Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 6 S 1870/15

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 13. August 2015 - 3 K 373/15 - wird verworfen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Beschwerde der Antragstellerin ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO eingelegt wurde und der von der Antragstellerin - vorsorglich - gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 VwGO) hinsichtlich der Versäumung der Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO keinen Erfolg hat.
1. Gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen. Diese Frist hat die Antragstellerin nicht gewahrt. Die Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO zur Beschwerde gegen den mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung (vgl. Guckelberger, in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 147 RdNr. 17 m. w. N.) versehenen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 13.08.2015 begann hier am 20.08.2015 zu laufen (§ 57 Abs. 1 VwGO) und ist am 03.09.2015 abgelaufen (vgl. § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 188 Abs. 2, 187 Abs. 1 BGB). Die Beschwerdeschrift ist erst am 08.09.2015 und damit verspätet bei dem Verwaltungsgericht eingegangen.
Gemäß §§ 56 Abs.1, 57 Abs. 1 VwGO beginnt der Lauf der hier in Rede stehenden Beschwerdefrist mit der Zustellung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Dieser Beschluss wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung zugestellt (§ 56 Abs. 2 VwGO). Hier wurde der Beschluss des Verwaltungsgerichts gemäß § 56 Abs. 2 VwGO, § 180 ZPO, dessen Voraussetzungen - was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist - gegeben sind, im Wege der Ersatzzustellung zugestellt. Mit der Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten gilt das entsprechende Schriftstück als zugestellt (§ 56 Abs. 2 VwGO, § 180 Satz 2 ZPO). Die hierüber gemäß § 56 Abs. 2 VwGO, § 182 ZPO gefertigte Postzustellungsurkunde (Blatt 472b der Akte des Verwaltungsgerichts) benennt als Zustellungsdatum den 20.08.2015 (vgl. § 56 Abs. 2 VwGO, § 182 Abs. 2 Nr. 7 ZPO). Diese Urkunde ist eine öffentliche Urkunde, die gemäß § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis unter anderem für das Einlegen des Schriftstücks in den Briefkasten zu dem angegebenen Zeitpunkt erbringt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 16.05.1986 - 4 CB 8.86 -, NJW 1986, 2127 und vom 19.03.2002 - 2 WDB 15.01 -, Buchholz 235.0 § 82 WDO Nr. 1).
Der Wirksamkeit der Zustellung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses steht nicht entgegen, dass der Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks, der von der Antragstellerin zur Beschwerdeakte gereicht wurde (Blatt 65), keinen Vermerk über das Datum der Zustellung gemäß § 56 Abs. 2 VwGO, § 180 Satz 3 ZPO enthält (ebenso: Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 180 RdNr. 4, § 182 RdNr. 10; Stöber, in: Zöller, ZPO, § 180 RdNr. 7, § 182 RdNr. 19; Häublein, in: Münchener Kommentar zur ZPO [MüKo], § 182 RdNr. 12; Dörndorfer, in: BeckOK ZPO, § 180 ZPO RdNr. 3; vgl. auch: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 02.08.2012 - 2 M 58/12 -, NVwZ-RR 2013, 85; für die Regelung des § 195 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. vgl. Oberste Gerichtshöfe des Bundes (Gemeinsamer Senat), Beschluss vom 09.11.1976 - GmS - OBG 2/75 -, NJW 1977, 621; BGH, Beschluss vom 31.03.2003 - II ZB 12/01 -, NJOZ 2003, 1050; anderer Ansicht: BFH, Urteil vom 28.07.2015 - VIII R 2/09 - sowie Beschluss vom 19.01.2005 - II B 38/04 -, jew. juris; für § 3 VwZG in Verbindung mit § 180 Satz 3 ZPO: Sadler, VwVG, VwZG, 9. Aufl., § 3 VwZG RdNrn. 139, 182). Denn der Vermerk des Tages der Zustellung auf dem Umschlag bringt lediglich das Datum der Zustellung dem Empfänger nachrichtlich zur Kenntnis, ist aber nicht notwendiger Bestandteil der Zustellung (vgl. BayVGH, Beschluss vom 31.01.2011 - 4 ZB 10.3088 -, BayVBl. 2013, 185; Stöber/Geimer, in Zöller, a.a.O., § 182 RdNr. 19; Roth, in: Stein/Jonas, a.a.O., § 180 RdNr. 4). Dementsprechend wird in der Gesetzesbegründung zum Zustellungsreformgesetz ausgeführt, dass für den Fall, dass der Vermerk des Zustellungsdatums auf dem Umschlag, der das zuzustellende Schriftstück enthält, fehlt oder dieses von dem auf der Zustellungsurkunde ausgewiesenen Datum abweicht, die Zustellung dennoch wirksam ist (BT-Drs. 14/4554, S. 22).
Mit der wirksamen (Ersatz-)Zustellung durch Einlegung in den Briefkasten fängt die Rechtsmittelfrist an zu laufen (§ 57 Abs. 1 VwGO). Etwas anderes ergibt sich nicht aus § 56 Abs. 2 VwGO, § 189 ZPO, weil keine zwingende Zustellungsvorschrift verletzt wurde. Für den Fall, dass sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen lässt oder das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, gilt nach § 189 ZPO das Dokument in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. § 189 ZPO heilt im Wege einer Fiktion eine unwirksame Zustellung, wenn der Zustellungszweck, nämlich dem Adressaten eine zuverlässige Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück zu verschaffen, auf andere Weise erreicht ist. Die Zustellung wird dann als wirksam angesehen, wenn das Schriftstück dem Adressaten oder einem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen und damit der Zweck des § 166 Abs. 1 ZPO erreicht ist (Roth, in: Stein/Jonas, a.a.O., § 189 RdNr. 1). Ein erneuter Zustellungsversuch muss in diesem Fall, auch wenn die Zustellung wegen eines Zustellungsmangels an sich unwirksam war, nicht mehr unternommen werden (Kimmel, in: Posser/Wolff, VwGO, 2. Aufl., § 56 RdNr. 76). Damit wird vermieden, dass ein starres Festhalten an den Formalien, von denen nach den maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen die Wirksamkeit der Zustellung abhängt, zu unbilligen Ergebnissen führt, wenn auch auf andere Weise als durch die formgerechte Zustellung eindeutig nachweisbar ist, dass der Empfänger von dem Schriftstück Kenntnis erhalten hat (Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 56 RdNr. 72). Demgemäß sind zwingende Zustellungsvorschriften im Sinne des § 189 ZPO solche Vorschriften, deren Nichteinhaltung zur Unwirksamkeit der Zustellung führen, da nur diese einer Heilung bedürfen (Roth, in: Stein/Jonas, a.a.O., § 189 RdNr. 13; ebenso, aber ohne nähere Begründung: Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl., § 189 RdNr. 6; Saenger, ZPO, 4. Aufl., § 189 RdNr. 6). So geht auch der Gesetzgeber davon aus, dass § 189 ZPO zur Unwirksamkeit der Zustellung führende Zustellungsmängel heilen soll, wenn er in der Gesetzesbegründung davon spricht, dass eine fehlerhafte Zustellung mit dem Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs an den Adressaten oder einem Empfangsberechtigten „wirksam wird“ (BT-Drs. 14/4554, S. 25). Damit ist hier für den Beginn des Laufs der Beschwerdefrist das Datum der (wirksamen) Zustellung maßgebend und kommt es nicht darauf an, ob und wann der Antragstellerin der verwaltungsgerichtliche Beschluss im Sinne des § 56 Abs. 2 VwGO, § 189 ZPO tatsächlich zugegangen ist (vgl. Roth, in: Stein/Jonas, a.a.O., § 180 RdNr, 4; Stöber/Gmeiner, in: Zöller, a.a.O., § 182 RdNr. 19). Art. 103 Abs. 1 GG zwingt zu keiner anderen Auslegung des § 189 ZPO, da Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (dazu noch unten) in Betracht kommt, wenn der Zustellungsadressat durch einen Zustellungsmangel, der nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung führt, in seinen Rechtsschutzmöglichkeiten betroffen ist (BVerwG, Beschluss vom 31.01.2001 - 4 A 46.00 -, NVwZ-RR 2001, 484; OVG Berlin, Beschluss vom 18.05.2004 - 2 N 27.03 -, NVwZ-RR 2004, 724; OLG Hamburg, Beschluss vom 18.02.2005 - 2 Ws 5/05 -, NJW 2006, 1685; Stöber/Gmeiner, in: Zöller, a.a.O., § 182 RdNr. 19). Soweit der Bundesfinanzhof (BFH Großer Senat, Beschluss vom 06.05.2014 -, NJW 2014, 2524; BFH, Urteil vom 21.09.2011 - 1 R 50/10 -, BB 2012, 184 und vom 19.01.2005, a.a.O.) davon ausgeht, dass die Regelung des § 180 Satz 3 ZPO zu den zwingenden Zustellungsvorschriften gehört, so dass bei Verstoß gegen diese das Schriftstück gemäß § 189 ZPO erst im Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs als zugestellt gilt, bezieht er sich letztlich auf den Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 09.11.1976, a.a.O. (ebenso: Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., § 65 RdNr. 74; Häublein, in: MüKo, a.a.O., § 181 RdNr. 12). In diesem Beschluss hatte der Gemeinsame Senat für das vor dem 01.07.2002 geltende Zustellungsrecht, das die Ersatzzustellung durch Einlegung in den Briefkasten und dementsprechend die Regelung des § 180 Satz 3 ZPO noch nicht kannte, und vor dem Hintergrund, dass nach § 9 Abs. 2 VwZG in seiner damaligen Fassung die Heilungsvorschrift des § 9 Abs. 1 VwZG a.F. nicht auf Klage- und Rechtsmittel(begründungs)fristen anzuwenden war, entschieden, dass es sich bei § 195 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. um eine zwingende Zustellungsvorschrift handele. Nach dieser Vorschrift konnte die Übergabe einer Abschrift der Zustellungsurkunde dadurch ersetzt werden, dass der Postbedienstete den Tag der Zustellung auf der Sendung vermerkt, was er in der Zustellungsurkunde zu bezeugen hatte. Diese Rechtsprechung zum alten Zustellungsrecht kann aber nicht ohne Weiteres auf die Rechtslage nach Inkrafttreten des Zustellungsreformgesetzes vom 25.06.2001 (BGBl I 2001, 1206) mit Wirkung zum 01.07.2002 und die oben erörterten Rechtsfragen übertragen werden (vgl. Roth, in: Stein/Jonas, a.a.O., § 182 RdNr. 10; vgl. auch BGH, Beschluss vom 18.09.2003 - IX ZB 40/03 -, NJW 2004, 71: „grundsätzliche Bedeutung“ der Frage; Häublein, in: MüKo, a.a.O., § 181 RdNr. 12: „umstrittene Rechtslage“).
2. Der Antragstellerin kann auf ihren vorsorglich gestellten Antrag keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 Abs. 2 Satz 1 VwGO hinsichtlich der Frist zur Einlegung der Beschwerde gewährt werden. Denn sie hat nicht glaubhaft gemacht (vgl. § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO), ohne Verschulden daran gehindert gewesen zu sein, die Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO einzuhalten. In der zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vorgelegten eidesstattlichen Versicherung ihres Geschäftsführers macht dieser geltend, sich vom 10.08. bis zum 30.08.2015 in Urlaub befunden und den Umschlag mit dem angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichts erst am 31.08.2015 geöffnet zu haben. Ungeachtet der Sorgfaltsverpflichtungen des Geschäftsführers einer GmbH für eine sachgerechte Wahrung fristgebundener Terminsachen während seiner Urlaubsabwesenheit (vgl. dazu: BFH, Urteile vom 13.03.1991 - I R 38/90 - und vom 08.04.2004 - VII B 283/03 -, jew. juris), zu denen sich die Antragstellerin nicht hat äußern wollen, hat der Geschäftsführer der Antragstellerin am 31.08.2015 und damit noch innerhalb der bis zum 03.09.2015 laufenden Beschwerdefrist Kenntnis von der (wirksamen) förmlichen Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts erlangt. Auch wenn auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks nicht das Datum der Zustellung vermerkt ist, war es dem Geschäftsführer zumutbar, sich bei der Antragsgegnerin nach dem Datum der auf der Postzustellungsurkunde vermerkten Zustellung zu erkundigen, um dann noch fristwahrend Beschwerde einlegen zu können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.01.2001, OVG Berlin, Beschluss vom 18.05.2004, jew. a.a.O.). Dass die in diesem Fall noch verbliebene Restfrist nicht ausreichend gewesen wäre, um eine Entscheidung über die Einlegung des Rechtsmittels herbeizuführen, ist nicht ersichtlich und von der Antragstellerin auch nicht geltend gemacht worden (zu den diesbezüglichen Anforderungen vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 21.05.1986 - 6 CB 33/85 -, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 150). Hiergegen spricht auch, dass eine Begründung innerhalb der Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht abzugeben war (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) und die Bevollmächtigte der Antragstellerin nach entsprechender Information durch die Antragstellerin noch am gleichen Tag (07.09.2015) die Einlegung der Beschwerde veranlasste. Dass sich der Geschäftsführer der Antragstellerin in einem (wegen der hier gegebenen unklaren Rechtslage unverschuldeten) Rechtsirrtum über den Beginn des Laufs der Beschwerdefrist befunden hätte, wird in der von ihm vorgelegten eidesstattlichen Versicherung nicht ausgeführt und damit nicht glaubhaft gemacht. Darüber hinaus hätte es in diesem Fall der Bevollmächtigten der Antragstellerin oblegen, mit ihrem Beschwerdeschriftsatz vom 07.09.2015 einen (vorsorglichen) Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen (vgl. zu den diesbezüglichen Sorgfaltsanforderungen eines Rechtsanwaltes: BVerfG, Beschluss vom 27.09.2002 - 2 BvR 855/02 -, NJW 2003, 575). Diesen Antrag hat sie erst am 25.09.2015 und damit außerhalb der Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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