Urteil vom Oberlandesgericht Düsseldorf - I-18 U 91/13
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22.03.2013 verkündete Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 35.305 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % seit dem 11.06.2010 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Die Klägerin verlangt als Transportversicherer der Firma e… (im Folgenden: e...) von der Beklagten aus abgetretenem bzw. übergegangenem Recht Schadensersatz wegen Frachtverlusts auf der Strecke zwischen B… und S….
2Am 07.06.2010 beauftragte die e… die Beklagte mit dem Transport zweier Europaletten im Gewicht von ca. 470 kg von B… nach S…. Auf die Paletten waren Handys der Marke N… gepackt, welche die Firma I… an eine Firma R… in S… verkauft hatte.
3Die Beklagte beauftragte ihrerseits die A…, welche die Sendung von B… über D… nach P… und von dort nach S… beförderte. Dort wurde die Sendung der Firma A… als Empfangsspediteurin übergeben. Diese stellte zusammen mit dem Empfänger der Sendung beim Öffnen der Paletten fest, dass 230 Handys im Gesamtwert von 35.305 € fehlten.
4Für diesen Schaden hat die Klägerin die Beklagte haftbar gemacht, weil der Frachtverlust in ihrem Gewahrsam eingetreten und nur auf Manipulation an den Paletten und Diebstahl eines Teils der darauf gepackten Ware beruhen könne.
5Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat u.a. geltend gemacht, dass die äußerlich unversehrt in S… angekommenen Paletten bereits vor dem Transport weniger Ware als angegeben enthalten hätten. Im Übrigen hat die Beklagte sich darauf berufen, dass es sich um einen Lufttransport gehandelt habe und insofern die Haftungsbeschränkungen des Montrealer Übereinkommens eingriffen. Schließlich müsse sich die Klägerin ein Mitverschulden jedenfalls deshalb anrechnen lassen, weil sie auf den außerordentlich hohen Wert der Frachtstücke und den deshalb drohenden besonders hohen Schaden nicht hingewiesen habe.
6Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen.
7Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
8Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin nicht bewiesen habe, das Frachtgut an die Beklagte vollständig und unbeschädigt übergeben zu haben.
9Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft. Auf Hinweis des Senats mit Beschluss vom 17.07.2013 hat die Klägerin näher zu den Verfahrensabläufen beim Packen der Paletten, den Verhältnissen der beteiligten Firmen und zu dem Schadensbild Stellung genommen.
10Die Klägerin beantragt,
11wie erkannt.
12Die Beklagte beantragt,
13die gegnerische Berufung zurückzuweisen.
14Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches.
15Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen L… und G….
16Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 05.02.2014 (Bl. 294 ff. GA) verwiesen.
17II.
18Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Ihr steht gegen die Beklagte aus übergegangenem bzw. abgetretenem Recht ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 35.305 € wegen eines am 07.06.2010 erteilten Frachtauftrages zu. Denn im Gewahrsam der von der Beklagten beauftragten A… ist ein Teil der Warensendung abhanden gekommen.
191.
20Wie zwischen den Parteien mittlerweile unstreitig ist, ist zwischen der Versicherungsnehmerin der Klägerin und der Beklagten am 07.06.2010 ein Frachtvertrag zustande gekommen. Dabei hat die Versicherungsnehmerin der Klägerin zwar einen „Auftrag Luftfracht“ erteilt. De facto handelte es sich aber um einen Multimodalvertrag im Sinne von § 452 HGB einerseits und Art. 38 des Montrealer Übereinkommens (MÜ) andererseits.
21Bei einem Transport, der nicht allein mit Luftfahrzeugen, sondern auch mit anderen Verkehrsmitteln durchgeführt wird, gilt das Montrealer Übereinkommen gemäß Art. 38 nur für die Luftfrachtstrecke – vorbehaltlich der Regelungen in Art. 18 Abs. 4 MÜ.
22Im vorliegenden Fall ist der Transport unzweifelhaft sowohl im Luftfrachtverkehr als auch im Straßengüterverkehr durchgeführt worden. Denn die beiden Frachtstücke sind zunächst unstreitig von B… nach D… auf der Straße transportiert worden. Nichts anderes gilt aber auch für die weitere Strecke von D… zum Flughaften C... in P…. Zwar hat die Beklagte den Vortrag der Klägerin, diese Strecke sei ebenfalls mit dem Lastkraftwagen zurückgelegt worden, zunächst in Abrede gestellt. Erkennbar will die Beklagte dieses Bestreiten aber in zweiter Instanz nicht mehr aufrechterhalten, nachdem sie sich mit Schriftsatz vom 21.01.2013 (Bl. 146 f. GA) dem Klägervortrag angenähert hat.
23Im übrigen hätte die Beklagte den Transport von D… nach P… per Luftfracht beweisen müssen, wenn sie hieraus Haftungsbeschränkungen nach dem Montrealer Übereinkommen herleiten möchte, hat aber diesbezüglich keinen Beweis angetreten. Der bei den Akten befindliche Luftfrachtbrief reicht hierfür ebensowenig aus wie für die Behauptung, der Beklagten sei auf der Teilstrecke D… – P… ein Luftersatzverkehr verboten gewesen. Denn es ist gerichtsbekannt, das sich alle Luftfrachtführer in den allgemeinen Geschäftsbedingungen das Recht vorbehalten, ein anderes Verkehrsmittel einzusetzen.
24Ist nach alle dem davon auszugehen, dass das Frachtgut von B… bis P… mit dem Lkw transportiert worden ist und erst dort die Luftfrachtstrecke begann, scheidet auch eine Anwendung des Montrealer Übereinkommens über Art 18 Abs. 4 S. 2 aus. Die Grenzen eines Zubringerdienstes sind überschritten. Denn grundsätzlich besteht die Möglichkeit, Ware im Wege der Luftfracht von D… nach P… und von dort aus nach S… zu befördern.
25Festzuhalten bleibt, dass die Beklagte, soweit sie Haftungsbeschränkungen aus dem Montrealer Übereinkommen geltend machen will, konkret vortragen und beweisen müsste, dass der Frachtverlust auf der Luftfrachtstrecke entstanden sei. Dazu fehlt es aber an hinreichendem Vortrag und insbesondere geeignetem Beweisantritt.
26Es bleibt deshalb nach der Grundregel der §§ 452, 452 a HGB, die hier nicht durch Art. 38 MÜ verdrängt wird, dabei, dass HGB-Landfrachtrecht Anwendung findet, weil sich nicht feststellen lässt, dass der Frachtverlust auf der Luftfrachtstrecke eingetreten ist.
272.
28Die Beklagte muss für den eingetretenen Schaden gem. §§ 425, 428, 435 HGB aufkommen, ohne sich auf Haftungsbeschränkungen oder Haftungsbefreiungen berufen zu können.
29Dazu ist im Einzelnen folgendes anzumerken:
30a)
31Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme vom 05.02.2014 und nach dem Inhalt der zur Akte gereichten Unterlagen ist der Senat davon überzeugt, dass am 7. Juni 2010 die beiden streitgegenständlichen Paletten mit 900 Handys N… gepackt und dem Frachtführer übergeben worden sind. Dafür spricht zunächst einmal die glaubhafte Aussage des Zeugen L…. Dieser konnte sich zwar nicht mehr in einzelnen Details an den damaligen Verpackungsvorgang erinnern. Dies tut der Glaubhaftigkeit seiner Aussage aber keinen Abbruch; denn es kann von einem Zeugen nicht erwartet werden, dass er sich annähernd vier Jahre später an einen Vorgang erinnert, der zu seiner beruflichen Routinearbeit gehört. Dafür hat der Zeuge L… aber die Arbeitsabläufe im Einzelnen, die örtlichen Verhältnisse und auch die Kontrollmechanismen in den Geschäftsräumen der Firma e… sehr gewissenhaft geschildert. Der Zeuge war erkennbar darum bemüht, eine wahrheitsgemäße Aussage zu machen. Seine Aussage war auch in sich stringent und nachvollziehbar. Danach geht der Senat davon aus, dass am 07.06.2010 auf die zwei Paletten Masterkartons und auch Verkaufskartons mit Handys gepackt worden sind. Dabei wurden sie entweder in einen Karton gepackt, der sich auf der Palette befand, oder die in Kartons verpackten Handys wurden mit einem Stülpkarton nach oben hin abgedeckt. Die entsprechenden Gebinde wurden dann mit Plastikfolie umwickelt und mit Zurrbändern kreuzweise auf der Palette fixiert und es wurden darüber hinaus Klebebänder mit dem Firmenlogo der Firma I… darauf angebracht.
32Wie sich aus den Aussagen des Zeugen L… und des Zeugen G… ergibt, wurden die fertig gepackten Gebinde dann in der Halle aufbewahrt, zu der Fahrer von Transportunternehmen nur unter Aufsicht und nur insoweit Zugang hatten, um die Frachtpapiere abzuholen. Ansonsten waren die Hallentore verschlossen und die gesamte Halle wurde mit Videokameras überwacht ebenso wie auch der Lagerleiter selbst seinen Arbeitsplatz in der Halle hatte, die mit 400 qm Grundfläche nicht übermäßig groß war. Der Zeuge G…, dem zu folgen der Senat ebenfalls keine Bedenken hat, hat im Einzelnen Ausführungen zu der Videoüberwachung gemacht und sich daran erinnert, seinerzeit eine Videoaufnahme angeschaut und dann auf DVD gebrannt zu haben, aus der sich ergab, wie der Zeuge L… die streitgegenständlichen Paletten gepackt hat. Dabei sind keine Unregelmäßigkeiten zutage getreten. Ergänzend hat der Zeuge G… noch ausgeführt, dass nach Abschluss des Verpackungsvorganges die Paletten verwogen und die Gewichte schriftlich festgehalten werden. Diese Unterlagen werden dann dem jeweiligen Exportsachbearbeiter übergeben.
33Insofern hat der Senat keine Bedenken, dass das ermittelte Gewicht von ca. 470 kg aus dem vorstehenden geschilderten Verpackungs- und Wiegevorgang Eingang in den Frachtauftrag vom 07.06.2010 sowie den Airway Bill von demselben Tage gefunden hat.
34b)
35Dass auf dem Flughafen C... in P… kein Mindergewicht festgestellt worden ist, bedeutet nicht, dass zu Beginn der Luftfracht nach S… auf den Paletten die ursprüngliche Fracht noch vollständig gepackt war. Denn es ist unstreitig, dass vor dem Beladen des Flugzeugs in P… keine Einzelverwiegung der Paletten vorgenommen wurde. Mithin kann schon ein Teil der Fracht abhanden gekommen sein, bevor der Luftfrachtweg begann.
36c)
37In S… wurde dann festgestellt, dass die beiden Paletten zusammen nur noch 321 kg wogen, und bei Öffnen der Kartons wurde durch Mitarbeiter des Endempfängers und der Empfangsspedition das Fehlen von 230 Handys festgestellt. Dass dieser Verlust nach Ankunft in S… entstanden sein soll, ist nach der Lebenserfahrung auszuschließen. Denn die beiden Paletten sind unstreitig äußerlich unbeschädigt in S… angekommen und deshalb ist ihr Empfang dort auch rein quittiert worden. Nach Ankunft sind sie nur zur Zollbehandlung geführt und dann wieder in das Lagerhaus der Empfangsspedition überführt worden, wo alsbald ihr Inhalt geprüft und die Fehlmenge festgestellt wurde.
38d)
39Ist mithin davon auszugehen, dass die 230 Handys im Frachtführergewahrsam der Beklagten bzw. ihrer Unterfrachtführerin abhanden gekommen sind, muss die Beklagte hierfür einstehen. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte und Erklärungen kann nur davon ausgegangen werden, dass während des Frachtführergewahrsams an den Paletten Manipulationen vorgenommen worden sind, mit deren Hilfe ein Teil der Fracht entwendet wurde. Dafür spricht, dass nach Aussage des Zeugen G… in dem in Rede stehenden Zeitraum in kürzester Zeit noch in zwei weiteren Fällen Sendungen bestohlen worden sind, die über den Flughafen C... in Paris abgewickelt worden sind.
40e) Die Schadenshöhe als solche ist nicht im Streit und im Übrigen durch die Handelsrechnung vom 07.06.2010 (Bl. 18 d.A.) nachgewiesen.
41f) Der Schadensersatzanspruch, welchen die Klägerin geltend macht, ist auch nicht wegen eines Mitverschuldens ihrer Versicherungsnehmerin gemindert, §§ 425 Abs. 2 HGB, 254 Abs. 2 BGB. Ein Mitverschulden kann zwar zu Haftungsbeschränkungen oder gar zum Haftungsausschluss führen, wenn der Versender es unterlässt, den Frachtführer davon zu unterrichten, dass das Frachtgut besonders wertvoll und diebstahlsgefährdet ist und deshalb ein außergewöhnlich hoher Schaden droht.
42Hier hat die Klägerin aber unwidersprochen vorgetragen, dass der Beklagten zwingend die Ausfuhrerklärung mit Wertangabe vorgelegen hat, ohne diese die Sendung nicht aus der Europäischen Union habe ausgeführt werden können.
43Mithin kann sich die Beklagte, die auf Grund der ständigen Geschäftsbeziehungen mit der Versenderin ohnehin wusste, um welche Art von Waren es sich handelte, nicht darauf berufen, ihr sei der Wert der Sendung nicht bekannt gewesen.
44g) Der Zinsanspruch folgt aus §§ 352, 353 HGB.
45III.
46Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
47Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 35.305,-- EUR.
48Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht erfüllt, § 543 Abs. 2 ZPO.
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Referenzen
- HGB § 425 Haftung für Güter- und Verspätungsschäden. Schadensteilung 1x
- BGB § 254 Mitverschulden 1x
- HGB § 435 Wegfall der Haftungsbefreiungen und -begrenzungen 1x
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- HGB § 353 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- HGB § 452 Frachtvertrag über eine Beförderung mit verschiedenartigen Beförderungsmitteln 1x
- HGB § 452a Bekannter Schadensort 1x
- ZPO § 543 Zulassungsrevision 1x
- HGB § 428 Haftung für andere 1x
- BGB § 425 Wirkung anderer Tatsachen 1x
- HGB § 352 1x