Beschluss vom Verwaltungsgericht Trier (7. Kammer) - 7 K 3469/19.TR

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Vorverfahrens und der außergerichtlichen Kosten aller Beteiligten tragen die Kläger einerseits und die Beigeladenen andererseits jeweils zur Hälfte.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren durch die Beigeladenen wird für notwendig erklärt.

Gründe

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I. Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren analog § 92 Abs. 3 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – einzustellen und gemäß § 161 Abs. 2 S. 1 VwGO nur noch durch Beschluss über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden (BVerwG, Beschluss vom 7. August 1998 – 4 B 75.98 –, Rn. 2, juris).

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II. Gemäß § 161 Abs. 2 S. 1 VwGO ist über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es in der Regel, demjenigen Verfahrensbeteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der ohne die Erledigung bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich unterlegen wäre (BVerwG, Beschluss vom 17. August 2011 – 1 C 19.10 –, Rn. 3, juris; BayVGH, Beschluss vom 21. August 2019 – 1 N 17.304 –, Rn. 2, juris). Darüber hinaus kann das Gericht auch berücksichtigen, ob und aus welchen Gründen ein Verfahrensbeteiligter das zur Erledigung führende Ereignis bewirkt hat (BVerwG, Beschluss vom 26. November 1991 – 7 C 16.89 –, Rn. 12, juris).

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Außerdem sind vorliegend die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen in die Billigkeitsentscheidung miteinzubeziehen. Denn die Beigeladenen haben schriftsätzlich einen Antrag auf Klageabweisung angekündigt, sodass ihnen einerseits gemäß § 154 Abs. 3 VwGO Kosten auferlegt werden können und andererseits aufgrund des eingegangenen Kostenrisikos ihre eigenen Kosten grundsätzlich gemäß § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig sind (vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 25. Auflage 2019, § 161 Rn. 18).

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Hiervon ausgehend entspricht es der Billigkeit, die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten aller Beteiligten jeweils hälftig zwischen den Klägern und den Beigeladenen aufzuteilen, da einerseits die Kläger im Fall einer streitigen Entscheidung voraussichtlich unterlegen wären (1.), andererseits die Erledigung des Rechtsstreits auf einem nicht unerheblichen Nachgeben der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung beruht (2.).

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1. Im Fall einer streitigen Entscheidung wären die Kläger voraussichtlich unterlegen, denn bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ist die Klage ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses zulässig, aber unbegründet.

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Die als Anfechtungsklage statthafte und fristgemäß erhobene Klage dürfte auch im Übrigen zulässig sein. Insbesondere sind die Kläger trotz Leistung ihrer Unterschrift auf den von den Beigeladenen eingereichten Bauunterlagen gemäß § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Zwar gilt die Unterschrift gemäß § 68 Abs. 1 S. 3 Landesbauordnung Rheinland-Pfalz – LBauO – als Zustimmung, was das Erlöschen des subjektiv-öffentlichen Rechts auf Einhaltung der betreffenden nachbarschützenden Vorschriften zur Folge hat (OVG RP, Urteil vom 25. Februar 1987 – 8 A 27/86.OVG –, ESOVGRP). Ob die Zustimmung auch nach Abgabe der Anfechtungserklärungen durch die Kläger und die Beigeladenen wirksam ist, hängt jedoch von einer umfassenden rechtlichen Bewertung der Sach- und Rechtslage ab. Demnach ist nicht von Anfang an ausgeschlossen und erscheint zumindest möglich, dass die Kläger durch die geltend gemachte Unterschreitung der nach § 8 LBauO einzuhaltenden, nachbarschützenden Abstandsfläche in ihren eigenen Rechten verletzt sind (a.A.: VG München, Beschluss vom 25. September 2018 – M 11 SN 18.3863 –, Rn. 20, juris; VG Karlsruhe, Urteil vom 17. Mai 2018 – 9 K 1095/16 –, Rn. 27, juris). Aus denselben Gründen besteht auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis der Kläger.

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Die Klage dürfte jedoch unbegründet gewesen sein, da die streitgegenständliche Baugenehmigung des Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juli 2019 die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.

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Dies gilt insbesondere für die von den Klägern gerügten Verstöße des Vorhabens gegen den nach § 8 LBauO einzuhaltenden Mindestabstand zum Klägergrundstück und gegen die textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans „L.- Straße“ bzgl. der talseitigen Traufhöhe, der Dachneigung und der Geschossflächenzahl – GFZ . Diese Verstöße waren vom Beklagten auch im Rahmen des hier nach § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 LBauO einschlägigen vereinfachten Genehmigungsverfahrens zu berücksichtigen, da insoweit die Erteilung von Abweichungen bzw. Befreiungen gemäß § 69 Abs. 1 S. 1 LBauO bzw. § 31 Abs. 2 Baugesetzbuch – BauGB – erforderlich war. Die Kläger dürften auf die Geltendmachung der Verstöße jedoch wirksam verzichtet haben, indem sie auf dem Lageplan und allen Bauzeichnungen der Beigeladenen unterzeichnet haben, § 68 Abs. 1 S. 2 und S. 3 LBauO. Aus den unterzeichneten Unterlagen gehen die zwischen den Beteiligten umstrittenen Gesichtspunkte des Vorhabens einschließlich der von den Klägern später noch in Bezug genommenen Zwerchhäuser sowie die GFZ eindeutig hervor, wobei letztere aus dem Verhältnis von Grundstücksfläche und der Grundflächen der einzelnen Geschosse ohne Weiteres berechnet werden kann (vgl. Bl. 23-25 der Bauakte ...).

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Die Kläger dürften ihre Nachbarzustimmung auch nicht wirksam nachträglich angefochten oder widerrufen haben. Ein Widerruf der Nachbarzustimmung analog § 130 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – war nach Eingang der unterzeichneten Bauunterlagen beim Beklagten Ende 2018 nicht mehr möglich, zumal auf den Unterlagen kein Vorbehalt erklärt wurde (vgl. OVG RP a.a.O.).

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Des Weiteren dürfte die von den Klägern mit Schreiben vom 28. März 2019 gegenüber den Beigeladenen erklärte Anfechtung der Nachbarzustimmung (Bl. 58 ff. der Gerichtsakte) unwirksam sein. Zwar kann die Zustimmung zu einem Bauvorhaben nach einhelliger Rechtsprechung entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften der §§ 119 ff. BGB wegen Irrtums oder Täuschung angefochten und damit rückwirkend (§ 142 Abs. 1 BGB) beseitigt werden (OVG NRW, Urteil vom 22. März 2018 – 7 A 1388/15 –, Rn. 57, juris; OVG Nds, Beschluss vom 28. August 2013 – 1 LA 235/11 –, Rn. 16, juris; SächsOVG, Beschluss vom 18. Juni 2009 – 1 A 476/08 –, Rn. 10, juris; SaarlOVG, Beschluss vom 8. Januar 1996 – 2 W 46/95 –, Rn. 7, juris; offengelassen: OVG RP, Urteil vom 25. Februar 1987 – 8 A 27/86.OVG –, ESOVGRP). Vorliegend dürfte es jedoch bereits an einer wirksamen Anfechtungserklärung fehlen, da die Kläger die Erklärung vom 28. März 2019 – was in der mündlichen Verhandlung erneut klargestellt wurde – ausschließlich an die Beigeladenen gerichtet haben. Richtigerweise ist die Anfechtung jedoch, wie die ursprüngliche Nachbarzustimmung, gegenüber dem Beklagten als zuständige Bauaufsichtsbehörde zu erklären (OVG RP a.a.O. und Beschluss vom 4. Juli 2013 – 1 A 10339/13.OVG –, ESOVGRP). Dies ergibt sich bereits aus § 143 Abs. 3 S. 1 BGB, wonach bei einer einseitigen, empfangsbedürftigen Willenserklärung der andere Teil Anfechtungsgegner ist. Dem Umstand, dass der Kläger gegenüber dem Beklagten selbst keinen Anfechtungsgrund hat, trägt § 123 Abs. 2 S. 2 BGB Rechnung, wonach ein Rechtsgeschäft auch dann anfechtbar ist, wenn ein Dritter – hier die Beigeladenen – aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erwirbt und der Dritte die Täuschung kannte oder kennen musste.

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Im Übrigen dürfte es an einem Anfechtungsgrund fehlen, denn die von den Klägern allein geltend gemachte arglistige Täuschung (§ 123 BGB) dürfte nicht vorliegen. Im Rahmen einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB sind im Gegensatz zu einer Irrtumsanfechtung nach § 119 BGB auch Motivirrtümer beachtlich (Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2018, § 123 Rn. 27). Demnach ist maßgeblich, ob die Kläger durch Täuschung zur Abgabe der Nachbarzustimmung bestimmt worden sind, wobei sich ein etwaiger Irrtum der Kläger auch auf Tatsachen außerhalb der unterschriebenen Bauunterlagen beziehen kann (a.A.: VG München a.a.O., Rn. 23; VG Ansbach, Urteil vom 5. Dezember 2012 – AN 9 K 11.01747 –, Rn. 47, juris). Dahingehende Anhaltspunkte sind jedoch von den Klägern nicht substantiiert vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich. Vielmehr spricht die vertragsgemäße Überweisung des vereinbarten Betrags von 25.000 Euro durch die Beigeladenen dagegen, dass diese von Anfang an beabsichtigt hätten, die Nachbarzustimmung der Kläger zu erwirken, um nach einer Anfechtung des zugrundeliegenden Vertrags den gezahlten Geldbetrag zurückfordern zu können. Auch spricht die im Vertrag vorgesehene Verpflichtung der Beigeladenen zu Leistungen, die mit dem streitgegenständlichen Vorhaben nicht in Zusammenhang stehen, dafür, dass die Beigeladenen subjektiv von einer widerrechtlichen Drohung durch die Kläger ausgingen und vor diesem Hintergrund die Anfechtung des Vertrags vom 30. September 2018 erklärten.

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Demgegenüber ist die mit Schreiben vom 21. März 2019 durch die Beigeladenen erklärte Anfechtung des Vertrags vom 30. September 2018 losgelöst von der Frage, ob tatsächlich eine widerrechtliche Drohung angenommen werden kann – was zu verneinen sein dürfte – für die streitgegenständliche Baugenehmigung nicht von Relevanz. Denn die Anfechtung des Vertrags, welcher den Rechtsgrund für die von den Klägern erteilte Nachbarzustimmung darstellt, führt allenfalls zu deren Kondizierbarkeit nach den Vorschiften der §§ 812 ff. BGB, nicht jedoch zu deren Unwirksamkeit (a.A.: OVG NRW, Urteil vom 22. März 2018 – 7 A 1388/15 –, Rn. 58, juris zu einem mangels notarieller Beurkundung nach § 311b Abs. 1 S. 1 BGB unwirksamen Vertrag). Ein anderes Verständnis wird der Klarheits- und Beweissicherungsfunktion der nachbarlichen Unterschrift auf den Bauunterlagen nicht gerecht. Ob eine Zustimmung des Nachbarn vorliegt, soll nicht erst durch Befragung oder durch Auslegung von mündlichen Abreden oder Schreiben zwischen den Beteiligten ermittelt werden müssen. Eine Abrede zwischen dem Nachbarn ist deshalb rechtlich bedeutungslos (OVG RP, Beschluss vom 4. Juli 2013 a.a.O.). Diesem Schutzzweck der Nachbarzustimmung liefe zuwider, wenn eine private Abrede zwischen dem Bauherrn und dem Nachbarn zur Unwirksamkeit führen würde. Hinzu kommt, dass die Baugenehmigung unbeschadet privater Rechte Dritter erteilt wird, § 70 Abs. 1 S. 3 LBauO. Die Befugnis der Bauaufsichtsbehörde, eine Baugenehmigung wegen entgegenstehender privatrechtlich begründeter Hindernisse zu versagen, muss dabei auf absolut offensichtliche Sachverhalte beschränkt bleiben (Jeromin, in: ders., LBauO Rh-Pf, Kommentar, 4. Auflage 2016, § 70 Rn. 74). An einer derartigen Offensichtlichkeit fehlt es indes vorliegend, da sich insbesondere der Nachweis der geltend gemachten arglistigen Täuschung als schwierig darstellt.

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Schließlich dürften die Kläger auch mit ihrem übrigen Vorbringen nicht durchdringen. Die vom Beklagten erteilen Befreiungen und Abweichungen sind hinreichend bestimmt i.S.v. § 1 Abs. 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG – i.V.m. § 37 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz – BVwVfG –, zumal sich die genannten Entscheidungen erkennbar auf den entsprechenden Antrag der Beigeladenen vom 1. Oktober 2018 beziehen, der nähere Angaben über die begehrten Befreiungen bzw. Abweichungen enthält (vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 37 Rn. 37). Auch ist unschädlich, dass die Befreiungen bzw. Abweichungen entgegen § 1 Abs. 1 LVwVfG i.V.m. § 39 BVwVfG nicht begründet worden sind, da die Kläger als betroffene Dritte durch ihre Nachbarzustimmung der Baugenehmigung zugestimmt und damit auf eine weitere Begründung verzichtet haben (Weiß; in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 39 Rn. 50; Stelkens a.a.O., § 39 Rn. 86, beck-online). Im Übrigen ist für das vorliegende Verfahren nicht von Belang, wie der Beklagte im Fall eines vom Kläger benannten, weiteren Anwohners des Plangebiets in Bezug auf dessen Abweichungsantrag verfahren ist.

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2. Jedoch wäre eine alleinige Kostentragung durch die Kläger vorliegend unbillig, da die Erledigung des Rechtsstreits zu einem nicht unwesentlichen Teil auf einem Nachgeben der Beigeladenen beruht (vgl. dazu: Clausing, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, 36. EL Februar 2019, § 161 Rn. 24). Diese haben sich in der mündlichen Verhandlung unter anderem dazu bereiterklärt, zur Vermeidung weiterer Folgerechtsstreite auf die geltend gemachte Rückforderung der bereits an die Kläger geleisteten 25.000 Euro zu verzichten und darüber hinaus an die Kläger einen Betrag von 14.250 Euro zu zahlen und ihnen Gabionenkörbe und Mutterboden für die Errichtung einer Grenzmauer zu liefern.

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Diese Sichtweise entspricht im Übrigen dem Rechtsgedanken des § 160 VwGO, wonach bei einer Erledigung durch einen – hier nicht vorliegenden – gerichtlichen Vergleich mangels Bestimmung über die Kosten diese zwischen den Beteiligten geteilt werden.

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Dem Beklagten sind keine Kosten aufzuerlegen, weil der vorliegende Rechtsstreit materiell ausschließlich Kläger und Beigeladene betrifft.

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III. Der Antrag der Beigeladenen, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 162 Abs. 2 S. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.

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Über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt eines verständigen Beteiligten aus zu entscheiden. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Bevollmächtigten dann, wenn es dem Beteiligten nach seinen persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen. Die Notwendigkeit der Zuziehung wird auch durch die Bedeutung der Sache für den Beteiligten bestimmt, wobei der Zeitpunkt der Bevollmächtigung maßgeblich ist (BVerwG, Beschluss vom 21. August 2018 – 2 A 6.15 –, Rn. 5, juris).

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Ausgehend hiervon bejaht das Gericht die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren durch die Beigeladenen, zumal der Rechtsstreit die in Ziffer II. ersichtlichen rechtlichen Fragestellungen aufwirft und es den Beigeladenen mangels erkennbarer juristischer Vorbildung vor diesem Hintergrund nicht zumutbar war, das Vorverfahren selbst zu führen.

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Ein Zuziehungsantrag der Kläger liegt hingegen nicht vor.

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