Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (8. Kammer) - 8 Sa 452/17

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14.09.2017 - Az.: 7 Ca 3724/16 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über den Auszahlungsanspruch der Klägerin für den Monat Juli 2016 sowie über einen Rückzahlungsanspruch der Beklagten wegen eines vorzeitig beendeten Altersteilzeitarbeitsverhältnisses.

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Die am 18.05.1953 geborene Klägerin war seit dem 01.06.1997 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin im Kindergarten in N beschäftigt. Am 22.09.2006 vereinbarten die Parteien (vgl. Vertrag zur Altersteilzeitarbeit, Bl. 5 ff. d. A.) auf Grundlage des Altersteilzeitgesetzes und der Anlage 9 zur Kirchlichen Arbeits- und Vergütungsordnung für das Bistum  Z vom 15.02.2000 in seiner jeweils geltenden Fassung (vgl. Bl. 42 ff. d.A., fortan: Anlage 9 KAVO), das langjährige Arbeitsverhältnis als Altersteilzeitarbeitsverhältnis im Blockmodell fortzuführen. Die Arbeitsphase sollte vom 01.06.2008 bis zum 31.05.2013 dauern und die sich anschließende Freistellungsphase bis zum 31.05.2018.

 

3

Das von der Klägerin erarbeitete Wertguthaben betrug zu Beginn der Freistellungsphase am 03.07.2013 einen Betrag von 56.103,16 EUR brutto.

4

Aufgrund der zum 01.07.2014 in Kraft getretenen Regelung des § 236b SGB VI nahm die Klägerin als langjährig Versicherte ab dem 01.08.2016 Altersrente in Anspruch.

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Gemäß § 8 Abs. 1 des Vertrages über Altersteilzeitarbeit der Parteien i.V.m. § 8 Abs. 2 b. der Anlage 9 KAVO endete wegen Bezugs der Altersrente ab August 2016 mit Ablauf des 31.07.2016 das Arbeitsverhältnis der Parteien. § 8 Abs. 3 der Anlage 9 KAVO sieht des Weiteren folgendes vor:

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Endet bei einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter, die oder der im Rahmen der Altersteilzeit nach dem Blockmodell beschäftigt wird, das Arbeitsverhältnis vorzeitig, hat sie oder er Anspruch auf eine etwaige Differenz zwischen den nach den §§ 3 und 4 erhaltenen Bezügen und Aufstockungsleistungen und den Bezügen für den Zeitraum ihrer oder seiner tatsächlichen Beschäftigung, die sie oder er ohne Eintritt in die Altersteilzeit erzielt hätte.

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Zum 31.07.2016 betrug das Wertguthaben der Klägerin noch 21.457,27 EUR brutto. Die Beklagte rechnete den Monat Juli 2016 (vgl. Bl. 18 f. d. A.) unter Berücksichtigung aller bis dahin geleisteten Aufstockungsbeträge in Höhe von 19.914,28 EUR ab. Die Abrechnung endete mit keinem Auszahlungsbetrag zugunsten der Klägerin, sondern mit einer Forderung der Beklagten in Höhe von 1.423,55 EUR netto.

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Nachdem die Klägerin außergerichtlich erfolglos von der Beklagten die Zahlung des rechnerisch unstreitigen Nettolohnanspruchs für den Monat Juli 2016 in Höhe von 877,75 EUR verlangt hat, verfolgt sie diese Forderung mit ihrer beim Arbeitsgericht Koblenz am 29.11.2016 eingegangenen und der Beklagten am 08.12.2016 zugestellten Klage weiter. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 21.03.2017, der der Klägerin am 27.03.2017 zugestellt wurde, Widerklage auf Zahlung von 1.423,55 EUR netto erhoben.

9

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils vom 14.09.2017 Bezug genommen.

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Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 14.09.2017 der Zahlungsklage stattgeben und die Widerklage abgewiesen. Es hat hierzu zusammengefasst im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte weder einen Anspruch habe, mit dem sie aufrechnen könnte, noch eine sonstige Verrechnungsmöglichkeit bestehe, da es insoweit an einer Anspruchsgrundlage fehle.

11

Die Beklagte hat gegen das am 29.09.2017 zugestellte Urteil mit am 23.10.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 28.11.2017 eingegangenem Schriftsatz begründet.

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Die Beklagte macht geltend,

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das Arbeitsgericht habe verkannt, dass zum Ende des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses bei vorzeitiger Beendigung eine Gesamtabrechnung unter Einbeziehung der bis dahin geleisteten Aufstockungsbeträge nach § 8 Abs. 3 der Anlage 9 KAVO vorzunehmen sei. Bei einem Saldo zugunsten des Arbeitgebers müsste diese Regelung dahingehend verstanden werden, dass dies der Arbeitgeber herausverlangen könne. Dies entspreche bei einem Störfall der vorzunehmenden Anpassung und Rückabwicklung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses. Zudem entspräche es Treu und Glauben, dass ein Arbeitgeber in diesem Fall zumindest nicht noch für den letzten Monat des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses trotz Saldos zu seinen Gunsten eine Zahlung leisten müsste.

14

Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14.09.2017 - Az. 7 Ca 3724/16 abzuändern und die Klage abzuweisen sowie die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte 1.423,55 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2016 zu zahlen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend und verweist zur Begründung zum einem darauf, dass wegen Unpfändbarkeit ihres Nettolohnanspruchs für den Monat Juli 2016 nach § 850c ZPO ein Aufrechnungsverbot nach § 394 BGB bestehe und im Übrigen keine Rechtsgrundlage für die Forderung der Beklagten gegeben sei.

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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

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Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und ausreichend begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

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In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht zum einen der Zahlungsklage hinsichtlich des Nettolohnanspruchs für den Monat Juli 2017 stattgegeben und zum anderen die Widerklage abgewiesen.

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1. Der Klage auf Zahlung des Nettolohnanspruchs für den Monat Juli 2017 in Höhe von unstreitig 877,75 EUR ist begründet.

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Der Anspruch folgt aus § 611 BGB i.V.m. § 3 des Vertrages über Altersteilzeitarbeit, da in diesem Monat das Altersteizeitarbeitsverhältnis noch unverändert bestand, es endete erst aufgrund des Eintritts in die Altersrente mit Ablauf des 31.07.2016.

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Dieser Anspruch ist nicht durch die von der Beklagten erklärten Aufrechnung mit einem Rückzahlungsanspruch hinsichtlich das Wertguthaben übersteigender gezahlter Aufstockungsbeträge gemäß § 389 BGB erloschen.

25

Die Aufrechnung ist vorliegend bereits nach § 394 BGB i.V.m. § 850 c ZPO unzulässig, weil sie gegen eine der Pfändung nicht unterworfene Forderung erklärt worden ist. Die Voraussetzungen für eine Aufrechnung gegen eine unpfändbare Forderung gemäß § 242 BGB liegen nicht vor. Denn nur im Ausnahmefall kann eine Berufung auf das Aufrechnungsverbot als rechtsmissbräuchlich bewertet werden. Dies setzt ein besonders zu missbilligendes anstößiges Verhalten des Aufrechnungsgegners wie beispielsweise eine vorsätzliche unerlaubte Handlung des Arbeitnehmers zu Lasten des Arbeitgebers voraus (vgl. std. Rspr. BAG 31.03.1960 - 5 AZR 441/57, AP Nr. 5 zu § 394 BGB, zu 4 a der Gründe m. w. N.). Vorliegend gibt es jedoch keinerlei zu beanstandendes Vorverhalten der Klägerin, welches zur Beendigung des Altersteilzeitverhältnisses führte, so dass keinerlei Anlass besteht, von dem mit § 394 Satz 1 BGB zu Gunsten des Arbeitnehmers gewollten Sozialschutz abzuweichen.

26

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 2, 288 Abs. 1, 614 S. 2 BGB.

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2. Hingegen ist die Widerklage unbegründet. Die Beklagte hat gegen die Klägerin keinen Anspruch auf Rückzahlung von insgesamt 1.423,55 EUR. Es fehlt insoweit bereits an einer Anspruchsgrundlage.

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a) Der zwischen den Parteien vereinbarte Vertrag über Altersteilzeitarbeit enthält in § 8 Abs. 2 der Anlage 9 KAVO allein für etwaige Ansprüche des Arbeitnehmers bei vorzeitiger Beendigung des Vertrages einen Verweis auf die Regelung des § 8 Abs. 3 der Anl. 9 KAVO. Eine Anspruchsgrundlage für etwaige Ansprüche des Arbeitgebers enthält dieser Änderungsvertrag hingegen nicht.

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b) Der kraft Vereinbarung auch aufgrund der allgemeinen Verweisung des Altersteilzeitarbeitsvertrages auf die Anlage 9 KAVO anwendbare § 8 Abs. 3 KAVO begründet entgegen der Auffassung der Beklagten keinen Anspruch auf Rückzahlung eines sich bei der Differenzberechnung ergebenden Negativsaldos zugunsten des Arbeitgebers, sondern schließt diesen vielmehr gerade aus.

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(1) Die Berufungskammer hat das kirchliche Recht der Anl. 9 KAVO auszulegen. In einem Arbeitsverhältnis auftretende Fragen des bürgerlichen Rechts sind Streitigkeiten aus einem für alle geltenden Gesetze iSv. Art. 137 Abs. 3 WRV. Die für diese Streitigkeiten zuständigen Arbeitsgerichte müssen auch das entscheidungserhebliche kirchliche Recht anwenden. Sie sind zu einer eigenen Auslegung berechtigt, wenn sich die Kirchen keine Vorfragenkompetenz vorbehalten haben. Die KAVO und andere kirchliche Bestimmungen begründen keine solche Vorfragenkompetenz (vgl. BAG 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 40 m.w.N., Juris).

31

(2) § 8 Abs. 3 der Anlage 9 KAVO erfasst alle Fälle, in denen die bisherige Arbeitszeit um die Hälfte verringert und die verbleibende Arbeitszeit derart verteilt wird, dass der Arbeitnehmer während der ersten Hälfte der Altersteilzeit mit der bisherigen vollen Arbeitszeit (Arbeitsphase) und für die restliche Dauer von der Arbeitspflicht freigestellt wird (Freistellungsphase). Endet ein derartiges Altersteilzeitarbeitsverhältnis vorzeitig, das heißt vor Erreichen des im Altersteilzeitarbeitsvertrag bestimmten Datums, so liegt ein sog. „Störfall“ (vgl. BAG 14.10.2003 – 9 AZR 146/03, NZA 2004, 860) vor.

32

Schon nach dem klaren Wortlaut des § 8 Abs. 3 der Anlage 9 KAVO begründet dieser in einem solchen Störfall allein einen Anspruch des betroffenen Mitarbeiters auf Auszahlung einer etwaigen Differenz zwischen tatsächlich erhaltener Vergütung, bestehend aus Bezügen und Aufstockungsbeiträgen während der gesamten Dauer des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses bis zur vorzeitigen Beendigung und der „Hätte-Vergütung“ für die Zeit der tatsächlichen Beschäftigung ohne Teilzeit in der Arbeitsphase. Etwaige sich aus dem Vergleich ergebende Rückzahlungsansprüche des Arbeitgebers entfallen dagegen (vgl. so auch im Ergebnis zu einer gleichlautenden tarifvertraglichen Regelung BAG 14.10.2003 – 9 AZR 146/03, zu I 2 b der Gründe, NZA 2004, 860, 861).

33

Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung des § 8 Abs. 3 der Anlage 9 KAVO. Nach seinem Regelungsgehalt soll diese Bestimmung den Mitarbeiter im Störfall möglichst so stellen, als sei das Altersteilzeitarbeitsverhältnis nicht begründet worden. Es sollen dem Mitarbeiter die Bezüge seiner tatsächlichen Beschäftigung, die er ohne Eintritt in die Altersteilzeit erzielt hätte, gerade erhalten bleiben (vgl. BAG 18.11.2003 – 9 AZR 270/03 zu A I 2 c der Gründe, NZA 2004, 1223, 1225). Dem widerspräche es aber, wenn der Altersteilzeitarbeitnehmer aufgrund der zulässigen Einbeziehung von Aufstockungsbeiträgen in die Vergleichsberechnung (vgl. hierzu BAG 14.10.2003 - 9 AZR 146/03, NZA 2004, 860 ff.) nunmehr einen negativen Saldo zurückzahlen müsste. Denn ein solcher wäre ohne Altersteilzeit überhaupt nicht entstanden. Er entsteht vielmehr allein dadurch, dass der Arbeitgeber nach der Regelung der Anlage 9 KAVO in die Vergleichsberechnung die für den gesamten Zeitraum des rechtlichen Bestandes bis zur vorzeitigen Beendigung gezahlten Aufstockungsbeiträge und damit auch die, die erst in der Freistellungsphase angefallen sind, einbeziehen darf.

34

c) Schließlich ergibt sich ein solcher Anspruch auch nicht aus den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB oder aus den Regelungen über die ungerechtfertigte Bereicherung, §§ 812 ff. BGB. Denn beide Anspruchsgrundlagen scheiden von vornherein aus, da es sich bei dem kraft Vereinbarung anwendbaren § 8 Abs. 3 Anlage 9 KAVO um eine vorrangige, abschließende Regelung der arbeitsrechtlichen Folgen der vorzeitigen Beendigung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses im Blockmodell handelt, die alle Fälle der vorzeitigen Beendigung erfasst.

III.

35

Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

36

Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

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