Urteil vom Landgericht Kiel (2. Große Jugendkammer) - II KLs 15/04

Tenor

In Ergänzung des Urteils der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Kiel vom 1. Juli 2004 (II KLs 15/04) wird gegen den Verurteilten die Sicherungsverwahrung angeordnet.

Der Verurteilte trägt die Kosten des Nachverfahrens und die der Nebenklägerin im Nachverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.

Angewendete Vorschrift: § 66a StGB

Gründe

I.

1

Der Verurteilte wurde durch Urteil der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Kiel vom 1. Juli 2004 wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen und Verbreitung pornografischer Schriften in Form des sich Verschaffens in vier Fällen, schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen und Verbreitung pornografischer Schriften in Form des sich Verschaffens in zwei Fällen, sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in einem weiteren Fall, Besitzes pornografischer Schriften sowie vorsätzlicher Körperverletzung in einem weiteren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt. Die Kammer hat in diesem Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten.

2

Dem seit dem 9. Juli 2004 rechtskräftigen Urteil lagen folgende Feststellungen und rechtliche Würdigung zugrunde:

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“Von Oktober 2000 bis Oktober 2003 kam es zu einer Reihe sexueller Übergriffe des Angeklagten gegen seine Stieftochter. Diese fanden statt, wenn sich der Angeklagte in Ferien allein mit dem Mädchen in seiner Eigentumswohnung in ..., an Wochenenden in der von ihm gemieteten Wohnung in ..., oder in seinem Haus ..., zu Zeiten befand, zu denen die Zeugin ... arbeits- oder studienbedingt oder aus sonstigen Gründen abwesend war. Im Juli 2002 zeigte ein ebenfalls bei der Firma ... arbeitender Kollege des Angeklagten bei der Kriminalpolizei an, dass der Angeklagte während der Arbeit kinderpornografische Bilder aus dem Internet herunterlade. Aufgrund dessen wurden das Haus und der Arbeitsplatz des Angeklagten am 19. September 2002 durchsucht, wobei eine Reihe von Computern, Festplatten und externen Datenträgern, auf denen sich kinderpornografisches Material, u.a. Bilder von ..., befand, sichergestellt wurden. Nach Auswertung dieses Materials fand eine weitere Durchsuchung des Hauses am 31. Oktober 2003 statt, zugleich wurde der Angeklagte festgenommen und befindet sich seither aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Kiel vom gleichen Tage in Untersuchungshaft. Am 3. Dezember 2003 wurde auch die Mietwohnung des Angeklagten in ... durchsucht. Die dem Angeklagten konkret vorgeworfenen Taten stützen sich bis auf wenige Ausnahmen auf die von ihm selbst fotografisch festgehaltenen Übergriffe, im einzelnen konnten folgende Fälle konkretisiert werden:

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Fall 1 (Ziffer 1 der Anklage)

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Der Angeklagte verbrachte die Herbstferien 2000 allein mit der zwischenzeitlich 7-jährigen ... in seiner Ferienwohnung in .... Die Zeugin ... hatte sich zuvor darüber gewundert, dass er allein mit ... in Urlaub fahren wollte, zumal es keine Hochzeitsreise der Eheleute gegeben hatte. Der Angeklagte erklärte ihr dies damit, dass sie schließlich, weil sie gerade im Oktober ihr Studium begonnen habe, nicht mitfahren könne, das Kind aber andererseits deshalb ja nicht auf den Urlaub verzichten müsse und es im Übrigen um so besser deutsch lerne, wenn es mit ihm alleine sei.

6

An einem Tag dieses Urlaubs fertigte der Angeklagte mit einer Digitalkamera 3 Aufnahmen des unbekleideten Genitals seiner Stieftochter (jeweils Blatt 30 des Ermittlungsbandes EDV-Auswertung), wobei er sie dazu veranlasste, sich mit weit gespreizten Beinen auf den Rücken zu legen. Bei zweien dieser Aufnahmen forderte er sie auf, ihre Schamlippen mit den Fingern auseinander zu ziehen.

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Fall 2 (Ziffer 3 der Anklage)

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An einem weiteren Tag während dieses Urlaubs veranlasste er seine Stieftochter wiederum, sich bis auf ein ärmelloses T-Shirt auszuziehen. Er fertigte sodann drei Fotografien (jeweils Hülle Blatt 55 des Ermittlungsbandes EDV-Auswertung) von dem Genital des Mädchens. Bei der ersten Aufnahme musste sich das Mädchen hierbei mit dem Kopf und den Händen auf der Bettdecke abstützen und zugleich die Beine weit spreizen. Bei der nächsten Aufnahme musste sich das Mädchen auf den Rücken legen, die Beine weit spreizen und mit den Fingern die Schamlippen weit auseinanderziehen. Von dieser Aufnahme fertigte der Angeklagte eine Ausschnittvergrößerung. Bei der nächsten Aufnahme musste sich das Mädchen auf den Rücken legen und die Beine weit spreizen, wobei der zumindest am Unterkörper entkleidete Angeklagte seinen erigierten Penis derart an die Vagina des Mädchens drückte, dass die Eichel des Gliedes teilweise in den Scheidenvorhof des Mädchens eindrang.

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Fall 3 (Ziffer 5 der Anklage)

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Im Januar/Februar 2001 fuhr der Angeklagte mit seiner Stieftochter allein mit dem Zug nach ..., um dort einen von ihm gekauften PKW abzuholen. Da er die Schlüssel für die Mietwohnung vergessen hatte, übernachtete er mit dem Mädchen in einem Hotel. Diese Gelegenheit nutzte er, um das Mädchen dazu aufzufordern, sich lediglich mit einem Schlafanzugoberteil bekleidet auf den Bauch zu legen, die Beine zu spreizen und die Unterschenkel anzuwinkeln. Er fertigte sodann zwei Nahaufnahmen von ihrem Po. Das Mädchen musste sich außerdem auf den Rücken legen und wiederum mit den Fingern die Schamlippen auseinanderziehen, was er ebenfalls fotografisch festhielt (ebenfalls jeweils Hülle Blatt 55 des Ermittlungsbandes EDV-Auswertung).

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Fall 4 (Ziffer 6 der Anklage)

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Am 16. Februar 2001 veranlasste der Angeklagte in seinem Haus seine Stieftochter dazu, ihre Strumpfhose und Unterhose auszuziehen, so dass sie nur noch mit einem Sweatshirt bekleidet war, und mit gespreizten Beinen zu posieren, was er wiederum fotografierte. Dann musste sich das Mädchen auf den Rücken legen, die Beine in Spagathaltung spreizen und die Schamlippen erneut, diesmal extrem auseinanderziehen, was der Angeklagte wiederum in einem Lichtbild festhielt. Er fertigte ein weiteres Lichtbild von dem unbekleideten Genital des Mädchens, das das Kind diesmal zusammendrücken musste. Außerdem penetrierte er die Scheide des Kindes mit seinem erigierten Penis, wobei ... sein Glied festhalten musste (sämtliche Bilder dieser Serie ebenfalls in der Hülle Blatt 55 des Ermittlungsbandes EDV-Auswertung), indem er die Eichel seines Gliedes fast vollständig in den Scheidenvorhof des Kindes einführte.

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Fall 5 (Ziffer 2 der Anklage)

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Im Frühjahr (März/April) 2001 forderte er ... in seiner Mietswohnung auf, sich auszuziehen, und sich mit bis zur Spagathaltung gespreizten Beinen auf das Bett zu legen, um von dem Genital des Mädchens ein Foto zu fertigen (ebenfalls Hülle Blatt 55 des Ermittlungsbandes EDV-Auswertung).

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Fall 6 (Ziffer 4 der Anklage)

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In den Sommerferien 2001 verbrachte der Angeklagte erneut einen Urlaub allein mit ... in .... Hierbei veranlasste er seine nur mit einem gelben Nachthemd bekleidete Stieftochter, auf einem Sofa einen Kopfstand zu machen und dabei die Beine auseinander zu nehmen, womit wiederum der Unterleibsbereich des Mädchens zu sehen war. Zudem forderte er sie auf, sich mit gespreizten Beinen auf das Sofa zu setzen und ihre Schamlippen in extremer Weise auseinander zu ziehen, wovon er eine Nahaufnahme fertigte (Hülle Blatt 55 des Ermittlungsbandes EDV-Auswertung).

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Fall 7 (Ziffer 7 der Anklage)

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An einem nicht näher bestimmbaren Tag Anfang Oktober 2003 fuhr die Zeugin ... studienbedingt zu einem Seminar mit dem Zug nach Hamburg. Der Angeklagte nutzte diese Gelegenheit, um ... aufzufordern sich auszuziehen und zu ihm ins Bett zu kommen. Anschließend drückte er seinen erigierten Penis an die Scheide des Kindes und versuchte, in sie einzudringen. Als dies nicht gelang, rieb er seinen Penis an ihrer Vagina, bis er zum Samenerguss kam. Er ejakulierte auf den Bauch seiner Stieftochter und wischte das Sperma dann mit einem Lappen weg.

19

Fall 8 (Ziffer 8 der Anklage)

20

Bei den Durchsuchungen des Hauses und des Arbeitsplatzes des Angeklagten bei der Firma am 19. September 2002 wurden neben den in den Fällen 1 bis 6 beschriebenen kinderpornografischen Bildern zwei vom Angeklagten 1981 in Amsterdam gekaufte ca. 11 Minuten lange Super-8-Filme sichergestellt. Auf dem ersten wird die anale und vaginale Penetration eines ca. 12-jährigen Mädchens durch einen etwa 30-jährigen Mann dargestellt, ferner musste das Mädchen den Mann oral befriedigen. Auf dem zweiten wird wechselseitiger Oralverkehr sowie Vaginalverkehr in verschiedenen Stellungen zwischen einem etwa 10-jährigen Jungen und einem gleichaltrigen Mädchen gezeigt.

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Fall 9 (Ziffer 11 der Anklage)

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Anfang Oktober 2003 aß der Angeklagte zusammen mit der Zeugin ..., einer Studienkollegin der Zeugin sowie ... im Haus .... Der Angeklagte ärgerte sich darüber, dass ... seiner Meinung nach nicht schnell genug mit dem Essen fertig wurde. Er beschäftigte sich sodann mit dem Abwasch. Als die Zeugin ihre Tochter etwas fragte, antwortete diese mit wenigen Worten. Der Angeklagte, der darüber erbost war, dass sie mit vollem Mund gesprochen hatte, schlug ihr daraufhin mit einem Küchensieb aus Tupperware auf den Kopf. Hierbei zog sich das Kind an einem der kleinen Kunststofffüßchen des Siebes eine schließlich sehr stark blutende Wunde zu. Der Angeklagte fuhr mit ihr daraufhin ins Krankenhaus, um diese behandeln zu lassen.

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Bei den Fällen 1 bis 7 handelt es sich nur um einen Ausschnitt aus einer Vielzahl sexueller Situationen ähnlicher Art, die sich über die Fälle 1 bis 7 hinaus jedoch nicht mehr konkretisieren lassen. Oftmals hat das Mädchen hierbei zum Ausdruck gebracht, dass sie das nicht wolle, worüber sich der Angeklagte hinwegsetzte. Bei einem Teil der nicht mehr konkretisierbaren Fälle kam es ebenfalls zu einem Reiben des erigierten Gliedes an der Scheide des Mädchens bis zum Samenerguß.

...

IV.

24

Der Angeklagte hat sich in den Fällen 1, 3, 5 und 6 des sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB schuldig gemacht, indem er ein Kind dazu bestimmte, dass es sexuelle Handlungen an sich vornahm. Tateinheitlich verwirklichte er hierzu den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 2 Nr. 2 StGB, da es sich bei ... gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB um eine Person unter 16 Jahren handelte, die ihm zur Erziehung anvertraut war. Denn ... lebte mit dem Angeklagten, ihrem Stiefvater, der für sich in Anspruch nimmt, weitgehende Verantwortung für die Eingliederung des Mädchens in Deutschland und insbesondere dessen schulischen Werdegang übernommen zu haben, sowie ihrer Mutter in häuslicher Gemeinschaft und war ihm während der Urlaube in ... (Fälle 1 und 6) sowie der Aufenthalte in ... (Fälle 3 und 5) sogar allein anvertraut. Das von dem Angeklagten veranlasste Posieren der Schutzbefohlenen diente auch ersichtlich dem Zweck, sich sexuell zu erregen. In den genannten Fällen verwirklichte er jeweils tateinheitlich hierzu weiter den Tatbestand der Verbreitung pornografischer Schriften in Form des Sichverschaffens gemäß § 184 Abs. 5 Satz 1 StGB, indem er es unternahm, sich den Besitz von pornografischen Schriften, denen gemäß § 11 Abs. 3 StGB Bildträger, mithin auch elektronisch gespeicherte Informationen wie Bilder, gleichstehen, zu verschaffen, die den sexuellen Missbrauch eines Kindes zum Gegenstand haben.

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In den Fällen 2 und 4 machte er sich wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar, da er mit einem Kind den Beischlaf vollzog, indem er sein erigiertes Glied in den Scheidenvorhof des Mädchens einführte. Jeweils tateinheitlich hierzu verwirklichte er den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB, da er hiermit an einer Schutzbefohlenen sexuelle Handlungen vornahm. Jeweils in Tateinheit hierzu steht wiederum die Verbreitung pornografischer Schriften in Form des Sichverschaffens gemäß § 184 Abs. 5 Satz 1 StGB.

26

Im Fall 7 beging der Angeklagte einen sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB, indem er sexuelle Handlungen an ... vornahm. Dies steht in Tateinheit zum sexuellen Missbrauch einer Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB.

27

Im Fall 8 hat er sich des Besitzes pornografischer Schriften gemäß § 184 Abs. 5 Satz 2 StGB schuldig gemacht.

28

Im Fall 9 ist er wegen vorsätzlicher Körperverletzung gemäß § 223 StGB zu bestrafen.

29

Die Fälle 1 bis 9 stehen zueinander in Tatmehrheit gemäß § 53 StGB.“

30

Die Kammer hat für die festgestellten Taten folgende Einzelstrafen verhängt:

31

Für die Fälle 1, 3 und 6 eine Freiheitsstrafe von jeweils einem Jahr,

32

für Fall 5 eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten,

33

für die Fälle 2 und 4 eine Freiheitsstrafe von jeweils zwei Jahren sechs Monaten,

34

für Fall 7 eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren sechs Monaten,

35

für Fall 8 eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten und

36

für Fall 9 eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten.

37

Aus diesen Einzelstrafen hat sie dann eine Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren gebildet.

38

Zur Anordnung der Sicherungsverwahrung hat die Kammer im Urteil vom 1. Juli 2004 Folgendes ausgeführt:

39

„VI.

40

Die Kammer hat ferner gemäß § 66a Abs.1 StGB die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten.

41

Gemäß § 66a Abs.1 StGB erfolgt die Verurteilung in vorliegender Sache wegen in § 66 Abs.3 S.1 StGB genannter Straftaten, nämlich wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen gemäß § 174 StGB, sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176 StGB und des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176a StGB.

42

1. Auch die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung liegen vor.

43

a) Der Angeklagte hat gemäß § 66 Abs.3 S.2 StGB nicht nur zwei, sondern sogar drei Straftaten der in § 66 Abs.3 S.1 StGB bezeichneten Art begangen, die aufgrund der verwirkten Freiheitsstrafen von mindestens 2 Jahren im Rahmen des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung zu berücksichtigen sind. Es handelt sich hierbei um die verwirkten Einzelstrafen von jeweils 2 Jahren 6 Monaten in den Fällen 2 und 4 (jeweils schwerer sexueller Missbrauch eines Kindes jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen) und 7 (sexueller Missbrauch eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen). Unter Außerachtlassung der Fälle 1, 3, 5, 6, 8 und 9, welche aufgrund ihres Strafmaßes von unter zwei Jahren im vorliegenden Zusammenhang nicht berücksichtigt werden dürfen, hätte die Kammer bei - hypothetischer - Gesamtstrafenbildung aus den Einzelstrafen der Fälle 2, 4 und 7 eine Gesamtfreiheitsstrafe von weit über drei Jahren verhängt.

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b) Davon unabhängig sind auch die formellen Voraussetzungen für den Vorbehalt der Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß §§ 66a Abs.1, 66 Abs.3 S.3, Abs.2 StGB erfüllt. Hiernach finden vorsätzliche Straftaten der in § 66 Abs.3 S.1 StGB bezeichneten Art Berücksichtigung, für die der Täter Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat und von denen zumindest drei vorliegen müssen, wenn er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Über die Fälle 2, 4 und 7 hinaus sind nach diesen Vorschriften damit auch die Fälle 1, 3 und 6 (sexueller Missbrauch eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen) in die Würdigung mit einzubeziehen, für die der Angeklagte Einzelstrafen von jeweils einem Jahr verwirkt hat. Bei hypothetischer Gesamtstrafenbildung unter Außerachtlassung der Fälle 5, 8 und 9 hätte die Kammer, wie sich bereits aus den Ausführungen unter a) ergibt, ebenfalls eine Gesamtfreiheitsstrafe von weit über drei Jahren verhängt.

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2. Bei dem Angeklagten besteht im Sinne des § 66 Abs.1 Nr.3 StGB ein Hang zu erheblichen Straftaten.

46

Die von ihm wiederholt begangenen Straftaten sind nicht Konflikts-, Gelegenheits- oder Augenblickstaten, sondern sie beruhen auf einem durch Anlage und Übung erworbenem eingeschliffenen Verhaltensmuster. Dies ergibt sich aus dem erheblichen Zeitraum seines straffälligen Lebens sowie der Ähnlichkeit der jeweiligen Begehungsweise und der Beziehungsmuster, in die die Straftaten eingebunden waren. Diese reichen, auch wenn es im Falle von ... und ... nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung gekommen ist, zurück bis 1978/1979, als er erstmalig sexuelle Handlungen an einem Kind weiblichen Geschlechts, nämlich der damals fünf/sechs Jahre alten ..., von der er sich wiederholt das Geschlechtsteil zeigen ließ, dieses auch anfasste und daran manipulierte, vornahm. In den folgenden Jahrzehnten wiederholte sich die sexuelle Kontaktaufnahme des Angeklagten zu Kindern mehrfach. Auch ... fasste er im 1981 im Genitalbereich an, der sexuelle Missbrauch von ... erstreckte sich über mehrere Monate des Jahres 1982, derjenige von ... von 1985 bis 1989 und schließlich die Taten zu Lasten von ... von Oktober 2000 bis Oktober 2003. Die Taten richteten sich jeweils gegen Mädchen in jüngstem Alter, so war ... bei deren Begehung fünf/sechs Jahre alt, ... neun Jahre, ... acht/neun Jahre, ... acht bis zwölf Jahre und ... sieben bis zehn Jahre alt. Während die Missbrauchshandlungen sich zunächst auf das Anfassen des weiblichen Geschlechtsteils beschränkten, steigerte sich dessen Intensität frühzeitig deutlich über das Manipulieren des erregten Gliedes zwischen den Schenkeln des Mädchens mit Samenerguss, manuelle Befriedigung durch das Mädchen und versuchter Geschlechtsverkehr bis zum vollendeten Geschlechtsverkehr, wobei allerdings zu bemerken ist, dass die enorme Frequenz und Intensität des Falles ... (mindestens 300 Mal Geschlechtsverkehr) bei ... nicht erreicht wurde.

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Auch die Beziehungsstrukturen, aus denen heraus die Straftaten begangen wurden, waren mehrfach ähnlich. So handelte es sich bei vier Mädchen um eine Tochter der jeweiligen Lebensgefährtin des Angeklagten, auch war nach den Angaben das Angeklagten in die Beziehung zu seiner damaligen Lebensgefährtin eingegliedert, so kümmerte man sich um die Einschulung des aus sozial schwachen Verhältnissen kommenden Mädchens, es habe sich bei ... um eine Art Pflegekind gehandelt. Hierbei gelang es dem Angeklagten, wie sich bereits aus der Vielzahl der jeweils über längere Zeiträume zu Lasten von ... begangenen Einzeltaten ergibt, Mutter und Tochter räumlich und persönlich von einander zu trennen. Er nahm dabei die Mädchen im jeweiligen Einverständnis mit deren Mutter auch allein zu Urlaubs- und Ausflugsaufenthalten in ... oder ... mit und verging sich dort an ihnen.

48

Bei den Taten des Angeklagten ist mithin ein auch durch Übung erworbenes, sehr eingeschliffenes Verhaltensmuster erkennbar. Dieses ist auch ”durch Anlage erworben”, es beruht nämlich auf seiner sexuellen Veranlagung. So hat der Sachverständige in seinem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten überzeugend festgestellt, dass die pädophile Seite des Sexuallebens für den Angeklagten seit Jahrzehnten eine zentrale Bedeutung hat und es sich hierbei um eine fixierte, chronische, die Biographie des Angeklagten durchziehende Hauptströmung, nicht etwa um eine Nebenströmung handelt. Dabei ist nach den Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung und des Ausführungen des Sachverständigen auch ”Normsexualität” mit erwachsenen Frauen vorhanden, zumal der Angeklagte eine zehnjährige Beziehung zu ... schildert und zum dritten Mal dreimal verheiratet ist, der Angeklagte empfand diese jedoch zumindest nach einer gewissen Zeit eher als ”flau” oder ”fad”, so dass diese Sexualität als Nebenströmung in den Hintergrund getreten ist.

49

Das eingeschliffene Verhaltensmuster korrespondiert damit, dass bei dem Angeklagten eine Unrechtseinsicht auch zum jetzigen Zeitpunkt - wie bereits unter V. ausgeführt - nur in ersten zaghaften Ansätzen zu erkennen ist. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass der Angeklagte ihm gegenüber angegeben habe, seine frühere Uneinsichtigkeit habe sich in etwas anderes gewandelt, was er jedoch nicht habe exakt benennen können, als emotional getragene Reue und Schuldempfinden habe sich dies dem Sachverständigen in der Exploration jedoch nicht dargestellt, zumal er auch den vorliegenden Fall immer wieder als quasi einvernehmlich geschildert und den Eindruck zu erwecken gesucht habe, dass die Aktivitäten und Manipulationen dem Mädchen Freude gemacht hätten. Er gebe an, inzwischen zu wissen, dass Sexualität mit Kindern trotz Einvernehmlichkeit strafbar sei, die emotionale Einbettung dieser Äußerungen lasse jedoch nicht den Eindruck aufkommen, dass damit eine eigene moralische Wertung verbunden sei. Dieser Eindruck hat sich auch in der Hauptverhandlung bestätigt. Die Art und Weise der Darstellung des Sachverhalte durch den Angeklagten hat bei der Kammer den Eindruck entstehen lassen, dass er das von ihm begangene Unrecht weitgehend nicht sieht, Schuldempfinden und Reue war bei ihm nicht spürbar. Beispiele für die ausgesprochen bagatellisierende Darstellung des Angeklagten und dafür, dass er den Kindern an verschiedenen Stellen eine Ursachensetzung zuschob, bot die Hauptverhandlung zu Hauf. Er blendet mithin weitgehend aus, dass die Missbrauchssituationen von ihm gesucht und geplant herbeigeführt werden. So erklärte er etwa, er habe bei ..., deren unbekleidetes Genital er gesehen habe, als sie mit einem Kleid aber ohne Unterhöschen bekleidet sich in seinem Garten aufgehalten habe, ”mal anfassen” dürfen, das Küsschengeben mit ... sei auf Resonanz gestoßen und teilweise von ihr ausgegangen, ... habe das Anfassen gemocht und desgleichen habe er festgestellt bei ..., dies sei der Forscheranteil in ihm gewesen. Die erste sexuelle Erregung wegen ... habe er gespürt, als diese sich zu ihm und seiner Frau ins Bett gelegt habe - entsprechend bei ..., die auf Geheiß ihrer Mutter wegen kalter Füße in sein Bett gehüpft sei -, wobei ... gegen sein Geschlechtsteil gekommen sei, in einer Situation habe ihn das Rumturnen von ... zum Fotografieren veranlasst. Auch seine Darstellung, er sei bei den Nacktaufnahmen von ... regelmäßig nicht ausgezogen gewesen, zu den Bildern, auf denen sein Penis zu sehen sei, sei es gekommen, weil ... sich nur habe ausziehen wollen, wenn er dies ebenfalls tue, war für die Kammer nicht glaubhaft und erkennbar von dem Bemühen getragen, sein Verhalten zu verharmlosen. Soweit der Angeklagte etwa bei ... das Vorhandensein von erotischen Gefühlen schildert, so geht dies, wie der Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, mit einer Fehleinschätzung der kindlichen Gefühle und Reaktionsmöglichkeiten einher. An verschiedenen Stellen der Hauptverhandlung suchte er die Schuld bei anderen, so sei es zu manchen Übergriffen auf ... gekommen, als ... ihn mit den Kindern allein gelassen habe oder in die Stadt gegangen sei, um dort Alkohol zu trinken, zu einem Übergriff auf ... (Fall 7), als die Zeugin ... nicht gewollt habe, dass er und ... sie zu einem Termin begleiteten. Die vorangegangenen Urteile hat der Angeklagte nicht akzeptiert. Das Urteil des Amtsgerichts Kiel vom 8. Februar 1985 hat er als Fehlurteil abgetan, weil er den Begriff des Missbrauchs, mit dem er eine Gewaltkomponente verbunden habe, auf sein Tun nicht angewendet wissen wollte. Die Verurteilung in Sachen ... hat bei ihm keine positive Wirkung aus dem Grund gehabt, dass die nachfolgende Behandlung in der Justizvollzugsanstalt, wo man ihm keinerlei Lockerungen und insbesondere keinen Freigang gewährt habe, wodurch er seine Arbeitsstelle verloren habe, schlecht gewesen sei. Dass es mit der Unrechtseinsicht des Verurteilten und seinem Schuldbewusstsein nicht weit her ist, zeigt sich an seiner Erklärung in der Hauptverhandlung, dass er erstmalig mit seiner Festnahme am 31. Oktober 2003 realisiert habe, dass er ein Problem habe. Ihm ist allerdings zugute zu halten, dass er in den vergangenen Monaten erstmalig zu der Erkenntnis gekommen ist, dass dieses Problem nicht allein intellektuell und mithin auch nicht von ihm allein zu lösen ist, sondern dass er hierzu therapeutischer Hilfe bedarf. Er zeigt mithin nunmehr erste Ansätze für eine Unrechtseinsicht und Therapiebereitschaft. Soweit er sich unmittelbar nach seiner Festnahme an verschiedene Personen und Institutionen zwecks Information über die vorhandenen Therapiemöglichkeiten gewendet hat, muss dies vor dem Hintergrund der drohenden Sanktionen gesehen werden.

50

Der Hang des Angeklagten richtet sich auch auf erhebliche rechtswidrige Taten. Dass der Gesetzgeber insbesondere Sexualdelikte hierzu zählt, ergibt sich aus den hierfür vorgesehenen erheblichen Strafen und aus der Existenz von § 66 Abs.3 S.1 StGB (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl. 2004, § 66, Rn. 19). Dies gilt im Hinblick darauf, dass diese Taten regelmäßig mit der Gefahr schwerer seelischer Schädigungen verbunden sind, insbesondere für den sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB und umso mehr für den schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176a Abs.1 Nr.1 StGB.”

51

Die Kammer hat in dem Urteil vom 1. Juli 2004 ferner im Einzelnen ausgeführt, dass bei dem Verurteilten eine naheliegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass er für die Allgemeinheit infolge des festgestellten Hanges gefährlich ist.

52

Es bestand nach damaliger Einschätzung der Kammer aufgrund der Gutachtens des Sachverständigen die Möglichkeit, die Gefährlichkeit des Verurteilten durch eine Psychotherapie in Kombination mit medikamentöser oder operativer Kastration herabzusenken. Aus diesem Grund hat die Kammer die Gefährlichkeit des Verurteilten nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen können und die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten. Sie hat mit dem Sachverständigen die Verlegung des Verurteilten in die Sozialtherapie der Justizvollzugsanstalt zur Durchführung einer solchen Psychotherapie befürwortet.

II.

53

In der jetzigen Hauptverhandlung hat die Kammer darüber hinaus folgende Feststellungen getroffen:

54

1. Der Verurteilte wuchs bei seinen Eltern zunächst in Hessen auf. Sein Vater war als Zivilangestellter der US-Streitkräfte in Ramstein tätig, so dass die Familie in die Nähe von ... umzog, als der Verurteilte 5 Jahre alt war.

55

Der Verurteilte wurde im Alter von 5 Jahren eingeschult und schloss mit 13 oder 14 Jahren die Hauptschule ab. Er begann eine Lehre als Elektromechaniker, von der er nach der Zwischenprüfung in den Lehrberuf des Elektroinstallateurs wechselte. Zwischen 1966 und 1974 verrichtete der Verurteilte seinen Dienst bei der Bundesmarine und nahm dabei u.a. auch an Lehrgängen in den USA teil. Aufgrund einer Lungentuberkulose verließ der Verurteilte 1974 die Bundesmarine, holte kurz zuvor in der Abendschule den Realschulabschluss und die Fachhochschulreife nach und begann dann ein Studium an der Fachhochschule, das er 1976 als Dipl.-Ingenieur der Nachrichtentechnik abschloss. Danach arbeitete er 4 Jahre lang im Schiffbau und war dann von 1980 bis Anfang 1993 in mehreren Unternehmen, u.a. auch in ... tätig. Von 1996 bis 1998 absolvierte der Verurteilte eine Ausbildung im EDV-Bereich bei der Deutschen Angestelltenakademie und nahm im Anschluss daran von Januar bis Juni 2000 an einer Qualifizierungsmaßnahme zum Netzwerk-/Internetadministrator teil. Von November 2000 bis September 2002 arbeitete der Verurteilte bei der Firma, einer Ausbildungsfirma für IT-Systemelektroniker bzw. PC-Techniker als Dozent. In der Zeit von Februar bis Ende Mai 2003 arbeitete der Verurteilte bei der Firma.

56

1970 heiratete der Verurteilte das erste Mal, wobei diese Ehe bereits nach kurzer Zeit wieder geschieden wurde. Im Oktober 1991 heiratete der Verurteilte seine zweite Ehefrau, diese Ehe wurde Ende der 90-iger Jahre geschieden. Am 9. August 2000 heiratete der Verurteilte das dritte Mal, die Mutter der Nebenklägerin. Diese Ehe ist zwischenzeitlich auch geschieden. Während seiner ersten Ehe war der Verurteilte darüber hinaus mit seiner jetzigen Lebensgefährtin liiert. Aufgrund der örtlichen Entfernung zwischen ... und ... traf sich der Verurteilte aber im Laufe der Zeit immer seltener mit ..., so dass die Beziehung letztlich abbrach. Im Sommer 2003 stieß ... bei einer Internetrecherche auf den Namen des Verurteilten und schrieb diesem eine Email. Nach einiger Zeit antwortete der Verurteilte ihr aus der Untersuchungshaft in der vorliegenden Sache. In der Folgezeit besuchte ... den Verurteilten immer häufiger in der JVA und es entstand erneut eine Beziehung zwischen beiden.

57

2. Der Verurteilte ist vorbestraft.

58

Das Amtsgericht Kiel verurteilte ihn am 8. Februar 1985 wegen fortgesetzten sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten, wobei die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dem lag zugrunde, dass der Angeklagte, der mit der Mutter der damals Geschädigten 8 oder 9 Jahre alten ... von März bis November 1982 eine Beziehung führte, sich von der Geschädigten manuell befriedigen ließ, sie aufforderte, sein Glied zu lecken und sein Glied bis zum Samenerguss zwischen ihren Schenkeln rieb . Der Angeklagte versuchte, mit ihr den Geschlechtsverkehr auszuführen und führte hierzu sein erregtes Glied an die Scheide des Mädchens; zum vollendeten Geschlechtsverkehr kam es nicht, da ... dies nicht wollte. Die Staatsanwaltschaft und der Verurteilte legten gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung ein. Diese Berufungen wurden in der Verhandlung vor dem Landgericht Kiel am 10. Dezember 1985 zurückgenommen. Der Verurteilte befand sich in dieser Sache vom 28. Februar 1983 bis zum 31. März 1983 in Untersuchungshaft. Die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung wurde später durch Beschluss des Amtsgerichts Kiel vom 27. August 1987 wegen Verstoßes gegen die ihm gemachte Geldauflage in Höhe von 1.800,-- DM widerrufen, so dass er vom 6. Juni 1988 bis zum 12. September 1988 Strafhaft verbüßen musste. Das Ministerium für Justiz des Landes Schleswig-Holstein setzte am 12. September 1988 die Vollstreckung der Reststrafe im Gnadenwege aufgrund einer vom Verurteilten an die Stiftung Straffälligenhilfe Schleswig-Holstein geleisteten Zahlung von 5.000,00 DM bis zum 31. März 1992 erneut aus. Am 9. März 1993 verfügte die Gnadenbehörde einen Straferlass, welcher später widerrufen wurde, so dass er erneut Strafhaft in dieser Sache verbüßte.

59

Am 22. Juli 1993 wurde der Verurteilte vom Amtsgericht Kiel wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu 4 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der Verurteilte in der Zeit zwischen 1985 und 1989 während seiner zweiten Ehe die am 16. März 1975 geborene Tochter seiner Ehefrau sexuell missbrauchte. Auf die Berufung des Verurteilten erkannte das Landgericht Kiel am 15. April 1994 auf eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren. Das Landgericht stellte hierzu fest:

60

„Ab 1985 gelang es dem Angeklagten dann, in das Bett von ... zu kommen, sie zu streicheln, mit ihr zu kuscheln und sie an intimen Stellen wie Brust und Scheide anzufassen. In dieser Zeit erfuhr der Angeklagte auch von der Zeugin, dass sie im Alter von 4/5 Jahren einmal von ihrem leiblichen Vater vergewaltigt worden war. Er erklärte ... deshalb auch zur Begründung seiner sexuellen Handlungen, dass er ihr dadurch helfen wolle, über die Geschichte mit ihrem Vater hinwegzukommen. Außerdem sagte er ihr, dass es schön sei „Liebe zu machen“. Sie könne stolz auf die Beziehung zu ihm sein, denn „welches Mädchen habe das schon mit 8 Jahren“.

61

Im Laufe der Zeit gab es dann einen schleichenden Übergang dazu, dass der Angeklagte mit ... den Geschlechtsverkehr ausübte. Der erste Geschlechtsverkehr fand nach ca. 1/2 Jahr statt, noch bevor ... ihre erste Regelblutung - mit 9 Jahren - hatte. Die sexuellen Handlungen des Angeklagten zu seiner Stieftochter dauerten bis 1989, als ... 12 Jahre alt war. Während dieser Zeit - von 1985 bis 1989 - übte der Angeklagte an Wochenenden durchschnittlich zweimal mit ... den Geschlechtsverkehr aus, im Urlaub auch häufiger. Lediglich, wenn ... ihre Regelblutung hatte, fand kein Geschlechtsverkehr statt. Die Familie war in der Zeit von 1987/88 etwa fünf- bis zehnmal in ... in Urlaub. In den Herbstferien 1988 war ... mit dem Angeklagten elf Tage allein in ... in Urlaub. Weihnachten 1988 verbrachte der Angeklagte mit ... und ... in ..., im Sommer 1989 machte die Familie eine Ferienreise.

62

Danach steht fest, dass der Angeklagte von 1985 bis 1989 in mindestens 300 Fällen mit ... den Geschlechtsverkehr ausübte.“

63

Der Verurteilte war ab dem 23. März 1993 zunächst in Untersuchungshaft, nach Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Kiel ab dem 15. April 1994 in Strafhaft, bis der mit der Strafe aus dem Urteil vom 8. Februar 1985 gemeinsame 2/3-Zeitpunkt erreicht war. Die Vollstreckung des Strafrestes in beiden Sachen wurde durch Beschluss der 6. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kiel vom 2. August 1995 zur Bewährung mit einer Bewährungszeit von 4 Jahren ausgesetzt. Dem Angeklagten wurde die Weisung erteilt, die in der JVA bei dem Diplom-Psychologen begonnene Sexualtherapie fortzusetzen und nicht ohne Zustimmung der Strafvollsteckungskammer abzubrechen. Der Verurteilte hat zu dieser Therapie ausgeführt, es sei wenig über die früheren Taten gesprochen worden, der Therapeut habe ihm mehr bei praktischen Dingen wie der Vermietung seines Hauses u.ä. geholfen. Die Bewährungszeit wurde aufgrund einer weiteren Verurteilung bis zum 1. August 2000 verlängert und schließlich der Strafrest in beiden Sachen durch Entscheidung der 5. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kiel vom 19. September 2000 bzw. 27. September 2000 erlassen.

64

Am 9. Dezember 1999 verurteilte das Amtsgericht Kiel den Verurteilten wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15,00 DM.

65

Darüber hinaus wurden gegen den Verurteilten weitere Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs geführt. Ein Verfahren, in dem es darum ging, dass der Verurteilte, wie er eingeräumt hat, 1978/1979 bei der 5 oder 6 Jahre alten ..., die für ihn und seine Lebensgefährtin eine Art Pflegekind war, mehrfach in seinem Garten an der Scheide manipuliert hat, wurde später wegen Verjährung eingestellt. Der Verurteilte hat angegeben, dass durch dieses Mädchen in den Jahren 1978/1979 sein Interesse an vorpubertären Mädchen geweckt worden sei, als sie ein Kleid ohne Unterhose getragen habe. Ein weiteres Verfahren wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs an der etwa 9 Jahre alten ... wurde im Mai 1982 gem. § 170 Abs.2 StPO eingestellt. Der Verurteilte hat hierzu angegeben, er habe im Rahmen der Beziehung zur Mutter der Geschädigten das Mädchen im Genitalbereich angefasst und sie geküsst.

66

3. Nach Rechtskraft des Urteils der Kammer vom 1. Juli 2004 wurde die verhängte Freiheitsstrafe ab dem 22. Juli 2004 im Regelvollzug in der JVA Lübeck vollstreckt. 2/3 der Strafe hatte der Verurteilte am 28. Februar 2007 verbüßt, am 29. Oktober 2008 wird die Strafe vollständig vollstreckt sein.

67

Der Verurteilte stellte im August 2004 einen Antrag auf Verlegung in die sozialtherapeutische Abteilung der JVA. Dieser wurde nach einer Anhörung zunächst abschlägig beschieden, wogegen der Verurteilte die gerichtliche Entscheidung beantragte. Das Oberlandesgericht Schleswig hob die ablehnenden Entscheidungen der Justizvollzugsanstalt und des Ministeriums auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an die JVA zurück. Daraufhin wurde der Verurteilte am 27. März 2006 zunächst in die Wohngruppe C3 der sozialtherapeutischen Abteilung der JVA aufgenommen. Aufgrund der langfristigen Erkrankung des dort zuständigen Psychologen wurde der Verurteilte sodann am 18. Mai 2006 in die Wohngruppe C1 der sozialtherapeutischen Abteilung verlegt. Er kam dort zunächst in der Probezeit für 3 Monate in eine Einführungsgruppe, wurde aber andererseits auch direkt in das Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter aufgenommen. In der Sozialtherapie absolvierte er insgesamt 16 gruppentherapeutische Sitzungen. Daneben nahm der Verurteilte an Einzelgesprächen mit dem psychologischen Psychotherapeuten der Anstalt wahr. Nach dem eigentlichen Ablauf der Probezeit nach 3 Monaten wurde aufgrund einer Entscheidung der gesamten Abteilung der sozialtherapeutischen Anstalt die Probezeit für den Verurteilten um weitere 3 Monate verlängert, weil er noch nicht ausreichend mit den Therapeuten zusammenarbeitete, um eine endgültige Aufnahme in die Sozialtherapie vorzunehmen. In der Folgezeit besuchte der Verurteilte weiterhin die therapeutischen Sitzungen des Behandlungsprogramms für Sexualstraftäter. Zum Ende der verlängerten Probezeit wurde der Verurteilte aus der sozialtherapeutischen Abteilung der JVA in den Regelvollzug zurückverlegt, da er nach Einschätzung der dortigen Mitarbeiter - nach den glaubhaften Aussagen der Zeugen ... (Leiterin der sozialtherapeutischen Abteilung), ... (behandelnder Psychotherapeut) und ... (begleitender Sozialpädagoge) - keine hinreichende Therapieeinsicht und innere Beteiligung zeige und zuviel Energie in Beschwerdevorgänge und die Vorbereitung der vorzeitigen Entlassung investiere. Eine weitere psychologische Betreuung des Verurteilten fand im Regelvollzug nicht statt.

68

Der Verurteilte ist nicht zur Kastration bereit und strebt eine ambulante Sexualstraftätertherapie beim Sozialen Dienst der Stadt außerhalb der Haft an. Er hat dazu Briefkontakt mit dem dortigen Therapeuten aufgenommen und die äußeren Bedingungen für die Aufnahme in die Therapie geklärt.

III.

69

Die Kammer hat am 6. Januar 2006 die Akte für die Entscheidung über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung gemäß § 66a Abs.2 StGB von der Staatsanwaltschaft zurückerfordert. Mit Beschluss vom 13. Januar 2006 wurde erneut Herr ...als Sachverständiger bestellt. Dieser kündigte an, im Hinblick auf die beabsichtigte Hauptverhandlung im Juli 2006 ein vorbereitendes schriftliches Gutachten im Mai 2006 vorlegen zu können. Im April 2006 erörterte der Vorsitzende der Kammer mit dem Verteidiger, Rechtsanwalt ..., die Terminslage. Es wurde auch im Hinblick darauf, dass die Sozialtherapie für den Verurteilten erst im März 2006 begonnen habe, abgesprochen, dass die Hauptverhandlung zur Entscheidung über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung am 18. August 2006 beginnen solle. Nach Rücksprache mit dem Verurteilten erklärte sich der Verteidiger mit dieser Verfahrensweise einverstanden, so dass der Vorsitzende der Kammer Termine zur Hauptverhandlung für den 18., 22. und 23. August 2006 anberaumte. Der Verteidiger erklärte, dass er unter diesen Umständen nicht einwenden werde, dass die Kammer zu spät terminiert habe. Das vorbereitende, schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom 29. Juni 2006 ging am 13. Juli 2006 bei der Kammer ein. Am 3. August 2006 teilte das Büro des Sachverständigen telefonisch mit, dass der Sachverständige bis zum 15. September 2006 krank geschrieben sei. Daraufhin wurden die Termine zur Hauptverhandlung ab dem 18. August 2006 wegen der Erkrankung des Sachverständigen aufgehoben und neue Termine anberaumt für den 04., 06., 11. und 13. Oktober 2006. Nachdem der Sachverständige mit Schreiben vom 18. September 2006 mitteilen ließ, dass er weiterhin bis zum 27. Oktober 2006 krank geschrieben sei, wurden die Hauptverhandlungstermine im Oktober 2006 aufgehoben. Die Kammer bestellte mit Beschluss vom 19. September 2006 vorsorglich Prof. ... zum weiteren Sachverständigen. Dieser teilte mit, dass er mit der Bearbeitung des Gutachtenauftrages nicht vor Ende November 2006 beginnen könne. Nachdem der Sachverständige weiterhin bis zum 31. Januar 2007 krank geschrieben war, entpflichtete die Kammer diesen Sachverständigen mit Beschluss vom 10. Januar 2007. Unter dem 17. Januar 2007 legte Prof. ... sein vorbereitendes schriftliches Gutachten vor.

IV.

70

In der Hauptverhandlung zur Entscheidung über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung hat sich der Verurteilte dahingehend eingelassen, dass der Lebenslauf, so, wie er in dem Urteil der Kammer vom 01. Juli 2004 dargestellt wurde, richtig sei, mit der Ausnahme, dass die erste Eheschließung 1970 stattgefunden habe. Er hat seine Angaben insoweit ergänzt, als er wie festgestellt über die Beziehung zu ... berichtete. Auch die Angaben zu früheren Ermittlungs- und Strafverfahren sowie zu den damit zusammenhängenden Vollstreckungsverfahren hat er bestätigt.

71

Der Verurteilte hat ferner in Übereinstimmung mit den Zeugen ... und ... Angaben zum äußeren Haftverlauf gemacht und sich im übrigen zum Vollzug wie folgt eingelassen:

72

In der Strafhaft nach Rechtskraft des Urteils am 09.07.2004 habe er sich zunächst vergeblich um die Aufnahme in die Sozialtherapie bemüht. Er habe den Eindruck gehabt, dass die JVA nicht bereit gewesen sei, das vom Sachverständigen vorgesehene Programm zur Durchführung einer Therapie mit Kastration, wie es in der Entscheidung der Kammer vom 1. Juli 2004 zum Ausdruck komme, mit ihm durchzuführen. Man habe ihm sehr frühzeitig gesagt, dass eine Kastration mit den Mitteln der therapeutischen Betreuung in der JVA nicht in Betracht komme. Er habe diverse Anträge gestellt und keine alternativen Behandlungsangebote erhalten. Für ihn sei deshalb nach kurzer Zeit schon die einzig denkbare Perspektive gewesen, dass er nach Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe vorzeitig entlassen werde und sich dann in eine ambulante Behandlung begebe, während er ein neues Leben mit seiner Lebensgefährtin aufbaue. Er habe kein Vertrauen mehr zu der therapeutischen Betreuung in der JVA, weil man ihn dort permanent missverstanden habe und die von dem Sachverständigen vorgesehene stufenweise Behandlung mit Kastration so nicht mit ihm durchführen wolle. Er habe erwartet, dass er in der Psychotherapie und in dem Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter Mittel an die Hand bekomme, in Zukunft die von ihm in der Vergangenheit begangenen Sexualstraftaten zu vermeiden. Es sei aber wegen der schwierigen Gesamtsituation mit diversen Anträgen zur Aufnahme in die Sozialtherapie und Teilnahme an Computerprogrammen wenig über die sexuellen Probleme gesprochen worden, so dass kein Fortschritt in der Therapie erreicht werden konnte. Er sei trotz Anratens der sozialtherapeutischen Abteilung nicht bereit gewesen, auf einen Antrag auf vorzeitige Entlassung zum 2/3-Termin zu verzichten, da nach seiner Auffassung die Zeit, die er ohne seinen Willen im Regelvollzug verbracht habe, verlorene Zeit sei, die er nicht zu verantworten habe. Darüber hinaus habe er sich von der Justizvollzugsanstalt nicht in seine Freizeitgestaltung, insbesondere in einen Briefwechsel mit einer inhaftierten Spanierin und in seine zukünftige Lebensplanung hineinreden lassen wollen. Die Entscheidung über die Verlängerung der Probezeit habe er nicht verstanden und auch nicht entsprechend erläutert bekommen. Daher habe er die Teilnahme an einem weiteren psychologischen Testverfahren verweigert. Die anschließende Rückverlegung in den Regelvollzug sei für ihn ein derartiger Schock gewesen, dass er sich mit seinen Taten erneut intensiv auseinandergesetzt habe. Er habe viel gelesen und darüber nachgedacht, so dass er nunmehr das Unrecht seiner Taten einsehe und bemüht sei, durch seine zukünftige Lebensplanung nicht wieder in die Gefahr der Begehung solcher Straftaten zu gelangen. Deshalb wolle er nach einer vorzeitigen Entlassung ein Leben mit Frau ... aufbauen und im Rahmen der sozialen Dienste der Stadt ... an einer ambulanten Sexualstraftätertherapie teilnehmen. Eine Kastration - gleich in welcher Form - lehne er ab. Seine früheren Straften beruhten nach seiner Einschätzung nicht auf einem Sexualtrieb, sondern vielmehr auf einem Kindheitstrauma. Er habe als Kind dafür Schläge bekommen, dass er einem Mädchen beim Urinieren zugesehen und später über deren Geschlechtsteil gesprochen habe. Bei den Straftaten habe er sich nicht befriedigen wollen, sondern es habe den jeweiligen Mädchen gefallen. Ursache für die Taten sei jedenfalls kein sexuelles Problem bei ihm, denn zur Befriedigung des Geschlechtstriebes habe er jeweils seine Partnerinnen gehabt. Weil ihm jetzt bewusst sei, dass er in Beziehungen mit Frauen, die minderjährige Töchter haben, gefährdet sei, sei er nun für solche Taten nicht mehr anfällig. Er wolle mit Frau ... eine Beziehung führen, diese habe erwachsene Kinder.

V.

73

Die Kammer hat im Nachverfahren die Sicherungsverwahrung angeordnet.

74

Die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Nachverfahren gemäß § 66a StGB ist trotz Überschreitung der Frist des § 66a Abs.2 S.1 StGB zulässig.

75

Nach § 66a Abs.2 S.1 StGB entscheidet das Gericht über die Anordnung der Sicherungsverwahrung spätestens 6 Monate vor dem Zwei-Drittel-Zeitpunkt des § 57 Abs.1 StGB. Diese Frist hat die Kammer aufgrund der Erkrankung des zunächst beauftragten Sachverständigen nicht eingehalten.

76

Nach Auffassung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 14.12.2006 - 3 StR 269/06; StV 2007, 129) stellt diese Frist keine bloße Ordnungsvorschrift, sondern vielmehr eine grundsätzlich verbindliche materiellrechtliche Voraussetzung für die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung dar, deren Überschreitung dazu führe, dass eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht mehr in Betracht komme, unabhängig davon, aus welchem Grund die Frist nicht eingehalten worden ist (so auch Ullenbruch in MünchKomm, StGB, § 66a Rdnr. 40 ff und Frister in SK - StPO, § 275a Rdnr. 9). Abgesehen davon, dass das vorliegende Verfahren mit dem Fall, der der Entscheidung des BGH zugrundelag - das Landgericht hatte dort zum spätesten Entscheidungszeitpunkt das Nachverfahren noch nicht einmal eingeleitet - nicht vergleichbar ist, teilt die Kammer die Auffassung des BGH nicht. Die Frist des § 66a Abs.2 S.1 StGB stellt eine Soll-Vorschrift dar. Die Überschreitung der Frist hindert die Anordnung der Sicherungsverwahrung regelmäßig nicht (Gollwitzer in LR - StPO, 25. A. , Nachtrag § 275a StPO Rdnr. 37; Meyer-Goßner 49. A., § 275a StPO Rdnr. 5; Voll in KMR 8. A., § 275a Rdnr 6; Stree in Schönke-Schröder, StGB, 27. A., § 66a Rdnr. 6; Peglau, JR 2002, 449). Auch der 1. Strafsenat des BGH hat in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2005 (1 StR 324/05; StV 2006, 63) jedenfalls die Überschreitung der Frist um wenige Tage für unschädlich gehalten, wenn der Verzögerungsgrund nicht direkt im Verantwortungsbereich der Justiz liege. Der 3. Strafsenat hat in seiner Entscheidung offengelassen, wie in einem solchen Fall zu entscheiden sei, ohne dass für die Kammer ersichtlich ist, wie bei Annahme einer Ausschlussfrist die auch nur geringfügige Überschreitung der Frist zulässig werden und wo die Grenze für ein unschädliches Überschreiten der Frist gezogen werden könnte.

77

Aus dem Wortlaut und den Gesetzesmaterialien ergibt sich nicht, welche Folgen eine Fristüberschreitung nach sich zieht, so dass aus dem Wortlaut der Norm nicht auf eine Ausschlussfrist geschlossen werden muss (so offenbar auch der 1. Strafsenat a.a.O). Es gibt auch sonst Vorschriften, in denen Fristen bestimmt werden, deren Überschreitung nicht zu Konsequenzen führt. So folgt aus der Überschreitung der Frist des § 115a Abs.1 StPO nicht die Freilassung des Beschuldigten, und die Überschreitung der Frist des § 121 Abs.1 StPO führt nicht zur Aufhebung des Haftbefehls. Der 5. Strafsenat des BGH hat in seinem Beschluss vom 9. November 2006 (5 StR 349/06) ausgeführt, der Senat neige zu der Auffassung, dass die besondere Unterbrechungsfrist von 11 Tagen in § 268 Abs.3 StPO nur noch als nicht revisible Ordnungsvorschrift anzusehen sei, obwohl nach dem Wortlaut der Norm bei Nichteinhaltung der Frist ”mit der Hauptverhandlung von neuem” zu beginnen ist.

78

Im Verfahren nach § 66a StGB ist zu klären, ob die zunächst nicht sicher feststellbare Gefährlichkeit des Täters vorliegt. Hierzu ist gemäß § 66a Abs.2 S.2 StGB eine Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und seiner Entwicklung während des Strafvollzuges vorzunehmen. Hieraus folgt, dass die Hauptverhandlung im Nachverfahren nicht zu früh durchgeführt werden darf, damit für die Beurteilung der Entwicklung des Verurteilten im Vollzug eine ausreichende Grundlage vorhanden ist (Gollwitzer a.a. O. Rdnr. 8 und 37; Ullenbruch a.a.O. Rdnr. 43). Wesentlich aus diesem Grund hat die Kammer die Hauptverhandlung auf einen kurz vor dem sich aus § 66a Abs.2 S.1 StGB ergebenden Zeitpunkt anberaumt; andernfalls hätten sich noch keine tragfähigen Schlüsse aus der erst Ende März 2006 begonnenen Sozialtherapie ziehen lassen. Unter solchen oder ähnlichen Umständen wird es sich häufig nicht vermeiden lassen, dass das Nachverfahren bei Beginn der Sechsmonatsfrist noch nicht abgeschlossen ist. Die Entscheidung ergeht nach Durchführung einer den allgemeinen Regeln folgenden Hauptverhandlung mit allen Unwägbarkeiten und denkbaren Verzögerungsgründen. Würde die Fristüberschreitung dazu führen, dass die Anordnung einer Sicherungsverwahrung schon aus diesem Grund nicht mehr möglich wäre, würde dies zu nicht mehr hinnehmbaren Ergebnissen führen, die dem Zweck der Sicherungsverwahrung nicht gerecht werden. Die Auffassung des 3. Strafsenats des BGH birgt die Gefahr bewusster Verfahrensverzögerungen und einer vorzeitigen Terminierung der Tatgerichte zulasten der Sachaufklärung. In Fällen, in denen das Ausgangsverfahren lange gedauert und der Angeklagte lange Zeit in Untersuchungshaft gesessen hat (möglicherweise über den Fristbeginn des § 66a StGB hinaus), wird das Verfahren nach § 66a StGB häufig ausscheiden. Die Konsequenzen lassen sich nach Auffassung der Kammer auch nicht mit dem Gesichtspunkt der Planungssicherheit für den Verurteilten rechtfertigen, zumal die Entscheidungen nach § 66a StGB häufig mit der Revision angefochten werden dürften und schon deshalb Planungssicherheit tatsächlich nicht besteht. Auch gibt es im Zeitpunkt des Ablaufs der Frist gem. § 66a Abs.2 S.1 StGB schon deshalb keine Planungssicherheit für den Verurteilten, da auch über eine vorzeitige Entlassung zum 2/3-Termin noch nicht entschieden ist . Darüber hinaus könnte sich aus den genannten Gründen die mit der Entscheidung des 3. Strafsenats erwünschte Planungssicherheit auch zu Lasten der Sachaufklärung und damit zum Nachteil des Verurteilten auswirken. Insofern kann auch eine allenfalls sehr eingeschränkt bestehende Planungssicherheit für den Verurteilten in der Abwägung nicht den Schutz der Allgemeinheit überwiegen, zu dessen Zweck die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung eingeführt wurden.

VI.

79

Auch die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. §§ 66, 66a StGB liegen vor.

80

1. Die Kammer hat bereits im Urteil vom 1. Juli 2004 festgestellt, dass bei dem Verurteilten ein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten, die für die Allgemeinheit gefährlich sind, im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB vorliegt.

81

Unabhängig von der Frage einer Bindung an die dortigen Feststellungen zum Hang hat die Kammer auch in der jetzigen Hauptverhandlung einen solchen Hang des Verurteilten festgestellt.

82

Insofern hat der Sachverständige überzeugend dargelegt, dass bei dem Verurteilten eine ausgeprägte pädophile Attraktion auf präpuberale Mädchen vom nicht exklusiven Typ vorliegt. Bei dieser Pädophilie handele es sich hier nicht um eine Neben-, sondern um eine Hauptströmung. Dafür spreche, dass die Faszination durch junge Mädchen bereits in der Pubertät entstanden sei. Bereits seit den 70-iger Jahren habe es immer wieder sexuelle Missbrauchshandlungen an deutlich präpuberalen Mädchen gegeben, wobei er in der von ihm gewählten Beziehungsstruktur häufig altersadäquate Partnerinnen als Zugang zu deren Töchtern genutzt habe. Darüber hinaus liege bei dem Verurteilten eine weiterhin erheblich akzentuierte Persönlichkeit vor. Er weise insbesondere paranoide, zwanghafte und narzisstische Persönlichkeitszüge auf. Es liege aber keine krankheitswertige Persönlichkeitsstörung vor, weil diese Persönlichkeitszüge nicht seit Kindheit und Jugend überdauernd festzustellen seien. Vielmehr ergebe sich aus dem Lebenslauf des Verurteilten, dass sich diese Persönlichkeitszüge im Laufe des Erwachsenenlebens entwickelt haben. Auffällig sei bei dem Verurteilten ferner eine Empathielosigkeit gegenüber seinen Partnerinnen und seinen Opfern.

83

Der Verurteilte kenne diese Persönlichkeitsstrukturen durch die Vorgutachten und Urteile. Er weise aber im Umgang mit seinen Neigungen nach wie vor ein unverändertes Muster auf, in dem er seine Taten gegenüber den Mädchen bagatellisiere, mögliche Schäden bei den Opfern in Frage stellte und nach wie vor der Meinung sei, dass die Taten nicht Ausfluss seines Sexualtriebes seien. Er habe bis heute keine tiefgreifende Einsicht in eine Veränderungsnotwendigkeit, so dass es sich nach wie vor um eine eingeschliffene Handlungsweise handele.

84

Diesen überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen schließt sich die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme an. Der Verurteilte hat selbst in entsprechender Weise zu den Fragen des Gerichts Stellung genommen, so dass deutlich wurde, dass eine tiefgreifende Einsicht in notwendige Veränderungen nicht vorhanden und vor allem nachhaltige therapeutische Einflussnahme auf die Lebensführung des Angeklagten auch wegen seiner akzentuierten Persönlichkeit kaum möglich ist und daher die über Jahrzehnte eingeschliffene Verhaltensweise nach wie vor zum Tragen kommen wird. Soweit die Verteidigung auf mögliche Missverständnisse der Darstellung des Verurteilten gegenüber dem Sachverständigen zu seiner früheren Einstellung und einer jetzt abweichenden Sichtweise bezüglich der Taten hingewiesen hat, schließt die Kammer aus, dass der Sachverständige und das Gericht den Verurteilten in seinen Angaben missverstanden haben. Auch auf klarstellende Fragen hat der Verurteilte nach wie vor keine Veränderungsbereitschaft und Problemerkenntnis erkennen lassen.

85

2. Zur Überzeugung der Kammer sind aufgrund des Ergebnisses der Hauptverhandlung gemäß § 66a Abs.1 S.2 StGB von dem Verurteilten auch nach Verbüßung der mit Urteil vom 1. Juli 2004 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe weiterhin Straftaten zu erwarten, durch welche die Opfer seelisch schwer geschädigt werden, so dass er gefährlich i.S.d. § 66 Abs.1 Nr.3 StGB ist.

86

Der Verurteilte hat in der Vergangenheit seit Ende der 70er Jahre vielfach Taten des sexuellen Missbrauchs von Kindern begangen, er ist zweimal einschlägig vorbestraft und hat weitere Taten zum Nachteil von .. und ... eingeräumt. Bisher haben ihn gerichtliche Maßnahmen wie Verurteilungen, die Verbüßung von Untersuchungs- und Strafhaft nicht von weiteren solchen Taten abhalten können, obwohl er - wie er selbst erklärt hat - das Unrecht seines Handelns kannte. Der Verurteilte handelte immer im Beziehungsgefüge mit der jeweiligen Mutter der Geschädigten, wobei er selbst die Voraussetzungen schaffte, die den teilweise über lange Zeit unentdeckten Missbrauch möglich machten. Aus der Beweisaufnahme ergibt sich, dass die Gefahr der Rückkehr in diese Strukturen, in denen der Verurteilte einen großen Teil seines Lebens verbracht hat, nach wie vor besteht, da in der Haft keine wirksame therapeutische Behandlung stattgefunden hat und der Verurteilte diese auch nicht mehr will.

87

Der Sachverständige kommt in seinem überzeugenden Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Verurteilte nach wie vor keine innere Ein- bzw. Umkehr zeige. Die von ihm geäußerte Erkenntnis in das Unrecht seiner bisherigen Taten erscheine aufgesetzt, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb er diese Erkenntnis angeblich jetzt gewonnen habe. Bei dem Verurteilten handele es sich um einen intelligenten Mann, der bereits mehrfach vorbestraft ist. Aufgrund seines Intellekts und zumindest wegen der Vorstrafen und verbüßten Strafhaft habe dieser erkannt, dass es sich bei seinem Verhalten um Straftaten handelte. Aber auch eine äußere Problemerkenntnis reiche nicht aus, um in Zukunft Taten des sexuellen Missbrauchs an Kindern zu verhindern. Der Verurteilte verkenne nach wie vor die innere Dynamik seiner Neigung. Er erkenne insbesondere die Pädophilie als innere Neigung nicht an. Die von dem Verurteilten angestrebte ambulante Sexualstraftätertherapie beim Sozialen Dienst in ... bilde keine ausreichende Grundlage zur psychotherapeutischen Bearbeitung dieser Neigung. Der Verurteilte zeige keine wirkliche Änderungsbereitschaft, sondern fokussiere sich allein darauf, wie in den bisherigen Therapieansätzen Formalien zu diskutieren. Diese Haltung gegenüber den Therapeuten wird durch die glaubhaften Angaben der Zeugen ... und ... bestätigt. Daraus ergebe sich, so der Sachverständige, dass keine tiefgreifende Einsicht bei dem Verurteilten vorhanden sei. Zwar sei der Verurteilte kurzfristig durch Verbüßung der Strafhaft, wie auch schon früher, beeindruckt. Die Therapiefähigkeit des Verurteilten sei aber schon deshalb beschränkt, weil seine Persönlichkeitszüge eine innere Beteiligung in seinen Verhaltensweisen kaum zuließen. Daher bestehe nach wie vor eine Rückfallgefahr bei dem Verurteilten von über 50 % und eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass er trotz einer angestrebten Beziehung zu ... Kontakt zu Müttern mit Mädchen im entsprechenden Alter suchen werde.

88

Diese überzeugende Einschätzung des Sachverständigen findet die Kammer in der Einlassung des Verurteilten bestätigt, so dass sich eine bestehende Gefährlichkeit des Verurteilten aus der Beweisaufnahme in der jetzigen Hauptverhandlung ergibt. Der Verurteilte ist nach seiner eigenen Einlassung nicht bereit, in der JVA weitere Therapieangebote wahrzunehmen und wird sich insbesondere nicht einer Kastration unterziehen, so dass auch die 2004 in Aussicht genommene Möglichkeit der notwendigen therapeutischen Beeinflussung der Neigung des Verurteilten jedenfalls jetzt nicht mehr besteht.

89

Die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist verhältnismäßig, da die von dem Verurteilten zu erwartenden Straftaten eine erhebliche Gefahr für die seelische Gesundheit der möglichen Opfer darstellen und andere gerichtliche Maßnahmen wie langfristige Strafhaft in der Vergangenheit den Verurteilten nicht von Straftaten haben abhalten können.

VII.

90

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465, 472 StPO.

91

Der Verurteilte hat auch die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin im Nachverfahren zu tragen, da die Zulassung der Nebenklage gemäß Beschluss der Kammer vom 26. Februar 2007 auch im Verfahren zur Entscheidung über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung fortgilt.

92

Bei dem Verfahren zur Entscheidung über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung handelt es sich um den zweiten Teil einer einheitlichen, wenn auch zeitlich aufgespaltenen Hauptverhandlung der ersten Instanz, und erst mit dieser Entscheidung ist das Erkenntnisverfahren als Ganzes abgeschlossen (Löwe/Rosenberg Bd. 8, 25. Aufl., Nachtrag zu § 275a StPO, Rn. 1). Insofern handelt es sich weiterhin um eine öffentliche Klage im Sinne des § 395 StPO, bei der die Nebenklägerin auch in diesem Verfahrensteil zugelassen werden muss (Meyer-Goßner, 49. Aufl., § 275a StPO, Rn. 9; Karlsruher Kommentar, 5. Aufl. § 275a StPO, Rn. 4). Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass die Nebenklägerin zwar im ersten Teil des Verfahrens bis zum Urteil des Landgerichts Kiel vom 1. Juli 2004 bereits beteiligt war und ihre Interessen wahrnehmen konnte. Doch besteht das legitime Interesse der Nebenklage an der weiteren Beteiligung fort, da Grund für den Vorbehalt und die nachfolgende Prüfung der Sicherungsverwahrung die abgeurteilten Taten sind. Dagegen ist Anlass für die Prüfung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung, dass nachträglich Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Der Entscheidung der Kammer stehen die Entscheidungen des BGH und des OLG Brandenburg, nach denen die Nebenklage im Verfahren über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. § 66b StGB nicht zulässig ist (BGH 1 StR/27/06 v. 24.03.2006, OLG Brandenburg NStZ 2006, 183f.), nicht entgegen. In den Entscheidungen wird zur Begründung insbesondere darauf abgestellt, der Gesetzgeber habe die Nebenklage im Verfahren über die nachträgliche Sicherungsverwahrung offenbar nicht zulassen wollen, da er zunächst (mit Gesetz vom 24. Juni 2004) die Nebenklage für das Sicherungsverfahren nach §§ 413 ff. StPO ausdrücklich zugelassen, eine entsprechende Regelung für das Verfahren der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei dessen zeitnaher Einführung (mit Gesetz vom 23. Juli 2004) demgegenüber nicht getroffen habe. Dieses Argument gilt aber für die Frage der Zulässigkeit der Nebenklage im Verfahren über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung nicht, da § 275a StPO als Regelung der Verfahrensregeln bei vorbehaltener Sicherungsverwahrung bereits längere Zeit bestand, als einerseits die Zulässigkeit der Nebenklage im Sicherungsverfahren und andererseits das Verfahren über die nachträgliche Sicherungsverwahrung eingeführt wurden.

93

Der Umstand, dass die Nebenklage gem. § 400 StPO kein eigenes Anfechtungsrecht bei Ablehnung der Sicherungsverwahrung hat, steht der Zulässigkeit der Nebenklage im Erkenntnisverfahren über diese Frage nicht entgegen. Denn die Zulässigkeit der Nebenklage wird auch sonst durch das beschränkte Anfechtungsrecht nicht berührt, etwa im Sicherungsverfahren gemäß § 413 StPO und bei der öffentlichen Klage ohne Verhandlung über Sicherungsverwahrung. Auch in Rechtsmittelverfahren, in denen es aufgrund einer Beschränkung des Rechtsmittels durch den Angeklagten oder die Staatsanwaltschaft nur noch um die Bemessung der Rechtsfolgen geht, ist die Nebenklage trotz § 400 StPO weiterhin am Verfahren beteiligt.


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