Urteil vom Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (6. Kammer) - 6 Sa 264/13
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 28.05.2013 – 9 Ca 2849/12 – teilweise unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin als weiteres Arbeitsentgelt für den Monat Mai 2012 EUR 848,60 brutto zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 65 %. Die Beklagte trägt 35 %.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.
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Die Klägerin begründete mit Arbeitsvertrag vom 29.02.2012 (Bl. 7 – 8 d.A.) mit der Beklagten ein Arbeitsverhältnis als Service Contacter Call und Kommunikation bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden und einer Arbeitsvergütung von 7,10 EUR brutto pro Stunde.
- 3
Das zum 01.03.2012 in Vollzug gesetzte Arbeitsverhältnis endete zum 30.05.2012 aufgrund Kündigung der Beklagten.
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Diese rechnete für den Monat März (Abrechnung Bl. 13 d.A.) insgesamt 176 Arbeitsstunden und für den Monat April 2012 (Abrechnung Bl. 14 d.A.) insgesamt 185 Stunden mit der vertraglich vereinbarten Vergütung ab. Für den Monat Mai hingegen erteilte die Beklagte der Klägerin (Bl. 99 d.A.) eine Abrechnung über 401,00 EUR brutto, ohne diesen Betrag stundenmäßig aufzuschlüsseln.
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Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin zum einen weitere Vergütung für den Monat Mai 2012. Sie hat hierzu behauptet, sie habe mündlich mit dem Geschäftsführer der Beklagten am 25.04.2012 die Vereinbarung getroffen, dass sie künftig als Chef-Sekretärin für die Beklagte tätig werden solle. Im Monat Mai 2012 habe sie auch entsprechende Tätigkeiten ausgeübt. Dafür sei – so hat die Klägerin gemeint – ein Stundensatz von 11,25 EUR brutto eine angemessene Vergütung. Auf dieser Basis ergebe sich für den Monat Mai ein Vergütungsanspruch in Höhe von insgesamt 1.800,00 EUR brutto, sodass unter Berücksichtigung der geleisteten Zahlungen der Beklagten ein weiterer Vergütungsanspruch von 1.390,00 EUR brutto zu ihren Gunsten bestehe.
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Weiterhin – so hat die Klägerin behauptet – habe sie in dem Monat März 20 Stunden und 50 Minuten an Mehrarbeit geleistet, die von der Beklagten mit dem vereinbarten Stundensatz von 7,10 EUR, mithin insgesamt 147,89 EUR brutto, zu vergüten seien. Im April 2012 seien 25 Überstunden angefallen, sodass sich ein entsprechender Vergütungsanspruch in Höhe von 177,50 EUR brutto ergebe. Hinsichtlich der geleisteten Überstunden im Einzelnen verweist die Klägerin auf von ihr erstellte Stundennachweise (Bl. 9, 10 d.A.).
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Darüber hinaus – so hat die Klägerin weiter behauptet – habe sie mit der Beklagten eine Provisionsvereinbarung getroffen. Danach sollte sie für jede von ihr vermittelte Zahnzusatzversicherung bzw. Pflegeversicherung das 1,8-fache des jeweiligen Monatsbeitrages als Provision erhalten. Eine derartige Abrede sei betriebsüblich gewesen und habe – zu anderen Konditionen – auch mit weiteren Mitarbeitern der Beklagten bestanden. Insgesamt habe sie Versicherungen zu einem Provisionswert von 593,46 EUR vermittelt. Die Klägerin verweist hierzu auf die von ihr erstellten Rechnungen vom 02.04.2012 (Bl. 11 d.A.) und vom 30.04.2012 (Bl. 12 d.A.).
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Die Klägerin hat beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.390,00 EUR brutto als Arbeitsentgelt für den Monat Mai zu zahlen.
- 10
2. Die Beklagte weiterhin zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat März 2012 eine Mehrarbeitsvergütung in Höhe von 147,89 EUR zu zahlen.
- 11
3. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine Mehrarbeitsvergütung für den Monat April 2012 in Höhe von 177,50 EUR zu zahlen.
- 12
4. Die Beklagte zu verurteilen, Provisionsvergütungen in einer Höhe von 378,54 EUR + 214,92 EUR, mithin insgesamt 593,46 EUR zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat die von der Klägerin behaupteten vertraglichen Abreden sowie die Ableistung von Überstunden und deren Anordnung bzw. Notwendigkeit bestritten. Auch habe die Klägerin im Mai nicht die Aufgaben einer Chef-Sekretärin wahrgenommen. Diese seien vielmehr von einer anderen Mitarbeiterin erledigt worden.
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Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 28.05.2013 die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei insgesamt nicht begründet. Soweit die Klägerin ihre Ansprüche auf mündliche Vereinbarungen der Parteien stütze, komme diesen im Hinblick auf die in § 18 des Arbeitsvertrages enthaltene Schriftformklausel keine Rechtswirksamkeit zu. Die behaupteten Überstunden habe die Klägerin nicht hinreichend schlüssig darlegen können. Wegen der weiteren Einzelheiten der angefochtenen Entscheidung wird auf Bl. 64 – 71 d.A. verwiesen.
- 17
Gegen dieses, ihr am 04.06.2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18.06.2013 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 04.09.2013 am 02.07.2013 begründet.
- 18
Mit ihrem Rechtsmittel verfolgt sie ihr erstinstanzliches Klageziel vollumfänglich unter Vertiefung ihres Sachvortrages weiter. So habe die Beklagte die von ihr geleisteten Überstunden auf den Stundennachweisen (Bl. 100, 101 d.A.) bestätigt.
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Sie macht darüber hinaus – hilfsweise – als Vergütung für den Monat Mai 2012 einen weiteren Bruttobetrag von 905,40 EUR geltend. Auch wenn eine wirksame Vertragsänderung betreffend die Aufgaben einer Chef-Sekretärin für den Monat Mai 2012 nicht vorliegen sollte, so wäre die Beklagte jedenfalls verpflichtet, ihr für diesen Monat die aus dem Arbeitsvertrag vom 29.02.2012 sich ergebende Vergütung in Höhe von 7,10 EUR brutto pro Stunde zu gewähren. Im Zeitraum 01. bis 31. Mai 2012 seien insgesamt 184 vergütungspflichtige Arbeitsstunden angefallen. Hierzu verweist die Klägerin auf den von ihr erstellten Stundennachweis für den betreffenden Monat (Bl. 98 d.A.). Auf den sich insoweit ergebenden Gesamtbetrag von 1.306,40 EUR brutto habe die Beklagte lediglich – unstreitig – einen Betrag von 401,00 EUR brutto geleistet.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 28.05.2013 – 9 Ca 2849/12 – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
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1. an die Berufungsklägerin einen Betrag in Höhe von 1.390,00 EUR brutto als Arbeitsentgelt für den Monat Mai zu zahlen;
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2. an die Berufungsklägerin für den Monat März eine Mehrarbeitsvergütung in Höhe von 147,89 EUR zu zahlen;
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3. an die Berufungsklägerin eine Mehrarbeitsvergütung für den Monat April in Höhe von 177,50 EUR zu zahlen;
- 25
4. an die Berufungsklägerin Provisionsvergütungen in Höhe von 378,54 EUR + 214,92 EUR mithin insgesamt 593,46 EUR zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
- 28
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und vertritt die Auffassung, auch die von der Klägerin auf Basis des Arbeitsvertrages vom 29.02.2012 nunmehr geltend gemachten Vergütungsansprüche für den Monat Mai 2012 seien nicht gegeben. Diese habe die Klägerin nicht innerhalb der in § 14 des Arbeitsvertrages vereinbarten zweimonatigen Ausschlussfristen gegenüber der Beklagten geltend gemacht. Jedenfalls habe die Klägerin diese Ansprüche, da sie sie erstmals im Berufungsverfahren erhoben habe, verwirkt. Letzterer Umstand stehe im Übrigen auch einer Sachentscheidung über diese Ansprüche im vorliegenden Berufungsverfahren entgegen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
A.
- 30
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Es handelt sich um das gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 ArbGG statthafte Rechtsmittel. Die Klägerin hat die Fristen des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG gewahrt.
- 31
Ob die von der Klägerin hilfsweise verfolgten Vergütungsansprüche für den Monat Mai 2012 auf Basis einer Bruttovergütung von 7,10 EUR pro Stunde zulässigerweise im Berufungsverfahren geltend gemacht werden können, ist eine Frage der Begründetheit der Berufung.
B.
- 32
Die Berufung der Klägerin ist begründet, soweit sie mit ihr Vergütungsansprüche für den Monat Mai 2012 in Höhe von 848,60 EUR brutto verfolgt. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.
I.
- 33
Für die Klägerin besteht ein Anspruch auf weitere Vergütung für den Monat Mai 2012 in vorgenannter Höhe aus § 611 BGB, wonach der Arbeitgeber verpflichtet ist, die für die geleisteten Dienste vereinbarte Vergütung an den Arbeitnehmer zu zahlen, bzw. aus § 2 EFZG (Feiertagsvergütung).
- 34
1. Allerdings besteht kein Anspruch auf Arbeitsvergütung der Klägerin auf Basis eines Arbeitsvertrages als Chef-Sekretärin mit einer Vergütung von 11,25 EUR brutto pro Stunde aus § 611 BGB. Die Vereinbarung einer solchen Vergütung für den streitgegenständlichen Zeitraum hat die Klägerin nicht schlüssig darlegen können. Sie behauptet lediglich, die Parteien haben am 25.04.2012 einvernehmlich die geschuldete Tätigkeit verändert. Dass in diesem Rahmen auch die bisher gezahlte Vergütung mit sofortiger Wirkung angehoben werden sollte, hat die Klägerin jedoch nicht vorgetragen. Sie vertritt hierzu vielmehr die Rechtsauffassung, die von ihr in Ansatz gebrachte Stundenvergütung sei für die neue Tätigkeit angemessen.
- 35
2. Der hauptsächlich verfolgte Anspruch auf weitere Vergütung für den Monat Mai 2012 in Höhe von 1.390,00 EUR brutto ergibt sich auch nicht aus § 612 Abs. 2 BGB, wonach in dem Fall, in dem die Höhe der Vergütung nicht bestimmt ist, die ortsübliche Vergütung als vereinbart anzusehen ist.
- 36
a. Die Klägerin hat bereits nicht hinreichend schlüssig darlegen können, dass die Parteien im Zusammenhang mit der von ihr behaupteten Veränderung der Arbeitsaufgabe keine Abrede über die Höhe der Vergütung getroffen haben. Angesichts der bereits bestehenden Vergütungsabrede im Arbeitsvertrag vom 29.02.2012 hätte es eindeutiger Anhaltspunkte bedurft, dass die Parteien sich darüber einig waren, diese Abrede solle für die neue Tätigkeit nicht mehr gelten, sie andererseits für die neue Tätigkeit eine Vergütung jedoch nicht vereinbart haben. Darüber hinaus fehlt es an Sachvortrag, aus dem auf die Üblichkeit der von der Klägerin in Ansatz gebrachten Arbeitsvergütung geschlossen werden kann. Die stichwortartige Auflistung der nach ihrer Behauptung zu erledigenden Arbeitsaufgaben lässt ohne konkrete Angaben über Art und Umfang der einzelnen Arbeitsvorgänge eine solche Bewertung nicht zu.
- 37
b. Aus den vorgenannten Gründen ergibt sich auch kein Anhaltspunkt dafür, dass die für die ursprüngliche Tätigkeit der Klägerin vereinbarte Vergütung in Höhe von 7,10 EUR brutto sich als sittenwidrig und damit nichtig (§ 138 BGB) bezogen auf die von ihr behauptete Tätigkeit einer Chef-Sekretärin erweist und jene Tätigkeit üblicherweise im Wirtschaftsraum Sachsen-Anhalt mit einer höheren als der vorgenannten Vergütung pro Stunde entgolten wird.
- 38
3. Jedoch kann die Klägerin für den Zeitraum 01. bis 30.05.2012 auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 29.02.2012 weitere Vergütung gemäß §§ 611 BGB, 2 EFZG in vorgenannter Höhe beanspruchen.
- 39
a. Die Klägerin kann zulässigerweise auf diesen Sachverhalt gestützte Ansprüche noch im Berufungsrechtszug erstmals prozessual geltend machen. Dabei kann dahinstehen, ob es sich um eine Klageänderung i.S.d. §§ 533, 263 ZPO handelt oder aber die Ergänzung des Vorbringens gemäß § 264 ZPO nicht als Klageänderung gilt. Die Kammer erachtet eine (unterstellte) Klageänderung jedenfalls als sachdienlich i.S.d. § 533 ZPO. Die Entscheidung hierüber kann auch auf Grundlage des gemäß § 67 Abs. 3 und 4 ArbGG zu berücksichtigenden Sachvortrages ergehen. Die für den Anspruch maßgeblichen Tatsachen hat die Klägerin bereits erstinstanzlich vorgetragen.
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b. Der Anspruch ist überwiegend begründet.
- 41
aa. Kein Anspruch besteht für den 31.05.2012 (8 Arbeitsstunden), weil nach dem unstreitigen Sachvortrag der Parteien das Arbeitsverhältnis bereits zum 30.05.2012 beendet worden ist. Sachvortrag der Klägerin, aus welchen Gründen dennoch für jenen Tag eine Vergütung seitens der Beklagten geschuldet wird, ist nicht dargetan worden.
- 42
bb. Für den restlichen Monat Mai ergibt sich nach dem Sachvortrag der Parteien ein Anspruch auf Arbeitsvergütung im Umfang von 176 Stunden á 7,10 EUR brutto.
- 43
aaa. Nachdem sich die Klägerin der Sache nach das Vorbringen der Beklagten, der schriftliche Arbeitsvertrag vom 29.02.2012 habe bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses seine Gültigkeit behalten, hilfsweise zu eigen gemacht hat, ist für den Vergütungsanspruch die in § 1 des Arbeitsvertrages vereinbarte Vergütung von 7,10 EUR brutto pro Stunde in Ansatz zu bringen.
- 44
bbb. Weiter ist nach dem sich bietenden Sachvortrag von einer zu vergütenden Stundenzahl im Zeitraum 01. bis 30.05.2012 – einschließlich der gemäß § 2 EFZG zu vergütenden Feiertage – von 176 auszugehen. Zwar hat die Beklagte in ihrem letzten Schriftsatz die Ableistung von Stunden, die über den im Mai abgerechneten Betrag von 401,00 EUR brutto hinausgehen, bestritten. Dieses Bestreiten ist jedoch bezogen auf insoweit geltend gemachte Vergütung für die vertraglich geschuldete Regelarbeitszeit von 40 Stunden pro Woche als nicht erheblich i.S.d. § 138 Abs. 2 ZPO anzusehen. Angesichts des von der Klägerin vorgelegten Stundennachweises für den Monat Mai 2012, der Arbeitsleistungen im Umfang von 8 Stunden jeweils von Montag bis Freitag (ausgenommen die Wochenfeiertage) dokumentiert, hätte die Beklagte näher darlegen müssen, dass die Klägerin lediglich 56,5 Stunden (401,00 EUR : 7,10 EUR) im gesamten Monat abgeleistet hat. Die von ihr erstellte Abrechnung für den vorgenannten Monat enthält im Gegensatz zu den Abrechnungen der Monate März und April 2012 keine Angaben über die geleisteten Stunden. Die Beklagte hat auch gegenüber dem von der Klägerin hauptsächlich geltend gemachten Vergütungsanspruch für eine Tätigkeit als Chef-Sekretärin nicht eingewandt, die Klägerin habe in dem streitgegenständlichen Monat Mai 2012 ganz überwiegend keinerlei Arbeitsleistungen erbracht. Nach alledem ist für die Entscheidungsfindung von den seitens der Klägerin dokumentierten Arbeitsstunden im Zeitraum 01. bis 30.05.2012 auszugehen.
- 45
cc. Der Anspruch ist nicht gemäß § 14 des Arbeitsvertrages verfallen. Der Regelung kommt wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB – unangemessene Benachteiligung – keine Rechtswirksamkeit zu. Eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners eines Verwenders von AGB liegt dann vor, wenn die formularmäßig vereinbarte Ausschlussfrist für vertragliche Ansprüche einen Zeitraum von drei Monaten unterschreitet (BAG 28.09.2005 – 5 AZR 52/05; 25.05.2005 – 5 AZR 572/04).
- 46
aaa. Nach dem äußeren Erscheinungsbild handelt es sich bei dem Arbeitsvertrag vom 29.02.2012 um AGB i.S.d. § 305 BGB. Gegenteiliger Sachvortrag der Beklagten liegt nicht vor.
- 47
bbb. Die in § 14 des Arbeitsvertrages enthaltenen Ausschlussfristen betragen lediglich zwei Monate.
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dd. Schlussendlich ist der Anspruch nicht verwirkt.
- 49
Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB). Mit ihr wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes (§ 242 BGB) und dient dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Mit der Verwirkung soll das Auseinanderfallen zwischen rechtlicher und sozialer Wirklichkeit beseitigt werden; die Rechtslage wird der sozialen Wirklichkeit angeglichen. Die Verwirkung verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, sodass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist (BAG 17.10.2013 – 8 AZR 974/12 – Rn. 26).
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Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze scheidet eine Verwirkung jedenfalls wegen des fehlenden Umstandsmomentes aus. Die Klägerin hat bereits in der Klageschrift Vergütungsansprüche für den Monat Mai 2012 geltend gemacht und dabei auch vorgetragen, die Beklagte habe darauf lediglich 410,- (richtig 401,-) EUR gezahlt. Daher musste sich die Beklagte darauf einrichten, dass die Klägerin, wenn sie aufgrund des Bestreitens der Beklagten Vergütungsansprüche auf Basis eines Stundensatzes von 11,25 EUR nicht würde durchsetzen können, jedenfalls die auf der unstreitig bestehenden Vergütungsgrundlage sich ergebende Differenzvergütung verlangen wird.
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ee. Mithin ergibt sich für den Zeitraum 01. bis 30.05.2012 ein Vergütungsanspruch von
- 52
176 Stunden x 7,10 EUR
=
1.249,60 EUR
abzüglich gezahlter
401,00 EUR
brutto
=
848,60 EUR
brutto.
II.
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Der Klägerin steht jedoch kein Anspruch auf Überstundenvergütung aus § 612 Abs. 1 BGB für März und April 2012 zu.
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Neben der Überstundenleistung setzt der Anspruch auf Überstundenvergütung voraus, dass die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sind. Für eine ausdrückliche Anordnung von Überstunden muss der Arbeitnehmer vortragen, wer wann auf welche Weise wie viele Überstunden angeordnet hat. Konkludent ordnet der Arbeitgeber Überstunden an, wenn er dem Arbeitnehmer Arbeit in einem Umfang zuweist, der unter Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers nur durch die Leistung von Überstunden zu bewältigen ist. Dazu muss der Arbeitnehmer darlegen, dass eine bestimmte angewiesene Arbeit innerhalb der Normalarbeitszeit nicht zu leisten oder ihm zur Erledigung der aufgetragenen Arbeiten ein bestimmter Zeitrahmen vorgegeben war, der nur durch die Leistung von Überstunden eingehalten werden konnte. Mit der Billigung von Überstunden ersetzt der Arbeitgeber gleichsam durch eine nachträgliche Genehmigung die fehlende vorherige Anordnung schon geleisteter Überstunden. Der Arbeitnehmer muss darlegen, wer wann auf welche Weise zu erkennen gegeben habe, mit der Leistung welcher Überstunden einverstanden zu sein. Die Duldung von Überstunden bedeutet, dass der Arbeitgeber in Kenntnis einer Überstundenleistung diese hinnimmt und keine Vorkehrungen trifft, die Leistung von Überstunden fürderhin zu unterbinden, er also nicht gegen die Leistung von Überstunden einschreitet, sie vielmehr weiterhin entgegennimmt. Dazu muss der Arbeitnehmer darlegen, von welchen wann geleisteten Überstunden der Arbeitgeber auf welche Weise wann Kenntnis erlangt haben soll und dass es im Anschluss daran zu einer weiteren Überstundenleistung gekommen ist. Erst wenn dieses feststeht, ist es Sache des Arbeitgebers, darzulegen, welche Maßnahmen er zur Unterbindung der von ihm nicht gewollten Überstundenleistung ergriffen hat (BAG 10.04.2013 – 5 AZR 122/12 [OS]).
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Diesen Anforderungen genügt der Sachvortrag der Klägerin nicht. Sie hat nicht substantiiert vorgetragen, wann sie über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus gearbeitet hat und ob dies von der Beklagten ausdrücklich bzw. konkludent angeordnet oder geduldet worden ist.
- 56
Weder aus den erstinstanzlich vorgelegten Stundennachweisen noch aus den hiervon inhaltlich abweichenden Stundennachweisen, die im Berufungsverfahren vorgelegt worden sind, lässt sich dies entnehmen. Insbesondere ergibt sich – ohne erläuternden Sachvortrag – aus jenen Unterlagen nicht, dass die Beklagte die geleisteten Überstunden als korrekt bestätigt hat. Ein als Unterschrift zu deutendes Handzeichen befindet sich lediglich auf dem Stundennachweis April 2012 für die ersten drei dort aufgelisteten Arbeitstage. Soweit die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten im Termin am 05.08.2014 darauf verwiesen hat, die auf dem Stundennachweis März 2012 in der Spalte „Unterschrift“ enthaltenen Striche seien als Unterschrift des Geschäftsführers betreffend den ganzen Monat zu werten, so hat sie dieses Vorbringen nicht näher substantiieren können. Im Übrigen trägt die Klägerin selber durch Vorlage der Vergütungsabrechnung für April 2012 (Anlage K7 der Klageschrift) vor, dass die Beklagte in jenem Monat 185 Stunden abgerechnet hat, was mit Ausnahme von 0,18 Stunden ihren eigenen Aufzeichnungen in Form des im Berufungsverfahren vorgelegten Stundennachweises April 2012 entspricht.
III.
- 57
Ebenso wenig konnte die Berufung der Klägerin Erfolg haben, soweit sie Provisionsansprüche geltend macht.
- 58
Aus ihrem Sachvortrag lässt sich nicht mit der notwendigen Substanz entnehmen, dass die Beklagte verbindlich hinsichtlich der geltend gemachten Versicherungsabschlüsse eine Provisionsvereinbarung mit ihr geschlossen hat.
- 59
1. Eine schriftliche Vereinbarung existiert unstreitig nicht.
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2. Dem Vorbringen der Klägerin lässt sich nicht hinreichend schlüssig entnehmen, dass eine mündliche Vereinbarung mit dem behaupteten Inhalt zustande gekommen ist. Die Klägerin trägt zwar vor (Klageschrift Seite 4 und Schriftsatz vom 25.04.2013, Seite 2), sie habe eine solche Vereinbarung mit der Beklagten getroffen bzw. der Provisionsanspruch sei mündlich mit dem Geschäftsführer abgesprochen worden, zwischen den Parteien sei klar gewesen, dass auch eine Provisionsvergütung gezahlt werden solle (Berufungsbegründung Seite 5). Detaillierter Sachvortrag, wann die Klägerin mit dem Geschäftsführer eine rechtlich verbindliche Abrede in Form eines Angebotes und einer damit korrespondierenden Annahmeerklärung (§§ 145 ff. BGB) getroffen haben will, liegt jedoch nicht vor. Selbst wenn es üblich sein sollte, dass bei Call-Center-Mitarbeitern neben der Grundvergütung auch eine weitere leistungsbezogene Vergütung im Betrieb der Beklagten vereinbart wird, so folgt hieraus nicht zwingend, dass die Parteien rechtswirksam eine solche schon in der Probezeit der Klägerin abgeschlossen haben.
IV.
- 61
Nach alledem konnte das Rechtsmittel der Klägerin lediglich hinsichtlich der hilfsweise geltend gemachten Vergütungsansprüche für den Monat Mai 2012 in Höhe von 848,60 EUR brutto Erfolg haben. Die Zahlung von Zinsen hinsichtlich dieses Betrages hat die Klägerin nicht beantragt.
C.
- 62
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
D.
- 63
Gegen diese Entscheidung findet ein weiteres Rechtsmittel nicht statt.
- 64
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Den entscheidungserheblichen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Kammer weicht mit ihrer Entscheidung auch nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung ab.
- 65
Auf § 72a ArbGG wird hingewiesen.
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Referenzen
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