Urteil vom Verwaltungsgericht Schwerin (7. Kammer) - 7 A 1408/17 SN

Tenor

Die immissionsschutzrechtlichen Bescheide des Beklagten vom 19.01.2016 jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2017 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte, die Beigeladene zu 1. und die Beigeladene zu 2. zu je 1/3, wobei jeder von ihnen seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Genehmigung von zwei Mastgeflügelanlagen der Beigeladenen.

2

Der Kläger ist ein anerkannter Naturschutzverband. Nach seiner Satzung tritt er für den wirkungsvollen Schutz des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen sowie der natürlichen Umwelt ein. Er setzt sich unter anderem für eine gesunde Landschaft, den Natur- und Artenschutz, den Tierschutz sowie die Landschaftspflege ein.

3

Die Beigeladene zu 1. wurde mit notariell beglaubigtem Gesellschaftervertrag vom 22.06.2011 gegründet; die Beigeladene zu 2. mit notariell beglaubigtem Gesellschaftervertrag vom 23.06.2011. Die Gesellschafter und die jeweiligen Geschäftsanteile stellten sich bei beiden Beigeladenen danach wie folgt dar:

4

Geschäftsanteil

Name des Gesellschafters

Höhe des
Geschäftsanteils

 1     

 H     

 12.500 Euro

 2     

 I     

 8.750 Euro

 3     

 J     

 3.125 Euro

 4     

 K     

 250 Euro

 5     

 L     

 125 Euro

 6     

 M     

 125 Euro

 7     

 N     

 125 Euro

 Summe         

        

 25.000 Euro

5

Geschäftsführer beider Beigeladenen sind J und I.

6

Mit Vertrag vom 24.11.2011 schlossen die Beigeladenen mit der H jeweils einen Vertrag zur Abnahme des Geflügelkots und der jährlich anfallenden Reinigungswassermengen. Mit Vertrag vom 01.10.2012 pachteten die Beigeladenen zudem jeweils von der H 76,2622 ha (Beigeladene zu 1.) und 76,2262 ha (Beigeladene zu 2.) landwirtschaftliche Flächen, die sich in der Nähe zum Anlagenstandort befinden.

7

Die H entstand durch Umwandlung der O. Am 14.06.2006 erfolgte die Eintragung ins Genossenschaftsregister. Bis zum 31.12.2012 waren Genossen:

8

 J     

 27,27 % (21 Anteile)

 P     

 27,27 % (21 Anteile)

 L     

   9,09 % (7 Anteile)

 N     

   9,09 % (7 Anteile)

 M     

   9,09 % (7 Anteile)

 Q     

   9,09 % (7 Anteile)

 K     

   9,09 % (7 Anteile)

9

Jeder Genosse hat, unabhängig von seinen Anteilen, eine Stimme. Den Vorstand bildeten P, L, J. M ist Bevollmächtigter der Generalversammlung und überwacht den Vorstand. L und Q schieden 2013 aus. Sie übertrugen ihre Anteile auf die US-amerikanische R-GmbH. Am 24.09.2013 erfolgte eine Änderung des Genossenschaftsregisters. Infolgedessen bestand der Vorstand nur noch aus J. Auch N schied 2013 aus der H aus. Er übertrug seine Anteile an die S-GmbH. Die R-GmbH schied zum 07.03.2018 aus. Sie übertrug ihre Anteile ebenfalls der S-GmbH. 2018 schied P aus der H aus. Sie übertrug ihre Anteile an T. K schied zum 31.12.2018 ersatzlos aus. Seitdem hat die H vier Genossen:

10

 J     

 30 % (21 Anteile)

 T     

 30 % (21 Anteile)

 M     

 10 % (7 Anteile)

 S-GmbH

 30 % (21 Anteile)

11

I ist mindestens seit dem 01.03.2008 Betriebsleiter der H. Als Betriebsleiter untersteht er dem Vorstandsvorsitzenden. Neben der monatlichen Verfügung erhält er in Abhängigkeit von den Ernteerträgen und den variablen Kosten jährlich eine einmalige Gewinnbeteiligung, die mindestens 500 Euro und höchstens 5.000 Euro beträgt. W ist seit dem 01.01.2013 als landwirtschaftliche Fachkraft bei der H beschäftigt. Neben der monatlichen Verfügung erhält er unter Berücksichtigung der Ertragslage eine einmalige Sonderausschüttung von bis zu 1.500 Euro zum Jahresende.

12

Alleingesellschafter und Geschäftsführer der S-GmbH ist J. Am 25.01.2012 schlossen die Beigeladenen mit der S-GmbH notarielle Erbbaurechtsbestellungsverträge in Bezug auf die Vorhabenflächen. Danach räumte die S-GmbH den Beigeladenen jeweils ein Erbbaurecht für 30 Jahre ein. Die Übergabe erfolgte am 01.07.2012. Die Beigeladenen sind berechtigt und verpflichtet, auf dem Grundstück ein Stallgebäude für die Tierproduktion mit erforderlichen Nebenanlagen zu errichten. Der Erbbauzins für die etwa 42.100 m² großen Flächen beträgt 2.357,60 Euro jährlich.

13

Im Dezember 2011 reichten die Beigeladenen beim Beklagten jeweils Unterlagen zur standortbezogenen Vorprüfung des Einzelfalles für die Errichtung von je einer Hähnchenmastanlage mit jeweils 39.900 Tierplätzen in der Gemeinde A-Stadt, Gemarkung O, Flur 2 und den Teilflächen des Flurstücks 91/1, ein. Die Spezifikationen der Mastgeflügelanlage der Beigeladenen zu 2. entsprechen denen des Vorhabens der Beigeladenen zu 1. mit dem Unterschied, dass erstere spiegelverkehrt ist. Der Abstand zwischen ihnen beträgt 16 m. Sie nutzen eine Zufahrt, und zwar über die K 31.

14

Mit E-Mail vom 06.01.2012 teilte der Beklagte dem von den Beigeladenen beauftragten Ingenieurbüro mit, dass er von einem kumulierenden Vorhaben nach § 3b Absatz 2 Satz 2 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) und einem engen räumlichen und betrieblichen Zusammenhang ausgehe. Das Ingenieurbüro erwiderte, dass die Anlagen im engen Zusammenhang stünden, weil sie benachbart seien, die gleiche Zufahrt nutzten und der Nutzungszweck derselbe sei. Beide Anlagen sollten auf einem gemeinsamen Flurstück errichtet werden, wobei eine Grundstücksteilung vorgesehen sei.

15

Der Beklagte führte daraufhin eine standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalles durch. Im Vermerk vom 14.02.2012 hieß es, dass aus wasserwirtschaftlicher Sicht eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalles vorzunehmen sei. Denn beide Anträge blieben jeweils nur mit 100 Tierplätzen unter der Schwelle und hätten zusammen 79.800 Tierplätze.

16

Unter dem 21.06.2012 übersandten die Beigeladenen je zwei Ausfertigungen des BImSchG-Antrages. Im Betreff hieß es: „Lesefassung Hähnchenmastanlagen A-Stadt/ O“. Im Verwaltungsvorgang des Beklagten befindet sich nur das Anschreiben. Die Lesefassungen wurden nach Eingang der Ausfertigungen am 10.08.2012 vom Beklagten vernichtet oder an die Beigeladenen zurückgeschickt. Die Beigeladenen verfügen ebenfalls nicht mehr über Exemplare der Lesefassungen. Unter dem 27.06.2012 bestätigte der Beklagte den Eingang der „Antragsunterlagen vom 12.06.2012“ am 21.06.2012.

17

Am 10.08.2012 überreichten die Beigeladenen dem Beklagten 17 Ausfertigen des „BImSchG-Antrages Hähnchenmastanlagen“. Bauplanungsrechtlich werde eine Genehmigung nach § 35 Absatz 1 Nummer 1 des Baugesetzbuches (BauGB) beantragt. Jährlich seien acht Mastzyklen geplant. Ein Mastzyklus dauere 35 Tage. Das Entwässerungskonzept sah ein gemeinsames Regenrückhaltebecken vor. Jedes Vorhaben der Beigeladenen verfügt über einen Löschwasserteich mit einem Gesamtvolumen von 500 m³.

18

Die im August 2012 beteiligten Träger öffentlicher Belange erklärten im Wesentlichen, teilweise mit Auflagen, keine Bedenken gegen die Vorhaben der Beigeladenen zu haben. Der Landkreis Rostock als untere Bauaufsichtsbehörde teilte allerdings unter dem 20.09.2012 mit, dass den beantragten Anlagen nach § 35 Absatz 1 Nummer 1 BauGB nicht zugestimmt werde. Von einem eigenständigen auf Dauer bestehenden landwirtschaftlichen Betrieb könne nicht ausgegangen werden. Der Trockenkot werde vollständig an die H abgegeben und nicht auf eigene Flächen verbracht. Allerdings seien die Vorhaben im Falle einer Rückbauverpflichtung gemäß § 35 Absatz 1 Nummer 4 BauGB zulässig. Das Amt U teilte unter dem 28.09.2012 mit, dass die Gemeinde A-Stadt über keinen wirksamen Flächennutzungsplan verfüge.

19

Am 17.10.2012 teilte der Beklagte den Beigeladenen mit, dass von einer einzigen Anlage auszugehen sei, da eine einheitliche Betriebsstruktur mit gleichen Betreibern bestünde. Er empfahl die Antragsrücknahme. Unter dem 24.10.2012 erklärten die Beigeladenen, dass ihr „Mutterunternehmen“, die H, ein Marktfruchtbetrieb sei und man ständig auf der Suche nach alternativen Einkommensmöglichkeiten sei. Dass eine einheitliche Gesellschafterstruktur eine Gemeinsamkeit beider Betriebe zur Folge habe, habe man nicht gewusst. Daraufhin schlug die H eine Veränderung der Gesellschafterstruktur der Beigeladenen zu 2. vor. Nach der Bestätigung des Beklagten, dass nach der Änderung das Genehmigungsverfahren fortgesetzt werde, weil kein bestimmender Einfluss mehr auf die Beigeladenen bestehe, änderten sich die Gesellschafteranteile der Beigeladenen zu 2. mit notariellem Vertrag vom 17.01.2013 wie folgt:

20

Geschäftsanteil

Name des Gesellschafters

Höhe des Geschäftsanteils

 1.1   

 H     

 10.000 Euro

 1.2   

 V     

 2.500 Euro

 2.1   

 I     

 2.250 Euro

 2.2   

 W     

 6.000 Euro

 2.3   

 V     

 500 Euro

 3     

 V     

 3.125 Euro

 4     

 K     

 250 Euro

 5     

 L     

 125 Euro

 6     

 M     

 125 Euro

 7     

 N     

 125 Euro

 Summe         

        

 25.000 Euro

21

V ist Genosse der A-Genossenschaft und in deren Vorstand.

22

Im Juni 2014 reichten die Beigeladenen jeweils ergänzende Unterlagen ein. Nach der Überarbeitung des Entwässerungskonzepts vom 30.05.2014 soll die Beigeladene zu 1. nunmehr über ein separates Regenrückhaltebecken verfügen. Eine Überlaufleitung führt das Regenwasser von beiden Anlagen zum Graben 15/1. Die Einleitmenge von 5 l/s und einer zusätzlich möglichen von 10 l/s nutzen die Beigeladenen je zur Hälfte.

23

Unter dem 04.07.2014 teilte der Beklagte den Beigeladenen mit, dass er aufgrund der Änderung des Entwässerungskonzeptes nicht mehr von einer gemeinsamen Anlage und gemeinsamen Betriebseinrichtungen ausgehe.

24

Die im Juli 2014 erneut beteiligten Träger öffentlicher Belange erklärten im Wesentlichen, teilweise unter Auflagen, keine Bedenken gegen die Vorhaben zu haben. Der Beklagte beteiligte den Kläger ebenfalls am Verfahren. Der Kläger machte hiervon Gebrauch und machte diverse Einwendungen geltend. Insbesondere rügte er mit Schreiben vom 15.08.2013 eine fehlende Öffentlichkeitsbeteiligung.

25

Der Beklagte kam am 12.11.2014 jeweils für die Anlage der Beigeladenen zu 1. und der Beigeladenen zu 2. hinsichtlich der standortbezogenen Vorprüfung des Einzelfalles zu dem Ergebnis, dass eine UVP nicht erforderlich sei, weil von den Vorhaben keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen zu erwarten seien.Dies machte der Beklagte im Amtlichen Anzeiger vom 26.01.2015 und 02.02.2015 bekannt. Mit Vermerk vom 07.01.2016 stellte der Beklagte fest, dass nach der allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalles eine UVP nach den Maßgaben des UVPG nicht erforderlich sei. Von den Anlagen gingen unter Beachtung der kumulierenden Wirkung keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen im gemeinsamen Einwirkbereich aus.

26

Mit Bescheid vom 19.01.2016 genehmigte der Beklagte die Errichtung und den Betrieb einer Anlage zum Halten von Masthähnchen der Beigeladenen zu 1. mit Nebenbestimmungen und Auflagen. Mit im Wesentlichen identischem Bescheid vom gleichen Tag genehmigte der Beklagte zudem die Errichtung und den Betrieb einer Anlage zum Halten von Masthähnchen der Beigeladenen zu 2. mit Nebenbestimmungen und Auflagen. In den Nummern 6.1 bis 6.5 beziehungsweise 6.6 der Genehmigungsbescheide ordnete der Beklagte Kompensationsmaßnahmen für Eingriffe in die Natur und Landschaft an. Die Genehmigungsbescheide wurden dem Kläger am 03.02.2016 zugestellt.

27

Mit beim Beklagten am 01.03.2016 eingegangenen Schreiben erhob der Kläger jeweils Widerspruch gegen die Genehmigungsbescheide vom 19.01.2016. Mit Widerspruchsbescheiden jeweils vom 03.03.2017, zugestellt am 07.03.2017, wies der Beklagte die Widersprüche des Klägers zurück. Zur Begründung verwies er auf seine Ausführungen in den Genehmigungsbescheiden.

28

Am 06.04.2017 hat der Kläger Klage erhoben. Auf seinen Antrag hat ihm das Gericht mit Verfügung vom 10.04.2017 eine Fristverlängerung zur Einreichung der Klagebegründung von sechs Wochen nach Einsicht in die Verwaltungsvorgänge gewährt. Am 06.07.2017 hat der Kläger seine Klagebegründung vorgelegt. Im Wesentlichen trägt er vor:

29

Die Klage sei nach § 2 Absatz 1 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes (UmwRG) zulässig. Sie richte sich gegen die Genehmigung von Vorhaben, für die eine UVP-Pflicht bestehen könne. Für Vorhaben nach Nummer 7.3.3 Anlage 1 UVPG bestehe zumindest eine standortbezogene Vorprüfungspflicht des Einzelfalles. Er sei zudem eine anerkannte Umweltvereinigung und könne sämtliche Rechtsvorschriften überprüfen lassen, die für die Entscheidung von Bedeutung seien, insbesondere den Tierschutz und die fehlende Privilegierung nach § 35 Absatz 1 BauGB. Letztere diene auch der Landschaftspflege und dem Erhalt der natürlichen Lebensräume. Nach seiner Satzung setze er sich für einen wirkungsvollen Schutz des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen sowie der natürlichen Umwelt ein. Der Schutz von Tieren beinhalte neben dem Artenschutz auch den Tierschutz. Der Landschafts- und Naturschutz beinhalte insbesondere den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, einer gesunden Landschaft sowie den Schutz und die naturgerechte Entwicklung der heimischen Lebensräume und die Landschaftspflege.

30

Sein Vortrag sei nicht präkludiert. Auf seinen Antrag hin sei die Klagebegründungsfrist auf sechs Wochen nach Einsicht in die Verwaltungsvorgänge verlängert worden. Letztere seien am 19.05.2017 bei ihm eingegangen. Am 26.05.2017 habe er sie zurückgeschickt. Die Klagebegründung am 06.07.2017 sei daher fristgerecht gewesen. Auch mit seinen Beweisanträgen sei er nicht präkludiert. Dabei könne dahinstehen, ob § 6 UmwRG oder dessen Vorgängervorschrift, § 4a Absatz 1 UmwRG a. F., gelte. In den streitgegenständlichen Bescheiden sei die Einhaltung des gesetzlichen Biotopschutzes nur mit dem Unterschreiten des 5-kg-Abschneidekriteriums begründet worden. Hiergegen habe er sich in der Klagebegründung gewandt. Dies sei eine rein rechtliche Darlegung. § 6 UmwRG beziehungsweise § 4a Absatz 1 UmwRG a. F. stünden neuem Vortrag beziehungsweisen neuen Beweisanträgen nicht entgegen, die in Reaktion auf eine erstmals im gerichtlichen Verfahren vorgebrachte Hilfsargumentation der Beigeladenen erfolgten.

31

Der Beklagte habe es versäumt, eine Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 10 des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) durchzuführen. Dies stelle einen absoluten Verfahrensfehler nach § 4 Absatz 1 Nummer 2 UmwRG dar. Eine Öffentlichkeitsbeteiligung sei erforderlich, weil die baugleichen Ställe der Beigeladenen als eine einzige Anlage oder zumindest als gemeinsame Anlage nach § 1 Absatz 3 der 4. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (4. BImSchV) anzusehen seien. Deren Gesamtkapazität mit 79.800 Tierplätzen überschreite den Schwellenwert von 40.000 Tierplätzen, ab dem eine förmliche immissionsschutzrechtliche Genehmigungspflicht mit Öffentlichkeitsbeteiligung bestünde, um fast das Doppelte.

32

Die Voraussetzungen für eine gemeinsame Anlage lägen vor. Dass die Anlagen einem vergleichbaren technischen Zweck dienten, sei aufgrund der Zweckbestimmung unstrittig. Außerdem würden die Anlagen auf demselben Betriebsgelände liegen. Schließlich sei auch von einer Betreiberidentität auszugehen. Im Sommer/Herbst 2012 habe unstrittig eine Betreiberidentität vorgelegen. Damals seien die Gesellschafter und deren Geschäftsanteile zu 100 % identisch gewesen. In J und I hätten die Beigeladenen dieselben alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer gehabt. Für die Betreuung des Vorhabens hätten beide Beigeladenen dasselbe Ingenieurbüro beauftragt.

33

An der Betreiberidentität habe auch die Modifikation der Gesellschafterstruktur vom 16.01.2013 nichts geändert. Maßgeblich sei nicht die formal-juristische Bezeichnung der Betreiber, sondern, wer unter Berücksichtigung sämtlicher konkreter rechtlicher, wirtschaftlicher und tatsächlicher Gegebenheiten bestimmenden Einfluss auf die Errichtung, die Beschaffenheit und den Betrieb der Anlage ausübe. Nach der Rechtsprechung liege auch dann nur ein Anlagenbetreiber vor, wenn zwar verschiedene Träger geschaffen worden seien, letztendlich aber eine Person oder eine bestimmte Personenmehrheit Einfluss auf den Betrieb der Gesamtanlage habe.

34

Im Falle der Beigeladenen sprächen bereits die äußeren Umstände dafür, dass mit der formal-juristischen Gründung der Beigeladenen die Öffentlichkeitsbeteiligung habe umgangen werden sollen. Die Idee zur Änderung der Gesellschafterstruktur der Beigeladenen zu 2. sei von der die Beigeladenen beherrschenden Muttergesellschaft, der H, gekommen. Deren Genossen seien zugleich Gesellschafter der Beigeladenen gewesen und seien es mutmaßlich noch. Bereits aus dem Schreiben vom 29.11.2012 gehe hervor, dass die H beziehungsweise ihre Genossen bestimmenden Einfluss auf die Errichtung und den Betrieb der Anlagen hätten. Dies habe sich auch mit der neuen Gesellschafterstruktur nicht geändert. Denn die bestimmende Mehrheit liege bei der H und ihren Genossen, nämlich I, K, L und M. Sie hielten einen Anteil von 12.875 Euro. Zudem sei der Anteil von W zu berücksichtigen, da er offenbar weisungsgebunden sei. Bei der Beigeladenen zu 1. habe die H 50 % der Anteile. Von den übrigen sechs Gesellschaftern seien fünf Gesellschafter zugleich Genossen der H. Bei dem sechsten Gesellschafter handele es sich um I, der Betriebsleiter der H sei. An der Beigeladenen zu 2. halte die H 40 % der Anteile. Von den übrigen sieben Gesellschaftern seien vier Gesellschafter zugleich Genossen der H; zwei Gesellschafter seien bei der H abhängig beschäftigt, einer in Person von I als Betriebsleiter. Ob letzterer und W zugleich Genossen der H seien, sei unerheblich, weil sie zumindest wirtschaftlich und tatsächlich von der H abhingen. W stehe seit 2009 in einem Angestelltenverhältnis mit der H. V sei als Geschäftsführer bei der Agrargenossenschaft B abhängig beschäftigt, bei der wiederum J als Vorstandsvorsitzender und Genosse den maßgeblichen rechtlichen wie wirtschaftlichen Einfluss habe. Selbst weitere nachträgliche Änderungen der Gesellschafterstruktur würden daran nichts ändern, weil der Eindruck der Installation von „Strohmännern“ nicht erfolgreich ausgeräumt werden könne.

35

Die Anlagen seien auch mit gemeinsamen Betriebseinrichtungen verbunden. Hiervon sei zunächst auch der Beklagte ausgegangen, weil beide Vorhaben ursprünglich mit einem Regenrückhaltebecken beantragt worden seien. Im Laufe des Verfahrens hätten die Beigeladenen das Entwässerungskonzept geändert, sodass theoretisch jede Anlage autark betrieben werden könne. Erst in diesem Zuge habe der Beklagte seine Auffassung geändert. Damit irre der Beklagte aber. Denn bei den Anlagen handele es sich um zwei spiegelbildlich baugleiche Anlagen, die über dieselbe Zufahrt erschlossen werden sollen und auf dem gleichen Grundstück lägen. Der Abstand zwischen beiden Ställen betrage nur 16 m. Bei diesen äußeren Umständen sei fraglich, ob das Vorliegen einer baulichen Verbindung zur Begründung einer gemeinsamen Anlage erforderlich sei oder bereits die oben genannten Umstände für einen engen räumlichen und betrieblichen Zusammenhang sprächen. Ausgangspunkt für diese Bewertung sei der Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften sowie der Wille des Gesetzgebers. Danach unterlägen Anlagen, die geeignet seien, erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt zu haben, wie Hähnchenmastanlagen mit mehr als 40.000 Tierplätzen, einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht mit Öffentlichkeitsbeteiligung. Die Öffentlichkeit solle frühzeitig eingebunden werden, was sich aus Artikel 24 in Verbindung mit Nummer 6.6 Buchstabe a Anhang 1 IE-Richtlinie ergebe. Anlagen, die 40.000 Tierplätze überschritten, sollten demnach aufgrund ihrer potentiellen Gefährlichkeit nur unter Beteiligung der Öffentlichkeit genehmigt werden.

36

Vor diesem Hintergrund sei auch die mehrfache Modifikation der Anträge und Antragsunterlagen zu sehen. Zunächst hätten die Beigeladenen ihre Anlagen auf ein und demselben Grundstück mit gemeinsamen Betriebseinrichtungen geplant und beantragt. Ausschließlich zur Umgehung der Öffentlichkeitsbeteiligung sei von gemeinsamen Betriebseinrichtungen abgesehen worden. Mit Blick auf die geschilderten Umstände und die örtlichen Verhältnisse liege es auf der Hand, dass das Unterlassen der förmlichen Öffentlichkeitsbeteiligung dem Sinn und Zweck der einschlägigen Regelungen zuwiderlaufe. Denn tatsächlich solle eine Hähnchenmastanlage mit 79.800 Tierplätzen errichtet und betrieben werden. Auch die Planung eines zweiten Rückhaltebeckens ändere nichts am Gefährdungspotential der Anlage. Aufgrund der räumlichen Nähe bedürfe es keiner Verbindung mit gemeinsamen Betriebseinrichtungen. Der Kläger verweist auf die Entscheidung des Hessischen VGH vom 21.01.2015 (9 A 224/13.Z). Insoweit liege ein vergleichbarer Fall vor. Der Hessische VGH stelle klar, dass es für die Bestimmung des Anlagenbegriffs letztendlich auf den Sinn des Genehmigungsvorbehaltes ankomme, der darin liege, Anlagen einer präventiven behördlichen Kontrolle in einem geeigneten Verfahren zu unterwerfen. Im Zweifel sei ein weiter Anlagenumfang zu Grunde zu legen. Je näher die Behälter zusammenstünden, desto mehr nähere sich das Gefahrenpotential einer vergleichbaren Wirkung wie bei einer einzigen Lagerstätte an. Eines Rückgriffs auf § 1 Absatz 3 der 4. BImSchV bedürfe es erst dann, wenn die Anlagen nicht mehr dicht nebeneinandergelegen seien. Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeute dies, dass das Gefährdungspotential an der Anzahl der Tierplätze zu messen sei. Danach werde Anlagen über 40.000 Tierplätzen ein abstraktes Gefährdungspotential beigemessen, das die Durchführung eines förmlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens nach sich ziehen solle. Wie bei Gasbehältern mache es keinen Unterschied, ob ein Stall mit 40.000 Tierplätzen oder vier nebeneinanderliegende Ställe mit je 10.000 Tierplätzen errichtet würden. Zu den bereits genannten Gemeinsamkeiten komme hinzu, dass die Anlagen auch nach ihrem optischen Eindruck einen einheitlichen Stallkomplex darstellten. Selbst wenn § 1 Absatz 3 der 4. BImSchV nicht greife, gelte § 1 Absatz 1 Satz 4, wonach es bei faktischer Betreiberidentität eines Rückgriffs auf § 1 Absatz 3 nicht bedürfe.

37

Raum für eine Aussetzung des Verfahrens und die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens bestehe nicht. In der vorliegenden Konstellation scheide die Heilung eines Verfahrensfehlers von vornherein aus. Beantragt worden seien zwei separate Anlagen, für die zwei separate Genehmigungsverfahren durchgeführt worden seien. Eine Fortführung dieser zwei Genehmigungsverfahren führe gerade nicht zur Fehlerbehebung. Vielmehr sei aufgrund des Vorliegens einer einheitlichen Anlage ein neuer Antrag und ein neues Genehmigungsverfahren erforderlich.

38

Überdies sei die Anlage nicht bauplanungsrechtlich privilegiert. Die Voraussetzungen von § 35 Absatz 1 Nummer 4 BauGB lägen nicht vor. Beide Anlagen überschritten die Schwelle zur standortbezogenen Vorprüfungspflicht des Einzelfalles von 30.000 Tierplätzen. Ein wirksamer Antrag im Sinne des § 245a Absatz 4 BauGB in Verbindung mit § 35 Absatz 1 Nummer 4. BauGB a. F. sei erst nach Ablauf des 04.07.2012 beim Beklagten eingegangen. Von einem wirksamen Antrag könne nur ausgegangen werden, wenn die erforderlichen Unterlagen beigefügt seien. Der vor dem 04.07.2012 gestellte Antrag habe zudem bescheidungsfähig sein müssen. Nur so würden schutzwürdige Rechtspositionen erworben, weil Antragsteller erst dann Aufwendungen tätigten, die Grundlage für ein schutzbedürftiges Vertrauen seien. Das Vertrauen werde allein durch die Absicht, ein Vorhaben zu errichten, oder einen formlosen Antrag mit einigen Stichpunkten nicht geschaffen. Maßgeblich sei daher die Bestätigung der Vollständigkeit der Unterlagen im Sinne von § 7 der 9. BImSchV beziehungsweise der Eingang der letzten „fehlenden“ Unterlage. Vorliegend habe der Beklagte die Vollständigkeit der Unterlagen am 22.06.2015 bestätigt.

39

Die Beigeladenen gingen ebenfalls davon aus, dass die Anträge erst mit Schreiben vom 10.08.2012 erfolgt seien. Im Betreff hieße es „Übergabe BImSchG Antrag“, während der Betreff im Schreiben vom 20.06.2012 „Übergabe Lesefassung Hähnchenmastanlagen“ hieße. Die Übergabe der Lesefassungen sei noch nicht als wirksame Antragstellung anzusehen. Selbst wenn mit der Änderung der Plankonzeption eine gemeinsame Anlage nicht mehr vorliege, habe ein wirksamer Antrag frühestens mit der Änderung der Plankonzeption, also am 30.05.2014, gestellt werden können.

40

Das Vorhaben sei als sonstiges Vorhaben unzulässig. Es stehe im Widerspruch zu den Darstellungen des Flächennutzungsplanes und führe zu Beeinträchtigungen von Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Neben der Verletzung des Biotopschutzes führe das Vorhaben zu Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes, der Bodenfunktion aufgrund der Versiegelung und von artenschutzrechtlichen Belangen (Feldlerche). Durch die Errichtung der Anlagen und die Versiegelung des Vorplatzes komme es zu einem Flächenverlust. Hinzu kämen die Flächen, die von den Feldlerchen aufgrund der Fluchtdistanz von 200 m bis 500 m gemieden würden. Dies führe zu Beeinträchtigungen von bestehenden Feldlerchenrevieren und zu Beeinträchtigungen von Belangen des Naturschutzes im Sinne von § 35 Absatz 3 Nummer 5 BNatSchG.

41

Die Genehmigungen verstießen zudem gegen den gesetzlichen Biotopschutz, das artenschutzrechtliche Störungsverbot nach § 44 Absatz 1 Nummer 2 BNatSchG in Bezug auf die Feldlerche und gegen Tierschutzrecht. Schließlich sei die die allgemeine Vorprüfung des Einzelfalles vom 07.01.2016 nicht nachvollziehbar und nicht mehr vertretbar.

42

Der Kläger beantragt,

43

die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen des Beklagten jeweils gegenüber der Beigeladenen zu 1. und der Beigeladenen zu 2. jeweils vom 19.01.2016 (Az. 571-7.1.3.2V-002 und 571-7.1.3.2.V-003) in der Fassung des jeweiligen Widerspruchsbescheides vom 03.03.2017 aufzuheben.

44

Der Beklagte beantragt,

45

die Klage abzuweisen,

46

hilfsweise, das Verfahren bis zur Heilung von etwaigen Verfahrensfehlern auszusetzen.

47

Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass eine Öffentlichkeitsbeteiligung nicht geboten gewesen sei. Er nimmt Bezug auf die Ausführungen der Beigeladenen und ergänzt, dass die Voraussetzungen des § 1 Absatz 3 der 4. BImSchV kumulativ vorliegen müssten. Eine andere Auslegung sei mit dem eindeutigen Wortlaut nicht vereinbar. Jedenfalls fehle es an einer Verbindung mit einer gemeinsamen Betriebseinrichtung. Die vom Kläger genannten Umstände bezeichneten keine technischen Vorkehrungen. Sie stellten allenfalls einen engen räumlichen Zusammenhang dar. Ob ein gemeinsames Regenrückhaltebecken eine gemeinsame Betriebseinrichtung darstelle, könne dahinstehen. Denn ein solches sei nicht Gegenstand der Genehmigungen. Spiegelbildlichkeit und Baugleichheit sprächen weder für einen räumlichen noch für einen betrieblichen Zusammenhang. Die Entscheidung des Hessischen VGH sei auf dieses Verfahren nicht übertragbar, weil dort andere Gefahren in den Blick genommen worden seien, die hier keine Rolle spielten. Daran ändere das höhere Gefährdungspotential von größeren Anlagen nichts. Denn die Gefahren von Gasbehältern und die von Tierhaltungsanlagen seien unterschiedlicher Natur. So erhöhe sich die Brand- und Explosionsgefahr von Gasbehältern mit abnehmender Entfernung. Die von Tierhaltungsanlagen ausgehenden Gefahren bestünden unabhängig von der Distanz zueinander. Der Verweis des Klägers auf den Sinn und Zweck der einschlägigen Normen und dem Willen des Gesetzgebers trage nicht. Die Beteiligten stritten gerade darüber, ob eine gemeinsame Anlage vorliege. Eine einheitlich zu betrachtende Anlage liege auch mit Blick auf § 1 Absatz 1 Satz 4 der 4. BImSchV nicht vor, was sich aus dem Wortlaut, der Systematik und dem Sinn und Zweck ergebe.

48

Ebenfalls liege kein Verstoß gegen Bauplanungsrecht vor, weil § 35 Absatz 1 Nummer 4 BauGB a. F. anwendbar sei. Die Beigeladenen hätten rechtzeitig einen Antrag gestellt und zwar unter dem 21.06.2012. Eines bescheidungsfähigen Antrages bedürfe es nicht. Es sei zudem zwischen dem Antrag und den beizufügenden Unterlagen zu unterscheiden. Auch die Gesetzgebungsmaterialien würden lediglich auf § 3 Satz 1 der 9. BImSchV verweisen. Die Bezeichnung des Antrags als „Lesefassung“ sei ebenfalls ohne Bedeutung. Es entspreche seiner Praxis, eine „Lesefassung“ des Antrages anzufordern. Diese sei von ihm auch als Antrag angesehen worden. Etwas Abweichendes ergebe sich auch nicht aus der Änderung der Plankonzeption.

49

Einen Widerspruch zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans behaupte der Kläger lediglich, lege ihn aber nicht dar. Auch im Übrigen seien die Genehmigungen nicht zu beanstanden. Insbesondere macht der Beklagte Ausführungen dazu, dass nicht gegen den gesetzlichen Biotopschutz, den Artenschutz oder gegen Tierschutzrecht verstoßen worden sei. Die UVP-Vorprüfung sei ebenfalls nicht zu beanstanden.

50

Zum Hilfsantrag trägt der Beklagte vor, dass die Aussetzung des Verfahrens auf § 4 Absatz 1b Satz 3 UmwRG gestützt werden könne, gegebenenfalls in analoger Anwendung. Der Gesetzgeber habe eine Vorschrift für die Aussetzung zur Heilung materieller Fehler offensichtlich vergessen. Die Interessenlage sei vergleichbar. Die Sicherstellung des Biotopschutzes sei beispielsweise durch zusätzliche Maßnahmen oder die Zulassung einer Ausnahme möglich. Eine etwaige fehlerhafte UVP-Vorprüfung könne nachgeholt werden. Dies verhindere ein zweites Gerichtsverfahren. Im Übrigen komme allenfalls die Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit der Genehmigungen in Betracht.

51

Mit Beschluss vom 10.04.2017 hat das Gericht die Beigeladenen zu 1. und zu 2. zum Verfahren beigeladen. Sie beantragen,

52

die Klage abzuweisen,

53

hilfsweise, die Verhandlung zur Nachholung einer erforderlichen Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 10 BImSchG auszusetzen,

54

weiter hilfsweise, die Berufung zuzulassen.

55

Zur Begründung tragen sie mit Verweis auf verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung im Wesentlichen Folgendes vor: Eine Öffentlichkeitsbeteiligung sei nicht erforderlich, weil es sich nicht um eine gemeinsame Anlage im Sinne des § 1 Absatz 3 der 4. BImSchV handele. Dies sei schon deshalb nicht der Fall, weil beide Einzelanlagen nicht mit gemeinsamen Betriebseinrichtungen verbunden seien. Damit seien ausschließlich Einrichtungen technischer Art gemeint, die jeweils im Hinblick auf die in Anlage 1 der 4. BImSchV genannten Anlagetypen zu bestimmen seien. Grundvoraussetzung hierfür sei, dass sie mit dem technischen Ablauf und Betrieb der Anlage in Beziehung stünden. So liege beispielsweise bei gemeinsam genutzten Sozialräumen, der gemeinsamen Benutzung eines Traktors oder eines anderen Wirtschaftsgutes keine Verbindung mit gemeinsamen Betriebseinrichtungen vor. Eine wirtschaftliche Verbindung reiche nicht aus.

56

Die ursprüngliche Konzeption eines gemeinsamen Regenrückhaltebeckens sei aufgegeben worden. Jede Anlage sei nunmehr mit einem eigenen Regenrückhaltebecken geplant und könne autark betrieben werden. Im Übrigen sei fraglich, ob ein Regenrückhaltebecken überhaupt als für die Hähnchenmast technische Betriebseinrichtung angesehen werden könne oder die gemeinsame Nutzung aus rein wirtschaftlichen Gründen vorgesehen gewesen sei. Dass die Anlagen über dieselbe Zufahrt erschlossen seien, führe nicht zur Annahme einer gemeinsamen Anlage. Die Angrenzung an die öffentliche Infrastruktur stelle keine gemeinsame, auf die Masthähnchenhaltung bezogene technische Verbindung her. Es fehle der Anlagenbezug. Allenfalls würden die Einzelanlagen durch die Anbindung an die öffentliche Infrastruktur verbunden, nicht aber „mit“ dieser. Andere gemeinsam genutzte Einrichtungen wie Rohrleitungen oder Förderbänder gebe es nicht.

57

Die räumliche Nähe der Einzelanlagen rechtfertige ebenfalls nicht die Annahme einer gemeinsamen Anlage. Die Voraussetzungen des § 1 Absatz 3 Satz 2 der 4. BImSchV müssten kumulativ vorliegen. Aus der Entscheidung des Hessischen VGH ergebe sich nichts anderes. Dem dortigen Verfahren habe ein anderer Sachverhalt zu Grunde gelegen, der mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar sei. Dort sei es nicht um die Frage einer gemeinsamen Anlage im Sinne des § 1 Absatz 3 Satz 2 der 4. BImSchV gegangen. Vielmehr sei fraglich gewesen, ob bei zwei Flüssiggastanklagern eine einheitliche Anlage vorliege. Zwei selbstständig betriebenen Tierhaltungsanlagen komme keine vergleichbare gesteigerte abstrakte Gefährlichkeit zu wie zwei nebeneinander errichteten Gastanks.

58

Ebenfalls fehle es an demselben Betriebsgelände. Das liege nur bei einem zusammenhängenden Betriebsgelände eines Betreibers vor. Die danach erforderliche Betreiberidentität sei hier nicht gegeben. Dabei gehe der Verordnungsgeber davon aus, dass jede genehmigungsbedürftige Anlage grundsätzlich nur einen Betreiber haben könne („der durch denselben Betreiber betriebenen Anlage“ in § 1 Absatz 1 Satz 4 der 4. BImSchV). Es träfe nicht zu, dass beide Einzelanlagen von demselben Betreiber geführt und daher eine gemeinsame Anlage bildeten. Vielmehr handele es sich um unterschiedliche juristische Personen, die rechtlich, wirtschaftlich und tatsächlich unabhängig seien. Konkurrierende Nachbarbetriebe mit gleichartigen Anlagen seien auch nicht nach § 1 Absatz 3 Satz 1 der 4. BImSchV zusammenzufassen, da sie nicht dasselbe Betriebsgelände hätten. So bilde auch ein großer Werkskomplex gleichartiger Anlagen nicht notwendig eine gemeinsame Anlage. Allein ein bauplanerischer Zusammenhang genüge nicht.

59

Daran ändere es nichts, wenn mehrere Anlagen unterschiedlichen juristischen Personen zuzurechnen seien, die in einem konzernrechtlichen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stünden. Gesellschaftsrechtliche Abhängigkeiten eines Unternehmens spielten für die Betreibereigenschaft grundsätzlich keine Rolle, wie auch § 4 der 5. BImSchV zeige. Auch eine Abhängigkeit im Innenverhältnis von Konzernobergesellschaften ändere daran nichts. Eine juristische Person oder eine Personenmehrheit könne nur in Ausnahmefällen gemeinsamer Betreiber mehrerer Anlagen sein, nämlich dann, wenn sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stünden oder von einer faktischen Betreiberidentität auszugehen sei. Es müsse zwischen den Trägern der einzelnen Anlagen eine derart konzernrechtliche Abhängigkeit bestehen, dass letztlich doch eine Person oder eine bestimmte Personenmehrheit den bestimmenden Einfluss auf den Betrieb der Gesamtanlage habe. Dies beurteile sich nach den Gesamtumständen, also, wer unter Berücksichtigung der rechtlichen (weisungsfrei, selbständige Entscheidungsgewalt), wirtschaftlichen (Nutzen und Risiko aus der Anlage) und tatsächlichen Umstände einen bestimmenden Einfluss auf die Errichtung, die Beschaffenheit und den Betrieb der Anlage ausübe. Zudem müsse die Verfügungsgewalt über die Anlage in eigener Verantwortung ausgeübt werden.

60

Bei verbundenen Unternehmen, auch bei Beherrschungsverträgen, fehle es grundsätzlich an der Verfügungsgewalt über die Anlagen der beherrschten Unternehmen. Hiervon gehe auch § 4 der 5. BImSchV aus. Konzernobergesellschaften seien nur im Ausnahmefall Betreiber. Hierfür müsse die Konzernobergesellschaft strukturelle Weisungsrechte bezogen auf die für die Erfüllung der Umweltverpflichtung maßgeblichen Umstände haben, sodass die Tochtergesellschaft nicht mehr in eigener Verantwortung agieren könne. Hierfür müsse eine konzernrechtliche Mutter-Tochter-Beziehung vorliegen; eine intensive konzernrechtliche Steuerung reiche ebenso wenig aus wie im Einzelfall erfolgte produktions- oder betriebsbezogene Weisungen oder Personenverflechtungen innerhalb des Konzerns. Nicht die personelle Besetzung der einzelnen Gesellschaften sei maßgeblich, sondern die konzernrechtliche Verflechtung der Gesellschaften untereinander. Es komme auf die juristischen Personen an, nicht auf deren Geschäftsführer, Vorstände oder ein sonstiges Organ. Daran ändere § 52b Absatz 1 BImSchG nichts. Darin werde nur deutlich, dass bestimmte natürliche Personen die Pflichten des Anlagenbetreibers wahrnehmen, nicht jedoch, dass die juristische Person aus ihrer Rolle als Betreiber entlassen werde.

61

Die Gesellschafterstruktur der Beigeladenen und der Umstand, dass dieselben Personen mitunter jeweils zugleich Gesellschafter beider Beigeladenen seien, seien ohne Bedeutung. Diese hielten nicht so viele Anteile, dass sie ohne Beteiligung weiterer Gesellschafter Entscheidungen treffen könnten. Ein konzernrechtliches Abhängigkeitsverhältnis ergebe sich daraus nicht, weil es an einem bestimmenden Zugriff des jeweiligen Gesellschafters auf die andere Gesellschaft fehle. Dass J und I Geschäftsführer beider Beigeladenen sind, sei ebenfalls unerheblich. Die Position des Geschäftsführers sei für die Frage der Betreiberidentität ohne Bedeutung.

62

Auch die H übe keinen beherrschenden Einfluss aus. Sie sei zwar Gesellschafterin beider Beigeladenen, könne aber als Gesellschafterin der Beigeladenen zu 1. nicht auf den Betrieb der Beigeladenen zu 2. zugreifen. Die H halte an den Beigeladenen jeweils nicht über 50 %. Sie könne daher Beschlüsse nicht alleine fassen. Jedenfalls nach der Änderung der Gesellschafterverhältnisse der Beigeladenen zu 2. fehle es an einem bestimmenden Einfluss. Die H halte nur noch einen Anteil von 40 %. Die anderen 60 % seien auf weitere Gesellschafter aufgeteilt, die ebenfalls keinen beherrschenden Einfluss ausübten. Im Übrigen stünde es in der freien Marktwirtschaft jedem frei, Gesellschafter verschiedener Gesellschaften zu sein. Dass J Gesellschafter der Beigeladenen zu 1. und Vorstand der H sei, begründe keinen beherrschenden Einfluss der H. Durch den Genossenschaftsvertrag sei er der H verpflichtet, nicht seinen eigenen wirtschaftlichen Interessen. Auch von ihm gehe ein beherrschender Einfluss nicht aus. Denn er sei nur einer von vier Genossen der H. Dass er über die S-GmbH faktisch 50 % der Stimmrechte der H halte, sei unerheblich. Denn für Beschlüsse der Generalversammlung sei er auf mindestens eine Stimme seiner Mitgenossen angewiesen.

63

M kontrolliere als Bevollmächtigter der Generalversammlung zwar J als Vorstand. Er habe aber keinen beherrschenden Einfluss auf die Beigeladenen, an denen er nur 0,5 % Anteile halte. I sei bei der H nur angestellt. V solle perspektivisch bei den Beigeladenen angestellt werden. Eine weitere Verbindung zwischen ihm und den Beigeladenen bestünde nicht.

64

Im Immissionsschutzrecht sei zudem maßgeblich, dass es sich um jeweils eigenständige Anlagenbetreiber handele, die nur bezogen auf die jeweilige Anlage für die Erfüllung der Betreiberpflichten verantwortlich seien. Dies sei grundsätzlich der Inhaber der Genehmigung. Den Beigeladenen seien jeweils eigenständige Genehmigungen erteilt worden. Bereits dies spreche gegen die Annahme einer gemeinsamen Anlage. Zudem habe der Beklagte diesen Punkt ausgiebig geprüft und verneint.

65

Ungeachtet dessen führe eine etwaig zu Unrecht unterlassene Öffentlichkeitsbeteiligung nicht zu einem Aufhebungsanspruch des Klägers. Vielmehr läge nur ein Verfahrensfehler nach § 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 UmwRG vor, sofern die Öffentlichkeitsbeteiligung nicht parallel zum gegebenenfalls auszusetzenden Gerichtsverfahren nachgeholt werde.

66

Ihre Vorhaben seien nach § 35 Absatz 1 Nummer 4 BauGB a. F. privilegiert. Im Übrigen sei dem Kläger ein diesbezüglicher Einwand verwehrt. Die Privilegierung sei kein Aspekt des satzungsgemäßen Aufgabenbereichs des Klägers. Der einzig in Betracht kommende Schutz „einer gesunden Landschaft“ sei nicht einschlägig. Nach § 35 Absatz 1 Nummer 4 BauGB komme es nicht darauf an, ob ein Vorhaben im Allgemeinen im Innenbereich ausgeführt werden könne. Vielmehr sei auf die konkreten Umstände abzustellen. Wegen der noch stärkeren rechtlichen Zulassungsmöglichkeiten der Vorhaben nach § 35 Absatz 1 BauGB ergebe sich ein enger Zusammenhang mit § 30 BauGB. Wegen ihrer nachteiligen Wirkungen auf die Umgebung würden Vorhaben nach § 35 Absatz 1 Nummer 4 BauGB grundsätzlich - entgegen des grundsätzlichen Freihaltegebots des Außenbereichs - nur im Außenbereich ausgeführt werden sollen. Unabhängig davon, ob das Gebot der Freihaltung des Außenbereichs auch zur Erhaltung einer gesunden Landschaft diene, gehe der Gesetzgeber davon aus, dass privilegierte Vorhaben gleichwohl im Außenbereich zulässig seien und demnach die „gesunde Landschaft“ nicht beeinträchtigten.

67

Im Übrigen lägen die Voraussetzungen von § 35 Absatz 1 Nummer 4 BauGB a. F. vor. Insbesondere seien ihre Anträge fristgerecht eingegangen. Hierfür bedürfe es keines bescheidungsfähigen Antrages. Nach der Gesetzesbegründung zu § 245a Absatz 4 BauGB müsse vor Ablauf des 04.07.2012 ein Antrag vorliegen, der die (Mindest-)Voraussetzun-gen des § 10 Absatz 1 Satz 1 BImSchG in Verbindung mit § 3 der 9. BImSchV erfülle. Die vom Kläger bezeichnete „herrschende Kommentarliteratur“, die einen bescheidungsfähigen Antrag fordere, stelle lediglich eine Literaturmeinung dar. Damit würden die durch den Antrag zu erfüllenden Voraussetzungen verkannt. Ein Antrag liege schon dann vor, wenn das Verfahren durch die Stellung des Antrages eingeleitet werde. Dies habe auch der Gesetzgeber mit der Formulierung „ein Antrag eingegangen ist“ in § 245a Absatz 4 BauGB deutlich machen wollen und damit der Gefahr bloßer Scheinanträge habe begegnen wollen. Einer förmlichen Eröffnungsentscheidung durch die Behörde bedürfe es nicht. Daran ändere auch die nach § 6 der 9. BImSchV erforderliche Eingangsbestätigung nichts. Selbst ein unvollständiger Antrag sei gleichwohl wirksam gestellt. Der hier erforderliche Antrag habe mit der unter dem 20.06.2012 eingereichten „Lesefassung“ vorgelegen. Die Bezeichnung als „Lesefassung“ sei unschädlich, weil es nicht auf die formale Bezeichnung ankomme, zumal die Bezeichnung „Lesefassung“ der Praxis des Beklagten geschuldet gewesen sei. Zudem ergebe sich aus Anschreiben, dass zwei Ausfertigen des BImSchG-Antrages übergeben worden seien. Dies habe auch ihren Willen entsprochen. Der Beklagte habe den Eingang der Antragsunterlagen am 21.06.2012 bestätigt.

68

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Fortschreibung der Plankonzeption vom 30.05.2014 zur Schaffung eines separaten Regenrückhaltebeckens. Hierbei handele es sich nicht um eine Änderung der Plankonzeption, sondern um eine Änderung des Vorhabens im laufenden Verfahren. Eine solche sei mit Blick auf § 8 Absatz 2 der 9. BImSchV jederzeit möglich. Es sei von Anfang an geplant gewesen, zwei voneinander getrennte Anlagen mit zwei Betreibern zu errichten und zu betreiben. Die Änderung der Entwässerungsplanung betreffe nur eine Anlage und berühre weder die Identität der Anlagen noch die für beide Anträge gemachten Angaben. Daher seien die Urteile des VG Minden vom 11.05.2016 (11 K 660/15) und des VG Magdeburg vom 17.02.2017 (4 A 337/15) nicht übertragbar. Ob das ursprünglich geplante gemeinsame Regenrückhaltebecken eine gemeinsame Betriebseinrichtung darstellte, sei eine Rechtsfrage, deren Beantwortung die Genehmigungsfrage nicht neu aufwerfe. Ein anderes Verständnis widerspräche dem Sinn und Zweck von § 245a Absatz 4 BauGB, Investitions- und Vertrauensschutz zu gewährleisten. Der Gesetzgeber habe die Vorhabenträger gerade vor dem Verlust der mit der Erstellung der bereits eingereichten Unterlagen und Gutachten verbundenen Planungskosten schützen wollen.

69

Der angebliche Widerspruch gegen die Darstellung des Flächennutzungsplans sei als unsubstantiiert zurückzuweisen. Der Kläger erläutere nicht, welche Darstellung betroffen sei. Im Übrigen gebe es keinen Widerspruch. Die Gemeinde A-Stadt habe keinen Flächennutzungsplan. Beeinträchtigungen des Natur- und Landschaftsschutzes lägen nicht vor. Schließlich liege auch kein Verstoß gegen den gesetzlichen Biotopschutz, den Artenschutz und Tierschutzrecht vor. Die UVP-Vorprüfung sei ebenfalls fehlerfrei erfolgt.

70

Mit Verfügung vom 16.01.2020 hat das Gericht den Beteiligten eine Frist nach § 87b VwGO für weiteres Vorbringen bis zum 21.02.2020 gesetzt; mit Verfügung vom 26.08.2020 erneut eine Frist bis zum 31.08.2020 um 12:00 Uhr.

71

Hinsichtlich des Inhalts der mündlichen Verhandlung vom 16.09.2020 wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

72

Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.

I.

73

Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist der Kläger nach § 2 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 8 Absatz 1 Satz 1 des Umweltrechtsbehelfsgesetzes (UmwRG) klagebefugt. Danach kann eine nach § 3 anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht (Nummer 1), geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein (Nummer 2) und im Falle eines Verfahrens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b zur Beteiligung berechtigt war (Nummer 3 Buchstabe a); im Falle eines Verfahrens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 zur Beteiligung berechtigt war und sie sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat oder ihr entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist (Nummer 3 Buchstabe b).

74

1. Der Kläger ist eine nach § 3 anerkannte inländische Vereinigung. Er ist zudem in der vom Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie erstellten Liste der anerkannten Naturschutzvereinigungen (Stand: 15.03.2016) aufgeführt.

75

2. Gegenstand der Klage ist eine Zulassungsentscheidung im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a UmwRG. Die Klage richtet sich gegen die den Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen, also Entscheidungen im Sinne von § 2 Absatz 6 UVPG über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach dem UVPG eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bestehen kann. Nach Nummer 7.3.3 der Anlage 1 des UVPG in der vom 01.01.2017 bis zum 15.05.2017 geltenden Fassung ist bei der Errichtung und dem Betrieb einer Anlage zur Intensivhaltung oder -aufzucht von Mastgeflügel mit 30.000 bis weniger als 40.000 Plätzen eine standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls durchzuführen und - im Falle einer kumulativen Betrachtung der Anlagen der Beigeladenen - mit 40.000 bis weniger als 85.000 Plätzen eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls. Im Ergebnis dieser Prüfungen kann eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchzuführen sein (vgl. BVerwG, B. v. 29.06.2017 - 9 A 8/16 -, juris Rn. 5). Außerdem richtet sich die Klage gegen die Genehmigung von Anlagen, die in Spalte c des Anhangs 1 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen mit dem Buchstaben G gekennzeichnet sind (§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Variante 1 UmwRG). „G“ bedeutet, dass ein Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen ist. Nach Nummer 7.1.3.1 des Anhangs 1 zur Vierten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutz-gesetzes (4. BImSchV) ist bei Anlagen zum Halten oder zur Aufzucht von Mastgeflügel mit 40.000 oder mehr Mastgeflügelplätzen in der Spalte c der Buchstabe „G“ vermerkt. Die Anlagen der Beigeladenen haben mit jeweils 39.900 Plätzen zusammen insgesamt 79.800 Plätze.

76

3. Der Kläger macht ferner geltend, dass die angegriffenen Genehmigungen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können und die zumindest auch dem Umweltschutz, einschließlich der Gesundheit von Menschen, zu dienen bestimmt sind, verletzen (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 20.07.2011 - 10 S 2102/09 -, juris Rn. 28). Dies sind hier Vorschriften des Immissionsschutzrechts, des UVPG, des gesetzlichen Biotopschutzes, des Artenschutzrechts, des Tierschutzes (vgl. Ziekow, NVwZ 2007, 259, 262) und § 35 BauGB.

77

4. Der Kläger macht außerdem geltend, durch die angegriffenen Genehmigungen in seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes berührt zu sein. Insbesondere kann sich der Kläger auf die Nichtanwendbarkeit von § 35 Absatz 1 Nummer 4 BauGB a. F. berufen. Denn es genügt die Möglichkeit, dass der satzungsgemäße Aufgabenbereich des Klägers berührt ist (vgl. Fellenberg/Schiller in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, UmwRG, 92. EL Februar 2020, § 2 Rn. 18). Das Vorbringen der Beigeladenen, die Privilegierung nach § 35 Absatz 1 Nummer 4 BauGB a. F. sei kein Aspekt des satzungsgemäßen Aufgabenbereichs des Klägers, insbesondere kein Aspekt „einer gesunden Landschaft“, ändert nichts an der Möglichkeit, dass der satzungsgemäße Aufgabenbereich des Klägers berührt ist. Inwieweit die Rügebefugnis des Klägers konkret reicht, ist im Rahmen der Begründetheit zu prüfen (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 20.07.2011 - 10 S 2102/09 -, juris Rn. 32).

78

5. Schließlich war der Kläger zur Beteiligung in einem Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b UmwRG zur Beteiligung berechtigt. Das Beteiligungsrecht des Klägers ergibt sich aus § 9 Absatz 1 UVPG. Insoweit genügt die Geltendmachung, die standortbezogene beziehungsweise allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls habe zu dem Ergebnis führen müssen, für das Vorhaben der Beigeladenen eine UVP durchzuführen, bei deren Durchführung er zu beteiligen sei (vgl. OVG B-Stadt-Brandenburg, B. v. 23.01.2020 - OVG 11 S 20.18 -, juris Rn. 20). Mit Blick auf die für eine einheitliche Anlage durchzuführende Öffentlichkeitsbeteiligung hatte der Kläger ebenfalls ein Beteiligungsrecht aus § 10 Absatz 2 und 3 BImSchG. Denn im Falle der Nummer 7.1.3.1 der 4. BImSchV ist ein förmliches Verfahren, einschließlich einer Öffentlichkeitsbeteiligung, durchzuführen.

II.

79

Die Klage ist auch begründet.

80

Die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen des Beklagten vom 19.01.2016 in Gestalt des jeweiligen Widerspruchsbescheides vom 03.03.2017 sind rechtswidrig. Maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt ist dabei der 03.03.2017. Denn bei einer immissionsschutzrechtlichen Drittanfechtungsklage kommt es maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an (vgl. BVerwG, B. v. 11.01.1991 - 7 B 102.90 -, juris Rn. 3; VGH München, B. v. 07.05.2018 - 22 ZB 17.2160 -, juris Rn. 21).

81

Die streitgegenständlichen Genehmigungen leiden an für den Kläger rügefähigen und von ihm gerügten rechtserheblichen Verfahrensfehlern. Gemäß § 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 UmwRG kann die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b UmwRG verlangt werden, wenn eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 18 UVPG oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist.

82

1. Diesen Fehler darf der Antragsteller rügen. Sein Vorbringen ist nicht ausgeschlossen.

83

a) Gemäß § 4a Absatz 1 Satz 1 in der vom 07.12.2016 bis zum 01.06.2017 geltenden Fassung (UmwRG a. F.) hat der Kläger innerhalb einer Frist von sechs Wochen die zur Begründung seiner Klage gegen eine Entscheidung im Sinne von § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben. Diese Frist kann durch den Vorsitzenden oder den Berichterstatter auf Antrag verlängert werden (§ 4a Absatz 1 Satz 3 UmwRG a. F.). Das war hier der Fall. Auf den Antrag des Klägers vom 06.04.2017 hat der Vorsitzende dem Kläger mit Eingangsverfügung vom 10.04.2017 eine Frist zur Vorlage der Klagebegründung binnen 6 Wochen nach erfolgter Akteneinsicht gesetzt. Diese Frist hat der Kläger gewahrt, weil er die Klagebegründung am 06.07.2017 bei Gericht eingereicht hat. Die Klagebegründungsfrist von 6 Wochen nach erfolgter Akteneinsicht endete mit Ablauf des 07.07.2017. Die einwöchige Akteneinsicht endete mit Ablauf des 26.05.2017, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Empfangsbekenntnis zur Akteneinsicht am 19.05.2017 unterzeichnet hat.

84

Soweit die Beigeladenen vortragen, das Gericht habe über die Frist nicht frei verfügen können, steht dem - anders als bei § 91 Absatz 2 VwGO - der ausdrückliche Wortlaut des § 4a Absatz 1 Satz 3 UmwRG a. F. entgegen. Im Übrigen ist das Vorbringen der Beigeladenen widersprüchlich, wenn sie einerseits einen Antrag auf Fristverlängerung fordern, andererseits aber vortragen, das Gericht habe über die Frist nicht frei verfügen können. Das Gericht vermag den Beigeladenen ebenfalls nicht zu folgen, wenn sie vortragen, die Klagebegründungsfrist habe nicht verlängert werden dürfen, weil dies gegen den Sinn und Zweck von § 4a UmwRG a. F. verstoße. Zutreffend ist insoweit, dass die Einführung von § 4a UmwRG a. F. einen gerechten Ausgleich zwischen der umweltrechtsschützenden Zielsetzung von Verbandsklagen einerseits und den Belangen der von Verbandsklagen Betroffenen andererseits bezweckt hat. Der Gesetzgeber wollte insbesondere verhindern, dass das Institut der Verbandsklage in der Praxis zu sachlich nicht gerechtfertigten Verzögerungen von Vorhaben instrumentalisiert wird (vgl. BT-Drs. 17/10957, Seite 17). Zutreffend ist ebenfalls, dass der Gesetzgeber mit § 6 UmwRG in der ab dem 02.06.2017 geltenden Fassung das Ziel verfolgt hat, Gerichtsverfahren zu beschleunigen (vgl. BT-Drs. 18/9526, Seite 41). Aus dieser gesetzgeberischen Intention kann indes nicht abgeleitet werden, dass zulässiges prozessuales Verhalten im Rahmen von Verbandsklagen untersagt ist. Mit § 4a Absatz 1 Satz 3 UmwRG a. F. hat der Gesetzgeber gerade für diese Fälle eine Verlängerung der Klagebegründungsfrist vorgesehen. Denn der Gesetzgeber wollte lediglich sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerungen verhindern. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass der Beklagte die Verwaltungsvorgänge erst am 11.05.2017, also einen Monat nach Klageerhebung, bei Gericht vorgelegt hat. Diese zeitliche Verzögerung kann nicht dem Kläger angelastet werden.

85

Ungeachtet dessen gilt der Ausschluss ohnehin nur für Tatsachenvortrag, der nicht mit geringem Aufwand auch ohne Mitwirkung der Beteiligten ermittelt werden kann (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 15.11.2018 - 1 KN 29/17 -, NVwZ-RR 2019, 631 Rn. 28). So hat der Kläger bereits im behördlichen Verfahren, insbesondere mit Schreiben vom 15.08.2013, unter anderem zur Notwendigkeit einer Öffentlichkeitsbeteiligung aufgrund des Vorliegens einer einheitlichen Anlage und zur Nichtanwendbarkeit von § 35 Absatz 1 Nummer 4 BauGB a. F. Stellung genommen. Mit Schreiben vom 18.03.2015 hat er weiter zur Notwendigkeit einer Öffentlichkeitsbeteiligung und zum gesetzlichen Biotopschutz vorgetragen. Letzteres hat der Kläger in seinen weiteren Schreiben vom 12.11.2015 und 20.11.2015 vertieft. Diese Einwendungen konnte das Gericht schon beim Durchsehen den Verwaltungsvorgängen entnehmen, ohne dass es einer weiteren Mitwirkung der Beteiligten bedurft hätte.

86

Auch das nach dem 06.07.2017 erfolgte Vorbringen des Klägers ist nicht ausgeschlossen. Zwar endete die in der Eingangsverfügung vom 10.04.2017 gesetzte 6-Wochen-Frist nach erfolgter Akteneinsicht mit Ablauf des 07.07.2017. Allerdings fehlt es an der nach § 4a Absatz 1 Satz 2 UmwRG a. F. in Verbindung mit § 87b Absatz 3 Satz 1 Nummer 3 VwGO erforderlichen Belehrung. Diese war nicht entbehrlich. Denn bei § 4a Absatz 1 Satz 3 UmwRG a. F. handelt es sich nicht um eine gesetzliche Frist, sondern um eine richterliche Frist, für die § 87b Absatz 3 VwGO gilt. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass das nach dem 06.07.2017 erfolgte Vorbringen im Vergleich zur Klagebegründung vom 06.07.2017 nicht neu ist. Denn der Kläger hat bereits im Rahmen seiner Klagebegründung Ausführungen zur Frage einer erforderlichen Öffentlichkeitsbeteiligung, zum gesetzlichen Biotopschutz, zum artenschutzrechtlichen Störungsverbot in Bezug auf die Feldlerche, zur fehlenden Privilegierung nach § 35 Absatz 1 Nummer 4 BauGB a. F., zur Unverzüglichkeit der UVP-Vorprüfung und zur Verletzung von tierschutzrechtlichen Vorschriften einschließlich Beweisanträgen gemacht. Im Laufe des gerichtlichen Verfahrens hat er seine innerhalb der Klagebegründungsfrist vorgetragenen Punkte lediglich präzisiert (vgl. BVerwG, B. v. 16.04.2020 - 9 B 66.19 -, BeckRS 2020, 12982). Die Präzisierung ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass der Beklagte und die Beigeladenen im Laufe des Gerichtsverfahrens Stellung zu den vom Kläger erhobenen Einwendungen genommen und ergänzende Gutachten vorgelegt haben. Dann ist es nicht sachgerecht, den Kläger mit seinem darauf bezogenen Vorbringen auszuschließen.

87

Ob - so die Beigeladenen - der Kläger bereits im behördlichen Verfahren Akteneinsicht genommen hat oder nicht, ist für die Frage, ob sein Vorbringen im gerichtlichen Verfahren ausgeschlossen ist, unerheblich. Soweit die Beigeladenen damit geltend machen wollen, dass der Antrag auf Fristverlängerung unredlich sei, weil er ausschließlich den Zweck gehabt habe, die Klagebegründungsfrist zu verlängern, vermag die Kammer ihnen nicht zu folgen. Zum einen haben die Beigeladenen diesen tatsächlichen Umstand erst nach Ablauf der vom Gericht gesetzten § 87b-Frist vorgebracht, nämlich am 09.09.2020. Die Berichterstatterin hatte den Beteiligten aber mit Verfügung vom 26.08.2020 eine Ausschlussfrist bis zum 31.08.2020 um 12:00 Uhr gesetzt. Diese Frist war nicht unbillig, weil das Verfahren bereits drei Jahre andauerte, die Beteiligten ausreichend Gelegenheit hatten, sich zur Sache zu äußern, und diese Gelegenheit umfassend wahrgenommen haben. Überdies hatte das Gericht bereits mit Verfügung vom 16.01.2020 eine § 87b-Frist gesetzt. Zum anderen führt allein eine bereits im behördlichen Verfahren erfolgte Akteneinsicht nicht zur Unredlichkeit eines Akteneinsichtsgesuchs im gerichtlichen Verfahren. Etwaige Einschränkungen enthalten insbesondere § 100 VwGO und § 5 UmwRG nicht. Denn der Antrag auf Fristverlängerung war weder rechtsmissbräuchlich noch verstößt er gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der Kläger mit seinem Antrag einen Zweck verfolgt hat, den die Rechtsordnung missbilligt, und sein Verhalten deshalb bei einer Gesamtbetrachtung grob unbillig erscheint (vgl. zu den Voraussetzungen einer Missbräuchlichkeit oder Unredlichkeit: Fellenberg/Schiller, a. a. O., § 5 Rn. 19). Überdies ist Gegenstand von § 5 UmwRG nicht die Einwendung selbst - hier übertragen: der Antrag auf Fristverlängerung -, sondern vielmehr der Zeitpunkt der Geltendmachung (vgl. BT-Drs. 18/9526, Seite 41). Außerdem hatte der Kläger aus dem behördlichen Verfahren keine Kenntnis vom gesamten Verwaltungsvorgang des Beklagten. Der Verwaltungsvorgang des Beklagten von April 2016 bis zum Erlass der Widerspruchsbescheide konnte nicht Gegenstand der Akteneinsicht im behördlichen Verfahren sein. Denn der Kläger hat im behördlichen Verfahren bereits im April 2016 Akteneinsicht genommen. Im gerichtlichen Verfahren wurde ihm erst im Mai 2017 Akteneinsicht gewährt.

88

b) Ein Ausschluss des klägerischen Vorbringens ergibt sich auch nicht aus § 6 UmwRG in der ab dem 02.06.2017 geltenden Fassung. Danach hat eine Person oder eine Vereinigung im Sinne des § 4 Absatz 3 Satz 1 innerhalb einer Frist von zehn Wochen ab Klageerhebung die zur Begründung ihrer Klage gegen eine Entscheidung im Sinne von § 1 Absatz 1 Satz 1 oder gegen deren Unterlassen dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben. Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf dieser Frist vorgebracht werden, sind nur zuzulassen, wenn die Voraussetzung nach § 87b Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung erfüllt ist. § 87b Absatz 3 Satz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung gilt entsprechend. Die Frist nach Satz 1 kann durch den Vorsitzenden oder den Berichterstatter auf Antrag verlängert werden, wenn die Person oder die Vereinigung in dem Verfahren, in dem die angefochtene Entscheidung ergangen ist, keine Möglichkeit der Beteiligung hatte.

89

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Denn § 6 UmwRG in der ab dem 02.06.2017 geltenden Fassung ist auf dieses Verfahren nicht anwendbar. Daran ändert § 8 Absatz 1 UmwRG nichts. Danach gilt dieses Gesetz für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2, die nach dem 25. Juni 2005 ergangen sind oder hätten ergehen müssen. Abweichend von Satz 1 ist § 6 nur auf solche in Satz 1 genannten Rechtsbehelfe anzuwenden, die nach dem 28. Januar 2013 erhoben worden sind. Davon ist zwar formal auch die vorliegend am 06.04.2017 erhobene Klage erfasst. Der gegenüber der Vorgängerregelung deutlich verschärfte § 6 UmwRG in der ab dem 02.06.2017 geltenden Fassung kann sich allerdings schon aus Gründen des prozessualen Vertrauensschutzes nicht auf Rechtsbehelfe erstrecken, die bei Inkrafttreten der Neufassung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes vom 29.05.2017 bereits erhoben waren (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.09.2019 - 7 C 5/18 - juris Rn. 28; Bayerischer VGH, B. v. 22.05.2020 - 22 ZB 18.856 -, juris Rn. 67 f.; VGH München, B. v. 01.08.2018 - 22 BV 17.1059 -, EnWZ 2019, 36 Rn. 40; Fellenberg/Schiller in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 92. EL Februar 2020, UmwRG, § 8 Rn. 18 f.). Daran ändern auch die Grundsätze des intertemporalen Prozessrechts nichts. Das BVerfG führt in seinem Beschluss vom 07.07.1992 (2 BvR 1631/90) dazu Folgendes aus:

90

„Es ist Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, ob Rechtsmittel gegen Gerichtsentscheidungen statthaft sein sollen; das Grundgesetz selbst trifft dazu keine Bestimmung (vgl. BVerfGE 74, 228 <234>). Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet keinen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 1, 433 <437 f.>; 49, 329 <343>; 65, 76 <90>; 83, 24 <31>). Er verwehrt es dem Gesetzgeber deshalb auch nicht, ein bisher nach der jeweiligen Verfahrensordnung statthaftes Rechtsmittel abzuschaffen oder den Zugang zu einem an sich eröffneten Rechtsmittel von neuen einschränkenden Voraussetzungen abhängig zu machen. Dies kann grundsätzlich mit Wirkung auch für solche Verfahren geschehen, die bereits bei Gericht anhängig sind, soweit dem nicht durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG Grenzen gezogen sind (...)

91

Der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Schutz des Vertrauens eines Rechtsmittelführers in die prozeßrechtlich gewährleistete Rechtsmittelsicherheit gebietet, daß für die Bestimmung des (zeitlich-gegenständlichen) Anwendungsbereichs eines durch Gesetz festgelegten Rechtsmittelausschlusses von den Gerichten allein die Grundsätze des intertemporalen Prozeßrechts angewendet werden, sofern das Gesetz nicht mit hinreichender Deutlichkeit etwas Abweichendes bestimmt (...)

92

Die rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, die für jedermann gelten (vgl. BVerfGE 30, 367 <386>; 51, 356 <362>), sind als verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstäbe auch dann heranzuziehen, wenn der Gesetzgeber auf eine bislang gegebene verfahrensrechtliche Lage, in der ein Prozeßbeteiligter sich befindet, einwirkt (vgl. BVerfGE 63, 343 <358 f.>). Das Vertrauen in den Fortbestand verfahrensrechtlicher Regelungen ist von Verfassungs wegen zwar weniger geschützt als das Vertrauen in die Aufrechterhaltung materieller Rechtspositionen; im Einzelfall aber können verfahrensrechtliche Regelungen ihrer Bedeutung und ihres Gewichts wegen in gleichem Maße schutzwürdig sein wie Positionen des materiellen Rechts. Verfahrensregelungen kommt in sehr unterschiedlicher Weise Bedeutung und Gewicht zu. Nicht selten enthält Verfahrensrecht bloße ordnungsrechtliche, technische Prozeßführungsregeln; es kann aber auch, zumal bei bereits anhängigen Verfahren, Rechtspositionen gewähren, die in ihrer Schutzwürdigkeit materiell-rechtlichen Gewährleistungen vergleichbar sind (vgl. BVerfGE 63, 343 <359>).

93

Mit der Einlegung eines nach der jeweiligen Verfahrensordnung statthaften und zulässigen Rechtsmittels wird eine gewichtige verfahrensrechtliche Position begründet. Dies zeigt sich darin, daß die zu allen Verfahrensordnungen ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung und auch die Literatur den prozeßrechtlichen Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit zugunsten einer Prozeßpartei anwendet, die die prozessuale Möglichkeit eines Rechtsmittels zur Durchsetzung ihrer materiell-rechtlichen Position zulässig wahrgenommen und dabei in der Regel zugleich auch ein Kostenrisiko auf sich genommen hat. Dieser Grundsatz besagt, daß eine prozeßrechtliche Einschränkung der Statthaftigkeit von Rechtsmitteln oder die Verschärfung ihrer Zulässigkeitsvoraussetzungen grundsätzlich nicht Rechtsmittel unzulässig werden läßt, die noch nach altem Rechtszustand zulässig eingelegt wurden; anderes gilt nur, wenn dies durch eine hinreichend deutliche gesetzliche Übergangsregelung angeordnet wird. Der allgemeine Grundsatz des intertemporalen Prozeßrechts, wonach eine Änderung des Verfahrensrechts grundsätzlich auch anhängige Rechtsstreitigkeiten erfaßt (vgl. BVerfGE 11, 139 <146>; 24, 33 <55>; 39, 156 <167>; 45, 272 <297>; 65, 76 <98>), erfährt damit für anhängige Rechtsmittelverfahren eine einschränkende Konkretisierung: Beim Fehlen abweichender Bestimmungen führt eine nachträgliche Beschränkung von Rechtsmitteln gerade nicht zum Fortfall der Statthaftigkeit bereits eingelegter Rechtsmittel (...)

94

In diesem prozeßrechtlichen Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit haben auch die dem Rechtsstaatsprinzip zugehörigen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ihren Niederschlag gefunden. Damit erhält die durch den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit gestützte Position eines Rechtsmittelführers ein Gewicht, das - im Rahmen der Voraussetzungen dieses Prinzips - den Schutz des Vertrauens in den Fortbestand der Zulässigkeit eines eingelegten Rechtsmittels auch verfassungsrechtlich gebietet.

95

Der rechtsstaatliche Grundsatz der Rechtssicherheit wirkt sich im Bereich des Verfahrensrechts u.a. auch in dem Postulat der Rechtsmittelklarheit aus. Dieses rechtsstaatliche Erfordernis umschließt das Gebot, dem Rechtssuchenden in klarer Abgrenzung den Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen zu weisen (vgl. BVerfGE 49, 148 <164>). Das bedeutet auch, daß in einem Gesetz, das Bestimmungen über die Zulässigkeit von Rechtsmitteln ändert, eine Abweichung von dem oben bezeichneten Grundsatz des intertemporären Prozeßrechts klar zum Ausdruck kommen muß.

96

Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot des vorhersehbaren und fairen gerichtlichen Verfahrens steuert nach allem auch die Beantwortung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen nach einer Rechtsänderung das Gericht aufgrund des von ihm anzuwendenden Prozeßrechts ein bisher gegebenes und bereits eingelegtes Rechtsmittel als noch zulässig zu behandeln hat oder als nicht mehr statthaft ansehen darf.“

97

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an und macht sie sich für dieses Verfahren zu eigen. Dies zu Grunde gelegt, hat der Kläger seine durch die Verfügung vom 10.04.2017 erlangte Verfahrensposition nicht nachträglich verloren. Denn es fehlt sowohl an einer hinreichend deutlichen Übergangsregelung des Gesetzgebers, dass das UmwRG in der ab dem 02.06.2017 geltenden Fassung für bereits anhängige Rechtsbehelfe gilt, als auch dass es auch für solche Verfahren gilt, in denen das Gericht bereits abweichende - auf dem alten Recht beruhenden - Verfügungen getroffen hat.

98

Damit, dass § 6 UmwRG nur auf solche in Satz 1 genannten Rechtsbehelfe anzuwenden ist, die nach dem 28. Januar 2013 erhoben worden sind (§ 8 Absatz 1 Satz 2 UmwRG), hat der Gesetzgeber keine hinreichend deutliche Regelung getroffen. Nach den Gesamtumständen kann von einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, den neuen (verschärften) § 6 auch auf bereits anhängige Verfahren beziehen zu wollen, nicht ausgegangen werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber den Stichtag infolge eines Redaktionsversehens nicht angepasst hat (vgl. Bayerischer VGH, B. v. 22.05.2020 - 22 ZB 18.856 -, juris Rn. 67 f.) Auf den Wortlaut kommt es insoweit nicht maßgeblich an. Denn die anderen Auslegungsmethoden vermögen die Annahme einer hinreichend deutlichen Regelung nicht zu rechtfertigen. Insbesondere aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt sich, dass der Gesetzgeber keine Rückwirkung regeln wollte. So heißt es etwa: „Der bisherige Satz 2 wird redaktionell angepasst.“ (vgl. BR-Drs. 422/16, S. 41; BT-Drs. 18/9526). Dass der Gesetzgeber Stichtage anderswo bewusst regelte und hierzu in der Begründung detaillierter argumentierte, zeigt sich an § 8 Absatz 2: „Der neue Absatz 2 enthält eine Stichtagsregelung für den zur Umsetzung von Artikel 9 Absatz 3 der Aarhus-Konvention dienenden erweiterten Anwendungsbereich des § 1 UmwRG-E um die neuen Nummern 4 bis 6.“ (vgl. BR-Drs. 422/16, S. 41; BT-Drs. 18/9562). Dies war bei § 8 Absatz 1 Satz 1 gerade anders. Auch in der Gesetzesbegründung zu § 5 Absatz 4 UmwRG in der vom 29.01.2013 bis zum 25.11.2015 geltenden Fassung hat der Gesetzgeber nähere Ausführungen zur Aufnahme einer Übergangsvorschrift aufgenommen (vgl. BT-Drs. 17/10957, S. 18).

99

Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber den Stichtag „nach dem 28. Januar 2013“ nicht bewusst gewählt hat, um Rechtsbehelfe zu erfassen, die bereits in der Vergangenheit anhängig waren. Der Gesetzgeber wollte nicht in bestehende Prozesslagen eingreifen. Vielmehr entsprach der Stichtag dem Inkrafttreten des § 5 Absatz 4 Satz 2 UmwRG in der vom 29.01.2013 bis zum 25.11.2015 geltenden Fassung. Der § 5 Absatz 1 Satz 2 in der ab dem 26.11.2015 geltenden Fassung entsprach dem ursprünglichen § 5 Absatz 4 Satz 2. Danach war § 4a Absatz 1 abweichend von Satz 1 nur auf solche in Satz 1 genannten Rechtsbehelfe anzuwenden, die nach dem 28. Januar 2013 erhoben worden sind. Anders verhält es sich jedoch mit § 8 Absatz 1 Satz 2, der erst am 02.06.2017 in Kraft trat und mit Blick auf den Stichtag „28. Januar 2013“ mehr als vier Jahre zurückwirkt.

100

Das VG Sigmaringen führt in seinem Urteil vom 14.11.2018 (10 K 118/17) Folgendes aus:

101

„Die Vorschrift des § 8 Abs. 1 S. 2 UmwRG n. F. begegnet jedoch – bei wörtlichem Verständnis jedenfalls im vorliegenden Verfahren – verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn § 6 UmwRG n. F. verschärft die Präklusion ggü. § 4a UmwRG a. F. für den Kläger erheblich, indem sie die Präklusionswirkung nicht mehr von einer (im Ermessen des Gerichts stehenden) Zurückweisungsentscheidung abhängig macht, sondern eo ipso und ohne ein Kausalitätserfordernis eintreten lässt (zum Ganzen Landmann/Rohmer UmweltR/Fellen-berg/Schiller UmwRG § 6 Rn. 6; Eyermann/Happ UmwRG § 6 Rn. 4) und stellt damit eine – dem allgemeinen Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts zuwiderlaufende – Rückbewirkung von Rechtsfolgen dar (vgl. Landmann/Rohmer UmweltR/Fellenberg/ Schiller UmwRG § 8 Rn. 15; demgegenüber im Hinblick auf die Regeln des intertemporalen Prozessrechts keine Bedenken anmeldend Eyermann/Happ UmwRG § 6 Rn. 1), für die es keine sachliche Rechtfertigung gibt. Die in der zitierten Literaturfundstelle erwogene Verschiebung des Stichtages des § 8 Abs. 1 S. 2 UmwRG n. F. auf den Tag des Inkrafttretens des UmwRGuaÄndG erachtet die Kammer vorliegend als nicht ausreichend an; denn es handelt sich vorliegend um ein „Altverfahren“, welches bereits vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes erhoben wurde. In einem solchen Fall verschlechterte sich die prozessuale Rechtsposition des Klägers nachträglich und träten für ihn nachträglich negative Rechtsfolgen ein, auf die er bei Klageerhebung bzw. zu Beginn des Verfahrens keinen Einfluss hatte. Derartiges lässt der Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts nicht zu.

102

Die Kammer sieht sich auch nicht veranlasst, das Verfahren auszusetzen und die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 8 Abs. 1 S. 2 UmwRG n. F. dem Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 GG vorzulegen. Denn sie stellt die Verfassungsmäßigkeit der Norm nicht insgesamt, sondern nur in der vorliegenden Fallkonstellation (eines „Altverfahrens“) in Frage. Auch in dieser Hinsicht ist aber eine konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 GG nicht angezeigt, denn die Norm ist einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich: Wie in der zitierten Kommentarfundstelle argumentiert, erachtet die Kammer es als möglich an, die Norm im Wege der teleologischen Reduktion unangewendet zu lassen (Landmann/Rohmer UmweltR/Fellenberg/Schiller UmwRG § 8 Rn. 19). Der Wortlaut als äußerste Grenze der Auslegung steht dieser Methodik nicht entgegen, wenn – wofür hier vieles spricht – die Stichtagsregelung als gesetzgeberisches Redaktionsversehen betrachtet wird (so Landmann/Rohmer UmweltR/Fellenberg/Schiller UmwRG § 8 Rn. 18 f.).“

103

Diesen Ausführungen schließt sich das Gericht ebenfalls an und macht sie sich zu eigen. Soweit die Beigelanden auf das Urteil des Nds. OVG vom 27.08.2019 (7 KS 24/17) verweisen, vermag dies eine andere Entscheidung nicht zu rechtfertigen. Ungeachtet der oben gemachten Ausführungen haben das Nds. OVG und auch das BVerwG in seinem auf das Nds. OVG folgenden Beschluss vom 16.04.2020 (9 B 66/19) die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 8 Absatz 1 Satz 2 UmwRG letztlich offen gelassen.

104

Ferner fehlt es auch an einer hinreichend deutlichen Übergangsregelung dafür, dass das UmwRG in der ab dem 02.06.2017 geltenden Fassung für bereits anhängige Rechtsbehelfe gilt, in denen das Gericht bereits abweichende - auf dem alten Recht beruhende - Verfügungen getroffen hat. Bereits vor dem Inkrafttreten des UmwRG in der ab dem 02.06.2017 geltenden Fassung wurde eine Prozesslage geschaffen, die zu einer für den Kläger günstigen Verfahrensposition führte (vgl. VG München, Urt. v. 11.04.2019 - 2 K 486/16 -, juris Rn. 24). Denn das Gericht hat die Verlängerung der Klagebegründungsfrist bereits mit Verfügung vom 10.04.2017 erlassen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das ab dem 02.06.2017 geltende UmwRG während des Ablaufs der Verfügung zur verlängerten Klagebegründungsfrist in Kraft getreten ist. Die Entscheidung über die Fristverlängerung war bereits getroffen und damit abgeschlossen. Ob der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau- und Reaktorsicherheit am 26.04.2017 eine Beschlussempfehlung zum UmwRG-Entwurf abgegeben hat, ist ohne Bedeutung. Denn der Kläger konnte und durfte auf die Wirksamkeit der Verfügung vom 10.04.2017 vertrauen.

105

Eine Präklusion des klägerischen Vorbringens ergibt sich auch nicht aus § 2 Absatz 3 UmwRG a. F. Danach ist eine Vereinigung, wenn sie im Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 UmwRG Gelegenheit zur Äußerung gehabt hat, im Verfahren über den Rechtsbehelf mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die sie im Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 nicht oder nach den geltenden Rechtsvorschriften nicht rechtzeitig geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können. Ungeachtet dessen, dass diese Vorschrift inzwischen gestrichen wurde, verstieß sie gegen Unionsrecht. Denn dort werden besondere Bedingungen aufgestellt, die die gerichtliche Kontrolle einschränken und die im Unionsrecht nicht vorgesehen sind (vgl. EuGH, Urt. v. 15.10.2015 - C 137/14 -, juris Rn. 75 ff.; BVerwG, B. v. 12.01.2018 - 9 A 12/17 -, juris Rn. 9).

106

2. Bei den angefochtenen Genehmigungen handelt es sich um Entscheidungen über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a und Nummer 2 Variante 1 UmwRG (siehe oben I. 2.).

107

3. Darüber hinaus wurde eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne des § 10 BImSchG weder durchgeführt noch nachgeholt (§ 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 UmwRG).

108

a) Für die Vorhaben der Beigeladenen mit 79.800 Plätzen für Mastgeflügel ist eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen. Denn bei Anlagen zum Halten und zur Aufzucht von Mastgeflügel mit 40.000 oder mehr Mastgeflügelplätzen ist ein Genehmigungsverfahren nach § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes in der vom 07.12.2016 bis zum 04.04.2017 geltenden Fassung (BImSchG) durchzuführen.

109

Gemäß § 4 Absatz 1 Satz 1 BImSchG bedürfen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen, die auf Grund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebs in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen oder in anderer Weise die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu gefährden, erheblich zu benachteiligen oder erheblich zu belästigen, sowie von ortsfesten Abfallentsorgungsanlagen zur Lagerung oder Behandlung von Abfällen einer Genehmigung. Insoweit bestimmt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung die Anlagen, die einer Genehmigung bedürfen - genehmigungsbedürftige Anlagen - (§ 4 Absatz 1 Satz 3 Halbsatz 1 BImSchG). Hiervon hat die Bundesregierung mit der 4. BImSchV Gebrauch gemacht. Nach § 1 Absatz 1 Satz 1 der 4. BImSchV bedürfen die Errichtung und der Betrieb der im Anhang 1 genannten Anlagen einer Genehmigung, soweit den Umständen nach zu erwarten ist, dass sie länger als während der zwölf Monate, die auf die Inbetriebnahme folgen, an demselben Ort betrieben werden. Gemäß § 2 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a der 4. BImSchV wird das Genehmigungsverfahren durchgeführt nach § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes für Anlagen, die in Spalte c des Anhangs 1 mit dem Buchstaben G gekennzeichnet sind. Gemäß Nummer 7.1.3.1 des Anhangs 1 zur 4. BImSchV ist bei Anlagen zum Halten und zur Aufzucht von Mastgeflügel mit 40.000 oder mehr Mastgeflügelplätzen in der Spalte c ein „G“ vermerkt. Hängt die Genehmigungsbedürftigkeit der im Anhang 1 genannten Anlagen vom Erreichen oder Überschreiten einer bestimmten Leistungsgrenze oder Anlagengröße ab, ist nach § 2 Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit § 1 Absatz 1 Satz 4 der 4. BImSchV jeweils auf den rechtlich und tatsächlich möglichen Betriebsumfang der durch denselben Betreiber betriebenen Anlage abzustellen.

110

b) Bei den Vorhaben der Beigeladenen handelt es sich um eine einheitliche Anlage zum Halten und zur Aufzucht von Mastgeflügel.

111

(1) Nach § 3 Absatz 5 Nummer 1 BImSchG sind Anlagen im Sinne des Gesetzes Betriebsstätten und sonstige ortsfeste Einrichtungen. Dabei ist der Anlagenbegriff weit zu fassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.11.2018 – 7 C 7/17 -, juris Rn. 14; Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 3 Rn. 72). Maßgeblich ist eine technisch-betriebsbezogene Sicht. Wirtschaftliche Aspekte spielen keine Rolle (vgl. Schulte/Michalk in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, 55. Edition, Stand: 01.07.2020, BImSchG, § 3 Rn. 71 f.). Nach § 12 Satz 1 der Abgabenordnung ist eine Betriebsstätte jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient. Dieser wirtschaftliche Bezug gilt auch hier, wobei sowohl eine gewisse organisatorische Komplexität als auch ein innerer Zusammenhang vorhanden sein muss (vgl. Schulte/Michalk, a. a. O., Rn. 74). Betriebsstätten sind als räumliche Zusammenfassung der der Ausübung eines stehenden Betriebes dienenden Anlagen oder Einrichtungen zu verstehen. Hierunter fallen Fabriken, Werke und Anstalten (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.11.2018 - 7 C 7/17 -, juris Rn. 14). Eine ortsfeste Einrichtung - und somit auch eine Betriebsstätte - kann sich aus einer Mehrzahl von Anlagen zusammensetzen. In Einzelfällen kann es vorkommen, dass nach den Vorgaben zum Umfang genehmigungsbedürftiger Anlagen die gesamte Betriebsstätte als eine Anlage einzustufen ist (vgl. Jarass, a. a. O., Rn. 76).

112

Wann dies der Fall ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Der Wortlaut der §§ 3 Absatz 5, 4 Absatz 1 BImSchG führt insoweit zu keinem Erkenntnisgewinn. Denn der dort verwendete Begriff der Anlage erlaubt keinen Rückschluss darauf, ob die hier in Rede stehenden Vorhaben der Beigeladenen eine einheitliche Anlage oder jedes von ihnen eine eigenständige Anlage darstellen. Dies gilt auch für die Regelungen der 4. BImSchV, zumal dort kein einheitlicher Anlagenbegriff verwendet wird. Dort hat der Verordnungsgeber nur die Art der Anlagen im Einzelnen bestimmt, die der Genehmigungspflicht unterliegen (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, B. v. 30.01.2017 - 8 A 1692/14 -, juris Rn. 21 und 23).

113

Da eine Auslegung anhand des Wortlautes nicht zielführend ist, ist auf den Sinn und Zweck des jeweiligen Genehmigungstatbestands abzustellen. Dabei ist die Weite des Anlagenbegriffs zu berücksichtigen. Die Grenze der zulässigen Auslegung ist dort erreicht, wo die Regelungsaussagen der 4. BImSchV unterlaufen würden und der Kreis der genehmigungsbedürftigen Anlagen über die Vorgaben der 4. BImSchV hinaus erweitert würde (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, B. v. 30.01.2017 - 8 A 1692/14 -, juris Rn. 23). Der Sinn des Genehmigungsvorbehalts im Allgemeinen besteht darin, Anlagen, die ihrer Art nach in besonderem Maße schädliche Umwelteinwirkungen oder sonstige Risiken hervorrufen können, einer präventiven behördlichen Kontrolle in einem dazu geeigneten Verfahren zu unterwerfen. Dabei ist auch die hinter § 4 BImSchG stehende gesetzgeberische Intention zur Auslegung der Festsetzungen der auf dieser Vorschrift basierenden 4. BImSchV zu berücksichtigen. Bei der Frage, ob eine bestimmte technische Anlage einem im Anhang 1 zur 4. BImSchV aufgeführten Anlagentyp zuzuordnen ist, kommt es zudem auf die Art der technischen Prozesse und die Zweckbestimmung der fraglichen Anlage an (vgl. Hessischer VGH, B. v. 21.01.2015 - 9 A 224/13.Z -, juris Rn. 9).

114

Die hier in Rede stehende Genehmigungsbedürftigkeit hängt von der Anzahl der Mastgeflügelplätze ab, die das Gefährdungspotential bestimmt. Nach dem Willen des Verordnungsgebers kommt es auf die Konzentration vieler Tiere auf geringer Fläche an, an der er gerade die von § 4 Absatz 1 Satz 1 BImSchG in den Blick genommenen schädlichen Umwelteinwirkungen oder sonstige Risiken für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft messen wollte (vgl. BVerwG, B. v. 11.04.1986 - 7 B 58/86 -, juris Rn. 2 zu einer Schweinemastanlage; in diese Richtung auch: Hansmann/Röckinghausen in: Landsmann/Rohmer, Umweltrecht, 92. EL Februar 2020, 4. BImSchV, § 1 Rn. 6). Nach Nummer 7.1.3.1 des Anhangs Nummer 1 der 4. BImSchV ist bei Anlagen zum Halten oder zur Aufzucht von Mastgeflügel mit 40.000 oder mehr Mastgeflügelplätzen ein Verfahren nach § 10 BImSchG durchzuführen. Bei Anlagen zum Halten oder zur Aufzucht von Mastgeflügel mit 30.000 bis weniger als 40.000 Mastgeflügelplätzen ist dagegen ein vereinfachtes Verfahren nach § 19 BImSchG durchzuführen (Nummer 7.1.3.2 des Anhangs 1 zur 4. BImSchV). Dabei ist es unerheblich, ob das abstrakte Gefährdungspotential von einer einzigen Hähnchenmastanlage ausgeht oder von mehreren (künstlich) aufgespaltenen Vorhaben, vorausgesetzt, die Vorhaben stellen ein einheitliches Gefährdungspotenzial dar, das es rechtfertigt, sie als einheitliche Anlage dem Genehmigungserfordernis zu unterwerfen (so auch: Hessischer VGH, B. v. 21.01.2015 - 9 A 224/13.Z -, juris Rn. 10).

115

(2) Dies zu Grunde gelegt, ist hier nach den Gesamtumständen des Einzelfalles von einer Anlage im immissionsschutzrechtlichen Sinn auszugehen. Denn die Vorhaben der Beigeladenen bilden eine Einheit mit einheitlichem Gefährdungspotential. Sie sind organisatorisch und betriebstechnisch in einer Weise miteinander verbunden, die es nach der Verkehrsanschauung rechtfertigt, sie als eine einheitliche Anlage, die nach einem übergreifenden Konzept betrieben wird, erscheinen zu lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.07.1984 - 7 C 71/82 -, juris Rn. 11). Die Vorhaben bilden sowohl optisch als auch mit Blick auf gemeinsame Einrichtungen auf demselben Betriebsgelände eine Funktionseinheit (vgl. Hessischer VGH, B. v. 21.01.2015 - 9 A 224/13.Z -, juris Rn. 11).

116

(a) Die Vorhaben erfüllen denselben Zweck, nämlich das Halten und die Aufzucht von Mastgeflügel. Die Hähnchenmastanlagen weisen - abgesehen davon, dass sie spiegelbildlich zueinander liegen - eine identische Bau- und Funktionsweise auf. Sie sollen zudem auf demselben Betriebsgelände liegen. Als Betriebsgelände ist nicht nur die Grundstücksfläche anzusehen, auf der sich die Anlage befindet. Der Annahme eines einheitlichen Betriebsgeländes stehen zudem kleinräumige Unterbrechungen zwischen den einzelnen Vorhaben, etwa durch einen Verkehrsweg oder einen kleinen Wasserlauf, nicht entgegen (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 02.04.2009 - 12 ME 53/09 -, juris Rn. 6). Dies zu Grunde gelegt, bilden die Vorhaben eine Einheit und sind als zusammengehörig anzusehen. Die optische Einheit ergibt sich aus der spiegelverkehrten Anordnung der Vorhaben. Die Hähnchenmastanlagen sollen zudem über eine gemeinsame Zufahrt erschlossen werden und lediglich 16 Meter auseinanderliegen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 08.09.2015 - OVG 11 S 22.15 -, juris Rn. 12 und 35 ff.). Soweit das von den Beigeladenen beauftragte Ingenieurbüro im behördlichen Verfahren erklärt hat, dass eine Grundstücksteilung vorgesehen sei, ist nicht ersichtlich, dass diese im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides umgesetzt war. Selbst wenn dies der Fall wäre, würde dies nichts ändern. Denn eine künstliche Aufspaltung zur Umgehung eines Verfahrens nach § 10 BImSchG berührt die Annahme desselben Betriebsgeländes nicht.

117

(b) Soweit die Beigeladenen vortragen, eine einheitliche Anlage liege nicht vor, weil die einzelne Hähnchenmastanlage autark betrieben werden könne, vermag das Gericht dem nicht zu folgen. Allein der Umstand, dass die einzelnen Anlagen technisch autark betrieben werden könnten, schließt die Annahme einer einheitlichen Anlage nicht aus (vgl. Hessischer VGH, B. v. 21.01.2015 - 9 A 224/13.Z -, juris Rn. 11). Dies gilt erst recht im Falle einer - wie hier - künstlichen Aufspaltung von Vorhaben, was mit dem Sinn und Zweck der hier maßgeblichen Vorschriften nicht vereinbar ist. Ungeachtet dessen können die Hähnchenmastanlagen der Beigeladenen nicht unabhängig voneinander betrieben werden. Denn sie nutzen gemeinsam Einrichtungen, ohne deren Mitbenutzung die Hähnchenmastanlagen zulässigerweise nicht betrieben werden können.

118

So sollen die Vorhaben über dieselbe Zufahrt erschlossen werden. Bei der Zufahrt handelt es sich um eine Betriebseinrichtung (vgl. VG Düsseldorf, Urt. v. 24.04.2012 - 3 K 6274/09 -, juris Rn. 52). Die Zufahrt gewährleistet die Erreichbarkeit beider Anlagen durch an- und abfahrenden Verkehr, zum Beispiel der Mitarbeiter, zur Anlieferung von Küken und Futter sowie dem Abtransport des Geflügelkots und des Mastgeflügels. Insoweit teilt das Gericht die Auffassung der Beigeladenen nicht, es fehle am Anlagenbezug.

119

Eine Überschneidung im betrieblichen Ablauf besteht auch beim Regenwasser. Zwar besteht ein gemeinsames Regenrückhaltebecken nicht mehr. Denn dieses ursprüngliche Entwässerungskonzept der Beigeladenen wurde im Laufe des behördlichen Verfahrens aufgegeben. Nunmehr ist die Errichtung eines Regenrückhaltebeckens für jede der Hähnchenmastanlagen vorgesehen. Trotz dieser Änderung besteht mit der zum Graben 15/1 führenden Überlaufleitung eine gemeinsame Einrichtung. Mit ihr wird das Regenwasser von beiden Regenrückhaltebecken zum Graben 15/1 geführt. Die Einleitmenge von 5 l/s bis höchstens 10 l/s nutzen die Beigeladenen jeweils zur Hälfte.

120

Eine weitere gemeinsame betriebliche Einrichtung stellen die beiden Teiche dar, die auch als Löschwasserteiche genutzt werden (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 16.03.2016 - 8 A 1576/14 -, juris Rn. 51). Nur zusammen erfüllen die beiden Löschwasserteiche die brandschutzrechtlichen Vorgaben für jede Hähnchenmastanlage. Nach Nummer 11.2 des jeweiligen Prüfberichts Brandschutz bedarf es eines Löschwasserteichs von mindestens 1.000 m³. Das Gesamtnutzvolumen eines jeden Löschwasserteichs beträgt 500 m³. Im Schreiben des A-Landkreises vom 13.08.2014 heißt es, dass mit den beiden Löschwasserteichen mit je 500 m³ die Löschwassermenge gemäß Prüfbemerkung 1.2 des Prüfberichts Brandschutz nachgewiesen sei.

121

(c) Dass die Vorhaben formal von den Beigeladenen, zwei juristischen Personen des Privatrechts, verantwortet werden, steht weder der Annahme desselben Betriebsgeländes noch der Annahme einer einheitlichen Anlage entgegen. Trotz formal unterschiedlicher juristischer Personen liegt nur ein (wahrer) Betreiber vor. Dieser besteht in der Personenmehrheit von J, M, K und I.

122

Betreiber einer Anlage ist der, der die Anlage in seinem Namen, auf seine Rechnung und in eigener Verantwortung führt. Maßgeblich ist, wer unter Berücksichtigung sämtlicher konkreter rechtlicher, wirtschaftlicher und tatsächlicher Gegebenheiten bestimmenden Einfluss auf die Errichtung, die Beschaffenheit und den Betrieb der Anlage ausübt. Regelmäßig richtet sich die Möglichkeit des bestimmenden Einflusses nach den privatrechtlichen Verhältnissen an der Anlage, also danach, wer nach den zu Grunde liegenden Verhältnissen weisungsfrei und selbständig entscheiden kann. Eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse orientiert sich daran, wer berechtigt ist, aus der Anlage wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen und wer das wirtschaftliche Risiko trägt. Betreiber ist danach bei rechtlicher und wirtschaftlicher Betrachtungsweise derjenige, dem die Entscheidung über die für die Erfüllung umweltrechtlicher Pflichten relevante Umstände obliegt. Dies kann auch eine Personenmehrheit sein. Ebenfalls nur ein Anlagenbetreiber liegt vor, wenn zwar juristisch verschiedene Träger der einzelnen Anlagen geschaffen worden sind, diese aber in einem solchen Abhängigkeitsverhältnis zueinanderstehen, dass letztlich eine Person, eine bestimmte Personenmehrheit oder aber die Gesamtheit den bestimmenden Einfluss auf den Betrieb der Gesamtanlage hat (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 16.3.2016 - 8 A 1576/14 -, juris Rn. 46; B. v. 27.11.2008 - 8 B 1476/08 -, juris Rn. 16 ff.). Diese Definition soll dem Konzernrecht Rechnung tragen und Fälle erfassen, in denen etwa eine Konzernmutter einen derart starken Einfluss auf die Tochtergesellschaft hat, dass sich ihr Einfluss tatsächlich auf den Betrieb der Anlage auswirkt. Es kommt nicht darauf an, wie sich die verschiedenen Anlagen beziehungsweise Anlagenteile zueinander verhalten, sondern ob die betreffenden Unternehmen rechtlich in derart enger Beziehung zueinanderstehen, dass insoweit von einem "Abhängigkeitsverhältnis" der verschiedenen Träger ausgegangen werden kann. Denn der Begriff des "Abhängigkeitsverhältnisses" bezieht sich auf die "Träger" und nicht auf die "Anlagen" (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 02.04.2009 - 12 ME 53/09 -, juris Rn. 13 f.).

123

Die Personenmehrheit um J, M, K und I übt nach den objektiv erkennbaren Umständen den bestimmenden Einfluss auf den Betrieb der einheitlichen Anlage aus. Sie sind nicht nur personell, sondern auch mit Blick auf den betrieblichen Ablauf eng mit den Beigeladenen verflochten (vgl. Bayerischer VGH, B. v. 12.12.2017 - 22 CS 17.1702 -, juris Rn. 27).

124

Der bestimmende Einfluss zeigt sich bereits in der nahezu zeitgleichen Gründung der Beigeladenen. So wurde die Beigeladene zu 1. mit notariell beglaubigtem Gesellschaftervertrag vom 22.06.2011 gegründet, die Beigeladene zu 2. mit notariell beglaubigtem Gesellschaftervertrag vom 23.06.2011. Geschäftsführer beider Beigeladenen sind J und I. Der bestimmende Einfluss kommt weiter in den Gesellschafterstrukturen zum Ausdruck (vgl. VG Stade, B. v. 30.01.2004 - 1 B 2059/03 -, juris, Rn. 25). Die Personenmehrheit aus J, M, K und I hatte zu Beginn des Antragsverfahrens Anteile an beiden Beigeladenen von jeweils 99 %, wie die Gesellschafterstruktur der Beigeladenen zu 1. und 2. zeigt:

125

Name des Gesellschafters

Höhe des Geschäftsanteils

 H     

 12.500 Euro

 I     

 8.750 Euro

 J     

 3.125 Euro

 K     

 250 Euro

 L     

 125 Euro

 M     

 125 Euro

 N     

 125 Euro

 Summe:         

 25.000 Euro

126

Die 99 % ergeben sich aus direkten Anteilen von J (12,5 %), M (0,5 %) und K (1 %) sowie aus deren indirekten Anteilen von 50 % über ihre Mehrheitsanteile an der H. Im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides wurde die H mehrheitlich mit 4 von 7 Stimmen von J, M und K dominiert, wie die Zusammensetzung der Genossenschaft zeigt:

127

Genosse

Anteile

Stimme

 J     

 27,27 % (21 Anteile)

 1

 P     

 27,27 % (21 Anteile)

 1

 R-GmbH

 18,18 % (14 Anteile)

 1

 M     

   9,09 % (7 Anteile)

 1

 K     

   9,09 % (7 Anteile)

 1

 S-GmbH

   9,09 % (7 Anteile)

 1

128

J übte das Stimmrecht mit zwei Stimmen aus: eine direkte Stimme und eine indirekte Stimme über die Anteile der S-GmbH als deren einziger Gesellschafter und Geschäftsführer.

129

Dass auch fast alle anderen Gesellschafter der Beigeladenen ebenfalls Beziehungen zur H haben/hatten, zeigt die Entwicklung der personellen Zusammensetzung der H seit 2012. Im Zeitpunkt der Antragstellung hatten nicht nur die Beigeladenen exakt dieselben Gesellschaft mit denselben Anteilen. Vielmehr waren auch 5 der 7 Genossen der H direkte Gesellschafter und über ihre Beteiligung an der H indirekte Gesellschafter der Beigeladenen, wie die nachfolgende Übersicht zeigt:

130

Genosse der H

Anteile

 J     

 27,27 % (21 Anteile)

 P     

 27,27 % (21 Anteile)

 L     

   9,09 % (7 Anteile)

 N     

   9,09 % (7 Anteile)

 M     

   9,09 % (7 Anteile)

 Q     

   9,09 % (7 Anteile)

 K     

   9,09 % (7 Anteile)

131

In 2013 - in dem Jahr, in dem auch die Gesellschafterstruktur der Beigeladenen zu 2. geändert wurde - schieden L, N (beide Gesellschafter der Beigeladenen) und Q aus. N übertrug seine Anteile an die S-GmbH, deren Alleingesellschafter J ist. L und Q übertrugen ihre Anteile zunächst der R-GmbH, die die Anteile 2018 sodann an die S-GmbH übertrug. Ende 2018 schied zudem K aus. Aktuell sind Genossen der H:

132

Genosse

Anteile

Stimme

 J     

 30 % (21 Anteile)

 1

 T     

 30 % (21 Anteile)

 1

 M     

 10 % (7 Anteile)

 1

 S-GmbH

 30 % (21 Anteile)

 1

133

Zu den Gesellschaftsanteilen an den Beigeladenen von J, M und K in Höhe von 64 % kommen die Anteile von I (35 %) hinzu. I war und ist zwar kein Genosse, sondern Beschäftigter der H. Dies steht seiner Einbeziehung in die Rolle des Betreibers aber nicht entgegen. Zum einen übt er über seine Stellung als direkter Gesellschafter der beiden Beigeladenen Einfluss auf die jeweils andere Beigeladene aus. Zum anderen übt er auch über die H einen gewissen Einfluss aus. Denn als Betriebsleiter der H steht er der Stellung als Genosse sehr nah. Nach seinem Arbeitsvertrag ist er als Betriebsleiter (lediglich) dem Vorstandsvorsitzenden (J) unterstellt. Er vertritt die H im regelmäßigen Geschäftsverkehr, soweit nichts anderes bestimmt ist (§ 3 Nummer 1 des Arbeitsvertrages). Dass er der Position eines Genossen sehr nahe steht, zeigt sich auch an der Gewinnbeteiligung. Nach § 5 Absatz 3 des Arbeitsvertrages erhält er - neben seiner überdurchschnittlichen Vergütung - einmal jährlich eine Gewinnbeteiligung, abhängig von den Getreide- und Rapserträgen sowie den variablen Kosten. Die Gewinnbeteiligung beträgt mindestens 500 Euro und höchstens 5.000 Euro. Dass I als Betriebsleiter kein „normaler“ abhängig Beschäftigter ist, zeigt sich auch an § 5 Absatz 3 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG). Danach findet das Betriebsverfassungsgesetz auf leitende Angestellte grundsätzlich keine Anwendung, das heißt, dass sie auch nicht Mitglied des Betriebsrates sein können. Hintergrund ist, dass sie dem Arbeitgeber (zu) nah stehen und regelmäßig zur Erfüllung von dessen Aufgaben herangezogen werden (vgl. § 5 Absatz 3 Satz 2 BetrVG). So liegt der Fall auch hier. Denn als Betriebsleiter führt und überwacht I das Personal (§ 2 Nummer 3 des Arbeitsvertrages) und vertritt die H im Geschäftsverkehr.

134

An diesem bestimmenden Einfluss der Personenmehrheit ändert die im Januar 2013 vorgenommene Modifikation der Gesellschafterstruktur der Beigeladenen zu 2. nichts (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 08.09.2015 - OVG 11 S 22.15 -, juris Rn. 42). Der bestimmende Einfluss der Personenmehrheit blieb bestehen. Zwar hält die Personenmehrheit nunmehr nicht mehr fast alle Anteile der Beigeladenen zu 2. Gleichwohl stellen sie nach wie vor die Anteilsmehrheit, wie die Gesellschafterstruktur und die Anteile zeigen:

135

 H     

 10.000 Euro

 V     

 6.125 Euro

 I     

 2.250 Euro

 W     

 6.000 Euro

 K     

 250 Euro

 L     

 125 Euro

 M     

 125 Euro

 N     

 125 Euro

 Summe:         

 25.000 Euro

136

Danach halten J, M und K über die H 40 %. Zusätzlich halten M (0,5 %) und K (1 %) direkte Anteile an der Beigeladenen zu 2. von insgesamt 1,5 %. Mit den Anteilen von I (9 %) hält die Personenmehrheit aus J, M, K und I insgesamt 50,5 % der Anteile an der Beigeladenen zu 2.

137

Durch die Änderung der Gesellschafterstruktur ist keine Unabhängigkeit von J, M, K und I erfolgt. Zwar ist J als Gesellschafter der Beigeladenen zu 2. ausgeschieden. Auch haben sich die Anteile der H von 50 % auf 40 % und die von I von 35 % auf 9 % verringert, und es sind zwei neue Gesellschafter hinzugekommen. Allerdings war es die von J, M und K dominierte H, die die Änderung vorgeschlagen und umgesetzt hat. Mit Blick auf den zeitlichen Aspekt der Änderung hatte diese ausschließlich den Zweck, das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren fortzuführen. Erst nach einem Hinweis des Beklagten, dass er aufgrund der einheitlichen Betriebsstruktur mit gleichen Betreibern von einer einzigen Anlage ausgehe, wurde die Gesellschafterstruktur der Beigeladenen zu 2. auf Betreiben der H geändert.

138

Darüber hinaus stehen die neu hinzugekommenen Gesellschafter der Beigeladenen zu 2. V mit 24,5 % Gesellschaftsanteilen und W mit 24 % Gesellschaftsanteilen ebenfalls in einem engen Verhältnis zur Personenmehrheit. So ist W seit dem 01.01.2013 als landwirtschaftliche Fachkraft bei der H beschäftigt. Dabei ist den Beigeladenen dem Grunde nach zuzustimmen, wenn sie vortragen, dass eine abhängige Beschäftigung keine Beherrschung durch den Arbeitgeber darstellt und es jedem grundsätzlich freisteht, sich an Gesellschaften zu beteiligen. Gleichwohl kann in Bezug auf W von einem unabhängigen Willen nicht ausgegangen werden. Denn W wurde erst Gesellschafter der Beigeladenen zu 2., als das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren zu scheitern drohte. Ebenfalls wurde W durch die H vorgeschlagen und hinzugezogen. Über die arbeitsrechtliche Abhängigkeit steht W auch dem wirtschaftlichen Erfolg der H nahe. Denn neben seiner monatlichen Vergütung erhält er je nach Ertragslage eine einmalige Sonderausschüttung von bis zu 1.500 Euro im Jahr (§ 6 Satz 2 des Arbeitsvertrages). Ob er - so der Kläger - als Strohmann für die H anzusehen ist, bedarf mit Blick auf die oben gemachten Ausführungen keiner Entscheidung.

139

Auch in V ist kein von der Personenmehrheit unabhängiger Gesellschafter zu sehen. Auch er wurde erst Gesellschafter der Beigeladenen zu 2., als das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren zu scheitern drohte. Auch ihn hat die von J, M und K dominierte H vorgeschlagen und hinzugezogen. Darüber hinaus ist V mit J durch die A-Genossenschaft eng verbunden. Beide sind dort Genossen und im Vorstand. J ist dort Vorstandsvorsitzender.

140

Aufgrund der personellen Verflechtungen ist von unabhängigen Entscheidungen der Beigeladenen zu 1. und 2. nicht auszugehen. Soweit die Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, dass Betreiber gewillkürt werden können, ist dies unerheblich. Denn maßgeblich ist nicht, ob ein Betreiberwechsel möglich ist. Das dürfte immer der Fall sein. Vielmehr kommt es maßgeblich darauf an, wie sich die Verhältnisse hinsichtlich der das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren initiierende Anlagen im entscheidungserheblichen Zeitpunkt dargestellt haben. Zu diesem Zeitpunkt waren alle Gesellschafter entweder direkte Gesellschafter der jeweils anderen Beigeladenen oder aber sie standen in enger Verbindung mit der H und damit mit J, M und K. Letzteres äußert sich auch darin, dass es sich bei den Vorhaben der Beigeladenen um eine Investition und Erweiterung des Geschäftsfeldes der von J, M und K dominierten H handelt. Den bestimmenden Einfluss der H bestätigt die Beigeladene zu 1. in ihrem Schreiben vom 24.10.2012, worin sie die H als „Mutterunternehmen“ bezeichnet.

141

Die Beigeladenen und die H sind auch mit Blick auf den betrieblichen Ablauf eng miteinander verbunden. So haben die Beigeladen jeweils mit der H am 24.11.2011 einen Vertrag zur Abnahme von Geflügelkot und zur Abnahme der jährlich anfallenden Reinigungswassermengen geschlossen. Dabei erfolgt die Übergabe des Geflügelkots an die H durch einen Lieferanten an der Stallanlage kostenlos, wobei die Transport-, Lagerungs- und Ausbringungskosten des Geflügelkots der Abnehmer, das heißt die H, trägt. Mit Vertrag vom 01.10.2012 haben die Beigeladenen zudem jeweils diverse landwirtschaftliche Flächen von der H gepachtet. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Beigeladene zu 1. von 78,5 ha Betriebsflächen allein 76,2622 ha von der H gepachtet hat. Bei der Beigeladenen zu 2. sind es von 80,5 ha Betriebsflächen 76,2262 ha. Die Beigeladenen sind zudem nicht Eigentümerinnen des Betriebsgrundstücks. Das ist die S-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter J ist. Für die Beigeladenen ist am 23.02.2012 und am 10.04.2012 eine Vormerkung auf Sicherung des Anspruchs auf Einräumung eines Erbbaurechts eingetragen worden. Der bestimmende Einfluss von J über die S-GmbH zeigt sich auch daran, dass die Beigeladenen nach dem Erbbaurechtsvertrag nicht nur zur Errichtung eines Stallgebäudes für die Tierproduktion mit erforderlichen Nebenanlagen berechtigt, sondern auch verpflichtet sind. Soweit die Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, dass vertragliche Beziehungen unerheblich seien, vermag das Gericht ihnen nur eingeschränkt zu folgen. Es mag zutreffen, dass allein vertragliche Beziehungen die Annahme einer einheitlichen Anlage nicht zu rechtfertigen vermögen. Dies ist aber hier in der Gesamtschau mit den anderen - für eine einheitliche Anlage sprechenden - Umständen anders zu beurteilen.

142

Der bestimmende Einfluss zeigt sich auch an der identischen Vorgehensweise in Bezug auf die Planung, den Betrieb und die Genehmigung der beiden Vorhaben. Gleiche Entscheidungen unterschiedlicher Träger sind zwar nicht per se ein Zeichen für einen bestimmenden Einfluss einer der beiden Träger oder eines Dritten. Allerdings wurden hier für beide Vorhaben identische Entscheidungen getroffen und zwar - soweit dies aus den Verwaltungsvorgängen ersichtlich ist - in jedweder Hinsicht. Bei den Vorhaben handelt es sich um baugleiche Anlagen. Die Entsorgung der Kadaver soll durch dasselbe Unternehmen, S-GmbH in M-Stadt, erfolgen. Geschlachtet werden soll das Mastgeflügel beider Vorhaben in demselben Schlachtbetrieb. Überdies haben die Beigeladenen im Genehmigungsverfahren dieselben Gutachter und dasselbe Ingenieurbüro beauftragt (vgl. Bayerischer VGH, B. v. 12.12.2017 - 22 CS 17.1702 -, juris Rn. 28; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 08.09.2015 - OVG 11 S 22.15 -, juris Rn. 13 und 41).

143

Nach alledem bestehen nach den Gesamtumständen des Einzelfalles zwischen den Beigeladenen durch die Personenmehrheit um J, M, K und I rechtliche, wirtschaftliche und tatsächliche Abhängigkeiten, die die Annahme einer einheitlichen Anlage rechtfertigen.

144

Soweit die Beigeladenen, gesetzessystematisch argumentiert, auf § 4 der Fünften Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (5. BImSchV) verweisen, ergibt sich daraus nichts anderes. Danach kann die zuständige Behörde einem Betreiber oder mehreren Betreibern von Anlagen im Sinne des § 1, die unter der einheitlichen Leitung eines herrschenden Unternehmens zusammengefasst sind (Konzern), auf Antrag und unter bestimmten Voraussetzungen die Bestellung eines Immissionsschutz- oder Störfallbeauftragten für den Konzernbereich gestatten. Soweit die Beigeladenen daraus schließen, dass bei der Frage nach dem Betreiber eine Abhängigkeit im Innenverhältnis von Konzernobergesellschaften unschädlich sei, folgt das Gericht dem mit Blick auf die oben gemachten Ausführungen nicht in Gänze. Ungeachtet dessen, dass hier der beherrschende Einfluss durch die Personenmehrheit ausgeübt wird und dieser nur zum Teil indirekt über die H erfolgt, ergibt sich aber auch mit Blick auf Letzteres nichts anderes. Denn - auch bei Mutter- und Tochtergesellschaften - ist maßgeblich, wer den bestimmenden Einfluss ausübt. Die Beurteilung dessen hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab und lässt sich - auch für Mutter- und Tochtergesellschaften - nicht pauschal beantworten. Vorliegend kommt hinzu, dass die Verfügungsgewalt der hier maßgeblichen Personenmehrheit über die H weit über strukturelle Weisungsrechte gegenüber Tochtergesellschaften hinausgeht, weil schon die Willensbildung in der H und in der Beigeladenen zu 1. durch die personelle Identität hinsichtlich der Mehrheit der Gesellschaftsanteile identisch ist. Das betrifft auch die Willensbildung zur Erfüllung von Umweltverpflichtungen. In Bezug auf die Beigeladene zu 2. ergibt sich die beherrschende Mehrheit jedenfalls unter Hinzuziehung von I. Damit liegt eine noch stärkere Form des bestimmenden Einflusses vor als bei der Beherrschung, wo es mehrere Rechtssubjekte gibt, von denen ein Rechtssubjekt (Muttergesellschaft) das andere (Tochtergesellschaft) beherrscht.

145

Der Verweis auf das Urteil des OVG Lüneburg vom 25.09.2003 (1 LC 276/03) vermag eine andere Beurteilung ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Denn im dort zu Grunde liegenden Fall war der Kläger lediglich Geschäftsführer des anderen Anlagenbetreibers, einer GmbH. So liegt der Fall hier aber nicht. Denn die Mitglieder der Personenmehrheit sind direkte und/oder über H indirekte Gesellschafter der Beigeladenen.

146

Dass den Beigeladenen seitens des Beklagten eigenständige Genehmigungen erteilt worden sind und der Beklagte diesen Punkt ausgiebig geprüft habe, besagt nichts darüber, ob es sich um eine einheitliche Anlage handelt. Denn dies ist lediglich Ausfluss der vom Beklagten vertretenen Rechtsauffassung, dass es sich um zwei Anlagen handelt.

147

c) Selbst wenn eine einheitliche Anlage nicht vorliegen würde, wäre dennoch eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen gewesen. Denn es handelte sich dann jedenfalls um eine gemeinsame Anlage im Sinne des § 1 Absatz 3 der 4. BImSchV, die mit 79.800 Plätzen die in Nummer 7.1.3.1 normierte Grenze von 40.000 Plätzen ebenfalls überschreitet.

148

(1) Gemäß § 1 Absatz 3 Satz 1 der 4. BImSchV sind die in Anhang 1 bestimmten Voraussetzungen auch erfüllt, wenn mehrere Anlagen derselben Art in einem engen räumlichen und betrieblichen Zusammenhang stehen (gemeinsame Anlage) und zusammen die maßgebenden Leistungsgrenzen oder Anlagengrößen erreichen oder überschreiten werden. Der Verordnungsgeber wollte mit dieser Regelung deutlich machen, dass es sowohl für das Genehmigungserfordernis als solches als auch für die Zuordnung zum förmlichen oder vereinfachten Genehmigungsverfahren belanglos ist, ob die Emissionen an einem bestimmten Standort von einer Anlage oder von mehreren (Teil-) Anlagen hervorgerufen werden. Mit dieser Regelung wird zugleich vorgebeugt, dass Betreiber durch eine Aufteilung in mehrere kleinere Anlagen das Genehmigungserfordernis nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz unterlaufen und steuernden Einfluss auf die Art des Verfahrens nehmen können (vgl. Nds. OVG, B. v. 30.11.1999 - 7 M 4274/99 -, juris Rn. 4).

149

Die Vorschrift ist mit Blick auf die Ausführungen zur einheitlichen Anlage nicht überflüssig. Während eine faktisch so enge räumliche, funktionelle und personelle Verflechtung von Vorhaben eine einheitliche Anlage begründen kann, kann eine gemeinsame Anlage im Sinne des § 1 Absatz 3 der 4. BImSchV auch aus verschiedenen Anlagen bestehen, die über das ganze, unter Umständen weitläufige Betriebsgelände verstreut sind. Soweit sie trotz ihrer räumlichen Distanz noch mit gemeinsamen Betriebseinrichtungen verbunden sind und einem vergleichbaren technischen Zweck dienen, definiert die Vorschrift diese Konstellation als engen räumlichen und betrieblichen Zusammenhang, der ihre Behandlung als eine (gemeinsame) Anlage bei der Frage der Genehmigungsbedürftigkeit rechtfertigt (vgl. Hessischer VGH, B. v. 21.01.2015 - 9 A 224/13.Z -, juris Rn. 12).

150

(2) Dies zu Grunde gelegt, handelt es sich bei den Vorhaben der Beigeladenen - unterstellt, es läge keine einheitliche Anlage vor - jedenfalls um mehrere Anlagen derselben Art. Denn sie sind mit Blick auf ihre Beschaffenheit, ihre Betriebsweise und ihre Anlagentechnik identisch (vgl. zu den Anforderungen: Hansmann/Röckinghausen, a. a. O., 4. BImSchV, § 1 Rn. 23). Die Vorhaben überschreiten zudem zusammen die maßgebenden Leistungsgrenzen und Anlagengrößen.

151

Überdies stehen sie in einem engen räumlichen und betrieblichen Zusammenhang. Sie liegen auf demselben Betriebsgelände, sind mit gemeinsamen Betriebseinrichtungen verbunden und dienen einem vergleichbaren technischen Zweck (§ 1 Absatz 3 Satz 2 der 4. BImSchV), nämlich der Hähnchenmast im Sinne der Nummer 7.1.3 des Anhangs 1 zur 4. BImSchV. Dass die Anlagen zum Erreichen eines gemeinsamen Zwecks zusammenwirken, ist nicht erforderlich (vgl. OVG Rheinlad-Pfalz, Urt. v. 28.08.2019 - 8 A 10060/19 -, juris Rn. 36). Die Anlagen liegen auf demselben Betriebsgelände. Betreiber beider Anlagen ist die Personenmehrheit um J, M, K und I (siehe oben).

152

Die Vorhaben der Beigeladenen sind zudem mit gemeinsamen Betriebseinrichtungen verbunden. Betriebseinrichtungen sind Anlagenteile, Maschinen, Geräte und sonstige technische Vorkehrungen, die für den technischen Betrieb der Anlage Bedeutung haben. Beispiele hierfür sind Transportbänder, Rohrleitungen, Läger für Roh- oder Brennstoffe, Abgasreinigungseinrichtungen für mehrere (Teil-)Anlagen, die gemeinsame Reststoffaufbereitung im Zusammenhang mit dem Anlagenbetrieb. (vgl. Hansmann/Röckinghausen, a. a. O., 27) und gemeinsame Ver- und Entsorgungseinrichtungen (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 02.04.2009 - 12 ME 53/09 -, juris Rn. 8).

153

Hierunter fallen die gemeinsame Zufahrt, die Überlaufleitung und die Löschwasserteiche. Bei diesen Betriebseinrichtungen handelt es sich um Einrichtungen, die für den technischen Betrieb beider Vorhaben von Bedeutung sind. Denn sie gewährleisten den Betrieb als solches und dessen Ablauf (siehe oben). Dass mit Betriebseinrichtungen ausschließlich solche mit technischer Ausstattung gemeint sind, teilt das Gericht nicht. Dies ergibt sich weder aus dem Wortlaut von § 1 Absatz 3 Satz 2 Nummer 2 der 4. BImSchV noch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Vielmehr kommt es maßgeblich darauf an, ob die Vorkehrung für den technischen Betrieb der Anlage von Bedeutung ist (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 02.04.2009 - 12 ME 53/09 -, juris Rn. 8). Gerade Rohrleitungen (vgl. VG Stade, B. v. 30.01.2004 - 1 B 2059/03 -, juris, Rn. 25), Ver- und Entsorgungseinrichtungen und Läger für Roh- und Brennstoffe sind regelmäßig nicht selbst technischer Art. Soweit die Beigeladenen darauf verweisen, dass gemeinsam genutzte Sozialräume, die gemeinsame Benutzung eines Traktors oder eines anderen Wirtschaftsgutes keine Verbindung mit gemeinsamen Betriebseinrichtungen darstelle, vermag dies eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Denn die Zufahrt, die Überlaufleitung und die Löschwasserteiche sind mit den von den Beigeladenen genannten Einrichtungen nicht vergleichbar.

154

Die Hähnchenmastanlagen der Beigeladenen sind auch mit der Zufahrt verbunden. Denn der An- und Abfahrtsverkehr beider Anlagen erfolgt ausschließlich über die gemeinsame Zufahrt. Mit Blick auf den Wortlaut von § 1 Absatz 3 Satz 2 Nummer 2 der 4. BImSchV („mit gemeinsamen Betriebseinrichtungen verbunden“) bedarf es lediglich einer Verbindung mit der Betriebseinrichtung. Dass die Anlagen dadurch miteinander oder durch die Betriebseinrichtung verbunden sind, ist nicht erforderlich. Auch auf die Anbindung an die öffentliche Infrastruktur kommt es insoweit nicht an.

155

Dass die Hähnchenmastanlagen mit dem jeweils anderen Löschwasserteich nicht körperlich verbunden sind, ist unerheblich. Denn es bedarf keiner körperlichen Verbindung. Dies ergibt sich weder aus dem Wortlaut von § 1 Absatz 3 Satz 2 Nummer 2 der 4. BImSchV noch aus dem Sinn und Zweck. Eine Verbindung ist vielmehr auch körperlos, zum Beispiel über WLAN oder GPS möglich. Ungeachtet dessen sind die Löschwasserteiche als eine einheitliche Teichanlage anzusehen. Denn nur zusammen erfüllen sie die brandschutzrechtlichen Anforderungen einer jeden Anlage.

156

b) Die fehlende Öffentlichkeitsbeteiligung wurde nicht nachgeholt. Sie kann auch nicht nachgeholt werden, weil die Voraussetzungen für eine Nachholung nicht gegeben sind.

157

Nach § 4 Absatz 1b Satz 1 UmwRG führt eine Verletzung von Verfahrensvorschriften nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Nach § 4 Absatz 1b Satz 3 UmwRG kann das Gericht auf Antrag anordnen, dass die Verhandlung bis zur Heilung von Verfahrensfehlern im Sinne der Absätze 1 und 1a ausgesetzt wird, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass über den Streitstoff betreffend die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b UmwRG aus Gründen der Prozessökonomie in einem Verfahren konzentriert entschieden werden soll (vgl. BVerwG, B. v. 08.05.2018 - 9 A 12/17 -, juris Rn. 7).

158

(1) Die Vorschriften des § 4 Absatz 1b Satz 1 und 3 UmwRG sind anwendbar, weil ein Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 UmwRG im Raum steht. Der Beklagte und die Beigeladenen haben zudem hilfsweise die Aussetzung des Verfahrens beantragt, um die Öffentlichkeitsbeteiligung in einem ergänzenden Verfahren nachzuholen.

159

(2) Eine nicht durchgeführte Öffentlichkeitsbeteiligung stellt einen Verfahrensfehler im hier erforderlichen Sinn dar. Unter Verfahrensfehlern werden herkömmlich solche Verstöße gegen Rechtsvorschriften gefasst, die den Ablauf des Verwaltungsverfahrens (vgl. § 9 VwVfG) betreffen. Hierzu gehören etwa Regelungen über den Beginn des Verfahrens, die Beteiligung anderer Behörden und der Öffentlichkeit sowie sonstige Verfahrensschritte (vgl. BVerwG, B. v. 08.05.2018 - 9 A 12/17 -, juris Rn. 3).

160

(3) Im ergänzenden Verfahren heilbar sind die Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften oder Fehler bei der Abwägung, bei denen die Möglichkeit besteht, dass die Behörde nach erneuter Abwägung an der getroffenen Entscheidung festhält und hierzu im Rahmen ihres planerischen Ermessens auch berechtigt ist. Ein ergänzendes Verfahren scheidet dagegen aus, wenn der Verfahrensfehler die Gesamtkonzeption der Planung betrifft, also die Planung von vornherein als Ganzes infrage gestellt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.05.2018 - 4 C 4/17 -, juris Rn. 34; Urt. v. 9.2.2017 - 7 A 2/15 -, juris Rn. 597; OVG Mecklenburg-Vorpommern, B. v. 15.01.2019 - 5 K 12/14 -). Das ergänzende Verfahren bietet keine Handhabe dafür, die Planung in ihren Grundzügen zu modifizieren. Nicht angetastet werden darf die Identität des Vorhabens (vgl. zum Planfeststellungsrecht: BVerwG, B. v. 20.04.2014 - 4 B 112/03 -, juris Rn. 4). Der Mangel darf einen zentralen Punkt, der sich nicht bereinigen lässt, ohne dass ein gänzlich neues Zulassungsverfahren durchgeführt wird, nicht betreffen (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, B. v. 15.01.2019 - 5 K 12/14 -). In einem ergänzenden Verfahren wird das ursprüngliche Genehmigungsverfahren wieder aufgenommen und insoweit wiederholt, als es fehlerhaft war. Dieser Bezug auf das ursprüngliche Verfahren verbietet es, das Vorhaben im ergänzenden Verfahren in seinen Grundzügen in wesentlichen Teilen zu modifizieren (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.09.2018 - 7 C 24.16 -, juris Rn. 39).

161

Dies zu Grunde gelegt, lassen die konkreten Umständen des Einzelfalls (vgl. BVerwG, B. v. 20.04.2014 - 4 B 112.03 -, ZfBR 2004, 382) ein ergänzendes Verfahren nicht zu, weil die Identität der Vorhaben berührt wird. Eine nicht durchgeführte Öffentlichkeitsbeteiligung stellt zwar generell einen Verfahrensfehler dar, der der Heilung zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.09.2018 - 7 C 24/16 - juris; Urt. v. 28.04.2016 - 9 A 9/15 -, NVwZ 2016, 1710, 1715; Urt. v. 08.01.2014 - 9 A 4/13 -, NVwZ 2014, 1008, 1011 f.; Fellenberg/Schiller, a. a. O., § 4 Rn. 85). Im Allgemeinen berührt sie nicht die Gesamtkonzeption der Planung (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.04.2016 - 9 A 9/15 -, NVwZ 2016, 1710, 1715; Urt. v. 08.01.2014 - 9 A 4/13 -, NVwZ 2014, 1008, 1011 f.). Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. Denn die von der Rechtsprechung insoweit entschiedenen Fälle beziehen sich von vornherein nur auf eine Anlage. Dies ist vorliegend anders, weil durch die Bewertung als eine einzige, jedenfalls aber als gemeinsame Anlage, die Frage der Heilbarkeit anders zu bewerten ist. In Bezug auf das einzelne Vorhaben der Beigeladenen zu 1. und zu 2. ist mit der Annahme einer einheitlichen Anlage, jedenfalls aber einer gemeinsamen Anlage, eine wesentliche Modifikation eingetreten.

162

Vorliegend wurden Genehmigungen für zwei Anlagen beantragt. Durch die Annahme einer einzigen oder jedenfalls einer gemeinsamen Anlage vergrößert sich die zu beurteilenden Anlage auf das Doppelte, nämlich um die jeweils andere Hähnchenmastanlage (vgl. Wysk in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 76 Rn. 7, wonach die Identität des Vorhabens nicht gewahrt bleibt, wenn das ursprüngliche Vorhaben nach Art, Größe, Gegenstand und Betriebsweise durch ein anderes Vorhaben ersetzt wird). Da für beide Anlagen ein eigenständiger Antrag gestellt und auch ein eigenständiges Genehmigungsverfahren durchgeführt wurde, verbietet es sich, die Anlagen - jedenfalls mit Blick auf die Frage, ob die Gesamtkonzeption berührt ist - von Anfang an zusammen zu betrachten. Dass die Beigeladenen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zeitgleich beantragt haben, ändert daran nichts. Denn dies ist lediglich dem Umstand geschuldet, dass die Beigeladenen dieselben Geschäftsführer haben und die Vorhaben in ihrer Konzeption und Planung identisch sind. Das hatte aber keinen Einfluss darauf, dass der Beklagte zwei eigenständige Genehmigungsverfahren durchgeführt hat. Auch der Umstand, dass im gerichtlichen Verfahren eine Verklammerung der beiden Vorhaben stattgefunden hat, vermag eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Denn dies beruht auf prozessualen Erwägungen. Dies führt indes nicht dazu, dass die Genehmigungsbescheide und die Vorhaben per se zusammen zu überprüfen sind.

163

Für eine Betroffenheit der Gesamtkonzeption spricht auch, dass es bei der Frage, ob Verfahrensfehler heilbar sind, darauf ankommt, ob an das bestehende Genehmigungsverfahren angeknüpft werden kann. Wenn die Vorhaben nunmehr als eine Anlage zu betrachten sind, sie zuvor aber in getrennten Genehmigungsverfahren in den Blick genommen wurden, ist eine Fortsetzung dieser getrennten Genehmigungsverfahren nicht möglich. Vielmehr bedarf es eines einzigen Genehmigungsverfahrens; erst recht bei einer einzigen Anlage, aber auch bei einer gemeinsamen Anlage. In diesem einen Genehmigungsverfahren ist die Zulässigkeit der Anlage zu prüfen. Denn dies ändert das Gesamtgepräge des einzelnen Vorhabens und des immissionsschutzrechtlichen Verfahrens. Bei einer doppelt so großen Anlage stellt sich zudem die Genehmigungsfrage neu (vgl. OVG Magdeburg, B. v. 18.09.2019 - 2 O 59/19 -, KommJur 2020, 120). Daran ändert es ebenfalls nichts, dass in den bisherigen Verfahren im Rahmen der Behördenbeteiligung bereits eine kumulierte Betrachtung erfolgt ist. Zum einen ist nicht sichergestellt, dass sich eine kumulierte Betrachtung in allen Punkten mit der Prüfung in Bezug auf eine einzige oder gemeinsame Anlage deckt. Zum anderen ging die insoweit maßgebliche Konzeption der Vorhaben von zwei Anlagen aus. Hierauf bezog sich auch das Genehmigungsverfahren.

164

Darüber hinaus können Verfahrensfehler nur in einem ergänzenden Verfahren nachgeholt. Ergänzen meint „durch Schließen entstandener Lücken wieder vollständig machen“ (vgl. Duden, https://www.duden.de/rechtschreibung/ergaenzen), nicht aber die Einleitung eines komplett neuen Verfahrens. Dass die Rechtsprechung die Möglichkeit eines ergänzenden Verfahrens im Planfeststellungsverfahren sehr weit fasst, vermag eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Denn die Rechtsprechung ist jedenfalls in Bezug auf die Weite eines zulässigen ergänzenden Verfahrens nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Im Planfeststellungsrecht zeichnen sich die Vorhaben regelmäßig durch einen erheblichen Umfang aus. Dann ist es eher gerechtfertigt, bei einem Verfahrensfehler die Gesamtkonzeption der Planung als nicht berührt anzusehen. Dies trifft auf örtlich begrenzte Vorhaben, wie denen der Beigeladenen, nicht zu. Denn der erheblich geringere Umfang des Vorhabens führt dazu, dass Verfahrensfehler eher die Gesamtkonzeption der Planung berühren (in diese Richtung auch: Külpmann, NVwZ 2020, 1143, 1148). Dies gilt erst Recht, wenn sich der zu beurteilende Anlagenumfang - wie hier - verdoppelt.

165

(4) Selbst wenn es sich bei der Öffentlichkeitsbeteiligung um einen heilbaren Fehler handeln würde, wäre ein ergänzendes Verfahren und damit eine Aussetzung des Verfahrens - selbsttragend - zu verneinen. Denn hierfür ist erforderlich, dass die Aussetzung sachdienlich ist. Sachdienlichkeit impliziert, dass eine zur Aufrechterhaltung der getroffenen Genehmigungsentscheidung führende Heilung des Verfahrensfehlers rechtlich wie auch tatsächlich möglich sein muss (vgl. Fellenberg/Schiller, a. a. O., § 4 Rn. 105). Der Erlass einer rechtmäßigen Zulassungsentscheidung darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.09.2018 - 7 C 24/16 -, juris Rn. 40). Steht fest, dass selbst nach einem fehlerfrei nachgeholten Verfahren das in Rede stehende Vorhaben auf unabsehbare Zeit materiell nicht genehmigungsfähig ist, kommt ein ergänzendes Verfahren nicht in Betracht (vgl. Fellenberg/Schiller, a. a. O., Rn. 85). So liegt der Fall hier. Auch im Falle der Nachholung der Öffentlichkeitsbeteiligung ist eine rechtmäßige Zulassungsentscheidung nämlich in bauplanungsrechtlicher Hinsicht ausgeschlossen.

166

(a) Die Vorhaben der Beigeladenen sind nicht nach § 35 Absatz 1 BauGB privilegiert.

167

Der Kläger kann sich auch auf eine fehlende bauplanungsrechtliche Privilegierung berufen (vgl. Bayerischer VGH, B. v. 06.08.2018 - 22 CS 18.1097 -, juris Rn. 28; VG Hannover, B. v. 28.03.2019 - 4 B 5526/18 -, juris Rn. 69 f.; VG München, Urt. v. 22.03.2019 - M 19 K 17.3738 -, juris Rn. 42; VG Regensburg, B. v. 12.12.2018 - RN 7 S 18.1984 -, juris Rn. 44), konkret die Nichtanwendbarkeit von § 35 Absatz 1 Nummer 4 BauGB. Soweit die Beigeladenen vortragen, die Privilegierung sei kein Aspekt des satzungsgemäßen Aufgabenbereichs des Klägers, insbesondere kein Aspekt „einer gesunden Landschaft“, vermag das Gericht ihnen nicht zu folgen. Denn es genügt, wenn die öffentlichen Belange, deren Entgegenstehen nach § 35 Absatz 1 beziehungsweise deren Beeinträchtigung nach § 35 Absatz 2 und 3 BauGB zu prüfen ist, umweltbezogen sind (vgl. Nds. OVG, B. v. 16.12.2019 - 12 ME 87/19 -, juris Rn. 127). Die hier jedenfalls in den Blick zunehmenden öffentliche Belange nach § 35 Absatz 3 Satz 1 Nummer 3 und 5 BauGB sind umweltbezogen (vgl. Nds. OVG, B. v. 16.12.2019 - 12 ME 87/19 -, juris Rn. 127 zu § 35 Absatz 3 Satz 1 Nummer 5 BauGB)und von der Satzung des Klägers erfasst. Nach § 2 Absatz 1 der Satzung des Klägers tritt er für den wirkungsvollen Schutz des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen sowie der natürlichen Umwelt ein. Dabei setzt er sich nach § 2 Absatz 2 seiner Satzung unter anderem ein für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, eine gesunde Landschaft, den Natur- und Artenschutz, den Tierschutz sowie die Landschaftspflege, den Schutz und die naturschutzgerechte Entwicklung der heimischen Lebensräume. Zu dem Umstand, dass die hier im Raum stehenden öffentlichen Belange umweltbezogen sind, kommt hinzu, dass § 35 Absatz 2 sich von § 35 Absatz 1 BauGB, nach dem keine öffentlichen Belangen entgegenstehen dürfen, dahingehend unterscheidet, dass eine Beeinträchtigung eher vorliegt als dass öffentliche Belange entgegenstehen. Eine bloße Beeinträchtigung öffentlicher Belange steht einem privilegierten Vorhaben nach § 35 Absatz 1 BauGB nicht entgegen. Wenn sich der Kläger also auf öffentliche Belange berufen kann, muss er auch eine Nichtanwendung von § 35 Absatz 1 BauGB geltend machen können, wenn im Falle der Nichtanwendung nur eine Zulässigkeit von Absatz 2 in Betracht kommt. Ansonsten bestünde die Gefahr, das Klagerecht des Klägers in unzulässiger Weise zu verkürzen.

168

Nach § 35 Absatz 1 Nummer 4 BauGB ist ein Vorhaben im Außenbereich nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, es sei denn, es handelt sich um die Errichtung, Änderung oder Erweiterung einer baulichen Anlage zur Tierhaltung, die dem Anwendungsbereich der Nummer 1 nicht unterfällt und die einer Pflicht zur Durchführung einer standortbezogenen oder allgemeinen Vorprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt, wobei bei kumulierenden Vorhaben für die Annahme eines engen Zusammenhangs diejenigen Tierhaltungsanlagen zu berücksichtigen sind, die auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Denn die Vorhaben der Beigeladenen unterliegen als eine Anlage zur Aufzucht von Mastgeflügel mit insgesamt 79.980 Mastplätzen bereits der allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls.

169

Die Vorhaben der Beigeladenen sind auch nicht nach § 35 Absatz 1 Nummer 4 in der vom 21.06.2013 bis zum 19.09.2013 geltenden Fassung (BauGB a. F.) zulässig. Denn nach § 245a Absatz 4 BauGB ist § 35 Absatz 1 Nummer 4 in seiner bis zum 20. September 2013 geltenden Fassung anzuwenden, soweit für Zulassungsentscheidungen über Anlagen zur Tierhaltung, die dem § 35 Absatz 1 Nummer 4 unterfallen, vor Ablauf des 4. Juli 2012 bei der zuständigen Behörde ein Antrag eingegangen ist. Dabei sind die in § 3 der 9. BImSchV genannten Voraussetzungen die Mindestvoraussetzungen für einen solchen Antrag. Nach der Gesetzesbegründung zu § 245a Absatz 4 BauGB kommt es maßgeblich darauf an, ob das Genehmigungsverfahren vor Ablauf des 04.07.2012 ordnungsgemäß eingeleitet worden ist, und zwar im Sinne des § 3 der 9. BImSchV (vgl. BT-Drs. 17/13272, S. 18). Mit den Mindestvoraussetzungen soll sichergestellt werden, dass es sich nicht nur um einen „formlosen Antrag mit einigen Stichpunkten“ oder einen Scheinantrag handelt (vgl. VG Osnabrück vom 21.01.2016 - 2 A 1646/13 -, juris Rn. 42).

170

Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Denn die Beigeladenen und der Beklagte vermochten das Gericht nicht davon zu überzeugen, dass die Beigeladenen beim Beklagten bis zum Ablauf des 04.07.2012 einen Antrag gestellt haben, der den Mindestanforderungen entspricht. Das A-Ingenieurbüro hat zwar mit beim Beklagten am 21.06.2012 eingegangenen Schreiben für die Beigeladenen je zwei Ausfertigungen des BImSchG-Antrages zur Errichtung und Betrieb je einer Anlage zum Halten von Masthähnchen an den Beklagten übersandt. Ob die als Lesefassungen bezeichneten Unterlagen den Anforderungen von § 3 der 9. BImSchV entsprechen, kann aber nicht (mehr) beurteilt werden. Denn die Lesefassungen sind weder Bestandteil des Verwaltungsvorgangs noch bei den Beigeladenen vorhanden. Auf Nachfrage teilte der Beklagte mit, dass die Lesefassung vernichtet beziehungsweise an den Antragsteller zurückgeschickt werden, sobald die Ausfertigungen zum BImSchG-Antrag vorliegen. Dies sei auch im Falle der Beigeladenen der Fall gewesen. Auch die Beigeladenen verfügen nicht mehr über ein Exemplar der Lesefassungen. Diese fehlende Nachprüfbarkeit geht zu Lasten des Beklagten. Im Verhältnis zum Kläger ist der Beklagte nach den allgemeinen Beweislastregeln dafür darlegungs- und beweispflichtig, dass die Voraussetzungen des § 245a Absatz 4 BauGB in Verbindung mit § 35 Absatz 1 Nummer 4 BauGB a. F. vorliegen. Dies ist für den Beklagten (im Verhältnis zum Kläger) begünstigend. Da die Beigeladenen dem Beklagten erst am 10.08.2012 nachprüfbar Ausfertigungen des BImSchG-Antrages Hähnchenmastanlagen überreicht haben, können sich die Beigeladenen und somit auch der Beklagte nicht auf § 245a Absatz 4 BauGB berufen. Denn der 10.08.2012 liegt nach dem 04.07.2012.

171

Soweit die Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, dass sich aus der Reihenfolge des Verwaltungsvorgangs des Beklagten ergebe, dass das am 12.06.2012 unterschriebene Formblatt zum Antragsvordruck Gegenstand des Schreibens vom 20.06.2012 gewesen sei, vermag das Gericht ihnen nicht zu folgen. Denn jedenfalls die Antragsunterlagen in der Beiakte 2 des Verwaltungsvorgangs, zu denen auch das besagte Formblatt zählt, sind nicht chronologisch nach Eingang beim Beklagten geordnet. Dies hat auch der Beklagte in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Allein der Umstand, dass der Antragsvordruck am 12.06.2012 unterschrieben wurde und der Beklagte in seinem Schreiben vom 27.06.2012 den Eingang der Antragsunterlagen vom 12.06.2012 bestätigte, vermag eine andere Beurteilung ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Denn das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass es sich bei den in der Eingangsbestätigung genannten Antragsunterlagen um das Formblatt zum Antragsvordruck handelt, den die Geschäftsführer der Beigeladenen am 12.06.2012 unterschrieben haben. Dies ist zwar möglich. Allein die Möglichkeit genügt jedoch nicht. Denn insoweit ist das Gericht nicht zu dem Grad an Gewissheit gelangt, der vorhandene Zweifel überwindet, ohne sie völlig ausschließen zu können. So konnte sich auch der Geschäftsführer der Beigeladenen J in der mündlichen Verhandlung nicht mehr daran erinnern, die Lesefassung unterschrieben zu haben. Für die Kammer ist nicht ersichtlich, inwieweit etwa sonst im Beweiswege Gewissheit über deren Beschaffenheit zu erlangen wäre.

172

Die fehlende bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 35 Absatz 1 Nummer 4 BauGB a. F. kann auch nicht nach § 7 Absatz 5 Satz 1 UmwRG geheilt werden. Danach führt eine Verletzung materieller Rechtsvorschriften nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Eine Entscheidungsergänzung beziehungsweise ein ergänzendes Verfahren kommt vorliegend nicht in Betracht. Eine Entscheidungsergänzung (etwa im Sinne einer zusätzlichen Nebenbestimmung) scheidet hier von vornherein aus. Denn die Frage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit ist einer bloßen Ergänzung der Genehmigungsbescheide nicht zugänglich. Ein ergänzendes Verfahren ist ebenfalls ausgeschlossen, weil die Vorhaben mit Blick auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit als Ganzes in Frage gestellt werden. Letztere berührt die Gesamtkonzeption der Vorhaben. Im Rahmen dieser Prüfung ist das grundlegende Betriebskonzept der Beigeladenen von Bedeutung. Außerdem kommt es entscheidend darauf an, ob die Vorhaben mit öffentlichen Belangen in Einklang stehen (vgl. Bayerischer VGH, B. v. 06.08.2018 - 22 CS 18.1097 -, juris Rn. 49; VG München, Urt. v. 22.03.2019 - M 19 K 17.3738 -, juris Rn. 148 ff.).

173

(b) Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Beigeladenen die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit ursprünglich nach § 35 Absatz 1 Nummer 1 BauGB beantragt haben und der Beklagte zunächst deren Voraussetzungen geprüft hat. Denn auch der einzig noch in Betracht kommende Privilegierungstatbestand in § 35 Absatz 1 Nummer 1 BauGB liegt nicht vor. Danach ist ein Vorhaben im Außenbereich nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt.

174

Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Die Vorhaben der Beigeladenen dienen nicht einem landwirtschaftlichen Betrieb. Landwirtschaft im Sinne des § 35 Absatz 1 Nummer 1 BauGB ist insbesondere der Ackerbau, die Wiesen- und Weidewirtschaft einschließlich Tierhaltung, soweit das Futter überwiegend auf den zum landwirtschaftlichen Betrieb gehörenden, landwirtschaftlich genutzten Flächen erzeugt werden kann, die gartenbauliche Erzeugung, der Erwerbsobstbau, der Weinbau, die berufsmäßige Imkerei und die berufsmäßige Binnenfischerei (§ 201 BauGB). Die landwirtschaftliche Privilegierung setzt voraus, dass der Eingriff in den zumeist naturhaft geprägten Außenbereich im Rahmen eines auf Dauer angelegten Betriebs erfolgt, zu dem das geplante Vorhaben zu rechnen ist (vgl. Nds. OVG, B. v. 16.12.2019 - 12 ME 87/19 -, juris Rn. 112).

175

Ob sich ein Betrieb auf Dauer als lebensfähig erweist, ist im Wege einer Prognose zu beantworten. Notwendig ist eine Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Dabei sind die Umstände, die für oder gegen die Annahme der Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit des Betriebes sprechen, ihrerseits zu gewichten und ins Verhältnis zueinander zu setzen. Es handelt sich um Hilfstatsachen, die im Rahmen einer Gesamtschau zu bewerten sind. Dabei ist unter anderem die Betriebsorganisation und die Größe der landwirtschaftlichen Nutzflächen in den Blick zu nehmen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.10.2012 - 4 C 9/11 -, juris Rn. 8). Nicht nur der „Betrieb“ als solcher, sondern auch die für die im Außenbereich privilegierte „Landwirtschaft“ erforderlichen Flächen müssen dauerhafter Betriebsbestandteil sein. Während im ersten Fall der „Betrieb“ etwa von der im Außenbereich nicht privilegierten Hobbytierhaltung oder einer nur temporär betriebenen Landwirtschaft abzugrenzen ist, handelt es sich im zweiten Fall um die - gerade vor dem Hintergrund der Änderung des § 35 Absatz 1 Nummer 4 BauGB an Bedeutung gewinnende - Abgrenzung eines landwirtschaftlichen Betriebes im Sinne des § 35 Absatz 1 Nummer 1 BauGB von der - im Außenbereich jedenfalls bei Erreichen der für die UVP-(Vorprüfungs)Pflicht nicht mehr privilegierten - „flächenungebundenen, „gewerblichen“ Tierhaltung. Deshalb ist im Rahmen des Merkmals der erforderlichen Dauerhaftigkeit des Betriebs (auch) zu prüfen, ob der Zugriff auf die gemäß § 201 BauGB zwingend landwirtschaftlich, als Futtergrundlage nutzbare Fläche auf Dauer gesichert ist (vgl. Nds. OVG, B. v. 16.12.2019 - 12 ME 87/19 -, juris Rn. 112).

176

Die Dauerhaftigkeit der Betriebsführung wird zwar nicht dadurch in Frage gestellt, dass Betriebsflächen gepachtet werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.10.2012 - 4 C 9/11 -, juris Rn. 10). Eine landwirtschaftliche Betätigung, die ausschließlich oder weit überwiegend auf fremdem Grund und Boden verwirklicht wird, genügt den Voraussetzungen für eine Privilegierung nach § 35 Absatz 1 Nummer 1 BauGB allerdings regelmäßig nicht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 15.12.2010 - 8 S 2517/09 -, juris Rn. 21). Je umfangreicher eine Hinzupacht allerdings ist, umso unsicherer wird, ob angesichts der spezifischen Schwäche des Pachtlandes die erforderliche Nachhaltigkeit noch gewährleistet ist. Der Schutz des Außenbereichs verbietet es, Gebäude, die landwirtschaftlich genutzt werden sollen, auf die Gefahr hin privilegiert zuzulassen, dass schon nach einigen Jahren die Grundlagen wegfallen können - wie dies etwa der Fall wäre, wenn es dem Betriebsinhaber nicht mehr möglich wäre, das Futter überwiegend auf eigenen Flächen zu erzeugen (vgl. Nds. OVG, B. v. 16.12.2019 - 12 ME 87/19 -, juris Rn. 112 ff.). Schematische oder abstrakte Berechnungsformeln kann es insoweit nicht geben. Bei dem Verhältnis von Eigentums- und Pachtflächen handelt es sich nur um ein Indiz für die Beantwortung der Frage, ob ein landwirtschaftlicher Betrieb vorliegt, es auf eine Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ankommt und der Frage des Pachtlandes je nach den sonstigen Umständen des Falles eine mehr oder weniger große Bedeutung zukommen kann. So kann von den mit der Pacht zusammenhängenden Ungewissheiten etwa abgesehen werden, wenn Besonderheiten vorliegen, die ausnahmsweise für die Dauerhaftigkeit des Betriebs sprechen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 15.12.2010 - 8 S 2517/09 -, juris Rn. 21).

177

Dies zu Grunde gelegt, sind die Betriebe der Beigeladenen, insbesondere die als Futtergrundlage nutzbaren Flächen der Beigeladenen, nicht auf Dauer gesichert. Die Beigeladene zu 1. hat von 78,5 ha Betriebsflächen alleine 76,2622 ha gepachtet; die Beigeladenen zu 2. von 80,5 ha Betriebsflächen 76,2262 ha. Die Beigeladenen sind zudem nicht Eigentümerinnen des Betriebsgrundstücks; das ist die S-GmbH. Für die Beigeladenen ist am 23.02.2012 und am 10.04.2012 lediglich eine Vormerkung auf Sicherung des Anspruchs auf Einräumung eines Erbbaurechts eingetragen worden.

178

Ist die „überwiegend eigene Futtergrundlage“ - wie vorliegend - nur bei Hinzurechnung von Pachtflächen gegeben, müssen diese Pachtflächen zum landwirtschaftlichen Betrieb gehören und die Voraussetzungen einer sicheren Zuordnung erfüllen. Die Dauerhaftigkeit der Zuordnung der Eigentumsflächen und der Pachtflächen zu dem landwirtschaftlichen Betrieb muss grundsätzlich der voraussichtlichen Nutzungsdauer der betreffenden (Wirtschafts-)Gebäude entsprechen. Die Sicherstellung eines dauerhaften Zugriffs auf benötigte Flächen kann angenommen werden, wenn entsprechend langfristige Pachtverhältnisse bestehen. Für die insoweit anzustellende Prognose ist im Grundsatz von der zu erwartenden Nutzungsdauer der Anlage auszugehen (vgl. Nds. OVG, B. v. 16.12.2019 - 12 ME 87/19 -, juris Rn. 118 f.; Bayerischer VGH, B. v. 06.08.2019 - 22 CS 18.1097 -, juris Rn. 34). Die zu erwartende Nutzungsdauer einer Hähnchenmastanlage liegt bei etwa 30 Jahren. Zwar dürfte nicht zu fordern sein, dass die Pachtverträge den gesamten Zeitraum abdecken. Die Laufzeit der von der Beigeladenen abgeschlossenen Pachtverträge ist jedoch zu kurz, um eine dauerhaft landwirtschaftliche Betriebszugehörigkeit sicherzustellen. Denn die Flächen stehen den Beigeladenen nicht mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit für eine ausreichende Dauer zur Verfügung. Die Laufzeit beträgt nur ¼ der zu erwartenden Nutzungsdauer der Anlage. Die Laufzeit der Pachtverträge betrug im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides am 03.03.2017 noch etwa 7,5 Jahre. Die Pachtzeit begann am 01.10.2012 und endet am 30.09.2024. Selbst wenn von den ursprünglich vereinbarten 12 Jahren ausgegangen werden würde, würde auch dies nicht einmal die Hälfte der zu erwartenden Lebensdauer der Anlagen abdecken (vgl. Nds. OVG, a. a. O., Rn. 119 in Bezug auf Laufzeiten von bis zu 10 Jahren).

179

Besondere Umstände, gleichwohl auf Dauer gesicherte nutzbare Flächen anzunehmen, sind nicht ersichtlich. Dass die Beigeladenen fast ihre gesamten Betriebsflächen gepachtet haben, spricht dagegen. Da die Beigeladenen die Pachtverträge erstmals 2012 geschlossen haben, kann auf etwaige Verlängerungen der Pacht in der Vergangenheit auch nicht auf eine zukünftige Verlängerung geschlossen werden. Allein die bloße Möglichkeit, Pachtverträge zu verlängern, genügt für die Annahme besonderer Umstände nicht. Das Gleiche gilt für den Umstand, dass die Beigeladenen mit der H und ihren Gesellschaftern eng verwoben ist. Gerade das Vorgehen, weitere Gesellschaften für die Umsetzung von Projekten zu schaffen, die miteinander und mit der H eng verwoben sind, birgt - obgleich dies dem Grunde nach rechtlich zulässig ist - erhebliche Unsicherheiten in Bezug auf die Beständigkeit der Gesellschaften und deren Vorhaben, insbesondere im Außenbereich. Hinzu kommt, dass die Beigeladenen nicht auf einen gesicherten Betrieb verweisen können, weil sie erst kurz vor der Antragstellung (Mitte 2011) gegründet worden sind.

180

Infolge dessen verfügen die Beigeladenen nicht über die erforderliche Anzahl von Flächen zur Erzeugung des überwiegend benötigten Futters. Konkrete Berechnungen zum Energiebedarf der Masthähnchen und zur Flächenleistung seitens der Beigeladenen und des Beklagten fehlen zwar. Allerdings verfügt die Beigeladene zu 1. nur über 78,5 ha Betriebsflächen, die Beigeladene zu 2. nur über 80,5 ha. Da die gepachteten Flächen mit Blick auf die oben gemachten Ausführungen nicht einbezogen werden, verfügen die Beigeladenen lediglich über etwa 2,24 ha beziehungsweise etwa 4,27 ha. Diese Flächen genügen bei Weitem nicht aus, um jeweils 39.900 Mastgeflügel je Zyklus bei acht Zyklen im Jahr, also jeweils 319.200 Mastgeflügel im Jahr, zu versorgen. Unter Zugrundelegung der Berechnung in der Rechtsprechung (vgl. VG Hannover, B. v. 17.12.2019 - 4 B 2809/19 -, juris Rn. 74 ff.; VG München, Urt. v. 22.03.2019 - M 19 K 17.3738 -, juris Rn. 57 ff.), ergibt sich ein Flächenbedarf von über 70 ha.

181

Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass die Beigeladenen ihre Flächen selbst bewirtschaften. Sie verbringen insbesondere den Geflügelkot nicht auf ihre Flächen. Vielmehr geben sie diesen an die H ab, die den Geflügelkot nach § 1 des Abnahmevertrages von Geflügelkot auf ihren Flächen verwertet.

182

(c) Da kein Fall eines privilegierten Vorhabens gegeben ist, kommt allenfalls eine bauplanungsrechtliche Zulässigkeit als sonstiges Vorhaben nach § 35 Absatz 2 BauGB in Betracht (vgl. BVerwG, NJW 1964, 1973, 1974; Nds. OVG, B. v. 16.12.2019 - 12 ME 87/19 -, juris Rn. 103; Söfker in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, 49. Edition 01.02.2020). Danach können sonstige Vorhaben im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Denn das Vorhaben der Beigeladenen beeinträchtigt jedenfalls Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege nach § 35 Absatz 3 Satz 1 Nummer 5 BauGB. Die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege werden durch das Naturschutzrecht konkretisiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.6.2013 - 4 C 1.12 -, juris Rn. 5 f.). Hierauf kann sich der Kläger auch berufen. Im Unterschied zur Privilegierung nach § 35 Absatz 1 führt bereits die bloße Beeinträchtigung öffentlicher Belange zur Unzulässigkeit des Vorhabens. Damit soll sichergestellt werden, dass der Außenbereich von baulichen Anlagen weitestgehend freigehalten wird (vgl. Mitschang/Reidt in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 14. Aufl. 2019, § 35 Rn. 63).

183

Der Beklagte ist im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung selbst davon ausgegangen, dass die Vorhaben einen Eingriff in Natur und Landschaft nach § 14 Absatz 1 des Bundesnaturschutzgesetzes in der vom 11.02.2017 bis zum 01.06.2017 geltenden Fassung (BNatSchG) in Verbindung mit § 12 Absatz 1 Nummer 12 des Naturschutzausführungsgesetzes in der vom 30.06.2016 bis zum 16.07.2018 geltenden Fassung (NatSchAG M-V) darstellen. Vor diesem Hintergrund und aufgrund der von den Beigeladenen vorgelegten Gutachten hat der Beklagte in den Nummern 6.1 bis 6.6 beziehungsweise 6.1 bis 6.5 der Genehmigungsbescheide Kompensations- und Vermeidungsmaßnahmen angeordnet. Danach wird ein Kompensationsbedarf von je 5.360 KFÄ festgestellt. Als Ausgleichsmaßnahme wurde das Anlegen je eines Kleingewässers mit einer Fläche von 2.483 m² beziehungsweise 2.600 m² angeordnet. Ferner hat die Beigeladene zu 2. zwei einheimische Laubbäume zum Ausgleich der Versiegelung für das Regenrückhaltebecken zu pflanzen. Schließlich haben die Beigeladenen Teilflächen von Flurstücken für Maßnahmen des Naturschutzes zur Verfügung zu stellen. Diese Kompensationsmaßnahmen führen nicht dazu, dass eine Beeinträchtigung von Natur und Landschaft nicht mehr besteht. Denn eine Beeinträchtigung durch ein nicht privilegiertes Vorhaben liegt auch dann vor, wenn die mit seiner Verwirklichung verbundenen Eingriffe in einer dem Naturschutzrecht genügenden Weise ausgeglichen werden. Sonstigen Vorhaben kommt im Außenbereich keine gesteigerte Daseinsberechtigung zu, die sich gegenüber - auch verhältnismäßig geringen oder durch Kompensation in ihrem Gewicht reduzierten - öffentlichen Belangen durchsetzen könnte. Eine klare Überkompensation ist nicht ersichtlich (vgl. Nds. OVG, B. v. 04.09.2018 - 1 ME 65/18 -, juris Rn. 12).

184

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Absatz 1 und Absatz 3, 159 Satz 1 VwGO. Da die Beigeladenen einen Sachantrag gestellt haben, hält es das Gericht für angemessen, ihnen - zusammen mit dem Beklagten - die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nummer 11, 711 ZPO. Die Berufung wird nach § 124 Absatz 2 Nummer 3 VwGO zugelassen.

185

Beschluss vom 28.09.2020

186

Der Streitwert wird auf 30.000 Euro festgesetzt.

187

Gründe

188

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Absatz 1, 39 Absatz 1 des Gerichtskostengesetzes. In entsprechender Anwendung der Nummer 34.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hält die Kammer einen Streitwert je Vorhaben der Beigeladenen von 15.000 Euro, in der Summe von 30.000 Euro, für sachgerecht.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen