Beschluss vom Landgericht Freiburg - 2 Qs 98/21; 2 Qs 99/21

Tenor

1. Die Verfahren 2 Qs 98/21 und 2 Qs 99/21 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden. Das Verfahren 2 Qs 98/21 führt.

2. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Amtsgerichts Freiburg vom 12.10.2021 (33 Ds 200 Js 29028/19) betreffend die Verwerfung des Antrags als unzulässig gemäß § 57 Abs. 1 StGB aufgehoben. Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Freiburg zurückverwiesen.

3. Es wird festgestellt, dass die erlittenen Freiheitsentziehungen aufgrund der vorläufigen Festnahme des Verurteilten am 22.08.2019, aufgrund der Haftbefehle des Amtsgerichts Freiburg vom 03.08.2019 (27 Gs 2286/19), des Landgerichts Freiburg vom 23.07.2020 (9/20 14 Ns 200 Js 29028/19) und des Amtsgerichts Freiburg vom 06.08.2020 (27 Ds 685 Js 23174/20) - zuletzt nach Maßgabe des Beschlusses des Amtsgerichts Freiburg vom 10.12.2020 (75 Ds 685 Js 23174/20 (2)) - auf die mit Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 16.12.2019 (33 Ds 200 Js 29028/19) in der Fassung des Berufungsurteils des Landgerichts Freiburg vom 02.11.2020 (9/20 14 Ns 200 Js 29028/19) und des Beschlusses des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 11.05.2021 (2 Rv 35 Ss 67/21) festgesetzte Freiheitsstrafe anzurechnen sind.

4. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Amtsgerichts Freiburg vom 12.10.2021 (33 Ds 200 Js 29028/19) betreffend die Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers aufgehoben. Dem Verurteilten wird Rechtsanwalt .. als Pflichtverteidiger für das Vollstreckungsverfahren bestellt.

5. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

 
I.
Mit Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 16.12.2019 (33 Ds 200 Js 29028/19) in der Fassung des Berufungsurteils des Landgerichts Freiburg vom 02.11.2020 (9/20 14 Ns 200 Js 29028/19) und des Beschlusses des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 11.05.2021 (2 Rv 35 Ss 67/21), wurde der Verurteilte A., rechtskräftig seit 12.05.2021, wegen gefährlicher Körperverletzung (Datum der Tat: 22.08.2019) zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt. Der Verurteilte hatte sich aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Freiburg vom 03.08.2019 (27 Gs 2286/19) in dieser Sache vom 23.08.2019 bis zum 15.09.2019 und sodann (nach zwischenzeitlicher Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe) wieder vom 20.11.2019 bis zum 16.12.2019 in Untersuchungshaft befunden. Da er nicht zur Berufungsverhandlung erschienen war, verbüßte er aufgrund Haftbefehls des Landgerichts Freiburg vom 23.07.2020 (9/20 14 Ns 200 Js 29028/19) gemäß § 329 Abs. 3 StPO vom 26.08.2020 bis zum 01.11.2020 zudem Berufungshauptverhandlungshaft. Die mit Haftbefehl des Landgerichts Freiburg vom 02.11.2020 (9/20 14 Ns 200 Js 29028/19) gegen ihn erneut angeordnete Untersuchungshaft wurde bis zur Rechtskraft des Verfahrens hingegen nur als Überhaft vermerkt und nicht mehr vollzogen.
In anderer Sache wurde der Verurteilte mit Berufungsurteil des Landgerichts Freiburg vom 20.05.2021 (9/21 14 Ns 685 Js 23174/20), rechtskräftig seit dem 28.05.2021, wegen versuchten unerlaubten sich in sonstiger Weise Verschaffens von Betäubungsmitteln, begangen am 12.12.2018, unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Straferkenntnis des Amtsgerichts Frankfurt a.M. vom 19.08.2019 (5140 Js 250 202/18 942 Cs), begangen am 20.09.2018, zu einer Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätzen zu je 10 EUR verurteilt. Daneben wurde er mit diesem Urteil wegen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, begangen am 26.08.2020, zu einer weiteren Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10 EUR verurteilt. In dieser anderen Sache befand er sich aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Freiburg vom 06.08.2020 (27 Ds 685 Js 23174/20) im Zeitraum vom 02.11.2020 bis 20.05.2021 in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl war auf die zur Verurteilung gelangte Tat vom 12.12.2018 sowie einer weiteren im Laufe des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Tat vom 05.02.2020 gestützt.
Mit Schreiben seines Verteidigers vom 02.06.2021 beantragte der Verurteilte, die durch Urteil des Landgerichts Freiburg vom 02.11.2020 (9/20 14 Ns 200 Js 29028/19) verhängte Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten nach Verbüßung von zwei Dritteln gem. § 57 Abs. 1 StGB zur Bewährung auszusetzen. Er habe nach Anrechnung der erlittenen Untersuchungshaft schon am 05.05.2021 zwei Drittel der Strafe verbüßt gehabt. Er habe sich vom 22.08.2019 bis 15.09.2019 (25 Tage), vom 20.11.2019 bis 16.12.2019 (27 Tage), vom 26.08.2020 bis 11.05.2021 (268 Tage) in Haft befunden. Die Untersuchungshaft in hiesiger Sache sei im Wechsel mit dem Haftbefehl im Verfahren 9/21 14 Ns 685 Js 23174/20 vollzogen worden, wo er zu einer Geldstrafe verurteilt worden sei. Die Untersuchungshaft sei stets als Überhaft im jeweils anderen Verfahren notiert gewesen.
Mit Verfügung vom 30.06.2021 ist die Staatsanwaltschaft Freiburg dem Antrag entgegengetreten. Dieser sei unzulässig, weil die zeitlichen Voraussetzungen für eine Strafaussetzung nicht vorlägen. Von der Freiheitsstrafe seien durch Anrechnung von Untersuchungshaft erst 170 Tage vollstreckt und damit weder der Halbstrafen-, noch der Zwei-Drittel-Zeitpunkt erreicht. Von der verfahrensfremden Untersuchungshaft im Verfahren 75 Ds 685 Js 23174/20 seien 50 Tage anzurechnen.
Mit Verfügung vom 19.07.2021 teilte die Staatsanwaltschaft Freiburg im Vollstreckungsverfahren (772 VRs 685 Js 23174/20) mit, dass 140 Tage Untersuchungshaft in dortigem Verfahren bereits angerechnet worden seien.
Mit Schreiben seines Verteidigers vom 27.08.2021 hielt der Verurteilte seinen Antrag auf Zwei-Drittel-Entlassung aufrecht und beantragte die Beiordnung seines Verteidigers als Pflichtverteidiger für das Vollstreckungsverfahren.
Mit Beschluss vom 12.10.2021 (33 Ds 200 Js 29028/19) hat das Amtsgericht Freiburg den Antrag auf Zwei-Drittel-Entlassung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Zwei-Drittel-Zeitpunkt noch nicht erreicht sei, da die im Verfahren 14 Ns 685 Js 23174/20 erlittene Untersuchungshaft zwingend zunächst auf die in jenem Verfahren mit Berufungsurteil des Landgerichts Freiburg vom 20.05.2021 ausgeurteilten Geldstrafen anzurechnen sei.
Zudem lehnte das Amtsgericht Freiburg mit weiterem Beschluss vom 12.10.2021 (33 Ds 200 Js 29028/19) den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung für das Vollstreckungsverfahren ab. Es liege kein Fall der notwendigen Verteidigung entsprechend § 140 Abs. 2 StPO vor.
Die Beschlüsse wurden dem Verteidiger des Verurteilten am 15.10.2021 zugestellt.
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Mit Schreiben seines Verteidigers vom 21.10.2021, eingegangen an diesem Tag, hat der Verurteilte gegen beide Beschlüsse des Amtsgerichts Freiburg vom 12.10.2021 sofortige Beschwerde eingelegt.
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In den genannten Verfahren befand sich der Verurteilte noch nicht in Strafhaft. Er befindet sich seit dem 20.05.2021 wieder auf freiem Fuß.
II.
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1. Die Beschwerdeverfahren 2 Qs 98/21 (Verwerfung des Antrags gem. § 57 Abs. 1 StGB) und 2 Qs 99/21 (Ablehnung des Antrags auf Pflichtverteidigerbestellung) werden in entsprechender Anwendung der §§ 2 ff. StPO verbunden, da ein enger Zusammenhang besteht. Das Verfahren 2 Qs 98/21 führt.
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2. Der Beschluss des Amtsgerichts Freiburg vom 12.10.2021 (33 Ds 200 Js 29028/19) betreffend die Ablehnung des Antrags gem. § 57 Abs. 1 StGB war dergestalt auszulegen, dass das Amtsgericht Freiburg, wie aus der Beschlussbegründung ersichtlich, nicht nur über den Antrag gem. § 57 Abs. 1 StGB, sondern zugleich gem. § 458 Abs. 1 StPO darüber entschieden hat, auf welche Strafe die im Verfahren 33 Ds 200 Js 29098/19 sowie die im anderweitigen Verfahren (9/21 14 Ns) 685 Js 23174/20 verbüßten Untersuchungshaftzeiten angerechnet werden. Grundsätzlich erfolgt die Anrechnung von Untersuchungshaftzeiten zwar kraft Gesetzes und ist von der Vollstreckungsbehörde zu beachten (vgl. Kinzig in Schönke/Schröder, 30. Aufl. 2019, StGB § 51 Rn. 16). Eine richterliche Entscheidung ist aber erforderlich in Fällen, in denen Freiheits- und Geldstrafe nebeneinander verhängt werden und deshalb klarzustellen ist, welche Strafe von der Anrechnung betroffen sein soll (vgl. Kinzig aaO). Soweit über die Berechnung der erkannten Strafe, insbesondere über die Anrechnung von Untersuchungshaft (vgl. Appl in KK-StPO, 8. Aufl. 2019, StPO § 458 Rn. 6) Zweifel entstehen, ist dann gem. § 458 Abs. 1 StPO die Entscheidung des Gerichts herbeizuführen.
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3. Dementsprechend war auch die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Freiburg vom 12.10.2021 (33 Ds 200 Js 29098/19) dergestalt auszulegen, dass sie sowohl gegen die Ablehnung des Antrags gem. § 57 Abs. 1 StGB, als auch gegen die Entscheidung gem. § 458 Abs. 1 StPO über die Anrechnung der Untersuchungshaftzeiten gerichtet ist.
15 
Diese gem. § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO bzw. gem. § 462 Abs. 3 StPO statthaften und auch im Übrigen zulässige sofortigen Beschwerden gegen den Beschluss des Amtsgerichts Freiburg vom 12.10.2021 (33 Ds 200 Js 29028/19), mit dem der Antrag auf Entlassung zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt gem. § 57 Abs. 1 Satz 1 StGB verworfen wurde und inzident auch über die Frage der Anrechnung der Untersuchungshaftzeiten gem. § 458 Abs. 1 StPO entschieden wurde, haben den tenorierten Erfolg.
16 
a) Zunächst war das Amtsgericht Freiburg für die Entscheidung über den Antrag gem. § 57 Abs. 1 StGB zuständig, da sich der Verurteilte noch nicht in Strafhaft befand (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 64. Aufl. 2021, § 454 Rn. 42). Ferner war das Amtsgericht Freiburg auch für die Entscheidung gem. § 458 Abs. 1 StPO zuständig, §§ 462 Abs. 1 Satz 1, 462a Abs. 2 StPO.
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b) Die Untersuchungshaft- und Hauptverhandlungshaftzeiten in beiden Verfahren, also auch die im Verfahren 9/21 14 Ns 685 Js 23174/20 verbüßten, sind gem. § 51 Abs. 1 StPO i.V.m. § 39 Abs. 1 Satz 1 StVollstrO vorrangig auf die im Verfahren (9/20 14 Ns 200 Js 29028/19) festgesetzte Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten anzurechnen.
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aa) Gem. § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB gilt: Hat der Verurteilte aus Anlass einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so wird sie auf zeitige Freiheitsstrafe und auf Geldstrafe angerechnet, wobei gem. Abs. 4 Satz 1 ein Tag Freiheitsentziehung einem Tagessatz entspricht. Die Regelung, die dem Wortlaut nach nur eine Anrechnung innerhalb desselben Verfahrens (Grundsatz der Verfahrenseinheit) vorsieht, ist gleichwohl nicht rein formal auszulegen. Diese Regelung soll wegen der verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 GG verbürgten Freiheit der Person eine möglichst umfassende Anrechnung ermöglichen (vgl. mit Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG: Maier in MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, StGB § 51 Rn. 8; Fischer StGB, 69. Auflage 2022, § 51 Rn. 6a). Sie ist daher weit auszulegen. Erforderlich ist, dass zwischen den Strafverfolgungen hinsichtlich der die Untersuchungshaft auslösenden Tat und der Tat, die der Verurteilung zugrunde liegt, ein Zusammenhang bestand oder zwischen ihnen ein irgendwie gearteter sachlicher Bezug vorhanden ist oder war. Deshalb sind die Anrechnungsvoraussetzungen auch dann anzunehmen, wenn die Verfahren formal getrennt geführt wurden, sich die vorläufige Freiheitsentziehung in anderer Sache aber auf den Gang des Verfahrens konkret ausgewirkt hat. Eine solche funktionale Verfahrenseinheit liegt insbesondere etwa dann vor, wenn in dem Verfahren das zu einer Verurteilung führte, zwar ein Haftbefehl erlassen, dieser aber nicht oder nicht dauerhaft vollzogen wurde, sondern hierfür Überhaft notiert war, weil in einem anderen Verfahren gegen denselben Beschuldigten bereits ein Haftbefehl vollstreckt wurde (vgl. zum Ganzen BGH, Beschl. v. 26.06.1997 - StB 30/96 und BVerfG Beschl. v. 28.09.1998 - 2 BvR 2232/94; Beschl. v. 15.05.1999 - 2 BvR 116/ 99). Ferner ist eine verfahrensfremde Untersuchungshaft auch dann anzurechnen, wenn zumindest eine potentielle Gesamtstrafenfähigkeit der Strafe besteht, auf die die Untersuchungshaft angerechnet werden soll (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.04.2001 - 2 BvQ 15/01; OLG Frankfurt a.M. Beschl. v. 26.06.2013 - 3 Ws 478/13; Fischer aaO; Maier aaO Rn. 22).
19 
§ 39 Abs. 1 Satz 1 StVollstrO bestimmt sodann, dass, wenn neben einer Freiheitsstrafe auf eine Geldstrafe erkannt worden ist, eine Anrechnung zunächst auf die Freiheitsstrafe erfolgt. Hintergrund dieser Regelung ist, dass grundsätzlich die Anrechnungsweise gewählt werden soll, die für die verurteilte Person am günstigsten ist und Freiheitsstrafe regelmäßig als das schwerere Übel einzustufen ist (vgl. Wittmann in BeckOK StVollstrO, 8. Ed. 15.6.2021, StVollstrO § 39 Rn. 2). § 39 Abs. 1 Satz 1 StVollstrO entspricht seinem Wortlaut nach § 51 Abs. 1 StGB und erfordert ebenfalls, dass die Untersuchungshaft oder Freiheitsentziehung aus Anlass einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, erlitten wurde. Die Beschwerdekammer ist der Auffassung, dass die oben befürwortete extensive Auslegung des § 51 Abs. 1 StGB konsequent durch eine extensive Auslegung des § 39 Abs. 1 Satz 1 StVollstrO begleitet werden muss. Denn § 39 Abs. 1 Satz 1 StVollstrO erwähnt § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB ausdrücklich und setzt die dort normierte Anrechnung voraus. Die Vorschrift des § 39 Abs. 1 StVollstrO knüpft funktional an die Vorschrift des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB an. Ferner gleichen sich die Vorschriften insoweit in ihrem Wortlaut. Auch kann nur durch eine einheitlich extensive Auslegung der verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 GG verbürgten Freiheit der Person möglichst umfassend Rechnung getragen werden. Ein sachlicher Grund, die Untersuchungshaft vorrangig mit einer verfahrensidentischen Geldstrafe zu verrechnen, ist demgegenüber nicht erkennbar.
20 
bb) Nach diesen Maßgaben sind vorliegend aber die in beiden Verfahren erlittenen Freiheitsentziehungen auf die mit Berufungsurteil des Landgerichts Freiburg vom 02.11.2020 (9/20 14 Ns 200 Js 29028/19) verhängte Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten anzurechnen.
21 
Dies sind zunächst die in vorliegendem Verfahren (9/20 14 Ns 200 Js 29028/19) erlittenen Freiheitsentziehungen der vorläufigen Festnahme am 22.08.2019, der Untersuchungshaft vom 23.08.2019 bis zum 15.09.2019 und vom 20.11.2019 bis zum 16.12.2019 sowie der Berufungshauptverhandlungshaft vom 26.08.2020 bis zum 01.11.2020.
22 
Zudem ist vorliegend die im Verfahren, das zum Berufungsurteil des Landgerichts Freiburg vom 02.11.2020 (9/21 14 Ns 685 Js 23174/20) führte, erlittene Untersuchungshaft vom 02.11.2020 bis zum 20.05.2021 gem. §§ 51 Abs. 1 Satz 1 StGB, 39 Abs. 1 Satz 1 StVollstrO anzurechnen. Diese Untersuchungshaft hat der Verurteilte zwar verfahrensfremd aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Freiburg vom 06.08.2020, zuletzt in der Fassung des Beschlusses des Amtsgerichts Freiburg vom 10.12.2020, im Verfahren 685 Js 23174/20 erlitten. In dieser Zeit war aber - bis zum 11.05.2021 - parallel auch im vorliegenden Verfahren (9/20 14 Ns 200 Js 29028/19) die Untersuchungshaft aufgrund Haftbefehls des Landgerichts Freiburg vom 02.11.2020 angeordnet, wenn diese aufgrund der verfahrensfremden Untersuchungshaft auch nur als Überhaft notiert war. Die verfahrensfremde Untersuchungshaft hat sich daher auf den Gang des Verfahrens (9/20 14 Ns 200 Js 29028/19) konkret ausgewirkt.
23 
Aber auch hinsichtlich der Zeit ab dem 12.05.2021 bis zum 20.05.2021 bestand trotz Wegfalls der Überhaft weiterhin ein die Anrechnung rechtfertigender, innerer Zusammenhang zwischen den beiden Verfahren, da zwischen der im hiesigem Verfahren (9/20 14 Ns 200 Js 29028/19) festgesetzten Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten und der im Verfahren des Landgerichts Freiburg (9/21 14 Ns 685 Js 23174/20) wegen der dort mit Urteil vom 20.05.2021 bezüglich der Tat Ziff. 2 ausgeurteilten Geldstrafe von 40 Tagessätzen eine tatsächliche Gesamtstrafensituation bestand und besteht.
24 
Nach alledem sind die Freiheitsentziehungen vom 22.08.2019 bis 15.09.2019 (25 Tage), vom 20.11.2019 bis 16.12.2019 (27 Tage), vom 26.08.2020 bis 01.11.2020 (68 Tage) sowie vom 02.11.2020 bis 20.05.2021 (200 Tage) und damit insgesamt 320 Tage vorrangig gem. § 39 Abs. 1 Satz 1 StVollstrO auf die mit Urteil des Landgerichts Freiburg vom 02.11.2020 (9/20 14 Ns 200 Js 29028/19) festgesetzte Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten anzurechnen. Da die Anrechnung bereits kraft Gesetzes eintrat, war die von der Staatsanwaltschaft Freiburg mit Verfügung vom 19.07.2021 im Verfahren 772 VRs 685 Js 23174/20 fälschlich mitgeteilte Anrechnung auf die Geldstrafen nur deklaratorischer Natur.
25 
c) Da somit bereits mehr als zwei Drittel der Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monate als verbüßt gelten, war der Antrag auf bewährungsweise Entlassung gem. § 57 Abs. 1 StGB zulässig. Der Beschluss des Amtsgerichts Freiburg vom 12.10.2021 war folglich aufzuheben und die Sache zur Entscheidung über die Begründetheit des Antrags gem. § 57 Abs. 1 StGB an das Amtsgericht Freiburg zurückzuverweisen.
26 
Dies gilt selbst vor dem Hintergrund, dass gem. § 460 StPO i.V.m. § 55 StGB noch eine nachträgliche Gesamtstrafe aus der Einzelgeldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10 Euro aus dem Urteil des Landgerichts Freiburg vom 20.05.2021 (9/21 14 Ns 685 Js 23174/20) wegen der dort festgestellten Tat Ziff. 2 und der mit Urteil des Landgerichts Freiburg vom 02.11.2020 (9/20 14 Ns 200 Js 29028/19) festgesetzten Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten zu bilden sein wird, worauf nochmals hingewiesen wird.
27 
4. Auch die gem. § 143 Abs. 7 Satz 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerechte sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Freiburg vom 12.10.2021 (33 Ds 200 Js 29028/19), mit dem es den Antrag auf Bestellung des Verteidigers des Verurteilten zum Pflichtverteidiger verworfen hat, hat in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Bestellung des Verteidigers zum Pflichtverteidiger in entsprechender Anwendung der §§ 140 Abs. 2, 141 StPO lagen im Vollstreckungsverfahren vor.
28 
Gem. § 140 Abs. 2 StPO liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung auch vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Diese Vorschrift findet entsprechende Anwendung auch im Vollstreckungsverfahren. Dabei muss zwar berücksichtigt werden, dass im Vollstreckungsverfahren im Verhältnis zum Erkenntnisverfahren ein geringeres Bedürfnis nach Mitwirkung eines Verteidigers besteht (vgl. nur KK-StPO/Willnow, 8. Aufl. 2019, StPO § 141 Rn. 11). Gleichwohl ist vorliegend die Mitwirkung eines Verteidigers aufgrund der aufgezeigten Schwierigkeit der Rechtslage geboten.
III.
29 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

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