Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 2 Ws 45/19
Tenor
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.
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Gründe:
2I.
3Die italienischen Behörden ersuchen um die Übernahme der Vollstreckung eines in Italien ergangenen strafrechtlichen Erkenntnisses nach dem Rahmenbeschluss 2008/909/JI des Rates vom 27.11.2008 (Rahmenbeschluss Freiheitsstrafen).
4Der Beschwerdeführer ist mit Urteil des 2. Schwurgerichts Turin vom 15.04.2011 (Nr. 31095/07 N.R., Nr. 2/2009 RGA) wegen vorsätzlicher Tötung und vorsätzlicher Brandstiftung gem. Art. 575 und 423 des italienischen Strafgesetzbuchs sowie wegen vorsätzlicher Unterlassung der Aufstellung von Sicherheitseinrichtungen gegen Arbeitsunfälle gem. Art. 437 Abs. 1 und 2 des italienischen Strafgesetzbuchs zu einer (Gesamt-)Freiheitsstrafe von 16 Jahren 6 Monaten verurteilt worden.
5Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Verurteilten hat das 1. Berufungsschwurgericht Turin (Corto di Assise di Appello di Torino) mit Urteil vom 28.02.2013 das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und den Beschwerdeführer wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlicher Unterlassung der Aufstellung von Sicherheitseinrichtungen gegen Arbeitsunfälle gem. Art. 589 Abs. 1, 2, 3 und Art. 437 Abs. 2 des italienischen Strafgesetzbuchs zu einer (Gesamt-)Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt.
6Auf die hiergegen gerichteten Revisionen des Generalstaatsanwalts und des Beschwerdeführers hat der Große Senats des Kassationsgerichtshofs in Rom mit Urteil vom 24.04.2014 (Urt.-Nr. 38343/14, R.G.N. 41099/2013) das angefochtene Urteil im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass die Strafbarkeit des Beschwerdeführers aus Art. 437 Abs. 2 des italienischen Strafgesetzbuchs entfiel und er wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Brandstiftung nach Art. 589 und 449 des italienischen Strafgesetzbuchs sowie wegen Unterlassens der Aufstellung von Sicherheitseinrichtungen gegen Arbeitsunfälle nach Art. 437 Abs. 1 des italienischen Strafgesetzbuches zu bestrafen sei. In diesem Umfang hat der Kassationsgerichtshof das Urteil des 1. Berufungsschwurgerichts Turin unter Verwerfung der Revisionen des Generalstaatsanwalts und des Beschwerdeführers im Übrigen im Strafausspruch aufgehoben und an das Berufungsschwurgericht Turin zurückverwiesen.
7Mit Urteil Nr. 5/15 des 2. Schwurgerichts zweiter Instanz Turin vom 29.05.2015, das aufgrund des Urteils des Kassationsgerichtshofs vom 13.05.2016 (R.G.N. 43972, Sent. N. sez. 1066/2016) seitdem rechtskräftig ist und aus dem nunmehr die Vollstreckung betrieben werden soll, ist der Beschwerdeführer wegen fahrlässiger Brandstiftung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung und vorsätzlicher Entfernung oder Unterlassung der Aufstellung von Sicherheitseinrichtungen gegen Arbeitsunfälle gem. Art. 437 Abs. 1, 449 und 589 des italienischen Strafgesetzbuchs zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren 8 Monaten verurteilt worden. Als Einzelstrafen hat das 2. Schwurgericht zweiter Instanz Turin dabei Freiheitsstrafen von 9 Jahren 2 Monaten für die mehrfache fahrlässige Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Brandstiftung und von 6 Monaten für das Unterlassen der Aufstellung von Sicherheitseinrichtungen verhängt.
8Gegen diese Verurteilung hat der Beschwerdeführer zwei Beschwerden gegen den Schuldspruch (Application No. 13291) und gegen die Strafhöhe (Application No. 50136/17) beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt. Das italienische Justizministerium hat mit Schreiben vom 10.05.2019 mitgeteilt, dass „der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 05.03.2019 die beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Interesse von …. und F wegen Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 der EMRK eingereichten Beschwerden für unzulässig erklärte“.
9Zur Vollstreckung der gegen den Beschwerdeführer erfolgten strafrechtlichen Verurteilung aus dem rechtskräftigen Urteil des 2. Schwurgerichts zweiter Instanz in Turin vom 29.05.2015 haben die italienischen Behörden zunächst auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls der Generalstaatsanwaltschaft beim Berufungsgericht Turin vom 16.05.2016 (Az.: 363/2013 SIEP – fasciolo 77/687/16) um die Auslieferung des Beschwerdeführers ersucht. Der Senat hat mit Beschluss vom 26.07.2016 (Az.: III-2 Ausl. 115/16) die Auslieferung des Beschwerdeführers nach Italien zur Strafvollstreckung im Hinblick darauf, dass dieser deutscher Staatsangehöriger ist und sich mit seiner Auslieferung nach Italien nicht einverstanden erklärt hatte, gemäß § 80 Abs. 3 IRG für unzulässig erklärt.
10Mit Schreiben des italienischen Justizministeriums vom 17.01.2017 (Az.: MA 871/16) ersuchen die italienischen Behörden nunmehr unter Übersendung der Bescheinigung gemäß Art. 4 des Rahmenbeschlusses Nr. 2008/909/JI, ausgestellt am 15.09.2016 (bei dem in dem Schreiben des italienischen Justizministeriums vom 17.01.2017 angegeben Datum der Bescheinigung „05.10.2016“ handelt es sich ersichtlich um einen Schreibfehler) von der Generalstaatsanwaltschaft beim Berufungsgericht Turin, sowie weiterer Unterlagen einschließlich des Urteils des 2. Schwurgerichts zweiter Instanz in Turin vom 29.05.2015 um Übernahme der Strafvollstreckung gegen den Beschwerdeführer.
11In dem diesem Vollstreckungsübernahmeersuchen zugrundeliegenden Urteil wird dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, als geschäftsführendes Vorstandsmitglied der in Italien ansässigen Firma „S“ (im Folgenden: S) in dem Zeitraum von Juni 2006 bis 30.12.2007 in S2 folgende drei Straftaten begangen zu haben:
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1. Er habe es unterlassen, Anlagen und Geräte zur Unfallverhütung bei der Arbeit an der sogenannten „Glüh- und Beizlinie APL5“ in dem Stahlwerk in S2 aufzustellen (strafbar nach Art. 110 und 437 Abs. 1 des italienischen Strafgesetzbuchs),
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2. er habe durch Unterlassen technischer, organisatorischer, operativer und informativer Maßnahmen zur Brandverhütung im S2 Werk an der Glüh- und Beizlinie APL5 fahrlässig den Tod von sieben Arbeitern verursacht, die bei einem Brand an jener Glüh- und Beizlinie ums Leben gekommen waren (strafbar nach Art. 589 Abs. 1, 2 und 3 in Verbindung mit Art. 61 Ziffer 3 des italienischen Strafgesetzbuchs),
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3. er habe durch Unterlassen technischer, organisatorischer, operativer und informativer Maßnahmen zur Brandverhütung im S2 Werk an der Glüh- und Beizlinie APL5 fahrlässig einen Brand an jener Linie verursacht (strafbar nach Art. 449 und 423 in Verbindung mit Art. 61 Ziffer 3 des italienischen Strafgesetzbuchs).
Hintergrund dieser Vorwürfe ist ein Brandereignis in einem Stahlwerk in S2 am 06.12.2007 kurz nach Mitternacht, bei dem es durch die Explosion von mit Hydrauliköl gefüllten Schläuchen zu einem Feuerball – einem sogenannten flash fire – gekommen war, der sieben mit Löscharbeiten beschäftigte Arbeiter des Werks umhüllte und verbrannte.
17Neben dem Beschwerdeführer sind in dem in Italien geführten Strafverfahren folgende weitere Mitarbeiter der S rechtskräftig verurteilt worden:
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1. Q, deutscher Staatsangehöriger, Vorstandsmitglied der S, zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren 10 Monaten;
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2. Q2, Vorstandsmitglied der S, zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren 10 Monaten;
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3. N, Leiter des Bereichs Technik und Service bei S, zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren 6 Monaten;
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4. T, Direktor des Werks in S2, zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren 2 Monaten;
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5. D, Leiter des Präventions- und Schutzdienstes im Werk S2, zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren 8 Monaten.
Nach Angaben der italienischen Behörden in der Bescheinigung vom 15.09.2016 war der Beschwerdeführer bei der gegen ihn geführten Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat, persönlich erschienen. Demgegenüber ergibt sich aus der deutschen Übersetzung des Urteils des 2. Schwurgerichts zweiter Instanz in Turin vom 29.05.2015, dass der Beschwerdeführer in seiner Abwesenheit verurteilt worden ist. Allerdings war er durch seine Wahlverteidiger B (Turin) und D2 (Rom) vertreten. Auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft Essen vom 08.05.2017 haben die italienischen Behörden mit Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft beim Berufungsgericht Turin vom 29.05.2017 (Nr. 19/742 und 26/742/16), bei der Staatsanwaltschaft Essen eingegangen am 30.10.2017, mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer „regelmäßig am erstinstanzlichen Verfahren“ teilgenommen und am 04.11.2009 in der Hauptverhandlung Angaben zur Sache gemacht habe. Bei den beiden zweitinstanzlichen Verfahren sei er abwesend gewesen, aber von zwei Wahlverteidigern vertreten worden. Nach den eigenen Angaben des Beschwerdeführers im Schriftsatz seines Beistands vom 13.12.2017 war er in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung am 27.10. und 04.11.2009 persönlich anwesend.
25Am 15.11.2017 wurde die Übernahme der Strafvollstreckung durch die Staatsanwaltschaft Essen vorläufig bewilligt verbunden mit dem an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Essen verbundenen Antrag, die Vollstreckung des gegen den Beschwerdeführers ergangenen Urteils des 2. Schwurgerichts zweiter Instanz in Turin vom 29.05.2015 für zulässig zu erklären und entsprechend der in jenem Urteil gewonnenen Erkenntnisse eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren festzusetzen.
26Mit Verfügung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Essen vom 15.12.2017 wurde darauf hingewiesen, dass nicht alle dem Verfahren zugrunde liegenden Urteile vollständig in deutscher Übersetzung übermittelt waren und daher von den italienischen Behörden anzufordern seien. Mit Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Turin vom 01.03.2018 teilten die italienischen Behörden mit, dass aufgrund dieser Anfrage Urteile im Umfang von insgesamt mehr als 1000 Seiten in die deutsche Sprache zu übersetzen seien, wofür mindestens vier Monate erforderlich seien.
27Die angeforderten übersetzten Unterlagen wurden sodann mit Schreiben des italienischen Justizministeriums vom 06.08.2018 an die Staatsanwaltschaft Essen übermittelt.
28Mit angefochtenem Beschluss vom 17.01.2019, dem Beschwerdeführer bzw. seinem Beistand zugestellt am 25.01.2019, hat die I. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Essen nach Anhörung des Beschwerdeführers bzw. seines Beistands, der mehrfach schriftsätzlich Stellung genommen und dabei verschiedene Einwendungen erhoben hatte, die Vollstreckung des gegen den Beschwerdeführers ergangenen Urteils des Schwurgerichts zweiter Instanz Turin – 2. Senat – vom 29.05.2015 für zulässig erklärt und entsprechend der in diesem Urteil gewonnenen Erkenntnisse eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren festgesetzt.
29Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers, die mit Schriftsatz seines Beistands vom 25.01.2019 zunächst ohne Begründung eingelegt wurde.
30Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat mit Zuschrift vom 27.03.2019 beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
31Mit Schriftsatz seines Beistands vom 15.05.2019 hat der Beschwerdeführer beantragt, den angefochtenen Beschluss des Landgerichts Essen aufzuheben und die Vollstreckung des italienischen Erkenntnisses für unzulässig zu erklären.
32Zur Begründung macht der Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes geltend:
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1. Die Vollstreckung des italienischen Erkenntnisses verstoße gegen den ordre public gemäß § 73 S. 2 IRG. Es sei das durch Art. 1, 20 Abs. 3 GG und die Grundrechtscharta der Europäischen Union geschützte Schuldprinzip verletzt, weil die Verurteilung auf den Nachweis der Kausalität und der konkret-individuellen Fahrlässigkeit verzichtet habe. Der Kern des Vorwurfs gegen den Beschwerdeführer liege im Unterlassen zahlreicher Brandschutzmaßnahmen, insbesondere der unterlassenen Installation einer automatischen Brandmelde- und Löschanlage, wobei allerdings nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sei, dass die Vornahme der aus Sicht des italienischen Gerichts gebotenen Maßnahmen den Schadenseintritt überhaupt verhindert hätte. Stattdessen sei auf eine bedeutende und erhebliche Wahrscheinlichkeit abgestellt worden. Auch der Kassationsgerichtshof habe in seiner Entscheidung vom 24.04.2014 diesen herabgesetzten Maßstab für die Prüfung der Kausalität bestätigt, indem er eine signifikante Wahrscheinlichkeit habe genügen lassen.
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2. Im Hinblick auf die unterlassene Installation einer automatische Brandmelde- und Löschanlage sei in dem italienischen Strafverfahren sogar ausgeschlossen worden, dass eine solche das Unglück hätte verhindern können, weil eine solche Anlage erst nach dem Dezember 2007 hätte fertiggestellt werden können.
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3. Weiterhin sei in dem italienischen Erkenntnis kein konkreter Sachverhalt dargelegt, aus dem sich konkret und individuell für den Beschwerdeführer als vorhersehbar dargestellt hätte, dass aus dem Unterlassen spezifischer neuer Brandschutzmaßnahmen oder sonstiger Verbesserungen des Betriebs ein Brandunfall derartigen Ausmaßes resultieren könnte. Eine Kenntnis des Beschwerdeführers von den desolaten Zuständen im Werk S2 sei nicht zu erkennen. Das Risiko eines explosionsartigen Brandes bzw. Blitzbrandes durch Platzen von Hydraulikschläuchen sei dem Beschwerdeführer von seinen Mitarbeitern, insbesondere den ebenfalls verurteilten T und D, absichtlich verheimlicht worden. Im Ergebnis beruhe die Verurteilung des Beschwerdeführers in dem italienischen Verfahren auf einer Art „schuldloser Erfolgshaftung“. Auch insoweit verletze das Urteil das Schuldprinzip und die Unschuldsvermutung.
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4. Das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren nach Art. 6 der EMRK sei in dem in Italien gegen ihn geführten Strafverfahren verletzt worden, weil nicht alle Dokumente in die deutsche bzw. in die italienische Sprache übersetzt worden seien.
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5. Die Vollstreckung des italienischen Erkenntnisses sei unzulässig, weil der Beschwerdeführer in seiner Abwesenheit verurteilt worden sei.
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6. Schließlich verletze die völlig unverhältnismäßige Strafhöhe Art. 49 Abs. 3 der Grundrechtscharta und Art. 7 Abs. 1 EMRK sowie das der Ewigkeitsgarantie unterfallende verfassungsgemäße Übermaßverbot des Schuldprinzips.
Da diese Beschwerdebegründung zu einem wesentlichen Teil auf aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten von bzw. Verweisen auf Textpassagen der in dem italienischen Verfahren gefällten Urteile gründet und damit der Komplexität der in dem italienischen Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen sowie der Begründungstiefe insbesondere im Urteil des Großen Senats des Kassationsgerichtshofs vom 24.04.2014 hinsichtlich der rechtlichen Einordnung der gegen den Beschwerdeführer geltend gemachten Tatvorwürfe nicht ausreichend Rechnung trägt, erachtet es der Senat zum Verständnis der rechtlichen Einordnung des Falles für geboten, sowohl die in dem italienischen Verfahren getroffenen Feststellungen in ihren wesentlichen Punkten als auch die darauf aufbauende rechtliche Bewertung durch den Kassationsgerichtshof im Folgenden zusammenfassend darzustellen.
41Eine zusammenfassende Darstellung der in dem italienischen Strafverfahren getroffenen Feststellungen ist zudem auch deswegen zweckmäßig und hilfreich, weil sich im Rahmen der zu treffenden Exequaturentscheidung der Prüfungsmaßstab des nach § 84f IRG zuständigen Gerichts bzw. des Beschwerdegerichts hinsichtlich der Frage, ob die Bedingung der beiderseitigen Sanktionierbarkeit erfüllt ist, ausschließlich auf die tatsächlichen Feststellungen in dem von der zuständigen Stelle des Ausstellungstaats erlassenen Urteil bezieht, wohingegen die zugrundeliegende Beweiswürdigung der Überprüfung entzogen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 11.01.2017, C-289/15; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24.05.2018, 1 Ws 67/17).
42Allerdings enthalten weder das erstinstanzliche Urteil des 2. Schwurgerichts Turin vom 15.04.2011 noch das Urteil des 1. Berufungsschwurgerichts Turin vom 28.02.2013 eine übersichtliche und in sich abgeschlossene Darstellung der getroffenen Feststellungen. Vielmehr setzen sich diese Urteile in narrativer Form kapitelartig mit den einzelnen Fragestellungen des Falles auseinander, wobei Feststellungen, Beweiswürdigung und rechtliche Bewertung regelmäßig ineinander übergehen. Diese von dem Aufbau deutscher Strafurteile abweichende italienische Besonderheit, die einen raschen Überblick über die festgestellten Tatsachen nicht ermöglicht, zeigt sich im vorliegenden Fall insbesondere auch in dem Urteil des 1. Berufungsschwurgerichts Turin (Corto di Assise di Appello di Torino) vom 28.02.2013, in dem die Tatsachen letztmalig und für das weitere Verfahren bindend festgestellt worden sind, weshalb dieses Urteil für den Senat Grundlage der Ermittlung des festgestellten Sachverhalts ist. Daher ist der Senat im Hinblick auf die Grundlage seiner Prüfungskompetenz gehalten, in einem ersten Prüfungsschritt aus jenem Urteil des 1. Berufungsschwurgerichts, das teilweise ergänzend auf die erstinstanzlichen Feststellungen des 2. Schwurgerichts Turin verweist, den dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Sachverhalt herauszuarbeiten.
43Dabei lässt sich aus jenen Urteilen, welche in der deutschen Übersetzung einen Umfang von mehr als 400 bzw. mehr als 300 Seiten haben und in denen die tatsächlichen Feststellungen unter Einbeziehung der Beweiswürdigung teilweise mit Wiederholungen, Vorgriffen und Rückgriffen in einzelnen Kapiteln unter verschiedenen rechtlichen und tatsächlichen Aspekten dargestellt werden, der von dem 1. Berufungsschwurgericht in Turin abschließend festgestellte Sachverhalt in seinen wesentlichen Grundzügen wie folgt extrahieren und – der besseren Verständlichkeit wegen so weit wie möglich chronologisch - zusammenfassen:
44Die Gesellschaft „S“ (S) mit Sitz in S3, für die der Beschwerdeführer seit 2003 tätig war, war eine der vielen Tochtergesellschaften der multinationalen Stahl-Holdinggesellschaft S4 AG (im Folgenden: S4) mit Sitz in Deutschland. Eines der Geschäftsfelder der S4 war die Herstellung von Flacherzeugnissen aus rostfreiem Stahl. Zuständig hierfür war im Konzern die S5 GmbH (im Folgenden: S5) mit Sitz in E. Die S5 wiederum kontrollierte, teilweise über Zwischenunternehmen, 6 Gesellschaften, die Edelstahl herstellten: die S in Italien, S6 (im Folgenden: S6) in Deutschland, S7 in Mexiko, S8, S9 und S10.
45S hatte finanzielle Autonomie gegenüber der S5 für Ausgaben bis zu einer Höhe von 1 Mio. Euro. Höhere Summen mussten im Voraus auf Drei- oder Fünfjahresplanebene bei der S5 angemeldet und von dieser genehmigt werden. Bei Entscheidungen betreffend die Produktion, Sicherheit am Arbeitsplatz und Planung bzw. Installation von Unfallschutzmaßnahmen hatte S volle Autonomie gegenüber der S5 und der S4.
46S betrieb zwei Stahlwerke in Italien in S3 und S2. Im Werk in S2, in dem im Dezember 2007 rd. 400 Mitarbeiter beschäftigt waren (gegenüber rd. 3000 in S3), und das kurz vor der Schließung stand, erfolgte nur ein Teil der Verarbeitung des gesamten Stahl-Produktionszyklus, und zwar die sogenannte Kaltbandverarbeitung. Im Einzelnen handelte es sich dabei um drei Arbeitsschritte:
47- Das Kaltwalzen, bei dem das aufgerollt angelieferte Stahlband abgewickelt und mehrmals durch ein Walzgerüst gefahren wurde, bis es die gewünschte Dicke hatte, und anschließend erneut mit Schutzpapier zwischen den Windungen aufgerollt wurde,
48- Das Glühen, bei dem das vom Kaltwalzen angelieferte Stahlband abgewickelt und von dem Schutzpapier getrennt wurde und sodann einen Ofen durchlief, der aus einer rd. 60 Meter langen isolierten und gedämmten Kammer bestand, um dann anschließend mit Luft und Wasser gekühlt zu werden,
49- Das Beizen, also eine chemisch-mechanische Behandlung des Stahlbandes direkt nach dessen Austreten aus dem Ofen in eigens dafür vorgesehenen Wannen und anschließend erneut das Aufwickeln des Bandes mit neuem Schutzpapier zwischen den Windungen.
50Die Brandkatastrophe, die Gegenstand des Verfahrens ist, entwickelte sich im Werk in S2 entlang der sogenannten „Glüh- und Beizlinie APL5“, an der nur die beiden letzten der drei genannten Arbeitsschritte, also das Glühen und Beizen, erfolgten. Diese auf mehreren Ebenen verlaufende Linie hatte eine Länge von rd. 200 Metern, eine Breite von rd. 12 Metern und eine Höhe von ca. 9 Metern.
51Bei dem in dieser Linie erfolgenden Verarbeitungsprozeß wurden die zuvor am Ende des Kaltwalzens aufgerollten Stahlbänder mit einer Temperatur von rd. 80-100 Grad und mit Walzöl verschmiert, welches einen Flammpunkt von 170-175 Grad hat, auf ein langes Laufband abgerollt und sodann durch zahlreiche Rollenpaare gespannt und von diesen durch die Anlage gezogen. Da die Glüh- und Beizvorgänge das gewünschte Ergebnis nur erzielten, wenn eine bestimmte vorgegeben Zeitspanne auf das Band einwirkte, und das Verlangsamen oder Stoppen des Verarbeitungsprozesse zu erheblichen Produktionsausfällen führte, war die Verarbeitung mit einem kontinuierlichen Zyklus und einer kontrollierten Geschwindigkeit erforderlich. Unterbrechungen des konstanten Verarbeitungsprozesses durch Anhalten des Bandes führten dazu, dass das Material unbrauchbar wurde. Um derartige Produktionsausfälle zu vermeiden, wurde der Verarbeitungsprozess üblicherweise selbst während der Löscharbeiten an den regelmäßig an der Anlage auftretenden Bränden – auf die noch einzugehen sein wird - nicht gestoppt.
52Um den konstanten Verarbeitungsprozess zu gewährleisten, musste von den Arbeitern das aufgerollt angelieferte Metallband auf einer Abwickelhaspel angeordnet und zentriert werden, damit es gerade ablief und nicht an den Metallwänden der Linie scheuerte, was zu Erwärmung und ggf. Funkenschlag geführt hätte. Zudem war während des Abwickelns von den Arbeitern dafür Sorge zu tragen, dass das zwischen den Windungen der Stahlrolle befindliche und mit Walzöl getränkte Schutzpapier, das die einzelnen Windungen des Stahlbandes voneinander trennte und eine Zündungstemperatur von rd. 225 Grad hatte, von dem Stahlband entfernt und auf einem dafür eigens vorgesehenen „Entsorgungsstift“ aufgerollt wurde. Andernfalls bestand das Risiko, dass sich das Papier während der Verarbeitung in Fetzen löste und zu Boden fiel, was das Brandrisiko erhöhte, oder dass es auf dem Stahlband kleben blieb, was zu Qualitätseinbußen bei dem Endprodukt führte.
53Unterbrechungen des Verarbeitungsprozesses, die, wie bereits ausgeführt, zu vermeiden waren, gab es auch bei Zuführung einer neuen Stahlrolle nicht, weil von den Arbeitern im Zuführungsbereich der Anlage der Beginn eines neuen Bandes mit dem Ende des vorausgehenden Bandes verschweißt und am Ende des Verarbeitungsprozesses vor dem erneuten Aufwickeln von dem vorausgegangenen Band wieder abgeschnitten wurde.
54Da gerade diese Arbeitsschritte am Beginn und am Ende des Verarbeitungsprozesses Zeit beanspruchten und deswegen unausweichlich zu einer unstetigen Produktion geführt hätten, gab es Pufferzonen am Anfang und am Ende der Linie, in denen das Band mit einer höheren Vorschubgeschwindigkeit in parallelen Windungen aufgerollt wurden. Hierdurch konnte das Band im Anfangs- und Endbereich der Linie für einige Minuten angehalten werden, ohne dass der eigentliche Verarbeitungsprozess gestoppt werden musste.
55Die verschiedenen Mechanismen der Anlage wurden hydraulisch betrieben. Das in einem Geschoß unter der APL5-Linie untergebrachte und mit einem Melde- und Löschsystem für Flammen ausgestattete Hydraulikaggregat verfügte über einen Tank für Hydrauliköl mit ca. 6000 l Volumen. Die Ölmenge, die bei Betrieb in der Anlage bewegt wurde, betrug ca. 2000 l. Das Hydrauliköl mit einem Flammpunkt von 225 Grad C wurde von dem Hydraulikaggregat unter Hochdruck (70-140 bar) in einem Verteilungsnetz zu den in Bewegung zu setzenden Strukturen geleitet. Dieses Verteilungsnetz bestand zum Teil aus festen Stahlleitungen, überwiegend aber aus Schläuchen mit einer Wärmebeständigkeit, die vom Hersteller nur bis 100-120 Grad gewährleistet wurde. Allein die Hydraulikölmenge in den Schläuchen von der Abwickelhaspel bis zum Schweißgerät im Eingangsbereich, also dem Entstehungsort der späteren Brandkatastrophe, lag bei ca. 1000 l. Daneben gab es entlang der APL5 vier kleinere Hydraulikaggregate mit Öltanks von jeweils weniger als 500 l.
56Die APL5 war nicht mit einer automatischen Feuermelde- und Löschanlage ausgestattet, sondern mit einer Reihe von entlang der Linie positionierten manuellen Feuerlöschern mit einer Wurfweite von einem Meter. Das in den Feuerlöschern befindliche Löschmaterial war CO2, obwohl angesichts der Brandgefahr von Papier Pulver als Löschmaterial vorgeschrieben war.
57Allein die Kombination von erhitztem Stahl, Walzöl, Papier und unter Hochdruck stehendem Hydrauliköl führte zu einem signifikanten Brandrisiko an der APL5 und den anderen Bändern der Stahlverarbeitung. Dem Werk wurde am 02.12.2004 ein erhebliches Brandrisiko nach dem sogenannten Seveso-Dekret zugeschrieben.
58Tatsächlich waren Brände in den Stahlwerken nicht nur ein theoretisches Risiko, sondern traten mit einer Häufigkeit von einmal pro Woche bis zweimal täglich auf. Auch wenn es sich dabei überwiegend um kleinere Brände handelte, gab es auch größere Brandereignisse mit erheblichen Gefährdungspotenzial.
59Aus der Vielzahl der in dem italienischen Strafverfahren festgestellten, der eigentlichen Brandkatastrophe vorausgegangenen Brandereignisse sind vor allem folgende wegen ihrer Bedeutung für das vorliegende Verfahren herauszugreifen:
60Am 13.09.2001 kam es im Werk in S2 zu einem sog. flash fire, bei dem sich aus einem geplatzten Hydraulikschlauch austretendes Öl explosionsartig entzündet und eine Feuerwalze gebildet hatte. Damit hatte sich bereits damals das Risiko verwirklicht, welches von mit Öl gefüllten Hydraulikschläuchen in brandgefährdeten Bereichen ausgeht. Halten nämlich Hydraulikschläuche der Hitzeeinwirkung nicht stand und platzen, tritt Hydrauliköl aus und entzündet sich. Da das Öl in der Leitung unter einem hohen Druck von 70 bis 140 Bar steht, kommt es zu einer explosionsartigen Feuerwolke, deren Ausdehnung mehrere Meter umfassen kann.
61Am 24.03.2002 kam es erneut zu einem Brand großen Ausmaßes im Werk S2. Brandauslöser war das abgetropfte Walzöl, das sich unter der Anlage „Sendzimir 62“, in der der Walzprozess – also der erste Verarbeitungsschritt - erfolgte, angesammelt hatte. Die anwesenden Arbeiter hatten – wie üblich, worauf noch einzugehen sein wird – versucht, das Feuer mit den ihnen zur Verfügung stehenden Feuerlöschern zu löschen. Da diese Versuche fehlschlugen, breitete sich der Brand so weit aus, dass die letztendlich zu Hilfe gerufene Feuerwehr mit 270 Einheiten drei Tage zum Löschen brauchte. Gegen alle damaligen Mitglieder des sogenannten „Exekutivausschusses“ von S wurde wegen jenes Brandes Anklage erhoben und sie wurden später in 1. Instanz mit Urteil des Landgerichts Turin vom 10.05.2004 strafrechtlich verurteilt. Rechtskräftig wurde das Urteil am 10.12.2008, allerdings wohl nur gegen den damaligen Vorsitzenden des Exekutivausschusses, dem als Verschulden zur Last gelegt wurde, trotz des „höchst brandgefährdeten Standorts infolge von zur Kühlung genutztem Öl“ kein System zur Bildschirmüberwachung in den nicht besetzten Untergeschossen installiert zu haben und kein automatisches Schaumlöschsystem vorgesehen zu haben. Dies wurde ihm als „bewusste Fehlentscheidung der Geschäftsleitung“ zur Last gelegt.
62Am 28.10.2003 kam es im Werk in S3 zu einem Ölbrand, weil das Stahlband nicht ordnungsgemäß zentriert durch die Anlage gezogen wurde und deswegen an den Seiten der Anlage rieb, wobei die hierdurch entstandenen Funken einen Brand auslösten, der auch einen Teil des Hydraulikkreislaufs beschädigte. Als Konsequenz hieraus wurde im Werk S3 eine Vorrichtung eingebaut, die den Vorschub des Stahlbandes bei einer bestimmten Abweichung von der Mitte automatisch stoppte.
63Am 14.01.2005 kam es wiederum im Werk in S2 an der sogenannten Linie 4 zu einem Brand, weil das Stahlband an der Seitenwand der Anlage rieb und die hierdurch hervorgerufenen glühenden Metallspäne Papier entzündete. Die anwesenden Arbeiter griffen das Feuer mit tragbaren Feuerlöschern an. Versuche, das Feuer mit Löschschläuchen zu löschen, schlugen fehl, weil diese nicht funktionierten.
64Bereits kurz darauf, nämlich am 16.01.2005, kam es erneut zu einem Brand an der Anlage Sendzimir 62 im Werk in S2, bei dem sich der Schichtleiter veranlasst sah, die Feuerwehr anzufordern.
65Kurz darauf, nämlich im März 2005, wurde der Beschwerdeführer „Chief Executive Officer“ bei der S. Diese Position hielt er bis zum März 2012.
66Am 29.06.2005 kam es in S2 zu einem Brand an der APL5 wegen des Bruchs einer Ölleitung, die sich aufgrund Kontakts mit heißer Metallstruktur entzündet hatte. Das Feuer wurde gelöscht von Arbeitern und dem werkseigenen Notfallteam.
67Wenig später, nämlich am 23.07.2005, kam es in S2 erneut zu einem Brand, bei dem sowohl der Polizei als auch der Feuerwehr der Zugang zum Werk verwehrt wurde.
68Tatsächlich war es nicht erwünscht, dass Arbeiter die Feuerwehr zu Hilfe riefen. Bei einem späteren Brand mit hohen Flammen, der sich im Jahr 2007 ereignete, hatte sich ein Arbeiter erschreckt und die Feuerwehr gerufen. Dafür wurde er gerügt, weil er nicht hierzu befugt gewesen sei. Den Arbeitern wurde erklärt, dass niemand befugt sei, die externe Feuerwehr zu rufen. Die Brandbekämpfung wurde als Aufgabe ausschließlich der Arbeiter und des werkseigenen Notfallteams angesehen.
69Dementsprechend sah der am 20.06.2006 von dem Leiter des Präventions- und Schutzdienstes im Werk S2 und späteren Mitangeklagten D, gegen den in dem hier in Rede stehenden italienischen Strafverfahren rechtskräftig eine Freiheitsstrafe von 6 Jahren 8 Monaten verhängt worden ist, erstellte Notfall- und Evakuierungsplan, der von dem Beschwerdeführer nach eigenen Angaben zwar gebilligt, aber pflichtwidrig nicht unterzeichnet wurde, unter anderem vor, dass im Brandschutz geschulte Personen im Brandfall aktiv werden und die in der Nähe des Ereignisorts befindliche Feuerlöscheinrichtung einsetzen müssen (Unterstreichung durch den Senat). Erscheine das Feuer „offensichtlich heftig“, müsse die Person „den Wachdienst rufen und detaillierte Informationen“ geben. Der Wachdienst müsse per Funk den Einsatz des werkseigenen Notfallteams und des Schichtleiters Wartung anfordern. Im Fall von Verletzten müsse er außerdem die werkseigene Krankenschwester informieren. Während der Wartezeit auf die Rettungsmannschaft habe der Bereichsschichtleiter die Entfernung gefährlichen Materials von der Brandstelle anzuordnen, soweit dies möglich sei. Außerdem habe er dafür Sorge zu tragen, dass von dem Vorfall nicht betroffene Personen, Besucher etc. von der Brandstelle zu entfernen seien. Eine Anordnung, unter welchen Voraussetzungen und von wem die Feuerwehr zu Hilfe zu rufen sei, enthielt der Notfallplan ebenso wenig wie die Anweisung zur – aus Kostengründen unerwünschten – Notabschaltung des Bandes bzw. der Anlage. Was unter einem „offensichtlich heftigen“ Feuer zu verstehen sein sollte, lies der Notfallplan ebenfalls ungeklärt und damit der Einschätzung jedes einzelnen Arbeiters überlassen.
70Am 05.09.2005 kam es erneut zu einem Feuer an der Anlage Sendzimir 62, das von Mitarbeitern mit Hilfe einer fest installierten Anlage und Feuerlöschern gelöscht wurde.
71Ein weiteres Brandereignis an der Anlage Sendzimir 62 ereignete sich am 30.10.2005. Das Feuer wurde durch Arbeiter und das werkseigene Notfallteam gelöscht.
72Am 29.03.2006 ereignete sich wiederum an der Anlage Sendzimir 62 ein Brand, der von Mitarbeitern mittels einer festmontierter Löschanlage gelöscht werden konnte. Eine Alarmierung des werkseigenen Notfallteams schlug fehl, weil das Alarmsystem nicht funktionierte.
73Ein für die Beurteilung des vorliegenden Falles einschneidendes Brandereignis ereignete sich dann am 22.06.2006, allerdings nicht in einem der Werke von S, sondern der S6 in L. Es handelte sich um einen verheerenden Brand, der sich an einer Verarbeitungslinie entwickelte, an der dieselben Verarbeitungsvorgänge wie an der APL5 im Werk S2 ausgeführt wurden. Durch Festfressen von zwei Kautschukrollen entstanden Kautschukspäne, die Feuer fingen. Die Flammen griffen auf die Beizwannen über und breiteten sich so weit aus, dass die gesamte Struktur zusammenbrach und den Ofen am Boden zerquetschte. Außerdem zerstörten die Flammen eine durch eine Metallwand getrennte weitere Verarbeitungslinie. Letztlich führte der Brand zu einer völligen Zerstörung des Werks und einem Gesamtschaden von mehr als 100 Mio. Euro. Personen kamen wie durch ein Wunder nicht zu Schaden. Die B2-Versicherung, bei der der Konzern gegen Brandschäden versichert war, nahm die Brandkatastrophe in L zum Anlass, den Selbstbehalt bei Brandschäden an allen Beiz- und Glühlinien von 50 auf 100 Mio. Euro anzuheben.
74Im Werk S3 wurden daraufhin sofort Feuerlöscher mit langen Wurfweiten installiert. Im Werk S2 unterblieb diese Maßnahme.
75Knapp ein halbes Jahr nach dem Brand in L, nämlich am 28.11.2006, ereignete sich ein weiteres verheerendes Brandereignis in einem Werk des Konzerns in N2 im Südural, bei dem 10 Menschen zu Tode kamen.
76Bereits nach dem Brand in L hatte die Muttergesellschaft reagiert und eine Arbeitsgruppe „X“ (X) ins Leben gerufen, deren Mitarbeiter den Tochtergesellschaften bei der Umsetzung von Brandschutzmaßnahmen beratend zur Seite stehen sollten. Hintergrund dieser Maßnahme war auch, dass die die Brandrisiken abdeckende Versicherung B2 nach jenem Brand die Selbstbeteiligung pro Brandschadensfall für S5 und deren Tochterunternehmen – also auch S – auf 100 Mio. Euro erhöht hatte. Eine Herabsetzung der Selbstbeteiligung auf 50 Mio. Euro wurde von der B2 von zusätzlichen Brandschutzmaßnahmen abhängig gemacht. Zur Ermittlung und Umsetzung dieser Brandschutzmaßnahmen sollte X die Tochtergesellschaften unterstützen.
77Im Hinblick auf solche Maßnahmen erstellte M, ein für den Bereich Sicherheit am Arbeitsplatz zuständiger Mitarbeiter von D, im Mai 2007 eine Präsentation, aus der sich ergab, dass neben einer großen Menge von Hydrauliköl an der gesamten APL5 vor allem die Schweißzone im Zuführbereich des Bandes mit Hydraulikölanlagen mit einem Volumen von ca. 0,3 m³ - und damit der Entstehungsort der späteren Brandkatastrophe - ein vor Brandrisiken zu schützender Bereich war. Ausdrücklich war in der Präsentation auf das Risiko einer unkontrollierten Ausweitung des Feuers wegen Verbrennung oder Bruch der Rohrmanschetten hingewiesen worden, welche begünstigt durch den Ölhochdruck extrem schnell sein könne. Damit war in der Präsentation exakt ein Brandverlauf beschrieben, wie er sich schon bei dem Brand im Werk S2 am 13.09.2001 verwirklicht hatte und bei der späteren Brandkatastrophe vom 06.12.2007 erneut verwirklichen sollte.
78Spätestens mit der Kenntnis von dem Brand in L und den daraus resultierenden Aktivitäten der S5 bestand auch für den Beschwerdeführer keinerlei Veranlassung mehr, das enorme Risiko von unkontrollierbaren Brandereignissen und die Priorität von Brandschutzmaßnahmen zu verkennen, zumal er auch schon vorher auf die mangelnde Brandsicherheit der Anlagen in dem Werk in S2 aufmerksam gemacht worden war. Schon nach dem bereits erwähnten Brand am 24.03.2002 nämlich hatte die Feuerwehr am 24.06.2002 S zur Umsetzung der zum Erhalt des Brandschutzzertifikats geplanten Maßnahmen aufgefordert und am 14.01.2004 zwar eine vorläufige Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt, in der aber nur die Arbeiten in dem vom Brand am 24.03.2002 beschädigten Bereich (also Sendzimir 62, Walzbereich) als vollendet angegeben wurden und „zur Kenntnis genommen“ wurde, dass das Unternehmen „größte Priorität der Verbesserung des Wassernetzes und der Vorbereitung von verschiedenen automatischen/manuellen Melde- und Löschanlagen“ eingeräumt hatte. In Bezug auf den gesamten Komplex war schon damals von der Feuerwehr ein Strategieplan der erforderlichen Arbeiten mit einem zeitlich vertretbaren Rahmen gefordert worden. Daraufhin hatte der Leiter des Werks S2 und spätere Mitangeklagte T, der in dem italienischen Strafverfahren rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren 2 Monaten verurteilt worden ist, den Beschwerdeführer bereits am 23.01.2004 schriftlich zur Zusammenarbeit bei der Ausführung der Arbeiten für das Brandschutzzertifikat aufgefordert. Möglicherweise als Reaktion hierauf hatte S in den Jahren 2004 - 2006 verschiedene Arbeiten zum Brandschutz ausgeschrieben, darunter die Installation einer automatischen Brandmelde- und Löschanlage, um das Brandschutzzertifikat zu erhalten. Die Ausschreibung war letztlich aber abgebrochen worden.
79Vor diesem Hintergrund wusste der Beschwerdeführer schon vor dem Brand in L um die Notwendigkeit zusätzlicher Brandschutzmaßnahmen. Spätestens nach jenem Brand allerdings bestand für ihn überhaupt kein Zweifel mehr an der Priorität dieser Maßnahmen. Allerdings befand er sich in einem Zielkonflikt: er verfolgte nämlich spätestens seit Ende des Jahres 2005 aus Gründen der Sanierung von S die Idee, das Werk in S2 zu schließen und die dort installierten Anlagen nach S3 zu verlegen, weshalb er nicht nur zunehmend das Interesse an dem Werk verlor, sondern auch Investitionen in den Brandschutz scheute. Als Folge schlug er nicht nur alle Warnungen bzw. Hinweise auf Schwächen des Brandschutzes in den Wind, sondern ergriff auch keinerlei Maßnahmen, um die Brandsicherheit im Werk S2 in der Phase der Umstrukturierung zu erhöhen.
80An Hinweisen zu der Notwendigkeit solcher Maßnahmen mangelte es in der Folgezeit indessen nicht:
81Schon am 16.01.2007 wies X in einer Vorlage an alle Tochtergesellschaften der S5 - darunter auch S - auf die „erhöhte Brandlast wegen Hydrauliköl“ und auf die Gefahr eines extrem schnellen Übergreifens der Flammen aufgrund Platzens von Hydraulikleitungen/Manschetten nahe der Abwickelhaspeln hin.
82Kurz darauf, am 24.01.2007 beschloss der Exekutivausschuss von S5, den Tochtergesellschaften in erheblichem Umfang Mittel für außerordentliche Investitionen auf dem Gebiet des Brandschutzes zur Verfügung zu stellen.
83Am selben Tag, dem 24.01.2007, wurden bei einem Treffen der X die wesentlichen Brandrisiken und Brandschutzmaßnahmen erörtert. Im Sitzungsprotokoll war hervorgehoben, dass „erstes Ziel des Brandschutzes ... der Schutz des Personals“ sei. Weiter war dort zu lesen: „Der Alarm muss unmittelbar der (werksinternen) Feuerwehr gegeben werden….. Abwickelhaspel mit Hydrauliköl – Unfallrisiko…. Gefahr der Ausbreitung eines Brandes wegen Platzens von Hydraulikölschläuchen mit sich extrem schnell ausbreitenden Flammen durch den hohen Druck…. Automatisches Brandmeldesystem…..“.
84Bereits kurz darauf, nämlich am 17.2.2007, wurden S anlässlich einer Besprechung, die in L2 stattfand, außerordentliche Budgets für Brandschutz in Höhe von 8 Mio. Euro für das Geschäftsjahr 06/07, 5 Mio. Euro für das Geschäftsjahr 07/08 und 3,7 Mio. Euro für das Geschäftsjahr für 08/09 zugesagt.
85Wenige Tage später, nämlich am 21.02.2007, erhielt der Beschwerdeführer von der X eine Mitteilung mit Einzelheiten zu dem „vorbildlichen“ Wiederaufbauprojekt L, dem zu folgen sei. Er leitete die Mail u.a. an den Leiter des Bereichs Technik und Service bei S und späteren Mitangeklagten N, der in dem italienischen Strafverfahren rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren 6 Monaten verurteilt worden ist, weiter zur Prüfung, ob das Modell mit italienischen Brandschutzvorgaben kompatibel sei.
86Noch am selben Tag allerdings beschloss der Exekutivausschuss von S, dem auch der Beschwerdeführer angehörte, die von S5 zur Verfügung gestellten außerordentlichen Mittel überwiegend im Werk S3 einzusetzen. Bezogen auf das Werk in S2 erfolgte in dem Beschluss nur eine unspezifische Angabe für die Geschäftsjahre 06/07 und 07/08 in Höhe von insgesamt 2,1 Mio. Euro, wovon für die APL5 0,6 Mio. für den Austausch der Leitungen mit nicht entzündlichem Material und 0,4 Mio. für Alarm- und Löschanlagen im Beizbereich vorgesehen waren.
87Der Umstand, dass diese – und andere für das Unternehmen S wesentliche Entscheidungen – in einem Exekutivausschuss getroffen wurden, hatte folgenden für das Verfahren wesentlichen Hintergrund:
88Bereits viele Jahre vor den hier in Rede stehenden Ereignissen, nämlich im Jahr 1997, war durch Vorstandsbeschluss bei S die Einrichtung eines Management Boards beschlossen worden, in dem die Leiter der Zentralabteilungen Produktion, Controlling, Vertrieb und Personal gemeinsam mit dem geschäftsführenden Vorstandsmitglied tätig waren. In § 5 jenes Vorstandsbeschlusses waren unter „Arbeitsbezogene Probleme“ die einzelnen Befugnisse aufgeführt. § 5.10 sah als Aufgabe des Boards u.a. die Vornahme aller vorgeschriebenen Aufsicht/Überprüfung/Kontrollen sowie die Vorbereitung aller Vorsorge- und Sicherheitsmaßnahmen und Sicherheitsvorkehrungen und Unfallverhütung vor.
89Mit Vorstandsbeschluss vom 25.07.2001 war sodann ein Exekutivausschuss bei S eingerichtet worden, also ein aus drei Vorstandsmitgliedern zusammengesetztes Organ, das Kollegialentscheidungen zu allen erheblichen, auch die Arbeitssicherheit betreffenden Fragen zu treffen hatte.
90Dieser Exekutivausschuss wurde mit Vorstandsbeschluss vom 10.03.2005 aufgelöst und der Beschwerdeführer als geschäftsführendes Vorstandsmitglied bestellt. Außerdem wurden als sogenannte „beauftragte Vorstandsmitglieder“ die späteren Mitangeklagten Q und Q2 bestellt. Mit inhaltlich widersprüchlichem Vorstandsbeschluss vom 02.03.2006 wurden sodann dem Beschwerdeführer alle Aufgaben und Verantwortlichkeiten betreffend die Arbeitssicherheit zugewiesen. Gleichzeitig allerdings wurde den beiden Vorstandsmitgliedern Q, zuständig für die Gebiete Verwaltung, Finanzen und Controlling, und Q2 ebenfalls die Alleinzeichnungsberechtigung im Hinblick u.a. auf die in § 5.10 des Vorstandsbeschlusses vom 23.1.97 genannten Aufgaben erteilt. Dass darunter auch die Belange der Arbeitssicherheit zu verstehen waren, wurde in dem italienischen Verfahren u.a. aus dem Wortlaut einer von Q am 09.03.2006 erfolgten Delegation seiner Befugnisse auf einen F3 geschlossen.
91Auch der Beschwerdeführer übertrug am 09.03.2006 alle Befugnisse, die „seinen Verantwortungsbereich und seine Aufgaben auf dem Gebiet von ... Sicherheit am Arbeitsplatz“ betreffen, soweit es den Standort S2 anging, auf T, den Direktor jenes Werkes. T allerdings hatte insoweit Verfügungsgewalt über ein Budget von lediglich max. 30.000 €, was für effektive Brandschutznahmen bei weitem nicht ausreichte. Mit T stand der Beschwerdeführer täglich in Kontakt und wurde von ihm über alle nicht unerheblichen Unfälle einschließlich Brände informiert.
92Ungeachtet der offiziellen – inhaltlich allerdings widersprüchlichen und aus rechtlicher Sicht überhaupt nicht erforderlichen – Auflösung des Exekutivausschusses trafen sich die Mitglieder des Exekutivausschusses – also der Beschwerdeführer, Q und Q2 – auch weiterhin regemäßig, um wichtige Angelegenheiten des Unternehmens zu besprechen, wobei auch Protokolle geführt und Entscheidungen getroffen wurden. So hatte der Beschwerdeführer beispielsweise am 22.06.2006 im Exekutivausschuss einen Überblick über den verheerenden Brand in L gegeben; anschließend war in dem Ausschuss darüber diskutiert worden, wie S der S6 angesichts des Produktionsausfalls behilflich sein könne.
93Die sich aufdrängende Frage, aus welchem Grund die fragwürdige Auflösung des Exekutivausschusses erfolgte, wurde in dem Urteil des 1. Schwurgerichts zweiter Instanz in S2 vom 28.02.2013 mit eingehender Begründung dahingehend beantwortet, dass diese Maßnahme lediglich pro forma erfolgte, wobei es als zwar nicht sicher feststellbar, aber jedenfalls naheliegend erachtet wurde, dass damit eine Haftung aller drei Mitglieder des Exekutivausschusses umgangen werden sollte, nachdem wegen des Brands im Werk S2 vom 24.03.2002 alle drei damaligen Mitglieder des Exekutivausschusses angeklagt worden waren. Tatsächlich nämlich wurden auch weiterhin wichtige Entscheidungen von dem Exekutivausschuss getroffen.
94Dazu zählt auch, um auf die chronologische Reihenfolge der Ereignisse zurückzukommen, die bereits erwähnte Entscheidung am 21.02.2007, die von S5 zur Verfügung gestellten außerordentlichen Mittel überwiegend im Werk S3 einzusetzen und hinsichtlich des Werks in S2 nur unspezifische Angaben für die Verwendung der außerordentlichen Mittel zu machen.
95Zum gleichen Zeitpunkt, nämlich im Februar 2007, erfolgte der letzte Brandschutzkurs für das Personal des Werks S2. Weitere Kurse waren aus Gründen des Personalabbaus und wegen Sparmaßnahmen im Hinblick auf die für 2008 geplante Schließung des Werks nicht mehr vorgesehen. Allerdings waren die Kurse auch schon zuvor außerhalb der Arbeitszeit abgehalten worden, so dass eine Teilnahmepflicht faktisch nicht mehr bestand. Letztlich führte all dies dazu, dass immer weniger der in S2 noch eingesetzten Arbeiter Kenntnisse in der Brandbekämpfung hatten. So kam es, dass der in der den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden Brandnacht anwesende Zuständige für das Notfallmanagement, N, der als erster der Arbeiter verbrannte, noch nicht einmal einen Brandschutzkurs abgeschlossen hatte.
96Am 05.03.2007 richtete der Beschwerdeführer in einer Email an N die Frage, welche der Vorgaben aus dem Wiederaufbau des Werks in L sich als nützlich für S herausgestellt hätten.
97Wenige Tage später, am 09.03.2007, erhielt der Beschwerdeführer ein Schreiben des Leiters der X, S12, in dem dieser über das Meeting in L2 Bericht erstattete. Der Beschwerdeführer wurde in dem Schreiben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht ausreichend sei, „Plastikteile zu ersetzen“, sondern dass automatische Melde- und Löschanlagen zu installieren seien. Als letzter Fälligkeitstermin für die Präsentation der Projekte, die zur Herabsetzung des Selbstbehalts dienen sollten, wurde in dem Schreiben der 30.04.07 und für definitive Projekte der September 2007 genannt. Weiter wurde der Beschwerdeführer in dem Schreiben davon in Kenntnis gesetzt, dass im Konzern eine Koordinierung sämtlicher Brandschutz-Initiativen vorgesehen sei. Die einzelnen Gesellschaften seien gehalten, bis zum 30.03.2007 eine endgültige Auflistung der Projekte hierfür zu übermitteln, wobei die Priorität auf Maßnahmen zur Herabsetzung des Selbstbehalts der Versicherung läge. Noch einmal wurde der Beschwerdeführer auf die Vorbildlichkeit der Maßnahmen in dem wiederaufgebauten Werk in L (S6) hingewiesen.
98Am 16.03.2007 beauftragte der Beschwerdeführer den Leiter des Controlling der Geschäftsführung, S11, eine Antwort auf die Anfrage des Leiters der X vorzubereiten.
99Zeitgleich, nämlich am 16. und 17.03.2007 fand in Q3 – Mexiko – ein von der S5 veranstaltetes Meeting statt, bei dem nicht nur die Brandunglücke in N2 und L, sondern auch das in S2 vom 24.03.2002 diskutiert wurden. Als Ergebnis jener Veranstaltung wurde festgehalten, dass es „ein Wunder“ gewesen sei, dass bei dem Brand in L keine Personen zu Schaden gekommen waren. Allerdings seien bei dem Unglück in N2 neben der Zerstörung der Beizlinie auch 10 Personen ums Leben gekommen. Diese Beispiele zeigten, dass eine auf höchster Ebene ausgearbeitete Brandschutzstrategie absolut notwendig sei. Es müsse ein Null-Toleranz-Maßstab gelten. Ausdrücklich wurde als Ergebnis festgehalten: „Das Bewusstsein für die Risiken seitens unseres Personals muss geschärft werden. Ferner müssen spezifische Ausbildungskurse organisiert werden. Aus diesem Grund ist eine außerordentliche Initiative von wesentlicher Bedeutung.“ Der Beschwerdeführer war über diese Besprechung informiert. Er hatte der S5 zur Vorbereitung jenes Meetings per Email Material von der S zu dem Brand am 24.03.2002 geschickt, wobei er in der Anlage zu jener Email Investitionen iHv 1,5 Mio. Euro für das Geschäftsjahr 06/07 zur Erlangung des Brandschutzzertifikats angegeben hatte. In einer beigefügten Tabelle waren von ihm „Schmutz und Öl“ als wichtigste Risikofaktoren angegeben.
100Kurz darauf, nämlich am 28.03.2007, beantwortete S11 die bereits erwähnte Anfrage des Beschwerdeführers vom 16.03.2007 hinsichtlich einer Antwort an den Leiter von X, und übersandte seine Stellungnahme mit einer detaillierten Liste der Projekte für S u.a. an den Beschwerdeführer und N. Im Hinblick auf die von S5 für S bereitgestellten außerordentlichen Budgets waren darin folgende Vorschüsse wegen Dringlichkeit aufgeführt: für das Geschäftsjahr 06/07 9,1 Mio. Euro und für das Geschäftsjahr 07/08 2,7 Mio. Euro. Allerdings fanden sich in der Anlage zu jenem Schreiben detaillierte Angaben nur zu dem Werk S3. Bezogen auf das Werk in S2 waren die Angaben nur allgemein auf „den Kaltbandbereich“ – also nicht die Linie APL5 – bezogen. Danach waren für die beiden Geschäftsjahre für S2 1,5 Mio. und 1 Mio. Euro nur ganz allgemein „für Tätigkeiten der internen Beurteilung mittels Prüfung der Versicherung“ vorgesehen.
101Wenige Tage später, am 02.04.2007 übersandte S11 eine Liste der vorgesehenen Brandschutzprojekte betreffend das Werk in S3 an den Leiter der X, S12. Für das Werk in S2 enthielt auch jene Liste keine detaillierten Angaben. Stattdessen wurde die für S2 vorgesehene Investition von 1,5 Mio. Euro vom ersten auf das zweite Geschäftsjahr (also auf 07/08) verschoben. Für das Geschäftsjahr 06/07 verblieb der Betrag von 1 Mio. Euro für „interne Beurteilung mittels Prüfung der Versicherung“.
102Am 03.04.2007 verabschiedete der Exekutivausschuss von S5 in Anwesenheit des Beschwerdeführers innerhalb der vorgesehenen Budget-Grenzen (8+5 Mio) den Plan und die Projekte für das Geschäftsjahr 06/07, wie vorgesehen.
103Am 12./13.04.2007 besuchten zwei Techniker der B2 - X2 und C - das Werk in S2, um nach dem Brand in L die Gefährlichkeit der von B2 versicherten Linien zu prüfen. Dabei wurde u.a. der geringe Wasserdruck an der Feuerlöschringleitung als Mangel feststellt und ein fest installiertes Brandschutzsystem gefordert. Der auf dem Besuch beruhende Bericht, der eine eingehende Darlegung der Brandrisiken enthielt, wurde später, nämlich am 31.07.2007, erstellt.
104In einer Email vom 16.04.2007 wurden dem Direktor des Werks in S2, T, sowie dem Vorsitzenden der X, S12, eine von der B2 erstellte Aufstellung der verschiedenen Maßnahmemöglichkeiten für die Linien 4 und 5 in S2 übersandt.
105Am 17.04.2007 leitet T diese Email an den Beschwerdeführer weiter mit Hinweis, dass bis zum 27.04.2007 eine Entscheidung über die zu treffenden Maßnahmen vorliegen müsse. Der Beschwerdeführer wiederum leitete die Email mit verschiedenen Fragen, u.a. nach der Wirtschaftlichkeit, an seinen Vertrauten und Sicherheitsverantwortlichen N weiter.
106Ebenfalls am 17.04.2007 spornte der Leiter der X, S12, in einer Email alle leitenden Angestellten der verbundenen Gesellschaften im Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Koordination der Bekämpfung von Brandgefahren an und berichtet über die Schaffung einer neuen Figur des „technischen Risikomanagers bei S5“ und über die „Bestellung von Risikoingenieuren“ für jeden produzierenden Standort.
107Am 03.05.2007 erhielten D, T und Q (letzterer „offensichtlich in Bezug auf die finanziellen Aspekte“) eine Email von der Abteilung „Allgemeine und rechtliche Angelegenheiten S3“, in der die Vorbereitung eines neuen Dokuments zur Risikobewertung einschließlich Brand-/Explosionsgefahr angemahnt wurde.
108Daraufhin erstellte D am 22.05.2007 ein neues Dokument zur „Risikobewertung Brand“, durch welches allerdings lediglich das vorherige, aus 2003 stammende Dokument zur Risikobewertung, welches nach dem Brand am 24.03.2002 erstellt worden war, ersetzt wurde. D nahm jenes alte Dokument als Vorlage, weil sich „nichts geändert hatte“, und ergänzte es lediglich um eine höhere Anzahl an Feuerlöschern. Sein wissenschaftlicher Bezugspunkt war dabei nicht mehr als eine Fachzeitschrift. Obwohl mittlerweile das Risiko durch ölgefüllte Schläuche bekannt war, enthielt das neue Dokument keinerlei Ausführungen hierzu.
109Am 19.06.2007 erhielt der Beschwerdeführer einen Bericht von C von der B2–Versicherung hinsichtlich der bei der Werksbesichtigung am 19./21.12.2006 getroffenen Feststellungen. In dem Bericht wurde ausdrücklich der Schutz der Hydraulikeinheiten sowie eine automatische Sprinkleranlage für Bereiche mit mehr als 500 l Hydrauliköl als vorrangig gefordert.
110Am selben Tag, dem 19.06.2007, beantragte S bei S5 die Freigabe des für 06/07 gebilligten Budgets, das vollständig für das Werk in S3 bestimmt war. Insbesondere war für die sogenannte Linie „LAF4“ in S3 die Installation eines Meldesystems mit Sprinkleranlage in den Beizsektionen und eines CO2-Melders in den elektrischen Betriebsräumen vorgesehen.
111In einer Besprechung des Exekutivausschusses von S am 28.6.07 wies der Beschwerdeführer Q und Q2 auf die sehr ungute Marktlage hin, weshalb das Werk in S3 für den gesamten Monat August geschlossen werden würde. Anlässlich der Besprechung wurde auch das Budget 07/08 ausführlich diskutiert.
112Etwa zur gleichen Zeit, nämlich im Juni 2007, begann der Personalabbau im Werk S2 mit der Entlassung von ca. 100 Angestellten. Als Folge hiervon mussten z.B. die Aufgaben von Schichtleitern, die eigentlich für verschiedene Bereiche zuständig waren, zusammengelegt werden. Die Folgen des Personalabbaus für die Wartung der Anlagen waren erheblich. So funktionierten insbesondere die automatischen Zentriersysteme bei der Zuführung der Bänder bereits längere Zeit vor dem Brandereignis am 06.12.2007 nicht mehr.
113Zudem wurde auch die für den Brandschutz wichtige Reinigung des Werks von ölgetränktem Papier und anderem brandgefährlichem Material entlang der Verarbeitungslinien heruntergefahren. Von der Reinigungsfirma F wurde „eine höhere Flexibilität im Rahmen des Global-Service-Vertrags“ gefordert. Diese Verringerung der Reinigungsarbeiten führte zu einer Zunahme der Verschmutzung des Werks durch Ölreste und Papier und damit zu einer Erhöhung des Brandrisikos.
114An diesen Zuständen änderte auch ein am 12.07.2007 auf der Webseite von S5 erschienener Artikel nichts, in dem auf ernsthafte Brandrisiken aufgrund zahlreicher möglicher Ursachen wie Strom, Funken, Motorüberhitzung, Explosionen, menschliches Versagen etc. hingewiesen wurde und in dem für die fest installierten Anlagen Abschaltvorrichtungen und Feuerlöscher sowie bestimmte Prüftätigkeiten genannt wurden, weil die fortwährende Überwachung der Sauberkeit und das Nichtvorhandensein von brennbaren Stoffen in Gefahrenzonen von wesentlicher Bedeutung seien.
115Am 12.07.2007 teilte die S5 dem Beschwerdeführer und Q mit, die Ausgaben für das Geschäftsjahr 06/07 gebilligt zu haben. Damit hatte sich die Vorstellung des Beschwerdeführers verwirklicht, keine Mittel mehr in Brandschutzmaßnahmen in S2 einzusetzen. Auch für Q war damit klar, dass es im Werk in S2 keine Investitionen für Brandschutzmaßnahmen mehr geben würde.
116Am 25.07.2007 unterzeichnete S beim zuständigen Ministerium in Italien eine Absichtserklärung mit den Gewerkschaften, wonach das Werk in S2 nach schrittweiser Einstellung der Produktion im September 2008 geschlossen werden sollte.
117Am 31.07.2007 verfasste der für die B2 tätige Ingenieur X2 einen Bericht über den Besuch im Werk S2 am 13.04.2007. Aus den Einzelheiten jenes Berichts wurde deutlich, dass das von der Versicherung angestrebte Ziel in erster Linie nicht der Reduzierung von Brandrisiken zum Schutz von Personen diente, sondern vor allem Schäden an der Anlage minimiert werden sollten. Ungeachtet dessen wurden die Brandrisiken in jenem Bericht deutlich dargelegt. Als Hauptrisiken der APL5 wurden ausdrücklich der Einsatz brennbarer Flüssigkeiten für Hydraulikkreisläufe insbesondere im Bereich der Auf- und Abwickelhaspeln genannt, daneben auch die Verwendung brennbarer Materialien u.a. in Beizwannen. Moniert wurde wiederum das Fehlen einer Sprinkleranlage. Als Schlussfolgerung wurde das Brandrisiko als „mittelmäßig bis hoch“ – und damit höher als in dem wenige Wochen zuvor von D erstellten Dokument zur Risikobewertung – eingestuft.
118Dass dem Beschwerdeführer dies alles nicht unbekannt war, ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass er am 28.08.2007 dem Exekutivausschuss darüber berichtete, dass es bei S und den anderen Subunternehmen ein starkes Bedürfnis nach Verbesserung der Arbeitssicherheit gebe und dass in den folgenden Tagen eine Pressekonferenz zum Thema Sicherheit abgehalten werde. In dem Zusammenhang berichtete er von verschiedenen Unfällen bei S in jüngster Zeit.
119Dennoch stellte der Beschwerdeführer seine bis September 2007 regelmäßigen Besuche des Werks in S2 in der Folgezeit ein. Allerdings telefonierte er täglich mit T, von dem er über alle nicht unerheblichen Unfälle, auch Brände, informiert wurde.
120Zeitgleich wurden die Schichten im Werk S2 unter weiterem Personalabbau von 21 auf 15 reduziert, was dazu führte, dass immer mehr Aufgaben, wie zum Beispiel die des Produktionsleiters und des Instandhaltungsleiters, auf eine Person konzentriert wurden. Dies sowie weitere Einsparungen führten zunehmend zu Mängeln bei der Wartung der Anlage.
121Derartige Mängel blieben nicht unbemerkt. Am 17.09.2007 erfolgte ein Inspektionsbesuch der örtlichen Gesundheitsbehörde im Werk S2. Dabei wurden Mängel bei der Instandhaltung und Risiken beim Übergang von Handbetrieb auf Automatikbetrieb an den Produktionslinien festgestellt. Von der Gesundheitsbehörde wurde auch eine Überarbeitung des Dokuments zur Risikobewertung angeordnet.
122Dennoch wurde am 01.10.2007 auch noch der Vertrag mit der Reinigungsfirma F2 abgeändert, und zwar von einem Global-Service-Vertrag zu einem Service auf Abruf mit Bezahlung geleisteter Stunden, worauf die im Werk S2 mit Reinigungsarbeiten beauftragten Angestellten der Reinigungsfirma von 5-6 auf 2 verringert wurden. Als Folge sammelten sich ölgetränkte Papierabfälle entlang der Linie APL5. Auch das brennbare Walzöl tropfte entlang der gesamten Linie von den Bändern ab, vor allem aber im - von der späteren Brandkatastrophe betroffenen - Eingangsbereich.
123Am 04.10.2007 teilt S11 den Mitgliedern des Exekutivausschusses, also dem Beschwerdeführer sowie den anderweitig Beschuldigten Q und Q2, den Investitionsplan für das 2. Geschäftsjahr (07/08) mit. Darin wurde bestätigt, dass sich das Budget für jenes Geschäftsjahr auf 5 Mio. belief. Der hiervon ursprünglich für das Werk in S2 vorgesehene Betrag von 1,5 Mio. Euro wurde in dem Investitionsplan allerdings vollständig auf das Werk in S3 verschoben.
124Damit war die Vorstellung des Beschwerdeführers endgültig umgesetzt, für das Werk in S2 keine Investitionen in Brandschutzmaßnahmen mehr vorzunehmen. Dies ergibt sich auch daraus, dass einen Tag später, am 05.10.2007, S11 den Investitionsplan an den Beschwerdeführer und den mitangeklagten Q sowie – zunächst nur zur Kenntnisnahme - an S12 übersandte. Der für die APL5 vorgesehene Betrag von 800.000 Euro für Brandschutzinvestitionen im Geschäftsjahr 07/08, um die Forderungen von B2, der örtliche Feuerwehr und der X zufriedenstellen, sollte „binnen Juni 2008“ - also erst nach dem Umzug der Anlage nach S3 - u.a. für eine Brandmelde- und Sprinklerlöschanlage sowie weitere Aktualisierungen und Verbesserungen verwendet werden.
125Nachdem noch am 05.10.2007 die drei beauftragten Vorstandsmitglieder, also der Beschwerdeführer sowie die Mitangeklagten Q und Q2, diesem Investitionsplan zugestimmt hatten, wurde die entsprechende Budget-Anfrage von S an S5 gestellt. In dieser schriftlichen Anfrage wies der Beschwerdeführer ausdrücklich darauf hin, dass die APL5 eine Linie sei, die nicht den technischen Vorgaben der Versicherung, der Feuerwehr der Provinz und der X entspreche, und dass die Realisierung der in dem Investitionsplan vorgesehenen Maßnahmen zum Schutz der Personen erforderlich sei.
126Eine Woche später, am 12.10.2007, bewilligte S5 die bereitgestellten Mittel für das Geschäftsjahr 07/08 und damit die unter anderem dem Beschwerdeführer bekannte und von ihm gewollte Verschiebung der Brandschutzinvestitionen unter anderem für die APL5 auf den Zeitpunkt nach der Verlegung der Anlage nach S3.
127Der Beschwerdeführer hatte hierzu in dem in Italien geführten Strafverfahren angegeben, die Entscheidung, die auch nach seiner Auffassung erforderlichen Brandschutzmaßnahmen auf den Zeitpunkt nach dem Umzug zu verlegen, sei auch deswegen getroffen worden, weil die Arbeiten 12 oder mehr Monate in Anspruch genommen hätten.
128In der Folgezeit verschlechterte sich der Zustand des Werks in S2 aufgrund nachlassender Wartungs- und Reinigungstätigkeiten dramatisch. Im Dezember 2007 befand sich das Werk in einem „beklagenswerten Zustand der progressiven Verwahrlosung“. Eine unmittelbar nach der Brandkatastrophe durchgeführte Besichtigung der von dem Brand nicht betroffenen Teile durch die örtliche Gesundheitsbehörde ergab über 100 Beanstandungen. Gerügt wurden vor allem Ölverluste aus Schläuchen wegen schlechter Dichtigkeit der Verbindungsstücke, beschädigte elektrische Bauteile, wegen Verschmutzung nicht lesbare Beschriftungen von Schalttafeln, Ansammlungen von Papier und mit Öl verschmierten Lappen, mit Sägemehl und damit ebenfalls brennbarem Material abgedeckte Öllachen, zur Sammlung abtropfenden Öls aufgestellte Wannen, Rohrleitungen ohne Angabe des Herstellungsdatums, Ölverluste in der Nähe von Hydraulik- und elektrischen Anlagen, und vieles mehr. Die Ölpfützen auf dem Boden im späteren Brandbereich kamen vor allem daher, dass die Stahlrollen nach der Anlieferung (also dem Walzen) aus Gründen einer höchstmöglichen Produktivität nicht lange genug stehen gelassen wurden, um abzutropfen.
129Am 03.12.2007 übermittelte D eine Änderung des Notfallplans, der zufolge auch die Befugnis für das Notfallmanagement auf die vier übrig gebliebenen Schichtleiter übertragen wurde. Als er am 05.12.2007, wenige Stunden vor der Brandkatastrophe, die Mitarbeiter des Überwachungsdienstes über diese Änderung informierte, kündigte einer der Schichtleiter, N, seinen Arbeitsvertrag mit sofortiger Wirkung, weil er nicht so viel Verantwortung übernehmen könne. Er verließ das Werk noch am selben Nachmittag.
130Wenige Stunden später, kurz nach Mitternacht des 06.12.2007, ereignete sich die Brandkatastrophe an der APL 5. Ein nach dem Walzprozeß angeliefertes und im Eingangsbereich der APL5 neu zugeführtes Band war nicht richtig zentriert eingeführt worden. Die automatische Zentriereinrichtung funktionierte aufgrund mangelhafter Wartung nicht zuverlässig. Die Kontrollleuchte, die eine richtige Zentrierung hätte anzeigen sollen, war durchgebrannt und damit funktionslos. Deswegen kam es nach 0:35 Uhr zum Reiben des Metallbandes an den Kanten der Linie. Die sich berührenden Metallflächen erhitzten sich und es bildeten sich Funken. Diese entzündeten mit Walzöl getränktes Trennpapier, das bereits zerfetzt auf dem Boden auf Ölrückständen lag bzw. auf den Boden fiel. Innerhalb von 10 Minuten hatten das gesamte Papier und die Ölpfützen auf dem Boden Feuer gefangen.
131An der Linie befanden sich zu diesem Zeitpunkt sechs Arbeiter: T2, C2, M2, T2, S13 und F2. Zufällig anwesend waren auch noch der einzige für das gesamte Werk in S2 verbliebene Schichtleiter N, der zwar seit 03.12.2007 auch für Notfälle zuständig war, obwohl er, wie bereits ausgeführt, noch nicht einmal einen Brandschutzkurs absolviert hatte, und der Arbeiter T3.
132Alle anwesenden Mitarbeiter befanden sich zu diesem Zeitpunkt in einer Steuerkabine der APL5, von der man den Brandbereich nicht direkt einsehen konnte. Als das Feuer nach einigen Minuten bemerkt wurde, stürzten die Arbeiter aus der Kabine und taten das, was sie bei allen Bränden zuvor getan hatten und was nach dem Notfallplan von ihnen erwartet wurde: Sie versuchten, die Flammen mit Feuerlöschern zu löschen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Flammen mit ca. 10-15 cm noch verhältnismäßig klein. Diese Flammen hatten sich in der Richtmaschine und auf dem Boden unter der Richtmaschine, auf dem sich so viel Öl angesammelt hatte, dass es nötig gewesen war, Sägemehl darauf zu streuen, ausgebreitet. Da die Versuche der Arbeiter, die Flammen zu löschen, scheiterten, was zum Teil auch daran lag, das einige Feuerlöscher nicht oder nicht vollständig funktionsfähig waren, wurden die Flammen größer. Drei der Arbeiter holten daraufhin einen Löschschlauch, wickelten ihn 15 Meter ab und schlossen ihn an einen Hydranten an. Jedoch kam beim Öffnen des Hydranten kein Wasser. Noch während des Hantierens der Arbeiter mit dem funktionslosen Löschschlauch erreichten die Flammen die Hydraulikleitungen, die unter der Hitze platzten. Unter Hochdruck austretendes Öl entzündete sich und bildete explosionsartig einen Feuerball mit ca. 12 Metern Durchmesser, der die Arbeiter mit ihren kleinen und teilweise funktionslosen Feuerlöschern umhüllte. Dabei erlitten sieben Arbeiter schwerste Verbrennungen, die bis zu 90% der Hautoberfläche betrafen und zum Tod führten. Einige der Opfer verstarben innerhalb weniger Stunden vor Ort, andere später, zum Teil erst nach Wochen, im Krankenhaus. Nur ein Arbeiter, C2, hatte Glück und wurde durch einen Gabelstapler vor den direkten Flammen geschützt. Trotz erheblicher Brandwunden stürzte er zur Steuerkabine der Anlage, um von dort Hilfe zu rufen. Er wählte am Telefon der Kabine die Nummer des Sicherheitsdienstes, aber das Telefon funktionierte nicht, weil es - wie sich später herausstellte - schon seit längerer Zeit defekt gewesen war. Der Arbeiter eilte zurück zur Brandstelle, wo er vergeblich versuchte, einen brennenden Kollegen zu löschen. Dann fuhr mit einem Fahrrad ca. 100 Meter weit zur Linie 4, um Hilfe zu holen. Ein anderer Arbeiter versuchte währenddessen, mit seinem Mobiltelefon die Notrufnummer 118 des öffentlichen Rettungsdienstes anzurufen, geriet aber in die Warteschleife. Daraufhin rief er die Werks-Krankenschwester an und bat sie, die 118 anzurufen. Diese informierte zunächst den Sicherheitsdienst, der zusagte, dass er „prüfen werde, was geschehen sei“. Dann erreichte die Krankenschwester die Notrufnummer 118. Niemand aus dem Werk verständigte die örtliche Feuerwehr, die erst vom Rettungsdienst alarmiert wurde. Bei Eintreffen der Feuerwehr war weder ein Vorgesetzter für Notfallmanagement noch ein Verantwortlicher für Werkssicherheit vor Ort, die die Feuerwehr über spezifische Gefahren hätten informieren können. Zudem musste die Feuerwehr auf Löschwasser aus den eigenen Fahrzeugtanks zurückgreifen, weil die Hydranten des Werks nicht genügend Wasserdruck für Schaumlöschung entfalteten.
133Diese zusammenfassend wiedergegebenen Feststellungen in dem Urteil des 1. Berufungsschwurgerichts S2 vom 28.02.2013 sind das Ergebnis eines in Italien geführten Umfangsverfahrens gegen den Beschwerdeführer und die fünf Mitangeklagten, die, wie dargelegt, ebenfalls rechtskräftig zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden sind. Die Hauptverhandlung erstreckte sich dabei allein in 1. Instanz über 94 Verhandlungstage, an denen nicht nur die Angeklagten (der Beschwerdeführer am 27.10. und 04.11.2009), sondern auch mehr als 200 Zeugen und 20 Sachverständige gehört sowie Hunderte von Unterlagen in das Verfahren eingeführt wurden. Der umfangreiche Prozessstoff spiegelt sich auch im Umfang der mit hoher Begründungsdichte abgefassten Urteile wieder: diese erstrecken sich in den deutschen Übersetzungen über 422 Seiten (Urteil 1. Instanz vom 15.04.2011), 339 Seiten (Berufungsgericht, Urteil vom 28.02.2013), 205 Seiten (Großer Senat des Kassationsgerichtshofs, Urteil vom 24.04.2014), 35 Seiten (Berufungsgericht, Urteil vom 29.05.2015) und 48 Seiten (Kassationsgerichtshof, Urteil vom 13.05.2016). Hervorzuheben ist, dass in jedem dieser Urteile, ungeachtet ihres von deutschen Gepflogenheiten abweichenden Aufbaus, eine ausführliche und umfassende Auseinandersetzung auch mit dem jeweiligen Verteidigungsvorbringen des Beschwerdeführers zu finden ist.
134Für die rechtliche Bewertung des vom 1. Berufungsschwurgericht Turin festgestellten Sachverhalts ist für den Senat vor allem das Urteil des Großen Senats des Kassationsgerichtshofs vom 24.04.2014 aufschlussreich, in dem sämtliche Rechtsfragen nicht nur einer ausführlichen theoretischen Betrachtungsweise unterzogen werden, sondern auch einer eingehenden rechtlichen Bewertung im Hinblick auf den konkreten Fall.
135Wie der Kassationsgerichtshof dabei ausgeführt hat, liegt der Schwerpunkt des dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Verhaltens trotz zahlreicher aktiver Handlungen nicht in einem aktiven Tun, sondern in einem Unterlassen gebotener Handlungen, wobei der Beschwerdeführer eine Garantenstellung innegehabt habe. Insoweit ist in dem Urteil des Kassationsgerichtshofs vom 24.04.2014 auf der Grundlage ausführlicher rechtstheoretischer Überlegungen ausgeführt, dass nicht nur der Beschwerdeführer, sondern alle drei Mitglieder des Exekutivausschusses mit den für die Rolle des Arbeitgebers typischen Befugnissen der Leitung und Ausgabenverfügungsgewalt ausgestattet waren, welche der Rolle eines Garanten zu eigen sind. Auch wenn allen drei Mitgliedern des Exekutivausschusses jeweils ein eigener Zuständigkeitssektor zugeteilt war und nur dem Beschwerdeführer die Verantwortlichkeit für die Arbeitssicherheit, sei dennoch allen gemeinsam die kollektive Leitung des Unternehmens zugekommen mit der Folge, dass sie Teil eines entscheidungsbefugten Gremiums waren, das sich mit allen Sektoren des Betriebs beschäftigte, darunter auch mit demjenigen der Arbeitssicherheit. Diese Garantenstellung habe der Beschwerdeführer auch nicht durch Delegationen der die Arbeitssicherheit betreffenden Befugnisse an die Mitarbeiter N und T verloren, weil diese Befugnisübertragungen unvollständig waren und eine effektive Beherrschung des Risikos nicht ermöglichten. Demgegenüber habe der Beschwerdeführer alle betrieblichen Entscheidungen in seinen Händen behalten, darunter vor allem die Entscheidung, das Werk von S2 nach S3 zu verlegen, ohne die Sicherheit im Werk in S2 in der Phase der Verlegung zu gewährleisten.
136Hinsichtlich des Fahrlässigkeitsvorwurfs gebe es in Bezug auf den Beschwerdeführer eine lange Liste von Verhaltensweisen, die zeigten, dass er das gut informierte Oberhaupt aller unternehmerischen Entscheidungen war, die zum Entstehen von Risikoeinschätzungen führten, welche nicht der Realität entsprachen, sondern der Unternehmensstrategie zur maximalen Einsparung angesichts der Schließung des S2 Werks. In dem Zusammenhang seien zu nennen: Unterlassen einer angemessenen Risikoanalyse und –beurteilung für die Arbeiter; unterlassene Anweisung an die Arbeiter, sich im Fall schwerwiegender Gefahr sofort in Sicherheit zu bringen; unterlassene Information der Arbeiter über die Risiken, denen sie ausgesetzt waren; Unterlassen, die Arbeiter angemessen im Bereich des Arbeitsschutzes aus- und fortzubilden; unterlassene Einstufung der APL5 als hoch brandgefährdete Anlage; schwere Mängel an der Anlage durch Abänderung des Reinigungsvertrags mit resultierender Verschmutzung mit Öl und Papier; nachlässige Wartung der Anlage durch Personalabbau; u.a.. Demgegenüber seien wichtige Vorsichtsmaßnahmen im Werk in S3, wie die Installation von Feuerlöschern mit großer Wurfweite und einer automatischen Löschanlage, frühzeitig umgesetzt worden. Für das Werk in S2 sei dies aus Gründen der Kosteneinsparung unterblieben, obwohl von der Gesundheitsbehörde im September 2007 eine Aktualisierung der Risikoanalyse gefordert worden sei. Das daraufhin erstellte Dokument zur Risikobewertung sei „auf merkwürdige Weise“ auf der Grundlage nicht der Realität entsprechender Tatsachen und Erfahrungen zustande gekommen. Auch der Flucht- und Rettungsplan sei mangelhaft gewesen, weil der Hinweis auf die „offensichtliche Schwere“ eines Brandes, welche die Arbeiter von einem Eingreifen befreit hätte, doppeldeutig und unklar war. Damit sei den Arbeitern über Gebühr Verantwortung aufgebürdet worden, ohne dass sie irgendeine Aus- oder Fortbildung erhalten hätten, die ihnen ermöglicht hätte, eine Entscheidung derartiger Tragweite überhaupt treffen zu können. Tatsächlich hätten die Arbeiter immer als erste zur Brandbekämpfung eingegriffen, ohne dass sie über die damit verbundenen Risiken aufgeklärt worden seien und ohne dass ihnen die hierfür erforderlichen Hilfsmittel zur Verfügung gestanden hätten. Es habe auch keine Anweisung gegeben, die Anlage durch Drücken des Notfallknopfes zum Stillstand zu bringen. Im Gegenteil könne man sogar annehmen, dass eine solche Notabschaltung unterbunden wurde, um einen Stillstand der Anlage zu verhindern. Der Notfallplan sei auch nach den im Laufe des Jahres 2007 im Werk in S2 eingetretenen Veränderungen nicht aktualisiert worden. Durch den Personalabbau sei die Verantwortlichkeit für Notfälle dem Schichtleiter der Produktion übertragen worden, was es dem Schichtleiter de facto unmöglich machte, sich um Notfälle zu kümmern. Dies habe sich in der Brandnacht auf tragische Weise gezeigt, als der in der Produktion tätige Schichtleiter als einer der ersten verbrannt und deswegen nicht in der Lage gewesen sei, irgendwelche Notfallleitlinien umsetzen zu können. Auch hätten alle Informationen, die in Bezug auf die Gefahr eines flash fire durch platzende Hydraulikschläuche bis zu dem Exekutivausschuss gelangt waren, nicht zu einer Änderung des Notfallplans geführt, so dass die Arbeiter weiterhin angehalten waren, sich dem Feuer mit Feuerlöschern mit kurzer Wurfweite zu nähern, ohne dass ihnen dabei bewusst war, dass die größere Gefahr für ihr Leben nicht von den Flammen ausging, sondern von einer plötzlichen Feuerwalze, die sie – wie in der Brandnacht – ohne Vorwarnung und ohne Fluchtmöglichkeit treffen konnte.
137Angesichts der Gesamtheit dieser Umstände bestehe weiterhin kein Zweifel daran (Hervorhebung durch den Senat), dass die Erfüllung der Sorgfaltspflichten durch den Beschwerdeführer „die Straftaten“ (gemeint: die Brandkatastrophe mit dem Tod mehrerer Arbeiter) verhindert hätte. Das spezifische Risiko eines flash fire sei in hohem Maße vorhersehbar und dem Beschwerdeführer bekannt gewesen. Deswegen habe er mit bewusster Fahrlässigkeit gehandelt.
138Die hiergegen von der Verteidigung des Beschwerdeführers im italienischen Verfahren vorgebrachte Argumentation, es habe sich um eine Serie von besonderen und fatalen Umständen gehandelt, die sich auf eine ganz spezifische Weise miteinander verkettet und dadurch zu einem Vorfall geführt hätten, der den Horizont der vorhersehbaren Ereignisse überschritten habe, sei unhaltbar. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen gehe hervor, dass es
139„… eine sichere Vorhersehbarkeit ex ante der Kategorie des Ereignisses gab“.
140In dem Zusammenhang seien die Verweise der Verteidigung auf – angeblich – unkorrektes Verhalten der Arbeiter als Faktoren für die Unterbrechung der Kausalkette unbegründet.
141Hinsichtlich der Kausalität des Verhaltens des Beschwerdeführers und des insoweit aus Sicht der italienischen Gerichte maßgeblichen Bewertungsmaßstabs ist in dem Urteil des Kassationsgerichtshofs vom 24.04.2014 u.a. Folgendes ausgeführt:
142„Sie (Anmerkung des Senats: Kausalität der Fahrlässigkeit) liegt nicht nur dann vor, wenn ein die Sorgfaltspflicht erfüllendes Handeln den Erfolg mit Sicherheit verhindert hätte, sondern auch dann, wenn ein angemessenes Verhalten bedeutet hätte, dass der Schaden mit einer nennenswerten, bedeutsamen Wahrscheinlichkeit abgewandt worden wäre. In diesem Punkt sind sich die Rechtsprechung und die Lehre im Wesentlichen einig, auch wenn es in Bezug auf den Grad der Wahrscheinlichkeit, der erforderlich ist, um davon ausgehen zu können, dass der Erfolg vermieden werden konnte, unterschiedliche Auffassungen gibt. In jedem Fall wird nicht daran gezweifelt, dass dann Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann, wenn der Täter die Einhaltung vorgeschriebener Sicherheitsbestimmungen unterlassen hat, deren Beachtung den Schaden nicht mit Sicherheit angewandt, das Risiko des Erfolgseintritts jedoch nennenswert gemindert oder (um es mit anderen Worten auszudrücken) hierdurch eine nennenswerte, nicht zu vernachlässigende Wahrscheinlichkeit vorgelegen hätte, das geschützte Gut zu retten“.
143Allerdings wendet sich der Kassationsgerichtshof sodann der „Kausalität der Fahrlässigkeit bei Begehungsdelikten, die durch Unterlassen verwirklicht werde“, zu und führt in diesem Zusammenhang aus:
144„Die Ermittlung der Vermeidbarkeit des tatbestandlichen Erfolgs ist in erster Linie eine Ermittlung der Kausalität und erfordert mithin eine Gewissheit, die bei Unterlassungsdelikten nicht so einfach zu erreichen ist (134). ….. Da es in erster Linie gilt, ein Problem des materiellen Kausalzusammenhangs zu lösen, sind die angemessene Gewissheit der objektiven Zurechnung des Erfolgs zu beurteilen und nicht die nennenswerten Erfolgsmöglichkeiten, welche die Kausalität der Fahrlässigkeit auszeichnen“.
145Auf der Grundlage solcher theoretischer Erwägungen führt der Kassationsgerichtshof sodann mit Bezug auf den konkreten Fall aus:
146„Es besteht mithin kein Zweifel daran, dass die fahrlässige Unterlassung, die mit der bereits genannten unternehmerischen Entscheidung vorlag, mit Sicherheit im kausalen Zusammenhang mit den Ereignissen stand. Das kontrafaktische Element der Unterlassenskausalität ist in diesem Fall geradlinig: die Ergreifung aller gebotenen, primären und sekundären Schutzmaßnahmen hätte den schweren Unfall mit Sicherheit verhindert.“
147Zum Konkurrenzverhältnis der strafbaren Handlungen der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Brandstiftung hat der Kassationsgerichtshof ausgeführt, dass diese Delikte zueinander im Verhältnis Tateinheit stehen.
148In verfahrensrechtlicher Hinsicht hat sich der Kassationsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 24.04.2014 umfassend mit der von dem Beschwerdeführer bereits seinerzeit im gesamten Verfahren wiederholt erhobenen Rüge auseinandergesetzt, dass der Abschlussbericht des Vorverfahrens und weitere Schriftstücke des Strafverfahrens nicht in die deutsche Sprache übersetzt worden seien. Darin sei schon deswegen keine Verletzung von Verfahrensvorschriften zu sehen, weil der Beschwerdeführer nach den vom 1. Berufungsschwurgericht Turin getroffenen Feststellungen über eine ausreichende Kenntnis der italienische Sprache verfügte, um angemessen die Natur und die Komplexität der ihm gegenüber erhobenen Anklage zu verstehen und sich entsprechend zu verteidigen. So habe der Beschwerdeführer ein Fernsehinterview mit keinesfalls einfacher Argumentation in italienischer Sprache gegeben, was eine sichere Beherrschung der italienischen Sprache voraussetzte. Zudem habe er nicht nur eine Pressekonferenz, sondern auch zahlreiche organisatorische Aufträge per Email und Mitteilungen in italienischer Sprache verfasst. Auch Zeugen hätten seine guten Italienischkenntnisse bestätigt, die sich in der Hauptverhandlung weiter dadurch zeigten, dass er seine Dolmetscherin für die italienische Sprache korrigierte.
149II.
1501.
151Die sofortige Beschwerde ist rechtzeitig erhoben und auch sonst zulässig gem. §§ 84g Abs. 3 S.3, 55 Abs. 2 IRG.
1522.
153In der Sache allerdings ist die sofortige Beschwerde nicht begründet.
154Das Landgericht hat das italienische Erkenntnis zu Recht für vollstreckbar erklärt und die darin verhängte Freiheitsstrafe zutreffend auf das im Geltungsbereich des deutschen Rechts für die Tat angedrohte Höchstmaß von 5 Jahren Freiheitsstrafe ermäßigt.
155Die Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung des ausländischen Urteils nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27.11.2008 (Rb-Freiheitsstrafen) gemäß §§ 84 ff. IRG sind sämtlich erfüllt.
156a.
157Den nach § 84e Abs. 2 IRG erforderlichen Antrag auf gerichtliche Entscheidung über die Vollstreckbarkeit hat die Staatsanwaltschaft Essen am 15.11.2017 gestellt.
158b.
159Die nach § 84c Abs. 1 IRG erforderlichen Unterlagen sind von den italienischen Behörden im Lauf des Verfahrens vollständig übermittelt worden. Soweit in der übermittelten vollständigen Bescheinigung nach dem Formblatt in Anhang I des Rb-Freiheitsstrafen vom 15.09.2016 angegeben war, dass der Verurteilte zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat, persönlich erschienen sei, haben die italienischen Behörden die diesbezügliche Angabe mit Schreiben vom 29.05.2017 in zulässiger Weise ergänzt und richtiggestellt.
160c.
161Die gem. § 84f Abs. 2 und 3 IRG erforderliche Anhörung des Beschwerdeführers durch die Strafvollstreckungskammer ist erfolgt.
162d.
163Bewilligungshindernisse nach § 84d IRG liegen nicht vor.
164Nach dieser Vorschrift kann die Bewilligung einer nach den §§ 84a bis 84c zulässigen Vollstreckung nur unter den dort genannten Voraussetzungen abgelehnt werden. Diese Voraussetzungen liegen sämtlich nicht vor, denn
165- die Bescheinigung nach § 84c Absatz 1 nebst den erforderlichen Unterlagen liegt mittlerweile in vollständiger und hinsichtlich der Frage der Abwesenheitsverurteilung in durch das o.g. Schreiben vom 29.05.2017 berichtigter Form vor,
166- der Beschwerdeführer ist ausschließlich deutscher Staatsangehöriger und hat seinen Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik Deutschland,
167- die Tat ist in Italien und damit nicht zu einem wesentlichen Teil in der Bundesrepublik Deutschland begangen worden,
168- es sind nicht weniger als sechs Monate der Sanktion zu vollstrecken und
169- das ausländische Erkenntnis ist vollständig vollstreckbar.
170e.
171Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen gem. § 84a Abs. 1 Zif. 1a) sowie Zif. 3) IRG sind ebenfalls erfüllt. Gegen den Beschwerdeführer, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und sich im Inland aufhält, ist rechtskräftig eine vollstreckbare freiheitsentziehende Sanktion verhängt worden.
172f.
173Auch das Erfordernis der beiderseitigen Sanktionierbarkeit nach § 84a Abs. 1 Zif. 2 IRG ist erfüllt.
174aa.
175Gem. § 84a Abs. 1 Zif. 2 IRG ist Voraussetzung für die Zulässigkeit der Übernahme der Strafvollstreckung, dass wegen der dem ausländischen Erkenntnis zugrundeliegenden Tat auch nach deutschem Recht, ungeachtet etwaiger Verfahrenshindernisse und gegebenenfalls bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts, eine Strafe, Maßregel der Besserung und Sicherung oder Geldbuße hätte verhängt werden können. Diese Voraussetzung gilt grundsätzlich auch dann, wenn einem Verurteilten in dem ausländischen Erkenntnis die Begehung einer Katalogtat nach Art. 7 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union zur Last gelegt wird. Die Bundesrepublik Deutschland hat nämlich von der in Art. 7 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses Freiheitsstrafen eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses in nationales Recht auf das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit nicht zu verzichten.
176Insofern unterscheidet sich die Rechtslage bei der Übernahme der Vollstreckung eines ausländischen Erkenntnisses von der Rechtslage bei der Auslieferung zur Strafvollstreckung auf der Grundlage des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten (im Folgenden: Rahmenbeschluss Europäischer Haftbefehl), weil nach dem Rahmenbeschluss Europäischer Haftbefehl ein nationales Festhalten an dem Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit bei Katalogtaten nicht möglich ist.
177bb.
178Damit kann bei der Vollstreckung eines von dem Gericht eines anderen Mitgliedsstaats der Europäischen Union erlassenen Urteils die Situation eintreten, dass das Ersuchen des Urteilsstaates an die deutschen Behörden um die Auslieferung des Verfolgten (allein) im Hinblick auf dessen deutsche Staatsangehörigkeit oder den hiermit gleichgestellten Status eines Ausländers mit langjährigem Aufenthalt in Deutschland nach § 80 Abs. 3 bzw. § 83b Abs. 2 Zif. 2 IRG abgelehnt wird und die Erfüllung der sich dann nach Art. 4 Abs. 6 des Rahmenbeschlusses Europäischer Haftbefehl ergebenden Verpflichtung des deutschen Staates, das ausländische Erkenntnis in Deutschland zu vollstrecken, an der nach § 84a Abs. 1 Zif. 2 IRG grundsätzlich zwingend erforderlichen Sanktionierbarkeit der Tat nach deutschem Recht scheitert.
179Um eine solche – unionsrechtswidrige – Situation zu vermeiden, hat der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses Freiheitsstrafen die Regelung des § 84 Abs. 3 S.1 IRG (in Ersetzung des § 80 Abs. 4 S. 1 IRG a.F.) eingefügt. Danach findet § 84a Abs. 1 Zif. 2 IRG dann keine Anwendung, wenn die verurteilte Person ihrer Auslieferung zur Strafvollstreckung nach § 80 Abs. 3, § 83 b Abs. 2 Zif. 2 oder § 83 f Abs. 3 S. 2 IRG nicht zugestimmt hat.
180Zwar ist diese Voraussetzung vorliegend gegeben. Der Beschwerdeführer hat dem von den italienischen Behörden zuvor gestellten Ersuchen um seine Auslieferung zum Zwecke der Strafvollstreckung nicht zugestimmt mit der Folge, dass die Auslieferung des Beschwerdeführers nach Italien mit Beschluss des Senats vom 26.07.2016 (Az.: III-2 Ausl. 115/16) für unzulässig erklärt wurde.
181Dennoch ist vorliegend die gem. § 84a Abs. 1 Zif. 2 IRG vorzunehmende Prüfung der Sanktionierbarkeit der Tat auch nach deutschem Recht nicht gem. § 84a Abs. 3 S. 1 IRG entbehrlich.
182Unabhängig von der Frage nämlich, ob die Vorschrift des § 84a Abs. 3 S. 1 IRG aufgrund ihres Regelungsgehalts und -zwecks einer einschränkenden Auslegung bedarf (vgl. dazu BT-Drucksache 18/4347, S. 56, 111 f.; Böse in: Grützner/Plöß/Kreß/Gazeas, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Auflage, § 84a Stand 45. Lfg. August 2018, Rn. 10 ff. m.w.N.), greift diese Vorschrift hier schon deshalb nicht ein, weil nach S. 2 des § 84a Abs. 3 IRG im Fall der fehlenden Sanktionierbarkeit nach deutschem Recht das Höchstmaß bei der Umwandlung der Sanktion auf zwei Jahre Freiheitsentzug beschränkt ist.
183Daraus folgt, dass eine Prüfung der beiderseitigen Sanktionierbarkeit von vornherein nur dann entbehrlich sein kann, wenn eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren aus einem Erkenntnis eines ausländischen EU-Mitgliedstaates in Deutschland vollstreckt werden soll. Da im vorliegenden Fall die gegen den Beschwerdeführer verhängte Freiheitsstrafe das Maß von zwei Jahren übersteigt, ist die Prüfung der Sanktionierbarkeit der Tat nach deutschem Recht hier jedenfalls im Hinblick auf die Höhe der verhängten Strafe erforderlich.
184cc.
185Auf der Grundlage der in dem italienischen Strafverfahren getroffenen Feststellungen, wie sie sich aus dem insoweit maßgeblichen Urteil des 1. Berufungsschwurgerichts Turin (als letzte Tatsacheninstanz) vom 28.02.2013 ergeben und wie sie in diesem Beschluss des Senats oben ab Seite 10 unter I. zusammenfassend dargestellt sind, ist eine Sanktionierbarkeit der dem italienischen Erkenntnis zugrundeliegenden Tat des Beschwerdeführers nach deutschem Recht unter dem Gesichtspunkt der fahrlässigen Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Brandstiftung (Straftat nach §§ 222, 306d Abs. 1 in Verbindung mit § 306a Abs. 1 Nr. 3, §§ 13, 52 StGB) gegeben.
186(1).
187Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sind die in dem italienischen Verfahren getroffenen Feststellungen für eine Beurteilung seiner Strafbarkeit nach deutschem Recht geeignet, weil jene Feststellungen nicht nur umfassend und vollständig, sondern auf der Grundlage des gleichen rechtlichen Bewertungsmaßstabs eines fahrlässigen unechten Unterlassungsdelikts getroffen worden sind, wie er auch im deutschem Recht gilt. Dies wird vornehmlich aus der oben unter I. skizzierten Zusammenfassung der rechtlichen Würdigung durch den Großen Senat des Kassationsgerichtshofs in seinem Urteil vom 24.04.2014 deutlich. Die hiergegen gerichteten Angriffe des Beschwerdeführers, es sei zu seinen Lasten ein abweichender – weil zu niedriger - Maßstab für die Prüfung der Kausalität zur Anwendung gekommen und daher das materielle Schuldprinzip nicht hinreichend beachtet worden, gehen angesichts der eindeutigen Ausführungen des Kassationsgerichtshofs ersichtlich ins Leere. Der von dem Beschwerdeführer erhobene Vorwurf, bei seiner Verurteilung sei auf den Nachweis der Kausalität und der konkret-individuellen Fahrlässigkeit verzichtet worden, ist unberechtigt. Vielmehr wird anhand der rechtlichen Würdigung durch den Großen Senat des Kassationsgerichtshofs in seinem Urteil vom 24.04.2014 deutlich, dass die italienischen Gerichte von
188„… einer sicheren Vorhersehbarkeit ex ante der Kategorie des Ereignisses …“
189ausgingen, wobei die Erfüllung der Sorgfaltspflichten durch den Beschwerdeführer die Straftaten verhindert hätte und
190„… die fahrlässige Unterlassung …. mit Sicherheit im kausalen Zusammenhang mit den Ereignissen stand. …. Die Ergreifung aller gebotenen, primären und sekundären Schutzmaßnahmen hätte den schweren Unfall mit Sicherheit verhindert.“
191Diese zu Lasten des Beschwerdeführers angelegten Maßstäbe sind nicht geringer als die insoweit nach deutschem Recht maßgeblichen Kriterien.
192(2).
193Die rechtliche Bewertung des vom 1. Berufungsschwurgerichts Turin festgestellten Sachverhalts einschließlich des Verhaltens des Beschwerdeführers unter Anwendung deutschen Strafrechts (zum Prüfungsmaßstab EuGH, Urteil vom 11.01.2017 in der Rechtssache C-289/15; vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24.05.2018, 1 Ws 67/17) führt im Ergebnis zu denselben Erwägungen, wie sie in dem rechtskräftig abgeschlossenen italienischen Strafverfahren angestellt worden sind.
194Auch wenn sich das Verhalten des Beschwerdeführers aus einer Vielzahl von Einzelakten zusammensetzt, die zum Teil in positivem Tun und zum Teil in Unterlassen bestehen, liegt der Schwerpunkt des dem Beschwerdeführer vorwerfbaren Verhaltens im Unterlassen. Außer Frage steht dabei auch nach deutschem Recht, dass der Beschwerdeführer als geschäftsführendes Vorstandsmitglied und Verantwortlicher für die Arbeitssicherheit eine Garantenstellung im Sinne des § 13 StGB innehatte, aufgrund derer er verpflichtet war, für den Schutz der Arbeiter Sorge zu tragen. Dieser Garantenstellung hat sich der Beschwerdeführer durch die Übertragung seiner entsprechenden Pflichten auf den Leiter des Werks S2, T, schon deshalb nicht erfolgreich entledigt, weil T von dem Beschwerdeführer – ungeachtet aller weiterer Rechtsfragen – noch nicht einmal die für sachgerechte Brandschutzmaßnahmen erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt wurden.
195Dabei kann – entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers - nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden, dass ihm das sich in der Brandnacht verwirklichende Risiko tatsächlich bekannt und damit das zum Tod der Arbeiter führende Brandereignis für ihn vorhersehbar war. Insoweit verweist der Senat auf die diesbezüglichen umfassenden Feststellungen, die in dem italienischen Strafverfahren getroffen wurden, und die unter Nr. I des vorliegenden Beschlusses in ihren wesentlichen Aspekten wiedergegeben sind.
196Schon die hohe Anzahl von vorausgegangenen Brandereignissen in den Stahlwerken in S3 und S2, deren Zahl nach den im italienischen Strafverfahren getroffenen Feststellungen noch weit höher war als in diesem Beschluss wiedergegeben, konnte auch für den Beschwerdeführer keinen Zweifel daran lassen, dass an den Verarbeitungslinien in den Werken des von ihm geleiteten Unternehmens ein hohes Brandrisiko bestand. Ganz besonders gilt dies für das Brandereignis am 24.03.2002 mit den sich daraus ergebenden strafrechtlichen Konsequenzen für die damaligen Mitglieder des Exekutivausschusses, sowie die Brandkatastrophen in L und N2. Spätestens nach diesen Brandkatastrophen und den sich im Anschluss entwickelnden Aktivitäten des Konzerns zur Verbesserung des Brandschutzes, in die der Beschwerdeführer in vielfältiger Weise eingebunden und von denen er umfassend informiert war, konnte auch für ihn kein vernünftiger Zweifel mehr daran bestehen, dass selbst kleinere Brände rasch außer Kontrolle geraten und sich zu katastrophalen Ereignissen entwickeln konnten. Dabei war ihm auch das Risiko eines sogenannten flash fire aufgrund zahlreicher Hinweise bekannt. Zudem wusste er aufgrund der Vorgänge um die Erlangung des Brandschutzzertifikates sowie der Interventionen von B2 und X um das Risiko in den Werken des von ihm geführten Unternehmens. Ganz besonders eindrücklich belegt wird die positive Kenntnis des Beschwerdeführers von dem hohen Brandrisiko und der Gefährdung der Arbeiter in seiner schriftlichen Anfrage vom 05.10.2007 an S5 zur Freigabe der beantragten Mittel, wobei er in dieser Anfrage ausdrücklich darauf hinwies, dass die APL5 eine Linie sei, die nicht den technischen Vorgaben der Versicherung, der Feuerwehr der Provinz und der X entspreche und dass die Realisierung der in dem Investitionsplan vorgesehenen Maßnahmen zum Schutz der Personen erforderlich sei. Aber auch seine Ausführungen im Exekutivausschuss am 28.08.2007 dazu, dass es bei S und den anderen Subunternehmen ein starkes Bedürfnis nach Verbesserung der Arbeitssicherheit gebe und dass in den folgenden Tagen eine Pressekonferenz zum Thema Sicherheit abgehalten werde, belegen deutlich seine Kenntnis von der Gefährdung der Arbeiter. Soweit der Beschwerdeführer hiergegen einwendet, keine Kenntnis von den Risiken gehabt zu haben und er sogar seine Mitarbeiter beschuldigt, ihm das Risiko eines flash fire absichtlich verheimlicht zu haben, stehen dem die in dem italienischen Strafverfahren vom 1. Berufungsschwurgericht Turin in seinem Urteil vom 28.02.2013 getroffenen Feststellungen entgegen.
197Auf der Grundlage jener Feststellungen steht auch außer Zweifel, dass pflichtgemäßes Verhalten des Beschwerdeführers den Brand und damit den Tod der Arbeiter verhindert hätte. Dabei liegt der Schwerpunkt des ihm gegenüber erhobenen Vorwurfs keineswegs in der unterlassenen Installation einer automatischen Brandmelde- und Löschanlage. Vielmehr ist dem Beschwerdeführer vorzuwerfen, dass er eine Vielzahl gebotener Maßnahmen unterlassen hat, von denen einige schon für sich genommen die Brandkatastrophe verhindert hätten. Dies gilt beispielsweise für die Reduzierung des Reinigungsaufwands mit daraus resultierender Verschmutzung der APL5, die mitursächlich für die Brandkatastrophe war. Ebenso ist hier die mangelhafte Wartung der Anlage durch Personalabbau zu nennen, die ebenfalls mitursächlich für die Brandkatastrophe war. Weiterhin gilt dies für die mangelnde Ausbildung der Arbeiter auf dem Gebiet der Brandbekämpfung, wobei die Arbeiter auch noch mit völlig unzureichendem Brandbekämpfungsmaterial wie funktionsunfähigen oder mit falschem Löschmaterial gefüllten Feuerlöschern, deren Wurfweite – anders, als im Werk S3 – ohnehin nicht ausreichte, ausgestattet waren, weshalb sie in der Brandnacht dem Brandereignis hilflos ausgeliefert waren. Im Hinblick auf den Tod der Arbeiter gilt dies ganz besonders für die fehlende Information der Arbeiter über das Risiko eines tödlichen Brandereignisses und das Unterlassen der Anweisung, sich im Brandfall in Sicherheit zu bringen, denn schon eine solche Anweisung hätte - wie in dem italienischen Verfahren zutreffend zum Ausdruck gebracht - deren Tod ohne Zweifel verhindert.
198Soweit der Beschwerdeführer – offensichtlich in Anlehnung an die Ausführungen des Kassationsgerichtshofs zur Kausalitätsfrage im Rahmen der Prüfung einer Strafbarkeit auch nach Art. 437 Abs. 2 des italienischen Strafgesetzbuchs, die insoweit vom Kassationsgerichtshof in seinem Urteil vom 24.04.2014 verneint wurde - meint, den Schwerpunkt der gegen ihn erhobenen Vorwürfe auf das Unterlassen der Installation einer automatische Löschanlage verengen zu können, weil außer Frage stehe, dass eine solche Anlage vor der Verlegung der APL5 nach S3 nicht fertigzustellen gewesen wäre, kann ihn dieser Einwand aus den vorgenannten Gründen nicht entlasten, sondern führt sogar eher zu einer Vertiefung der ihm gegenüber zu erhebenden Vorwürfe: Gerade weil er davon ausging, dass die auch von ihm für erforderlich gehaltene Löschanlage nicht rechtzeitig fertiggestellt werden würde, hätte er – was unschwer und ohne großen Aufwand möglich gewesen wäre – die geeigneten Maßnahmen (vgl. oben S. 35, 36 und 46) ergreifen müssen, um das Brandrisiko in der Zwischenzeit zu minimieren und dem Leben der Arbeiter den größtmöglichen Schutz zukommen zu lassen.
199Ebenso wenig greift der Einwand des Beschwerdeführers, das Verhalten der Arbeiter hätte die ihm zuzurechnende Kausalkette unterbrochen, weil nach Bemerken des Brandes der Notfallplan unbeachtet geblieben sei, wonach u.a. der „Unfallort verlassen“ werden musste. Davon kann keine Rede sein, weil sich die Arbeiter bei der Bekämpfung des Brandes nach den im italienischen Strafverfahren getroffenen Feststellungen genau so verhalten hatten, wie es von ihnen nach dem Notfallplan – der ein Verlassen des Unfallortes gerade nicht vorsah - erwartet wurde und wie sie es immer getan hatten. Von daher entsprach ihr Verhalten in der Brandnacht exakt dem, was der Beschwerdeführer kannte und deswegen in seine Überlegungen zum Brand- und Personenschutz einzubeziehen hatte.
200g.Vollstreckungsverjährung nach deutschem Recht (vgl. § 84b Zif. 4 IRG) ist nicht eingetreten.
201h.
202Der Zulässigkeit der Vollstreckungsübernahme steht auch nicht § 84b Abs. 1 Nr. 2 IRG entgegen.
203Zwar war der Beschwerdeführer bei der Hauptverhandlung in zweiter Instanz, bei der der Sachverhalt nach erneuter und ergänzender Beweisaufnahme erneut und abschließend festgestellt wurde, weshalb auf jene Hauptverhandlung abzustellen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 10.08.2017 in der Rechtssache C-270/17 PPU), persönlich nicht anwesend. Dies steht der Zulässigkeit der Vollstreckungsübernahme aber nicht entgegen, weil der Beschwerdeführer, der in der Hauptverhandlung in erster Instanz mindestens an einem Verhandlungstag persönlich anwesend war, während des gesamten erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens durch zwei von ihm beauftragte Wahlverteidiger vertreten war. Dabei hatte der Beschwerdeführer Kenntnis von den Berufungshauptverhandlungsterminen, bei denen er ebenfalls durch zwei von ihm beauftragte Wahlverteidiger vertreten war. Entsprechendes gilt im Übrigen auch für die erstinstanzlichen Hauptverhandlungstermine vor dem 2. Schwurgericht Turin, so dass der auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.12.2015 (2 BvR 2735/14) gestützte Einwand des Beschwerdeführers, nach italienischem Strafprozessrecht finde in der Berufungshauptverhandlung keine erneute bzw. nur eine eingeschränkte neue Beweisaufnahme statt, nicht greift. Damit steht die Abwesenheit des Beschwerdeführers bei der Verhandlung, die zu seiner Verurteilung geführt hat, gem. § 84b Abs. 3 Nr. 1 und 3 IRG der Zulässigkeit der Vollstreckung des Erkenntnisses in Deutschland nicht entgegen.
204i.
205Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist die Übernahme der Strafvollstreckung auch nicht unzulässig gemäß § 73 IRG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
206Nach § 73 IRG ist die Leistung von Rechtshilfe unzulässig, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung (vgl. Art. 79 Abs. 3 GG) widersprechen oder grundrechtlich geschützte Rechtspositionen des Verurteilten verletzen würde sowie wenn die Erledigung der Rechtshilfe zu den in Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen im Widerspruch stünde (vgl. dazu Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., 2012, § 73 Rn. 1 ff.; Beschluss des Senats vom 31.01.2017 - III-2 Ausl 217/16; OLG Celle, Beschluss vom 22.12.2016 - 1 AR (Ausl) 59/16).
207Derartige Umstände liegen hier nicht vor.
208aa.
209Eine Verletzung des aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 1 GG folgenden materiellen Schuldprinzips ist durch die rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts und den darauf beruhenden italienischen Schuldspruch nicht erfolgt. Insoweit verweist der Senat auf die obigen Ausführungen zur Frage der beiderseitigen Sanktionierbarkeit.
210bb.
211Auch in formeller Hinsicht ist das verfassungsrechtlich garantierte Schuldprinzip nicht verletzt. Die Verurteilung des Beschwerdeführers ist ohne Verstöße gegen die Grundsätze des rechtsstaatlichen Verfahrens erfolgt.
212(1).
213Hinsichtlich des Umstandes, dass der Beschwerdeführer in seiner Abwesenheit verurteilt worden ist, nimmt der Senat zunächst Bezug auf seine Ausführungen oben zu § 84b Abs. 3 Nr. 1 und 3 IRG. Zudem weist der Senat darauf hin, dass das Verteidigungsvorbringen des Beschwerdeführers, auf das er in dem vorliegenden Exequaturverfahren Bezug nimmt, in allen während des in Italien geführten Strafverfahrens gefällten Urteilen einschließlich des Urteils des Kassationsgerichtshofs vom 13.05.2016, durch welches das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen wurde, berücksichtigt und einer umfassenden Würdigung unterzogen worden ist, so dass durch die Abwesenheit des Beschwerdeführers seine Mindestrechte der Verteidigung (vgl. dazu Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, a.a.O., Rn. 70 ff. m.w.N.) nicht beeinträchtigt wurden. Er hatte insbesondere, wie die Gründe der Urteile vom 15.04.2011 und 28.02.2013 ausweisen, durch die von ihm in Kenntnis der Hauptverhandlungstermine beauftragten beiden Wahlverteidiger die Möglichkeit, sich umfassend zu den Tatvorwürfen und zu den Beweisergebnissen zu äußern und auf Art und Umfang der Beweisaufnahme Einfluss zu nehmen; von dieser Möglichkeit hat er auch intensiv Gebrauch gemacht.
214(2).
215Erfolglos macht der Beschwerdeführer weiterhin geltend, es seien in dem in Italien gegen ihn geführten Strafverfahren nicht alle für das Verfahren wesentlichen Dokumente in die deutsche bzw. in die italienische Sprache übersetzt worden.
216Diesen Einwand hatte der Beschwerdeführer bereits in dem in Italien gegen ihn geführten Verfahren einschließlich des Revisionsverfahrens wiederholt geltend gemacht. Die mit dem Verfahren befassten italienischen Gerichte haben sich in allen Instanzen ausführlich mit diesem Einwand auseinandergesetzt und darauf hingewiesen, dass zum einen auf diesen Einwand des Beschwerdeführers zahlreiche Dokumente übersetzt worden seien und im Übrigen eine Benachteiligung des Beschwerdeführers angesichts seiner ausgezeichneten Kenntnisse der italienischen Sprache ausgeschlossen werden könne.
217Vor diesem Hintergrund der sorgfältigen und auch revisionsrechtlichen Überprüfung der Rüge der unterbliebenen Übersetzungen durch die italienischen Gerichte geht der Senat auch im Hinblick auf den durch den Rahmenbeschluss „Freiheitsstrafen“ zum Ausdruck gebrachten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Urteilen in Strafsachen davon aus, dass eine diesbezügliche Verletzung des fairen Verfahrens im Sinne des Art. 6 der Europäischen Menschrechtskonvention auszuschließen ist.
218Ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen dem für die Exequaturentscheidung nach § 84f IRG zuständigen Gericht sowie dem Beschwerdegericht im Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses „Freiheitsstrafen“ ausnahmsweise noch im Exequaturverfahren quasi als eine Art „Suprarevisionsinstanz“ eine weitergehende diesbezügliche Prüfungsmöglichkeit zusteht, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden. Voraussetzung hierfür wäre nämlich zumindest eine eingehende Darlegung des Beschwerdeführers hinsichtlich des geltend gemachten Verstoßes gegen Art. 6 der EMRK. Dieser erhöhten Darlegungslast ist der Beschwerdeführer nicht nachgekommen; es ist nicht konkret mitgeteilt, welche Dokumente zwingend zu übersetzen gewesen wären, inwiefern die unterbliebene Übersetzung ihn in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt haben soll und aus welchen Gründen seine Verurteilung auf der behaupteten Rechtsverletzung beruht.
219(3).
220Auch die Höhe der gegen den Beschwerdeführer verhängten Freiheitsstrafe steht der Zulässigkeit der Vollstreckung in Deutschland nicht entgegen.
221Grundsätzlich besteht ein Verbot der Rechtshilfe nur bei grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder bei einer unerträglich schweren Strafe (Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, a.a.O., Rn. 60 m.w.N.). Angesichts der im italienischen Strafverfahren festgestellten Tatumstände – vor allem Unterlassen einer Vielzahl gebotener Schutzmaßnahmen über einen langen Tatzeitraum sowie die Anzahl der Opfer – ist die gegen den Beschwerdeführer verhängte Freiheitsstrafe – nach ihrer durch § 84g Abs. 4 IRG vorgeschriebenen Ermäßigung auf das nach deutschem Recht geltende Höchstmaß von 5 Jahren Freiheitsstrafe - nicht als unerträglich hart anzusehen, wobei ergänzend darauf hinzuweisen ist, dass die Verurteilung der italienischen (Mit-)Angeklagten zu vergleichbar hohen Strafen ausschließen lässt, dass gegen den Beschwerdeführer wegen seiner Staatsangehörigkeit eine besonders harte Strafe verhängt worden ist.
222Zudem ist, wie ausgeführt, gem. § 84g Abs. 4 IRG die Vollstreckung der verhängten Strafe auf das nach deutschem Recht für die Tat angedrohte Höchstmaß – hier Freiheitsstrafe von 5 Jahren gem. §§ 222, 306d Abs. 1 StGB – beschränkt.
223Die beantragte Übernahme der Vollstreckung ist nach alledem zulässig.
224j.
225Allerdings übersteigt das Maß der in dem italienischen Erkenntnis gegen den Beschwerdeführer verhängten Freiheitsstrafe das nach deutschem Recht gem. §§ 222, 306d Abs. 1 StGB geltende Höchstmaß von 5 Jahren. Deswegen ist die Sanktion gem. § 84g Abs. 4 IRG auf Freiheitsstrafe von 5 Jahren zu ermäßigen. Dem hat das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss durch „Festsetzung“ einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren Rechnung getragen.
2263.
227Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
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