Beschluss vom Landgericht Dessau-Roßlau (1. Zivilkammer) - 1 T 265/12

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 04.09.2012 wird der Beschluss des Amtsgerichts Dessau-Roßlau - Insolvenzgericht - vom 06.08.2012 (Az. 2 IK 155/10) aufgehoben.

Die dem Schuldner mit Beschluss vom 31.05.2010 gewährte Stundung der Verfahrenskosten besteht fort.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Gründe

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Die zulässige, nach §§ 6 Abs. 1, 4d Abs. 1 InsO statthafte und insbesondere auch form- (§§ 4 InsO, 569 Abs. 2, 571 Abs. 1 und 2 ZPO) und fristgerecht (§§ 6 Abs. 2, 4 InsO, 569 Abs. 1 S. 1 ZPO) eingelegte sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 06.08.2012 ist begründet.

2

Richtig ist der abstrakte Ausgangspunkt des Insolvenzgerichts: In Anlehnung an die Judikatur zu § 4a InsO (vgl. dazu FK-InsO/Kohte, 6. Aufl., § 4a InsO, Rdn. 22) kann die Verfahrenskostenstundung auch schon vor einem rechtskräftigen Versagungsbeschluss gemäß § 4c Nr. 5 InsO aufgehoben werden, wenn ein Versagungsgrund zweifelsfrei feststeht (BGH, ZInsO 2008, 111, 112; NZI 2009, 615). Allerdings kann eine solche Aufhebung - wie auch bei § 4a InsO - nur erfolgen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des betreffenden Versagungstatbestandes (objektiv wie subjektiv) evident vorliegen (BGH, a. a. O.; FK-InsO/Kohte, 6. Aufl., § 4c InsO, Rdn. 33). Angesichts des durch § 4c InsO vermittelten Bestandsschutzes (vgl. dazu: FK-InsO/Kothe, 6. Aufl., § 4c InsO, Rdn. 2) bedarf es in diesen Fällen einer besonders sorgfältigen Ermessensausübung und -begründung. Solange nicht ohne jede gerichtliche Ermittlung zweifelsfrei feststeht, dass es zu einer Versagung kommen wird, kann vor einem Versagungsbeschluss keine Aufhebung der Stundung nach § 4c Nr. 5 InsO erfolgen (vgl. nur: LG Mönchengladbach, ZVI 2006, 521, 522; FK-InsO/Kohte, a. a. O.).

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Daran gemessen erweist sich der angefochtene Beschluss als fehlerhaft, was allerdings den nach Inhalt und Ton im professionellen Umgang zwischen Organen der Rechtspflege unangemessenen Vorwurf der Beschwerde, die Rechtspflegerin habe eine „vorsätzliche Rechtsbeugung“ begangen, nicht zu rechtfertigen vermag.

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Es ist schon sehr zweifelhaft (und vom Treuhänder in seinem Schlussbericht vom 18.06.2012 auf Seite 3 verneint worden), ob die objektiven Voraussetzungen des Versagungstatbestandes des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO (i. V. m. § 4c Nr. 5 InsO) vorliegen. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO bezieht sich auf die insolvenzrechtlichen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten aus den §§ 20, 97, 98 und 101 InsO sowie auf eine Reihe spezieller Mitwirkungspflichten, etwa aus den §§ 153 Abs. 2, 176 und 281 InsO. Ob die allgemeine Mitwirkungspflicht aus § 97 Abs. 2 InsO tatsächlich so weit geht, dass der Schuldner einen vom Treuhänder bereicherungsrechtlich hergeleiteten Nutzungsentschädigungsanspruch der Masse befriedigen muss, um sich nicht dem Vorwurf mangelnder Mitwirkung (mit den gravierenden Folgen einer Aufhebung der Verfahrenskostenstundung) auszusetzen, erscheint hinterfragungswürdig. Bejahte man dies, so bedeutete dies einen Erfüllungszwang für den Schuldner, der wider seiner Überzeugung den (vom Treuhänder nicht in einem ordentlichen Rechtsstreit geltend gemachten) Entschädigungsanspruch der Masse befriedigen müsste, um der Aufhebung einer Verfahrenskostenstundung zu entgehen. Die Mitwirkungspflicht wäre also im konkreten Falle eine Zahlungspflicht. Das erscheint auch deshalb bedenklich, weil der Gesetzgeber das Verfahren der Verfahrenskostenstundung wie auch das ihrer Aufhebung bewusst summarisch ausgestalten wollte (vgl. FK-InsO/Kohte, 6. Aufl., § 4c InsO, Rdn. 30), und die über den Gesetzeswortlaut des § 4c Nr. 5 InsO hinausgehende Möglichkeit, eine Aufhebung der Stundung schon vor einem rechtskräftigen Versagungsbeschluss vorzunehmen, auf Fälle der Evidenz und Zweifelsfreiheit beschränkt sein soll (s. o.). Das Beschwerdegericht neigt der Ansicht zu, dass ein nach Grund und Höhe umstrittener materiell-rechtlicher Entschädigungsanspruch, den die Masse gegen den Schuldner geltend macht, per se nicht mit diesem Evidenzpostulat zu vereinbaren ist, sondern um diesen Anspruch gegebenenfalls in einem ordentlichen Rechtsstreit gestritten werden muss. Keine andere Bewertung rechtfertigt der Umstand, dass hier der Treuhänder, wie er u. a. auf Seite 3 des Schlussberichtes vom 18.06.2012 ausgeführt hat, mangels Aussicht auf eine Durchsetzbarkeit des Anspruchs von der Durchführung eines ordentlichen Streitverfahrens abzusehen gedenkt.

5

Hinzu kommt, dass der Bejahung einer Evidenz zumindest die zwischen dem Treuhänder und dem Schuldner streitige Höhe des Entschädigungsanspruchs entgegensteht. Der Schuldner wendet sich u. a. gegen die Höhe des vom Treuhänder geltend gemachten Entschädigungsanspruchs und hält die vom Treuhänder in Ansatz gebrachte monatliche Entschädigung von 150,00 € für die Nutzung des in seinem hälftigen Miteigentum stehende Einfamilienhauses für unangemessen. Weder den Ausführungen des Treuhänders noch dem sonstigen Akteninhalt lässt sich entnehmen, wie der Treuhänder den geforderten monatlichen Nutzungsentschädigungswert von 150,00 € bemessen hat. Den Streit hierüber aufzuklären, ist Aufgabe eines ordentlichen Streitverfahrens, nicht des summarischen Stundungs(-aufhebungs)verfahrens.

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Von alledem unabhängig war die angefochtene Entscheidung aus deshalb aufzuheben, weil sie keinerlei Ausführungen zur subjektiven Seite des Tatbestandes des § 4c Nr. 5 InsO i. V. m. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO enthält. In subjektiver Hinsicht müsste der Schuldner, der - anwaltlich vertreten - auf dem Standpunkt steht, materiell stünde der Masse der geltend gemachte Anspruch weder dem Grunde noch der Höhe nach zu, vorsätzlich oder grob fahrlässig seine Mitwirkungspflicht verletzt haben (§ 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO).

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Dass der Schuldner ungeachtet einer positiven Rechtskenntnis vom Bestehen des geltend gemachten Nutzungsentschädigungsanspruchs einen solchen nicht erfüllt und so vorsätzlich seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt, lässt sich nicht annehmen.

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Auch grobe Fahrlässigkeit des Schuldners ist im Ergebnis zu verneinen. Der Begriff der groben Fahrlässigkeit ist ein Rechtsbegriff. Die Rechtsprechung versteht unter grober Fahrlässigkeit ein Handeln, bei dem die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt wurde, wenn ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben wurden und dasjenige unbeachtet blieb, was sich jedem - auf der Grundlage schon einfachster Überlegungen - aufgedrängt hätte (BGH, RPfleger 2006, 335 m. w. N.; HK-InsO/Kirchhoff, 6. Aufl., § 4c InsO, Rdn. 11). Bei der groben Fahrlässigkeit handelt es sich also um eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung (BGH, a. a. O.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn ein anwaltlich vertretener Schuldner den geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruch der Masse dem Grunde und der Höhe nach in Abrede nimmt. Ohne dass das Beschwerdegericht im Einzelnen die Tragfähigkeit der vom Schuldner vorgebrachten tatsächlichen und rechtlichen Argumente im Einzelnen zu überprüfen hätte, kann nicht angenommen werden, dass das Bestreiten des Schuldners bezüglich des Bestehens eines Nutzungsentschädigungsanspruchs ganz naheliegende, einfachste Überlegungen unberücksichtigt lässt. Das Verteidigungsvorbringen des Schuldners, er sei während des in Rede stehenden Teilzeitraumes nicht leistungsfähig gewesen, eine Gestattung der Nutzung des seinerzeit dem Insolvenzbeschlag unterliegenden Miteigentumsanteils durch den Treuhänder sei nicht erfolgt (was wohl ein Argument gegen das Vorliegen einer „Leistung“ des Treuhänders i. S. v. § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Fall BGB sein soll) wie auch das Bestreiten bzgl. der Höhe des Entschädigungsanspruchs mag sich im Ergebnis als letztendlich erfolglos erweisen; von einer mangelnden Beachtung einfachster, naheliegendster Überlegungen kann indes nicht gesprochen werden.

9

Das gilt auch deshalb, weil sich zumindest das Bestreiten des Schuldners bezüglich der Höhe des geltend gemachten Anspruchs als durchaus nicht von vornherein pauschal und haltlos erweist und in einem ordentlichen Rechtsstreit zu einer - hier nicht erfolgten - substantiellen Ergänzung der Angaben durch den Treuhänder Anlass geben würde. Bei alledem kann dahinstehen, ob eine etwaige grob fahrlässige Fehleinschätzung des Verfahrensbevollmächtigten des Schuldners diesem zuzurechnen wäre. Auch für grobe Fahrlässigkeit des Verfahrensbevollmächtigten bestehen keine belastbaren Anhaltspunkte.

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Bezieht man schlussendlich noch in die Bewertung ein, dass auch die Voraussetzungen des subjektiven Tatbestandes des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO, wenn die Stundungsaufhebung bereits vor einem rechtskräftigen Versagungsbeschluss erfolgen soll, zweifelsfrei und evident vorliegen müssen (s. o.), so kann in der Gesamtschau nicht ein evident grob fahrlässiges Verhalten des Schuldners angenommen werden.

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Da nach alledem die sofortige Beschwerde des Schuldners begründet ist, war der angefochtene Beschluss, wie geschehen, aufzuheben. Die mit dem Beschluss des Insolvenzgerichts vom 31.05.2010 gewährte Verfahrenskostenstundung dauert fort.


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