Urteil vom Arbeitsgericht Hamburg (15. Kammer) - 15 Ca 566/20
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat November 2020 4.772,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 24.11.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein 13. Monatsgehalt in Höhe von 4.772,00 EUR brutto abzüglich gezahlter 3.098,00 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 24.11.2020 zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Dezember 2020 4.772,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 24.12.2020 zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Januar 2021 4.772,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 24.01.2021 zu zahlen.
5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Februar 2021 4.772,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 24.02.2021 zu zahlen.
6. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat März 2021 4.772,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 24.03.2021 zu zahlen.
7. Die Beklagte wird verurteilt, die dem Kläger erteilte Abmahnung vom 30.10.2020 aus der klägerischen Personalakte zu entfernen.
8. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
9. Der Streitwert wird festgesetzt auf € 30.306,-.
10. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
11. Eine gesonderte Zulassung der Berufung erfolgt nicht.
Tatbestand
- 1
Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche und die Entfernung einer Abmahnung aus der klägerischen Personalakte.
- 2
Der Kläger ist ausgebildeter Bankkaufmann und bei dem beklagten Geldinstitut seit dem ... beschäftigt, derzeit als Finanzberater in der ... gegen eine jeweils zum 23. eines Monats fällige Bruttomonatsvergütung in Höhe von € 4.772,00, und zwar auf Grundlage schriftlichen Arbeitsvertrages vom ... (Bl. 9 d. A.). Das Beratungskonzept der Beklagten sieht vorrangig eine persönliche Kundenberatung vor. Daneben bietet sie auch eine so genannte „Direktberatung“ durch in ihrer Verwaltungszentrale angesiedelte Mitarbeiter über Telefon, E-Mail und Video an.
- 3
Im Zuge der beklagtenseitig für Mitarbeiter und Kunden angeordneten Corona-Schutzmaßnahmen kam es zu Differenzen zwischen den Parteien, die ab dem 19.10.2020 eskalierten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger, soweit nach den bestehenden Vorgaben außerhalb seines eigentlichen, mit Plexiglas-Schutzwänden ausgestatteten Beraterarbeitsplatzes erforderlich, bei der Arbeit und während seines Aufenthaltes in der Filiale einen so genannten Face-Schild getragen.
- 4
Am 19.10.2020 wurde der Kläger von seinem Vorgesetzten dazu aufgefordert, anstelle des Face-Schildes entsprechend den inzwischen erfolgten Vorgaben der Beklagten eine Mund-Nasen-Bedeckung anzulegen. Dies verweigerte der Kläger unter Hinweis auf gesundheitliche Gründe. Er wurde daraufhin angewiesen, die Filiale zu verlassen und der Beklagten ein diesbezügliches Attest vorzulegen. Mit E-Mail vom 20.10.2020 (Anlage B 4, Bl. 79 d. A.) wurde die Anweisung zur Attestvorlage wiederholt, der Kläger alternativ aufgefordert, unter Einhaltung der allgemeinen angeordneten Schutzmaßnahmen zur Arbeit zu erscheinen.
- 5
Daraufhin ließ sich der Kläger von einem Hamburger Facharzt für Allgemeinmedizin am 19.10.2020 ein „ärztliches Attest zur Maskenbefreiung“ (Bl. 82 d. A.) ausstellen, das wie folgt lautet:
- 6
„Nach Anamnese und Untersuchung in meiner Praxis stelle ich hiermit fest: Der o. g. Patient ist wegen einer Grunderkrankung vom Tragen einer mechanischen Mund-Nasen-Bedeckung im Rahmen der Corona-Verordnungen befreit, weil diese für ihn kontraindiziert ist. Es besteht ein Psychotrauma aus der Kindheit im 7. Lebensjahr.
- 7
Die Maske führt im Rahmen einer PTBS zu Retraumatisierungen.“
- 8
Dieses Attest übersandte der Kläger an die Betriebsärztin der Beklagten, die der Beklagten mit Schreiben vom 28.10.2020 (Bl. 95 d. A.) mitteilte, dass der Kläger zum jetzigen Zeitpunkt aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Diese Einschränkung betreffe auch alle gemeinschaftlichen Wege innerhalb der betrieblichen Räumlichkeiten.
- 9
Der Kläger regte gegenüber der Beklagten in einem Telefonat am 26.10.2020 seine vorübergehende Beschäftigung in der Filiale ... an, in deren unmittelbarer Nähe er wohnt. Dort könnte er ein Einzelbüro ohne Kontakt zu Kollegen und Kunden über einen Nebeneingang erreichen und im Bedarfsfall anstelle der betrieblichen Sanitär- und Sozialräume mit wenig Zeitaufwand seine eigenen Räumlichkeiten zu Hause nutzen.
- 10
Dieser Anregung folgte die Beklagte nicht. Sie teilte dem Kläger mit ihm am 14.11.2020 zugegangenem Schreiben vom 12.11.2020 (Bl. 93 d. A.) vielmehr mit, dass ihr derzeit keine Arbeitsplätze zur Verfügung ständen, auf denen sie ihm eine Tätigkeit ohne das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ermöglichen könne. Sie werde ihn weiterhin als arbeitsunfähig führen und wegen nicht vorliegender Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ab dem 01.11.2020 keine Vergütung mehr an ihn zahlen.
- 11
Dementsprechend stellte die Beklagte die laufenden Gehaltszahlungen an den Kläger ab November 2020 ein. Das im November 2020 fällige 13. Monatsgehalt zahlte sie gekürzt, in Höhe von € 3.089,00 netto, an den Kläger aus.
- 12
Mit Schreiben vom 30.10.2020 (Bl. 83 f. d. A.) erteilte die Beklagte dem Kläger außerdem eine Abmahnung „wegen Verstoßes gegen die zum Schutz der Gesundheit von Mitarbeitern und Kunden erlassenen Anweisungen“. Sie wirft ihm darin u. a. vor, sich mehrfach gegenüber Kunden und Mitarbeitern negativ über die zum Gesundheitsschutz erlassenen Maßnahmen, insbesondere der Anweisung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, geäußert zu haben.
- 13
Der Kläger trägt vor:
- 14
Die Beklagte habe ihm die vertraglich vereinbarte Vergütung zu zahlen. Dies folge für die Zeit vom 1. bis zum 14.11.2020 aus § 611 a BGB, da ihn die Beklagte am 19.10.2020 freigestellt und aufgefordert habe, ein ärztliches Attest zu besorgen. Ab dem 15.11.2020 folgten seine Zahlungsansprüche aus § 615 bzw. § 280 BGB, weil die Beklagte seitdem seine Arbeitsleistung abgelehnt und es schuldhaft unterlassen habe, ihm einen für ihn geeigneten Arbeitsplatz zuzuweisen. Insofern wäre neben seinem Einsatz in einem Einzelbüro in der Filiale ... auch ein Einsatz in der Direktberatung aus dem Home-Office in Betracht gekommen. Auch Vor- und Nachbereitungsarbeiten könne er im Home-Office erledigen.
- 15
Die mit Abmahnung vom 30.10.2020 pauschal und unsubstantiiert erhobenen Vorwürfe ihm gegenüber seien falsch und zurückzuweisen. Sie seien daher zurückzunehmen, die Abmahnung sei aus seiner Personalakte zu entfernen.
- 16
Der Kläger beantragt,
- 17
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Monat November 2020 4.772,00 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Diskontsatz ab dem 24.11.2020 zu zahlen;
- 18
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein 13. Monatsgehalt in Höhe von 4.772,00 € brutto abzüglich gezahlter 3.098,00 € netto nebst 5 % Zinsen ab dem 24.11.2020 zu zahlen;
- 19
3. die Beklagte zu verurteilen, die gegenüber dem Kläger in der Abmahnung vom 30.10.2020 erhobenen Vorwürfe zurückzunehmen und die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.
- 20
4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Monat Dezember 2020 4.772,00 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Diskontsatz ab dem 24.12.2020 zu zahlen;
- 21
5. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Monat Januar 2021 4.772,00 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Diskontsatz ab dem 24.01.2021 zu zahlen;
- 22
6. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Monat Februar 2021 4.772,00 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Diskontsatz ab dem 24.02.2021 zu zahlen;
- 23
7. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Monat März 2021 4.772,00 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Diskontsatz ab dem 24.03.2021 zu zahlen;
- 24
Die Beklagte beantragt,
- 25
die Klage abzuweisen
- 26
sowie widerklagend,
- 27
den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte € 1.693,29 zu zahlen.
- 28
Der Kläger beantragt,
- 29
die Widerklage abzuweisen.
- 30
Die Beklagte trägt vor:
- 31
Der Kläger habe für die Zeit ab dem 19.10.2020 keine Vergütung zu beanspruchen, weil er nicht gearbeitet und ihr auch keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt habe. Zu keiner Zeit habe sie den Kläger freigestellt, erst recht nicht unter Fortzahlung der Vergütung. Sie habe ihn lediglich angehalten, die allgemeinen Regeln zum Schutz von Mitarbeitern und Kunden zu beachten. Wenn der Kläger keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen dürfe, dürfe sie ihn nicht beschäftigen.
- 32
Eine Beschäftigung des Klägers ohne das Erfordernis einer zu tragenden Mund-Nasen-Bedeckung sei ihr nicht möglich. So sei es insbesondere nicht möglich, auch nicht in der Filiale ..., Bankmitarbeiter ausschließlich in einem Einzelbüro zu beschäftigen. Für jeden Mitarbeiter sei es unumgänglich, zur Nutzung von Drucker, Kopierer und Akten sich auf Fluren zu bewegen. Eine ausschließliche Tätigkeit abgetrennt von jeglichem Equipment und anderen Mitarbeitern sei insofern nicht möglich (Beweis: Zeugnis des Herrn ...). Eine Tätigkeit im Home-Office sei für Kundenberater wegen des erforderlichen Kundenkontaktes und der erforderlichen Nutzung von Akten und Equipment nicht möglich (Beweis: wie vor). Auch ein Einsatz im sogenannten digitalen Vertrieb könne nicht im Home-Office erfolgen, weil sich sämtliches für die digitale Direktberatung erforderliche Equipment (Telefonanlage, Videotechnik, sonstiges Equipment, Drucker, Akten) in der Verwaltungszentrale befänden. Auch dort müsse der Kläger also präsent sein (Beweis: wie vor).
- 33
Zweifelhaft sei allerdings bereits, dass es überhaupt Anlass gäbe, anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten zu prüfen. So habe sich der Kläger über ihre Hygienemaßnahmen gegenüber Kunden mehrfach kritisch geäußert, auch über deren Maskentragen, und sie zum Abnehmen der Masken aufgefordert (Beweis: Zeugnis des Herrn ..., des Herrn ...). In mindestens einem Fall habe er Kunden einen per Hand beschrifteten Zettel vorgelegt mit den Worten „Maske kann runter. Psst!“ (Anlage B 1, Bl. 43 d. A.). Ihr sei auch bekannt, dass der Kläger ohne Maske an Corona-Demonstrationen teilnehme. Ebenso betreibe eher einen YouTube-Kanal, auf dem er etwa Videos einer „Querdenker“-Demonstration hochgeladen habe (Beweis: Zeugnis des Herrn ...). Insofern korreliere die vom Kläger behauptete Unmöglichkeit, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, mit seiner politischen Gesinnung.
- 34
Auch beständen erhebliche Zweifel am Beweiswert der vom Kläger vorgelegten Atteste. Abgesehen davon, dass das „Attest“ vom 04.08.2020 keinerlei konkrete klägerbezogene Aussagen treffe, stamme es von einem sich selbst auf seiner Homepage als aktiven Impfkritiker bezeichnenden, ausweislich eines Zeitungsartikels (Anlage B 3, Bl. 45 ff. d. A.) als Corona-Leugner und „Querdenker“ geltenden Arztes, ansässig mehrere 100 Kilometer entfernt vom Wohnort des Klägers. Auch der das Attest vom 19.10.2020 ausstellende Hamburger Arzt sei ausweislich Auszuges aus seiner Website (Anlage B 9, Bl. 111 ff. d. A.) ein in der „Querdenker“-Bewegung aktiver Corona-Leugner. Die Beurteilung eines etwaigen Psychotraumas aus der Kindheit falle nicht in sein Fachgebiet. Die Bestätigung der Betriebsärztin vom 28.10.2020 werde ohne eigene Untersuchung des Klägers zustande gekommen und nach Aktenlage ausgestellt worden sein. Die zuverlässige Beurteilung einer psychischen Erkrankung sei in dieser Weise jedoch nicht möglich.
- 35
Hinzu komme, dass der Kläger ihr gegenüber erklärt habe, sein Hausarzt weigere sich, ihm ein Attest zur Maskenpflichtbefreiung auszustellen (Beweis: Zeugnis des Herrn ...). Auch sei festzustellen, dass der Kläger seine vermeintliche Verhinderung, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, mit den Attesten vom 04.08.2020 und 19.10.2020 auf völlig unterschiedliche Begründungen stütze.
- 36
Daher gehe sie, die Beklagte, davon aus, dass die behaupteten Beeinträchtigungen tatsächlich nicht bestünden.
- 37
Für den weiteren Sachvortrag der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I
- 38
Die Klage ist weitestgehend zulässig. Lediglich dem auf „Rücknahme der in der Abmahnung vom 30.10.2020 erhobenen Vorwürfe“ gerichteten Antrag fehlt es an der gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erforderlichen Bestimmtheit. Denn es ist völlig unklar, in welcher Weise eine solche „Rücknahme“ erfolgen sollte bzw. begehrt wird. Insoweit war die Klage daher abzuweisen.
II
- 39
Soweit im Übrigen zulässig, ist die Klage auch begründet. Der Kläger hat sowohl Anspruch auf die von ihm begehrten Zahlungen als auch auf Entfernung der ihm unter dem 30.10.2020 erteilten Abmahnung aus seiner Personalakte.
- 40
1. Der klägerische Anspruch auf Zahlung seiner laufenden Vergütung für den hier streitgegenständlichen Zeitraum 01.11.2020 bis 31.03.2021 folgt aus § 615 BGB, die diesbezüglichen Zinsansprüche folgen aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.
- 41
a) Nach § 615 Satz 1 BGB hat der Arbeitgeber die nach § 611 a Abs. 2 BGB vereinbarte Vergütung fortzuzahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät. Er kommt gemäß § 293 BGB in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Das Angebot des Arbeitnehmers muss gemäß § 294 BGB die zu bewirkende Arbeitsleistung betreffen. Diese Arbeitsleistung ist identisch mit der arbeitsvertraglich vereinbarten, wenn die Tätigkeit des Arbeitnehmers im Arbeitsvertrag konkret bestimmt ist. Ist dagegen die vom Arbeitnehmer zu erbringende Tätigkeit im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschrieben, obliegt es nach § 106 Satz 1 GewO dem Arbeitgeber, den Inhalt der zu leistenden Arbeit zu bestimmen. Erst die durch die wirksame Ausübung des Direktionsrechts näher bestimmte Tätigkeit ist die im Sinne von § 294 zu bewirkende Arbeitsleistung (vgl. BAG, 14.10.2020, 5 AZR 649/19).
- 42
b) Danach handelte es sich bei dem Angebot des Klägers vom 26.10.2020, die ihm zugewiesene Tätigkeit als Finanzberater in einem Einzelbüro in der Filiale ... zu verrichten, um ein Angebot der beklagtenseitig nach § 106 GewO näher bestimmten Arbeitsleistung. Dies gilt auch für seine späteren Angebote, im Home-Office Direktberatung oder Vor- bzw. Nacharbeiten zu erbringen. Denn die Beklagte hatte den Kläger mit E-Mail vom 20.10.2020 aufgefordert, ein Attest vorzulegen, damit eine Lösung gefunden werde, wie und wo er eingesetzt werden könne, oder unter Einhaltung der Schutzmaßnahmen zur Arbeit zu erscheinen. Indem der Kläger konkret angeboten hatte, in einem ohne Kontakt zu Kunden und Mitarbeitern zu erreichenden Einzelbüro unter der bei der Beklagten üblichen Abschirmung zu Kunden in ... unter Nutzung eigener Räumlichkeiten für Pausen und Toilettengänge als Finanzberater oder aber im Home-Office tätig zu werden, entsprach dies den Vorgaben der Beklagten zur vertragsgerechten Arbeit unter Einhaltung ihrer Schutzmaßnahmen und im Übrigen auch der Leistungsfähigkeit des Klägers.
- 43
c) Da die Beklagte dem Kläger zuvor deutlich gemacht hatte, die bisher von ihm tatsächlich angebotene Arbeitsleistung in der Filiale ... ohne das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht (mehr) annehmen zu wollen, und sie ihm trotz insoweit zugesagter Prüfung anderer Lösungen keinen anderen Arbeitsplatz zugewiesen hatte, war das nur wörtliche Angebot des Klägers auch ausreichend (§ 295 BGB), weil der Kläger ohne eine entsprechende Mitwirkung der Beklagten in Gestalt der Zurverfügungstellung eines funktionsfähigen, von ihm auszufüllenden Arbeitsplatzes nicht in der Lage war, die von ihm geschuldete und angebotene Arbeitsleistung vertragsgerecht zu erbringen.
- 44
d) Dass der Beklagten die Annahme der vom Kläger angebotenen Arbeitsleistung unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre, hat die diesbezüglich darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht hinreichend dargetan. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die nähere Bestimmung der Arbeitsleistung gemäß § 106 GewO nach billigem Ermessen, also in Abwägung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen und –belangen, sowie insbesondere auch unter Rücksichtnahme auf Behinderungen des Arbeitnehmers zu erfolgen hat. Auch für die in diesem Sinne ordnungsgemäße Direktionsrechtsausübung trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast.
- 45
aa) Dies zugrunde gelegt ist nicht hinreichend unter Beweisantritt dargelegt, dass die Nichtberücksichtigung der vom Kläger geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen billigem Ermessen entspräche. Denn der Kläger hat – wie von ihm im Übrigen von der Beklagten ausdrücklich verlangt – ein entsprechendes Attest vom 19.10.2020 vorgelegt, das von der Betriebsärztin der Beklagten am 28.10.2020 bestätigt wurde.
- 46
Die diesbezüglich von der Beklagten „am Beweiswert“ der vorgelegten Atteste geäußerten Zweifel reichen nicht aus. Abgesehen davon, dass diese sich hinsichtlich der betriebsärztlichen Bestätigung auf bloße Vermutungen zu den dieser zugrunde liegenden Untersuchungen/Erwägungen stützen, wäre vorliegend von der Beklagten nicht ein vom Kläger zu erbringender Beweis zu erschüttern, sondern selbst darzulegen und zu beweisen gewesen, dass beim Kläger keine bei der Direktionsrechtsausübung zu berücksichtigenden gesundheitlichen Einschränkungen bezüglich des Tragens einer Mund-Nase-Bedeckung vorliegen. Daran fehlt es.
- 47
bb) Auch, dass es der Beklagten tatsächlich nicht möglich gewesen wäre, die Ar-beitsleistung des Klägers wie von ihm angeboten anzunehmen, hat sie nicht hinreichend konkret dargetan.
- 48
Hinsichtlich einer Tätigkeit in der Filiale ... hat sie sich darauf beschränkt vorzutragen, dass es (im Allgemeinen) für jeden Bankangestellten unumgänglich sei, zur Nutzung von Drucker, Kopierer und Akten sich auf Fluren zu bewegen. Dass es jedoch auch im hier streitgegenständlichen Einzelfall für die Dauer der Geltung der Corona-Schutzmaßnahmen nicht möglich gewesen wäre, den Kläger ausschließlich in einem Einzelbüro in ... zu beschäftigen, ist nicht ersichtlich. So wäre zu denken an die vorübergehende Zurverfügungstellung des erforderlichen Equipments zur Einzelnutzung sowie an Absprachen zur Verbringung benötigter Unterlagen in/an das Büro ohne Kontakterfordernis zu Anderen. Dass dies einen erhöhten organisatorischen und gegebenenfalls auch finanziellen Aufwand erforderte, ist offenkundig, führt aber nicht zur tatsächlichen Unmöglichkeit.
- 49
Hinsichtlich einer klägerischen Direktberatung im Home-Office gilt bezüglich des erforderlichen Equipments dasselbe. Dass und in welchem Umfang für Vor- oder Nacharbeiten im Home-Office solches überhaupt erforderlich wäre, ist nicht ersichtlich.
- 50
cc) Ebenso wenig dargetan ist, dass es der Beklagten mit Blick auf den erhöhten organisatorischen und gegebenenfalls auch finanziellen Aufwand unzumutbar wäre, die vom Kläger angebotene Arbeitsleistung anzunehmen. Aus ihrer Sicht konsequent hat die Beklagte hierzu keinerlei Angaben gemacht.
- 51
Daraus folgt, dass sich die Beklagte jedenfalls in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum ab dem 01.11.2020 in Annahmeverzug befand und dem Kläger die vertraglich vereinbarte laufende Vergütung zu zahlen hat.
- 52
2. Der klägerische Anspruch auf Zahlung eines vollen 13. Monatsgehalts für 2020 folgt aus § 611 a Abs. 2 BGB i. V. m. den arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifverträgen für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken.
- 53
Tatsachen, die die Beklagte insoweit zu einer Kürzung des klägerischen Anspruchs berechtigen könnten, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Insbesondere die Voraussetzungen für eine Kürzung gemäß § 10 Nr. 3 des Manteltarifvertrages für das Bankgewerbe (Kürzung einer Jahressonderzahlung um 1/12 für jeden vollen Monat ohne Vergütungsansprüche) sind nicht erfüllt (siehe oben, 1.).
- 54
3. Der Kläger hat auch Anspruch auf Entfernung der ihm unter dem 30.10.2020 erteilten Abmahnung aus seiner Personalakte.
- 55
Grundsätzlich ist jeder Arbeitgeber als Gläubiger vertragsgemäßer Arbeitsleistung berechtigt, den Arbeitnehmer auf Vertragsverstöße hinzuweisen, diese zu rügen und auf Änderungen zu drängen, gegebenenfalls unter Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen für den Wiederholungsfall. Das Recht zur Erteilung einer solchen Abmahnung, die insoweit sowohl Hinweis- als auch Warnfunktion hat, ergibt sich aus dem allgemeinen vertraglichen Rügerecht. Allerdings hat der Arbeitgeber das dem Arbeitnehmer vorgeworfene Fehlverhalten konkret zu benennen und sich im Übrigen aufgrund der sich aus Treu und Glauben ergebenden Fürsorgepflicht zur Wahrung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers ehrverletzender und unwahrerer missbilligender Äußerungen zu enthalten, die den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung, insbesondere seinem Persönlichkeitsrecht, verletzen und ihn in seinem beruflichen Fortkommen unangemessen beeinträchtigen können (vgl. zusammenfassend Erfurter Kommentar, 21. Auflage, Schmidt, Artikel 2 GG, Rn. 97).
- 56
Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Entfernungsanspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt oder kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr besteht (vgl. BAG, 12.08.2010, 2 AZR 593/09). Werden in einer Abmahnung mehrere Pflichtverstöße gerügt, müssen wegen der Unzulässigkeit unwahrer bzw. pauschaler missbilligender Äußerungen in Abmahnungen sämtliche Rügen bestimmt und zutreffend sein.
- 57
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Denn jedenfalls der in der Abmahnung vom 30.10.2020 enthaltene Vorwurf mehrfacher negativer Äußerungen über die Corona-Schutzmaßnahmen der Beklagten gegenüber Kunden und Mitarbeitern ist nicht hinreichend bestimmt. Es wird weder deutlich, welche konkreten Äußerungen wem gegenüber beanstandet werden, noch dass und warum diese ggf. eine klägerische Pflichtverletzung bilden. Die Beklagte hat daher die Abmahnung insgesamt aus der klägerischen Personalakte zu entfernen.
- 58
4. Die Kammer hat es versehentlich versäumt, über die Widerklage der Beklagten zu entscheiden. Eine diesbezügliche Urteilsergänzung von Amts wegen war ihr nicht möglich (§ 321 ZPO).
III
- 59
Der Streitwert wurde gem. § 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ff. ZPO im Urteil festgesetzt, und zwar auf ein klägerisches Bruttomonatsentgelt bezüglich der streitgegenständlichen Abmahnung/Vorwürfe und im Übrigen in Höhe der streitgegenständlichen Forderungen.
- 60
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 92 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO.
- 61
Eine gesonderte Zulassung der Berufung hatte mangels erfüllter Voraussetzungen des § 64 Abs. 3 ArbGG nicht zu erfolgen.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- ZPO § 253 Klageschrift 1x
- ArbGG § 46 Grundsatz 1x
- BGB § 295 Wörtliches Angebot 1x
- BGB § 293 Annahmeverzug 1x
- 5 AZR 649/19 1x (nicht zugeordnet)
- 2 AZR 593/09 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 1004 Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch 1x
- BGB § 242 Leistung nach Treu und Glauben 1x
- BGB § 294 Tatsächliches Angebot 1x
- ZPO § 321 Ergänzung des Urteils 1x
- BGB § 615 Vergütung bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko 2x
- BGB § 286 Verzug des Schuldners 1x
- ArbGG § 64 Grundsatz 1x
- GewO § 106 Weisungsrecht des Arbeitgebers 3x
- ArbGG § 61 Inhalt des Urteils 1x
- BGB § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung 1x
- BGB § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden 1x
- BGB § 611a Arbeitsvertrag 3x