Urteil vom Arbeitsgericht Mannheim - 8 Ca 272/20

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche, noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 24.07.2020 aufgelöst ist.

2. Die Widerklage wird abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf EUR 18.559,51 festgesetzt.

5. Hinsichtlich der Verurteilung gem. Ziff. 1. wird die Berufung zugelassen. Im Übrigen wird die Berufung nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Bestand eines Arbeitsverhältnisses und um Herausgabeansprüche.
Die am 00.00.0000 geborene, verheiratete und 3 Kindern zum Unterhalt verpflichtete Klägerin ist ... und seit dem 15.12.2009 bei der Beklagten als .../Managerin im Geschäftsbereich „…“ angestellt. Die monatliche Bruttovergütung in Vollzeit betrug EUR 6.112,50.
Im Rahmen des Arbeitsverhältnisses waren der Klägerin ein Notebook Lenovo TP T570 und ein Apple iPhone 7 ausgehändigt worden. Der dem Arbeitsverhältnis zu Grunde liegende Arbeitsvertrag enthält insoweit folgende Klausel:
„§ 10 Rückgabepflichten bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder im Falle einer durch K erfolgenden Freistellung von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung hat die Managerin K unverzüglich sämtliche die Angelegenheiten von K betreffenden Gegenstände (insbesondere Schlüssel, Telefon, IT-Equipment inkl. elektronische Datenträger, Bücher, Akten etc.) und Unterlagen, die sich in ihrem Besitz befinden, vollständig herauszugeben. Gleiches gilt auch während des Arbeitsverhältnisses nach ausdrücklichem Verlangen von K. Der Managerin steht in Bezug auf die Rückgabepflicht kein Zurückbehaltungsrecht zu.“
Die Klägerin nimmt nach der Geburt von Zwillingen am 30.04.2019 Elternzeit bis zum 30.04.2022 in Anspruch. Aufgrund Vereinbarung vom 04.11.2019 (Bl. 83) war eine Teilzeit mit einem Beschäftigungsumfang von 60% (wöchentlich 24 Stunden) in der Zeit vom 30.04.2020 bis zum 29.04.2021 beabsichtigt.
Mit Beschluss des Amtsgerichts … vom 21.07.2020 wurde der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zu deren Betreuer bestellt.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 24.07.2020 (Bl. 3) die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklärt. Das Schreiben ist dem Betreuer der Klägerin am 25.07.2020 zugegangen. Eine weitere außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 02.11.2020 greift die Klägerin in einem gesonderten Rechtsstreit beim Arbeitsgericht Mannheim, Az. 00 Ca 00/00, an.
Mit ihrer am 03.08.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage macht die Klägerin die Rechtsunwirksamkeit und Sozialwidrigkeit der Kündigungen vom 24.07.2020 geltend.
10 
Die Klägerin beantragt:
11 
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche hilfsweise ordentliche Kündigung vom 24.07.2020 nicht aufgelöst worden ist.
12 
Die Beklagte hat Widerklage erhoben und beantragt:
13 
Die Klage wird abgewiesen.
14 
Darüber hinaus beantragt sie:
15 
1. Die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte folgende Gegenstände herauszugeben:
16 
– ein Notebook Lenovo TP T570, 15.6", Intel Core i5-7300U 3,5 GHz, 8 GB, 512 SSD, Serien-Nr.: 0000000000, Inventar-Nr.: 00000000 sowie
17 
– ein Apple iPhone 7 (128 GB) roségold; IMEI: 00000000000.
18 
2. Hilfsweise, für den Fall, dass bereits im laufenden Verfahren festgestellt wird, dass eine Herausgabe der im Widerklageantrag zu Ziff. 1. genannten Gegenstände unmöglich ist, wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte Schadensersatz in Höhe von EUR 222,01 netto zu zahlen.
19 
Die Beklagte trägt zur Begründung der Kündigungen und zur Begründung der Widerklage vor,
20 
die Klägerin habe zwischen dem 10.07.2020 und 13.07.2020 auf der Social Media Plattform F Beiträge in Bezug auf Mitarbeiter, Personalleiter, Partner, Bereichsvorstände und Vorstände der Beklagten veröffentlicht und hierbei die Betroffenen namentlich genannt und Fotos hinzugefügt. Diese Beiträge enthielten ehrverletzende, grob beleidigende Inhalte und stellten auch eine üble Nachrede dar. Wegen des konkreten Inhalts der Beiträge wird auf das Anlagenkonvolut B1 (Bl. 29 – 37) verwiesen. Zum Zeitpunkt der Kündigung habe die Klägerin seit längerer Zeit nicht mehr in einem Haushalt mit ihren Kindern gelebt, der Ehemann sei mit den Kindern im ersten Halbjahr 2020 aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen. Aufgrund der gerichtlich angeordneten Betreuung habe die Beklagte aber auch davon ausgehen müssen, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage war, ihre Kinder selbst zu betreuen und zu erziehen. Sie genieße daher nicht mehr den besonderen Kündigungsschutz nach dem BEEG. Die Klägerin habe das ihr überlassene Notebook und das ihr überlassene Mobiltelefon trotz Aufforderung nicht zurückgegeben, so dass sie Herausgabe schulde. Sollte diese unmöglich sein, sei die Klägerin zum Schadenersatz verpflichtet.
21 
Die Klägerin beantragt,
22 
die Widerklage abzuweisen.
23 
Sie trägt vor,
24 
sie habe die von der Beklagten vorgelegten Beiträge auf F nicht veröffentlicht. Führungskräfte der Beklagten hätten Zugriff auf ihr E-Mail-Konto gehabt, darüber hinaus sei im Jahr 2018 festgestellt worden, dass jemand vom Leadership der Beklagten ihre E-Mail-Korrespondenz überwache. Möglicherweise hätten dann auch dritte Personen Zugriffsmöglichkeiten gehabt. Jedenfalls werde aber der Kündigungsschutz während der Elternzeit geltend gemacht. Die ihr überlassenen Betriebsmittel seien entwendet worden.
25 
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle vom 10.09.2020 und 25.02.2021 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
I.
26 
Die zulässige Klage ist begründet.
27 
Die Kündigung ist wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot gem. § 18 Abs. 1 S. 3 BEEG unwirksam. Dabei kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen der §§ 15, 16 BEEG - wie die Beklagte behauptet – zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung nicht mehr vorlagen, da unbeschadet dessen die Elternzeit nicht beendet war.
28 
1. Gemäß § 18 Abs. 1 S. 3 BEEG darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit nicht kündigen, sofern keine Zulässigkeitserklärung nach Satz 4 vorliegt. Vorliegend liegt weder eine solche Zulässigkeitserklärung vor, noch hätten sich die Parteien über eine vorzeitige Beendigung der Elternzeit gem. § 16 Abs. 3 S. 1 BEEG geeinigt.
29 
a) Welche Rechtsfolgen für die Elternzeit an den nachträglichen Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen der §§ 15, 16 BEEG zu knüpfen sind, ist allerdings umstritten.
30 
aa) Das Bundesarbeitsgericht geht davon aus, dass das Kündigungsverbot des § 18 BEEG grundsätzlich nur dann besteht, wenn die Arbeitnehmerin die Elternzeit berechtigterweise angetreten hat und zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für die Elternzeit vorliegen. Zum Kündigungszeitpunkt müssten deshalb sowohl die Voraussetzungen von § 15 BEEG als auch die des § 16 BEEG erfüllt sein. Nur derjenige komme in den Genuss des besonderen Kündigungsschutzes nach § 18 BEEG, der sich berechtigterweise in Elternzeit befinde (BAG, Urteil vom 10.5.2016 – 9 AZR 145/15, NZA 2016, 1137, beck-online; Urteil vom 26. 6. 2008 - 2 AZR 23/07, NZA 2008, 1241, beck-online). Den Entscheidungen des BAG lagen jedoch Fallgestaltungen zu Grunde, bei denen die Inanspruchnahme der Elternzeit (form-)fehlerhaft war, also von Anfang an der Anspruch auf Elternzeit nicht ordnungsgemäß geltend gemacht wurde. Nicht ausdrücklich entschieden sind bislang Fälle, in denen die Voraussetzungen der rechtswirksam in Anspruch genommenen Elternzeit zu einem späteren Zeitpunkt weggefallen waren.
31 
bb) Teilweise wird in der Literatur (ErfK/Gallner, 21. Aufl. 2021, BEEG § 16 Rn. 8) vertreten, von der vorzeitigen Beendigung der EZ sei der Fall zu unterscheiden, wenn die Voraussetzungen für die Elternzeit inzwischen weggefallen sind, z.B. weil der Arbeitnehmer die Personensorge für das Kind verliert. In diesem Fall sei der durch den Antritt der Elternzeit eingetretene Ruhenstatbestand beendet. Der Arbeitnehmer sei zur Arbeit verpflichtet, der Arbeitgeber zur Beschäftigung. Der Arbeitgeber könne die Arbeitsaufnahme, der Arbeitnehmer die Beschäftigung auf seinem bisherigen Arbeitsplatz oder auf einer inhaltlich gleichwertigen Stelle verlangen. Weigere sich eine Vertragspartei, komme sie in Verzug. Dagegen lasse sich nicht der Wortlaut des § 16 Abs. 3 S. 1 BEEG anführen. Das dort genannte Zustimmungserfordernis betreffe nur den Fall, dass die Voraussetzungen für die Elternzeit noch gegeben seien, der Arbeitnehmer jedoch lieber arbeiten möchte. Die Konstellation, in der die Elternzeit-Voraussetzungen weggefallen sind, werde von § 16 Abs. 3 S. 1 BEEG nicht erfasst. Der Gesetzgeber habe mit § 16 Abs. 4 BEEG auch keine abschließende Sonderregelung getroffen. Diese Vorschrift regele nur die besonderen Modalitäten des tragischsten Sachverhalts weggefallener Elternzeit-Voraussetzungen, des Todes des Kindes. Der Gesetzgeber habe nicht alle Fälle der Beendigung der Elternzeit geregelt. Die Elternzeit ende stets auch ohne besondere gesetzliche Erwähnung, wenn das Arbeitsverhältnis während ihrer Dauer z.B. wegen Fristablaufs ende.
32 
cc) Demgegenüber geht die wohl überwiegende Meinung in der Literatur davon aus, dass die Elternzeit bei einem nachträglichen Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen nicht automatisch ende. Insoweit wird auf § 16 Abs. 3 BEEG verwiesen, wonach für die vorzeitige Beendigung die Zustimmung des Arbeitgebers erforderlich sei. Zudem sei nach § 16 Abs. 5 BEEG der Wechsel in der Änderung der Anspruchsberechtigung dem Arbeitgeber lediglich mitzuteilen, wozu auch der Wegfall der Anspruchsberechtigung gehört. Nach der Konzeption des § 16 BEEG sei das Dispositionsinteresse des Arbeitgebers vorrangig. Er könne den Arbeitnehmer auffordern, die Arbeit aufzunehmen. Eine Rechtspflicht bestehe nicht. Ggf. habe der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Beschäftigung gem. § 241 BGB, wenn keine betrieblichen Gründe entgegenstünden (vgl. im Einzelnen Brose/Weth/Volk/Schneider, 9. Aufl. 2020, BEEG § 16 Rn. 32; MHdB ArbR, § 191 Anspruch auf Elternzeit Rn.16, beck-online; Meisel/Sowka BErzGG § 16 Rn. 20 ff.; Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, BEEG § 16 Rn. 19, beck-online; Zmarzlik/Zipperer/Viethen MuSchG, Mutterschaftsleistungen, BundeserziehungsgeldG, 9. Aufl, § 16 Rn 13 ff; Küttner Personalbuch, Elternzeit Rn. 19, 20, beck-online; BeckOK ArbR/Schrader, 58. Ed. 1.12.2020, BEEG § 16; Rancke, Mutterschutz – Elterngeld – Elternzeit – Betreuungsgeld, BEEG § 16 Rn. 19, beck-online; gegen ein automatisches Ende der EZ im Ergebnis auch LAG Nürnberg, Urteil vom 10. April 2002 – 4 Sa 344/01 –, Rn. 45 - 46, juris).
33 
b) Die Kammer schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Die Inanspruchnahme der Elternzeit ist ein Gestaltungsrecht des Arbeitnehmers. Mit Zugang der Erklärung des Arbeitnehmers sind die wechselseitigen Hauptpflichten ab dem Zeitpunkt, den der Arbeitnehmer in der Erklärung benannt hat, suspendiert. Für den Eintritt des besonderen Kündigungsschutzes nach § 18 Abs. 1 S. 3 BEEG bedarf es folglich der rechtswirksamen Inanspruchnahme der Elternzeit. Ist die Elternzeit aber einmal rechtswirksam in Anspruch genommen, regelt § 16 BEEG erkennbar abschließend eine vorzeitige Beendigung. In § 16 Abs. 4 BEEG ist der Fall des Wegfalls der Anspruchsvoraussetzungen durch den Tod des Kindes geregelt. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, nur diesen besonderen Härtefall zum Anlass zu nehmen, die Elternzeit automatisch zu beenden. Für alle anderen Fälle gilt § 16 Abs. 3 S. 1 BEEG, der die Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers schützt. Es kann – ohne ausdrückliche Regelung - vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen sein, dem Elternzeit in Anspruch nehmenden Elternteil die Möglichkeit zu eröffnen, trotz ursprünglicher Geltendmachung eines langen Elternzeitzeitraums diese nach freiem Belieben durch Aufgabe der Kinderbetreuung/-erziehung und/oder Aufgabe des gemeinsamen Hausstandes ohne jegliche Frist und Vorankündigung zu beenden; andernfalls wäre der Arbeitgeber nicht in der Lage, sinnvolle Dispositionen für den Elternzeitzeitraum (wie z.B. die befristete Einstellung einer Elternzeitvertretung) zu treffen.
34 
2. War die Elternzeit zum Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung nicht beendet, bedarf es keiner Entscheidung, ob die Beklagte Kenntnis vom Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen hatte und ggf. ein treuwidriges widersprüchliches Verhalten anzunehmen wäre, wenn es die Beklagte hingenommen hätte, dass die Klägerin nicht – in Vollzeit - zur Arbeit erscheint, sie folglich wie eine elternzeitberechtigte Person behandelt hätte und erst im Kündigungsschutzverfahren geltend macht, der besondere Kündigungsschutz greife nicht (vgl. ErfK/Gallner, 21. Aufl. 2021, BEEG § 18 Rn. 9; Eylert/Sänger RdA 2010, 24, beck-online; BAG, Urteil vom 26. 6. 2008 - 2 AZR 23/07, NZA 2008, 1241, beck-online).
II.
35 
Die zulässige Widerklage ist unbegründet.
36 
1. Der Beklagten steht kein Anspruch auf Herausgabe ihres Betriebseigentums in Form des der Klägerin überlassenen Notebooks und Mobiltelefons aus § 985 BGB oder aus § 10 S. 2 des Arbeitsvertrages zu. Zwar sind diese Gegenstände auch im unbeendeten Arbeitsverhältnis auf Verlangen der Beklagten herauszugeben, soweit weder vorgetragen noch sonst ersichtlich wäre, dass der Klägerin diese auch zur Privatnutzung überlassen worden waren. Die Klägerin hat jedoch in der mündlichen Verhandlung unbestritten erklärt, nicht (mehr) im Besitz dieser Gegenstände zu sein.
37 
2. Der hilfsweise geltend gemachte Schadensersatzanspruch besteht nicht. Zwar ist bei Unmöglichkeit der Herausgabepflicht Schadenersatz gem. §§ 280 Abs. 3, 283 BGB zu leisten. Abweichend von § 280 Abs. 1 S. 2 BGB wird bei der Verletzung einer Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis das Vertretenmüssen jedoch nicht vermutet, sondern ist vom Arbeitgeber gem. § 619a BGB – unter Berücksichtigung der Haftungsprivilegierung nach Verschuldensgrad - darzulegen und zu beweisen. Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen.
III.
38 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO und berücksichtigt das vollständige Unterliegen der Beklagten hinsichtlich Klage und Widerklage.
39 
Die Festsetzung des Rechtsmittelstreitwerts folgt §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO. Der Wert der Klage wurde dabei mit dem Quartalsverdienst, der der Widerklage mit dem Wert des Hilfsantrags angesetzt.
40 
Unbeschadet der Statthaftigkeit der Berufung kraft Gesetzes gem. § 64 Abs. 2 lit b) und c) ArbGG hinsichtlich des Feststellungsantrags war diese gesondert gem. § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, da der Frage der Beendigung der Elternzeit bei nachträglichem Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen grundsätzliche Bedeutung zukommt. Hinsichtlich der Abweisung der Widerklage ist ein Zulassungsgrund nicht gegeben.

Gründe

 
I.
26 
Die zulässige Klage ist begründet.
27 
Die Kündigung ist wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot gem. § 18 Abs. 1 S. 3 BEEG unwirksam. Dabei kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen der §§ 15, 16 BEEG - wie die Beklagte behauptet – zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung nicht mehr vorlagen, da unbeschadet dessen die Elternzeit nicht beendet war.
28 
1. Gemäß § 18 Abs. 1 S. 3 BEEG darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit nicht kündigen, sofern keine Zulässigkeitserklärung nach Satz 4 vorliegt. Vorliegend liegt weder eine solche Zulässigkeitserklärung vor, noch hätten sich die Parteien über eine vorzeitige Beendigung der Elternzeit gem. § 16 Abs. 3 S. 1 BEEG geeinigt.
29 
a) Welche Rechtsfolgen für die Elternzeit an den nachträglichen Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen der §§ 15, 16 BEEG zu knüpfen sind, ist allerdings umstritten.
30 
aa) Das Bundesarbeitsgericht geht davon aus, dass das Kündigungsverbot des § 18 BEEG grundsätzlich nur dann besteht, wenn die Arbeitnehmerin die Elternzeit berechtigterweise angetreten hat und zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für die Elternzeit vorliegen. Zum Kündigungszeitpunkt müssten deshalb sowohl die Voraussetzungen von § 15 BEEG als auch die des § 16 BEEG erfüllt sein. Nur derjenige komme in den Genuss des besonderen Kündigungsschutzes nach § 18 BEEG, der sich berechtigterweise in Elternzeit befinde (BAG, Urteil vom 10.5.2016 – 9 AZR 145/15, NZA 2016, 1137, beck-online; Urteil vom 26. 6. 2008 - 2 AZR 23/07, NZA 2008, 1241, beck-online). Den Entscheidungen des BAG lagen jedoch Fallgestaltungen zu Grunde, bei denen die Inanspruchnahme der Elternzeit (form-)fehlerhaft war, also von Anfang an der Anspruch auf Elternzeit nicht ordnungsgemäß geltend gemacht wurde. Nicht ausdrücklich entschieden sind bislang Fälle, in denen die Voraussetzungen der rechtswirksam in Anspruch genommenen Elternzeit zu einem späteren Zeitpunkt weggefallen waren.
31 
bb) Teilweise wird in der Literatur (ErfK/Gallner, 21. Aufl. 2021, BEEG § 16 Rn. 8) vertreten, von der vorzeitigen Beendigung der EZ sei der Fall zu unterscheiden, wenn die Voraussetzungen für die Elternzeit inzwischen weggefallen sind, z.B. weil der Arbeitnehmer die Personensorge für das Kind verliert. In diesem Fall sei der durch den Antritt der Elternzeit eingetretene Ruhenstatbestand beendet. Der Arbeitnehmer sei zur Arbeit verpflichtet, der Arbeitgeber zur Beschäftigung. Der Arbeitgeber könne die Arbeitsaufnahme, der Arbeitnehmer die Beschäftigung auf seinem bisherigen Arbeitsplatz oder auf einer inhaltlich gleichwertigen Stelle verlangen. Weigere sich eine Vertragspartei, komme sie in Verzug. Dagegen lasse sich nicht der Wortlaut des § 16 Abs. 3 S. 1 BEEG anführen. Das dort genannte Zustimmungserfordernis betreffe nur den Fall, dass die Voraussetzungen für die Elternzeit noch gegeben seien, der Arbeitnehmer jedoch lieber arbeiten möchte. Die Konstellation, in der die Elternzeit-Voraussetzungen weggefallen sind, werde von § 16 Abs. 3 S. 1 BEEG nicht erfasst. Der Gesetzgeber habe mit § 16 Abs. 4 BEEG auch keine abschließende Sonderregelung getroffen. Diese Vorschrift regele nur die besonderen Modalitäten des tragischsten Sachverhalts weggefallener Elternzeit-Voraussetzungen, des Todes des Kindes. Der Gesetzgeber habe nicht alle Fälle der Beendigung der Elternzeit geregelt. Die Elternzeit ende stets auch ohne besondere gesetzliche Erwähnung, wenn das Arbeitsverhältnis während ihrer Dauer z.B. wegen Fristablaufs ende.
32 
cc) Demgegenüber geht die wohl überwiegende Meinung in der Literatur davon aus, dass die Elternzeit bei einem nachträglichen Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen nicht automatisch ende. Insoweit wird auf § 16 Abs. 3 BEEG verwiesen, wonach für die vorzeitige Beendigung die Zustimmung des Arbeitgebers erforderlich sei. Zudem sei nach § 16 Abs. 5 BEEG der Wechsel in der Änderung der Anspruchsberechtigung dem Arbeitgeber lediglich mitzuteilen, wozu auch der Wegfall der Anspruchsberechtigung gehört. Nach der Konzeption des § 16 BEEG sei das Dispositionsinteresse des Arbeitgebers vorrangig. Er könne den Arbeitnehmer auffordern, die Arbeit aufzunehmen. Eine Rechtspflicht bestehe nicht. Ggf. habe der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Beschäftigung gem. § 241 BGB, wenn keine betrieblichen Gründe entgegenstünden (vgl. im Einzelnen Brose/Weth/Volk/Schneider, 9. Aufl. 2020, BEEG § 16 Rn. 32; MHdB ArbR, § 191 Anspruch auf Elternzeit Rn.16, beck-online; Meisel/Sowka BErzGG § 16 Rn. 20 ff.; Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, BEEG § 16 Rn. 19, beck-online; Zmarzlik/Zipperer/Viethen MuSchG, Mutterschaftsleistungen, BundeserziehungsgeldG, 9. Aufl, § 16 Rn 13 ff; Küttner Personalbuch, Elternzeit Rn. 19, 20, beck-online; BeckOK ArbR/Schrader, 58. Ed. 1.12.2020, BEEG § 16; Rancke, Mutterschutz – Elterngeld – Elternzeit – Betreuungsgeld, BEEG § 16 Rn. 19, beck-online; gegen ein automatisches Ende der EZ im Ergebnis auch LAG Nürnberg, Urteil vom 10. April 2002 – 4 Sa 344/01 –, Rn. 45 - 46, juris).
33 
b) Die Kammer schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Die Inanspruchnahme der Elternzeit ist ein Gestaltungsrecht des Arbeitnehmers. Mit Zugang der Erklärung des Arbeitnehmers sind die wechselseitigen Hauptpflichten ab dem Zeitpunkt, den der Arbeitnehmer in der Erklärung benannt hat, suspendiert. Für den Eintritt des besonderen Kündigungsschutzes nach § 18 Abs. 1 S. 3 BEEG bedarf es folglich der rechtswirksamen Inanspruchnahme der Elternzeit. Ist die Elternzeit aber einmal rechtswirksam in Anspruch genommen, regelt § 16 BEEG erkennbar abschließend eine vorzeitige Beendigung. In § 16 Abs. 4 BEEG ist der Fall des Wegfalls der Anspruchsvoraussetzungen durch den Tod des Kindes geregelt. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, nur diesen besonderen Härtefall zum Anlass zu nehmen, die Elternzeit automatisch zu beenden. Für alle anderen Fälle gilt § 16 Abs. 3 S. 1 BEEG, der die Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers schützt. Es kann – ohne ausdrückliche Regelung - vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen sein, dem Elternzeit in Anspruch nehmenden Elternteil die Möglichkeit zu eröffnen, trotz ursprünglicher Geltendmachung eines langen Elternzeitzeitraums diese nach freiem Belieben durch Aufgabe der Kinderbetreuung/-erziehung und/oder Aufgabe des gemeinsamen Hausstandes ohne jegliche Frist und Vorankündigung zu beenden; andernfalls wäre der Arbeitgeber nicht in der Lage, sinnvolle Dispositionen für den Elternzeitzeitraum (wie z.B. die befristete Einstellung einer Elternzeitvertretung) zu treffen.
34 
2. War die Elternzeit zum Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung nicht beendet, bedarf es keiner Entscheidung, ob die Beklagte Kenntnis vom Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen hatte und ggf. ein treuwidriges widersprüchliches Verhalten anzunehmen wäre, wenn es die Beklagte hingenommen hätte, dass die Klägerin nicht – in Vollzeit - zur Arbeit erscheint, sie folglich wie eine elternzeitberechtigte Person behandelt hätte und erst im Kündigungsschutzverfahren geltend macht, der besondere Kündigungsschutz greife nicht (vgl. ErfK/Gallner, 21. Aufl. 2021, BEEG § 18 Rn. 9; Eylert/Sänger RdA 2010, 24, beck-online; BAG, Urteil vom 26. 6. 2008 - 2 AZR 23/07, NZA 2008, 1241, beck-online).
II.
35 
Die zulässige Widerklage ist unbegründet.
36 
1. Der Beklagten steht kein Anspruch auf Herausgabe ihres Betriebseigentums in Form des der Klägerin überlassenen Notebooks und Mobiltelefons aus § 985 BGB oder aus § 10 S. 2 des Arbeitsvertrages zu. Zwar sind diese Gegenstände auch im unbeendeten Arbeitsverhältnis auf Verlangen der Beklagten herauszugeben, soweit weder vorgetragen noch sonst ersichtlich wäre, dass der Klägerin diese auch zur Privatnutzung überlassen worden waren. Die Klägerin hat jedoch in der mündlichen Verhandlung unbestritten erklärt, nicht (mehr) im Besitz dieser Gegenstände zu sein.
37 
2. Der hilfsweise geltend gemachte Schadensersatzanspruch besteht nicht. Zwar ist bei Unmöglichkeit der Herausgabepflicht Schadenersatz gem. §§ 280 Abs. 3, 283 BGB zu leisten. Abweichend von § 280 Abs. 1 S. 2 BGB wird bei der Verletzung einer Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis das Vertretenmüssen jedoch nicht vermutet, sondern ist vom Arbeitgeber gem. § 619a BGB – unter Berücksichtigung der Haftungsprivilegierung nach Verschuldensgrad - darzulegen und zu beweisen. Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen.
III.
38 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO und berücksichtigt das vollständige Unterliegen der Beklagten hinsichtlich Klage und Widerklage.
39 
Die Festsetzung des Rechtsmittelstreitwerts folgt §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO. Der Wert der Klage wurde dabei mit dem Quartalsverdienst, der der Widerklage mit dem Wert des Hilfsantrags angesetzt.
40 
Unbeschadet der Statthaftigkeit der Berufung kraft Gesetzes gem. § 64 Abs. 2 lit b) und c) ArbGG hinsichtlich des Feststellungsantrags war diese gesondert gem. § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, da der Frage der Beendigung der Elternzeit bei nachträglichem Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen grundsätzliche Bedeutung zukommt. Hinsichtlich der Abweisung der Widerklage ist ein Zulassungsgrund nicht gegeben.

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