Urteil vom Verwaltungsgericht Stade (1. Kammer) - 1 A 2482/17

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu Bestattungskosten für ihre verstorbene Halbschwester.

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Am 28. August 2015 verstarb Frau G., die Halbschwester der Klägerin, im Gemeindegebiet der Beklagten.

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Ausweislich eines in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten befindlichen Vermerks vom 17. Juli 2017 setzte sich die Beklagte mit der Klägerin am 1. September 2015 telefonisch in Verbindung und informierte die Klägerin über den Tod ihrer Halbschwester. In diesem Vermerk heißt es weiter, die Klägerin habe bestätigt, die Halbschwester mütterlicherseits zu sein und darauf hingewiesen, dass ein weiterer Halbbruder namens H. existiere. Die genauen Kontaktdaten seien von der Klägerin nicht benannt worden. Es sei lediglich der Hinweis darauf erfolgt, dass sich der Halbbruder in einem Insolvenzverfahren befinde. Die Klägerin habe es abgelehnt, für die Bestattung ihrer Halbschwester Sorge zu tragen und die dafür anfallenden Kosten zu übernehmen, da ihr Rechtsanwalt die gesetzliche Bestattungspflicht sowie die Kostenübernahme als Halbschwester für nicht rechtens ansehe. Außerdem habe sie sich vor kurzem erst ein Haus gekauft, was abzuzahlen sei, sodass sie die Bestattungskosten nicht übernehmen könne. Auf die gesetzliche Bestattungspflicht von Angehörigen sowie darauf, dass das Niedersächsische Bestattungsgesetz vorschreibe, innerhalb von acht Tage nach dem eingetretenen Tod die Bestattung in Gang zu bringen, anderenfalls werde die Bestattung aus ordnungsrechtlicher Sicht spätestens am 7. September 2015 in Auftrag gegeben, sei hingewiesen worden sowie darauf, dass sie mit ihrem Halbbruder zusammen gesamtschuldnerisch hafte. Die Klägerin sei aufgefordert worden, bis zum 4. September 2015 telefonisch oder schriftlich mitzuteilen, wann und an welches Bestattungsinstitut der Sterbefall in Auftrag gegeben worden sei. Eine weitere telefonische Kontaktaufnahme habe die Klägerin im Anschluss an das Telefonat verweigert.

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Die Beklagte wandte sich zudem mit Schreiben vom 1. September 2015 unter Bezugnahme auf das geführte Telefonat an die Klägerin und unterrichtete sie nochmals von dem Todesfall ihrer Halbschwester. Sie habe für die Bestattung zu sorgen und die dafür anfallenden Kosten zu übernehmen. Für den Fall, dass niemand rechtzeitig für die Bestattung Sorge tragen werde, werde diese am 7. September 2015 veranlasst. Ausweislich des Vermerks vom 17. Juli 2017 konnte dieses Schreiben der Klägerin nicht zugestellt werden, da die aktuelle Adresse nicht korrekt vorgelegen habe.

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Nachdem die Klägerin innerhalb der gesetzten Frist nicht weiter reagiert hatte, veranlasste die Beklagte die Beisetzung der Verstorbenen, die am 30. September 2015 stattfand.

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Mit Bescheid vom 29. Juni 2017 - der Klägerin zugegangen am 1. Juli 2017 - forderte die Beklagte die Klägerin unter Bezugnahme auf den vorgenannten Todesfall und die von ihr veranlasste Beisetzung zur Erstattung der Bestattungskosten in Höhe von insgesamt 1.853,79 € auf (1.273,79 € Rechnung Beerdigungsinstitut zzgl. 580,00 € Friedhofsgebühren). Die Klägerin habe für die Bestattung Sorge tragen müssen. Unter den Personenkreis der Bestattungspflichtigen gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 6 BestattG (Geschwister) fielen auch sogenannte Halbgeschwister. Sie gehörten gemäß § 1589 BGB zum Kreis der Verwandten. Eine Recherche nach vorrangig verpflichteten Angehörigen gemäß der Ziffern 1 bis 5 der besagten Vorschrift sei erfolglos geblieben. Eine Anhörung der Klägerin vor Erlass des Bescheides erfolgte nicht.

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Unter dem 1. Juli 2017 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und bat darum, sich mit ihrem Rechtsanwalt in Verbindung zu setzen. Gleichzeitig teilte sie mit, dass es neben ihr noch einen weiteren Halbbruder gebe, nämlich I., J., K..

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Gegen den Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2017 hat die Klägerin am 3. Juli 2017 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, der Rückforderungsbescheid sei rechtswidrig, da die Beklagte nicht nur sie, die Klägerin, habe in Anspruch nehmen dürfen, sondern auch ihren Halbbruder. Dies habe die Beklagte völlig außer Acht gelassen. Sie sei zudem nicht leistungsfähig, da sie als geringfügig Beschäftigte beruflich tätig sei und hieraus ein Einkommen erziele, welches weit unter der Pfändungsfreigrenze liege. Zudem habe sie zusammen mit ihrem Ehemann Eigentum erworben und sei zu ½ Eigentümerin eines kleinen Einfamilienhauses. Neben ihrem Ehemann sei sie für monatliche Zins- und Tilgungsleistungen aus den gesamtschuldnerischen Verbindlichkeiten im Rahmen der Finanzierung des Hausgrundstückes haftbar. Da sie aufgrund ihres geringen Einkommens ihren Haftungsanteil nicht tragen könne, werde dieser von ihrem Ehemann getragen. Insofern könne sie im Hinblick auf die geforderten Bestattungskosten auch nicht auf eine Finanzierung dieses Betrages verwiesen werden, da sie von keinem Kreditinstitut ein Darlehen erhalten werde. Auch sei eine Verwertung des halben Miteigentumsanteils ausgeschlossen, da es keinen Interessenten gebe, der bereit sei, einen ideellen hälftigen Miteigentumsanteil an ihrem Hausgrundstück zu erwerben. Hinzu komme, dass sie ab dem 1. November 2018 Altersruhegeld in geringer Höhe beziehen werde, mithin maximal in Höhe von monatlich 283,18 €.

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Wegen ihrer Leistungsunfähigkeit möge sich die Beklagte an ihren Halbbruder wenden. Soweit die Beklagte darauf verweise, dass sie, die Klägerin, die Übernahme der Bestattungskosten bei dem Sozialleistungsträger beantragen könne, sei ein solcher Antrag beabsichtigt. Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass zunächst feststehe, dass von dem Halbbruder der Verstorbenen die Beerdigungskosten nicht erlangt werden könnten. Insoweit solle zunächst dieses Ergebnis abgewartet werden.

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Letztlich stehe der Übernahme der Bestattungskosten der Einwand der Verwirkung entgegen. Ihre Halbschwester sei bereits am 28. August 2015 verstorben. Erst am 29. Juni 2017, mithin 22 Monate später, sei der Bescheid über die Rückforderung der Bestattungskosten gefertigt worden. Zu diesem Zeitpunkt habe sie, die Klägerin, nicht mehr mit einer Inanspruchnahme durch die Beklagte rechnen müssen. Nach der erstmaligen telefonischen Kontaktaufnahme am 1. September 2015 habe die Beklagte keinerlei Kontakt mehr zu ihr aufgenommen. Sie habe davon ausgehen und darauf vertrauen können, dass sich die Angelegenheit erledigt habe und eine Inanspruchnahme durch die Beklagte nicht mehr stattfinde. Es werde bestritten, dass in der Folge eine solche Kontaktaufnahme nicht möglich gewesen sei und sie eine falsche Wohnadresse angegeben habe. Sie sei zum damaligen Zeitpunkt und auch aktuell unter derselben Adresse gemeldet gewesen. Anderslautende Angaben habe sie nicht getätigt. Unklar sei jedoch, wieso die Beklagte den Kontakt nicht mehr aufgenommen habe. Der Beklagten sei es im Rahmen des ihr obliegenden Untersuchungsgrundsatzes möglich und auch zumutbar gewesen, über Behördenauskünfte ihre Adresse zu ermitteln. Warum dies unterblieben sei, sei unbekannt.

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Soweit sich die Beklagte darauf zurückziehe, ihr sei lediglich der Name des Halbbruders der Verstorbenen bekannt gewesen, jedoch hätten keine Kontaktdaten vorgelegen, sei nicht nachvollziehbar, warum sie, die Klägerin, verpflichtet gewesen sein solle, Ermittlungsmaßnahmen für die Beklagte durchzuführen. Die Beklagte hätte im Rahmen des ihr obliegenden Untersuchungsgrundsatzes eigenständig Ermittlungsmaßnahmen durchführen und zum Beispiel Behördenauskünfte einholen müssen, um die Meldedaten ihres Bruders zu ermitteln. Hinzu komme, dass ihr, der Klägerin, die Anschrift des Bruders zum damaligen Zeitpunkt aufgrund dessen jahrelanger Tätigkeit im Ausland nicht bekannt gewesen sei. Erst im Verlauf des vorliegenden Klagverfahrens habe sie die Anschrift ihres Bruders in Erfahrung bringen können. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, zu ermitteln, welche Personen Kostenschuldner hätten seien können und wo sich diese aufhielten. Da dies nach aktuellem Kenntnisstand nicht geschehen sei, sei hierin eine fehlerhafte Ausübung des Auswahlermessens zu sehen.

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Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

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den Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2017 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte tritt dem Vorbringen unter Wiederholung ihrer Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid entgegen und trägt ergänzend vor, die Klägerin hafte zusammen mit dem Halbbruder gesamtschuldnerisch, was bedeute, dass der Gläubiger, vorliegend sie, die Beklagte, die Leistung nach seinem Belieben von jedem der Schuldner ganz oder zu einem Teil fordern könne, wobei sämtliche Schuldner bis zur Bewirkung der ganzen Leistung verpflichtet blieben. Ihr sei der Name des Halbbruders zwar benannt worden, nicht jedoch seine Wohnanschrift oder sonstige Kontaktmöglichkeiten. Weitere Informationen habe die Klägerin nicht erteilt. Nur mit der Benennung eines Vor- und Nachnamens ließen sich keine weiteren Angehörigen der verstorbenen Person ermitteln. Die Angabe der letzten Wohnadresse des Bruders, dessen Geburtstag oder -ort wie vielleicht auch der Name der Eltern und der gleichen hätten bei der Ermittlung helfen können. Diese Daten habe die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt aber offensichtlich nicht mitgeteilt. Eine nunmehr nachgereichte Mitteilung des Namens ändere nichts an der Pflicht der Klägerin zur Kostenübernahme. Denn sie, die Beklagte, könne keinen weiteren Bestattungspflichtigen in Anspruch nehmen, da bereits die Klägerin zur Erstattung der gesamten Kosten in Anspruch genommen worden sei. Hinzu komme, dass wegen der mangelnden Mitwirkung der Klägerin auch die Anhörung des Bruders zum Zeitpunkt des Todes der Verstorbenen nicht habe erfolgen können. Sie, die Beklagte, habe die Bestattung auch veranlassen dürfen, da die Klägerin damals unbestritten die Veranlassung der Bestattung ihrer Halbschwester abgelehnt habe.

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Soweit sich die Klägerin auf eine mangelnde Leistungsfähigkeit berufe, bestehe die Möglichkeit eines Antrags auf Übernahme der Bestattungskosten beim zuständigen Sozialleistungsträger nach § 74 SGB XII. Die Zahlungspflicht gegenüber ihr, der Beklagten, bleibe aber in jedem Fall bestehen. Der Klägerin könne lediglich die Möglichkeit einer Ratenzahlungsvereinbarung angeboten werden.

18

Die Voraussetzungen einer Verwirkung lägen nicht vor. Ihr sei keinerlei unzulässige Rechtsausübung vorzuwerfen. Sie, die Beklagte, sei auch nach 22 Monaten noch berechtigt, die Erstattung der Bestattungskosten von der der Klägerin zu fordern, da diese der regulären dreijährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB unterliege. Diese Frist sei zum Zeitpunkt des Erlasses des Rückforderungsbescheids auch nach den Angaben der Klägerin noch nicht abgelaufen gewesen.

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Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze nebst Anlagen, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die trotz Nichterscheinens der ordnungsgemäß geladenen Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg.

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Der Leistungsbescheid der Beklagten vom 29. Juni 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

22

Er erfüllt bereits die formellen Voraussetzungen nicht. Denn die Klägerin wurde vor dessen Erlass nicht angehört. Nach § 28 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 NVwVfG ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dies ist hier nicht geschehen. Dabei ist § 28 VwVfG eine der zentralen Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Sie verpflichtet die Behörde dazu, dem Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren Rechnung zu tragen. Dies ist ein Ausdruck des fairen Verfahrens, ermöglicht den Verfahrensbeteiligten die Wahrung ihrer Interessen und schützt sie vor überraschenden Entscheidungen (Herrmann, in: BeckOK, VwVfG, 43. Edition, Stand: 1. April 2019, § 28 VwVfG, Vor Rn. 1). Objektivrechtlich dient das Anhörungsrecht insbesondere der Schaffung einer ausreichenden und zutreffenden Entscheidungsgrundlage im Rahmen der Amtsermittlung und damit einer effektiven und effizienten Aufgabenerfüllung (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Auflage, 2016, § 28 VwVfG, Rn. 2).

23

Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte nach den in § 28 Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG geregelten Ausnahmefällen von der Anhörung absehen durfte sind für das Gericht weder ersichtlich noch von der Beklagten auch nur ansatzweise hinreichend substantiiert dargetan.

24

Der Anhörungsmangel ist auch nicht gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 VwVfG i.V.m. § 1 NVwVfG geheilt worden. Danach ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die - wie vorliegend - nicht den Verwaltungsakt nach § 44 VwVfG nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Davon ist vorliegend nicht auszugehen. Eine Heilung des Anhörungsfehlers im Sinne des § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG tritt nur dann ein, wenn die nachträgliche Anhörung formell ordnungsgemäß erfolgt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 - 3 C 16/11 - juris; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Auflage, 2015, § 45 VwVfG, Rn. 26 m.w.N.). Diese Funktion besteht nicht allein darin, dass der Betroffene seine Einwendungen vorbringen kann und diese von der Behörde zur Kenntnis genommen werden, sondern schließt vielmehr ein, dass die Behörde ein etwaiges Vorbringen bei ihrer Entscheidung ergebnisoffen in Erwägung zieht, indem die getroffene Entscheidung noch einmal selbstkritisch überdacht wird (Schemmer, in: BeckOK, VwVfG, 43. Edition, Stand: 1. April 2019, § 45 VwVfG, Rn. 42 und 42.1 m.w.N.). Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren reichen als solche zur Heilung einer zunächst unterbliebenen Anhörung grundsätzlich nicht aus (BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 - 3 C 16.11 - juris). In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass der Anhörungsfehler in dem hier konkret vorliegenden Fall nicht geheilt wurde. Insbesondere ist hiervon nicht durch die Erhebung der Klage und deren Begründung durch die Klägerin auszugehen. Es ist nicht im Ansatz feststellbar, dass die Beklagte im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens das Vorbringen der Klägerin ergebnisoffenen zum Anlass genommen hat, ihre Entscheidung selbstkritisch zu überdenken. Denn die Stellungnahmen und Äußerungen der Beklagten bestehen der Sache nach nur in einer Verteidigung der getroffenen Entscheidung, was für eine Heilung nach den vorstehenden Grundsätzen nicht ausreicht. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des in der Klagerwiderung mit Schriftsatz vom 20. Juli 2017 abschließenden Hinweises der Beklagten darauf, dass die Zahlungspflicht der Klägerin in jedem Fall bestehen bleibe und letztlich lediglich die Möglichkeit einer Ratenzahlungsvereinbarung angeboten werden könne.

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Schließlich liegt kein Anwendungsfall des § 46 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG vor. Nach dieser Bestimmung kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der - wie vorliegend - nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zu Stande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Hiervon ist vorliegend nicht auszugehen. Denn es ist nicht offensichtlich, dass der Anhörungsmangel die von der Beklagten getroffene Entscheidung nicht beeinflusst hat. Es ist nicht jeglicher Zweifel ausgeschlossen, dass die Beklagte ohne den Verfahrensfehler genauso entschieden hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.02.2012 - 3 C 16/11 - juris). Dabei setzt das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 46 VwVfG zunächst die Feststellung fehlender Kausalität voraus, die regelmäßig nur dann möglich sein wird, wenn der hypothetische Wille der Behörde, wie in Fällen rechtlicher Alternativlosigkeit, unbeachtlich ist oder zweifelsfrei feststeht. Ein Fall rechtlicher Alternativlosigkeit der Entscheidung liegt hier nicht vor. Die Klägerin hatte der Beklagten bereits im Rahmen des Telefonats am 1. September 2015 mitgeteilt, das neben ihr noch ein weiterer Halbbruder der Verstorbenen vorhanden sei und diesen namentlich benannt. Unmittelbar nach Erlass des Leistungsbescheides vom 29. Juni 2017 - der Klägerin zugegangen am 1. Juli 2017 - hat diese mit Schreiben vom 1. Juli 2017 der Beklagten den Namen sowie die Adresse des Halbbruders mitgeteilt und diese Daten im Rahmen der Klageschrift mit Schriftsatz vom 3. Juli 2017 wiederholt angegeben. Vor dem Hintergrund, dass mehrere vorrangig Bestattungspflichtige des - wie vorliegend - gleichen Rangs der Beklagten nach § 8 Abs. 4 Satz 2 BestattG als Gesamtschuldner haften, mithin die Beklagte die Bestattungskosten von jedem der Schuldner ganz oder auch nur zu einem Teil fordern konnte, war ihr ein Auswahlermessen eingeräumt, welchen bzw. welche der vorrangig Bestattungspflichtigen im gleichen Rang sie in welcher Höhe in Anspruch nimmt (Nds. OVG, Beschluss vom 05. April 2019 - 10 PA 350/18 - juris). Eröffnet das materielle Recht, wie hier, Ermessen, so ist im Regelfall nicht auszuschließen, dass sich die Verletzung der in § 46 VwVfG genannten Vorschriften auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt hat. Deswegen sind in diesen Fällen Fehler grundsätzlich relevant, außer der gegebene Spielraum hat sich im konkreten Fall ausnahmsweise auf Null reduziert oder der Fehler ist aus tatsächlichen Gründen ohne Einfluss auf die Entscheidung in der Sache geblieben (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Auflage, 2016, § 46 VwVfG, Rn. 32 ff.; Schemmer, in: BeckOK, VwVfG, 43. Edition, Stand: 1. April 2019, § 46 VwVfG, Rn. 36; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.06.2006 - 11 S 2299/05 - juris). Die materielle Beweislast trägt insoweit die Behörde, denn § 46 VwVfG ist ein Verteidigungsmittel in ihrer Hand (Schemmer, in: BeckOK, VwVfG, 43. Edition, Stand: 1. April 2019, § 46 VwVfG, Rn. 35 m.w.N.). Es ist weder ersichtlich, dass das Auswahlermessen der Beklagten auf Null reduziert war noch dass der Anhörungsfehler aus anderen Gründen ohne Einfluss auf die Entscheidung in der Sache geblieben ist. Soweit die Klägerin ausweislich des in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten vorhandenen Vermerks vom 17. Juli 2017 in dem Telefonat am 1. September 2015 gegenüber der Beklagten darauf hingewiesen haben soll, dass sich der Halbbruder der Verstorbenen in einem Insolvenzverfahren befinde, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Denn dieser Hinweis gibt ohne weitere Ermittlung keinen zuverlässigen Aufschluss über die tatsächliche Leistungsfähigkeit des Halbbruders. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung dessen, dass die Beklagte nicht unmittelbar nach der Beisetzung der Verstorbenen über die Festsetzung der angefallenen Bestattungskosten per Leistungsbescheid entschieden hat, sondern der Bescheid erst 22 Monate später erlassen wurde. Es kann auch sonst nicht ohne weiteres festgestellt werden, dass die Beklagte ohne den Anhörungsfehler genauso entschieden hätte, da die zur Ausübung des (Auswahl-)Ermessens notwendigen Gesichtspunkte von der Beklagten erst noch nachträglich festgestellt werden müssten (vgl. hierzu auch OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.07.2013 - 6 A 2296/11 - juris).

26

Weitergehende Ausführungen zur Frage der materiellen Rechtmäßigkeit des Leistungsbescheides sind nicht veranlasst, da dieser bereits wegen des Anhörungsfehlers aufzuheben ist.

27

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

28

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

29

Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.

 


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