Beschluss vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (8. Kammer) - 8 TaBV 19/17

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Tenor

1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 16. März 2017 - Az.: 2 BV 1/17 wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

1

Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer beabsichtigten außerordentlichen Tat- hilfsweise Verdachtskündigung gegenüber der Beteiligten zu 3).

2

Die 1962 geborene, ledige Beteiligte zu 3.) ist seit dem 01.08.1978 bei der im Einzelhandel tätigen Beteiligten zu 1) (im Folgenden: Arbeitgeberin), die in A-Stadt ein großflächiges SB-Warenhaus mit mehr als 200 Arbeitnehmern betreibt, als Warengruppenleiterin angestellt. Bei der Beteiligten zu 3) besteht ein Grad der Behinderung von 60.

3

Die Beteiligte zu 3) ist die nach § 38 BetrVG freigestellte Betriebsratsvorsitzende des bei der Arbeitgeberin gewählten Beteiligten zu 2) (im Folgenden: Betriebsrat), sie war aber auch schon zuvor seit über 10 Jahren Mitglied des Betriebsrats.

4

Bei der Arbeitgeberin finden unter anderem die Konzernbetriebsvereinbarung zur Einführung und Nutzung von SAP R3/HR vom 20.10.2003 (Bl. 132 ff. d. A.), dessen Nachtrag Nr. 4 vom 05.10.2009 die Einführung der Mitarbeiter-Einkaufskarte regelt (Bl. 143 ff d. A.) sowie die Rahmengesamtbetriebsvereinbarung IT Nr. 28 vom 29.09.2011 (Bl. 271 ff. d. A.), die gemäß dessen Anlage 1 sowohl das Zeiterfassungssystem EPOS/H als auch SAP-HR (Personalrabatt) als auch SAP BW (den Kassenbereich) umfasst, Anwendung. Für den Inhalt der jeweiligen Betriebsvereinbarung wird ausdrücklich auf die Bl. 132 ff., 143 ff. 271 ff. Bezug genommen.

5

Die Arbeitgeberin verhandelte mit dem Betriebsrat im Sommer 2016 über den Abschluss einer neuen Arbeits- und Betriebsordnung, wobei das Thema private Einkäufe ein zentraler Gegenstand war. Die Beteiligte zu 3.) unterschrieb schließlich am 12.07.2017 für den Betriebsrat die ausgehandelte Arbeits- und Betriebsordnung (Bl.18 ff. d. A.), die unter Ziffer 5 mit der Überschrift Arbeitszeit u.a. in Ziffer 5.2 folgende Regelungen enthält:

6

5.2 Einhaltung der Arbeitszeit und Arbeitszeitkontrolle

7

Alle Mitarbeiter müssen zum geplanten Arbeitsbeginn an ihrem Arbeitsplatz sein und die geplante Arbeitszeit einhalten.

8

Die Arbeitszeit wird durch Zeiterfassungsgeräte erfasst und kontrolliert.

9

Das Zeiterfassungsgerät muss persönlich bedient werden

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- vor Arbeitsbeginn und nach Arbeitsende
- direkt vor Beginn der Pausen.

11

Der private Einkauf erfolgt außerhalb der Arbeitszeit.“

12

Am 13.10.2016 sendete der Geschäftsleiter der Filiale, Herr S., die folgende E-Mail (Bl.254 d.A.) an die Bereichsleiter:

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„Hallo Zusammen,
Bitte geben sie nochmal an alle Mitarbeiter die Info raus, dass die privaten Einkäufe und auch die Einkäufe für die Pause, nicht während der Arbeitszeit gemacht werden Es gibt hier anscheinend noch Missverständnisse, die wir dringend regeln sollten! Die Einkäufe für die Pause (Getränke, Brötchen, Salat, etc) sind in der Pause zu machen und nicht während der Arbeitszeit auf dem Weg zur Kasse.”

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Die Mitarbeiter erhalten nach der bei der Arbeitgeberin bestehenden Betriebsvereinbarung zur Regelung der Arbeitszeit an verkaufsoffenen Sonntagen für die auf freiwilliger Basis geleisteten Arbeitsstunden wahlweise einen Zuschlag von 100 % oder entsprechenden Freizeitausgleich. Die Betriebsratsvorsitzende ließ sich ihre Mehrstunden regelmäßig auszahlen und zwar auch für den 16.10.2016.

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Am verkaufsoffenen Sonntag den 27.11.2017 kaufte die Beteiligte zu 3) an der Kasse Information bei der Arbeitnehmerin H. gegen 17.30 Uhr zwei Schlemmerblöcke, wobei sie einen Einkaufswagen mit sich führte. Hierüber informierte diese Arbeitnehmerin die Teamleiterin Kasse, die ihrerseits diese Information am 02.12.2012 an die Personalleiterin Frau M. R. weitergab.

16

Nachdem am 09.12.2016 die Personalleiterin diesen Sachverhalt mit dem Geschäftsleiter Herrn S. besprechen konnte, wurde am Tag darauf wurden daraufhin bei der Arbeitgeberin die gesamten sogenannten Kassenjournale für den 27.11.2016 überprüft. Dabei wurde ein Kassenbeleg vom 27.11.2016 gefunden, auf dem erkennbar war, dass die Beteiligte zu 3) unter Einsatz ihrer Personalkarte mit ihrer Personalnummer um 17.35 Uhr einen weiteren Einkauf mit einem Gesamtwert von 87,69 EUR (Bl. 43 d. A.) bezahlte. Die Zeiterfassung der Beteiligten zu 3) ergab für diesen Tag, dass sie um 12.09 Uhr kam und um 17.51 Uhr ging. Eine Pause hat sie hingegen nicht verbucht.

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Daraufhin analysierte die Arbeitgeberin für weitere Wochen die Zeiterfassung sowie weitere Kaufvorgänge der Beteiligten zu 3), wobei sie für insgesamt zwei weitere Arbeitstage Kassenbelege mit der Personalnummer der Beteiligten zu 3 fand, die während ihrer Arbeitszeit bezahlt wurden. Es handelte sich um einen Beleg mit der Personalnummer der Beteiligten zu 3) für einen Einkauf im Gesamtwert von 67,24 EUR (Bl. 46 d. A.) am verkaufsoffenen Sonntag, den 16.10.2017 um 17.52 Uhr, wobei die Zeiterfassung für diesen Tag lediglich die Eintragungen Kommen um 12.11 Uhr und Gehen um 18.06 Uhr enthielt. Ebenso ergab sich für den 06.12.2016, dass die Beteiligte zu 3) um 9.40 Uhr an der Kasse einen Kauf im Gesamtwert von 56,22 EUR(Bl. 47 d. A.) tätigte, wohingegen die Zeiterfassung Kommen um 09.04 Uhr und eine erstmalige Pause um 10.35 Uhr verzeichnete.

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Zuletzt rief sie am 15.12.2016 in der Personalabteilung an und bat um eine Auszahlung von 25 Mehrstunden. Zu diesem Zeitpunkt wies ihr Arbeitszeitkonto ein Plus von 25,11 aus.

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Die Arbeitgeberin wollte zunächst am 16.12.2016 mit der Beteiligten zu 3) ein Gespräch über den Stand der Ermittlungen führen und sie im Rahmen der beabsichtigten Verdachtskündigung hierzu anhören. Dabei stellte sich nach einem Hinweis von der Arbeitnehmerin C. A. heraus, dass die Betriebsratsvorsitzende zu diesem Zeitpunkt – gegen 15.30 Uhr – private Einkäufe tätigte, obwohl die Zeiterfassung für diesen Tag allein Kommen um 09.02 Uhr und eine Pauseneintragung von 14.06 Uhr bis 14.39 Uhr sowie Gehen um 16.02 Uhr enthielt.

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Schließlich fand am 19.12.2016 ein Gespräch zur Anhörung der Beteiligten zu 3) mit dem Geschäftsleiter Herr S. und der Personalleiterin Frau R. statt. Hierbei räumte die Beteiligte zu 3) ein, dass sie am 27.11.2016 am kostenlosen Mittagessen im Aufenthaltsraum teilgenommen und private Einkäufe während der Arbeitszeit tätigte.

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Die Arbeitgeberin beantragte mit weiterem Schreiben vom 20.12.2016 gegenüber dem Betriebsrat die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen (Verdachts-) Kündigung der Beteiligten zu 3). Mit Schreiben vom 23.12.2016 (Bl. 34 d. A.) teilte der Betriebsrat mit, in seiner Sitzung vom gleichen Tag entschieden zu haben, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) zu verweigern, da seiner Ansicht nach kein Grund zur Kündigung vorliege.

22

Zudem beantragte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 20.12.2016 die Zustimmung zur außerordentlichen (Verdachts-) Kündigung der Beteiligten zu 3) beim zuständigen Integrationsamt in L., das diese mit Bescheid vom 03.01.2017 (Bl. 37 ff. d. A.) erteilte.

23

Mit am 04.01.2017 beim Arbeitsgericht Kaiserslautern eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag hat die Arbeitgeberin das vorliegende Beschlussverfahren auf gerichtliche Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) eingeleitet.

24

Die Arbeitgeberin hat hierzu ausgeführt,
die Beteiligte zu 3) habe zum Nachteil der Arbeitgeberin Arbeitszeit bewusst und zielgerichtet falsch erfasst, um sich damit einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Die Kündigung sei sowohl als Tat- als auch als Verdachtskündigung auszusprechen. Das Fehlverhalten wiege umso schwerer, als sie dies an verkaufsoffenen Sonntagen getan habe, als Zuschläge von 100 % gewährt wurden. Alleine für die zwei verkaufsoffenen Sonntage sei bei einer Vergütung der Beteiligten zu 3) von € 23,06 brutto/Stunde von einem Schaden von 46.12 € brutto auszugehen. Am verkaufsoffenen Sonntag den 16.10.2016 habe die Beteiligte zu 3) ihren Wocheneinkauf an das Ende ihrer Arbeitszeit gelegt. Für den 06.12.2016 gehe sie davon aus dass die Beteiligte zu 3) ihren Arbeitstag mit dem privaten Einkauf begonnen habe. Anhand der auf dem jeweiligen Kassenbon ausgewiesenen Waren habe die Beteiligte zu 3) allein für das Zusammensuchen der Einkäufe am 16.10.2016 15 Minuten, am 06.12.2016 20 Minuten, am 27.11.2016 30 Minuten und am 16.12.2016 8 Minuten benötigt. Die Beteiligte zu 3 erkläre nunmehr im laufenden Prozess für den 16.10.2016 und den 06.12.2016 wahrheitswidrig, dass ihre Schwester überwiegend eingekauft habe. Im Rahmen des Anhörungsgesprächs vom 19.12.2016 habe die Beteiligte zu 3) sodann zu Herrn S. gesagt, dass er sich vorsehen solle und er doch wohl nicht vorhabe, aus diesen Umständen arbeitsrechtliche Schritte abzuleiten. Er wisse wohl, was dann passiere. Sie gehe zu einem Anwalt und die Presse, dessen solle er sich sicher sein, die werde sie auch einschalten. Die Interessenabwägung ergäbe, dass eine Abmahnung aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung, dem planmäßigen und systematischen Vorgehen und dem nicht wiederherstellbaren Vertrauensverlust nicht erforderlich gewesen sei. Eine Weiterbeschäftigung der Beteiligten zu 3) bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist sei unzumutbar.

25

Die Arbeitgeberin hat erstinstanzlich beantragt,

26

die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) zu ersetzen.

27

Der Betriebsrat und die Beteiligte zu 3) haben beantragt,

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diesen Antrag zurückzuweisen.

29

Der Betriebsrat hat im Wesentlichen die Auffassung vertreten,
dass lediglich feststehe, dass mit der Mitarbeiterkarte an der Kasse bezahlt worden sei, wohingegen die Arbeitszeitmanipulation unsubstantiiert bliebe und sich allein auf Mutmaßungen stütze. Selbst wenn die Beteiligte zu 3) während der Arbeitszeit private Dinge erledigt habe, so sei dies nicht vorwerfbar, da es seit Jahren usus gewesen sei, dass Pausen nicht gestochen wurden. Es sei zu berücksichtigen, dass die Regelung aus der Arbeits- und Betriebsordnung so tatsächlich nicht gelebt werde. Die Betriebsratsvorsitzende habe sich überhaupt keine Gedanken gemacht, dass ihr Verhalten nicht korrekt sei. Bei einem Hinweis seitens der Arbeitgeberin und einer Abmahnung wäre ein derartiges Verhalten zukünftig unterblieben.

30

Die Beteiligte zu 3) hat im Wesentlichen geltend gemacht,
dass eine betriebliche Übung bestehe Pausen nicht ordnungsgemäß oder gar nicht zu stempeln. Selbst Herr S. habe sich darüber beschwert, dass er gesehen habe, wie eine Mitarbeiterin sich Brötchen während der Arbeitszeit gekauft habe. Der Betriebsrat habe immer wieder die Einhaltung der Betriebsvereinbarung angemahnt.

31

Seitens der Geschäftsleitung sei bei Gesprächen bei beabsichtigten Kündigungen geäußert worden, dass gerade das private Einkaufen während der Arbeitszeit überhaupt nicht relevant sei. Zudem würden die Führungskräfte Pausen überhaupt nicht stechen. Auf die Missstände angesprochen, habe die Geschäftsleitung keine Maßnahmen ergriffen bzw. immer wieder mitgeteilt, dass dies nicht schlimm sei und akzeptiert werde. Es sei ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, dass beabsichtigt sei, ihr als Betriebsratsvorsitzende fristlos zu kündigen, während andere Mitarbeiter am 22.12.2016 ermahnt worden seien, ihr Stechverhalten zu ändern. Auch sei zu beachten, dass sie in ihren Pausen – gestochen oder nicht – Ansprechpartnerin für die Mitarbeiter sei. Es sei fraglich, ob dann auch noch eine Verpflichtung bestehe, Pausen zu stempeln. Am 27.11.2016 habe sie ihren Kolleginnen geholfen und mit Waren gefüllte Einkaufswagen, die an den Kassen zurückgelassen worden sein, quer durch den Markt bewegt, um die Ware wieder zurück zu sortieren. Hierbei habe sie während dessen auch parallel, die von ihr gekauft Ware in den Wagen gelegt und diese dann während der Arbeitszeit an der Kasse bezahlt. Am 06.12.2016 habe ihre Schwester einen Einkauf getätigt. Sie sei zu ihr an die Kasse gegangen und habe mit ihrer Personalkarte gezahlt, nachdem sie für sich selbst noch Alufolie in den Einkaufswagen gelegt habe. Auch am 16.10.2016 sei der Einkauf durch ihre Schwester erfolgt. Sie habe sich lediglich ein Paar Schnürstiefel in den Einkaufskorb gelegt und dann an der Kasse ihre Personalkarte durchgezogen. Bei der Anhörung am 19.12.2016 habe sie geantwortet, dass sie sich nicht anders verhalten habe als die meisten Führungskräfte auch, und viele andere Kollegen im Betrieb. Sie habe gesagt, wenn Herr S. das versuchen würde, dann würde er damit wohl in der Öffentlichkeit landen. Dies sei lediglich ein Hinweis auf eine zwangsläufige Folge der Öffentlichkeit der Verhandlung gewesen. Zudem habe sie sich in einer Ausnahmesituation befunden.

32

Ferner haben sowohl der Betriebsrat als auch die Beteiligte zu 3) die Auffassung vertreten,
dass die Arbeitgeberin die beabsichtigte Kündigung auf Daten stütze, welche sie unter Verstoß gegen die geltende Konzernbetriebsvereinbarung zur Einführung und Nutzung von SAP R3/HR erlangt habe. Die Auswertung der Arbeitgeberin, wann mit der Mitarbeiterkarte eingekauft wurde und die Verknüpfung mit der Erfassung der Arbeitszeit sei missbräuchlich, da diese Art der Datenerhebung nicht durch eine Zweckbestimmung der Betriebsvereinbarung geschützt sei und eine Einzelmaßnahme hierauf nicht gestützt werden dürfe. Zudem sei gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 MTV Einzelhandel für Rheinland-Pfalz für „Nicht-Arbeitszeiten” von unter 15 Minuten ohnehin keine Ruhepausen zu stechen, da diese Zeit nicht als Pause gelte.

33

Das Arbeitsgericht Kaiserslautern hat den Antrag der Arbeitgeberin durch Beschluss vom 16.03.2017 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, das im unstreitigen Verhalten der Beteiligten zu 3). zwar ein an sich wichtiger Grund gegeben sei, da sie gegen die von ihr selbst mit ausgehandelte Ziffer 5.2 der Arbeits- und Betriebsordnung verstoßen habe und sie sich Arbeitszeit gutschreiben lassen habe, für die kein Vergütungsanspruch bestand. Doch führe die vorzunehmende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen dazu, dass die beabsichtigte Kündigung unverhältnismäßig sei, da als Reaktion auf das gezeigte Fehlverhalten, selbst wenn von privaten Einkäufen an 4 Tagen auszugehen wäre, vielmehr eine Abmahnung ausgereicht hätte.

34

Der genannte Beschluss ist der Arbeitgeberin am 05.04.2017 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am 04.05.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Beschwerde eingelegt und diese innerhalb der antragsgemäß um einen Monat verlängerten Beschwerdebegründungsfrist mit am 05.07.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag begründet.

35

Zur Begründung der Beschwerde macht die Arbeitgeberin nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des Schriftsatzes vom 26.09.2017, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 371 ff., 479 ff. d. A.), zusammengefasst geltend,
das Arbeitsgericht habe entscheidungserheblichen Sachvortrag der Arbeitgeberin nicht vollständig berücksichtigt und den Sachverhalt unzutreffend im Rahmen der Interessenabwägung gewürdigt. Es bestünden keine Verwertungsverbote. So habe es weder die Arbeitszeitverstöße vom 16.10.2016 und 06.12.2016 ausreichend einbezogen noch habe es den Umstand der Drohung der Beteiligten zu 3) mit der Presse im Anhörungsgespräch richtig gewertet. Eine Abmahnung sei von vornherein entbehrlich gewesen, Missverständnisse hinsichtlich der Handhabung der Arbeitszeiterfassung habe es für die Beteiligte zu 3) nicht gegeben. Für die Arbeitgeberin sei hingegen ein Vertrauen in den korrekten Umgang der Zeiterfassung hinsichtlich jedes Arbeitnehmers unerlässlich. Hiergegen habe sie wiederholt verstoßen, keine Reue gezeigt, sondern mit der Presse gedroht und erstmals im Prozess (wahrheitswidrig) angeben, dass ihre Schwester am 16.10.2016 und am 6.12.2016 eingekauft habe. Zu Lasten der Beteiligten zu 3) sei zudem erschwerend ihr vorsätzliches Verhalten zu berücksichtigen. Von ihr als in der Arbeitszeitgestaltung involviertes Betriebsratsmitglied sei in besonderer Weise zu erwarten, dass sie sich selbst an die vereinbarten Kollektivregelungen halte. Sie habe ihre Vorbildfunktion verletzt.

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Die Arbeitgeberin beantragt,

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den erstinstanzlichen Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 16.03.2017 – Az. 2 BV 1/17 – abzuändern und die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Beteiligten zu 3) zu ersetzen.

38

Der Betriebsrat und die Beteiligte zu 3) beantragen,

39

die Beschwerde zurückzuweisen.

40

Sie verteidigen die angegriffene Entscheidung als zutreffend und weisen insbesondere hierfür unter anderem nochmals darauf hin, dass sich die Beteiligte zu 3) aufgrund ihrer fast 40 Jahre beanstandungsfreien Betriebszugehörigkeit einen „Vorrat an Vertrauen“ erarbeitet habe, dass durch ihre privaten Einkäufe während der Arbeitszeit nicht restlos zerstört sei.

41

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll des Anhörungstermins vom 24.10.2017 Bezug genommen.

B.

I.

42

Die nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde der Arbeitgeberin ist gemäß §§ 87 Abs. 2, 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

43

Die Beschwerde der Arbeitgeberin hat in der Sache selbst keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die verweigerte Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) nicht ersetzt und demzufolge den Antrag zurückgewiesen. Die beabsichtigte außerordentliche Kündigung wegen viermaligen privaten Einkäufen während der Arbeitszeit ohne Auszustempeln ist unter Berücksichtigung aller Umstände gemäß § 626 Abs. 1 BGB weder als Tat- noch als Verdachtskündigung gerechtfertigt. Denn die beabsichtigte Kündigung erweist sich jedenfalls als unverhältnismäßig.

44

1. Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats der Zustimmung des Betriebsrats. Gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG iVm. § 15 KSchG ist die verweigerte Zustimmung zu ersetzen, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Dies setzt einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB voraus. Es müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 39 mwN; 23. April 2008 - 2 ABR 71/07 - Rn. 17 mwN).

45

Dabei hat die Prüfung des wichtigen Kündigungsgrundes in zwei systematisch zu trennenden Abschnitten zu erfolgen, nämlich zum einen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar war oder nicht (BAG 13.05.2015 – 2 ABR 38/14 – Rn. 18 m. w. N., NZA 2016, 116 ff., 18. Dezember 2014 - 2 AZR 265/14 - Rn. 14; 31.07.2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 39).

46

Grundsätzlich kann auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung einen wichtigen Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung ist danach immer dann gerechtfertigt, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen bei einem verständig und gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (std. Rspr. vgl. nur BAG, 25.10. 2012 – 2 AZR 700/11 – NZA 2013, 371, 372 Rn. 13; 24.05.2012 – 2 AZR 206/11 – NZA 2013, 137, 138 Rn. 16, jeweils m. w. N.). Der Verdacht muss auf konkrete Tatsachen gestützt sein. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG 25.10.2012 – 2 AZR 700/11 – NZA 2013, 371, 372 Rn. 14; 24.05. 2012 – 2 AZR 206/11 – NZA 2013, 137, 138 Rn. 17, jeweils m. w. N.).

47

Des weiteren ist zu beachten, dass sich der wichtige Grund, der dem Arbeitgeber im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht, aus dem Arbeitsverhältnis ergeben muss. Deshalb ist bei der Kündigung eines Betriebsratsmitglieds stets danach zu unterscheiden, ob eine Verpflichtung aus dem Amts- oder aus dem Arbeitsverhältnis verletzt wurde oder ob beide Bereiche betroffen sind. Liegt eine rein arbeitsvertragliche Pflichtverletzung vor, kann gegenüber dem Betriebsratsmitglied eine außerordentliche Kündigung unter den gleichen Voraussetzungen ausgesprochen werden, unter denen gegenüber anderen Arbeitnehmern eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 Abs. 1 BGB möglich ist (BAG 13.05.2015 – 2 ABR 38/14 – Rn. 18 m. w. N., NZA 2016, 116 ff.). Im Übrigen ist bei der nach § 626 Abs. 1 BGB im Wege einer Interessenabwägung vorzunehmenden Zumutbarkeitsprüfung eine fiktive Kündigungsfrist zugrunde zu legen, nämlich die, die gelten würde, wenn dem Funktionsträger ordentlich gekündigt werden könnte. Fristlos kann einem Betriebsratsmitglied daher nur gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren Nichtbetriebsratsmitglied dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre (BAG 27.09.2001 - 2 AZR 487/00 - EzA § 15 KSchG Nr. 54).

48

Vorliegend wirft die Arbeitgeberin der Beteiligten zu 3) vor, dass sie an 4 Arbeitstagen private Einkäufe erledigte und einmal auch an einem kostenlosen Mittagessen teilnahm, ohne die Zeiterfassung entsprechend zu betätigen, so dass sie über ihre tatsächliche Arbeitszeit getäuscht habe und sich auch tatsächlich nicht geleistete Arbeitszeit habe vergüten lassen oder dies zumindest versucht habe. Hilfsweise, dass zumindest ein entsprechend dringender Verdacht begründet sei. Ferner führt die Arbeitgeberin zur Begründung an, dass die Klägerin im am 19.12.2016 geführten Gespräch eine widerrechtliche Drohung ausgesprochen habe. Die Arbeitgeberin stützt damit ihre beabsichtigte außerordentliche Kündigung auf die Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten, so dass dies anhand der Maßstäbe des § 626 Abs. 1 BGB zu beurteilen ist.

49

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich der Zustimmungsersetzungsantrag als unbegründet.

50

Dabei geht die Beschwerdekammer davon aus, dass bezüglich der durch Verknüpfung und Verarbeitung der zunächst zu anderen Zwecken rechtmäßig erhobenen Daten der Zeiterfassung und der Personalkarte gewonnenen Erkenntnisse zu privaten Einkäufen während der Arbeitszeit kein Verwertungsverbot besteht. Dies gilt insbesondere auch für den unstreitigen Sachverhalt. Sollte sich die Zulässigkeit nicht bereits aus der Rahmengesamtbetriebsvereinbarung IT Nr. 28 ergeben, so wäre es in jedem Fall wohl nach § 32 BDSG zulässig gewesen. Letztlich sind hierzu jedoch keinerlei nähere Ausführungen veranlasst, da auch bei Zugrundelegung aller so gewonnenen Erkenntnisse durch die Beschwerdekammer die beabsichtigte außerordentliche Kündigung sich als unverhältnismäßig erweist.

51

a) Zwar ist das Verhalten der Beteiligten zu 3), soweit es die Erledigung privater Einkäufe und eines Mittagessens ohne korrekte Bedienung der Zeiterfassung betrifft, grundsätzlich geeignet, an sich einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Tat- oder Verdachtskündigung darzustellen.

52

(1) Es ist allgemein anerkannt, dass vorsätzliche Falschangaben des Arbeitnehmers über die von ihm erbrachte Arbeitszeit regelmäßig einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB bilden (vgl. KR-Fischermeier, 11. Aufl., § 626 BGB, Rz. 460, m. w. N.). Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen (BAG 24.11.2005 - 2 AZR 39/05 - zu II 3 b der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 197; 21.04.2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264). Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare (vgl. BAG 24.11.2005 - 2 AZR 39/05 - aaO). Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch (BAG 24.11.2005 - 2 AZR 39/05 - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 51). Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise seine ihm gegenüber dem Arbeitgeber bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB (BAG 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 - , NZA 2011, 1027 ff.).

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(2) Vorliegend steht aufgrund des unstreitigen Sachverhalts fest, dass die Beteiligte zu 3) ohne die Zeiterfassung zu betätigen und damit während der Arbeitszeit insgesamt in 4 Fällen private Einkäufe tätigte und einmal am kostenlosen Mittagessen im Aufenthaltsraum teilnahm. Strittig ist allein das tatsächliche zeitliche Ausmaß. Während die Arbeitgeberin davon ausgeht, dass die Beteiligte zu 3) in allen 4 Fällen den kompletten Einkauf selbst aus den Regalen zusammengesucht und anschließend bezahlt hat, behauptet die Beteiligte zu 3), dass sie am 27.10.2016 sich während des Aufräumens parallel die Einkäufe zurecht gelegt habe und an dem 16.10.2016 und dem 06.12.2016 ihre Schwester überwiegend die Waren in den Einkaufswagen gelegt habe während sie selbst lediglich ein paar Schnürstiefel aus der entsprechenden Abteilung abgeholt bzw. Alufolie selbst geholt und sodann an der Kasse bezahlt habe. Anders als die Arbeitgeberin, die anhand der auf dem jeweiligen Kassenbon ausgewiesenen Waren allein für das Zusammensuchen der Einkäufe am 16.10.2016 15 Minuten, am 06.12.2016 20 Minuten, am 27.11.2016 30 Minuten und am 16.12.2016 8 Minuten als benötigte Zeit durch Abarbeiten des jeweiligen Kassenbons für das Zusammensuchen der gekauften Waren ermittelte, macht die Beteiligte zu 3) jedoch keinerlei Angaben dazu, wie viel Zeit sie tatsächlich benötigte, womit sie durchaus gegen die sie schon auf Tatbestandsebene treffende sekundäre Darlegungslast verstoßen haben könnte, da die Arbeitgeberin außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs stand.

54

Selbst wenn der zeitliche Umfang tatsächlich geringer gewesen wäre als von der Arbeitgeberin ermittelt, so würde dies zum einen nichts daran ändern, dass tatsächlich nicht geleistete Arbeitszeit aufgrund des Nichtbedienens der Zeiterfassung durch die Beteiligte zu 3) als vergütungspflichtige Arbeitszeit ausgewiesen wurde. Ebenso wenig spielt es für die Beurteilung eine Rolle, ob die Beteiligte zu 3) den Einkauf am Stück oder wie von ihr für den 27.11.2016 behauptet nebenbei erledigte. So oder so nahm der private Einkauf in jedem Fall Arbeitszeit in Anspruch. Zumal in allen Fällen auch das Anstellen an der Kasse, der Bezahlvorgang selbst und das Verbringen der Einkäufe in das Betriebsratsbüro Zeit in Anspruch nahm, was ebenfalls nicht zur Arbeitszeit gehörte.

55

Im Übrigen ist aber auch für das Vorliegen eines wichtigen Grundes an sich das zeitliche Ausmaß der Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Zeiterfassung ohne Relevanz. Denn die Beteiligte zu 3) hat in jedem Fall durch das Nichtausstempeln die Arbeitgeberin veranlasst ihr Entgelt zu zahlen, ohne dass sie im durch die Zeiterfassung angegebenen Umfang die geschuldete Arbeitsleitung erbracht hat. Damit liegt allemal eine schwerwiegende Pflichtverletzung zum Nachteil der Vermögensinteressen der Arbeitgeberin vor. Die Höhe des eingetretenen Schadens ist insoweit gleichfalls nicht von Bedeutung, da auch bereits bei einem geringen Schaden ein schwerer Vertrauensbruch gegeben ist. Denn verschafft sich ein Arbeitnehmer vorsätzlich auf Kosten des Arbeitgebers einen ihm nicht zustehenden Vermögensvorteil, verletzt er erheblich seine Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB). Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen daher typischerweise als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht. Das gilt unabhängig von der Höhe eines dem Arbeitgeber durch die Pflichtverletzung entstandenen Schadens (std. Rspr. BAG 20.06.2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 13 und 15, BAGE 145, 278; 21.06.2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 17, BAGE 142, 176).

56

Mit der Auszahlung des Dezembergehalts 2016 wäre es dann im Hinblick auf die Einkäufe am 06.12.2016 und am 16.12.2016 auch zur Abrechnung von nicht geleisteter Arbeitszeit gekommen. Zudem ließ sich die Beteiligte zu 3) regelmäßig auch Mehrarbeit auszahlen, insbesondere hat sie sich die geleisteten Stunden für den 16.10.2016 bereits auszahlen lassen. Zuletzt hat sie für den streitgegenständlichen Zeitraum im Personalbüro am 15.12.2016 die Auszahlung von 25 Stunden Mehrarbeit beantragt. Es liegt damit Arbeitszeitbetrug bzw. versuchter Arbeitszeitbetrug vor, der an sich geeignet ist einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zu bilden.

57

(3) Daran ändert auch nichts die Regelung des einschlägigen und anwendbaren § 5 MTV Einzelhandel Rheinland-Pfalz, wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat. Zwar ist in § 5 Ziffer 1. S. 2 MTV geregelt, dass nur Ruhepausen von mindestens 15 Minuten von der Arbeitszeit abgesetzt werden können. Doch soll damit nicht die Frage des Vorliegens vergütungspflichtiger Arbeitszeit geregelt werden. Vielmehr stellt diese tarifvertragliche Regelung schon nach ihrem Wortlaut, die die Begrifflichkeiten des § 4 ArbZG übernimmt, vor dem Hintergrund des § 7 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG allein die Mindestlänge der Ruhepausen im Sinne des ArbZG fest.

58

(4) Auch der Umstand, dass es sich bei der Beteiligten zu 3) um ein vollständiges freigestelltes Betriebsratsmitglied im Sinne des § 38 BetrVG handelt, ändert entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 3) an der Beurteilung des Sachverhalts als an sich geeigneter wichtiger Grund gleichfalls nichts. Die Beteiligte zu 3) unterliegt als Arbeitnehmerin den diesbezüglichen Regelungen der Arbeits- und Betriebsordnung der Arbeitgeberin. Es gibt keinen Grund, von der beruflichen Tätigkeit freigestellte Betriebsratsmitglieder von der betrieblichen Zeiterfassung als solcher auszunehmen. Sie haben ebenso wie Arbeitnehmer, die beruflich tätig sind, ihre Anwesenheit im Betrieb zu dokumentieren. Die Freistellung nach § 38 BetrVG ändert nichts an der aus Ziffer 5.2 der Arbeits- und Betriebsordnung folgenden Verpflichtung die Zeiterfassung ordnungsgemäß zu bedienen. Denn die Erledigung privater Einkäufe stellt, selbst wenn sie auf dem Betriebsgelände des Arbeitgebers erfolgt, keine Betriebsratstätigkeit dar.

59

Gesetzliche Folge des § 38 BetrVG ist vielmehr, dass an die Stelle der Arbeitspflicht die Verpflichtung tritt, sich während der Freistellung im Umfang der Arbeitszeit für anfallende Betriebsratsarbeit bereitzuhalten (vgl. BAG 28.08.1991 - 7 ABR 46/90 - zu B II 3 a der Gründe, BAGE 68, 224; 13.06.2007 - 7 ABR 62/06 - Rn. 14). Dementsprechend entfällt auch der Anspruch auf Leistung von Arbeitsentgelt ohne berufliche Arbeitsleistung, wenn die Freistellung nicht in diesem Sinne im Umfang der Arbeitszeit für Betriebsratstätigkeit genutzt wurde (vgl. BAG 10.07.2013 – 7 ABR 22/12, NZA 2013, 1221, 1222 m.w.N.).

60

b) Hingegen hat die Beteiligte zu 3) im sodann am 19.12.2016 mit dem Geschäftsstellenleiter S. und der Personalleiterin R. geführten Gespräch kein Verhalten an den Tag gelegt, dass die Arbeitgeberin - ungeachtet der korrekten strafrechtlichen Bewertung - aus dem Gesichtspunkt einer Drohung, Nötigung oder Erpressung zu einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen könnte.

61

Droht ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann darin - je nach den Umständen des Einzelfalls - ein erheblicher, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen. Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nachteilige Folgen mit dem Ziel androht, dieser solle von einer beabsichtigten oder bereits erklärten Kündigung Abstand nehmen (vgl. BAG 30.03.1984 - 2 AZR 362/82 - zu B I der Gründe zur Androhung von Presseveröffentlichungen). Eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung setzt regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob das Verhalten den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt. Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden (BAG 08.05.2014 - 2 AZR 249/13 -, Rn. 20, juris; BAG, 21.06.2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 20, juris).

62

In diesem Sinne hat die Beteiligte zu 3) jedoch ihre vertragliche Rücksichtnahmepflicht im Gespräch am 19.12.2016 selbst bei Unterstellung der Richtigkeit der strittigen Schilderung der Arbeitgeberin aufgrund der Umstände des vorliegenden Einzelfalls nicht verletzt.

63

Die Arbeitgeberin trägt hierzu vor, dass die Beteiligte zu 3) im Gespräch am 19.12.2016 nach Konfrontation mit ihren Ermittlungsergebnissen eingeräumt habe, dass sie private Einkäufe während der Arbeitszeit getätigt habe, wobei sie insbesondere darauf verwiesen habe, dass die Hälfte der Belegschaft dies auch tue und sich Herr S. nicht so haben solle. So dann habe die Beteiligte zu 3) nach dem strittigen Vortrag der Arbeitgeberin ferner erklärt, dass sich Herr S. vorsehen solle und er doch wohl nicht vorhabe aus diesen Umständen arbeitsrechtliche Schritte (fristlose Kündigung) herzuleiten, da er doch wisse, was dann passiere, nämlich dass sie zu einem Anwalt gehe und die Presse einschalten werde.

64

Diese Ankündigung mag die Arbeitgeberin als empfindliches Übel empfunden haben. Aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls fehlt es dieser Ankündigung jedoch an der notwendigen Widerrechtlichkeit. Denn die Beteiligte zu 3) hatte die privaten Einkäufe während der Arbeitszeit an sich eingeräumt und ging dabei auch nach dem von der Arbeitgeberin geschilderten Gesprächsverlauf davon aus, dass es damit sein Bewenden hätte. Dies zeigt bereits deutlich, dass sie im Gespräch ihre Rechtsauffassung kundgetan hat, dass dies nicht so schlimm sei. Als sie nun merkte, dass die Gesprächsteilnehmer letzteres anders beurteilten, hat sie darüber ihr Unverständnis geäußert und aus ihrem Standpunkt heraus spontan darauf verwiesen, dass sie arbeitsrechtliche Schritte nicht akzeptieren werde, sondern zu einem Rechtsanwalt gehen und auch die Presse informieren werde. Sie hat damit auch nach dem Vortrag der Arbeitgeberin nicht in Aussicht gestellt unwahre Behauptung in der Presse zu verbreiten. Ob sie damit die Presse als Druckmittel einsetzen oder nur mit anderen Worten ausdrücken wollte, dass Folge eines mit Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe geführten Prozesses auch die Aufmerksamkeit der Presse sei, kann dahin gestellt bleiben. Zumal auch nach der Schilderung der Arbeitgeberin offen bleibt, ob die Beteiligte zu 3) die öffentliche Darstellung des Falles der Wertung der Presseorgane selbst überlassen wollte. Entscheidend gegen die Annahme einer widerrechtlichen Drohung sprechen schließlich auch nach Auffassung der Beschwerdekammer die Umstände, wie es zu den beanstandeten Äußerungen kam. Die Beteiligte zu 3) war zum Gesprächszeitpunkt bereits 38 Jahre bei der Arbeitgeberin beschäftigt, ohne dass je eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Raum stand. Sie war hinsichtlich des Inhalts des Gesprächs völlig arglos und überrascht, da ihr unstreitig zuvor nicht mitgeteilt worden war, weshalb der Geschäftsstellenleiter sie sprechen wollte. Sie hatte keine Zeit sich hierauf vorzubereiten. Vielmehr war sie von der Gesprächssituation und dem Verlauf des Gesprächs überrumpelt, wie ihre von der Arbeitgeberin dargelegten Äußerungen belegen. Mit dem Arbeitsgericht geht die Berufungskammer daher davon aus, dass sich die Beteiligte zu 3) in einer Ausnahmesituation befand. Es handelte sich um eine impulsive und spontane Reaktion auf diese Situation, bei der die Beteiligte zu 3) nicht auf ihre Wortwahl im Einzelnen bedacht war.

65

c) Schließlich geht die Beschwerdekammer mit dem Arbeitsgericht in der angegriffenen Entscheidung im Ergebnis davon aus, dass eine außerordentliche Tat- oder Verdachtskündigung bei einer Gesamtwürdigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unverhältnismäßig wäre.

66

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlustes und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227, Rn. 34 m. w. N.). Als mildere Reaktion sind u.a. insbesondere der Ausspruch einer Abmahnung und eine ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen. Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen das Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers. Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls insbesondere nach einer Abmahnung wieder vertragstreu verhalten (vgl. BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227, Rn. 38 m. w. N.).

67

Gemessen daran, wäre vorliegend der Ausspruch einer Abmahnung eine angemessene Reaktion auf das gezeigte Fehlverhalten der Beteiligten zu 3) gewesen.

68

(1) Zu Gunsten der Beteiligten zu 3) sind dabei ihre Schwerbehinderung, ihr Alter und ihre lange Betriebszugehörigkeit seit dem 01.08.1978 zu berücksichtigen. Insbesondere ihre bereits 38 Jahre bestehende Betriebszugehörigkeit fällt ausschlaggebend ins Gewicht. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis während dieser langjährigen Betriebszugehörigkeit in der Vergangenheit im Wesentlichen beanstandungsfrei verlaufen ist.

69

Demgegenüber wiegen die betrieblichen Interessen und das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers nicht so schwer, dass diesen Interessen nur durch eine außerordentliche Kündigung Rechnung getragen werden könnte.

70

Dabei verkennt die Beschwerdekammer nicht, dass die Beteiligten zu 3) mit ihren privaten Einkäufen während der Arbeitszeit ohne Auszustempeln ein schwerwiegendes Fehlverhalten gezeigt hat. Sie hat auch insoweit vorsätzlich gehandelt, als ihr durchaus bewusst war, dass sie damit gegen die im Übrigen unstreitig allen Arbeitnehmern bekanntgegebene Arbeits- und Betriebsordnung verstoßen hat, in der unter Ziffer 5.2 ausdrücklich geregelt ist, dass private Einkäufe außerhalb der Arbeitszeit erfolgen. Für ihr diesbezüglich vorsätzliches Verhalten spricht auch, dass sie selbst vorträgt, Herr S. habe sich beschwert, als er eine Mitarbeiterin gesehen habe, die sich Brötchen während der Arbeitszeit für die Pause gekauft habe. Schließlich wertet die Beschwerdekammer zu Lasten der Beteiligten zu 3) auch, dass es sich nicht lediglich um einen einmaligen Vorfall handelte, sondern die Arbeitgeberin im Nachgang insgesamt 3 weitere Fälle ermittelte und die Beteiligte zu 3) ferner einräumen musste, auch das kostenlose Mittagessen am verkaufsoffenen Sonntag (27.11.2017) ohne Pause zu stempeln, eingenommen zu haben. Die Beteiligte zu 3) hat damit mehrfach gegen die Arbeits- und Betriebsordnung verstoßen, wobei die zeitliche Lage der Einkäufe gegen Ende bzw. eher zu Beginn der Arbeitszeit dafür sprechen, dass sie zumindest eine tatsächlich verspätete Arbeitsaufnahme oder ein verfrühtes Arbeitsende zu verschleiern versuchte. Schließlich wirkt sich zu ihren Lasten auch aus, dass sich ihre Lohnabrechnung nach den Daten der Zeiterfassung richtet, so dass ihr Stempelverhalten sehr wohl die tatsächliche Bezahlung beeinflusst. Dies wiegt bei den privaten Einkäufen an den verkaufsoffenen Sonntagen umso schwerer, als nach der Ziffer 2a) der Betriebsvereinbarung zur Regelung der Arbeitszeit an verkaufsoffenen Sonntagen für das Jahr 2016 der Arbeitseinsatz allein auf freiwilliger Basis erfolgte und zudem nach Ziffer 3 dieser Betriebsvereinbarung Arbeitnehmern für an den verkaufsoffenen Sonntagen geleisteten Arbeitsstunden wahlweise einen Zuschlag in Höhe von 100 % oder entsprechender Freizeitausgleich geleistet wird.

71

Hingegen kann der Umstand, dass die Beteiligte zu 3) erst im gerichtlichen Verfahren anführte, dass ihre Schwester am 16.10.2016 und am 06.12.2016 überwiegend die Einkäufe zusammengesucht habe, selbst wenn die Beschwerdekammer unterstellen würde, dass dies eine wahrheitswidrige Behauptung sei, nicht im Rahmen der Interessenabwägung zu Lasten der Beteiligten zu 3) gewertet werden. Zwar kann der Arbeitgeber im Rahmen eines Zustimmungsersetzungsverfahrens auch noch neue Gründe vorbringen. Anders als beim Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG können nicht nur solche Tatsachen nachgeschoben werden, die bei Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahren bereits vorgelegen haben, sondern auch solche, die erst während des laufenden Verfahrens eingetreten sind. Auch können bei Einleitung des Verfahrens vorliegenden Tatsachen ohne Rücksicht darauf nachgeschoben werden, ob sie dem Arbeitgeber bekannt waren oder nicht. Der Arbeitgeber muss aber, weil das gerichtliche Verfahren nur im Fall der Zustimmungsverweigerung einzuleiten und damit dem betrieblichen Zustimmungsverfahren nachgelagert ist, vor der Einführung dieser Umstände im Zustimmungsersetzungsverfahren dem Betriebsrat Gelegenheit gegeben haben, seine Stellungnahme im Licht der neuen Tatsachen zu überprüfen (LAG Rheinland-Pfalz 03.02.2016 – 7 TaBV 20/15 – Rn. 72, juris). Dies ist vorliegend jedoch nicht geschehen. Der Umstand, dass vorliegend der stellvertretende Vorsitzende durch Teilnahme am Beschlussverfahren davon erfährt, vermag hingegen die Behandlung neuer Gründe durch den Betriebsrat selbst nicht zu ersetzten (so auch LAG Rheinland-Pfalz 03.02.2016 – 7 TaBV 20/15 – Rn. 72, juris).

72

Ferner fällt selbst bei Unterstellung der Richtigkeit des Vortrags der Arbeitgeberin hinsichtlich der Äußerung der Beteiligten zu 3) im Gespräch am 19.12.2016 zur Einschaltung der Presse nicht derart zu Lasten der Beteiligten zu 3) ins Gewicht, als dass dies eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar machen würde. Denn das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass insoweit eine emotionale Ausnahmesituation vorlag, die dieses Verhalten in ein milderes Licht rückt.

73

(2) Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes allerdings nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (std. Rspr. BAG 20.11.2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 22, BAGE 150, 109; 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37, NZA 2010, 1227, 1231). Dies gilt grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich (std. Rspr. BAG 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 – Rn. 28).

74

Ein Ausnahmefall, der vorliegend danach eine Abmahnung entbehrlich erscheinen lassen würde, ist nicht gegeben.

75

Die Beteiligte zu 3) ist bisher noch nicht einschlägig abgemahnt worden. Ihre Reaktion im Gespräch am 19.12.2016 und ihr Verteidigungsvorbringen im vorliegenden Gerichtsverfahren sprechen gleichfalls nicht dafür, dass sie ihr Verhalten nach einer Abmahnung nicht ändern würde. Insbesondere lassen sie die Beurteilung der Wiederholungsgefahr nicht in einem anderen Licht erscheinen. So hat die Beteiligte zu 3) den Vorwurf der privaten Einkäufe während der Arbeitszeit an sich eingeräumt. Die Art und Weise der Einlassung der Beteiligten zu 3) im Gespräch und im anschließenden Prozess und die dabei gezeigte fehlende Bereitschaft, das Unrechtmäßige einzusehen und einzuräumen, bewegen sich noch im Rahmen der beabsichtigten Rechtsverteidigung. Sie dienen dazu, sie in einem günstigeren Licht dastehen zu lassen und lassen nicht den Rückschluss darauf zu, dass sie sich bei Gelegenheit trotz Abmahnung wieder in gleicher Weise verhalten werde.

76

Auch der Umstand, dass sie bis zuletzt keine Reue zeigte, sondern ihr Fehlverhalten sowohl in diesem Gespräch als auch im vorliegenden Prozess zu bagatellisieren versucht, vermag hieran nichts zu ändern. Zwar sprechen das anscheinend fehlende schlechte Gewissen sowie die versuchte Verharmlosung dafür, dass der Beteiligten zu 3) insoweit bis zuletzt das Unrechtsbewusstsein fehlte. Doch kann hieraus nach Auffassung der Beschwerdekammer noch nicht geschlossen werden, dass sie Pausen und private Dinge während der Arbeitszeit auch dann weiterhin erledigt hätte, wenn ihr für den Wiederholungsfall eine Kündigung angedroht worden wäre. Insofern ist zu beachten, dass es sich bei dem Fehlverhalten der Beteiligten zu 3) um steuerbares Verhalten handelt, was unabhängig von einem vorherigen Unrechtsbewusstsein grundsätzlich jederzeit änderbar ist. Deshalb ist im vorliegenden Fall ebenso wie bei jedem steuerbaren Verhalten grundsätzlich anzunehmen, dass das künftige Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Vor dem Hintergrund der erforderlichen Objektivierung der negativen Prognose setzt die außerordentliche ebenso wie die ordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung deshalb selbst dann regelmäßig eine Abmahnung voraus, wenn es sich um Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen den Arbeitgeber handelt (BAG 23.06 2009 - 2 AZR 283/08 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5; BAG 10.062010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 ff.). Ein Reueverhalten ist hierfür nicht erforderlich. Mit anderen Worten: Es geht nicht darum, ob der Beteiligten zu 3), wovon die Beschwerdekammer fest ausgeht, ihre Pflichtverletzung bewusst war, sondern um die Frage, ob eine Verhaltensänderung unter dem Druck einer drohenden Kündigung zu erwarten war. Hierfür spricht die Reaktion der Beteiligten zu 3) eher, als dass aus ihr abgeleitet werden kann, dass sie durch eine Abmahnung nicht zu beeindrucken gewesen wäre.

77

Schließlich handelt es sich auch nicht um eine so schwere Pflichtverletzung, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Arbeitgeberin nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist. Auch insoweit schließt sich die Beschwerdekammer der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an, wonach eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört wird (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - § 626 BGB 2002 Nr. 32). Die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf dürfen bei der Interessenabwägung im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden. Dies verstößt nicht gegen das Gebot einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts (vgl. dazu EuGH 19. Januar 2010 - C4555/07 - [Kücüdeveci], Slg. 2010, I4 365; ebenso BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - NZA 2011, 1412). Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - § 626 BGB 2002 Nr. 32).

78

So liegt der Fall hier. Die Beteiligte zu 3) weist eine über 37 Jahre bestehende und bis zu den streitgegenständlichen Vorfällen auch störungsfreie Betriebszugehörigkeit auf. Sicherlich hat die Beteiligte zu 3) mit den streitgegenständlichen Vorfällen die so entstandene Vertrauensgrundlage beeinträchtigt. Hingegen schließt sich die Beschwerdekammer der Beurteilung des Arbeitsgerichts an, dass die Vorfälle bei objektiver Betrachtung jedoch vorliegend nicht geeignet sind, das für die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen der Arbeitgeberin in die Beteiligte zu 3) unwiederbringlich zu zerstören.

79

Der Verweis der Arbeitgeberin darauf, dass von der Beteiligten zu 3) als Betriebsratsvorsitzende in besonderer Weise erwartet werden kann, dass sie sich selbst an die vereinbarten Kollektivregelungen hält und Vorbildfunktion habe, vermag hieran nichts zu ändern. Denn es darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Ein Betriebsratsmitglied steht vielmehr hinsichtlich der Frage, ob sein Verhalten einen Grund zur fristlosen Entlassung bildet, was die Frage der Pflichtverletzung aus dem Vertrage und die Schwere dieser Verletzung betrifft, jedem anderen Arbeitnehmer gleich. Auch im Rahmen der Interessenabwägung ist daher zu beachten, dass die Betriebsratseigenschaft nicht das Gewicht einer Pflichtverletzung zu erhöhen vermag (std. Rspr vgl. BAG 22.02.1979 – 2 AZR 115/78 zu 2 b der Gründe, DB 1979, 1659).

80

Schließlich sieht die Beschwerdekammer in der E-Mail des Geschäftsleiters vom 13.10.2016 an die Bereichsleiter auch einen Beleg dafür, dass letztlich der Grund für die beabsichtigte fristlose Kündigung statt dem Ausspruch einer eindringlichen Abmahnung auf dem nach dem soeben dargelegten unzulässigen Umstand beruht, dass es sich vorliegend gerade um die Betriebsratsvorsitzende und nicht um einen „normalen“ Arbeitnehmer handelte, der diese Pflichtverletzungen begangen hat. So hat der Geschäftsstellenleiter in dieser E-Mail den Bereichsleitern trotz der allen Arbeitnehmern bereits bekanntgegebenen klaren diesbezüglichen Regelung der Ziffer 5.2 der Arbeits- und Betriebsordnung aufgegeben, alle Mitarbeiter darüber zu informieren, dass private Einkäufe und auch die Einkäufe für die Pause nicht während der Arbeitszeit (auf den Weg zur Kasse) gemacht werden. Dies wertet die Beschwerdekammer als Beleg dafür, dass es durchaus zu Verstößen gegen die Arbeits- und Betriebsordnung hinsichtlich privater Einkäufe während der Arbeitszeit gekommen ist, da es sonst dieser E-Mail nicht bedurft hätte. Zudem zeigt diese E-Mail auch, dass es sich zwar um von der Arbeitgeberin nicht geduldetes Fehlverhalten handelte, sie aber dennoch diese Verstöße nicht als derart gravierend erachtet, dass es umgehend mit Kündigungen sanktioniert werden sollte. Zumal die E-Mail selbst keine Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen bei Verstößen vorsieht. Die von der Arbeitgeberin mit dieser E-Mail bezweckte Verhaltensänderung der Mitarbeiter für die Zukunft kann jedoch auch bei der Beteiligten zu 3) mittels einer Abmahnung herbeigeführt werden, der der Inhalt dieser E-Mail zudem nicht bekanntgegeben worden war.

81

d) Nach alledem stellt sich deshalb der Ausspruch der beabsichtigten fristlosen Kündigung als unverhältnismäßig dar.

III.

82

Die Voraussetzungen einer Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

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