Beschluss vom Landgericht Stralsund (23. Strafkammer) - 23 Qs 52/07

Tenor

Dem Verurteilten wird von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist gewährt.

Der Beschluss des Amtsgerichts Stralsund vom 28.02.2007 (Az: 41 VRJs 13/00) wird aufgehoben.

Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung über die Fortdauer der Vollstreckung der Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Die im Beschwerdeverfahren angefallenen Kosten und notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

1

Mit Urteil vom 02.07.1998, rechtskräftig seit demselben Tage, ordnete das Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Rostock die Unterbringung des ... in einem psychiatrischen Krankenhaus an und setzte die Vollstreckung der Maßregel zunächst zur Bewährung aus (Az: 31 Ls 5/98 = 322 Js 2382/98 StA Rostock). Der Verurteilte hatte im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit die Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen und des versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern begangen. Das Jugendschöffengericht sprach ihn wegen der genannten Straftaten schuldig, sah aber gemäß § 5 Abs. 3 JGG von der Verhängung von Jugendstrafe ab.

2

Mit Beschluss vom 03.11.1999, rechtskräftig seit dem 20.11.1999, widerrief das Amtsgericht Rostock die Aussetzung der Vollziehung der angeordneten Maßregel. Wegen der Einzelheiten des Widerrufsbeschlusses wird auf Bl. 13 ff. d. VH Bezug genommen.

3

Seit dem 02.12.1999 befindet sich der Verurteilte im Maßregelvollzug der Klinik für Forensische Psychiatrie der Hansestadt S (jetzt H-Klinikum S GmbH).

4

Nach Anhörung des Verurteilten am 15.02.2007 hat das Amtsgericht Stralsund mit Beschluss vom 28.02.2007 die weitere Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung ausgesetzt und den Verurteilten angewiesen, seinen Wohnsitz in der (geschlossenen) H Pflege- und Heimeinrichtung in S zu nehmen und beizubehalten (Ziff. 5 des Beschlusses). Wegen der Einzelheiten der Anhörung wird auf das Protokoll vom 15.02.2007 (Bl. 205/206 d. VH) und wegen der Einzelheiten des Beschlusses vom 28.02.2007 auf Bl. 207 - 209 d. VH verwiesen.

5

Gegen den ihm am 05.03.2007 zugestellten Beschluss (Bl. 210 d. VH) haben die Eltern des Verurteilten als dessen Betreuer mit Schreiben vom 12.03.2007, bei dem Amtsgericht Stralsund am 14.03.2007 eingegangen, Beschwerde eingelegt, die sich gegen die Weisung richtet, dass der Verurteilte Wohnsitz in der H Pflege- und Heimeinrichtung in S zu nehmen hat (Bl. 213/214 d. VH). Ausweislich der von seiner Verteidigerin mit Schriftsatz vom 10.05.2007 (Bl. 238 ff. d. VH) näher ausgeführten Beschwerdebegründung gewähre ihm die H Pflegeeinrichtung keinen strukturierten Tagesablauf, mache keine therapeutischen Angebote und unterstütze ihn nicht dabei, zukünftig ein eigenständiges Leben in Freiheit zu führen. Das psychiatrische Pflege- und Förderheim der Diakonie in N biete hingegen entsprechende therapeutische Maßnahmen an, mit der Aufnahme in diese Einrichtung sei er einverstanden.

6

Die Staatsanwaltschaft Rostock hat beantragt, die Beschwerde des Verurteilten gegen den amtsgerichtlichen Beschluss zu verwerfen.

7

Die Kammer hat durch den Berichterstatter als beauftragten Richter den Beschwerdeführer gemäß § 2 JGG, § 308 Abs. 2 StPO angehört. Auf das Anhörungsprotokoll vom 28.09.2007 (Bl. 288 d. VH) wird insoweit Bezug genommen.

II.

8

(1) Das von dem Verurteilten eingelegte, als sofortige Beschwerde auszulegende Rechtsmittel, das sich gegen die Entscheidung des Jugendrichters als Vollstreckungsleiter nach § 463 StPO (Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in Verbindung mit der hierzu angeordneten Weisung, Aufenthalt in der H-Einrichtung zu nehmen) richtet, ist gemäß § 83 Abs. 1, Abs. 3 JGG statthaft und zulässig.

9

Zwar wendet sich der Beschwerdeführer ausdrücklich lediglich gegen die Weisung Ziff. 5 des Beschlusses vom 28.02.2007; grundsätzlich ist die isolierte Anfechtung von Weisungen gemäß §§ 463 Abs. 3, 454 Abs. 4 i. V. m. § 453 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 StPO auch zulässig, insoweit ist auch im Anwendungsbereich des JGG die einfache Beschwerde das zutreffende Rechtsmittel (Ostendorf, JGG, 4. Aufl. § 88 Rdnr. 16). Im hier zu beurteilenden Fall ist jedoch die isolierte Anfechtung der Bewährungsweisung Ziff. 5 als Teilanfechtung des Beschlusses vom 28.02.2007 und damit Beschränkung des Rechtsmittels unwirksam. Für die Teilanfechtung von Beschlüssen mit der Beschwerde gelten die gleichen Grundsätze wie für die Rechtsmittelbeschränkung bei der Berufung und der Revision. Danach hängt die Wirksamkeit der Beschränkung des Rechtsmittels davon ab, ob der angefochtene Teil der Entscheidung gegenüber dem nicht angefochtenen derart selbständig ist, dass er eine gesonderte (isolierte) Nachprüfung und Beurteilung erlaubt (OLG Koblenz, NStZ 1987, 24, 25). An dieser Selbständigkeit fehlt es u. a. dann, wenn der angefochtene und der nicht angefochtene Teil der Entscheidung in rechtlich unzulässiger Weise miteinander verknüpft sind, denn die Auflösung einer solchen Verknüpfung ist nicht möglich, ohne das damit auch dem nichtangefochtenen Teil der Entscheidung die Grundlage entzogen wird (OLG Koblenz, a.a.O.; a.A.: OLG Schleswig, SchlHA 1991, 118).

10

Hier war die Weisung, Wohnsitz in der H Pflege- und Heimeinrichtung in S zu nehmen und beizubehalten, tragende Grundlage für die Entscheidung des Vollstreckungsleiters, den weiteren Vollzug der Maßregel zur Bewährung auszusetzen. Ausweislich der Begründung des Beschlusses vom 28.02.2007, die sich maßgeblich auf die Äußerung des am 15.02.2007 angehörten Oberarztes der Maßregelklinik ... stützt, kam ohne die Aufnahme in die H eine Aussetzung der Maßregel nicht in Betracht. Die dem Verurteilten gestellte positive Sozial- und Legalprognose war sachlich mit der Weisung verbunden und hätte ohne diese keinen Bestand gehabt. Daraus folgt, dass sich die Rechtsmittelbeschränkung des Verurteilten auf die (isolierte) Anfechtung der Weisung Ziff. 5 als unwirksam erweist.

11

Ist hiernach eine isolierte Prüfung und Entscheidung des Beschwerdepunkts nicht möglich, erfolgt eine umfassende Nachprüfung der Entscheidung über den Beschwerdepunkt hinaus im Rahmen der §§ 308, 309 StPO, ähnlich wie bei §§ 318 StPO (vgl. Matt in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., vor § 304 Rdnr. 16; OLG Koblenz, a.a.O.). Die umfassende Prüfung des Beschlusses vom 28.02.2007 ist, da in ihm die Aussetzung der Maßregel zur Bewährung angeordnet wird, freilich nur im Rahmen der sofortigen Beschwerde möglich (vgl. § 83 Abs. 1, Abs. 3 JGG, §§ 463 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. 454 Abs. 3 Satz 1 StPO). Das von den Eltern des Verurteilten als dessen Betreuer und damit gesetzliche Vertreter (§ 2 JGG, § 298 StPO i.V.m. § 1902 BGB) eingelegte Rechtsmittel ist somit gemäß § 2 JGG, § 300 StPO, wonach das Rechtsmittel so zu deuten ist, dass der erstrebte Erfolg möglichst erreichbar ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 300 Rdnr. 3 m.w.N.), als sofortige Beschwerde auszulegen.

12

Die fehlende Einhaltung der Wochenfrist nach § 2 JGG, § 311 Abs. 2 StPO steht der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde nicht entgegen. Insoweit gewährt die Kammer dem Beschwerdeführer von Amts wegen gemäß § 2 JGG, § 45 Abs. 2 Satz 3 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das Amtsgericht hatte die Belehrung über das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde entgegen § 35 a StPO unterlassen. Mithin ist die Versäumung der Rechtsmittelfrist als unverschuldet anzusehen (§ 44 Satz 2 StPO). Wiedereinsetzung kann im vorliegenden Fall auch ohne Antrag gewährt werden (vgl. auch Maul in: KK-StPO, 5. Aufl., § 45 Rdnr. 7), weil die versäumte Handlung, das Einlegen der sofortigen Beschwerde, mit am 14.03.2007 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz nachgeholt worden ist und die Wochenfrist des § 45 StPO mangels zu irgendeinem Zeitpunkt erteilter richtiger Rechtsmittelbelehrung nicht verstrichen war.

13

(2) Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

14

Die Anordnung der Weisung Ziff. 5 in dem Beschluss vom 28.02.2007 ist gesetzeswidrig (vgl. § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil sie entgegen § 2 JGG, §§ 68 b Abs. 2 Satz 2 (§ 68 b Abs. 2 Satz 4 i. d. Fass. v. 13.04.2007), 56 c Abs. 3 Nr. 2 StGB ohne Einwilligung des Verurteilten erteilt worden ist. Die Weisung, in ein (geschlossenes) Heim wie die H Pflege- und Heimeinrichtung S einzutreten, bedarf nach den genannten Vorschriften der Einwilligung des Verurteilten.

15

Eine solche Einwilligung hat zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. Der Verurteilte hat sie weder in der Anhörung vom 15.02.2007 noch zu einem späteren Zeitpunkt abgegeben.

16

Diese rechtsfehlerhafte Sachbehandlung führt nicht nur zur Aufhebung der gesetzeswidrig erteilten Weisung, sondern zur Aufhebung des Beschlusses vom 28.02.2007 insgesamt. Denn im Hinblick auf die Unzulässigkeit der Weisung ist die tragende Grundlage der Entscheidung des Vollstreckungsleiters weggefallen, so dass der Beschluss insgesamt keinen Bestand haben kann. Mit der von der Kammer getroffenen Entscheidung kann in der Sache keine Verschlechterung der Rechtsstellung des Verurteilten eintreten, da auf das Rechtsmittel des Verurteilten eine volle Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung erfolgt (vgl. OLG Koblenz, NStZ 1987, 24, 25; a.A.: OLG Schleswig, SchlHA 1991, 118), so dass nicht erörtert zu werden braucht, ob und inwieweit das für andere Rechtsmittel gesetzlich festgelegte Verschlechterungsverbot (§§ 331 Abs. 1, 358 Abs. 2, 373 Abs. 2 StPO) überhaupt im Beschwerdeverfahren gilt. Denn bei Gesamtbetrachtung von Aussetzungs- und Weisungsanordnung, die im hier zu entscheidenden Fall wegen des untrennbaren Zusammenhangs zwingend ist, hat der Verurteilte bei Maßregelaussetzung in Kombination mit der Anordnung einer ihn belastenden gesetzeswidrigen Weisung eine schlechtere Rechtsstellung inne als bei gesetzesgemäßer Fortdauer der Vollstreckung der Maßregel.

17

Von einer eigenen Sachentscheidung zur Fortdauer oder Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Maßregel sieht die Kammer ab. Denn das Amtsgericht hat aufgrund fehlerhafter Sachentscheidung wesentliche Tatsachen noch nicht ermittelt und geprüft. Mit der Unzulässigkeit der Weisung (Ziff. 5) ist nämlich die tragende Grundlage der Entscheidung des Vollstreckungsleiters fortgefallen, so dass nunmehr andere für eine sachgerechte Prognoseentscheidung erforderliche Tatsachen zu ermitteln sind.

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