Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (9. Kammer) - 9 A 169/15

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der erstattungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit durch den Beklagten sowie die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises.

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Er wurde am xx.xx.199x (in der Klagebegründung ist fälschlich der xx.xx.199x genannt) in B-Stadt als Sohn der usbekischen Staatsangehörigen K. A. geboren. Diese war seit dem xx.xx.199x mit dem deutschen Staatsangehörigen O. A. verheiratet, der in der Abstammungsurkunde des Klägers als Vater eingetragen wurde. Dem Kläger wurde daraufhin ein Kinderausweis ausgestellt, der ihn als Deutschen auswies.

3

Nach der Scheidung der Ehe focht O. A. die Vaterschaft erfolgreich an. Mit Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 06.05.1997, das am 27.06.1997 rechtskräftig wurde, wurde festgestellt, dass der Kläger nicht das eheliche Kind des O. A. ist. Die Ausländerbehörde in Hamburg ging in einer an die Mutter des Klägers gerichteten Verfügung vom 25.09.1998, mit der ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt wurde, deshalb davon aus, dass der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hatte. Durch Urteil vom 25.02.2000 wurde rechtskräftig festgestellt, dass der rumänische Staatsangehörige M. N. der Vater des Klägers ist. Der Kinderausweis des Klägers wurde im Jahr 2003 durch die Ausländerbehörde Flensburg eingezogen. Derzeit ist der Kläger im Besitz eines usbekischen Nationalpasses und lebt mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland.

4

Mit Schreiben vom 30.12.2014 beantragte er bei dem Beklagten die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises zum Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit. Er habe nie einen Bescheid darüber erhalten, dass er die deutsche Staatsangehörigkeit verloren habe. Tatsächlich sei das auch nicht der Fall, denn die Vaterschaftsanfechtung habe nicht zum Verlust seiner deutschen Staatsangehörigkeit geführt. Die insoweit bislang geltende Rechtsprechung sei nicht mehr anwendbar. Dies folge aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2013, mit dem die Regelung über die behördliche Vaterschaftsanfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB für verfassungswidrig erklärt worden sei, da der daraus folgende rückwirkende Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit nicht mit Art. 16 Abs. 1 GG vereinbar sei. Darin liege neben einer Entziehung auch ein nicht gerechtfertigter Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, da es an einem entsprechenden ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt fehle. Diese Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts müssten auch für den Fall gelten, dass die Staatsangehörigkeit nach der bisherigen Rechtsprechung aufgrund einer erfolgreichen Anfechtung durch den Vater selbst rückwirkend entfalle. Auch hier fehle es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung für den Verlust der Staatsangehörigkeit.

5

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 07.05.2015 ab und führte zur Begründung aus, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 07.12.2013 nur den Verlust der Staatsangehörigkeit aufgrund einer behördlichen Vaterschaftsanfechtung betreffe. Hier liege eine andere Fallkonstellation, nämlich die Anfechtung der Vaterschaft durch eine natürliche Person, vor. Dafür gelte weiterhin der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.10.2006, wonach der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit aufgrund einer erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft durch den Scheinvater nach § 1600 Abs. 1 BGB keine nach Art. 16 Abs. 1 GG unzulässige Entziehung der Staatsangehörigkeit darstelle. Das VG Oldenburg habe mit Urteil vom 11.02.2015 bestätigt, dass der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2013 nicht auf die Anfechtung durch den Scheinvater übertragbar sei. In einem solchen Fall fehle es, anders als bei der Behördenanfechtung, an einem zielgerichteten finalen Eingriff durch die öffentliche Gewalt. Primäres Ziel der Vaterschaftsanfechtung durch eine natürliche Person sei in der Regel die Beseitigung der familienrechtlichen Pflichten wie z.B. der Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind. Der rückwirkende Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit trete als mittelbare und vom Anfechtenden in der Regel nicht vorrangig beabsichtigte Folge ein. Daher seien hier nicht die gleichen strengen Anforderungen wie bei einem finalen Eingriff zu stellen.

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Gegen diesen Bescheid legte der Kläger fristgemäß Widerspruch ein, den der Beklagte mit Bescheid vom 29.07.2015 unter Bezugnahme auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid als unbegründet zurückwies.

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Daraufhin hat der Kläger fristgemäß Klage erhoben und zur Begründung an seiner Ansicht festgehalten, dass es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage für den Verlust der Staatsangehörigkeit in Folge der Vaterschaftsanfechtung fehle. In § 17 des im Jahre 1997 geltenden Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes (RuStAG) seien die Verlustgründe aufgezählt; die Vaterschaftsanfechtung sei dort nicht genannt. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2013 könne auch nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Verlust der Staatsangehörigkeit im Falle einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung aufgrund einer „ungeschriebenen Rechtsregel“ erfolge. Dies habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 24.10.2006 zwar noch vertreten, von dieser Annahme sei es aber in der Entscheidung vom 17.12.2013 abgerückt. Es habe darin ausgeführt, dass eine ungeschriebene Rechtsregel wie die, dass das Staatsangehörigkeitsrecht in vollem Umfang den familienrechtlichen Abstammungsvorschriften folge, nicht ausreichend sei, um den Gesetzesvorbehalt des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG zu erfüllen. Das Bundesverfassungsgericht habe sich zwar ausdrücklich nur mit der behördlichen Vaterschaftsanfechtung befasst, die Ausführungen hinsichtlich des Verstoßes gegen den Grundsatz des Gesetzesvorbehalts müssten aber genauso für die ungeschriebenen Rechtsregeln im Fall einer privaten Vaterschaftsanfechtung gelten.

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Der Kläger beantragt,

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den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 07.05.2015 in Form des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2015 zu verpflichten festzustellen, dass er, der Kläger, die deutsche Staatsangehörigkeit inne hat und ihm einen Staatsangehörigkeitsausweis auszustellen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung nimmt er Bezug auf sein Vorbringen im Vorverfahren und hebt noch einmal hervor, dass die Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts zur Behördenanfechtung auf die Anfechtung durch den „Scheinvater“ nicht übertragbar seien.

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Mit Beschluss vom 21.03.2016 hat die Kammer die beantragte Prozesskostenhilfe aufgrund fehlender hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt. Sie hat zur Begründung auf die ihrer Ansicht nach zutreffenden Ausführungen im Bescheid des Beklagten vom 07.05.2015 Bezug genommen und darauf abgestellt, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2013 nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar sei. Denn anders als in der dieser Entscheidung zugrundeliegenden Konstellation sei hier kein gezielter Eingriff der Behörde erfolgt; der rückwirkende Verlust der Staatsangehörigkeit infolge erfolgreicher Anfechtung durch den rechtlichen Vater stelle nur eine von vielen mittelbaren Folgen dieser Anfechtungsentscheidung dar. Für die hier vorliegende Fallkonstellation gelte weiter die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.10.2006, wonach der rückwirkende Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit infolge erfolgreicher Anfechtung der Vaterschaft durch den rechtlichen Vater jedenfalls bei zum Zeitpunkt der Feststellung kleinen Kindern nicht gegen Art. 16 Abs. 1 GG verstoße.

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Das OVG Schleswig hat diesen Beschluss mit Beschluss vom 11.05.2016 geändert und Prozesskostenhilfe bewilligt. Zwar liege keine Entziehung der Staatsangehörigkeit im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG vor, wohl aber ein Verlust der Staatsangehörigkeit im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG. Ein solcher Verlust dürfe gegen den Willen der Betroffenen nur dann eintreten, wenn diese dadurch nicht staatenlos würden. Der Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG sehe abgesehen vom Willenskriterium keine weitere Einschränkung des Verbots der Inkaufnahme von Staatenlosigkeit vor; das Staatenlosigkeitsverbot sei strikt formuliert. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung eine Inkaufnahme der Staatenlosigkeit im Fall der Rücknahme einer durch bewusst falsche Angaben erwirkten rechtswidrigen Einbürgerung für zulässig gehalten; dem sei jedoch die Anfechtung der Ehelichkeit nicht vergleichbar. Darüber hinaus verstießen die angeführten Rechtsregeln möglicherweise gegen den Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes, da der Umstand, dass die Staatsangehörigkeit infolge der Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft wegfalle, nicht ausdrücklich geregelt sei. Darin liege zugleich ein Verstoß gegen das Zitiergebot. Auch die nur mittelbare Regelung im heutigen § 17 Abs. 2 und 3 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) dürfte nicht ausreichen.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorganges des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten; er hat keinen Anspruch auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit und Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises.

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Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit ist § 30 Abs. 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes in der insoweit anwendbaren aktuellen Fassung vom 28.10.2015 (StAG). Der ebenfalls geltend gemachte Anspruch auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises hat seine Grundlage in § 30 Abs. 3 StAG, wonach bei Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeitsbehörde einen Staatsangehörigkeitsausweis ausstellt.

18

Die geltend gemachten Ansprüche bestehen nicht, da der Kläger kein deutscher Staatsangehöriger ist. Er hat zwar durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, hat sie jedoch danach durch die erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung rückwirkend wieder verloren. Insoweit ist auf die Rechtslage abzustellen, die zum Zeitpunkt der für Erwerb und Verlust maßgeblichen Umstände galt (OVG Lüneburg, U. v. 07.07.2016 - 13 C 21/15 - juris, Rn. 25; BVerwG, U. v. 18.11.2004 - 1 C 31.03 -, juris, Rn. 10 f.).

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Der Kläger hat - dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig - die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt erlangt. Nach § 4 Abs. 1 S. 1 Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz i.d.F vom 30.06.1993 - RuStAG - (jetzt gleichlautend § 4 Abs. 1 S. 1 StAG) erwirbt ein Kind durch die Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Dies war hier der Ehemann der Mutter, der nach § 1593 BGB in der 1996 noch gültigen Fassung vom 18.07.1979 (BGB a.F.) als Vater galt, da das Kind während der Ehe geboren war.

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Der Kläger hat die deutsche Staatsangehörigkeit jedoch wieder verloren. Der Ehemann der Mutter hat die Ehelichkeit nach § 1594 BGB a.F. erfolgreich angefochten. Mit dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 06.05.1997 ist rechtskräftig festgestellt, dass der Kläger nicht von ihm und damit nicht von einem deutschen Staatsangehörigen abstammt. Damit ist auch die deutsche Staatsangehörigkeit rückwirkend auf den Geburtszeitpunkt entfallen. Die erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung bedeutet zugleich die Beseitigung der rechtlichen Voraussetzung des Staatsangehörigkeitserwerbs mit Rückwirkung. Dafür gibt es zwar keine ausdrückliche gesetzliche Regelung; diese Annahme entspricht jedoch der einhelligen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B. v. 24.10.2006 - 2 BvR 696/04 -, juris, Rn. 16) und der Verwaltungsgerichte (OVG Schleswig, B. v. 31.08.2009 - 4 MB 78/09 -, n.v.; OVG Lüneburg a.a.O., juris, Rn. 32 mit umfangreichen weiteren Nachweisen). Die Ausstellung eines Bescheides darüber ist nicht erforderlich.

21

Entgegen der Ansicht des Klägers bestehen gegen diese „ungeschriebene Rechtsregel“ auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2013 (- 1 BvL 6/10 -, juris) keine verfassungsrechtlichen Bedenken; ein Verstoß gegen Art. 16 Abs. 1 GG liegt nicht vor.

22

Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG darf die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nach Satz 2 nur aufgrund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.

23

Der Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 GG ist durch das rückwirkende Entfallen der deutschen Staatsangehörigkeit aufgrund einer Vaterschaftsanfechtung berührt. Auch wenn der Anfechtung Rückwirkung auf den Geburtszeitpunkt beigemessen wird, heißt dies nicht, dass die Staatsangehörigkeit als nie erworben gilt. Jedenfalls aus der verfassungsrechtlich maßgeblichen Perspektive handelt es sich um den Verlust der durch Geburt einmal begründeten deutschen Staatsangehörigkeit (BVerfG, B. v. 24.10.2006, a.a.O., Rn. 13).

24

Der aus den familienrechtlichen Vorschriften über die Anfechtung der Vaterschaft durch den „Scheinvater“, 4 Abs. 1 RuStAG und der dazu ergangenen Rechtsprechung folgende Entfall der deutschen Staatsangehörigkeit verletzt die in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG normierten Grenzen jedoch nicht.

25

Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG ist jede Verlustzufügung, die die Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit beeinträchtigt (BVerfG, U. v. 24.05.2006 - 2 BvR 669/04 - juris, Rn. 49 und B. v. 24.10.2006, a.a.O., juris, Rn. 18). Dies ist u.a. dann der Fall, wenn die Staatsangehörigkeit in einem Alter verloren wird, in dem Kinder normalerweise bereits ein eigenes Bewusstsein ihrer Staatsangehörigkeit und ein eigenes Vertrauen auf den Bestand entwickelt haben. Hier war der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Rechtskraft des Anfechtungsurteils des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek am 27.06.1997 erst knapp 1 ½ Jahre alt. Für das Vorliegen einer Entziehung der Staatsangehörigkeit gibt es auch sonst keine Anhaltspunkte (vgl. dazu auch den Beschluss des OVG im PKH-Verfahren).

26

Die Kammer geht jedoch anders als der Kläger und das OVG Schleswig weiterhin davon aus, dass der damit nur vorliegende Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit den Anforderungen des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG genügt. Danach darf der Verlust der Staatsangehörigkeit nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird. Diese Voraussetzungen sieht die Kammer als erfüllt an und folgt dabei dem VG Oldenburg (U. v. 11.02.2015 - 11 A 2497/14 -, juris) und dem OVG Lüneburg, das dessen Entscheidung bestätigt hat (U. v. 07.07.2016, a.a.O.).

27

Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt zur Legitimierung eines unfreiwilligen Verlusts der Staatsangehörigkeit eine gesetzliche Grundlage. Der Verlust der Staatsangehörigkeit muss dabei so bestimmt geregelt werden, dass die für den Einzelnen und für die Gesellschaft gleichermaßen bedeutsame Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit nicht beeinträchtigt wird (BVerfG, B. v. 17.12.2013, a.a.O., Rn. 81). Diesem Erfordernis ist hier genügt, auch wenn weder nach der maßgeblichen damaligen noch nach der heutigen Rechtslage ausdrücklich normiert ist, dass im Fall einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung die deutsche Staatsangehörigkeit rückwirkend entfällt. In § 17 RuStAG (bzw. heute in § 17 Abs. 1 StAG), der Fälle des Verlustes der Staatsangehörigkeit aufzählt, ist die erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung nicht genannt. Dies ist jedoch unschädlich, da die Aufzählung der Verlustgründe in § 17 RuStAG nicht abschließend ist (BVerfG Urt. v. 24.05.2006 - 2 BvR 669/04 -, juris, Rn. 84). Gesetzliche Grundlage für den Verlust der Staatsangehörigkeit ist § 4 Abs. 1 RuStAG bzw. StAG i.V.m. den familienrechtlichen Vorschriften über die Anfechtung der Vaterschaft (§§ 1593 und 1594 BGB a.F. bzw. §§ 1592 Nr. 1, 1599 Abs. 1 und 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB), auch wenn die Regelungen dies nicht ausdrücklich aussprechen. Die Vorschriften werden jedoch seit langem in Rechtsprechung und Literatur einhellig dahingehend ausgelegt, dass die erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung auf den Zeitpunkt der Geburt zurückwirkt und das Staatsangehörigkeitsrecht in vollem Umfang den familienrechtlichen Abstammungsvorschriften folgt, so dass die Staatsangehörigkeit einheitlich mit der Vaterschaft rückwirkend entfällt. Sie enthalten damit die erforderliche gesetzliche Regelung nicht nur über den Erwerb der Staatsangehörigkeit, sondern - wegen Nichtmehrvorliegen der Voraussetzungen - auch für den Verlust (vgl. OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 48). Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zu den Folgen der Vaterschaftsanfechtung durch den „Scheinvater“ vom 24.10.2006 ausdrücklich nicht beanstandet und die Regelungen für hinreichend bestimmt erachtet. Diese Entscheidung bezieht sich zwar - worauf das OVG Schleswig im Prozesskostenhilfebeschluss hinweist - ausdrücklich nur auf die Entziehung nach Abs. 1 Satz 1 GG. Das BVerfG führt jedoch zustimmend aus, dass der Wegfall der Staatsangehörigkeit, der als Folge rechtskräftiger Feststellung des Nichtbestehens der die Staatsangehörigkeit vermittelnden Vaterschaft eintritt, in der fachgerichtlichen Rechtsprechung unumstritten „grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht begegnet“ (Rn. 21). Es prüft - und verneint - dann die Frage, ob das Fehlen einer einfachgesetzlichen Regelung, die für den anfechtungsbedingten Wegfall der Staatsangehörigkeit eine Altersgrenze setzt, ein Bestimmtheitsmangel liegt, der die zu diesem Wegfall führenden gesetzlichen Vorschriften „insgesamt verfassungswidrig und einer verfassungskonform begrenzenden Auslegung im Bedarfsfall unzugänglich machte“ (Rn. 28) und sieht die Verfassungskonformität der geltenden Vorschriften und ihre Anwendung im typischen Fall nicht in Frage gestellt (Rn. 29). Dem lässt sich entnehmen, dass das Bundesverfassungsgericht den nachträglichen Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit aufgrund erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung insgesamt und nicht nur im Hinblick auf Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG als verfassungskonform angesehen hat. Der Gesetzgeber ist dann auch bei Einführung der Altersgrenze in § 17 Abs. 2 und 3 StAG i.d.F. vom 05.02.2009 ohne Weiteres davon ausgegangen, dass bei der Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft nach § 1599 BGB die Staatsangehörigkeit verloren geht und damit § 4 Abs. 1 S. 1 StAG neben dem Erwerb zugleich den automatischen Verlust als Folge einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung regelt (vgl. OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 48 unter Hinweis auf die Begründung des Gesetzesentwurfes). Er hat deshalb auf die Nennung der erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung in der Aufzählung der Verlustgründe in Abs. 1 verzichtet und es für ausreichend gehalten, in Abs. 2 und 3 eine Regelung über die Altersgrenze in diesen Fällen zu treffen.

28

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2013, mit der die im Jahr 2008 eingeführte Möglichkeit der behördlichen Anfechtung der Anerkennung einer Vaterschaft in § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB für nichtig erklärt wurde, ändert entgegen der Ansicht des Klägers an dieser Einschätzung nichts. Diese Regelung war eingeführt worden, um den Behörden die Möglichkeit zu geben, in bestimmten Fällen missbräuchlich erachtete Vaterschaftsanerkennungen anzufechten und damit zu verhindern, dass Kinder aufgrund dieser - nur die Zustimmung der Mutter erfordernden - Anerkennung dauerhaft die deutsche Staatsangehörigkeit erlangten (vgl. zu den Hintergründen Pelzer, Keine Vaterschaftsanfechtung mehr durch Behörden, NVwZ 2014, 700 ff.). Das Bundesverfassungsgericht hat den durch die Behördenanfechtung herbeigeführten Wegfall der Staatsangehörigkeit als verfassungsrechtlich unzulässige Entziehung der Staatsangehörigkeit eingestuft und darin gleichzeitig einen Verstoß gegen Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG gesehen. Es liege ein Verstoß gegen den Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes vor, da sich weder in den familienrechtlichen Vorschriften noch im Staatsangehörigkeitsrecht eine gesetzliche Regelung finde, die den Verlust der Staatsangehörigkeit infolge der die Vaterschaft beendenden Behördenanfechtung ausdrücklich anordne.

29

Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass das Bundesverfassungsgericht über den entschiedenen Fall hinaus höhere Anforderungen an die Erfüllung des Gesetzesvorbehaltes stellen wollte und auch bei Vaterschaftsanfechtungen durch den Scheinvater nunmehr von einer nicht ausreichenden gesetzlichen Grundlage ausgehen würde. Im Gegenteil zitiert die Entscheidung vom 17.12.2013 den Beschluss vom 24.10.2006, ohne diesen in irgendeiner Form in Frage zu stellen. Seine Ausführungen betreffen ausdrücklich nur den Fall der Behördenanfechtung, die mit der Anfechtung durch den Scheinvater nicht vergleichbar ist (OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 49 ff.).

30

Der entscheidende Unterschied liegt dabei nach Auffassung der Kammer darin, dass bei der Behördenanfechtung der Staat selbst aktiv wird und sein Handeln gerade das Ziel hat, auch die Staatsangehörigkeit rückwirkend wieder entfallen zu lassen; es geht um die „staatliche Herbeiführung des Staatsangehörigkeitsverlustes“, mit der der Staat selbst direkt in die Grundrechte des Kindes eingreift. Hier gelten die vom Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 17.12.2013 angeführten hohen Anforderungen u.a. an den Gesetzesvorbehalt und die Verhältnismäßigkeit der Regelung genauso wie z.B. bei der Rücknahme einer Einbürgerung (vgl. dazu BVerfG, U. v. 24.05.2006 - 2 BvR 669/04 -, juris). Dieser strenge Maßstab kann aber nicht angelegt werden, wenn es um andere Varianten der Vaterschaftsanfechtung geht, die ihre Urheberschaft allein im familiären Kontext finden (OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 51, VG Oldenburg, a.a.O., Rn. 19). Die Entscheidung über die Anfechtung der Vaterschaft liegt in dieser Konstellation allein beim „Scheinvater“, der die familien- und insbesondere unterhaltsrechtlichen Folgen der Annahme der Vaterschaft beseitigen will. Der Verlust der Staatsangehörigkeit stellt nur eine in der Regel nicht beabsichtigte Folge dieser Entscheidung dar. Es fehlt an einem behördlichen zielgerichteten Handeln, dessen Folgen gesetzlich ausdrücklich geregelt sein müssen. Dieses Handeln, nämlich die in § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB geregelte Behördenanfechtung (und nicht die staatsangehörigkeitsrechtlichen Vorschriften), hat das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 17.12.2013 für nichtig erklärt. Damit ist aber eine generelle Beanstandung der Folgen sonstiger Vaterschaftsanfechtungen nicht verbunden. Für den hier vorliegenden aus dem Handeln Dritter folgenden mittelbaren Grundrechtseingriff sind an den Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes nicht die gleichen Anforderungen zu stellen wie bei unmittelbaren staatlichen Eingriffen (vgl. z. B. BVerfG, B. v. 26.06.2002 - 1 BvR 670/91 -, juris, Rn. 78 f.). Insoweit reicht es aus, dass § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG bzw. StAG eindeutig an die Abstammung anknüpft und damit nach einhelliger Rechtsprechung und Literatur nicht nur die Grundlage für den Erwerb, sondern auch für den Verlust der Staatsangehörigkeit bildet.

31

Auch ein Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG liegt aus diesem Grund nicht vor. Zwar gehört Art. 16 GG zu den Grundrechten, auf die das Zitiergebot Anwendung findet; es greift jedoch nur bei zielgerichteten und unmittelbaren finalen Grundrechtseingriffen ein (BVerfG, B. v. 11.08.1999 - 1 BvR 2181/98 -, juris, Rn. 55). Daran fehlt es, wie oben dargelegt, hier. Es kann daher dahinstehen, ob das Zitiergebot wie vom OVG Lüneburg angenommen auch deshalb nicht greift, weil es nur für nachkonstitutionelle Gesetze gilt und das Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22.09.1913, das ungeachtet der nachkonstitutionellen Änderungen und der Umbenennung zum 01.01.2000 nie neu bekannt gemacht wurde, als vorkonstitutionelle Regelung einzustufen sei. Selbst wenn man es als nachkonstitutionelles Recht einstufte, würde dann nur eine im vorkonstitutionellen Recht enthaltene Grundrechtseinschränkung unverändert oder mit geringfügigen Abweichungen wiederholt mit der Folge, dass das Zitiergebot ebenfalls nicht eingreifen würde (OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 58).

32

Das OVG Schleswig hält die Anwendung der bestehenden Regelungen auch im Hinblick auf eine mögliche Staatenlosigkeit für problematisch. Die Rechtsregeln, aus denen sich auf der Grundlage einer erfolgreichen Anfechtung der Ehelichkeit der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ergibt, könnten insofern verfassungswidrig sein, als dem über die Anfechtung entscheidenden Gericht weder aufgegeben noch ermöglicht ist, Rücksicht darauf zu nehmen, ob das betroffene Kind infolge der Anfechtung staatenlos wird. Die Kammer teilt diese Bedenken jedoch nicht.

33

Es mag allerdings sein, dass in Ausnahmefällen durch die erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft und den damit verbundenen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit Staatenlosigkeit eintritt; der Gesetzgeber hat insoweit keine Vorsorge getroffen. Es gibt jedoch keinen Verfassungsgrundsatz, nach dem die Anwendung gesetzlicher Regelungen auch in materiell-verfassungsrechtlich eindeutig unproblematischen Fällen allein deshalb ausgeschlossen wäre oder gesetzliche Regelungen allein deshalb insgesamt verfassungswidrig wären, weil eine verfassungsrechtliche Grenze, die die Anwendung in besonderen Einzelfällen ausschließen kann, nicht durch die Regelungen selbst ausdrücklich bestimmt ist (BVerfG, B. v. 24.10.2006, a.a.O., Rn. 27 - zu der nach der damaligen Rechtslage nicht festgelegten Altersgrenze). Hier ist der Kläger - ausgewiesen durch seinen Nationalpass - usbekischer Staatsangehöriger, so dass sein Fall im Hinblick auf eine mögliche Staatenlosigkeit unproblematisch ist. Deshalb führt nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts die fehlende vorsorgliche Regelung für Ausnahmefälle nicht zur Verfassungswidrigkeit des § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG bzw. StAG insgesamt (OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 55). Sollte im Einzelfall tatsächlich Staatenlosigkeit eintreten, wäre eine verfassungskonforme Auslegung möglich (vgl. auch VG Oldenburg, a.a.O., Rn. 20).

34

Ein - hier nicht geltend gemachter - Verstoß gegen das Unionsrecht ist ebenfalls zu verneinen; insoweit nimmt die Kammer Bezug auf die Ausführungen des OVG Lüneburg im Beschluss vom 07.07.2016 (a.a.O., Rn. 62 ff.), denen sie sich anschließt.

35

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung soweit ersichtlich auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2013 weiter von einem Verlust der Staatsangehörigkeit nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung ausgeht, ohne die Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Regelungen für diese Fallkonstellation in Frage zu stellen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 29.10.2015 - OVG 5 M 21.15 - juris; VG Hamburg, B. v. 21.05.2014 - 9 E 1523/14 - juris).

36

Damit ist die deutsche Staatsangehörigkeit des Klägers rückwirkend mit der Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek wieder entfallen, so dass er nicht mehr deutscher Staatsangehöriger ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sein unrichtig gewordener Kinderausweis wohl versehentlich erst im Jahr 2003 eingezogen wurde und er offenbar vorher gemeinsam mit seiner Mutter mit diesem Kinderausweis aus Deutschland aus- und wieder eingereist ist. Ein in irgendeiner Form schutzwürdiges Vertrauen konnte hier schon deshalb nicht entstehen, weil im Ablehnungsbescheid der Ausländerbehörde Hamburg vom 25.09.1998 ausdrücklich ausgeführt ist, dass die deutsche Staatsangehörigkeit des Klägers nicht mehr besteht.

37

Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

38

Die Berufung wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen (§ 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).


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