Urteil vom Bundessozialgericht (6. Senat) - B 6 KA 30/08 R

Tatbestand

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Im Streit steht, ob die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) verpflichtet ist, vertragsärztliche Honorare an den Kläger auszukehren.

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Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Vertragsarztes B (nachfolgend als "Gemeinschuldner" bezeichnet). Dieser nahm ua in den Jahren 1998/1999 an der vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der Beklagten teil. Gegen den Gemeinschuldner wurden (ua) im Jahre 1998 durch die örtlich zuständigen Prüfgremien Regresse wegen zahlreicher Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot im Bereich der Verordnung von Arzneimitteln und Heilmitteln festgesetzt.

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Der Gemeinschuldner reichte die das Quartal IV/1998 betreffenden Abrechnungsunterlagen am 4.1.1999, und die das Quartal I/1999 betreffenden Unterlagen am 1.4.1999 bei der Beklagten ein. Diese setzte nach den Feststellungen des Sozialgerichts (SG) mit Honorarbescheid vom 17.5.1999 das Honorar des Gemeinschuldners für das Quartal IV/1998 auf 68.870,69 DM fest und mit Honorarbescheid vom 16.8.1999 für das Quartal I/1999 auf 54.796,84 DM. Gegen den Honoraranspruch für das Quartal IV/1998 rechnete die Beklagte mit einer Forderung in Höhe von 48.637,95 DM auf, gegen den Honoraranspruch für das Quartal I/1999 mit einer Forderung in Höhe von 54.796,84 DM; die Forderungen der Beklagten beruhten auf bestandskräftigen Regressfestsetzungen der Prüfgremien gegen den Gemeinschuldner.

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Aufgrund eines am 21.7.1999 beim Amtsgericht Charlottenburg eingegangenen Antrags der Kaufmännischen Krankenkasse Hannover vom 19.7.1999 wurde mit Beschluss vom 4.10.2000 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Gemeinschuldners eröffnet. Mit Schreiben vom 24.10.2000 focht der Kläger die in der Zeit ab 1.7.1999 erklärten Aufrechnungen der Beklagten an und verlangte die Zahlung der von dieser einbehaltenen Honorare an sich. Nachdem die Beklagte die Forderung nur teilweise beglichen hatte, erhob er Klage beim Landgericht (LG) Berlin, mit der er die Zahlung vertragsärztlicher Honorare in Höhe von 34.702,87 Euro zuzüglich Zinsen begehrte. Das LG Berlin gab der Klage statt (Urteil vom 8.4.2003) ; das Kammergericht (KG) Berlin wies die Berufung der Beklagten zurück und verwarf die Anschlussberufung des Klägers (Urteil vom 4.5.2004) . Auf die Revision der Beklagten hob der Bundesgerichtshof (BGH) die Urteile des KG Berlin und des LG Berlin auf und verwies den Rechtsstreit an das SG Berlin (Urteil vom 4.8.2005) .

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Das SG hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 34.702,87 Euro zu zahlen, den geltend gemachten Zinsanspruch jedoch abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Zahlungsansprüche des Klägers aus den Honorarbescheiden der Beklagten seien nicht wirksam durch Aufrechnung mit Gegenforderungen der Beklagten oder mit Forderungen der Krankenkassen erloschen, denn der Kläger habe die von der Beklagten vorgenommene Aufrechnung erfolgreich gemäß § 96 Abs 1 Nr 3, §§ 129 ff Insolvenzordnung (InsO) angefochten. Die Aufrechnung habe innerhalb der in § 130 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und 2 InsO genannten Zeiträume Wirkung erlangt, da die zur Aufrechnung gestellten Honorarforderungen des Gemeinschuldners erst durch Erlass der entsprechenden Honorarbescheide entstanden und fällig geworden seien. Etwas anderes sei auch nicht dem Urteil des BGH vom 11.5.2006 (IX ZR 247/03 - BGHZ 167, 363) zu entnehmen. Für den Zeitpunkt des Entstehens der hier zu betrachtenden Aufrechnungslage komme es gerade auf die Fälligkeit der Honorarforderung des Vertragsarztes und auf nichts anderes an. Eine insolvenzrechtliche Privilegierung der Beklagten lasse sich dem Gesetz nicht entnehmen. Für Zinsansprüche mangele es hingegen an einer Rechtsgrundlage (Urteil vom 28.5.2008) .

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Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von Bundesrecht. Das SG habe nicht erklärt, worin überhaupt eine anfechtbare Rechtshandlung iS der §§ 129 ff InsO liegen solle. Sie - die Beklagte - habe die Möglichkeit der Aufrechnung dadurch erlangt, dass der Gemeinschuldner vergütungsfähige Leistungen erbracht und sie den Vergütungsanspruch für diese Leistungen in Honorarbescheiden festgesetzt habe. Weder die Tätigkeit eines Vertragsarztes noch die Honorarfestsetzung sei als anfechtbare Rechtshandlung anzusehen. Die Möglichkeit der Aufrechnung habe sich allein aufgrund der gesetzlichen Regelungen zur Entstehung des Honoraranspruchs des zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Arztes ergeben. Im Übrigen komme es für die Begründung einer insolvenzrechtlich schützenswerten Aufrechnungslage auf die Fälligkeit der (Honorar-)Forderung gerade nicht an; ihre Erfüllbarkeit reiche aus. Die Fälligkeit des Honoraranspruchs habe - wie der BGH entschieden habe - auf dessen Entstehen keinen Einfluss.

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Der Vertragsarzt habe bis zum Erlass des Honorarbescheides keinen betragsmäßig im Voraus definierten Vergütungsanspruch für seine Leistungen, sondern lediglich einen Anspruch auf Teilhabe an der Honorarverteilung. Daher handele es sich bei den durch die Erbringung der Leistung entstandenen, aber noch nicht konkret feststehenden Honoraransprüchen um aufschiebend bedingte Forderungen bzw Rechtshandlungen iS des § 95 bzw § 140 Abs 3 InsO; die Honorarforderung sei durch die Einreichung der Abrechnungsunterlagen durch den Vertragsarzt und die Erstellung von Honorarbescheiden durch die Beklagte bedingt. Bei Anwendung des § 140 Abs 3 InsO habe der Abschluss der rechtsbegründenden Tatumstände vor dem in § 130 Abs 1 Satz 1 Nr 1 InsO genannten Zeitraum gelegen. Durch § 95 Abs 1 InsO werde im Übrigen auch das Vertrauen auf eine erst noch entstehende Aufrechnungslage geschützt.

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Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28.5.2008 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

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Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Der Begriff der anfechtbaren Rechtshandlung nach § 96 Abs 1 Nr 3 InsO sei weit auszulegen. Er setze nicht voraus, dass sich die Beklagte ein anrüchiges Verhalten vorwerfen lassen müsse, sondern solle die Begründung einer Aufrechnungslage durch jedweden Erwerb oder durch Begründung einer Gegen- oder Hauptforderung erfassen. Es bestünden schon erhebliche Zweifel an der Gegenseitigkeit der Forderungen, da die Schadensersatzforderungen den jeweiligen Krankenkassen zustünden. Die Aufrechnungslage sei im anfechtungsrelevanten Zeitraum durch Erlass der Honorarbescheide eingetreten. Der Honorarbescheid sei unverzichtbarer Teil der rechtsbegründenden Tatumstände für die Honorarforderung. Vor dessen Erlass sei eine Aufrechnung nicht möglich gewesen, da die Beklagte eine Leistung vorher noch überhaupt nicht hätte bewirken können, weil völlig unklar gewesen sei, wie hoch der Anspruch des Vertragsarztes sein werde. Dies schließe es aus, vor Erlass des Honorarbescheides von einer bereits aufschiebend bedingt entstandenen Forderung zu sprechen, denn es handele sich nicht um eine Ereignisgebundenheit, sondern um eine generelle Unerfüllbarkeit der Honorarforderung. Schließlich schaffe erst der Honorarbescheid eine gleichartige Forderung im Sinne des § 387 BGB, da er den Anspruch des Arztes auf Teilnahme an der Honorarverteilung in einen Zahlungsanspruch umwandle.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Das SG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass für die streitbefangenen Quartale noch Honoraransprüche des Gemeinschuldners bestehen, denn sie sind durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit ihr gegen den Gemeinschuldner zustehenden Forderungen erloschen. Die Aufrechnung ist auch wirksam; insbesondere hat die Beklagte die Möglichkeit der Aufrechnung nicht durch eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne des Insolvenzrechts erlangt.

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1. Der Kläger ist als Insolvenzverwalter berechtigt, die Honoraransprüche des Gemeinschuldners aus vertragsärztlicher Tätigkeit geltend zu machen. Nach § 80 Abs 1 InsO geht das Recht des Gemeinschuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter über. Zur Insolvenzmasse rechnet das gesamte Vermögen, das dem Gemeinschuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (§ 35 Abs 1 InsO) , mithin auch Forderungen auf Zahlung vertragsärztlichen Honorars.

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2. Der Zahlungsanspruch des Klägers ist durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung erloschen.

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a) Die Beklagte hat gegen die streitgegenständlichen Honorarforderungen des Gemeinschuldners mit Schadensersatzforderungen in gleicher Höhe aufgerechnet. Für die öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisse des Vertragsarztrechts sind die Vorschriften des Allgemeinen Schuldrechts über die Aufrechnung in §§ 387 ff BGB im Wege der Lückenfüllung entsprechend anwendbar (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 17; Bundessozialgericht SozR 3-2500 § 75 Nr 11 S 55 f mwN) . Demgegenüber finden die für Aufrechnungen und Verrechnungen geltenden Vorschriften der §§ 51, 52 SGB I nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 16 mwN) auf Honorarzahlungen an Vertragsärzte auf der Grundlage von § 85 Abs 4 Satz 1 SGB V schon deswegen keine Anwendung, weil solche Zahlungen keine Sozialleistungen darstellen, die dem Vertragsarzt zur Verwirklichung seiner sozialen Rechte zukommen sollen.

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Nach § 387 BGB kann, wenn zwei Personen einander Leistungen schulden, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Diese Voraussetzungen lagen bezüglich der aus Wirtschaftlichkeitsprüfungen resultierenden Schadensersatzansprüche der Beklagten einerseits und der Honorarforderungen des Gemeinschuldners andererseits vor.

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Die Schadensersatzforderungen sowie die durch Erlass der Honorarbescheide konkretisierten Honorarforderungen des Gemeinschuldners waren, da jeweils auf Zahlung eines Geldbetrages gerichtet, gleichartig im Sinne des § 387 BGB. Zudem waren die Schadensersatzforderungen zum Zeitpunkt der Aufrechnungen auch fällig. Ob auch die Honorarforderungen des Gemeinschuldners bereits fällig waren, kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben, denn sie waren jedenfalls mit ihrer Konkretisierung durch die Honorarbescheide (s hierzu unter 2 b dd (3)) erfüllbar. Während die Gegenforderung vollwirksam und fällig sein muss (Grüneberg in: Palandt, BGB-Kommentar, 69. Aufl 2010, § 387 RdNr 11 mwN) , muss die Hauptforderung lediglich erfüllbar, nicht aber vollwirksam und fällig sein (Grüneberg aaO RdNr 12) .

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Die Beklagte war auch berechtigt, mit Forderungen der Krankenkassen aufzurechnen, die auf der Festsetzung von Regressen im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen im Verordnungsbereich gegen den Gemeinschuldner beruhen. Diese Befugnis ergibt sich aus § 52 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä), § 48 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä). Danach treffen die Vertragspartner über die Erfüllung von Schadensersatzansprüchen nähere Regelungen (§ 52 Abs 1 BMV-Ä, § 48 Abs 1 EKV-Ä) . Beim Verordnungsregress handelt es sich um einen besonderen Typus eines Schadensersatzanspruches (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 38 S 212; BSGE 94, 273 = SozR 4-2500 § 106 Nr 9, jeweils RdNr 10; vgl auch BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, jeweils RdNr 30) .

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Nach § 52 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 BMV-Ä, § 48 Abs 2 Satz 1 EKV-Ä erfüllt die KÄV Schadensersatzansprüche der Krankenkassen durch Aufrechnung gegen Honorarforderungen des Vertragsarztes. Soweit der für den Primärkassenbereich geltende § 52 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 BMV-Ä eine solche Aufrechnungsverpflichtung nur vorsieht, wenn die Forderung der Krankenkasse in einem erstinstanzlichen Urteil eines SG bestätigt worden ist, steht dieser Grundsatz einer Aufrechnung vorliegend nicht entgegen. Denn nach Sinn und Zweck der Regelung dient sie allein dazu, vorzeitige - vor einer sozialgerichtlichen Überprüfung noch nicht bestandskräftiger Bescheide der Prüfgremien - Aufrechnungen zu verhindern. Hingegen steht sie der Aufrechnung nicht entgegen, wenn es allein deswegen nicht zur Durchführung eines sozialgerichtlichen Verfahrens gekommen ist, weil der Vertragsarzt - wie hier - die Bescheide der Prüfgremien bestandskräftig werden ließ.

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Die Erklärung der Aufrechnung bewirkt, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind (§ 389 BGB) . Dies war bezüglich der das Quartal IV/1998 betreffenden Honorarforderung mit Erlass des Honorarbescheides vom 17.5.1999, bezüglich der das Quartal I/1999 betreffenden Honorarforderung mit Erlass des Honorarbescheides vom 16.8.1999 der Fall.

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b) Die Aufrechnung ist auch nicht nach § 96 Abs 1 Nr 3 InsO unwirksam. Danach ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Anders als § 96 Abs 1 Nr 1 und 2 InsO, die schon nach ihrem Wortlaut voraussetzen, dass die Aufrechnungslage nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist, erfasst § 96 Abs 1 Nr 3 InsO auch Aufrechnungen, die vor der Verfahrenseröffnung erklärt wurden (Kayser in: Kreft, InsO, 5. Aufl 2008, § 96 RdNr 5 unter Berufung auf BGHZ 169, 161) . Liegen die Voraussetzungen des § 96 Abs 1 Nr 3 InsO vor, wird die Aufrechnungserklärung mit Verfahrenseröffnung automatisch unwirksam; einer gesonderten Anfechtung bedarf es nicht (BGHZ 159, 388, 393) .

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aa) Die Beklagte hat die Möglichkeit der Aufrechnung jedoch nicht durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt. Als eine solche kommt nur der Erlass der Honorarbescheide für die streitbefangenen Quartale am 17.5.1999 und am 16.8.1999 in Betracht; denn erst mit der hierdurch erfolgten Konkretisierung der Honoraransprüche des Gemeinschuldners stand der bereits bestehenden Gegenforderung (Aktivforderung) der Beklagten eine zur Aufrechnung geeignete Hauptforderung (Passivforderung) gegenüber.

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Der Begriff der "anfechtbaren" Rechtshandlung wird in § 96 InsO nicht definiert, verweist jedoch auf die §§ 129 ff InsO, die den Insolvenzverwalter bei bestimmten Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen, zur Anfechtung ermächtigen (§ 129 Abs 1 InsO) . Die Aufrechnungslage muss danach in einer von § 129 iVm §§ 130 ff InsO beschriebenen Weise erworben worden sein (BGHZ 159, 388, 393) .

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bb) Der Senat lässt offen, ob in dem Erlass eines Honorarbescheides durch die Beklagte überhaupt eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff InsO gesehen werden kann. Als Rechtshandlung wird zwar grundsätzlich jede bewusste Willensbetätigung verstanden, die eine rechtliche Wirkung auslöst, gleichgültig ob diese selbst gewollt ist oder nicht (Kirchhof in: Münchener Kommentar zur InsO, 2001, § 129 InsO RdNr 7 mwN; Bundesfinanzhof , Urteil vom 16.11.2004 - BFHE 208, 296, 299) . Das Anfechtungsrecht ist jedoch auf die Konstellation zugeschnitten, dass sich der Gläubiger in der "kritischen" Zeit vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Forderung gegen den Gemeinschuldner beschafft, mit der oder gegen die er aufrechnen kann (vgl Kayser in: Kreft, InsO, 5. Aufl 2008, § 96 RdNr 32) .

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Das passt nicht auf die - sich regelmäßig aus den Honorarverteilungsverträgen ergebende (vgl Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, § 21 RdNr 68) - Verpflichtung einer KÄV, möglichst bald nach Abschluss eines Quartals und Vorlage der vertragsärztlichen Abrechnung einen Honorarbescheid zu erteilen. Zahlreiche Vorschriften der Bundesmantelverträge wie auch des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen legen fest bzw setzen voraus, dass die vertragsärztlichen Leistungen in einem Kalendervierteljahr zusammengefasst vom Vertragsarzt abgerechnet und von der KÄV vergütet werden (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 19 RdNr 15 f; zuletzt BSG SozR 4-5500 Art 11 Nr 2 RdNr 19 mwN) . Das geschieht in der Regel im vierten Monat nach Abschluss des jeweiligen Quartals (Wenner, aaO RdNr 70) ohne Rücksicht darauf, ob sich für die KÄV dadurch Vorteile oder Schwierigkeiten im Falle der Insolvenz eines Vertragsarztes ergeben. Gesetzlich vorgeschriebene Handlungen sind in der Regel keine benachteiligenden Rechtshandlungen im Sinne der §§ 129 ff InsO, wie der BFH im Zusammenhang mit der Aufrechnung von Steuerforderungen mit Ansprüchen auf Steuererstattungen entschieden hat (vgl BFH, Beschluss vom 14.1.2009 - BFH/NV 2009, 885 - juris RdNr 14; BFH, Urteil vom 16.11.2004 - BFHE 208, 296, 300; BFH, Beschluss vom 16.10.2008 - BFH/NV 2009, 123 - juris RdNr 6, jeweils zur Umsatzsteuer; s auch Brandenbur-gisches Oberlandesgericht , Urteil vom 25.3.2004 - 8 U 104/03 - juris) .

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cc) Geht man jedoch von der grundsätzlichen Eignung des Erlasses eines Honorarbescheides als "anfechtbare Rechtshandlung" aus, wurde die Möglichkeit der Aufrechnung vorliegend auch durch eine Rechtshandlung begründet, die im Ansatz geeignet ist, die Merkmale eines in §§ 130 ff InsO normierten Anfechtungstatbestandes zu erfüllen. Von den dort geregelten Anfechtungstatbeständen kommt allein § 130 Abs 1 Satz 1 InsO in Frage, da weder eine inkongruente Begründung der Aufrechnungslage noch sonstige auf einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Beklagten hindeutende Umstände erkennbar sind.

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Nach § 130 Abs 1 Satz 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war und der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte (Nr 1) , oder wenn sie nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte (Nr 2) .

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Der Beklagten wurde durch eine Rechtshandlung Sicherung gewährt, denn auch die Herstellung einer Aufrechnungslage begründet eine Sicherung in diesem Sinne (Kirchhof in: Münchener Kommentar zur InsO, 2001, § 130 RdNr 9) . Diese war - in Abgrenzung zum Anfechtungstatbestand nach § 131 InsO - auch kongruent, denn die Herstellung der Aufrechnungslage führt nur dann zu einer inkongruenten Deckung, wenn der Aufrechnende vorher keinen Anspruch auf die "Vereinbarung" hatte, die die Aufrechnungslage entstehen ließ (BGHZ 159, 388, 393 f unter Hinweis auf BGHZ 147, 233, 240) . Die Beklagte war jedoch zu dem - die Aufrechnungslage begründenden - Erlass der Honorarbescheide sogar rechtlich verpflichtet.

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Das SG hat weiter festgestellt, dass die Beklagte bei Erlass der Honorarbescheide Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Gemeinschuldners hatte; dies wird von der Beklagten selbst nicht in Abrede gestellt. Derartige Kenntnis genügt, denn der Gesetzgeber hat bewusst auf das Tatbestandsmerkmal einer unlauteren Absicht des Insolvenzgläubigers verzichtet (vgl OLG Hamm, Urteil vom 8.5.2009 - 12 U 12/09 - ZIP 2010, 296) . Der Erlass der Honorarbescheide erfolgte auch innerhalb der in § 130 Abs 1 Satz 1 InsO genannten Zeiträume. Für das Quartal IV/1998 erfolgte er am 17.5.1999 und damit innerhalb des in § 130 Abs 1 Satz 1 Nr 1 InsO bestimmten Drei-Monats-Zeitraums, welcher mit dem am 21.7.1999 gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu laufen beginnt. Der Honorarbescheid für das Quartal I/1999 wurde erst am 16.8.1999, also nach dem Eröffnungsantrag, erlassen, so dass insoweit § 130 Abs 1 Satz 1 Nr 2 InsO Anwendung findet.

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dd) Jedoch liegt der für die Vornahme der Rechtshandlung "Begründung der Aufrechnungslage" maßgebliche Zeitpunkt außerhalb des durch § 130 InsO geschützten Zeitraums. Zwar wurde die Aufrechnungslage faktisch erst durch Erlass des jeweiligen Honorarbescheides begründet, weil die Honorarforderung des Gemeinschuldners vorher nicht hinreichend konkretisiert und individualisiert und somit nicht erfüllbar war (s hierzu 2 b dd (3)) . Mithin war die Beklagte erst zu einem Zeitpunkt zur Aufrechnung in der Lage, der innerhalb der durch § 130 Abs 1 InsO geschützten Zeiträume liegt. Auf diesen Zeitpunkt kommt es jedoch rechtlich nicht an. Da § 96 Abs 1 Nr 3 InsO fordert, dass alle Merkmale einer anfechtbaren Rechtshandlung vorliegen (BGHZ 159, 388, 395) , ist der für die Anfechtbarkeit wesentliche Zeitpunkt der Vornahme nach § 140 InsO zu bestimmen. Danach kommt es allein darauf an, wann das Gegenseitigkeitsverhältnis begründet wurde.

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(1) Nach § 140 Abs 1 InsO gilt eine Rechtshandlung grundsätzlich als in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten. Hiervon macht § 140 Abs 3 InsO eine Ausnahme für den Fall, dass es sich um eine bedingte oder befristete Rechtshandlung handelt; in diesen Fällen bleibt der Eintritt der Bedingung oder des Termins außer Betracht. Diese Norm ist auch im Rahmen von § 96 Abs 1 Nr 3 InsO für die Anfechtbarkeit und damit für die Unzulässigkeit von Aufrechnungen von Bedeutung (BGH, Urteil vom 14.6.2007 - IX ZR 56/06 - NJW 2007, 2640, 2641) . Ist zumindest eine der gegenseitigen Forderungen befristet oder von einer Bedingung abhängig, so kommt es für die Anfechtbarkeit des "Erwerbs" der Aufrechnungslage nicht darauf an, wann die Aufrechnung zulässig wurde, sondern auf den Zeitpunkt, zu dem die spätere Forderung entstand und damit das Gegenseitigkeitsverhältnis begründet wurde (BGH, NJW 2007, 2640, 2641; BGHZ 159, 388, 395 f) . Abzustellen ist dann auf "den Abschluss der rechtsbegründenden Tatumstände" (BGHZ 159, 388, 395; BGH, NJW 2007, 2640, 2641 f unter Hinweis auf BT-Drucks 12/2443 S 167 und Fischer, ZIP 2004, 1679, 1683) .

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(2) Zwar kommt eine unmittelbare Anwendung des § 140 Abs 3 InsO hier schon deswegen nicht in Betracht, weil diese auf zivilrechtliche Sachverhalte - vornehmlich auf bedingte Rechtsgeschäfte im Sinne des § 158 BGB - zugeschnittene Norm als Rechtshandlungen nur Rechtsgeschäfte erfasst (allg Ansicht, vgl zB BGHZ 167, 11, 17 RdNr 14 mwN; BGHZ 170, 196, 204 RdNr 18; Kirchhof in: Münchener Kommentar zur InsO, 2001, § 140 RdNr 50; Hirte in: Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl 2003, § 140 RdNr 18; Henckel in: Jaeger, Kommentar zur InsO, Band 4, 2008, § 140 RdNr 50, 55) . Es ist jedoch geboten, diese Regelung sinngemäß auf den vertragsärztlichen Honoraranspruch zu übertragen, da der Vertragsarzt mit der Erbringung seiner Leistungen und der Abgabe der Abrechnung alles ihm Mögliche für seinen Vergütungsanspruch gegen die KÄV getan hat, und somit eine - dem Anwartschaftsrecht aus einem bedingten Rechtsgeschäft vergleichbare - Rechtsposition erlangt hat. Der Rechtsgedanke des § 140 Abs 3 InsO gebietet es daher, auch für den maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Wirkungen der (potenziell) anfechtbaren Rechtshandlung "Erlass des Honorarbescheides" nicht auf den Zeitpunkt der Wirksamkeit des Honorarbescheides abzustellen. Als "Abschluss der rechtsbegründenden Tatumstände" (s.o.) ist vielmehr der Abschluss des jeweiligen Quartals der Leistungserbringung und die Vorlage der Abrechnung des Vertragsarztes anzusehen. Der (spätere) Gemeinschuldner hat die Abrechnungen für die in den Quartalen IV/1998 und I/1999 erbrachten Leistungen am 4.1.1999 bzw am 1.4.1999 und damit vor Beginn der in § 130 Abs 1 Satz 1 InsO genannten Zeiträume abgegeben.

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(3) Der Honoraranspruch des Vertragsarztes aus vertragsärztlichen Behandlungen unterscheidet sich gravierend von Honoraransprüchen aus privatärztlichen Behandlungen. Privatärztliche Honorare sind der Höhe nach durch die in der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) festgelegten Gebühren bestimmt und werden nach Erbringung der Leistung durch Erstellung einer Rechnung gegenüber dem Patienten geltend gemacht. Die (privat-)ärztliche Vergütung wird fällig, wenn die Rechnung den formellen Voraussetzungen in § 12 Abs 2 bis 4 GOÄ erfüllt (vgl BGHZ 170, 252, 257 RdNr 12 ff) ; die Fälligkeit wird nicht dadurch berührt, das die Rechnung nicht mit dem materiellen Gebührenrecht übereinstimmt (BGH, aaO S 258 RdNr 14). Diese Situation ermöglicht es Gläubigern des Arztes, gegen dessen Honoraransprüche zeitnah mit eigenen Forderungen aufzurechnen.

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Demgegenüber richtet sich der Honoraranspruch des Vertragsarztes weder gegen den Patienten noch gegen dessen Krankenkasse, sondern aufgrund der strikten Trennung der Rechtskreise (s hierzu BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 9 RdNr 32; Engelhard in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand Februar 2010, K § 85 RdNr 15 ff mwN) ausschließlich gegen seine KÄV. Dieser Anspruch ist zudem mit Erbringung der Leistung weder der Höhe nach konkret bestimmt noch wird er mit Erstellung der Abrechnung sofort fällig. Vielmehr steht den Vertragsärzten zunächst nur ein allgemeiner Anspruch auf angemessene Teilhabe an der Verteilung der von den Krankenkassen an die KÄV gezahlten Gesamtvergütungen zu (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 4 RdNr 12; BSGE 88, 20, 24 = SozR 3-2500 § 75 Nr 12 S 70; zuletzt BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 9 RdNr 32; s schon BSG SozR Nr 31 zu § 75 SGG).

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Nach der Rechtsprechung des Senats entsteht ein "konkreter" Honoraranspruch des Vertragsarztes - und damit ein für eine echte Rückwirkung maßgeblicher abgeschlossener Sachverhalt - unter der Geltung begrenzter Gesamtvergütung regelmäßig erst nach Prüfung sämtlicher von den Vertragsärzten eingereichten Abrechnungen und der darauf basierenden Errechnung der möglichen Verteilungspunktwerte (stRspr: BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 30 RdNr 15; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, jeweils RdNr 46; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 4 RdNr 12) . Erst dadurch - letztlich also durch den Erlass des Honorarbescheides - konkretisiert sich der bis dahin nur allgemeine Anspruch des Vertragsarztes auf Honorarteilhabe zu einem der Höhe nach individualisierten Honoraranspruch (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 30 RdNr 15 mwN; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 4 RdNr 12) . Vorher kann der Vertragsarzt in der Regel nur von einer ungefähren Höhe des zu erwartenden Honorars ausgehen (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 4 RdNr 12; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 31 S 239) .

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Auch die Fälligkeit des Honoraranspruchs tritt erst mit Erlass eines Honorarbescheides ein. Allerdings hatte der Senat mit Urteil vom 20.12.1983 (BSGE 56, 116 = SozR 1200 § 44 Nr 10) entschieden, dass Honorarforderungen der Vertragsärzte erst fällig werden, wenn die Abrechnungen auf ihre sachlich-rechnerische Richtigkeit sowie auf ihre Wirtschaftlichkeit hin geprüft worden und ggf entsprechende Prüfbescheide materiell bindend geworden sind. Zur Begründung hatte der Senat zum einen auf entsprechende vertragliche Regelungen über den Abrechnungsverkehr zwischen Vertragsarzt und KÄV (§ 12 Ziff 6 EKV aF) verwiesen, zum anderen auf die Bedeutung des Prüfverfahrens, dem eine Leistungspflicht der KÄV vor diesem Zeitpunkt widersprechen würde (BSGE 56, 116, 119 f = SozR 1200 § 44 Nr 10 S 36) .

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Diese Aussagen sind jedoch überholt. Abgesehen davon, dass die bundesmantelvertraglichen Bestimmungen keine Regelungen zum Fälligkeitszeitpunkt mehr enthalten, bedarf es auch im Hinblick auf die Bedeutung des Prüfverfahrens nicht (mehr) des Hinausschiebens des Fälligkeitszeitpunkts. Denn nach ständiger neuerer Rechtsprechung des Senats können vertragsärztliche Honorarbescheide ungeachtet zwischenzeitlich eingetretener Bestandskraft im Regelfall ohne Prüfung der Voraussetzungen der §§ 44 ff SGB X geändert werden, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Honorarsumme infolge einer unwirtschaftlichen Leistungserbringung (BSG, Urteil vom 16.1.1991 - 6 RKa 10/90 - BSGE 68, 97, 98 = SozR 3-2500 § 106 Nr 4; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 7 S 32) oder einer sachlich oder rechnerisch fehlerhaften Abrechnung (BSG, Urteil vom 26.1.1994 - 6 RKa 29/91 - BSGE 74, 44, 47 ff = SozR 3-1300 § 45 Nr 21; BSG, Urteil vom 10.5.1995 - 6/14a RKa 3/93 = USK 95122; s auch BSGE 89, 62, 66 = SozR 3-2500 § 85 Nr 42 S 345 f; BSGE 96, 1 = SozR 4-2500 § 85 Nr 22, jeweils RdNr 11 ff) überhöht war. Angesichts dessen ist es nicht erforderlich, den Fälligkeitszeitpunkt mit Blick auf etwaige Prüfverfahren hinauszuschieben. Demgegenüber hatte der Senat in seiner früheren Entscheidung ausdrücklich darauf Bezug genommen, dass die KÄV die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen allenfalls nach den Vorschriften der §§ 45, 50 SGB X beanspruchen könne (BSGE 56, 116, 120 = SozR 1200 § 44 Nr 10 S 36) .

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Zwischen der Leistungserbringung und der Honorarverteilung - sowie dem nachfolgendem Erlass des Honorarbescheides - vergeht zudem erhebliche Zeit. Dies ist zum einen dadurch bedingt, dass die Abrechnung der erbrachten Leistungen quartalsweise erfolgt, zum anderen insbesondere dadurch, dass der Honorarverteilung eine Prüfung der abgerechneten Leistungen auf ihre sachliche und rechnerische Richtigkeit vorgeschaltet ist. Im Regelfall ergehen die Honorarbescheide erst vier Monate nach Abschluss des Quartals (vgl Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, § 21 RdNr 70) , so dass der Vertragsarzt - von Abschlagzahlungen abgesehen - eine Vergütung für Leistungen, die zu Beginn des Abrechnungsquartals erbracht wurden, erst ein gutes halbes Jahr später erhält. Hinzu kommt, dass der Anspruch auf Teilhabe an der Verteilung der von den Krankenkassen gezahlten Gesamtvergütungen nicht nur der Höhe, sondern auch dem Grunde nach von entsprechenden Vereinbarungen abhängig ist (vgl hierzu ua BSGE 89, 90, 96 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 9) . Verzögert sich der Abschluss der Gesamtvergütungsvereinbarungen - etwa weil zwischen den Vertragspartnern keine Einigung über deren Höhe erzielt und ein Schiedsverfahren oder ggf ein nachfolgendes Klageverfahren erforderlich wird - wirkt sich das auf die Honorarverteilung dergestalt aus, dass auch diese erst später - unter Umständen erst Jahre nach der Leistungserbringung - durchgeführt werden kann. Daraus ergibt sich für Gläubiger des Vertragsarztes die Situation, dass sie - stellte man insolvenzrechtlich auf den Erlass des Honorarbescheides ab - vor den Folgen einer zwischenzeitlich eingetretenen Insolvenz des Vertragsarztes nicht geschützt wären.

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(4) Der BGH hat in seinem Urteil vom 11.5.2006 (IX ZR 247/03 - BGHZ 167, 363) zur Wirksamkeit einer Abtretung der Honorarforderung in der Insolvenz des Vertragsarztes dargelegt, dass Voraussetzung jeglicher Vergütungsansprüche des Arztes ist, dass vergütungsfähige Leistungen erbracht werden, und daraus abgeleitet, der Honoraranspruch des Vertragsarztes "entstehe dem Grunde nach", sobald dieser vergütungsfähige Leistungen erbracht habe (BGH aaO S 366 RdNr 7 und S 374 RdNr 25) . Das ist in dieser Allgemeinheit nicht in vollem Umfang mit der unter dem Aspekt der echten oder unechten Rückwirkung von Änderungen der normativen Grundlagen der Honorarverteilung nach Abschluss des betroffenen Quartals entwickelten Rechtsprechung des Senats (zB SozR 4-2500 § 85 Nr 30 RdNr 14 f) deckungsgleich. An dieser Rechtsprechung hält der Senat uneingeschränkt fest, tritt aber im Hinblick auf die Anwendung der Anfechtungsvorschriften der InsO auf die Honorarforderung des Vertragsarztes dem BGH insoweit bei, als auch er davon ausgeht, dass mit dem Abschluss eines Quartals, in dem der Vertragsarzt vertragsärztliche Leistungen erbracht hat, und der Vorlage der entsprechenden Abrechnung bereits ein "genereller" Anspruch des Arztes auf Teilhabe an der Honorarverteilung und insofern schon dem Grunde nach ein Vergütungsanspruch des Arztes entsteht. Höhe und Fälligkeit dieses Anspruchs hängen - wie dargestellt - von Inhalt und Zeitpunkt des Erlasses des Honorarbescheides ab; dessen Erlass steht insoweit dem Eintritt einer Bedingung im Sinne des § 140 Abs 3 InsO gleich.

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(5) Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 140 Abs 3 InsO. Dieser dient dazu, den Schutz zu verstärken, den der bedingt oder befristet Erwerbende in Gestalt des Anwartschaftsrechts genießt (Henckel in: Jaeger, Kommentar zur InsO, aaO, § 140 RdNr 50; Kirchhof in: Münchener Kommentar zur InsO, aaO, § 140 RdNr 50; Hirte in: Uhlenbruck, InsO, aaO, § 140 RdNr 17; s hierzu auch BGH, NJW 2007, 2640, 2642) . Ein Anwartschaftsrecht entsteht aber nicht nur durch bedingte Rechtsgeschäfte, sondern immer dann, wenn von dem mehraktigen Entstehungstatbestand eines Rechts schon so viele Erfordernisse erfüllt sind, dass von einer gesicherten Rechtsposition des Erwerbers gesprochen werden kann, die der andere an der Entstehung des Rechts Beteiligte nicht mehr einseitig zu zerstören vermag (Ellenberger in: Palandt, BGB-Kommentar, 69. Aufl 2010, Einf v § 158 RdNr 9 mwN: BFHE 220, 249, 254 mwN) . Auch § 140 Abs 3 InsO setzt voraus, dass die Rechtshandlung des Schuldners, an die angeknüpft werden soll, dem Gläubiger bereits eine gesicherte Rechtsstellung verschafft hat (BGH, NJW 2007, 2640, 2642 mwN) .

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Mit einem derartigen Anwartschaftsrecht ist auch der "generelle" Anspruch des Vertragsarztes auf Teilhabe an der Honorarverteilung vergleichbar. Dieser erstarkt mit seiner Konkretisierung durch die Durchführung der Honorarverteilung und durch den Erlass des Honorarbescheides zum "Vollrecht", ohne dass die KÄV die Möglichkeit hätte, das Entstehen des Honoraranspruchs noch zu verhindern bzw diesen dem Grunde nach in Zweifel zu ziehen. Wenn ein Vertragsarzt vergütungsfähige sowie wirtschaftliche Leistungen erbracht und diese sachlich und rechnerisch richtig abgerechnet hat, beschränkt sich die Aufgabe der KÄV darauf, die Höhe des Vergütungsanspruchs anhand des gesetzlichen und vertraglichen Regelwerks zu ermitteln und festzusetzen. Damit ist dieser "generelle" Anspruch des Vertragsarztes nicht mit dem eines Gläubigers vergleichbar, dem lediglich eine mehr oder weniger starke Aussicht auf den Erwerb eines zukünftigen Anspruchs eingeräumt ist.

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Für das Vorliegen einer einem Anwartschaftsrecht entsprechenden Rechtsposition spricht weiter der Gesichtspunkt, dass Wesensmerkmal eines Anwartschaftsrechts die grundsätzlich bestehende Übertragbarkeit, Vererbbarkeit und Pfändbarkeit ist (Ellenberger in: Palandt aaO, Einf v § 158 RdNr 9; BFHE 220, 249, 254). Da nach der Rechtsprechung des BGH vertragsärztliche Honorarforderungen übertragen werden können, sobald der Arzt vergütungsfähige Leistungen erbracht hat (vgl BGHZ 167, 363) , erfüllt bereits der "generelle" Teilhabeanspruch des Vertragsarztes diese Anforderungen.

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Die vergütungsrechtliche Situation des Vertragsarztes entspricht damit, soweit es insolvenzrechtlich von Bedeutung ist, den im Urteil des BGH vom 14.6.2007 (IX ZR 56/06 - NJW 2007, 2640) angeführten Fallkonstellationen, in denen ein Eingreifen des § 140 Abs 3 InsO bejaht worden ist. So wurde einem Insolvenzgläubiger eine anfechtungsfeste Position im Falle eines Provisionsvertreters zuerkannt, dessen Provisionsanspruch nach § 87 Abs 1 bis 3 Handelsgesetzbuch (HGB) zwar mit Vertragsschluss entsteht, aber gemäß § 87a Abs 1 Satz 1 HGB erst verdient ist, sobald das Geschäft ausgeführt ist, weil die Ausführung des Geschäfts nicht mehr im Einflussbereich des Schuldners liegt (BGH aaO S 2640, 2642 unter Hinweis auf BGHZ 159, 388, 394 ff) . Nicht anders stellt sich die Situation für den Vertragsarzt dar, der mit Erbringung der Leistung und Abgabe der Abrechnungsunterlagen jeden Einfluss auf seinen Honoraranspruch - sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach - verloren hat. Seiner Situation vergleichbar ist auch die zweite vom BGH (aaO, unter Hinweis auf BGH, NJW-RR 2005, 487) angeführte Fallkonstellation, in welcher die auf Rückzahlung überzahlter Nebenkosten im Rahmen eines Mietverhältnisses gerichtete Hauptforderung der Schuldnerin vor Beginn der insolvenzrechtlichen Krise durch Ablauf des Abrechnungszeitraums hinsichtlich der rechtsbegründenden Tatsachen abgeschlossen war und die Fälligkeit nur noch von der Abrechnung abhing.

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(6) Für eine rechtsgedankliche Anwendung des § 140 Abs 3 InsO auf vertragsärztliche Vergütungsansprüche ist weiterhin anzuführen, dass auf diese Weise eine klare und von - möglicherweise interessengeleiteten - rechtlichen Gestaltungen unabhängige Zuordnung der Vergütungsforderung des Vertragsarztes in der "Krise" sowie in der Zeit nach Stellung des Insolvenzantrags möglich ist. Vergütungsansprüche des Vertragsarztes werden für die Anwendung der Anfechtungstatbestände der InsO als mit Ablauf des jeweiligen Quartals und der Vorlage der Abrechnung - soweit diese nicht absichtlich verzögert wird - entstanden fingiert und bleiben, soweit diese Zeitpunkte außerhalb der in § 130 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und 2 InsO genannten Zeiträume liegen, insolvenzrechtlich nicht anfechtbar. Honoraransprüche, die in diesem Sinne erst nach Zugang des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens - oder unter den Voraussetzungen des § 130 Abs 1 Satz 1 Nr 1 InsO in den drei Monaten davor - durch die Erbringung und Abrechnung vergütungsfähiger Leistungen gegen die KÄV entstehen, unterliegen dagegen der Anfechtbarkeit.

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Möglichen interessengeleiteten Gestaltungen hinsichtlich der Vorlage der Abrechnungen steht entgegen, dass deren Verzögerung nicht folgenlos bliebe. Zu welchen Terminen Vertragsärzte die Abrechnungsunterlagen bei der zuständigen KÄV-Abrechnungsstelle einzureichen haben und welche Konsequenzen sich bei verspäteter Einreichung ergeben, ist teilweise in den Bundesmantelverträgen (vgl § 34 Abs 3 EKV-Ä) , teilweise in den Honorarverteilungsregelungen bestimmt. Diese Konsequenzen reichen von einer Zurückstellung verspätet eingereichter Abrechnungen (vgl § 34 Abs 3 Satz 3 EKV-Ä) bis zum völligen Ausschluss der Abrechnung (s hierzu BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 37 RdNr 11, in Fortführung von BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 19; vgl auch § 34 Abs 3 Satz 5 EKV-Ä) .

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(7) Die entsprechende Anwendung des § 140 Abs 3 InsO ermöglicht auch eine widerspruchsfreie Einordnung der Abschlagszahlungen, die der Vertragsarzt typischerweise nach den Regelungen des Honorarverteilungsvertrages oder der Abrechnungsrichtlinien der KÄV für jeden Monat seiner vertragsärztlichen Tätigkeit erhält. Nicht selten hat die KÄV damit wirtschaftlich den erst Monate später im Honorarbescheid endgültig festgesetzten Honoraranspruch des Arztes weitgehend erfüllt. Wenn nicht angenommen wird, die KÄV leiste die Abschlagszahlungen auf einen zumindest grundgelegten, generellen Vergütungsanspruch des Arztes für das jeweilige Quartal, könnte die KÄV gezwungen sein, nach Erstellung des Honorarbescheides in der "Krise" oder nach Zugang des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens die festgesetzte Vergütung an den Insolvenzverwalter zu zahlen, obwohl sie die Forderung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise durch Abschlagszahlungen vor der "Krise" bereits weitgehend erfüllt hat. Die Heranziehung des Gedankens des § 140 Abs 3 InsO ermöglicht insolvenzrechtlich die Synchronisierung von Abschlagszahlungen und endgültig festgestelltem Vergütungsanspruch und beider Zuordnung zum Quartal der Leistungserbringung.

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(8) Der Heranziehung des Rechtsgedankens des § 140 Abs 3 InsO stehen schließlich auch nicht die Ausführungen des Senats im Urteil vom 7.2.2007 (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 25 - 26) entgegen, dass die KÄV als Insolvenzgläubiger nach dem Willen des Gesetzgebers der InsO eine bevorzugte Befriedigung aus der Insolvenzmasse nicht beanspruchen kann. Denn die Auslegung bewirkt keine isolierte Besserstellung der KÄV, sondern findet gleichermaßen auch zugunsten anderer Gläubiger Anwendung, die gegen vertragsärztliche Honorarforderungen aufrechnen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits, da er unterlegen ist (§ 154 Abs 1 VwGO) . Dies gilt auch für die Kosten des Zivilverfahrens. Wird ein Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen, so werden die Kosten im Verfahren vor dem angegangenen Gericht als Teil der Kosten behandelt, die bei dem Gericht erwachsen, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde (§ 17b Abs 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz) .

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