Urteil vom Arbeitsgericht Freiburg - 4 Ca 26/19

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 168,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Januar 2019 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 166,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2019 zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Der Kläger trägt 49%, die Beklagte 51% von den Kosten des Rechtsstreits.

5. Der Wert des Streitgegenstands wird auf 650,00 EUR festgesetzt.

6. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

 
Die Parteien streiten vor dem Hintergrund der Frage der Anwendbarkeit eines Tarifvertrages um Vergütungsansprüche.
Der Kläger ist seit dem 3. November 2003, zuletzt als Lagerarbeiter, bei der Beklagten an einem in Deißlingen gelegenen Standort beschäftigt, der von der Beklagten intern auch als „Standort V.“ bezeichnet wird. Dort werden insgesamt 49 Mitarbeiter beschäftigt. Arbeitsvertraglich beläuft sich das Bruttomonatsentgelt des Klägers abweichend vom ursprünglichen schriftlichen Arbeitsvertrag (Bl. 129 ff. d. A.) seit Juli 2018 auf 2.525,00 EUR brutto. Fällig ist die Vergütung nach der vertraglichen Regelung (Ziff. 2 Abs. 2) am Monatsende.
Der Arbeitgeberverband Spedition und Logistik Baden-Württemberg e. V. (im Folgenden: AVSL) hat mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (im Folgenden: ver.di) verschiedene Tarifverträge, auch Entgelttarifverträge geschlossen. Unter dem 16. Mai 2018 wurde rückwirkend zum 1. April 2018 ein Tarifvertrag über Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen (im Folgenden: ETV BW) geschlossen, der auszugsweise wie folgt lautet (Bl. 13 ff. d. A.):
§ 1 Geltungsbereich
Dieser Tarifvertrag gilt
räumlich: für Baden-Württemberg (ohne Tarifbezirk Südbaden)
fachlich: für alle Betriebe und Betriebsabteilungen des Speditions-, Lagerei- und Logistikgewerbes (...) die Mitglied im o.g. Arbeitgeberverband sind.
Die Vergütungshöhe ergibt sich aus §§ 2, 3 des Tarifvertrages und den Anlagen. § 3 Buchst. e sieht eine monatliche Zulage vor, die nach sechs Jahren der Betriebszugehörigkeit 110 EUR je Monat beträgt. Die Tätigkeit des Klägers als Lagerist (mit Tätigkeiten als Sortierer, Fahrer von Flurförderfahrzeugen und Be- und Entladetätigkeiten) ist danach der Lohngruppe 3 zuzuordnen und mit 2.640 EUR brutto (ab April 2019: 2.709 EUR brutto) im Monat zu vergüten.
Der Manteltarifvertrag zwischen den tarifschließenden Parteien (im Folgenden: MTV BW) lautet auszugsweise (Bl. 114 ff. d. A.):
§ 1 Geltungsbereich
Dieser Tarifvertrag gilt
räumlich: für Baden-Württemberg (ohne Tarifbezirk Südbaden)
fachlich: für alle Betriebe und Betriebsabteilungen des Speditions-, Lagerei- und Logistikgewerbes (...) die Mitglied im o.g. Arbeitgeberverband sind.
10 
§ 3 Allgemeine Entgeltbestimmungen
11 
6. Die Vergütung erfolgt bar oder unbar. Zeitpunkt, Art und Ort der Auszahlung unterliegen der betrieblichen Regelung.
12 
§ 20 Ausschlussfristen
13 
Alle Ansprüche aus diesem Tarifvertrag oder dem Einzelarbeitsvertrag verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich erhoben werden.
14 
Lehnt der Betrieb den Anspruch ab, so verfällt er, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung gerichtlich geltend gemacht wird. Geschieht dies nicht, so erlöschen die Ansprüche.
15 
In zwei weiteren Tarifverträgen (Lohn- und Gehaltstarifvertrag für Südbaden) zwischen den genannten Tarifvertragsparteien heißt es auszugsweise (Bl. 108 d. A., Bl. 111 d. A.):
16 
§ 1 Geltungsbereich
17 
Dieser Tarifvertrag gilt
räumlich: für den Regierungsbezirk Südbaden in den Grenzen vom 1. Januar 1970)
fachlich: für alle Betriebe und Betriebsabteilungen des Speditions-, Lagerei- und Logistikgewerbes (...) die Mitglied im o.g. Arbeitgeberverband sind.
18 
Die Satzung des AVSL beinhaltet in Auszügen folgende Regelungen (Bl. 98 ff. d. A.):
19 
§ 3 Mitgliedschaft, Rechte und Pflichten der Mitglieder
20 
1. Die Mitgliedschaft ist freiwillig und steht jedem Unternehmen offen, das als Arbeitgeber in den Wirtschaftsbereichen Spedition, Lagerei oder Logistik tätig ist.
21 
§ 4 Tarifbezirke
22 
1. Der Verband gliedert sich in regional getrennte Tarifbezirke für
23 
a) Nordbaden/Württemberg
b) Südbaden (Regierungsbezirk Südbaden in den Grenzen vom 1.1.1970)
24 
Die Mitgliedsfirmen gehören dem jeweils für ihren Sitz zuständigen Tarifbezirk an.
25 
2. Die Tarifbezirke vertreten die ihnen obliegenden sozial- und tarifpolitischen Interessen in allen Angelegenheiten, die das Interessengebiet des jeweils anderen Tarifbezirks nicht wesentlich berühren. Insoweit sind sie in der Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder und ihren Entschlüssen und Handlungen selbstständig. Im Zweifelsfalle entscheidet der Vorstand.
26 
3. Die Tarifbezirke können Ausschüsse zu aktuellen Themenstellungen einsetzen. Dies gilt auch für Ausschüsse, die von beiden Tarifbezirken gemeinsam gebildet werden.
27 
§ 9 Tarifkommissionen
28 
1. Die Tarifbezirke (Gem. § 4 Ziff. 1) berufen die Mitglieder der Kommissionen für die Tarifverhandlungen mit den Arbeitnehmervertretungen.
29 
2. Die Tarifkommission wählt aus ihren Reihen einen Vorsitzenden und dessen Stellvertreter. Sofern diese nicht dem Vorstand angehören, können sie als Gäste zu den Vorstandssitzungen eingeladen werden.
30 
Mit Schreiben vom 24. August 2018 machte der Kläger, vertreten durch ver.di, Forderungen für Mai bis Juli 2018 in Höhe der Vergütungsdifferenz und der Betriebszugehörigkeitszulage geltend (Bl. 18 f. d. A.). Mit Schreiben vom 20. September 2018 lehnte die Beklagte die Forderungen als unbegründet ab (Bl. 20 d. A.). Erneut ließ der Kläger mit Schreiben vom 28. September 2018 seine Forderungen geltend machen (Bl. 22 d. A.), die am 10. Oktober 2018 (Bl. 25 d. A.), zugegangen am 11. Oktober 2018, wiederum abgelehnt wurden. Mit Klage vom 11. Januar 2019, der Beklagten am 15. Januar 2019 zugestellt (Bl. 40 d. A.), machte der Kläger die Vergütungsdifferenz zur Lohngruppe 3 für Mai bis Juli 2018 und auch für August 2018 bis Januar 2019 gerichtlich geltend (Bl. 1 ff. d. A.), nicht jedoch die jeweilige Betriebsgehörigkeitszulage. Erstmals mit Klageerweiterung vom 1. März 2019 (Bl. 83 ff. d. A.), der Beklagten am 5. März 2019 (Bl. 90 d. A.) zugestellt, machte der Kläger auch Ansprüche für Januar 2019 geltend, insoweit sowohl die Vergütungsdifferenz zur Lohngruppe 3 als auch die Betriebszugehörigkeitszulage.
31 
Der Kläger ist der Auffassung, dass für den Standort in Deißlingen Tarifbindung bestehe. Er sei Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft und die Beklagte Mitglied des AVSL. Daher unterfielen alle im räumlichen Geltungsbereich gelegenen Betriebe der Beklagten der Tarifbindung. Deißlingen gehöre nicht zum Regierungsbezirk Südbaden in den Grenzen von 1970. Außerdem handele es sich beim Standort in Deißlingen um einen bloßen „Satelliten“, der organisatorisch dem Standort K. zuzuordnen sei. Er habe daher Anspruch auf die im Tarifvertrag bestimmte monatliche Vergütung und die Betriebszugehörigkeitszulage. Der Anspruch sei mit der Klageerhebung am 11. Januar 2019 auch nicht verfallen, da die Beklagte die Forderung für Mai bis Juli 2018 letztmalig erst mit am 11. Oktober 2018 zugegangenen Schreiben abgelehnt habe.
32 
Der Kläger hat den weiteren Antrag auf Zahlung eines Verzugsschadens in Höhe von 40,00 EUR zurückgenommen (Bl. 91 d. A.) und beantragt zuletzt
33 
1. Die Beklagte wird verurteilt, 484 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an den Kläger zu zahlen;
34 
2. Die Beklagte wird verurteilt, weitere 56,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.02.2019 an den Kläger zu zahlen;
35 
3. Die Beklagte wird verurteilt, weitere 110,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.02.2019 an den Kläger zu zahlen.
36 
Die Beklagte beantragt,
37 
die Klage abzuweisen.
38 
Die Beklagte meint, sie sei nicht tarifgebunden. Sie sei lediglich mit ihrem Standort in K. Mitglied im AVSL. Der Standort in Deißlingen sei indes nicht Mitglied des Arbeitgeberverbandes und daher auch nicht tarifgebunden. Die Satzung des Arbeitgeberverbandes sehe eine Mitgliedschaft und Tarifbindung nur für beigetretene Betriebe, nicht für alle Betriebe eines Mitgliedsunternehmens vor. Es handele sich auch nicht etwa nur um eine Betriebsabteilung des 114 km entfernten Standortes in K., vielmehr sei der Standort Deißlingen selbstständig, er habe eine eigene Leitung und einen eigenen Betriebsrat. Außerdem gelte der Tarifvertrag, auf den sich der Kläger stütze, für Baden-Württemberg ohne den Tarifbezirk Südbaden. Deißlingen sei aber dem Tarifbezirk Südbaden zuzuordnen, da Deißlingen dem Regierungsbezirk Freiburg angehöre und nur 9,83 km von Villingen-Schwenningen entfernt liege. Zudem seien nicht die Grenzen von 1970 maßgeblich. Für die Monate Mai bis Juli 2018 sei die zweite Stufe, für die Ansprüche aus August und September 2018 die erste Stufe der Ausschlussfrist nicht eingehalten, sodass der Anspruch nach § 20 des Manteltarifvertrags erloschen sei.
39 
Das Gericht hat mit am 8. Februar 2019 vor dem Vorsitzenden zur Güte und am 8. Mai 2019 streitig vor der Kammer verhandelt. Auf die Verhandlungsprotokolle (Bl. 73 ff. d. A. und Bl. 164 f. d. A.) wird verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
40 
Die zulässige Klage ist zum Teil begründet.
I.
41 
Die Klage ist zulässig. Das Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG sachlich und gemäß § 48 Abs. 1a Satz 1 ArbGG örtlich zuständig, nachdem der Kläger seine Arbeitsleistung in Deißlingen erbringt.
II.
42 
Die Klage ist teilweise begründet. Der Kläger hat Anspruch auf eine Vergütung nach dem Tarifvertrag über Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen zwischen dem AVSL und ver.di vom 15. Mai 2018. Dieser findet auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Allerdings wurde für die Monate Mai bis September 2018 die tarifliche Ausschlussfrist nicht gewahrt, sodass der Anspruch insoweit verfallen ist.
43 
1. Kläger ist tarifgebunden. Er hat eine Bestätigung seiner Mitgliedschaft bei ver.di vorgelegt (Bl. 107 d. A.), deren Richtigkeit die Beklagte nicht in Zweifel gezogen hat.
44 
2. Der Tarifvertrag ist räumlich anwendbar. Deißlingen gehörte niemals dem Regierungsbezirk Südbaden an.
45 
a) Zwar bezeichnet der maßgebliche Tarifvertrag den Bereich Südbaden nicht als den Regierungsbezirk, sondern als einen „Tarifbezirk“, ohne diesen näher zu spezifizieren. Festzustellen ist jedoch, dass die weiteren Tarifverträge (Lohn und Gehalt) zwischen dem AVSL und ver.di hinsichtlich des Bezirks Südbaden an die Grenzen des Regierungsbezirks vom 1. Januar 1970 anknüpfen. Es drängt sich auf, dass die Tarifvertragsparteien zwei Tarifverträge schließen wollten, die sich räumlich weder überschneiden noch einen ungeregelten Bereich überlassen. Ferner wurde der Begriff „Tarifbezirk“ vermutlich § 4 der Satzung des AVSL entnommen, sodass diese zur Auslegung heranzuziehen ist. Diese stellt in § 4 Nr. 1 Buchst. b) für die Definition und Umgrenzung des Tarifbezirks Südbaden auf die Grenzen des Regierungsbezirks Südbaden vom 1. Januar 1970 ab. Zudem ist weder eine andere Grenzziehung als die des Regierungsbezirks noch ist ein anderes Grenzziehungsdatum ersichtlich. Auch etwa die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie knüpfen für die Bestimmung des Regierungsbezirks Südbaden an den 1. Januar 1970 an (vgl. etwa § 1, 1.1.1 ERA-MTV Südbaden). Demgegenüber wird in dieser Branche (nur) für den Regierungsbezirk Südwürttemberg-Hohenzollern an den Bestand vom 25. März 1971 angeknüpft (vgl. § 1, 1.1.1 MTV Südwürttemberg-Hohenzollern; beides erfassend etwa § 1, 1.1.1 des Urlaubsabkommens), ohne dass damit (historisch) ein relevanter Unterschied bestehen dürfte.
46 
b) Jedenfalls für die Gemeinde Deißlingen ergibt sich nach allen denkbaren Stichtagen eine Zugehörigkeit zum Landkreis (Kreis, Oberamt) Rottweil und damit zum Regierungsbezirk Südwürttemberg-Hohenzollern.
47 
Der Kläger hat eine Mitteilung eines Mitarbeiters der Gemeinde Deißlingen vorgelegt, nach der die Gemeinde Deißlingen wie der gesamte Landkreis Rottweil zum württembergischen Landesgebiet gehört hätten und bis zur Kreisreform dem Regierungspräsidium Tübingen (also dem Regierungsbezirk Südwürttemberg-Hohenzollern) zugeordnet gewesen sei. Diese Zuordnung wurde von der Beklagten bestritten. Sie lässt sich aber historisch eindeutig belegen (vgl. neben den unter www.verfassungen.de und auf der Seite der Staatsbibliothek zu Berlin abrufbaren Originalquellen zum Folgenden auch Redecker/Schöntag in: Historischer Atlas von Baden-Württemberg, Erläuterungen, Verwaltungsgliederung in Baden, Württemberg und Hohenzollern 1815-1936).
48 
aa) Nach § 22 des Organisations-Manifests vom 18. März 1806 (Königlich-Württembergisches Staats- und Regierungsblatt, 1806, S. 11, 16) gehörte der Kreis Rottweil als „9. Kreis“ zum Königreich Württemberg. Aufgrund Königlichen Manifests die neue Eintheilung des Königreichs betreffend vom 27. Oktober 1810 (Königlich-Württembergisches Staats- und Regierungsblatt, 1810, Nr. 53, S. 546 unten mit Verweis auf die Beilage, dort abgedruckt) erfolgte eine neue Gliederung, nach der das Königreich aus zwölf Landvogteien (Departements) bestand. Zur Landvogtei am Obern Neckar zählte das „Oberamt“ Rottweil. Zu diesem gehörte auch der „Amtsort“ Deißlingen.
49 
Eine weitere Neugliederung fand durch das Edikt über die Eintheilung des Königreichs in vier Verwaltungs-Bezirke vom 18. November 1817 (Königlich-Württembergisches Staats- und Regierungsblatt, 1817, Nr. 70, IV, S. 541, abgedruckt in der Beilage) statt. Nach § 1 wurden vier Kreise gebildet, wobei gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 zum Schwarzwald-Kreis das Oberamt Rottweil zählte. Nach § 64 der Verfassung für das Königreich Württemberg vom 25. September 1819 (Königlich-Württembergisches Staats- und Regierungsblatt, 1819, Nr. 65, S. 633, 646) gehören dann zu den Oberämtern die Gemeinden. Die Zuordnung der Gemeinde Deißlingen als neuwürttembergischer Bestandteil zum Oberamt Rottweil ist auch durch Sekundärquellen belegt (Beschreibung des Oberamts Rottweil, in: Beschreibung des Königreichs Württemberg, hrsg. vom statistisch-topographischen Bureau, Finanzrath v. Paulus, Band 56, Stuttgart 1875, S. 3 und Ortsbeschreibung auf S. 352 ff.).
50 
bb) 1919 wurde Württemberg zu einem Glied des Deutschen Reiches. Nach § 2 Abs. 1 der Verfassung des freien Volksstaates Württemberg vom 20. Mai 1919 (gleichlautend die Verfassung Württembergs vom 25. September 1919) bildeten die Landesteile Württembergs in ihrem gegenwärtigen Bestande das neue Staatsgebiet. Mit Verordnung des Staatsministeriums über die Aufhebung der Kreisregierungen vom 10. März 1924 wurden die vier Kreisregierungen aufgehoben, die Oberämter blieben bestehen. Durch Art. 1 Abs. 1 der Kreisordnung vom 29. Januar 1934 erhielt das Oberamt die Bezeichnung Kreis (Regierungsblatt für Württemberg, 1934, Nr. 7, S. 51). Nach Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Landeseinteilung vom 25. April 1938 blieb der Kreis Rottweil bestehen und wurde erweitert (Regierungsblatt für Württemberg, 1938, Nr. 9, S. 155). Er erhielt aufgrund § 1 Abs. 3 der Dritten Verordnung über den Neuaufbau des Reichs vom 28. November 1938 (RGBl. 1938 I, S. 1675) die Bezeichnung als Landkreis.
51 
cc) Mit Verfügung Nr. 10 des französischen Oberbefehlshabers in Deutschland über die Organisation des Oberregierungspräsidiums Württemberg vom 26. September 1945 (Journal Officiel du Commandement en Chef Francais, 1945, Ausgabe 4, S. 22 f.) gehörte der Landkreis Rottweil zu Württemberg und nach Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 i. V. m. der Anlage der Verfassung vom 18. Mai 1947 zum Land Württemberg-Hohenzollern. Die Kreisordnung für Württemberg-Hohenzollern vom 22. Dezember 1948 ließ die Zuordnung der Gemeinden zu den Landkreisen unberührt. Das Land Württemberg-Hohenzollern wurde durch Art. 1 des Gesetzes über die vorläufige Ausübung der Staatsgewalt im südwestdeutschen Bundesland vom 15. Mai 1952 (GBl. 1952, S. 3) mit Baden und Württemberg-Baden zum Land Baden-Württemberg zusammengeführt und gab sich am 11. November 1953 eine Verfassung (GBl. 1953, S. 173).
52 
Die Landkreisordnung vom 10. Oktober 1955 (GBl. 1955, S. 207 ff.) hat die Zugehörigkeit Deißlingens zum Landkreis Rottweil weiterhin nicht geändert. Das Landesverwaltungsgesetz vom 7. November 1955 (GBl. 1955, S. 226) regelte die Zuordnung der Landkreise zu den Regierungsbezirken. Während der Landkreis Villingen zum Regierungsbezirk Südbaden gehörte, gehörte der Landkreis Rottweil zum Regierungsbezirk Südwürttemberg-Hohenzollern (§§ 10 f. LVG).
53 
dd) Zum 1. Januar 1973 trat aufgrund des Kreisreformgesetzes vom 26. Juli 1971 (KreisRefG, GBl. 1971, S. 314 ff.) die Kreisgebietsreform in Kraft. Durch diese wurden die Regierungspräsidien und die Landkreise aufgelöst und neu geordnet. Der frühere Landkreis Villingen wurde aufgelöst, Rechtsnachfolger wurde der Schwarzwald-Baar-Kreis, der Landkreis Rottweil behielt seinen Namen (§ 5 KreisRefG). Beide Landkreise gehören seitdem zum Regierungsbezirk Freiburg (§ 26 KreisRefG hat das LVG entsprechend geändert).
54 
Zwar wurde Deißlingen im Zuge der Kreisreform ab 1. Januar 1973 (kurzzeitig) dem Schwarzwald-Baar-Kreis zugeordnet (§ 3 Nr. 24 Buchst. a, 26 Buchst. c KreisRefG) und dann erst am 1. Januar 1974 mit der Gemeinde Lauffen ob Rottweil vereinigt und wieder dem Landkreis Rottweil zugeschlagen (GABl. 1974, S. 79).
55 
Bis zum 31. Dezember 1972 gehörte Deißlingen jedoch, wie historisch nachvollzogen, jederzeit – wie nun wieder – zum Landkreis Rottweil. Zum 31. Dezember 1972 endete auch die Existenz des Regierungsbezirks Südbaden, dem Deißlingen daher zu keiner Zeit angehörte.
56 
c) Auf die Frage, ob eine Tarifbindung auch deshalb in Betracht kommen könnte, weil der Standort in Deißlingen als (unselbstständige) Betriebsabteilung dem Standort K. zuzuordnen wäre, kommt es damit nicht an. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der Tarifvertrag – fachlich – auch auf „Betriebsabteilungen“ abstellt, sodass letztlich die Frage der Zuordnung einer Betriebsabteilung zu einem Betrieb wohl nicht entscheidend ist, sondern der Standort der Betriebsabteilung selbst maßgeblicher Anknüpfungspunkt sein dürfte.
57 
3. Die Beklagte ist Mitglied im tarifschließenden Arbeitgeberverband. Auch der Betrieb in Deißlingen unterliegt der Tarifbindung.
58 
a) Die Beklagte ist Mitglied im Arbeitgeberverband. Die Beklagte selbst geht ebenfalls von einer Mitgliedschaft aus, allerdings nur von einer solchen des „Standortes“ bzw. der „Niederlassung“ K. Die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ist jedoch nicht nur nach der Satzung – dazu sogleich – sondern auch nach allgemeinen Grundsätzen für solche rechtlich nicht handlungsfähigen Gebilde nicht möglich. „Mitgliedsfähigkeit“ setzt regelmäßig Rechtsfähigkeit voraus (LAG Düsseldorf vom 27. April 2017 – 11 Sa 1322/15, juris Rn. 57, 61; Kören in BeckOGK, Stand 1. April 2019, § 38 BGB Rn. 42; Leschner in MüKo-BGB, 8. Aufl. 2018, § 38 BGB Rn. 10; Klumpp in MüHdBArbR, 4. Aufl. 2019, § 245 Rn. 20). Soweit davon abweichend auch eine „Teilrechtsfähigkeit“ genügen soll, ist damit gemeint, dass nicht lediglich natürliche und juristische Personen, sondern auch nicht-rechtsfähige Vereine, Personenhandelsgesellschaften und BGB-Gesellschaften, die sämtlich heute ohnehin verbreitet als rechtsfähig anerkannt werden, als Rechtsträger Mitglied werden können (dazu Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 3 TVG Rn. 43 ff.; Rieble in MÜHdbArbR, 4. Aufl. 2019, § 224 Rn. 1; Giesen in BeckOK-ArbR, 51. Edition vom 1. März 2019, § 3 TVG Rn. 9). Mitglied ist aber auch danach nicht der Betrieb (der Standort, die Niederlassung), sondern der Rechtsträger des Unternehmens (ausdrücklich etwa LAG Düsseldorf vom 27. April 2017 – 11 Sa 1322/15, juris Rn. 57; Löwisch/Rieble, 4. Aufl. 2017, § 3 TVG Rn. 73; Einfeldt/Groß in Grobys/Panzer-Heemeier, Stichwort-Kommentar Arbeitsrecht, 3. Aufl., 8. Edition, 2019, Tarifvertrag Rn. 31). Die von der Beklagten angestrengte Unterscheidung (Bl. 155 d. A.) zwischen dem Unternehmen als „Mitglied“ und der auf einzelne Betriebe beschränkte „Mitgliedschaft“ ist sprachlich und juristisch nicht gangbar. Wer Mitglied ist, begründet eine Mitgliedschaft (des Rechtsträgers), denn die „Mitgliedschaft bestimmt die Stellung einer Person infolge der Zugehörigkeit zu einem Verband“ (Leuschner in MüKo-BGB, 8. Aufl. 2018, § 38 BGB Rn. 2). Denkbar ist danach lediglich, dass nicht für jedes Mitglied alle Rechte und Pflichten der Mitgliedschaft – etwa die Tarifbindung – gleich und mit gleicher Reichweite ausgestaltet sind; die Art und Ausgestaltung der Mitgliedschaft kann unterschiedlich sein (zum Ganzen Merkt, ZfPW 2018, S. 300 ff.)
59 
b) An diesem rechtlichen Befund kann auch die Regelung des Tarifvertrages nichts ändern. Die Formulierung, wonach Betriebe oder Betriebsteile Mitglied im Arbeitgeberverband sein könnten, ist insoweit unscharf. Wörtlich verstanden hätte der Tarifvertrag keinen Anwendungsbereich, weil es keine Mitgliedschaft von Betrieben geben kann. Das ist ersichtlich weder gemeint noch gewollt. Es ist auch nicht die Funktion des Tarifvertrages, die Fragen der Mitgliedschaft zu regeln.
60 
Eine vergleichbare Regelung findet sich etwa auch in § 1, 1.1.2 des ERA-Manteltarifvertrags der Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Südbaden und auch Südwürttemberg-Hohenzollern („für alle Betriebe, die selbst oder deren Inhaber Mitglied des Verbandes (...) sind“), wohingegen der Entgelttarifvertrag rechtlich klarer, aber nach gebotener Auslegung doch gleichbedeutend formuliert („für alle Betriebe, deren Inhaber Mitglied des Verbandes (...) ist“).
61 
Gemeint ist ersichtlich sowohl im Falle der Metall- und Elektroindustrie als auch beim vorliegenden Tarifvertrag nur, dass der Geltungsbereich sich auf all jene Betriebe erstrecken sollen, für die (auch nach der Satzung des Arbeitgeberverbandes) eine Tarifbindung besteht. Regelmäßig wird das – fachlich – identisch sein mit der Mitgliedschaft des Rechtsträgers im Arbeitgeberverband; anders ist dies nur ausnahmsweise in den Fällen, in denen die Verbandssatzung eine betriebsbezogene Tarifbindung beinhaltet.
62 
c) Nachdem die Mitgliedschaft einzelner Betriebe ausscheidet, wäre allein denkbar, dass sich nach der Satzung des Arbeitgeberverbandes die Tarifbindung nicht auf alle Betriebe/Niederlassungen eines Mitgliedes erstrecken soll (offen lassend LAG Düsseldorf vom 27. April 2017 – 11 Sa 1322/15, juris Rn. 57). Insofern wird teilweise von einer „betriebsbezogenen Mitgliedschaft“ (auch etwa LAG Düsseldorf vom 27. April 2017 – 11 Sa 1322/15, juris Rn. 57; Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 2 TVG Rn. 333) gesprochen. Da, wie gerade ausgeführt, ein Betrieb nicht mitgliedsfähig ist und die Mitgliedschaft als solche zwar unterschiedlich geartet aber nicht „geteilt“ gedacht werden kann (Henssler/Moll/Bepler, Der Tarifvertrag, 2. Aufl. 2016, Teil 6, A., Rn. 8), scheint der Kammer diese Terminologie zumindest ungenau. Gemeint ist eine begrenzte Tarifbindung von Mitgliedern. Danach kann sich die Tarifbindung eines Mitglieds auf einzelne Betriebe beschränken oder auch einzelne Betriebe ausnehmen, sodass die Mitgliedschaft nicht vereinsrechtlich, aber im Sinne von § 3 Abs. 1 TVG, nur „teilweise“ bestünde (Henssler/Moll/Bepler, Der Tarifvertrag, 2. Aufl. 2016, Teil 6, A., Rn. 8). Das Unternehmen ist dann zwar „vollständig“ Mitglied im Arbeitgeberverband, allerdings teilweise mit und teilweise ohne Tarifbindung. Insoweit keine Tarifbindung besteht, kann von einer „OT-Mitgliedschaft“ gesprochen werden (Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 3 TVG Rn. 72 f.; Henssler/Moll/Bepler, Der Tarifvertrag, 2. Aufl. 2016, Teil 6, A., Rn. 8).
63 
Maßgeblich ist – wie auch sonst bei OT-Mitgliedschaften – ob die Satzung des Verbandes diese Möglichkeit bei einer auch im Übrigen zulässigen Ausgestaltung vorsieht (zu einer entsprechenden Satzungsregelung der Hessenchemie vgl. Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 3 TVG Rn. 73; dies., a. a. O., § 2 TVG Rn. 351; zur Auslegung des Tarifvertrages mit Blick auf eine OT-Mitgliedschaft siehe BAG vom 18. Juli 2006 – 1 ABR 36/05, juris Rn. 62 ff.). Die Satzung des AVSL sieht jedoch keine Ausnahme von der Tarifbindung für einzelne Betriebe vor. Das ergibt die Satzungsanalyse eindeutig.
64 
aa) Die Satzung des Arbeitgeberverbandes knüpft für die Mitgliedschaft an das Unternehmen an. Das ist, wie ausgeführt, nicht nur sprachlich eindeutig, sondern auch rechtlich unumgänglich. Insofern ist lediglich der Tarifvertrag sprachlich ungenau geraten, wenn dieser auch die Mitgliedschaft von Betrieben im Arbeitgeberverband vorsieht. Gemeint sein kann dort wie hier nicht die Mitgliedschaft rechtsunfähiger Organisationseinheiten in einem Verein. Die Möglichkeit einer „OT-Mitgliedschaft“ findet sich im Regelungszusammenhang zur Mitgliedschaft nicht.
65 
bb) Auch die Einrichtung von verschiedenen Tarifbezirken führt nicht zu der von der Beklagten begehrten begrenzten Tarifbindung.
66 
Die Satzung sieht die Unterscheidung nach verschiedenen Tarifbezirken vor, eine für Nordbaden/Württemberg und eine für Südbaden (Regierungsbezirk Südbaden in den Grenzen vom 1.1.1970). Die Funktion der Tarifbezirke ergibt sich aus § 4 Nr. 2 und Nr. 3 sowie § 9 der Satzung. Danach sind die Tarifbezirke für die sozial- und tarifpolitischen Interessen zuständig und bei der Vertretung der Interessen der Mitglieder, ihren Entschlüssen und ihren Handlungen selbstständig, können Ausschüsse zu aktuellen Themenstellungen einsetzen und haben einen eigenen Vorsitzenden und Stellvertreter. Insbesondere berufen sie auch die Mitglieder der Kommissionen für die Tarifverhandlungen.
67 
Insoweit sind die Tarifbezirke weitgehend verselbstständigt innerhalb des Verbandes zuständig letztlich für die Herbeiführung von Tarifverträgen, die für Mitglieder Wirkung entfalten. Es handelt sich um vereinsrechtlich unselbstständige Untergliederungen, die wesentliche Aufgaben der Tarifpolitik des Verbandes eigenständig wahrnehmen. Die Tarifbezirke bilden sich nach § 4 Nr. 1 der Satzung regional getrennt durch die „Mitgliedsfirmen“. Für die Zuordnung zum einen oder anderen Tarifbezirk soll nach der Satzung der „Sitz“ der „Mitgliedsfirma“ maßgeblich sein. Das führt nicht dazu, dass eine betriebsbezogene Tarifbindung (nebst teilweiser OT-Mitgliedschaft) im oben genannten Sinne herbeigeführt würde. Die Verwendung des Begriffs der „Mitgliedsfirma“ in § 4 Nr. 1 statt desjenigen des Unternehmens in § 3 Nr. 1 ist weniger von Bedeutung als die Frage, wie der „Sitz“ zu bestimmen ist, also auf welche örtliche Verankerung es ankommt.
68 
(1) Der Begriff der „Firma“ entspricht nicht dem eines „Betriebes“. Die Firma ist auch nicht das Unternehmen. Vielmehr ist die Firma (nur) der Name, die den Unternehmensträger und das Unternehmen miteinander verbindet (vgl. Heidinger in MüKo-HGB, 4. Aufl. 2016, § 17 HGB Rn. 4). Im Sinne des Begriffs des Unternehmens ist der Begriff der „Mitgliedsfirma“ in § 8 Nr. 6 der Satzung des AVSL zu lesen, nach der „Mitgliedsfirmen“ Geschäftsinhaber, gesetzliche Vertreter, Prokuristen oder Angestellte mit Vollmacht haben können. Das ist freilich dogmatisch nicht ganz zutreffend, da nicht die Firma (der Name) Zuordnungssubjekt für die Organe ist, sondern das Unternehmen.
69 
(2) Die Beklagte hebt zutreffend hervor, dass bei einem Unternehmenssitz außerhalb Baden-Württembergs – wie bei der Beklagten selbst – eine Zuordnung zu einem Tarifbezirk fehlschlagen würde, wenn der Unternehmenssitz maßgeblich sein müsste, da dieser Sitz örtlich weder in die Region Nordbaden/Württemberg noch in die Region Südbaden fiele. Das führt aber nicht dazu, dass den Mitgliedsunternehmen für jeden in Baden-Württemberg angesiedelten Betrieb ein Wahlrecht zukäme, ob sie einem Tarifbezirk beitreten – und eine Tarifbindung herbeiführen – wollen oder nicht. § 4 der Satzung sieht gerade nicht vor, dass die Zuordnung zu einem Tarifbezirk freiwillig im Sinne eines Beitritts oder einer Wahl oder Auswahl (Südbaden, Nordbaden/Württemberg, „keine“) durch das Mitglied erfolgen könnte. Vielmehr „gliedert“ sich der Verband und die Mitgliedsfirma „gehört“ einem Tarifbezirk an. Auch führt die Regelung nicht dazu, dass Fälle denkbar sind, in denen eine Zuordnung gleichsam automatisch gänzlich unterbleibt, also ein Mitglied weder dem Tarifbezirk Nordbaden/Württemberg noch dem Tarifbezirk Südbaden zugeschlagen wird. Im Gegenteil: Ersichtlich soll jedes – in Baden-Württemberg tätig werdende – Mitglied (zumindest) einer der beiden Tarifbezirke zugeordnet werden.
70 
(3) Für die Frage der „Mitgliedschaft“ im Sinne einer Zuordnung des Mitglieds zu einer Untergliederung des Vereins nach § 3 Nr. 1 kommt es auf das Unternehmen an. Das Unternehmen selbst wird einem – oder beiden (dazu unten) – Tarifbezirken zugeordnet. Der Sitz ist dabei jedoch nicht einheitlich für das Mitglied zu bestimmen; stattdessen ist auf die Belegenheit der jeweiligen Betriebe oder Betriebsabteilungen abzustellen, weil die Tarifbezirke durch die Tarifkommissionen Regelungen mit Wirkung für diese Betriebe und Betriebsabteilungen herbeiführen können. Da die Tarifbezirke – räumlich jeweils für ihre Bezirke – die Tarifverträge (weitgehend selbstständig) aushandeln, ist auch wegen des gebotenen Gleichlaufs von Verantwortung und Betroffenheit notwendig, dass für die Anknüpfung der Tarifbezirkszuordnung der jeweilige Tätigkeitsort, mithin also die betriebliche Wirkungsstätte maßgeblich ist. Das gilt freilich sowohl für nicht in Baden-Württemberg ansässige Unternehmen als auch für solche mit ihrem Unternehmenssitz in Baden-Württemberg.
71 
(a) Im Zusammenhang mit der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie wurde das Prinzip des „Gleichlaufs von Verantwortlichkeit und Betroffenheit“ entwickelt. Dieses erfordert eine „klare und eindeutige Trennung der Befugnisse von Mitgliedern mit und ohne Tarifbindung“. Mitglieder ohne Tarifbindung dürfen hinsichtlich der Tarifkommissionen und der sonstigen tarifpolitischen Angelegenheiten keinen Einfluss haben (BAG vom 21. Januar 2015 – 4 AZR 797/13, juris Rn. 18; BAG vom 15. Dezember 2010 – 4 AZR 256/09, juris Rn. 26; BAG vom 4. Juni 2008 – 4 AZR 419/07, juris Rn. 65; vgl. auch BVerfG vom 1. Dezember 2010 – 1 BvR 2593/09, juris Rn. 23; ferner BVerwG vom 23. März 2016 – 10 Ca 23/14, juris Rn. 24) .
72 
(b) Soweit die Satzung intern die Verantwortlichkeit auf weitgehend selbstständige Tarifbezirke verteilt, ist das Prinzip des Gleichlaufs von Verantwortung und Betroffenheit auch darauf zu übertragen (zur Mitwirkung bei der Auswahlentscheidung nur bei Betroffenheit von den „zu verhandelnden und abzuschließenden Tarifverträgen“ siehe BAG vom 21. Januar 2015 – 4 AZR 797/13, juris Rn. 20; zu einem „Fachgruppenmodell“ auch BAG vom 22. April 2009 – 4 AZR 111/08, juris Rn. 32 ff.).
73 
Danach muss es ausgeschlossen sein, dass Mitglieder, die nur von den Regelungen, die der eine Tarifbezirk aushandelt, betroffen sein wollen, in dem anderen Tarifbezirk mitwirken (allein für diesen Mitwirkungsausschluss etwa LAG Berlin-Brandenburg vom 7. Januar 2016 – 10 BVL 5005/15, juris Rn. 42).
74 
Jedenfalls bei einem mandatarischen Verständnis der Tarifautonomie (so etwa Picker, NZA 2002, S. 761 ff.; Lobinger/Hartmann, RdA 2006, S. 12, 14 f.; Lobinger/Hartmann, RdA 2010, S. 235 ff.; zur „kollektiv ausgeübten Privatautonomie“ auch BAG vom 14. Oktober 1997 – 7 AZR 298/96, juris Rn. 16; BAG vom 27. Juni 2018 – 10 AZR 190/17, juris Rn. 13) ist die Legitimation zudem zumindest deutlich stärker ausgeprägt und tragfähiger, wenn auch umgekehrt (positiv) die jeweiligen Regelungen durch die Mitglieder nicht nur einmalig durch den Verbandsbeitritt, sondern auch bei Zusammensetzung der Kommissionen und Hinwirkung auf die Verhandlungen und Ergebnisse im Sinne einer Selbstverantwortung (mit-)beeinflusst werden können. Das Mitglied wählt dann nicht nur seinen Vertreter, sondern kann auch das entscheidende Vertreterhandeln weiter mitbestimmen. Eine darüberhinausgehende Ermächtigung, die letztlich hinsichtlich der Tarifverhandlungen und Tarifvertragsergebnisse zu einer – nur noch einmalig autonom verursachten – Bevollmächtigung mit entmündigender Wirkung führen würde (vgl. hinsichtlich der Ewigkeitsbindung von Tarifverträgen auch Lobinger, JZ 2013, S. 915, 922), wird dem Verbandsbeitritt nicht beigemessen werden können und entspräche, wenn überhaupt zulässig, auch nicht einer interessengerechten Auslegung der Satzung.
75 
Mithin muss jedes Mitglied, unabhängig davon, ob der Sitz innerhalb oder außerhalb Baden-Württembergs liegt, in jedem Tarifbezirk mitwirken können, in denen es Betriebe hat, die von den ausgehandelten Tarifverträgen betroffen sind. Mitglieder mit Betrieben oder Betriebsteilen in Südbaden und Nordbaden/Württemberg sind dann beiden Tarifbezirken zuzuordnen. Eine Zuordnung nur zu einem Tarifbezirk – und Mitwirkungsmöglichkeit in diesem – genügt nicht, um eine Tarifbindung an Tarifverträge, die durch den anderen Tarifbezirk (weitgehend selbstständig) ausgehandelt wurden, zu legitimieren. Umgekehrt muss eine Mitwirkung in dem Tarifbezirk, der keine für das jeweilige Mitglied erhebliche Regelung herbeiführt, ausgeschlossen sein.
76 
Die Unterscheidung nach dem „Sitz der Mitgliedsfirma“ ist daher dahingehend auszulegen, dass für die Zuordnung zu einem Tarifbezirk der Sitz eines Betriebs oder auch Betriebsteils maßgeblich ist. Das sichert die Nichtmitwirkung bei Regelungen, die keine Wirkung für das Mitglied entfalten können und sollen und andererseits auch die Mitwirkung in den Bereichen, in denen dies (räumlich) der Fall ist. Diese Auslegung ist nicht nur erkennbar sinnvoll und entspricht einer möglichst umfassend gewährleisteten Legitimationswirkung, sondern gewährleistet auch den notwendigen Gleichlauf von Verantwortung und Betroffenheit. Sprachlich ist es überdies möglich, die Mitgliedschaft im „zuständigen Tarifbezirk“ auch dahingehend zu verstehen, dass bei doppelter „Zuständigkeit“ auch eine doppelte „Angehörigkeit“ in den Tarifbezirken erfolgt, was eine Mitwirkung in beiden Tarifbezirken, soweit geboten, sichert.
77 
cc) Zuzugeben ist, dass die Beklagte und der AVSL offenbar nicht von diesem Begriffsverständnis ausgegangen sind, sondern einzelne Betriebe bzw. (sogar) einzelne Niederlassungen für mitgliedsfähig gehalten haben und von einer dahingehenden begrenzten Tarifbindung ausgegangen sind. Dieser Rechtsirrtum, der in der Satzung nicht angelegt ist, führt allerdings nicht zum Entfall der Tarifbindung für die Beklagte. Entscheidend ist die rechtliche Einflussnahmemöglichkeit auf den jeweiligen Tarifabschluss, nicht die tatsächliche Ausübung von Einfluss. Hinzu kommt, dass wegen der – vermeintlichen – „betriebsbezogenen Mitgliedschaft“ der Niederlassung in K. die Beklagte Mitwirkungsmöglichkeiten im Tarifbezirk Nordbaden/Württemberg tatsächlich hatte. Die Tarifbindung ist mithin auch insoweit tatsächlich autonom legitimiert.
78 
d) Nachdem der Standort in Deißlingen von der Tarifbindung unmittelbar erfasst ist, kommt es auch insoweit nicht darauf an, ob er als (unselbstständige) Betriebsabteilung dem – auch nach Auffassung der Beklagten der Tarifbindung unterfallendem – Standort K. zuzuordnen wäre.
79 
4. Hinsichtlich der maßgeblichen Lohngruppe 3 besteht zwischen den Parteien kein Streit. Nach dem Tarifvertrag kann der Kläger als monatliches Bruttoentgelt 2.640 EUR (ab April 2019: 2.709 EUR) verlangen. Nachdem der Kläger auch seit mehr als sechs Jahren dem Betrieb angehört hat er darüber hinaus Anspruch auf die Betriebszugehörigkeitszulage aus § 3 Buchst. e in Höhe von 110 EUR monatlich.
80 
Geltend gemacht hat der Kläger gerichtlich (nur) die Zahlung der Vergütungsdifferenz zur Lohngruppe 3 für die Monate Mai 2018 bis Januar 2019 und die Betriebszugehörigkeitszulage für Januar 2019. Der Anspruch auf Zahlung der Vergütungsdifferenz ist insoweit erloschen, als der Kläger die tarifliche Ausschlussfrist nicht beachtet hat.
81 
a) Die Ausschlussfrist beginnt nach § 20 MTV BW mit der Fälligkeit des Anspruchs und ist zweistufig (außergerichtlich und gerichtlich) mit je einer Dauer von drei Monaten ausgestaltet. Der Tarifvertrag beinhaltet keine eigene Fälligkeitsregelung für die Vergütungsansprüche, sondern verweist auf die betriebliche Regelung (§ 3 Nr. 6 MTV BW). Hinsichtlich einer allgemeinen betrieblichen Regelung wurde nichts vorgetragen, sodass auf die Fälligkeitsregelung im Arbeitsvertrag zurückzugreifen ist. Diese sieht – zugunsten des Klägers – eine von § 614 BGB dahingehend abweichende Regelung vor, dass die Vergütung am Monatsende, also zum Letzten eines Monats, fällig ist.
82 
b) Der Kläger hat für die Monate Mai bis Juli 2018 seine Forderungen mit Schreiben vom 24. August innerhalb der ersten Stufe geltend gemacht. Nachdem die Ablehnung durch die Beklagte am 20. September 2018 erfolgte, wäre, auch bei erst kurz danach erfolgtem Zugang, eine Klageerhebung noch im Dezember 2018 erforderlich gewesen. Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Beklagte den Anspruch zuletzt erst mit am 11. Oktober 2018 zugegangenen Schreiben abgelehnt hat. Die nochmalige Ablehnung lässt die Ausschlussfrist nicht neu beginnen. Nachdem im Schreiben vom 20. September 2018 der Anspruch ausdrücklich und vorbehaltlos zurückgewiesen wurde, war die Ausschlussfrist auch nicht vorübergehend wegen Vergleichsverhandlungen gehemmt (dazu BAG vom 20. Juni 2018 – 5 AZR 262/17).
83 
c) Für die Monate August und September 2018 hat der Kläger die erste Stufe der Ausschlussfrist nicht gewahrt. Die Ansprüche wurden außergerichtlich nicht geltend gemacht, die Klageschrift ging der Beklagten am 15. Januar 2019 zu (zur Nichtanwendung von § 167 ZPO vgl. BAG vom 16. März 2016 – 4 AZR 421/15). Damit konnte nur die Ausschlussfrist für Vergütungsansprüche ab Oktober 2018 gewahrt werden.
84 
Auch genügte nicht etwa die Geltendmachung der Ansprüche für Mai bis Juli 2018 für die folgenden Monate, auch wenn der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt. Die teilweise verwendete Regelung, dass für denselben Sachverhalt die einmalige Geltendmachung des Anspruchs auch für später fällig werdende Leistungen ausreicht (dazu vgl. BAG vom 27. Februar 2014 – 6 AZR 988/11, juris Rn. 39; BAG vom 17. Mai 2001 – 8 AZR 366/00, juris Rn. 29) findet sich in § 20 MTV BW nicht.
85 
d) Für Oktober 2018 bis Dezember 2018 beläuft sich die Vergütungsdifferenz auf 56 EUR monatlich, insgesamt also auf 168 EUR. Für Januar 2019 wurde neben der Vergütungsdifferenz auch die Betriebszugehörigkeitszulage in Höhe von 110 EUR verlangt, sodass die Differenz hier 156 EUR beträgt.
86 
5. Für die Vergütungsdifferenzen von Oktober 2018 bis Dezember 2018 begehrt der Kläger Zinsen seit Rechtshängigkeit. Der Anspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Nachdem die Klage hinsichtlich dieser Forderungen am 15. Januar 2019 zugestellt wurde, ist die Verzinsungspflicht in entsprechender Anwendung von § 187 Abs. 1 BGB am Folgetag eingetreten (BAG vom 21. März 2018 – 5 AZR 862/16, juris Rn. 47; BGH vom 4. Juli 2017 – XI ZR 562/15, juris Rn. 103).
87 
Hinsichtlich der Vergütungsforderung für Januar 2019 begehrt der Kläger Zinsen zu Recht ab 1. Februar 2019. Nachdem die Fälligkeit aufgrund der arbeitsvertraglichen Regelung jeweils am Monatsletzten eingetreten ist, befand sich die Beklagte, deren Verschulden hinsichtlich der Nichtleistung nach § 286 Abs. 4 BGB zu vermuten ist, ohne Mahnung gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB ab diesem Zeitpunkt in Verzug. Die Verzinsungspflicht des § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB ist in entsprechender Anwendung von § 187 Abs. 1 BGB am Folgetag der Fälligkeit (1. des Folgemonats) eingetreten (vgl. BAG vom 8. Mai 2014 – 6 AZR 465/12, juris Rn. 26; OLG Stuttgart vom 17. November 2016 – 7 U 34/16, juris Rn. 33; Dornis in BeckOGK, Stand 1. September 2018, § 288 BGB Rn. 52).
III.
88 
1. Die Festsetzung des Rechtsmittelstreitwerts beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG und berechnet sich gemäß § 3 ZPO in Höhe der bezifferten Forderungen (vgl. Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 3 ZPO Rn. 3).
89 
2. Die Kosten des Rechtsstreits waren nach § 46 Abs. 1 Satz 1 ArbGG i. V. m. 92 Abs. 1 ZPO verhältnismäßig zu teilen. Soweit die Ausschlussfrist der Klageforderung entgegensteht, unterliegt der Kläger (316 EUR), im Übrigen obsiegt er (334 EUR). Daraus ermittelt sich eine Kostenlast von – gerundet – 49 % beim Kläger und 51 % bei der Beklagten.
90 
3. Die Berufung war gesondert zuzulassen (§ 64 Abs. 3a Satz 1 ArbGG), weil die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten über die Auslegung eines Tarifvertrages betrifft, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen hinaus erstreckt (§ 64 Abs. 3 Buchst. b ArbGG) und darüber hinaus für die Frage der Tarifbindung bei entsprechender Satzungsgestaltung grundsätzliche Bedeutung hat (§ 64 Abs. 3 Buchst. a ArbGG).

Gründe

 
40 
Die zulässige Klage ist zum Teil begründet.
I.
41 
Die Klage ist zulässig. Das Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG sachlich und gemäß § 48 Abs. 1a Satz 1 ArbGG örtlich zuständig, nachdem der Kläger seine Arbeitsleistung in Deißlingen erbringt.
II.
42 
Die Klage ist teilweise begründet. Der Kläger hat Anspruch auf eine Vergütung nach dem Tarifvertrag über Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen zwischen dem AVSL und ver.di vom 15. Mai 2018. Dieser findet auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Allerdings wurde für die Monate Mai bis September 2018 die tarifliche Ausschlussfrist nicht gewahrt, sodass der Anspruch insoweit verfallen ist.
43 
1. Kläger ist tarifgebunden. Er hat eine Bestätigung seiner Mitgliedschaft bei ver.di vorgelegt (Bl. 107 d. A.), deren Richtigkeit die Beklagte nicht in Zweifel gezogen hat.
44 
2. Der Tarifvertrag ist räumlich anwendbar. Deißlingen gehörte niemals dem Regierungsbezirk Südbaden an.
45 
a) Zwar bezeichnet der maßgebliche Tarifvertrag den Bereich Südbaden nicht als den Regierungsbezirk, sondern als einen „Tarifbezirk“, ohne diesen näher zu spezifizieren. Festzustellen ist jedoch, dass die weiteren Tarifverträge (Lohn und Gehalt) zwischen dem AVSL und ver.di hinsichtlich des Bezirks Südbaden an die Grenzen des Regierungsbezirks vom 1. Januar 1970 anknüpfen. Es drängt sich auf, dass die Tarifvertragsparteien zwei Tarifverträge schließen wollten, die sich räumlich weder überschneiden noch einen ungeregelten Bereich überlassen. Ferner wurde der Begriff „Tarifbezirk“ vermutlich § 4 der Satzung des AVSL entnommen, sodass diese zur Auslegung heranzuziehen ist. Diese stellt in § 4 Nr. 1 Buchst. b) für die Definition und Umgrenzung des Tarifbezirks Südbaden auf die Grenzen des Regierungsbezirks Südbaden vom 1. Januar 1970 ab. Zudem ist weder eine andere Grenzziehung als die des Regierungsbezirks noch ist ein anderes Grenzziehungsdatum ersichtlich. Auch etwa die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie knüpfen für die Bestimmung des Regierungsbezirks Südbaden an den 1. Januar 1970 an (vgl. etwa § 1, 1.1.1 ERA-MTV Südbaden). Demgegenüber wird in dieser Branche (nur) für den Regierungsbezirk Südwürttemberg-Hohenzollern an den Bestand vom 25. März 1971 angeknüpft (vgl. § 1, 1.1.1 MTV Südwürttemberg-Hohenzollern; beides erfassend etwa § 1, 1.1.1 des Urlaubsabkommens), ohne dass damit (historisch) ein relevanter Unterschied bestehen dürfte.
46 
b) Jedenfalls für die Gemeinde Deißlingen ergibt sich nach allen denkbaren Stichtagen eine Zugehörigkeit zum Landkreis (Kreis, Oberamt) Rottweil und damit zum Regierungsbezirk Südwürttemberg-Hohenzollern.
47 
Der Kläger hat eine Mitteilung eines Mitarbeiters der Gemeinde Deißlingen vorgelegt, nach der die Gemeinde Deißlingen wie der gesamte Landkreis Rottweil zum württembergischen Landesgebiet gehört hätten und bis zur Kreisreform dem Regierungspräsidium Tübingen (also dem Regierungsbezirk Südwürttemberg-Hohenzollern) zugeordnet gewesen sei. Diese Zuordnung wurde von der Beklagten bestritten. Sie lässt sich aber historisch eindeutig belegen (vgl. neben den unter www.verfassungen.de und auf der Seite der Staatsbibliothek zu Berlin abrufbaren Originalquellen zum Folgenden auch Redecker/Schöntag in: Historischer Atlas von Baden-Württemberg, Erläuterungen, Verwaltungsgliederung in Baden, Württemberg und Hohenzollern 1815-1936).
48 
aa) Nach § 22 des Organisations-Manifests vom 18. März 1806 (Königlich-Württembergisches Staats- und Regierungsblatt, 1806, S. 11, 16) gehörte der Kreis Rottweil als „9. Kreis“ zum Königreich Württemberg. Aufgrund Königlichen Manifests die neue Eintheilung des Königreichs betreffend vom 27. Oktober 1810 (Königlich-Württembergisches Staats- und Regierungsblatt, 1810, Nr. 53, S. 546 unten mit Verweis auf die Beilage, dort abgedruckt) erfolgte eine neue Gliederung, nach der das Königreich aus zwölf Landvogteien (Departements) bestand. Zur Landvogtei am Obern Neckar zählte das „Oberamt“ Rottweil. Zu diesem gehörte auch der „Amtsort“ Deißlingen.
49 
Eine weitere Neugliederung fand durch das Edikt über die Eintheilung des Königreichs in vier Verwaltungs-Bezirke vom 18. November 1817 (Königlich-Württembergisches Staats- und Regierungsblatt, 1817, Nr. 70, IV, S. 541, abgedruckt in der Beilage) statt. Nach § 1 wurden vier Kreise gebildet, wobei gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 zum Schwarzwald-Kreis das Oberamt Rottweil zählte. Nach § 64 der Verfassung für das Königreich Württemberg vom 25. September 1819 (Königlich-Württembergisches Staats- und Regierungsblatt, 1819, Nr. 65, S. 633, 646) gehören dann zu den Oberämtern die Gemeinden. Die Zuordnung der Gemeinde Deißlingen als neuwürttembergischer Bestandteil zum Oberamt Rottweil ist auch durch Sekundärquellen belegt (Beschreibung des Oberamts Rottweil, in: Beschreibung des Königreichs Württemberg, hrsg. vom statistisch-topographischen Bureau, Finanzrath v. Paulus, Band 56, Stuttgart 1875, S. 3 und Ortsbeschreibung auf S. 352 ff.).
50 
bb) 1919 wurde Württemberg zu einem Glied des Deutschen Reiches. Nach § 2 Abs. 1 der Verfassung des freien Volksstaates Württemberg vom 20. Mai 1919 (gleichlautend die Verfassung Württembergs vom 25. September 1919) bildeten die Landesteile Württembergs in ihrem gegenwärtigen Bestande das neue Staatsgebiet. Mit Verordnung des Staatsministeriums über die Aufhebung der Kreisregierungen vom 10. März 1924 wurden die vier Kreisregierungen aufgehoben, die Oberämter blieben bestehen. Durch Art. 1 Abs. 1 der Kreisordnung vom 29. Januar 1934 erhielt das Oberamt die Bezeichnung Kreis (Regierungsblatt für Württemberg, 1934, Nr. 7, S. 51). Nach Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Landeseinteilung vom 25. April 1938 blieb der Kreis Rottweil bestehen und wurde erweitert (Regierungsblatt für Württemberg, 1938, Nr. 9, S. 155). Er erhielt aufgrund § 1 Abs. 3 der Dritten Verordnung über den Neuaufbau des Reichs vom 28. November 1938 (RGBl. 1938 I, S. 1675) die Bezeichnung als Landkreis.
51 
cc) Mit Verfügung Nr. 10 des französischen Oberbefehlshabers in Deutschland über die Organisation des Oberregierungspräsidiums Württemberg vom 26. September 1945 (Journal Officiel du Commandement en Chef Francais, 1945, Ausgabe 4, S. 22 f.) gehörte der Landkreis Rottweil zu Württemberg und nach Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 i. V. m. der Anlage der Verfassung vom 18. Mai 1947 zum Land Württemberg-Hohenzollern. Die Kreisordnung für Württemberg-Hohenzollern vom 22. Dezember 1948 ließ die Zuordnung der Gemeinden zu den Landkreisen unberührt. Das Land Württemberg-Hohenzollern wurde durch Art. 1 des Gesetzes über die vorläufige Ausübung der Staatsgewalt im südwestdeutschen Bundesland vom 15. Mai 1952 (GBl. 1952, S. 3) mit Baden und Württemberg-Baden zum Land Baden-Württemberg zusammengeführt und gab sich am 11. November 1953 eine Verfassung (GBl. 1953, S. 173).
52 
Die Landkreisordnung vom 10. Oktober 1955 (GBl. 1955, S. 207 ff.) hat die Zugehörigkeit Deißlingens zum Landkreis Rottweil weiterhin nicht geändert. Das Landesverwaltungsgesetz vom 7. November 1955 (GBl. 1955, S. 226) regelte die Zuordnung der Landkreise zu den Regierungsbezirken. Während der Landkreis Villingen zum Regierungsbezirk Südbaden gehörte, gehörte der Landkreis Rottweil zum Regierungsbezirk Südwürttemberg-Hohenzollern (§§ 10 f. LVG).
53 
dd) Zum 1. Januar 1973 trat aufgrund des Kreisreformgesetzes vom 26. Juli 1971 (KreisRefG, GBl. 1971, S. 314 ff.) die Kreisgebietsreform in Kraft. Durch diese wurden die Regierungspräsidien und die Landkreise aufgelöst und neu geordnet. Der frühere Landkreis Villingen wurde aufgelöst, Rechtsnachfolger wurde der Schwarzwald-Baar-Kreis, der Landkreis Rottweil behielt seinen Namen (§ 5 KreisRefG). Beide Landkreise gehören seitdem zum Regierungsbezirk Freiburg (§ 26 KreisRefG hat das LVG entsprechend geändert).
54 
Zwar wurde Deißlingen im Zuge der Kreisreform ab 1. Januar 1973 (kurzzeitig) dem Schwarzwald-Baar-Kreis zugeordnet (§ 3 Nr. 24 Buchst. a, 26 Buchst. c KreisRefG) und dann erst am 1. Januar 1974 mit der Gemeinde Lauffen ob Rottweil vereinigt und wieder dem Landkreis Rottweil zugeschlagen (GABl. 1974, S. 79).
55 
Bis zum 31. Dezember 1972 gehörte Deißlingen jedoch, wie historisch nachvollzogen, jederzeit – wie nun wieder – zum Landkreis Rottweil. Zum 31. Dezember 1972 endete auch die Existenz des Regierungsbezirks Südbaden, dem Deißlingen daher zu keiner Zeit angehörte.
56 
c) Auf die Frage, ob eine Tarifbindung auch deshalb in Betracht kommen könnte, weil der Standort in Deißlingen als (unselbstständige) Betriebsabteilung dem Standort K. zuzuordnen wäre, kommt es damit nicht an. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der Tarifvertrag – fachlich – auch auf „Betriebsabteilungen“ abstellt, sodass letztlich die Frage der Zuordnung einer Betriebsabteilung zu einem Betrieb wohl nicht entscheidend ist, sondern der Standort der Betriebsabteilung selbst maßgeblicher Anknüpfungspunkt sein dürfte.
57 
3. Die Beklagte ist Mitglied im tarifschließenden Arbeitgeberverband. Auch der Betrieb in Deißlingen unterliegt der Tarifbindung.
58 
a) Die Beklagte ist Mitglied im Arbeitgeberverband. Die Beklagte selbst geht ebenfalls von einer Mitgliedschaft aus, allerdings nur von einer solchen des „Standortes“ bzw. der „Niederlassung“ K. Die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ist jedoch nicht nur nach der Satzung – dazu sogleich – sondern auch nach allgemeinen Grundsätzen für solche rechtlich nicht handlungsfähigen Gebilde nicht möglich. „Mitgliedsfähigkeit“ setzt regelmäßig Rechtsfähigkeit voraus (LAG Düsseldorf vom 27. April 2017 – 11 Sa 1322/15, juris Rn. 57, 61; Kören in BeckOGK, Stand 1. April 2019, § 38 BGB Rn. 42; Leschner in MüKo-BGB, 8. Aufl. 2018, § 38 BGB Rn. 10; Klumpp in MüHdBArbR, 4. Aufl. 2019, § 245 Rn. 20). Soweit davon abweichend auch eine „Teilrechtsfähigkeit“ genügen soll, ist damit gemeint, dass nicht lediglich natürliche und juristische Personen, sondern auch nicht-rechtsfähige Vereine, Personenhandelsgesellschaften und BGB-Gesellschaften, die sämtlich heute ohnehin verbreitet als rechtsfähig anerkannt werden, als Rechtsträger Mitglied werden können (dazu Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 3 TVG Rn. 43 ff.; Rieble in MÜHdbArbR, 4. Aufl. 2019, § 224 Rn. 1; Giesen in BeckOK-ArbR, 51. Edition vom 1. März 2019, § 3 TVG Rn. 9). Mitglied ist aber auch danach nicht der Betrieb (der Standort, die Niederlassung), sondern der Rechtsträger des Unternehmens (ausdrücklich etwa LAG Düsseldorf vom 27. April 2017 – 11 Sa 1322/15, juris Rn. 57; Löwisch/Rieble, 4. Aufl. 2017, § 3 TVG Rn. 73; Einfeldt/Groß in Grobys/Panzer-Heemeier, Stichwort-Kommentar Arbeitsrecht, 3. Aufl., 8. Edition, 2019, Tarifvertrag Rn. 31). Die von der Beklagten angestrengte Unterscheidung (Bl. 155 d. A.) zwischen dem Unternehmen als „Mitglied“ und der auf einzelne Betriebe beschränkte „Mitgliedschaft“ ist sprachlich und juristisch nicht gangbar. Wer Mitglied ist, begründet eine Mitgliedschaft (des Rechtsträgers), denn die „Mitgliedschaft bestimmt die Stellung einer Person infolge der Zugehörigkeit zu einem Verband“ (Leuschner in MüKo-BGB, 8. Aufl. 2018, § 38 BGB Rn. 2). Denkbar ist danach lediglich, dass nicht für jedes Mitglied alle Rechte und Pflichten der Mitgliedschaft – etwa die Tarifbindung – gleich und mit gleicher Reichweite ausgestaltet sind; die Art und Ausgestaltung der Mitgliedschaft kann unterschiedlich sein (zum Ganzen Merkt, ZfPW 2018, S. 300 ff.)
59 
b) An diesem rechtlichen Befund kann auch die Regelung des Tarifvertrages nichts ändern. Die Formulierung, wonach Betriebe oder Betriebsteile Mitglied im Arbeitgeberverband sein könnten, ist insoweit unscharf. Wörtlich verstanden hätte der Tarifvertrag keinen Anwendungsbereich, weil es keine Mitgliedschaft von Betrieben geben kann. Das ist ersichtlich weder gemeint noch gewollt. Es ist auch nicht die Funktion des Tarifvertrages, die Fragen der Mitgliedschaft zu regeln.
60 
Eine vergleichbare Regelung findet sich etwa auch in § 1, 1.1.2 des ERA-Manteltarifvertrags der Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Südbaden und auch Südwürttemberg-Hohenzollern („für alle Betriebe, die selbst oder deren Inhaber Mitglied des Verbandes (...) sind“), wohingegen der Entgelttarifvertrag rechtlich klarer, aber nach gebotener Auslegung doch gleichbedeutend formuliert („für alle Betriebe, deren Inhaber Mitglied des Verbandes (...) ist“).
61 
Gemeint ist ersichtlich sowohl im Falle der Metall- und Elektroindustrie als auch beim vorliegenden Tarifvertrag nur, dass der Geltungsbereich sich auf all jene Betriebe erstrecken sollen, für die (auch nach der Satzung des Arbeitgeberverbandes) eine Tarifbindung besteht. Regelmäßig wird das – fachlich – identisch sein mit der Mitgliedschaft des Rechtsträgers im Arbeitgeberverband; anders ist dies nur ausnahmsweise in den Fällen, in denen die Verbandssatzung eine betriebsbezogene Tarifbindung beinhaltet.
62 
c) Nachdem die Mitgliedschaft einzelner Betriebe ausscheidet, wäre allein denkbar, dass sich nach der Satzung des Arbeitgeberverbandes die Tarifbindung nicht auf alle Betriebe/Niederlassungen eines Mitgliedes erstrecken soll (offen lassend LAG Düsseldorf vom 27. April 2017 – 11 Sa 1322/15, juris Rn. 57). Insofern wird teilweise von einer „betriebsbezogenen Mitgliedschaft“ (auch etwa LAG Düsseldorf vom 27. April 2017 – 11 Sa 1322/15, juris Rn. 57; Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 2 TVG Rn. 333) gesprochen. Da, wie gerade ausgeführt, ein Betrieb nicht mitgliedsfähig ist und die Mitgliedschaft als solche zwar unterschiedlich geartet aber nicht „geteilt“ gedacht werden kann (Henssler/Moll/Bepler, Der Tarifvertrag, 2. Aufl. 2016, Teil 6, A., Rn. 8), scheint der Kammer diese Terminologie zumindest ungenau. Gemeint ist eine begrenzte Tarifbindung von Mitgliedern. Danach kann sich die Tarifbindung eines Mitglieds auf einzelne Betriebe beschränken oder auch einzelne Betriebe ausnehmen, sodass die Mitgliedschaft nicht vereinsrechtlich, aber im Sinne von § 3 Abs. 1 TVG, nur „teilweise“ bestünde (Henssler/Moll/Bepler, Der Tarifvertrag, 2. Aufl. 2016, Teil 6, A., Rn. 8). Das Unternehmen ist dann zwar „vollständig“ Mitglied im Arbeitgeberverband, allerdings teilweise mit und teilweise ohne Tarifbindung. Insoweit keine Tarifbindung besteht, kann von einer „OT-Mitgliedschaft“ gesprochen werden (Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 3 TVG Rn. 72 f.; Henssler/Moll/Bepler, Der Tarifvertrag, 2. Aufl. 2016, Teil 6, A., Rn. 8).
63 
Maßgeblich ist – wie auch sonst bei OT-Mitgliedschaften – ob die Satzung des Verbandes diese Möglichkeit bei einer auch im Übrigen zulässigen Ausgestaltung vorsieht (zu einer entsprechenden Satzungsregelung der Hessenchemie vgl. Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 3 TVG Rn. 73; dies., a. a. O., § 2 TVG Rn. 351; zur Auslegung des Tarifvertrages mit Blick auf eine OT-Mitgliedschaft siehe BAG vom 18. Juli 2006 – 1 ABR 36/05, juris Rn. 62 ff.). Die Satzung des AVSL sieht jedoch keine Ausnahme von der Tarifbindung für einzelne Betriebe vor. Das ergibt die Satzungsanalyse eindeutig.
64 
aa) Die Satzung des Arbeitgeberverbandes knüpft für die Mitgliedschaft an das Unternehmen an. Das ist, wie ausgeführt, nicht nur sprachlich eindeutig, sondern auch rechtlich unumgänglich. Insofern ist lediglich der Tarifvertrag sprachlich ungenau geraten, wenn dieser auch die Mitgliedschaft von Betrieben im Arbeitgeberverband vorsieht. Gemeint sein kann dort wie hier nicht die Mitgliedschaft rechtsunfähiger Organisationseinheiten in einem Verein. Die Möglichkeit einer „OT-Mitgliedschaft“ findet sich im Regelungszusammenhang zur Mitgliedschaft nicht.
65 
bb) Auch die Einrichtung von verschiedenen Tarifbezirken führt nicht zu der von der Beklagten begehrten begrenzten Tarifbindung.
66 
Die Satzung sieht die Unterscheidung nach verschiedenen Tarifbezirken vor, eine für Nordbaden/Württemberg und eine für Südbaden (Regierungsbezirk Südbaden in den Grenzen vom 1.1.1970). Die Funktion der Tarifbezirke ergibt sich aus § 4 Nr. 2 und Nr. 3 sowie § 9 der Satzung. Danach sind die Tarifbezirke für die sozial- und tarifpolitischen Interessen zuständig und bei der Vertretung der Interessen der Mitglieder, ihren Entschlüssen und ihren Handlungen selbstständig, können Ausschüsse zu aktuellen Themenstellungen einsetzen und haben einen eigenen Vorsitzenden und Stellvertreter. Insbesondere berufen sie auch die Mitglieder der Kommissionen für die Tarifverhandlungen.
67 
Insoweit sind die Tarifbezirke weitgehend verselbstständigt innerhalb des Verbandes zuständig letztlich für die Herbeiführung von Tarifverträgen, die für Mitglieder Wirkung entfalten. Es handelt sich um vereinsrechtlich unselbstständige Untergliederungen, die wesentliche Aufgaben der Tarifpolitik des Verbandes eigenständig wahrnehmen. Die Tarifbezirke bilden sich nach § 4 Nr. 1 der Satzung regional getrennt durch die „Mitgliedsfirmen“. Für die Zuordnung zum einen oder anderen Tarifbezirk soll nach der Satzung der „Sitz“ der „Mitgliedsfirma“ maßgeblich sein. Das führt nicht dazu, dass eine betriebsbezogene Tarifbindung (nebst teilweiser OT-Mitgliedschaft) im oben genannten Sinne herbeigeführt würde. Die Verwendung des Begriffs der „Mitgliedsfirma“ in § 4 Nr. 1 statt desjenigen des Unternehmens in § 3 Nr. 1 ist weniger von Bedeutung als die Frage, wie der „Sitz“ zu bestimmen ist, also auf welche örtliche Verankerung es ankommt.
68 
(1) Der Begriff der „Firma“ entspricht nicht dem eines „Betriebes“. Die Firma ist auch nicht das Unternehmen. Vielmehr ist die Firma (nur) der Name, die den Unternehmensträger und das Unternehmen miteinander verbindet (vgl. Heidinger in MüKo-HGB, 4. Aufl. 2016, § 17 HGB Rn. 4). Im Sinne des Begriffs des Unternehmens ist der Begriff der „Mitgliedsfirma“ in § 8 Nr. 6 der Satzung des AVSL zu lesen, nach der „Mitgliedsfirmen“ Geschäftsinhaber, gesetzliche Vertreter, Prokuristen oder Angestellte mit Vollmacht haben können. Das ist freilich dogmatisch nicht ganz zutreffend, da nicht die Firma (der Name) Zuordnungssubjekt für die Organe ist, sondern das Unternehmen.
69 
(2) Die Beklagte hebt zutreffend hervor, dass bei einem Unternehmenssitz außerhalb Baden-Württembergs – wie bei der Beklagten selbst – eine Zuordnung zu einem Tarifbezirk fehlschlagen würde, wenn der Unternehmenssitz maßgeblich sein müsste, da dieser Sitz örtlich weder in die Region Nordbaden/Württemberg noch in die Region Südbaden fiele. Das führt aber nicht dazu, dass den Mitgliedsunternehmen für jeden in Baden-Württemberg angesiedelten Betrieb ein Wahlrecht zukäme, ob sie einem Tarifbezirk beitreten – und eine Tarifbindung herbeiführen – wollen oder nicht. § 4 der Satzung sieht gerade nicht vor, dass die Zuordnung zu einem Tarifbezirk freiwillig im Sinne eines Beitritts oder einer Wahl oder Auswahl (Südbaden, Nordbaden/Württemberg, „keine“) durch das Mitglied erfolgen könnte. Vielmehr „gliedert“ sich der Verband und die Mitgliedsfirma „gehört“ einem Tarifbezirk an. Auch führt die Regelung nicht dazu, dass Fälle denkbar sind, in denen eine Zuordnung gleichsam automatisch gänzlich unterbleibt, also ein Mitglied weder dem Tarifbezirk Nordbaden/Württemberg noch dem Tarifbezirk Südbaden zugeschlagen wird. Im Gegenteil: Ersichtlich soll jedes – in Baden-Württemberg tätig werdende – Mitglied (zumindest) einer der beiden Tarifbezirke zugeordnet werden.
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(3) Für die Frage der „Mitgliedschaft“ im Sinne einer Zuordnung des Mitglieds zu einer Untergliederung des Vereins nach § 3 Nr. 1 kommt es auf das Unternehmen an. Das Unternehmen selbst wird einem – oder beiden (dazu unten) – Tarifbezirken zugeordnet. Der Sitz ist dabei jedoch nicht einheitlich für das Mitglied zu bestimmen; stattdessen ist auf die Belegenheit der jeweiligen Betriebe oder Betriebsabteilungen abzustellen, weil die Tarifbezirke durch die Tarifkommissionen Regelungen mit Wirkung für diese Betriebe und Betriebsabteilungen herbeiführen können. Da die Tarifbezirke – räumlich jeweils für ihre Bezirke – die Tarifverträge (weitgehend selbstständig) aushandeln, ist auch wegen des gebotenen Gleichlaufs von Verantwortung und Betroffenheit notwendig, dass für die Anknüpfung der Tarifbezirkszuordnung der jeweilige Tätigkeitsort, mithin also die betriebliche Wirkungsstätte maßgeblich ist. Das gilt freilich sowohl für nicht in Baden-Württemberg ansässige Unternehmen als auch für solche mit ihrem Unternehmenssitz in Baden-Württemberg.
71 
(a) Im Zusammenhang mit der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie wurde das Prinzip des „Gleichlaufs von Verantwortlichkeit und Betroffenheit“ entwickelt. Dieses erfordert eine „klare und eindeutige Trennung der Befugnisse von Mitgliedern mit und ohne Tarifbindung“. Mitglieder ohne Tarifbindung dürfen hinsichtlich der Tarifkommissionen und der sonstigen tarifpolitischen Angelegenheiten keinen Einfluss haben (BAG vom 21. Januar 2015 – 4 AZR 797/13, juris Rn. 18; BAG vom 15. Dezember 2010 – 4 AZR 256/09, juris Rn. 26; BAG vom 4. Juni 2008 – 4 AZR 419/07, juris Rn. 65; vgl. auch BVerfG vom 1. Dezember 2010 – 1 BvR 2593/09, juris Rn. 23; ferner BVerwG vom 23. März 2016 – 10 Ca 23/14, juris Rn. 24) .
72 
(b) Soweit die Satzung intern die Verantwortlichkeit auf weitgehend selbstständige Tarifbezirke verteilt, ist das Prinzip des Gleichlaufs von Verantwortung und Betroffenheit auch darauf zu übertragen (zur Mitwirkung bei der Auswahlentscheidung nur bei Betroffenheit von den „zu verhandelnden und abzuschließenden Tarifverträgen“ siehe BAG vom 21. Januar 2015 – 4 AZR 797/13, juris Rn. 20; zu einem „Fachgruppenmodell“ auch BAG vom 22. April 2009 – 4 AZR 111/08, juris Rn. 32 ff.).
73 
Danach muss es ausgeschlossen sein, dass Mitglieder, die nur von den Regelungen, die der eine Tarifbezirk aushandelt, betroffen sein wollen, in dem anderen Tarifbezirk mitwirken (allein für diesen Mitwirkungsausschluss etwa LAG Berlin-Brandenburg vom 7. Januar 2016 – 10 BVL 5005/15, juris Rn. 42).
74 
Jedenfalls bei einem mandatarischen Verständnis der Tarifautonomie (so etwa Picker, NZA 2002, S. 761 ff.; Lobinger/Hartmann, RdA 2006, S. 12, 14 f.; Lobinger/Hartmann, RdA 2010, S. 235 ff.; zur „kollektiv ausgeübten Privatautonomie“ auch BAG vom 14. Oktober 1997 – 7 AZR 298/96, juris Rn. 16; BAG vom 27. Juni 2018 – 10 AZR 190/17, juris Rn. 13) ist die Legitimation zudem zumindest deutlich stärker ausgeprägt und tragfähiger, wenn auch umgekehrt (positiv) die jeweiligen Regelungen durch die Mitglieder nicht nur einmalig durch den Verbandsbeitritt, sondern auch bei Zusammensetzung der Kommissionen und Hinwirkung auf die Verhandlungen und Ergebnisse im Sinne einer Selbstverantwortung (mit-)beeinflusst werden können. Das Mitglied wählt dann nicht nur seinen Vertreter, sondern kann auch das entscheidende Vertreterhandeln weiter mitbestimmen. Eine darüberhinausgehende Ermächtigung, die letztlich hinsichtlich der Tarifverhandlungen und Tarifvertragsergebnisse zu einer – nur noch einmalig autonom verursachten – Bevollmächtigung mit entmündigender Wirkung führen würde (vgl. hinsichtlich der Ewigkeitsbindung von Tarifverträgen auch Lobinger, JZ 2013, S. 915, 922), wird dem Verbandsbeitritt nicht beigemessen werden können und entspräche, wenn überhaupt zulässig, auch nicht einer interessengerechten Auslegung der Satzung.
75 
Mithin muss jedes Mitglied, unabhängig davon, ob der Sitz innerhalb oder außerhalb Baden-Württembergs liegt, in jedem Tarifbezirk mitwirken können, in denen es Betriebe hat, die von den ausgehandelten Tarifverträgen betroffen sind. Mitglieder mit Betrieben oder Betriebsteilen in Südbaden und Nordbaden/Württemberg sind dann beiden Tarifbezirken zuzuordnen. Eine Zuordnung nur zu einem Tarifbezirk – und Mitwirkungsmöglichkeit in diesem – genügt nicht, um eine Tarifbindung an Tarifverträge, die durch den anderen Tarifbezirk (weitgehend selbstständig) ausgehandelt wurden, zu legitimieren. Umgekehrt muss eine Mitwirkung in dem Tarifbezirk, der keine für das jeweilige Mitglied erhebliche Regelung herbeiführt, ausgeschlossen sein.
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Die Unterscheidung nach dem „Sitz der Mitgliedsfirma“ ist daher dahingehend auszulegen, dass für die Zuordnung zu einem Tarifbezirk der Sitz eines Betriebs oder auch Betriebsteils maßgeblich ist. Das sichert die Nichtmitwirkung bei Regelungen, die keine Wirkung für das Mitglied entfalten können und sollen und andererseits auch die Mitwirkung in den Bereichen, in denen dies (räumlich) der Fall ist. Diese Auslegung ist nicht nur erkennbar sinnvoll und entspricht einer möglichst umfassend gewährleisteten Legitimationswirkung, sondern gewährleistet auch den notwendigen Gleichlauf von Verantwortung und Betroffenheit. Sprachlich ist es überdies möglich, die Mitgliedschaft im „zuständigen Tarifbezirk“ auch dahingehend zu verstehen, dass bei doppelter „Zuständigkeit“ auch eine doppelte „Angehörigkeit“ in den Tarifbezirken erfolgt, was eine Mitwirkung in beiden Tarifbezirken, soweit geboten, sichert.
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cc) Zuzugeben ist, dass die Beklagte und der AVSL offenbar nicht von diesem Begriffsverständnis ausgegangen sind, sondern einzelne Betriebe bzw. (sogar) einzelne Niederlassungen für mitgliedsfähig gehalten haben und von einer dahingehenden begrenzten Tarifbindung ausgegangen sind. Dieser Rechtsirrtum, der in der Satzung nicht angelegt ist, führt allerdings nicht zum Entfall der Tarifbindung für die Beklagte. Entscheidend ist die rechtliche Einflussnahmemöglichkeit auf den jeweiligen Tarifabschluss, nicht die tatsächliche Ausübung von Einfluss. Hinzu kommt, dass wegen der – vermeintlichen – „betriebsbezogenen Mitgliedschaft“ der Niederlassung in K. die Beklagte Mitwirkungsmöglichkeiten im Tarifbezirk Nordbaden/Württemberg tatsächlich hatte. Die Tarifbindung ist mithin auch insoweit tatsächlich autonom legitimiert.
78 
d) Nachdem der Standort in Deißlingen von der Tarifbindung unmittelbar erfasst ist, kommt es auch insoweit nicht darauf an, ob er als (unselbstständige) Betriebsabteilung dem – auch nach Auffassung der Beklagten der Tarifbindung unterfallendem – Standort K. zuzuordnen wäre.
79 
4. Hinsichtlich der maßgeblichen Lohngruppe 3 besteht zwischen den Parteien kein Streit. Nach dem Tarifvertrag kann der Kläger als monatliches Bruttoentgelt 2.640 EUR (ab April 2019: 2.709 EUR) verlangen. Nachdem der Kläger auch seit mehr als sechs Jahren dem Betrieb angehört hat er darüber hinaus Anspruch auf die Betriebszugehörigkeitszulage aus § 3 Buchst. e in Höhe von 110 EUR monatlich.
80 
Geltend gemacht hat der Kläger gerichtlich (nur) die Zahlung der Vergütungsdifferenz zur Lohngruppe 3 für die Monate Mai 2018 bis Januar 2019 und die Betriebszugehörigkeitszulage für Januar 2019. Der Anspruch auf Zahlung der Vergütungsdifferenz ist insoweit erloschen, als der Kläger die tarifliche Ausschlussfrist nicht beachtet hat.
81 
a) Die Ausschlussfrist beginnt nach § 20 MTV BW mit der Fälligkeit des Anspruchs und ist zweistufig (außergerichtlich und gerichtlich) mit je einer Dauer von drei Monaten ausgestaltet. Der Tarifvertrag beinhaltet keine eigene Fälligkeitsregelung für die Vergütungsansprüche, sondern verweist auf die betriebliche Regelung (§ 3 Nr. 6 MTV BW). Hinsichtlich einer allgemeinen betrieblichen Regelung wurde nichts vorgetragen, sodass auf die Fälligkeitsregelung im Arbeitsvertrag zurückzugreifen ist. Diese sieht – zugunsten des Klägers – eine von § 614 BGB dahingehend abweichende Regelung vor, dass die Vergütung am Monatsende, also zum Letzten eines Monats, fällig ist.
82 
b) Der Kläger hat für die Monate Mai bis Juli 2018 seine Forderungen mit Schreiben vom 24. August innerhalb der ersten Stufe geltend gemacht. Nachdem die Ablehnung durch die Beklagte am 20. September 2018 erfolgte, wäre, auch bei erst kurz danach erfolgtem Zugang, eine Klageerhebung noch im Dezember 2018 erforderlich gewesen. Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Beklagte den Anspruch zuletzt erst mit am 11. Oktober 2018 zugegangenen Schreiben abgelehnt hat. Die nochmalige Ablehnung lässt die Ausschlussfrist nicht neu beginnen. Nachdem im Schreiben vom 20. September 2018 der Anspruch ausdrücklich und vorbehaltlos zurückgewiesen wurde, war die Ausschlussfrist auch nicht vorübergehend wegen Vergleichsverhandlungen gehemmt (dazu BAG vom 20. Juni 2018 – 5 AZR 262/17).
83 
c) Für die Monate August und September 2018 hat der Kläger die erste Stufe der Ausschlussfrist nicht gewahrt. Die Ansprüche wurden außergerichtlich nicht geltend gemacht, die Klageschrift ging der Beklagten am 15. Januar 2019 zu (zur Nichtanwendung von § 167 ZPO vgl. BAG vom 16. März 2016 – 4 AZR 421/15). Damit konnte nur die Ausschlussfrist für Vergütungsansprüche ab Oktober 2018 gewahrt werden.
84 
Auch genügte nicht etwa die Geltendmachung der Ansprüche für Mai bis Juli 2018 für die folgenden Monate, auch wenn der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt. Die teilweise verwendete Regelung, dass für denselben Sachverhalt die einmalige Geltendmachung des Anspruchs auch für später fällig werdende Leistungen ausreicht (dazu vgl. BAG vom 27. Februar 2014 – 6 AZR 988/11, juris Rn. 39; BAG vom 17. Mai 2001 – 8 AZR 366/00, juris Rn. 29) findet sich in § 20 MTV BW nicht.
85 
d) Für Oktober 2018 bis Dezember 2018 beläuft sich die Vergütungsdifferenz auf 56 EUR monatlich, insgesamt also auf 168 EUR. Für Januar 2019 wurde neben der Vergütungsdifferenz auch die Betriebszugehörigkeitszulage in Höhe von 110 EUR verlangt, sodass die Differenz hier 156 EUR beträgt.
86 
5. Für die Vergütungsdifferenzen von Oktober 2018 bis Dezember 2018 begehrt der Kläger Zinsen seit Rechtshängigkeit. Der Anspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Nachdem die Klage hinsichtlich dieser Forderungen am 15. Januar 2019 zugestellt wurde, ist die Verzinsungspflicht in entsprechender Anwendung von § 187 Abs. 1 BGB am Folgetag eingetreten (BAG vom 21. März 2018 – 5 AZR 862/16, juris Rn. 47; BGH vom 4. Juli 2017 – XI ZR 562/15, juris Rn. 103).
87 
Hinsichtlich der Vergütungsforderung für Januar 2019 begehrt der Kläger Zinsen zu Recht ab 1. Februar 2019. Nachdem die Fälligkeit aufgrund der arbeitsvertraglichen Regelung jeweils am Monatsletzten eingetreten ist, befand sich die Beklagte, deren Verschulden hinsichtlich der Nichtleistung nach § 286 Abs. 4 BGB zu vermuten ist, ohne Mahnung gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB ab diesem Zeitpunkt in Verzug. Die Verzinsungspflicht des § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB ist in entsprechender Anwendung von § 187 Abs. 1 BGB am Folgetag der Fälligkeit (1. des Folgemonats) eingetreten (vgl. BAG vom 8. Mai 2014 – 6 AZR 465/12, juris Rn. 26; OLG Stuttgart vom 17. November 2016 – 7 U 34/16, juris Rn. 33; Dornis in BeckOGK, Stand 1. September 2018, § 288 BGB Rn. 52).
III.
88 
1. Die Festsetzung des Rechtsmittelstreitwerts beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG und berechnet sich gemäß § 3 ZPO in Höhe der bezifferten Forderungen (vgl. Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 3 ZPO Rn. 3).
89 
2. Die Kosten des Rechtsstreits waren nach § 46 Abs. 1 Satz 1 ArbGG i. V. m. 92 Abs. 1 ZPO verhältnismäßig zu teilen. Soweit die Ausschlussfrist der Klageforderung entgegensteht, unterliegt der Kläger (316 EUR), im Übrigen obsiegt er (334 EUR). Daraus ermittelt sich eine Kostenlast von – gerundet – 49 % beim Kläger und 51 % bei der Beklagten.
90 
3. Die Berufung war gesondert zuzulassen (§ 64 Abs. 3a Satz 1 ArbGG), weil die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten über die Auslegung eines Tarifvertrages betrifft, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen hinaus erstreckt (§ 64 Abs. 3 Buchst. b ArbGG) und darüber hinaus für die Frage der Tarifbindung bei entsprechender Satzungsgestaltung grundsätzliche Bedeutung hat (§ 64 Abs. 3 Buchst. a ArbGG).

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