Urteil vom Landgericht Flensburg (2. Zivilkammer) - 2 O 305/17

Tenor

Die Klage gegenüber den Beklagten zu 1) bis 3) wird abgewiesen.

Die Klage gegenüber den Beklagten zu 4) bis 6) wird hinsichtlich des Zahlungsantrags dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Es wird festgestellt, dass sich die Klage gegenüber den Beklagten zu 4) bis 6) hinsichtlich des Feststellungsantrags erledigt hat.

Tatbestand

1

Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz nach dem Einsturz einer Gabionenstützwand.

2

Die Klägerin ließ in H einen …handelsmarkt nebst Parkplatz neu errichten. Mit Architektenvertrag vom 8.2.2011 (Anlage K 2, im Anlagenordner I) beauftragte sie die Beklagte zu 1) mit den Grundleistungen entsprechend den Leistungsphasen 1 bis 9 HOAI. Die persönlich haftenden Gesellschafter der Beklagten zu 1) sind die Beklagten zu 2) und 3).

3

Die Klägerin beauftragte die Beklagte zu 4), deren persönlich haftende Gesellschafter die Beklagten zu 5) und 6) sind, mit der Vornahme von Baugrunduntersuchungen sowie der Erstellung von Baugrundgutachten. Grundlage dieser Leistungen waren das Angebot der Beklagten zu 4) mit der Nr. AN-313/11 vom 2.11.2011 (Anlage K 3, im Anlagenordner I) sowie das weitere Angebot mit der Nr. AN-0327/12 vom 1.10.2012 (Anlage K 6, im Anlagenordner I).

4

Unter dem 9.1.2012 erstellte die Beklagte zu 4) ein Baugrundgutachten (Anlage K 4, im Anlagenordner I). Am 30.10.2012 nahm die Beklagte zu 4) weitere Bohrungen vor, deren Ergebnisse in der Anlage K 8 (im Anlagenordner I) dokumentiert sind. Ob und ggf. wann die Beklagten zu 1) bis 3) von dem Inhalt der Anlage K 8 Kenntnis erhielten, ist zwischen den Parteien streitig.

5

Das Gelände, auf dem der …handelsmarkt nebst Parkplatz errichtet wurde, fällt in einer Richtung steil ab. Um eine hinreichend große und ebene Parkplatzfläche herzustellen, wurde das Gelände teilweise aufgeschüttet. Am Ende der aufgeschütteten Fläche war eine Absicherung des Hanges erforderlich. Diese sollte zunächst durch eine Ortbetonwinkelstützwand erfolgen. Nach Vorliegen der Bodenuntersuchungen der Beklagten zu 4) entschied sich die Klägerin, an Stelle einer Winkelstützwand eine Gabionenstützwand errichten zu lassen. Sie beauftragte die Beklagte zu 4) mit der Erstellung der Statik der Gabionenstützwand. Die Beklagte zu 4) legte die Statik unter dem 8.4.2013 vor (Anlage K 16, im Anlagenordner I).

6

Während der Bauphase im Mai 2013 stellte das ausführende Unternehmen im Bereich der Gabionenstützwand Mutterboden fest. Auf Anweisung der Beklagten zu 4) wurde daher der Aushub 1 m tiefer vorgenommen als ursprünglich vorgesehen. Außerdem wurden im mittleren Gabionenabschnitt um 90° gedrehte Gabionenkörbe als Gründungsebene eingebaut.

7

Ebenfalls noch während der Bauphase kam es zu dem streitgegenständlichen Schadensereignis. In der Nacht vom 9. auf den 10.7.2013 bewegte sich die zu diesem Zeitpunkt 6,6 m hohe und 80 m lange Gabionenstützwand bis zu ca. 2 m nach vorne, sackte bis zu 1,5 m ab und neigte sich bis zu 18,5° zur Vertikalen in den Hang hinein. Die Gabionenstützwand wurde daraufhin zurückgebaut und an ihrer Stelle eine KBE (kunststoffbewehrte Erde) - Konstruktion neu errichtet.

8

Die Klägerin verlangt die Kosten des Rück- und Neubaus sowie in Folge der hierdurch verlängerten Bauzeit weitere Kosten und entgangenen Gewinn von den Beklagten zu 1) bis 6) ersetzt. Die KBE-Konstruktion stürzte später ebenfalls ein, was Gegenstand eines weiteren Rechtsstreits ist, der vor dem Landgericht Flensburg unter dem Az. 2 O 308/17 geführt wird.

9

Die Beklagte zu 1) rechnet hilfsweise für den Fall, dass die Klagforderung gegenüber den Beklagten zu 1) bis 3) besteht, mit einer streitigen Honorarforderung in Höhe von insgesamt 284.104,96 € auf. Hilfsweise für den Fall, dass die Klagforderung nicht besteht, macht die Beklagte zu 1) diese Forderung zum Gegenstand einer Widerklage.

10

Die Klägerin behauptet, der Einsturz der Gabionenstützwand sei auf verschiedene Fehler der Leistungen der Beklagten zu 4) zurückzuführen.

11

Die Klägerin behauptet - und dies ist zwischen der Klägerin und den Beklagten zu 4) bis 6) unstreitig -, die Baugrunduntersuchungen der Beklagten zu 4) seien unvollständig gewesen. Die Baugrundaufschlüsse seien weder an der erforderlichen Stelle noch in der erforderlichen Tiefe vorgenommen worden.

12

Die Klägerin behauptet weiter, die Beklagte zu 4) habe die Standsicherheit der Gabionenstützwand unzutreffend berechnet. Sie habe einen unrichtigen Grundwasserstand zu Grunde gelegt, zu kleine Gleitkreise gezogen und die zu erwartende Setzung unzutreffend berücksichtigt.

13

Die Klägerin behauptet, die Beklagte zu 1) habe die Fehler der Beklagten 4) erkennen und rechtzeitig auf eine Korrektur hinwirken müssen.

14

Die Klägerin behauptet, Schadensursache sei eine unzureichende Festigkeit des Baugrunds, die zu einem Grundbruch geführt habe. Bei ordnungsgemäßer Untersuchung des Baugrunds hätte die Beklagte zu 4) dies erkennen müssen. Spätestens nach Bekanntwerden des tatsächlichen Untergrunds im Zuge der Bauarbeiten habe die Beklagte zu 4) weitere Untersuchungen vornehmen müssen.

15

Die Klägerin behauptet weiter, ein Standsicherheitsnachweis für die Gabionenstützwand wäre bei Zugrundelegung eines korrekten Grundwasserstandes und zutreffender Gleitkreise nicht möglich gewesen. Auch unter Zugrundelegung der korrekten Setzung hätte die Beklagte zu 4) die Gebrauchstauglichkeit der Gabionenstützwand in Frage stellen müssen.

16

Die Klägerin behauptet, ihr sei infolge des Zusammenbruchs der Gabionenstützwand ein Schaden in Höhe von 1.068.887,03 € entstanden. Für die Einzelpositionen wird auf die Anlage K 36 (im Anlagenordner II) Bezug genommen.

17

Die Klägerin behauptet, ihr sei ein weiterer Schaden in Höhe von 977.920,00 DKK entstanden. In dieser Höhe habe sie Rechnungen des Unternehmens S bezahlt. Es wird auf die Aufstellung der Rechnungen gemäß der Anlage K 71 a (im Anlagenordner II) sowie die vorgelegten Einzelrechnungen (Anlage K 73 bis K 85, im Anlagenordner II) Bezug genommen. Dieses Unternehmen habe die Verkehrskoordination übernommen, die erforderlich gewesen sei, weil auf Grund des Zusammenbruchs der Gabionenstützwand über einen längeren Zeitraum kein vollständiger Parkplatz zur Verfügung gestanden habe.

18

Die Klägerin behauptet, ihr sei außerdem ein Gewinn in Höhe von 1.744.921,05 DKK entgangen, weil durch die geringere zur Verfügung stehende Parkplatzfläche weniger Kunden ihren …handelsmarkt besucht hätten.

19

Die Klägerin beantragt,

20

1. die Beklagten zu 1) und 4) gesamtschuldnerisch, die Beklagten zu 2), 3), 5) und 6) wie Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin EUR 1.068.887,03 und DKK 2.722.841,05 zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf einen Betrag in Höhe von EUR 326.866,57 seit dem 3. Oktober 2013, im Übrigen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

21

Die Beklagten beantragen,

22

die Klage abzuweisen.

23

Hilfsweise für den Fall, dass die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche nicht bestehen, beantragt die Beklagte zu 1),

24

die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte zu 1) Euro 284.104,96 nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

25

Die Klägerin beantragt,

26

die Hilfswiderklage abzuweisen.

27

Die Beklagten zu 1) - 3) behaupten, sie hätten die Fehler der Beklagten zu 4) nicht erkennen können. Der Leistungsbereich des Objektplaners beginne erst oberhalb der Erde. Für die Objektplanung hätten sie insbesondere das Bodengutachten nicht benötigt. Die Gabionenstützwand habe außerhalb der ihr übertragenen Objektplanung gelegen. Ein Erkennen der Fehler der Beklagten zu 4) erfordere Spezialkenntnisse eines Fachplaners. Den Kausalverlauf für den Schadenseintritt bestreiten die Beklagten zu 1) - 3) grundsätzlich mit Nichtwissen. Aus den Erkenntnissen in dem Parallelverfahren 2 O 308/17 ziehen sie allerdings den Schluss, dass vorliegend ebenso wie in jenem Verfahren von oben eintretendes Niederschlagswasser und eine Hangwasserdruckbelastung der Konstruktion schadensursächlich gewesen sei.

28

Die Beklagten zu 4) - 6) räumen zwar ein, dass sich bei Vornahme der erforderlichen Baugrundaufschlüsse eine Torfschicht gezeigt hätte. Sie behaupten aber, es hätten damit tatsächlich keine anderen Bodenverhältnisse vorgelegen als in ihren Berechnungen angenommen. Steif konsistenter Geschiebemergel habe nach ihren Baugrunduntersuchungen erst unter bis zu 3,30 m mächtigen Auffüllungen und der Mutterbodenschicht vorhanden sein sollen. Soweit tatsächlich Mutterboden vorgefunden worden sei, habe dieser aus Wurzelwerk der gerodeten Bäume resultiert und lediglich lokal etwas tiefer gereicht. Die getroffenen Maßnahmen (Vertiefung des Fußpunktes und Drehung der untersten Gabionenkörbe) seien insofern ausreichend gewesen. Der Schaden sei daher nicht auf eine Abweichung des tatsächlichen von dem erwarteten Untergrund zurückzuführen.

29

Die Beklagten zu 4) - 6) behaupten weiter, ihre Standsicherheitsberechnungen seien nicht zu beanstanden. Etwaige Fehler hätten sich im Übrigen auf den Schadenseintritt nicht ausgewirkt.

30

Die Beklagten zu 4) - 6) behaupten, der Schaden sei möglicherweise auf eine von ihren Vorgaben abweichende tatsächliche Ausführung der Arbeiten im Zusammenhang mit der Gabionenstützwand zurückzuführen. So stehe nicht fest, ob die erforderliche Anzahl Geogitter in die Gabionenstützwand eingebaut worden sei. Auch sei nicht ersichtlich, ob vor den Gabionen eine Berme oder Sandauffüllung hergestellt worden sei, wie die Beklagte zu 4) es in der Statik vorgesehen habe.

31

Die Beklagten zu 4) - 6) behaupten weiter, der Schaden könne ferner darauf zurückzuführen sein, dass ungeeignetes Hinterfüllmaterial verwendet worden und dieses darüber hinaus nicht ausreichend verdichtet worden sei.

32

Eine weitere mögliche Schadensursache sehen die Beklagten zu 4) - 6) in erheblichen Niederschlägen während der Bauphase. Die Beklagten zu 4) - 6) behaupten, es seien möglicherweise nicht alle auf Grund dieser Niederschläge erforderlichen Maßnahmen getroffen worden, insbesondere die Errichtung eines Dammes am Böschungskopf, die Abdeckung des Hanges mit Folie sowie die Anordnung einer Drainage am Böschungsfuß.

33

Die Klägerin hat ursprünglich zusätzlich beantragt, festzustellen, dass die Beklagten zu 1) und 4) gesamtschuldnerisch, die Beklagten zu 2), 3), 5) und 6) wie Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche künftigen Schäden zu ersetzen, die aus dem in der Nacht vom 9./10. Juli 2013 aufgetretenen Grundbruch im Bereich der Gabionenstützwand auf dem Grundstück in W ..in … H noch entstehen. Diesen Antrag hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 18.3.2022 für erledigt erklärt. Die Beklagten haben der Erledigungserklärung widersprochen.

34

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung von Sachverständigengutachten. Auf den Inhalt des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. A vom 2.7.2020 sowie des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. H vom 28.9.2021 (beide im grünen Anlagenordner) wird Bezug genommen. Ferner wird Bezug genommen auf die mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen Prof. Dr. A gemäß Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.6.2021 (Bl. 1126 ff. d. A.) sowie des Sachverständigen Dipl.-Ing. H gemäß Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.3.2022 (Bl. 1364 ff. d. A.).

Entscheidungsgründe

35

Die Klage gegen die Beklagten zu 1) bis 3) ist erfolglos. Gegen die Beklagten zu 4) bis 6) ist die Klage dem Grunde nach erfolgreich. Der Höhe nach ist die Klage gegenüber den Beklagten zu 4) bis 6) ebenso wenig entscheidungsreif wie hinsichtlich der Widerklage der Beklagten zu 1).

36

A. Der Erlass eines Teilgrund- und Teilurteils gemäß §§ 301, 304 ZPO ist vorliegend zulässig und zweckmäßig. Die Klage gegenüber den Beklagten zu 1) bis 3) ist entscheidungsreif, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein Anspruch der Klägerin gegenüber diesen Beklagten nicht besteht. Gegenüber den Beklagten zu 4) bis 6) ist die Klage dem Grunde nach entscheidungsreif, während hinsichtlich der Höhe eine umfangreiche weitere Beweisaufnahme erforderlich ist. Die hilfsweise Widerklage hingegen, deren innerprozessuale Bedingung für die Geltendmachung der Widerklageforderung durch die Abweisung der Klage gegen die Beklagten zu 1) bis 3) eingetreten ist, ist weder dem Grunde noch der Höhe nach entscheidungsreif. Die Gegenstände von Klage und Widerklage sind ebenso ohne Schwierigkeiten voneinander trennbar wie Schadensgrund und -höhe hinsichtlich der Klage.

37

Der Entscheidung durch Teilurteil steht nicht entgegen, dass die Beklagte ihre Gegenforderung hilfsweise zur Aufrechnung stellt bzw. hilfsweise Widerklage erhebt. Die Situation unterscheidet sich insoweit nicht von derjenigen, in der der Kläger selbst Haupt- und Hilfsanträge geltend macht und in der es nach herrschender Meinung für zulässig gehalten wird, den Hauptantrag durch Teilurteil abzuweisen und die Verhandlung über den Hilfsantrag fortzusetzen (vgl. MüKo-Musielak, 6. Aufl. 2020, § 301 ZPO, Rn. 21 m. w. N.). Eine Widersprüchlichkeit von Entscheidungen droht in dieser Situation nicht, weil ein dem Hilfsantrag stattgebendes Urteil in seiner Wirksamkeit auflösend bedingt davon abhinge, ob der Hauptantrag rechtskräftig abgewiesen wird (MüKo-Musielak, a. a. O., Rn. 21 m. w. N.). Im Übrigen lässt sich eine Widersprüchlichkeit jedenfalls dadurch vermeiden, dass das Verfahren hinsichtlich der Widerklage gemäß § 148 ZPO bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Klage ausgesetzt wird (MüKo-Musielak, a. a. O., Rn. 21 m. w. N.). Dementsprechend kann in der vorliegenden Situation einer Klage sogar durch (Teil-)Vorbehaltsurteil stattgegeben werden, während über die Aufrechnung und Widerklage noch nicht entschieden wird (BGH, Urteil vom 28.10.2021, Az. VII ZR 44/18, BeckRS 2021, 37160; anders noch OLG Naumburg, Urteil vom 05.12.2013, Az. 4 U 28/13, BeckRS 2014, 19102). Erst recht ist es daher zulässig, die Klage durch Teilurteil abzuweisen und über die Widerklage noch nicht zu entscheiden.

38

Vorliegend ist es auch zweckmäßig, die umfangreichen Erkenntnisse, die die Kammer aus der bisherigen Beweisaufnahme gewonnen hat und die zu einer Entscheidungsreife der Klage dem Grunde nach führen, zum jetzigen Zeitpunkt für eine Entscheidung zu verwerten. Der umfangreiche und komplizierte Rechtsstreit wird hierdurch zum Einen in prozessökonomischer Weise abgeschichtet. Zum Anderen geht die Kammer davon aus, dass sich Möglichkeiten einer gütlichen Einigung ergeben könnten, wenn die grundlegende Frage der Rechtfertigung der Klage dem Grunde nach geklärt ist.

39

B. Die Klage ist zulässig.

40

Soweit die Klägerin die Klage hinsichtlich des Feststellungsantrags einseitig für erledigt erklärt hat, liegt hierin eine gemäß § 264 Nr. 2 ZPO zulässige Klageänderung dahingehend, dass anstelle der Ersatzpflicht bezüglich künftiger Schäden festzustellen ist, dass sich die Klage insoweit erledigt hat. Ein entsprechendes Feststellungsinteresse der Klägerin besteht auf Grund des Kosteninteresses.

41

C. Die Klage gegen die Beklagten zu 4) - 6) ist hinsichtlich des Zahlungsantrags dem Grunde nach begründet. Hinsichtlich des Feststellungsantrags ist Erledigung eingetreten.

42

I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 4) gemäß §§ 280 Abs. 1, 634 Nr. 4, 633, 631 BGB einen Anspruch auf Ersatz des ihr infolge des Zusammenbruchs der Gabionenstützwand entstandenen Schadens, dessen Höhe durch weitere Beweisaufnahmen festzustellen ist.

43

1. Zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 4) besteht ein Werkvertrag im Sinne des § 631 BGB sowohl hinsichtlich der Bodenuntersuchungen einschließlich der Erstellung eines Baugrundgutachtens als auch hinsichtlich der Erstellung der Statik der Gabionenstützwand sowie der diesbezüglichen Fachplanung.

44

2. Die Leistung der Beklagten zu 4) war mangelhaft im Sinne des § 633 BGB. Zwischen der Klägerin und den Beklagten zu 4) bis 6) ist dies hinsichtlich der unzureichenden Baugrunderkundungen bereits unstreitig. Auf Grund des Bestreitens der Beklagten zu 1) bis 3) hat die Kammer hierüber gleichwohl Beweis erhoben. Auch der Sachverständige Prof. Dr. A hat bestätigt, dass die Beklagte zu 4) die Baugrundaufschlüsse weder an den erforderlichen Stellen noch in ausreichender Tiefe vorgenommen und damit gegen die DIN EN 1997-2 in Verbindung mit der DIN 4020 verstoßen hat (Gutachten vom 2.7.2020, S. 13). Insbesondere fehlen Bohrungen im Bereich vor und direkt hinter der Gabionenstützwand (Gutachten vom 2.7.2020, S. 12). Die nicht ausreichende Tiefe ergibt sich daraus, dass die Beklagte zu 4) den Baugrund maximal bis 1,56 m unter der Gründungssohle der Stützwand erkundet hat, obwohl die Mindesterkundungstiefe grundsätzlich 6 m ab Gründungssohle beträgt (Gutachten vom 2.7.2020, S. 12). In Folge der unzureichenden Baugrunderkundung hat die Beklagte zu 4) ein unzutreffendes Baugrundmodell unterstellt, in dem sie davon ausgeht, dass sich unterhalb der Gründungsebene der Gabionenstützwand homogener, durchgehend steifer Geschiebeboden befindet (Gutachten vom 2.7.2020, S. 14).

45

Ob die Leistungen der Beklagten zu 4) weitere Mängel aufweisen, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht erheblich.

46

3. Eine Abnahme ist für die Geltendmachung von Mängelrechten nicht erforderlich, da jedenfalls ein Abrechnungsverhältnis besteht.

47

4. Ebenso wenig ist eine Fristsetzung zur Mangelbeseitigung erforderlich, da es sich bei den geltend gemachten Schäden um Mangelfolgeschäden handelt.

48

5. Die unzureichende Baugrunderkundung durch die Beklagte zu 4) hat kausal zu dem Schadensereignis am 9./10.7.2013 geführt, ohne dass es auf das Vorliegen weiterer Pflichtverletzungen der Beklagten zu 4) ankommt. Hiervon ist die Kammer nach der Beweisaufnahme überzeugt.

49

Der Sachverständige Prof. Dr. A hat die unzureichende Erkundung des Baugrundes als „Hauptursache für den Grund- bzw. Geländebruch“ bezeichnet (Gutachten vom 2.7.2020, S. 17). Es erscheint unmittelbar nachvollziehbar, dass der Schaden dadurch eintreten konnte, dass Weichschichten im Boden vorhanden waren und dass diese Situation vermieden worden wäre, wenn die Weichschichten im Rahmen der Baugrunderkundungen erkannt und in der Berechnung adäquat berücksichtigt worden wären (so der Sachverständige im Gutachten vom 2.7.2020, S. 17).

50

Unerheblich ist, ob weitere Fehler der Beklagten zu 4) - etwa im Zusammenhang mit der Standsicherheitsberechnung - vorliegen, die ebenfalls zu dem Schadensereignis beigetragen haben. Denn bereits die Ursächlichkeit der unzureichenden Baugrunderkundungen genügt für eine vollständige Haftung der Beklagten zu 4). Die Haftung könnte sich allenfalls dann reduzieren, wenn alternative Ursachen zu dem Schadensereignis geführt hätten, die außerhalb des Verantwortungsbereichs der Beklagten zu 4) lagen. Dies hält die Kammer nach der Beweisaufnahme für ausgeschlossen.

51

So ist der Sachverständige Prof. Dr. A zu dem Schluss gelangt, dass der Schaden nicht auf Abspülungen während der Bauarbeiten beruhe. Der Sachverständige erläutert hierzu, dass es nur geringen Einfluss auf die Standsicherheit gehabt hätte, wenn sich durch Abspülungen erodierter Boden auf dem Verfüllsand abgelagert hätte. Dies sei darauf zurückzuführen, dass die kritische Gleitfuge in dem entsprechenden Bereich relativ steil verlaufe (Gutachten vom 2.7.2020, S. 18).

52

Ebenso wenig beruht der Schaden auf einem nicht ordnungsgemäßen Einbau der Geogitter. Der Sachverständige Prof. Dr. A hat hierzu berechnet und erläutert, dass die Standsicherheit nicht entscheidend von der genauen Lage der Geogitter abhänge. Außerdem seien nach dem festgestellten Schadensbild bei dem aufgetretenen Bruchkörper Herausziehwiderstände von Geogittern von untergeordneter Bedeutung gewesen (Gutachten vom 2.7.2020, S. 18 f.).

53

Der Schaden ist ferner nicht auf eine fehlende Berme bzw. Sandauffüllung zurückzuführen. Der Sachverständige Prof. Dr. A hat eine Standsicherheitsberechnung ohne Berme durchgeführt und ist dabei zu demselben Ausnutzungsgrad gelangt wie mit einer entsprechenden Berme, so dass diese keinen Einfluss auf die Standsicherheit und damit die Schadensentstehung hat (Gutachten vom 2.7.2020, S. 19).

54

Der Schaden beruht auch nicht auf dem Einbau eines ungeeigneten Sandes in die Gabionenstützwand oder auf einer unzureichenden Verdichtung des Sandes. Nach Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. A sind die Anforderungen an den einzubauenden Sand aus der statischen Berechnung insoweit gering. Selbst wenn der geforderte Reibungswinkel unterschritten worden wäre, würde sich dies nur geringfügig auf die Standsicherheit auswirken (Gutachten vom 2.7.2020, S. 19).

55

Ob eine Drainage am Fußpunkt der Gabionenstützwand gelegt wurde, kann dahinstehen, da eine solche nach der Darstellung des Sachverständigen Prof. Dr. A die Standsicherheit des Geländesprungs zwar erhöht, den eingetretenen Geländebruch aber nicht vermieden hätte. Letzteres ergibt sich daraus, dass die Weichschichten im Untergrund durch eine Fußpunktdrainage ihren schadensursächlichen Einfluss nicht verloren hätten (Gutachten vom 2.7.2020, S. 19).

56

Schließlich beruht der Schaden auch nicht auf einer Stauwasserbildung durch von oben eintretendes Niederschlagswasser und einer Hangwasserdruckbelastung der Konstruktion. Der Sachverständige Prof. Dr. A sieht einen Wasserdruck vorliegend nicht als wesentliche Schadensursache. Zwar könnte eine Wasserdruckbelastung den Schaden mitverursacht haben. Maßgebliche Schadensursache seien aber die Weichschichten im Untergrund. Sofern ein Wasserdruck bei der Schadensentstehung eine Rolle gespielt habe, habe dieser den Schadenseintritt allenfalls beschleunigt, während es ohne einen Wasserdruck „dann möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt bei noch höherer Auffüllung“ zu dem Schaden gekommen wäre (Gutachten vom 2.7.2020, S. 19).

57

6. Die Berechtigung der einzelnen Schadenspositionen und die haftungsausfüllende Kausalität zwischen dem Schadensereignis und diesen Positionen bleibt dem Betragsverfahren vorbehalten.

58

II. Für den gegen die Beklagte zu 4) bestehenden Anspruch haften die Beklagten zu 5) und 6) analog § 128 HGB als Gesamtschuldner. Dies ergibt sich aus ihrer Stellung als Gesellschafter der Beklagten zu 4), bei der es sich um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts handelt (vgl. zur akzessorischen Haftung der Gesellschafter einer GbR MüKo-Schmidt, 4. Aufl. 2016, § 128 HGB, Rn. 4). Die Gesellschafter haften insoweit untereinander als Gesamtschuldner (MüKo-Schmidt, a. a. O., Rn. 18), während im Verhältnis zu der Gesellschaft keine gleichstufige, sondern lediglich eine akzessorische Haftung besteht (vgl. Gummert-von Unger, Münchener Anwaltshandbuch Personengesellschaftsrecht, 3. Auflage 2019, § 15 Rn. 135). Die Gesellschaft ist neben den gesamtschuldnerisch haftenden Gesellschaftern dennoch wie eine Gesamtschuldnerin verpflichtet (BGH NJW 2001, 1056, 1061).

59

III. Hinsichtlich des ursprünglich gestellten Feststellungsantrags hat sich die Klage gegenüber den Beklagten zu 4) bis 6) erledigt. Erledigung tritt ein, wenn eine ursprünglich zulässige und begründete Klage durch ein erledigendes Ereignis nachträglich unzulässig oder unbegründet wird.

60

Der Feststellungsantrag hat sich durch Zeitablauf erledigt. Der Klagantrag war ursprünglich zulässig. Es bestand ein Feststellungsinteresse der Klägerin im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO, weil die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen war, was die Klägerin insbesondere mit einer offenen Forderung des Streithelfers K begründete. Nachdem seit Klagerhebung mittlerweile über 6 Jahre verstrichen sind, rechnet die Klägerin nicht mehr mit einer Geltendmachung der Forderung, so dass ihr Feststellungsinteresse entfallen und die Klage unzulässig geworden ist.

61

Dass der Feststellungsantrag gegenüber den Beklagten zu 4) bis 6) begründet gewesen wäre, ergibt sich aus den Ausführungen unter C.I und II.

62

D. Die Klage gegen die Beklagten zu 1) - 3) ist unbegründet.

63

I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 1) keinen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, 634 Nr. 4, 633, 631 BGB.

64

Die Kammer hat keinen Mangel der Leistung der Beklagten zu 1) im Sinne des § 633 BGB festgestellt. Denn selbst dann, wenn die von der Beklagten zu 1) zu erbringende Objektplanung auch die Gabionenstützwand betraf, hätten ihr die Fehler der Beklagten zu 4) in diesem Zusammenhang nicht auffallen müssen.

65

Der Architekt darf sich grundsätzlich auf die Fachkenntnisse eines Sonderfachmannes verlassen und braucht diesen im Allgemeinen nicht zu überprüfen (OLG Saarbrücken NZBau 2021, 610, 611; OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.1.2016, Az. 22 U 92/15, BeckRS 2016, 1669, Rn. 76; Werner/Pastor - Manteufel/Pastor, Der Bauprozess, 17. Aufl. 2020, Rn. 2033). Der Architekt ist verpflichtet, auf die Einschaltung eines Sonderfachmannes hinzuwirken, soweit Spezialkenntnisse erforderlich sind, über die er selbst nicht verfügt. Er hat hierbei auf die Auswahl eines zuverlässigen Sonderfachmannes zu achten und diesem zutreffende Vorgaben zu machen (vgl. u. a. BGH NJW 1997, 2173, 2174; Kniffka/Koeble-Koeble, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl. 2020, Rn. 833; BeckOK-Kober, Stand 1.1.2022, § 636 BGB, Rn. 484). Eine Kontrollpflicht des Architekten gegenüber dem Sonderfachmann besteht nur insoweit, als die hierfür erforderlichen Kenntnisse auch von einem Architekten zu erwarten sind (BGH NJW 1997, 2173, 2174; OLG Köln, Beschluss vom 17.6.2020, Az. 19 U 223/19, BeckRS 2020, 44250, Rn. 38; Kniffka/Koeble-Koeble, a. a. O., Rn. 833; Werner/Pastor - Manteufel/Pastor, a. a. O., Rn. 2033; BeckOK-Kober, a. a. O., Rn. 484). Maßgeblich ist, ob der Architekt die erforderlichen Kenntnisse hatte, haben musste oder sich ihm offensichtliche Fehler aufdrängen mussten (Engbers, NZBau 2013, 618, 619; BeckOK-Kober, a. a. O., Rn. 484; OLG Saarbrücken NZBau 2021, 610, 611; OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.1.2016, Az. 22 U 92/15, BeckRS 2016, 1669). Entsprechend muss der Architekt jedenfalls überprüfen, ob die Ausgangsdaten zutreffend sind, die der Sonderfachmann seiner Leistung zu Grunde legt (Korbion u. a. - Wirth, HOAI, 9. Aufl. 2016, Rn. 566). Entscheidend ist, ob dem Architekten eine Überprüfung möglich und zumutbar war und ob sich ihm dabei Bedenken aufdrängen mussten (OLG Saarbrücken NZBau 2021, 610, 611; OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.1.2016, Az. 22 U 92/15, BeckRS 2016, 1669, Rn. 76).

66

Vorliegend bestehen keine Zweifel daran, dass es sich bei der Beklagten zu 4) grundsätzlich um ein zuverlässiges Unternehmen handelte, das geeignet war, sowohl das Bodengutachten als auch die Statik zu erstellen. Auch beruht der festgestellte Fehler nicht auf fehlerhaften Vorgaben der Beklagten zu 1). Maßgeblich ist vielmehr, ob die Beklagte zu 1) hätte erkennen müssen, dass die Bodenuntersuchungen weder an der richtigen Stelle noch in ausreichender Tiefe durchgeführt wurden, um aussagekräftige Ergebnisse hinsichtlich des für die Standfestigkeit der Gabionenstützwand relevanten Erdreichs zu erhalten.

67

Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass Kenntnisse über den Baugrund und Bodenmechanik nicht zu den Fähigkeiten gehören, die von einem Architekten üblicherweise zu erwarten sind. Wie der Sachverständige Dipl.-Ing. H erläutert hat, ist dieses Themengebiet weder Gegenstand der Ausbildung von Architekten während des Studiums noch von Fortbildungen der schleswig-holsteinischen Architektenkammer (S. 5 f. des Gutachtens vom 28.9.2021, S. 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 18.3.2022, Bl. 1365 d. A.). Der Architekt schöpft seine Kenntnisse hierzu daher im Wesentlichen aus seiner eigenen baupraktischen Erfahrung (S. 6 des Gutachtens vom 28.9.2021, S. 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 18.3.2022, Bl. 1365 d. A.). Die Kenntnisse eines Architekten in diesem Bereich sind daher wesentlich geringer als diejenigen des Fachplaners mit der Folge, dass der Architekt weitgehend darauf angewiesen ist, sich auf die Richtigkeit der Ergebnisse des Fachplaners zu verlassen. Dass ihm eine entsprechende Ausbildung fehle, kann der Architekt nur dann nicht einwenden, wenn er selbst eine Aufgabe übernimmt, die Kenntnisse einer solchen Ausbildung gerade voraussetzt (vgl. in dieser Konstellation BGH NZBau 2003, 567, 569). Sorgt der Architekt jedoch dafür, dass für diejenigen Aufgaben, die nicht in seinem Kompetenzbereich liegen, ein Sonderfachmann eingeschaltet wird, muss er diesen nur im Rahmen der durchschnittlich von ihm zu erwartenden Fähigkeiten kontrollieren (so auch BGH NJW 2001, 1276). Diese zu erwartenden Fähigkeiten ergeben sich unter anderem aus der üblichen Ausbildung.

68

Der Architekt darf ein von einem Sonderfachmann erstelltes Bodengutachten sowie eine Statik nicht ungeprüft an die weiteren Beteiligten weiterleiten, sondern er hat diese Unterlagen zu studieren und Nachfragen zu stellen, soweit hierin Unklarheiten oder Widersprüche enthalten sind oder sich ihm Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Ergebnisse aufdrängen müssen. Dies gilt unabhängig davon, wieviele weitere Beteiligte in das Verfahren eingebunden sind, denen entsprechende Fehler ebenfalls auffallen könnten. Insofern ändern sich die Anforderungen an den Architekten nicht dadurch, ob die Einschaltung eines Prüfingenieurs vorgesehen war oder nicht.

69

Die Beklagte zu 4) hat hier zunächst Bodenproben genommen, die für die Errichtung des Gebäudes und der Parkplatzfläche erforderlich waren (vgl. die Skizze zu den Bohrungen BS 1 bis BS 11 auf S. 8 des Gutachtens vom 28.9.2021, die dem als Anlage K 4 eingereichten Baugrundgutachten entnommen ist). Später wurden weitere Bohrungen durchgeführt, auf deren Basis der Baugrund für die Errichtung der Gabionenstützwand beurteilt wurde (vgl. die Skizze zu den Bohrungen BS 12 bis BS 17 auf S. 9 des Gutachtens vom 28.9.2021, die der Anlage K 8 entnommen ist). Der Sachverständige Dipl.-Ing. H geht davon aus, dass ein grober und damit für den Architekten erkennbarer Fehler vorgelegen hätte, wenn die Bodenuntersuchungen, die für das Gebäude und den Parkplatz vorgenommen wurden, ohne weitere Überprüfungen auf den Bereich der Gabionenstützwand übertragen worden wären (S. 3 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 18.3.2022, Bl. 1366 f. d. A.). Dies war jedoch nicht der Fall, sondern die Beklagte zu 4) hat weitere Bodenuntersuchungen konkret für die Gabionenstützwand durchgeführt und ausgewertet.

70

Auffällig ist, dass die Bohrungen für die Beurteilung der Gabionenstützwand sich nicht im Verlauf dieses Bauwerks befinden, sondern teilweise bis zu 10 m davor liegen (hierauf verweist auch der Sachverständige Dipl.-Ing. H auf S. 9 des Gutachtens vom 21.9.2021). Der Sachverständige Dipl.-Ing. H legt zu Grunde, dass einem Architekten bei einem Gebäude bekannt sein muss, dass senkrechte Lasten über die Außenwände direkt in die Fundamente abgeleitet werden und dass daher entscheidend ist, ob der Boden unter den Fundamenten ausreichend stabil ist (S. 9 des Gutachtens vom 21.9.2021). Tatsächlich hätten nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. A (vgl. oben unter C.I.2) auch vorliegend Bohrungen unterhalb und auch vor dem Baukörper vorgenommen werden müssen. Die Klägerin und die Beklagten zu 4) - 6) gehen davon aus, dass dies für die Beklagte zu 1) offensichtlich sein musste. Sie argumentieren insbesondere damit, dass ein 8 m hohes und aus gefüllten Steinkörben bestehendes Bauwerk offensichtlich ebenfalls extrem hohe vertikale Lasten in den unterhalb dieses Bauwerks befindlichen Boden einträgt. Dies ist ohne Zweifel zutreffend. Genauso ist zutreffend, dass offensichtlich der Baugrund an dieser Stelle nicht untersucht wurde. Aus der Anlage K 8 lässt sich ferner nicht entnehmen, ob und wie die Beklagte zu 4) aus den vorgenommenen Bodenproben Rückschlüsse auf die Zusammensetzung des Bodens unterhalb und vor der geplanten Gabionenwand zieht. Die Klägerin und die Beklagten zu 4) - 6) sind daher der Meinung, dass die Beklagte zu 1) hätte nachfragen müssen, ob der Boden unterhalb und vor der Gabionenstützwand näher untersucht werden müsste. Zu diesem Schluss kommt auch das Privatgutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. K (Anlage K 24, insbesondere S. 31 f.). Da die Beklagte zu 4) selbst einräumt, Untersuchungen dieses Teils des Bodens seien aus Versehen unterblieben, gehen die Klägerin und die Beklagte zu 4) davon aus, dass der Fehler bei einer entsprechenden Nachfrage korrigiert worden wäre.

71

Die Kammer hat die Frage, ob es sich um einen für einen Architekten erkennbaren Fehler handelt, sowohl von dem geotechnischen Sachverständigen Prof. Dr. A als auch von dem Hochbauarchitekten Dipl.-Ing. H beurteilen lassen. Beide kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass dies nicht der Fall war. Nach eingehender Abwägung schließt sich auch die Kammer diesem Ergebnis an.

72

Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Nachhinein manches offensichtlicher erscheint, als es im Voraus der Fall gewesen sein mag. Es darf nicht außer Acht bleiben, dass die Entscheidung über die Lage und Tiefe der vorzunehmenden Bohrungen die ureigene Aufgabe des Sonderfachmannes ist. Ein Blick auf die Lage der Bohrungen ergibt zumindest, dass diese nicht an vollkommen falscher Stelle erfolgt sind. Der Sachverständige Dipl.-Ing. H brachte hierzu das Beispiel, dass dem Architekten auffallen müsste, wenn die Bohrungen vor dem Gebäude vorgenommen würden, obwohl die Mauer hinter dem Gebäude zu errichten war (S. 4 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 18.3.2022, Bl. 1367 d. A.). Hier befinden sich zumindest die Bohrungen BS 12 und BS 17 in etwa im Verlauf der Stützwand an deren seitlichen Enden. Zumindest an dieser Stelle ist also der Baugrund nahe der Stützwand untersucht worden - wenn auch nicht in ausreichender Tiefe (hierauf verweist auch der Sachverständige Dipl.-Ing. H gemäß S. 3 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 18.3.2022, Bl. 1366 d. A.). Die weiteren Bohrungen liegen zwar erheblich hinter der Stützwand, verlaufen aber jedenfalls in etwa parallel zu dieser. Damit besteht ein erkennbarer Zusammenhang zwischen den Bohrungen und der geplanten Stützwand.

73

Bei der Gabionenstützwand ist es ferner so, dass nicht ausschließlich vertikale Lasten wirken, sondern erhebliche Schubkräfte von der Seite aus dem Hang kommen. Der Sachverständige Dipl.-Ing. H bemühte hierzu das Beispiel einer Buchstütze (S. 9 des Gutachtens vom 21.9.2021). Für den Architekten ist insofern nachvollziehbar, dass es einen Grund dafür gibt, Bohrungen im Hang vorzunehmen. Ob diese allein ausreichen, weil aus diesen Bohrungen ausreichende Rückschlüsse auf den Boden am Fuß des Hanges gezogen werden können, braucht der Architekt nicht zu wissen. Er braucht nach Ansicht der Kammer auch nicht darauf hinzuwirken, dass diese Rückschlüsse näher erläutert werden. Zwar finden sich in der Anlage K 8 keine textlichen Erläuterungen, die dem als Anlage K 4 vorgelegten Bodengutachten vergleichbar wären. Es ist aber erkennbar, dass kein wesentlich anderer Boden vorgefunden wurde. Auch wird auf den letzten Metern der vorgenommenen Bohrungen durchgehend derselbe Boden - nämlich steifer Geschiebemergel - festgestellt (hierauf verweist auch der Sachverständige Prof. Dr. A, S. 16 des Gutachtens vom 2.7.2020). Insofern gibt es keine Alarmsignale, die den Architekten hätten aufmerksam werden lassen müssen. Wenn der Sonderfachmann, der gleichzeitig Statiker der Gabionenstützwand ist, es an dieser Stelle nicht für erforderlich hält, Einzelheiten zum Bodenaufbau ergänzend textlich zu erläutern, so darf sich auch der Architekt vorliegend damit begnügen. Denn der Architekt hat nach den Ergebnissen der Anlage K 8 keine Anhaltspunkte dafür, dass Besonderheiten im Boden bestehen, die insbesondere von dem zuvor erstellten Bodengutachten abweichen. Besonderheiten bestehen vielmehr nur angesichts der Art des Bauwerkes, das der Beklagten zu 4) bekannt war und bezüglich dessen der Architekt daher davon ausgehen durfte, dass die Beklagte zu 4) diese Besonderheiten kennt. Er selbst kann hingegen angesichts der Besonderheiten des Bauwerks nicht davon ausgehen, dass sich seine Grundkenntnisse etwa zu Bodenuntersuchungen bei einem einfachen Gebäude auf das hiesige Bauwerk übertragen lassen. Die Beklagte zu 1) durfte daher darauf vertrauen, dass die vorgenommenen Bodenuntersuchungen ausreichend waren.

74

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des BGH vom 26.1.1996, Az. V ZR 264/94 (NJW-RR 1996, 852). Dieses geht lediglich davon aus, dass der Architekt keinen Anlass hat, den Ergebnissen des Bodengutachtens zu misstrauen, wenn Bohrungen sowohl im höher als auch im niedriger gelegenen Teil eines Hanges vorgenommen worden sind (a. a. O., 853). Auch vorliegend sind an unterschiedlichen Stellen des Hanges Bohrungen vorgenommen worden. Ob der Architekt Zweifel daran haben musste, dass diese als Grundlage des Bodengutachtens ausreichend sein konnten, ist eine Frage des Einzelfalls. Die Umstände des vorliegenden Einzelfalls, die die Kammer vorstehend aufgeführt und gewürdigt hat, führen dazu, dass ein Erkennen der Fehler der Beklagten zu 4) von der Beklagten zu 1) nicht erwartet werden konnte.

75

Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Lage der Bohrungen, sondern auch hinsichtlich deren Tiefe. Bis zu welcher Tiefe gebohrt werden muss, ist eine noch weniger den allgemeinen Kenntnissen des Architekten unterliegende Frage als die Lage der erforderlichen Bohrpunkte. Der Architekt ist nicht verpflichtet, etwa die Tiefe der Bohrungen mit der zu Grunde gelegten Setzungseinflusstiefe zu vergleichen. Letzteres würde voraussetzen, dass dem Architekten bekannt ist, aus welchen Parametern sich die erforderliche Bohrtiefe zusammensetzt. Denn nur dann könnte er beurteilen, ob ein bestimmter angenommener Parameter eine bestimmte Mindesttiefe der Bohrungen zur Folge hat. Entsprechende Kenntnisse hat der Architekt aber nicht (vgl. S. 11 f. des Gutachtens des Sachverständigen H vom 21.9.2021).

76

Andere Anforderungen ergeben sich auch nicht aus dem Urteil des BGH vom 14.2.2001, Az. VII ZR 176/99 (NJW 2001, 1276). In dieser Entscheidung wurde dem Architekten zwar angelastet, dass er nicht beanstandet hatte, dass Bohrungen nur bis zu einer Tiefe von 3,2 m vorgenommen worden waren, obwohl das Gebäude selbst einschließlich der Tiefgarage eine Tiefe von 4,8 m hatte. Dem Architekten wurde dort jedoch bereits der Vorwurf gemacht, dass er dem Bodengutachter die notwendige Information über die Gründungstiefe des Gebäudes nicht gegeben hatte. Mit der Frage, ob aus den vorgenommenen Bohrungen Rückschlüsse auf größere Tiefen möglich gewesen wären, setzt sich die Entscheidung nicht auseinander. Vorliegend hatte die Beklagte zu 4) alle notwendigen Informationen über das geplante Bauwerk. Beide gerichtlich bestellte Sachverständige gehen davon aus, dass für den Architekten angesichts der komplexen Bausituation und der unauffälligen Ergebnisse der Bodenproben keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die vorgenommenen Bohrungen nicht ausreichend waren. Die Situation hinsichtlich der Tiefe der Bohrungen ist nicht anders zu bewerten als diejenige hinsichtlich deren Lage.

77

Angesichts vorstehender Ausführungen kommt es nicht darauf an, ob und wann der Beklagten zu 1) die Anlage K 8 tatsächlich vorlag. Denn im Rahmen der Kontrolle der Bohrergebnisse bei Vorliegen der Anlage K 8 hätten ihr die Fehler der Beklagten zu 4) nicht auffallen müssen. Lag ihr die Anlage K 8 hingegen nicht vor, kann dahinstehen, ob sie diese hätte anfordern müssen. Denn eine hierin liegende Pflichtverletzung wäre jedenfalls nicht kausal für den Schaden geworden, wenn die Beklagte auch bei Überprüfung der Anlage K 8 nicht auf einen Fehler der Beklagten zu 4) hätte aufmerksam werden müssen.

78

Soweit während der Bauarbeiten Mutterboden in erhöhter Mächtigkeit vorgefunden wurde, folgt auch hieraus nicht, dass die Beklagte zu 1) spätestens zu diesem Zeitpunkt auf weitere Bodenuntersuchungen hätte drängen müssen. Die Beklagte zu 4) als Fachplanerin war in diesen Vorgang eingebunden und erteilte Anweisungen, wie auf die vorgefundene Situation zu reagieren war. Diese Anweisungen - Vertiefung des Aushubs um 1 m und Drehung der Gabionenkörbe um 90° - waren nicht so gestaltet, dass die Beklagte zu 1) Anlass gehabt hätte, hierauf mit Misstrauen zu reagieren, Nachfragen zu stellen oder weitere Untersuchungen zu fordern. Vielmehr durfte die Beklagte zu 1) sich auch insoweit auf die fachliche Kompetenz des Sonderfachmannes verlassen (so auch der Sachverständige Dipl.-Ing. H gemäß S. 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 18.3.2022, Bl. 1365 d. A.).

79

Soweit die Kammer offengelassen hat, ob weitere Fehler der Beklagten zu 4) etwa im Zusammenhang mit der Standsicherheitsberechnung vorliegen, können diese Fehler auch im Hinblick auf die Haftung der Beklagten zu 1) offen bleiben. Denn wenn die Beklagte zu 1) nicht einmal die unzureichende Lage und Tiefe der Bohrungen erkennen musste, gilt dies für die speziellen Fehler der Standsicherheitsberechnung erst recht.

80

II. Mangels Anspruchs gegen die Beklagte zu 1) besteht auch keine akzessorische Haftung der Beklagten zu 2) und 3) analog § 128 HGB.

81

III. Aus den Ausführungen unter D.I und II folgt, dass auch der Feststellungsantrag gegenüber den Beklagten zu 1) bis 3) bereits ursprünglich unbegründet war und daher keine Erledigung eingetreten ist.

82

E. Die Entscheidung über die Klage gegen die Beklagten zu 4) bis 6) der Höhe nach, die Entscheidung über die Widerklage und die Kostenentscheidung bleiben dem Schlussurteil vorbehalten.


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen