 2 Nr. 3 SVG nicht richtig angewendet. Sie sei bei der Berechnung der Höchstgrenze teilweise, d.h. ab 01. April 2011 fälschlicherweise von einer Höchstgrenze von 75 % ausgegangen. Ihr Einkommen sei der WBV bei der Berechnung der Versorgungsbezüge stets bekannt gewesen.

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Am 30. November 2012 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht (Untätigkeits-)Klage erhoben.

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Durch Widerspruchsbescheid vom 04. Dezember 2012 korrigierte die WBV ihren Bescheid vom 08. August 2012 hinsichtlich des Überzahlungszeitraums dahingehend, dass die Überzahlung in Höhe von 2.752,90 Euro „in der Zeit vom 01.04.2011 bis 30.06.2012“ entstanden sei, rechnete die Überzahlung gemäß § 50 SVG in Verbindung mit § 387 ff BGB ab dem 01. Oktober 2012 in 27 monatlichen Raten zu 100,- Euro sowie einer Restrate zu 52,90 Euro gegen die Bezüge der Klägerin auf und wies den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.

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Durch das Versorgungsänderungsgesetz vom 20. Dezember 2001 seien u.a. die Rechtsverhältnisse für am 01. Januar 2002 vorhandene Witwen neu geregelt und § 97 neu in das SVG eingefügt worden. Gemäß § 97 Abs. 3 SVG würden ab der ersten auf den 31. Dezember 2002 folgenden Anpassung der Versorgungsbezüge nach § 89b SVG in Verbindung mit § 70 BeamtVG die der Berechnung der Versorgungsbezüge zugrunde liegenden ruhegehaltfähigen Dienstbezüge bis zur siebten Anpassung durch einen Anpassungsfaktor vermindert. Dadurch reduziere sich zum 01. Januar 2011 faktisch der vorherige Ruhegehaltsatz von 75 % auf 71,75 %. Dies sei der Klägerin, bezogen auf die Anwendung der Ruhensvorschrift des § 55 SVG, mit Änderungsmitteilung Nr. 2/11B aus Februar 2011 mitgeteilt worden. Im Juni 2011 habe die Klägerin ihre Abrechnung über Versorgungsbezüge übersandt, die eine rückwirkende Erhöhung ihres Ruhegehaltes zum 01. April 2011 ausgewiesen habe. Bei der Einbeziehung ihres Ruhegehaltes in die durchzuführende Ruhensregelung sei durch einen Signierfehler ab dem 01. April 2011 jedoch wieder mit einer Höchstgrenze von 75 % gerechnet worden (Änderungsmitteilung Nr. 3/11). Daraus habe sich ein geringerer Ruhensbetrag und daraus eine Erhöhung des laufenden Zahlbetrages ergeben. 2012 sei der Fehler festgestellt worden. Die in der Zeit vom 01. April 2011 bis 30. Juni 2012 entstandene Überzahlung in Höhe von 2.752,90 Euro werde zurückgefordert.

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Die Klägerin könne sich nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen, denn sie hätte den Mangel des Rechtsgrundes wegen Offensichtlichkeit erkennen müssen (§§ 812, 818, 819 BGB, § 49 Abs. 2 Satz 2 SVG). Von einer mit Besoldungs- und Versorgungsfragen nicht näher betrauten Witwe könne zwar nicht verlangt werden, dass sie ihre Versorgungsbezüge selbst zutreffend ausrechnen könne. Es sei jedoch von ihr zu erwarten, dass sie sich grundsätzliche Kenntnisse über die ihr zustehenden Bezüge verschaffe. Die rückwirkende Erhöhung ihres Ruhegehaltes zum 01. April 2011 habe im Rahmen der laufenden Anwendung von § 55 SVG fehlerhaft nicht zu einer Erhöhung, sondern zu einer Reduzierung des Ruhensbetrages und somit zu einer Erhöhung des monatlichen Zahlbetrages geführt. Diese Abweichung von der der Klägerin seit Jahren bekannten Systematik der Ruhensregelung hätte ihr durch einen Vergleich der monatlichen Zahlbeträge auffallen und sie zumindest zu Rückfragen veranlassen müssen. Dazu habe es lediglich eines Abgleichs der Änderungsmitteilungen bedurft. Ein Absehen von der Rückforderung gemäß § 49 Abs. 2 Satz 3 SVG aus Billigkeitsgründen wäre nur möglich, wenn die Einziehung für die Klägerin eine besondere Härte bedeuten würde. Eine solche wäre anzunehmen, wenn sich die Klägerin in einer unverschuldeten Notlage befände und zu befürchten wäre, dass die Weiterverfolgung des Anspruchs zu einer Existenzgefährdung führen würde. Unter Berücksichtigung der der Klägerin zurzeit zustehenden monatlichen Versorgungsbezüge in Höhe von 1.255,63 Euro netto und der Pfändungsgrenzen gemäß § 850c ZPO würden die im Rückforderungsbescheid festgesetzten Tilgungsraten von 100,- Euro monatlich aufrechterhalten. Ein Absehen oder Teilabsehen von der Rückforderung komme nicht in Betracht.

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Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Klage im Wesentlichen vor:

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Sie hätte den Mangel des Rechtsgrundes nicht wegen Offensichtlichkeit erkennen müssen. Bei Hinterbliebenen könnten keine allzu hohen Anforderungen an Inhalt und Umfang der Überprüfung ihrer Versorgungsbezüge gestellt werden. Die Ausführungen der Beklagten in ihrem Widerspruchsbescheid vermöchten eine grobe Fahrlässigkeit ihrerseits nicht zu rechtfertigen. Es sei zu vermuten, dass der Beklagten der Grund für die Überzahlung zunächst selbst nicht bekannt gewesen sei. Denn sie habe auf ihre mit Schreiben vom 09. und 11. Juli 2012 geäußerte Bitte, ihr den Grund für die 18monatige Überzahlung mitzuteilen, keine Antwort erhalten. Erstmals im Widerspruchsbescheid sei der Grund für die Überzahlung dargelegt worden.

15

Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 08. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Dezember 2012 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

19

Sie verweist zur Begründung auf ihren Widerspruchsbescheid vom 04. Dezember 2012. Die Kammer hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 08. Januar 2014 der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet. Der Rückforderungsbescheid der WBV vom 08. August 2012 und der Widerspruchsbescheid vom 04. Dezember 2012 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

22

Rechtsgrundlage für die Rückforderung ist § 49 Abs. 2 Satz 1 SVG. Danach regelt sich die Rückforderung zu viel gezahlter Versorgungsbezüge nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, soweit gesetzlich nichts Anderes bestimmt ist. Nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ist derjenige, der etwas ohne rechtlichen Grund erlangt hat, zur Herausgabe verpflichtet. Die Klägerin hat im Zeitraum vom 01. April 2011 bis einschl. 31. August 2012 - insoweit ist die Angabe des Überzahlungszeitraums im Widerspruchsbescheid unrichtig - unstreitig eine Überzahlung in Höhe von 2.752,90 Euro erhalten. Insoweit wird auf die Ausführungen der WBV im Widerspruchsbescheid verwiesen.

23

Die Klägerin ist somit dem Grunde nach zur Herausgabe des überzahlten Betrages verpflichtet. Zweifelhaft ist, ob die Klägerin sich auf den Wegfall der Bereicherung berufen kann (§ 818 Abs. 3 BGB). Im Allgemeinen kann ohne nähere Prüfung der Wegfall der Bereicherung unterstellt werden, wenn die im jeweiligen Monat zu viel gezahlten Bezüge 10 % des insgesamt zustehenden Betrages nicht übersteigen (vgl. Nr. 12.2.12 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern vom 11. Juli 1997 (GMBl. 1997, S. 314) zu § 12 BBesG). In diesem Fall wird vermutet, dass die gewährten Leistungen im Rahmen der allgemeinen Lebensführung tatsächlich verbraucht worden sind (OVG Bremen, Urteil vom 09.03.1994 - 2 BA 28/93 - und VG Saarland, Urteil vom 21.02.2013 - 2 K 238/11 -, beide zitiert nach juris). Diese Voraussetzung dürfte hier für den weitaus überwiegenden Teil des am 01. April 2011 beginnenden Überzahlungszeitraums nicht gegeben sein, wie sich aus der Gegenüberstellung Soll- / Ist - Berechnung (Anlage zum Bescheid vom 08.08.2012, Bl. 470 „B“) ergibt.

24

Darüber hinaus dürfte die Klägerin verschärft haften mit der Folge, dass sie sich auch aus diesem Grund nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen kann.

25

Zwar ergibt sich eine verschärfte Haftung der Klägerin nicht aus § 49 Abs. 2 Satz 1 SVG in Verbindung mit §§ 820 Abs. 1 Satz 2, 818 Abs. 4 BGB. Danach greift die verschärfte Haftung nach den allgemeinen Vorschriften ein, wenn die Leistung aus einem Rechtsgrund erfolgt ist, dessen Wegfall nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts als möglich angesehen wurde, und der Rechtsgrund sodann tatsächlich wegfällt. Diese Regelung ist ihrem Sinngehalt nach auf Leistungen unter Vorbehalt anzuwenden, wenn beide Vertragsteile die Möglichkeit einer Rückforderung unterstellt haben, weil z.B. noch das Bestehen der Schuld geprüft werden muss oder es sich um eine vorläufige Leistung handelt. Hieran anknüpfend hat das Bundesverwaltungsgericht die Regelung des § 820 BGB auf Zahlungen entsprechend angewandt, die unter ausdrücklichem oder gesetzesimmanentem Vorbehalt geleistet wurden. Ein solcher Vorbehalt wurde bei Abschlagszahlungen, bei der Fortzahlung von Bezügen, die einem entlassenen Beamten aufgrund einer gerichtlichen Aussetzung der Vollziehung mit Rücksicht auf die von ihm gegen die Entlassungsverfügung erhobene Klage gezahlt worden sind, sowie bei Regelungen über das Ruhen von Versorgungsbezügen angenommen (BVerwG, Urteil vom 28.02.1985 - 2 C 16/84 -, zitiert nach juris). Die Klägerin verweist in ihrer Widerspruchsbegründung zu Recht auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. November 1985 (Az. 6 C 37/83, zitiert nach juris, Rdnr. 22). Danach besteht bei Ruhensberechnungen ein gesetzlicher Vorbehalt der nachträglichen Änderung dann nicht, wenn die Verwaltungsbehörde die Versorgungsbezüge nicht deshalb fehlerhaft festgesetzt hat, weil ihr das Einkommen des Versorgungsempfängers aus der Verwendung im öffentlichen Dienst unbekannt war oder sich dieses oder die Versorgung nachträglich geändert hat, sondern weil sie - wie hier - eine für die Berechnung der Versorgungsbezüge maßgebende Vorschrift nicht richtig angewendet oder übersehen hat. In diesem Fall sei das für den gesetzesimmanenten Vorbehalt bei Ruhensberechnungen maßgebende Kriterium der Unsicherheit, in welchem Umfang die Versorgungsbezüge infolge eines Verwendungseinkommens ruhen, nicht gegeben.

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Eine verschärfte Haftung der Klägerin dürfte sich jedoch aus § 49 Abs. 2 Satz 2 SVG in Verbindung mit §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4 BGB ergeben. Danach kann sich derjenige nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen, der bei dem Empfang der Leistung den Mangel des rechtlichen Grundes kannte. Der Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes steht es nach § 49 Abs. 2 Satz 2 SVG gleich, wenn der Mangel so offensichtlich war, dass der Empfänger ihn hätte erkennen müssen. Der Mangel des rechtlichen Grundes ist als offensichtlich anzusehen, wenn der Beamte bzw. Versorgungsempfänger ihn nicht erkannt hat, weil er die im Rechtsverkehr erforderliche Sorgfalt in besonderem Maße außer Acht gelassen hat, wobei es auf die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des die Zahlung in Empfang nehmenden Beamten bzw. Versorgungsempfängers ankommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.02.1985 - 2 C 16/84 - zitiert nach juris). Dabei bedeutet „offensichtlich“ nicht „ungehindert sichtbar“. Offensichtlich ist eine Tatsache vielmehr schon dann, wenn sie der Erkenntnis leicht durch andere als optische Wahrnehmungen zugänglich ist, insbesondere wenn sie durch Nachdenken, logische Schlussfolgerungen oder durch sich aufdrängende Erkundigungen in Erfahrung gebracht werden kann (vgl. VG Lüneburg, Urteil vom 29.01.2003 - 1 A 121/01 - zitiert nach juris).

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Gemessen an diesen Grundsätzen spricht einiges dafür, dass es der Klägerin, wenn sie die Änderungsmitteilungen Nrn. 3/11 und 4/11 genau gelesen hätte, hätte auffallen müssen, dass diese hinsichtlich der ab 01. Januar 2011 geltenden Höchstgrenze im Widerspruch zur Änderungsmitteilung Nr. 2/11B standen. Darüber hinaus weist die WBV in ihrem Widerspruchsbescheid zu Recht darauf hin, dass auch die Erhöhung des monatlichen Zahlbetrages ab 01. April 2011 trotz Erhöhung des ihr zustehenden Ruhegehalts die Klägerin zu einer Nachfrage bei der für die Versorgungsbezüge zuständigen Dienststelle hätte veranlassen müssen, weil dieses Ergebnis von der bisherigen ihr bekannten Systematik abwich.

28

Die Frage einer verschärften Haftung der Klägerin bedarf jedoch im Rahmen dieses Rechtsstreits keiner abschließenden Entscheidung, denn die von der Beklagten nach § 49 Abs. 2 Satz 3 SVG zu treffende Billigkeitsentscheidung leidet an Ermessensfehlern. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bezweckt die Billigkeitsentscheidung nach der inhaltsgleichen Vorschrift des § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG eine allen Umständen des Einzelfalles gerecht werdende, für die Behörde zumutbare und für den Beamten tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen. Sie ist Ausdruck des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben und stellt eine sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen Grundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung dar, so dass sie vor allem in Fällen der verschärften Haftung von Bedeutung ist. Dabei ist jedoch nicht die gesamte Rechtsbeziehung, aus welcher der Bereicherungsanspruch erwächst, nochmals unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu würdigen, sondern auf das konkrete Rückforderungsbegehren und vor allem auf die Modalitäten der Rückabwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensumstände des Beamten abzustellen (BVerwG, Urteil vom 27.01.1994 - 2 C 19.92 -, zitiert nach juris). Bei der Billigkeitsentscheidung ist von besonderer Bedeutung, wessen Verantwortungsbereich die Überzahlung zuzuordnen ist und in welchem Maße ein Verschulden oder Mitverschulden hierfür ursächlich war. Ein Mitverschulden der Behörde an der Überzahlung ist in die Ermessensentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG einzubeziehen (BVerwG, Urteil vom 27.01.1994, a.a.O.). Deshalb ist aus Gründen der Billigkeit in der Regel von der Rückforderung teilweise abzusehen, wenn der Grund für die Überzahlung in der überwiegenden behördlichen Verantwortung liegt. Der Beamte, der nur einen untergeordneten Verursachungsbeitrag für die Überzahlung gesetzt hat, muss besser stehen als der Beamte, der die Überzahlung allein zu verantworten hat. Angesichts dessen erscheint ein Absehen von der Rückforderung in der Größenordnung von 30 % des überzahlten Betrages im Regelfall angemessen (BVerwG, Urteil vom 26.04.2012 - 2 C 15/10 -, zitiert nach juris).

29

So liegt der Fall hier. Die Ursache für die Überzahlung fiel allein in den Verantwortungsbereich der Beklagten. Zwar ist die Klägerin nicht oder nur unzureichend der ihr obliegenden Verpflichtung nachgekommen, die Änderungsmitteilungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und auf Überzahlungen zu achten. Dieser Verursachungsbeitrag fällt jedoch weniger schwer ins Gewicht als der der Behörde. Diese muss sich entgegenhalten lassen, dass die Überzahlungen über einen langen Zeitraum und in nicht nur geringer Höhe geleistet und auch bei einer Neuberechnung der Versorgungsbezüge im Juli 2011 nicht erkannt wurden. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall auch von dem dem Beschluss des OVG Lüneburg vom 24. Juli 2013 (Az. 5 LB 85/13, zitiert nach juris) zugrundeliegenden Sachverhalt. Dieses hatte die Entscheidung der Behörde, den Rückforderungsbetrag nicht aus Billigkeitsgründen zu mindern, nicht beanstandet, weil der Fehler auf Seiten der Behörde nur geringfügig war und binnen kurzer Zeit aufgedeckt wurde, während der Kläger auf seinen Gehaltsbescheinigungen einen ins Auge springenden Fehler nicht erkannt hatte.

30

Die Beklagte hat der Klägerin zwar Ratenzahlung eingeräumt, jedoch bei ihrer Billigkeitsentscheidung nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Überzahlung überwiegend in ihren Verantwortungsbereich fiel. Die Klägerin hat deshalb einen Anspruch darauf, dass die Beklagte eine Ermessensentscheidung darüber trifft, ob aus Billigkeitsgründen auf die Rückforderung ganz oder teilweise verzichtet wird. Das Unterlassen dieser Ermessensentscheidung bzw. eine fehlerhafte Ermessensausübung macht den Rückforderungsbescheid insgesamt rechtswidrig (VG Neustadt, Urteil vom 25.02.2013 - 3 K 791/12.NW - zitiert nach juris).

31

Danach war der Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

32

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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