Beschluss vom Bundesgerichtshof (12. Zivilsenat) - XII ZB 487/15

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 12. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts München vom 16. September 2015 aufgehoben.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Miesbach vom 12. Februar 2015 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Antrag als unzulässig verworfen wird.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren werden dem Antragsteller auferlegt.

Von Rechts wegen

Gründe

I.

1

Die Beteiligten sind seit 1991 miteinander verheiratet. Im Jahr 1999 erwarb der Antragsteller (Ehemann) ein Hausanwesen zum Alleineigentum, welches er fortan gemeinsam mit der Antragsgegnerin (Ehefrau) und den drei Kindern als Familienheim nutzte. Nach der Trennung Anfang 2006 verließ der Ehemann das Familienheim und zog zunächst in ein der Ehefrau gehörendes und später in ein von ihm selbst im Jahr 2004 erworbenes und ursprünglich als neues Familienheim vorgesehenes Haus. Bemühungen des Ehemanns, den Kaufpreis dieses Hauses durch den Erlös aus einem Verkauf des vormaligen, noch von der Ehefrau bewohnten Familienheims abzulösen, blieben ebenso erfolglos wie sein 2011 gestellter Antrag, ihm das vormalige Familienheim im Wege der einstweiligen Anordnung zur alleinigen Nutzung zuzuweisen. Schließlich veräußerte er das im Jahr 2004 erworbene Haus und wohnt nunmehr gemeinsam mit einer neuen Lebensgefährtin und drei minderjährigen Kindern in einem anderen Haus zur Miete, wobei die Mietdauer des befristeten Mietvertrags bereits abgelaufen ist.

2

Nachdem die jüngste gemeinsame Tochter der Beteiligten inzwischen volljährig ist und ihre Schulausbildung abgeschlossen hat, verlangt der Ehemann nunmehr aus Eigentum die Herausgabe des noch von der Ehefrau bewohnten Anwesens an ihn, damit er mit seiner neuen Familie dort einziehen könne. Das Familiengericht hat den Antrag zurückgewiesen. Auf die Beschwerde des Ehemanns hat das Oberlandesgericht die Ehefrau durch Beschluss vom 16. September 2015 verpflichtet, das Anwesen bis spätestens zum 31. März 2016 an ihn herauszugeben. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Ehefrau.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

4

1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Der Antrag auf Herausgabe nach § 985 BGB sei zulässig. Zwar gehe die Regelung des § 1361 b BGB als lex specialis dem Herausgabeanspruch aus § 985 BGB vor, soweit eine Ehewohnung vorliege. Das gelte aber nicht, wenn für keinen Ehegatten die Voraussetzungen eines familienrechtlichen Überlassungsanspruchs erfüllt seien; in solchen Fällen sei ein Herausgabeantrag nach § 985 BGB anstelle des Wohnungszuweisungsverfahrens zulässig.

5

Eine Wohnungszuweisung sei im vorliegenden Fall nicht möglich. Zwar habe das Anwesen seinen Charakter als Ehewohnung nicht dadurch verloren, dass der Ehemann im Jahr 2006 aus ihr gewichen sei, denn dies sei nur den aktuellen Erfordernissen der Trennungssituation geschuldet gewesen und bedeute keine endgültige Aufgabe der Wohnung. Der Ehemann habe die Wohnung jedoch dadurch endgültig aufgegeben, dass er Ende 2007 in das 2004 erworbene Haus eingezogen sei und die Absicht verfolgt habe, das vormalige Familienheim zu veräußern. Dadurch habe er zum Ausdruck gebracht, dass er keine Rückkehrabsichten in das frühere Haus mehr gehabt habe, so dass eine Zuweisung als Ehewohnung auf der Grundlage des § 1361 b BGB für keinen Ehegatten mehr infrage komme.

6

Der Herausgabeanspruch aus § 985 BGB sei auch begründet, da die Ehefrau kein Recht zum Besitz gemäß § 986 BGB entgegensetzen könne. Ein solches ergebe sich weder aus Vereinbarung noch aus § 1361 b Abs. 4 BGB. Zwar bestehe nach dieser Vorschrift die unwiderlegbare Vermutung der Nutzungsüberlassung, nachdem der Ehemann Ende 2007 endgültig aus der früheren Ehewohnung ausgezogen sei und jedenfalls bis Ende 2011 keine ernsthafte Rückkehrabsicht geäußert habe. Eine Berufung der Ehefrau auf § 1361 b Abs. 4 BGB sei jedoch wegen der besonderen Umstände und der langen Trennungszeit rechtsmissbräuchlich gemäß § 242 BGB. Zum einen habe der Ehemann von Anfang an klar gemacht, dass die Überlassung nur eine vorübergehende bis zum Schulabschluss der Tochter sein solle. Zum anderen hätten die Ehegatten bereits vor der Trennung gemeinsam den Entschluss gefasst, das Anwesen zu veräußern, um damit das in 2004 erworbene Haus zu finanzieren. Von dem gemeinsamen Vorhaben, das vormalige Familienheim als Ehewohnung aufzugeben, habe sich die Ehefrau nicht einseitig lösen können. Hinzu komme die ungewöhnliche Dauer des Scheidungsverfahrens. Durch die Regelung des § 1361 b BGB solle Rechtssicherheit hinsichtlich der Nutzungsverhältnisse an der Wohnung während der - normalerweise überschaubaren - Trennungszeit geschaffen werden. Angesichts einer Ehedauer von 15 Jahren sei die bereits verstrichene Trennungszeit von zehn Jahren so ungewöhnlich lang, dass auch dies - in Zusammenschau mit den besonderen Umständen - eine Berufung auf § 1361 b BGB verbiete.

7

Ein Recht zum Besitz der Ehefrau ergebe sich auch nicht aus dem Wesen der Ehe. Zwar folge aus dem Schutz des räumlich-gegenständlichen Lebensbereichs der Ehe auch die Besitzberechtigung des während eines laufenden Scheidungsverfahrens in der Ehewohnung zurückgebliebenen Ehegatten, bis sich die Beteiligten über die Nutzung der Wohnung geeinigt hätten oder eine richterliche Entscheidung nach § 1361 b BGB ergehe. Durch den Auszug des Ehemanns habe das Anwesen jedoch den Charakter als Ehewohnung verloren, so dass ein Verfahren nach § 1361 b BGB nicht mehr möglich sei. Soweit der Ehefrau ein Schutz aus Art. 6 Abs. 1 GG und § 1353 BGB zustehe, könne dieser nicht größer sein als ein Recht, das sie im Verfahren nach § 1361 b BGB hätte, wenn dies vom Antragsgegner noch eingeleitet werden könnte, denn mit dieser Vorschrift habe der Gesetzgeber Abwägungskriterien geschaffen, die sowohl dem Schutz der Ehe nach Art. 6 GG als auch dem Eigentumsrecht nach Art. 14 GG gerecht würden. Eine Abwägung nach diesen Kriterien würde zugunsten des Antragstellers ausfallen, da das Eigentumsrecht gemäß § 1361 b Abs. 1 Satz 3 BGB besonders zu berücksichtigen sei, die aus der Ehe hervorgegangenen, allesamt volljährigen Kinder längst studierten und vonseiten der Ehefrau keine ernsthaften Gründe vorgetragen worden seien, weshalb sie nicht in eine andere Wohnung umziehen könne. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass der Ehemann das Anwesen jederzeit veräußern könne und der Erwerber dann die Herausgabe von der Ehefrau verlangen könnte, da ihm gegenüber ein Recht zum Besitz nicht bestünde.

8

Auch wenn die Ehefrau sich auf ein Recht zum Besitz nicht berufen könne, fordere jedoch eine verfassungskonforme Auslegung, die das Grundrecht der Antragsgegnerin auf Schutz der Ehe gemäß Art. 6 Abs. 1 GG berücksichtige, dass eine Herausgabe nicht sofort verlangt werden könne. Ihr müsse angemessene Zeit gegeben werden, ihren bisher durch die Ehewohnung gedeckten Wohnbedarf im Wege des ergänzenden Trennungsunterhalts geltend zu machen. Zudem sei ihr eine gewisse Zeit für die Suche einer neuen angemessenen Wohnung zuzugestehen, so dass die Herausgabeverpflichtung mit einer Übergangsfrist von gut sechs Monaten angemessen sei.

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2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

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a) Wie der Bundesgerichtshof bereits unter Geltung der früheren Hausratsverordnung entschieden hat, ist während des Scheidungsverfahrens die auf § 985 BGB gestützte Klage eines Ehegatten gegen den anderen auf Herausgabe der Ehewohnung unzulässig (BGHZ 67, 217 = NJW 1977, 43 und BGHZ 71, 216 = FamRZ 1978, 496). Daran hat sich durch das Inkrafttreten des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) nichts geändert (vgl. MünchKommBGB/Baldus 6. Aufl. § 985 Rn. 122; Staudinger/Gursky BGB [Stand: 2013] § 985 Rn. 25).

11

Sinn und Zweck der früheren Regelung war es, Streitigkeiten der genannten Art während des Scheidungsverfahrens und bereits vorher im Falle des Getrenntlebens der Ehegatten bei dem Ehegericht zu konzentrieren (vgl. BGHZ 67, 217, 219 = NJW 1977, 43). Zwar wird im heutigen Verfahrensrecht die Konzentration aller aus der Ehe herrührenden Ansprüche auf das Familiengericht bereits durch § 266 Abs. 1 Nr. 2 FamFG gewährleistet. Jedoch werden Verfahren auf Eigentumsherausgabe einerseits und Ehewohnungssachen andererseits nach unterschiedlichen Verfahrensgrundsätzen verhandelt und entschieden. Verfahren auf Eigentumsherausgabe gehören zu den Familienstreitsachen (§ 112 Nr. 3 FamFG), für die die allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung und deren Vorschriften über das Verfahren vor den Landgerichten entsprechend gelten (§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG). Ehewohnungssachen sind hingegen Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 111 Nr. 5 FamFG), für die der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Außerdem ist in solchen Verfahren das Jugendamt auf seinen Antrag zu beteiligen, wenn Kinder im Haushalt der Ehegatten leben (§ 204 Abs. 2 FamFG). Unabhängig davon soll das Gericht das Jugendamt anhören (§ 205 Abs. 1 Satz 1 FamFG), welches die Interessen der im Haushalt lebenden Kinder zur Geltung zu bringen hat. Wäre es zulässig, die Herausgabe einer Ehewohnung - etwa aus Eigentum - als Familienstreitsache zu betreiben, ginge der besondere Schutz verloren, den das Gesetz für Ehewohnungen sowohl materiell-rechtlich (§ 1361 b BGB) als auch verfahrensrechtlich (§§ 200 ff. FamFG) gewährleistet. Die Regelungen über die Ehewohnung entspringen dem Schutz des räumlich gegenständlichen Bereichs der Ehe (vgl. BGHZ 71, 216, 223 = FamRZ 1978, 496, 497). Sie entfalten unter den getrenntlebenden Ehegatten sowohl materiell-rechtlich als auch verfahrensrechtlich eine Sperrwirkung gegenüber Herausgabeansprüchen aus anderem Rechtsgrund.

12

b) In die Regelungen des § 1361 b BGB sind, wie sich aus Absatz 1 Satz 3 der Vorschrift ergibt, Fälle von Eigentum, Erbbaurecht, Nießbrauch, Wohnungseigentum, Dauerwohnrecht und dinglichem Wohnrecht grundsätzlich unabhängig davon einbezogen, ob sie beiden Ehegatten gemeinsam oder nur einem von ihnen allein oder gemeinsam mit einem Dritten zustehen (Senatsbeschluss BGHZ 199, 322 = FamRZ 2014, 460 Rn. 11). Deshalb fällt auch das im Eigentum des Ehemanns stehende Familienheim unter die Vorschrift.

13

c) Bei dem streitgegenständlichen Anwesen handelt es sich nach wie vor um die Ehewohnung. Die Qualifizierung als Ehewohnung hängt nicht davon ab, dass noch beide Ehegatten in der Wohnung leben. Sie behält ihren Charakter als Ehewohnung während der gesamten Trennungszeit (vgl. Bork/Jacoby/Schwab FamFG 2. Aufl. § 200 Rn. 15). Das folgt auch aus der Regelung des § 1568 a Abs. 2 BGB. Danach kann, wenn einer der Ehegatten Alleineigentümer des Grundstücks ist, auf dem sich die Ehewohnung befindet, der andere Ehegatte die Überlassung anlässlich der Scheidung nur dann verlangen, wenn dies notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden. Der hierdurch geänderte Maßstab für die (weitere) Überlassung anlässlich der Scheidung wäre gegenstandslos, gälte eine Ehewohnung, die ein Ehegatte während der Trennungszeit für einen längeren Zeitraum verlassen hat, nicht mehr als solche. Dasselbe gilt für die Regelungen des § 1568 a Abs. 3 bis 5 BGB über die Sonderrechtsnachfolge und Begründung von Mietverhältnissen über die Ehewohnung aufgrund deren endgültiger Überlassung anlässlich der Scheidung (vgl. Erbarth FamRZ 2013, 1281, 1282). Insbesondere erfordert jedoch der gegenständliche Schutz der Ehe und Familie, dass für den gewichenen Ehegatten selbst nach längerer Abwesenheit noch die Möglichkeit besteht, in die Ehewohnung zurückzukehren, falls etwa Belange des Kindeswohls dies erforderlich machen (vgl. MünchKomm/Weber-Monecke BGB 6. Aufl. § 1361 b Rn. 26). Insoweit muss während der Trennungszeit eine Abänderung (§ 48 Abs. 1FamFG) oder eine erstmalige Zuweisung möglich sein, welche den Fortbestand als Ehewohnung voraussetzt. Soweit der Senat bisher - in Übereinstimmung mit Teilen der Literatur - eine abweichende Auffassung vertreten hat (vgl. Senatsurteil vom 12. Juni 2013 - XII ZR 143/11 - FamRZ 2013, 1280 Rn. 8 mwN), hält er daran nicht fest.

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d) Die Konzentration der Besitzregelung unter den Ehegatten auf das Verfahren nach § 1361 b BGB und der damit verbundene Ausschluss der Möglichkeit eines Herausgabeverlangens nach § 985 BGB halten sich, was den grundrechtlich gewährleisteten Eigentumsschutz betrifft, innerhalb zulässiger gesetzlicher Inhalts- und Schrankenbestimmungen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG).

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aa) Die familienrechtlichen Vorschriften, die die Zuweisung der Ehewohnung regeln und den Richter zur Gestaltung bestehender Rechtsverhältnisse bei Getrenntleben (§ 1361 b BGB) und anlässlich der Scheidung (§ 1568 a BGB) im Verfahren nach den §§ 200 ff. FamFG ermächtigen, enthalten eine Inhalts- und Schrankenbestimmung für Eigentum an Wohnraum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Die mit der Rechtsgestaltung durch den Richter verbundene Beschränkung des Eigentums findet ihre Rechtfertigung darin, dass die Ehewohnung vereinbarungsgemäß einer Familie als Lebensmittelpunkt gedient hat und der Eigentümer-Ehegatte sogar über die Scheidung hinaus dem anderen Ehegatten und insbesondere seinen Kindern zur Rücksichtnahme verpflichtet ist. Der Gesetzgeber kann daher im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 und 2 GG das Verfügungsrecht des Eigentümers auch nach der Scheidung beschränken, soweit dies insbesondere zum Wohl der Kinder erforderlich ist (vgl. BVerfG FamRZ 1991, 1413).

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bb) Die Anwendung der Vorschriften führt auch im konkreten Fall nicht zu einer unverhältnismäßigen, die Sozialbindung überschreitenden Beschränkung des Eigentumsrechts.

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(1) Zum einen liegt derzeit keine endgültige Beeinträchtigung des Verfügungsrechts des Eigentümer-Ehegatten über sein Eigentum vor, sondern nur eine vorübergehende Regelung für die Dauer der Trennungszeit. Sie beruht auf der gesetzlichen Vermutung einer einvernehmlichen Überlassung, nachdem der Ehemann aus der Ehewohnung ausgezogen ist und binnen sechs Monaten nach seinem Auszug eine ernstliche Rückkehrabsicht dem anderen Ehegatten gegenüber nicht bekundet hat (§ 1361 b Abs. 4 BGB). Für die Überlassung kann er grundsätzlich eine Vergütung verlangen, soweit dies der Billigkeit entspricht (§ 1361 b Abs. 3 BGB); auch darin kann sich der wirtschaftliche Wert des Eigentums verwirklichen. In ähnlicher Weise verwirklicht sich das Eigentum, wenn zwar keine Nutzungsvergütung gezahlt wird, stattdessen jedoch - wie hier - die Überlassung als Deckung des Wohnbedarfs auf den ansonsten geschuldeten Trennungsunterhalt angerechnet wird (vgl. Senatsurteil vom 11. Dezember 1985 - IVb ZR 83/84 - FamRZ 1986, 436).

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(2) Zum anderen kann der Ehemann nach wie vor eine Wohnungszuweisung an sich gemäß § 1361 b Abs. 1 BGB im Verfahren nach den §§ 200 ff. FamFG verfolgen.

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(a) Leben die Ehegatten voneinander getrennt, so kann gemäß § 1361 b Abs. 1 BGB ein Ehegatte verlangen, dass ihm der andere die Ehewohnung oder einen Teil zur alleinigen Benutzung überlässt, soweit dies auch unter Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden.

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(b) Ein Anspruch des Ehemanns nach § 1361 b Abs. 1 BGB ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass aufgrund der Vermutungswirkung des § 1361 b Abs. 4 BGB davon auszugehen ist, dass er der in der Ehewohnung verbliebenen Ehefrau das alleinige Nutzungsrecht überlassen hat.

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(aa) Zwar greift die gesetzliche Vermutungsregel hier ein. Denn nach der Trennung der Ehegatten im Sinne des § 1567 Abs. 1 BGB ist der Ehemann aus der Ehewohnung ausgezogen und hat binnen sechs Monaten nach seinem Auszug keine ernstliche Rückkehrabsicht der Ehefrau gegenüber bekundet.

22

(bb) Die Vermutungswirkung des § 1361 b Abs. 4 BGB erschöpft sich indessen in der Rechtstatsache, dass ein Überlassungsverhältnis begründet worden ist, auf das die Rechtsfolgen des § 1361 b Abs. 3 BGB einstweilen gestützt werden können. Folge der Vermutungswirkung ist jedoch weder, dass die Ehewohnung ihren Charakter als solche verliert (a.A. MünchKommBGB/Weber-Monecke 6. Aufl. § 1361 b BGB Rn. 25; Staudinger/Voppel BGB [2012] § 1361 b Rn. 12), noch liegt in der gesetzlichen Vermutung für die Entstehung des Überlassungsverhältnisses bereits eine Festlegung über dessen Endgültigkeit.

23

(cc) Zwar ist das auf Grundlage des § 1361 b Abs. 4 BGB begründete Überlassungsverhältnis nicht frei kündbar und währt somit regelmäßig bis zum Ende der Trennungszeit. Das schließt aber nicht aus, bei wesentlicher Veränderung der zugrundeliegenden Umstände eine Abänderung der Überlassungsregelung nach § 1361 b Abs. 1 BGB zu verfolgen (a.A. Götz/Brudermüller Die gemeinsame Wohnung Rn. 189; Johannsen/Henrich/Götz Familienrecht 6. Aufl. § 1361 b Rn. 52).

24

Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass § 1361 b Abs. 4 BGB von einer unwiderleglichen Vermutung der Überlassung spricht. Der Begriff der Unwiderleglichkeit ist nämlich nur von beweisrechtlicher Bedeutung: Er bewirkt, dass der Gegenbeweis für die Annahme, dass durch den Auszug des einen Ehegatten ein Überlassungsverhältnis begründet worden ist, nicht geführt werden kann (vgl. § 292 Satz 1 ZPO). Über die spätere Abänderbarkeit des durch den Auszug und anschließendes Stillhalten begründeten Überlassungsverhältnisses besagt das nichts.

25

(dd) Die materielle Reichweite der nach § 1361 b Abs. 4 BGB vermuteten Überlassung kann unterdessen bereits aus systematischen Gründen nicht weiter gehen, als wenn das Familiengericht einem Verlangen des verbliebenen Ehegatten auf Wohnungsüberlassung gemäß § 1361 b Abs. 1 BGB stattgegeben hätte. Denn hätte der weichende Ehegatte seine Rückkehrabsicht innerhalb der Sechsmonatsfrist bekundet und wäre er in einer Ehewohnungssache zur Überlassung der Wohnung an den verbliebenen Ehegatten verpflichtet worden, unterläge diese Entscheidung der Abänderungsmöglichkeit nach § 48 Abs. 1 FamFG (Keidel/Giers FamFG 18. Aufl. § 200 Rn. 16; FA-FamR/Klein 10. Aufl. Kap. 8 Rn. 337). Nicht schlechter gestellt sein kann ein Ehegatte, der den anfangs begründeten Überlassungsanspruch des anderen Ehegatten streitlos hinnimmt. Dem stillhaltenden Ehegatten kann nicht verwehrt sein, eine spätere Änderung der Nutzungsregelung unter denselben Voraussetzungen zu verlangen, wie ein gerichtlich zur Überlassung verpflichteter Ehegatte sie bei wesentlicher Änderung der zugrundeliegenden Sach- oder Rechtslage geltend machen könnte. Für die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Änderung der Überlassungsregelung verlangt werden kann, kommt es deswegen nicht darauf an, durch welchen Rechtsakt - freiwillige Hinnahme oder gerichtliche Anordnung - die Überlassung begründet worden ist, sondern nur auf die materielle Änderung der bei der Überlassung vorliegenden ehebezogenen Umstände.

26

(c) Eine wesentliche Änderung der zugrundeliegenden Verhältnisse kann vorliegen, wenn - wie hier - die anfangs noch im Haushalt lebenden Kinder, zu deren Wohl der weichende Ehegatte die Überlassung zunächst hingenommen hat, inzwischen volljährig geworden und aus dem Haushalt ausgezogen sind. Diese geänderten Tatsachen könnten eine Abänderungsmöglichkeit nach § 48 Abs. 1 FamFG eröffnen, wäre der Ehemann in einem vorangegangenen Verfahren nach § 1361 b Abs. 1 BGB verpflichtet worden. Besteht die Ausgangslage stattdessen in einem nach § 1361 b Abs. 4 BGB begründeten Überlassungsverhältnis, eröffnet sich anstelle des Abänderungsverfahrens nach § 48 Abs. 1 FamFG auf Grundlage der geänderten Verhältnisse die Möglichkeit einer Erstentscheidung im Ehewohnungsverfahren. In diesem Verfahren können sich - zumal nach zehnjähriger Trennungszeit - nunmehr auch die Eigentümerinteressen des Ehemanns durchsetzen, die gemäß § 1361 b Abs. 1 Satz 3 BGB schon während der Trennungszeit besonders zu berücksichtigen sind.

27

3. Der angefochtene Beschluss auf Eigentumsherausgabe kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden, da es insoweit keiner weiteren Aufklärung bedarf. Der als Familienstreitsache verfolgte Antrag auf Verpflichtung der Ehefrau zur Herausgabe des Anwesens ist im vorliegenden Familienstreitverfahren als unzulässig zu verwerfen.

28

Eine Umdeutung des gestellten Antrags in einen Antrag auf Wohnungszuweisung kommt nicht in Betracht. Zwar ist § 140 BGB auch auf Verfahrenshandlungen entsprechend anzuwenden (Zöller/Greger ZPO 31. Aufl. Vorbem. zu §§ 128-252 Rn. 25). Danach kann eine fehlerhafte Prozesshandlung in eine zulässige und wirksame umgedeutet werden, wenn deren Voraussetzungen eingehalten sind, die Umdeutung dem mutmaßlichen Parteiwillen entspricht und kein schutzwürdiges Interesse des Gegners entgegensteht (BAG NZA-RR 2012, 273 Rn. 16). Schutzwürdige Interessen, die einer Umdeutung entgegenstehen, sind hier jedoch berührt, da das Ehewohnungsverfahren sowohl einen anderen Prüfungsgegenstand hat als auch anderen Verfahrensgrundsätzen folgt, insbesondere dem Amtsermittlungsgrundsatz.

Dose                     Günter                       Nedden-Boeger

             Botur                      Guhling

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